MITTEILUNGEN - Deutsche Exlibris-Gesellschaft
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KLINGERs glänzende künstlerische Begabung zeigt sich auch in technischer<br />
Hinsicht. Die Radierungen sind brillant und haben alle Qualitäten des<br />
Mediums, samtigschwarze Tiefen, zarte Valeurs, die sich mit dramatischen<br />
Hell-Dunkel-Kontrasten abwechseln. Berühmt geworden ist vor allem sein<br />
zehnteiliger Zyklus Paraphrase über den Fund eines Handschuhs, Opus VI von<br />
1881. Eine Liebesgeschichte mit autobiographischen Zügen ist nur noch<br />
bloßer Vorwand für phantastisch-irreale Handlungsstränge. Hier weist KLIN-<br />
GER mit schon surrealistisch anmutenden Mitteln weit in die Zukunft.<br />
<strong>Exlibris</strong> werden nicht gezeigt; trotzdem tragen Ausstellung und Katalog dazu<br />
bei, die Bildwelt KLINGERs zu verstehen; denn mit seinen Gestaltungsprinzipien<br />
weist er auf die späteren traumhaften, künstlerischen Inszenierungen der<br />
Surrealisten voraus, die davon ausgingen, dass mit den Mitteln der Vernunft<br />
nur ein gewisser Bereich der Realität erfassbar ist. Das Unbewusste als für den<br />
Menschen wesentlicher Teil dieser Realität sei demnach nur im Traum erfahrbar,<br />
da dort die einschränkende Vernunft keine Kontrolle ausüben könne.<br />
Eine Ausstellung der Graphischen Zyklen war vom 5. März bis 7. Mai 2006 im<br />
Clemens-Sels-Museum Am Obertor, 41460 Neuss zu sehen.<br />
www.clemens-sels-museum.de<br />
Der Katalog hat 200 Seiten mit 125 s/w Abbildungen, instruktiven, prägnanten<br />
Artikeln zu den elf graphischen Zyklen, Lebensdaten, Literatur in Auswahl<br />
und kostet 14,90 Euro (+ 2,20 Porto) Klaus THOMS<br />
✥<br />
MELANCHOLIE – GENIE UND WAHNSINN IN DER KUNST<br />
„Sammeln ist ein melancholischer Zeitvertreib“ (Jean CLAIR)<br />
Zu allen Zeiten erfreute sich die Melancholie besonderer Aufmerksamkeit.<br />
Doch was sie denn nun eigentlich sei, darüber gab es im Laufe der Geistesund<br />
Sozialgeschichte viele unterschiedliche Ansichten. Philosophie und Theologie,<br />
aber auch Literatur und Kunst berichten uns von der Antike über das<br />
Mittelalter und die Renaissance bis zur Klassik und Romantik von den<br />
Zuständen der Melancholie.<br />
Theoretisches Verständnis der abendländischen Medizin war bis in das 18.<br />
Jahrhundert hinein das antike Konzept der Körpersäfte. Ein Missverhältnis der<br />
vier Körpersäfte Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle teilt Menschen in<br />
Sanguiniker, Phlegmatiker, Choleriker und eben Melancholiker, bei denen die<br />
schwarze Galle im Übermaß vorhanden sei. Diese Menschen zeichnen sich<br />
durch eine Neigung zur Traurigkeit, aber auch durch Tiefe des oft schöpferischen<br />
Geistes, Introversion und Trägheit (acedia) aus.<br />
Die Melancholie galt im Mittelalter (und gilt heute) als Krankheit, als Trägheit<br />
des Herzens und so als eine der sieben Todsünden, in Antike und Renaissance<br />
als ausgezeichnete Charaktereigenschaft, die durch Ernsthaftigkeit, Tiefgang<br />
und Empfindsamkeit gekennzeichnet ist, und für die Romantiker war sie<br />
Zugang zum Geheimnis menschlichen Seins. Von der Antike bis ins 19.<br />
Jahrhundert galt jeder als „verrückt", der sich außerhalb dessen bewegte und<br />
benahm, was als normal, gesittet und vernünftig galt.<br />
Doch in den wissenschaftlichen Schubladen der gegenwärtigen Psycho-<br />
Forscher ist die Melancholie kaum mehr zu finden. Zunächst hat die zunehmend<br />
naturwissenschaftlich orientierte Medizin und Psychiatrie des 19.<br />
Jahrhunderts wesentliche Eigenschaften der Melancholie als psychiatrische<br />
Symptome deklariert, neu geordnet und das Resultat wieder zur „Krankheit“,<br />
zur „melancholischen Krankheit“ erklärt. Hiermit wurde die „heilige Melan-<br />
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Julius KLINGER, Deutschland, ca. 1898,<br />
Radierung (nicht im Katalog)<br />
Petr HAMPL, Tschechien, 1991, C3<br />
Mitteilungen 2/2006