Als Findelkind von Pflegeeltern fernab derZivilisation großgezogen, erfährt er erst alsheranwachsender Mann von seiner wahrenHerkunft und wird sich nach und nach auchseiner außergewöhnlichen Kräfte bewusst.Schließlich verlässt er das elterliche Heim,um große Taten zu vollbringen – und findetam Ende auch die Liebe einer Frau …Bei dem Helden, von dem hier die Rede ist,handelt es sich natürlich um niemand anderenals … SUPERMAN!Oder Herkules?! Oder Siegfried?! … Die Reiheließe sich beliebig fortsetzen, von derAntike bis in unsere Tage gleichen sich Heldensagenin vielen ihrer zentralen Grundmotive– und das sogar weit über den europäischenKulturraum hinaus, denn diemythischen Helden der Legenden, Märchen,Comics und Kinofilme sind ein tief im Unterbewusstseindes Menschen verwurzelterArchetypus.Strahlende HeldenDas Zedler-Lexikon von 1735 bezeichnet alsHeld, lat. Heros, jemanden, »der von Natur miteiner ansehnlichen Gestalt und ausnehmenderLeibesstärcke begabet, durch tapfereThaten Ruhm erlanget, und sich über den gemeinenStand derer Menschen erhoben«.Besondere, übermenschliche Kräfte besitzenin der Tat nahezu alle Superhelden: Herkuleserwürgt schon als Kind in der Wiege mitbloßen Händen eine ihn und seinen Bruderbedrohende Schlange, Achilles ist der stärksteKrieger im Heer der Griechen vor Troja,Samson zerreißt einen Löwen mit seinenbloßen Händen und erschlägt 1000 Philistermit dem Kieferknochen eines Esels, Siegfriedtötet einen Drachen und Supermankann fliegen, ist stark wie eine Lokomotiveund schneller als eine Pistolenkugel.Zum unbesiegbaren Helden gehört aber fastunabdingbar immer auch ein Rest an Verwundbarkeit,ein im wahrsten Sinne desWortes »wunder Punkt«: Bei Achilles ist esdie Ferse, die bis heute seinen Namen trägt,Samson verliert mit der Haarpracht auchseine übermenschlichen Kräfte, Siegfried istam Rücken verwundbar, und selbst Supermankann durch ein fiktives Mineral namensKryptonit außer Gefecht gesetzt werden.Schon in den Umständen seiner Geburt undseines Heranwachsens unterscheidet sichder Held von normalen Sterblichen. Bereitsim Säuglingsalter oder sogar noch davor ister Not und Verfolgung ausgesetzt, was nichtselten dazu führt, dass er – zumindest zeitweise– nicht von seiner leiblichen Mutteraufgezogen werden kann: Herakles wirdaus Angst vor Heras Zorn von der eigenenMutter ausgesetzt, jedoch von seiner HalbschwesterAthene unerkannt zu Hera selbstgebracht, die ihn aus Mitleid an die eigeneBrust legt. Superman wird noch als Babykurz vor der Zerstörung seines Heimatplanetenvom eigenen Vater allein in einer Raketedurchs All zur Erde geschickt, wo ihndas Ehepaar Kent findet und in einer Kleinstadtmit dem bezeichnenden Namen Smallvilleaufzieht. Siegfrieds Mutter Sieglindehingegen ist in Wagners Ausformulierungdes Mythos mit ihrem noch ungeborenenKind vor dem Zorn ihres Vaters Wotan geflohenund bringt Siegfried fernab jeglicherZivilisation, im Wald bei Mime, zur Welt.Böse Schurken»Bei Siegfrieds Geburt stirbt Sieglinde, wiesich’s gebührt«, schreibt C.G. Jung. »Die Pflegemutterist nun allerdings kein Weib, sondernein chthonischer [der Erde angehö-
ender] Gott, ein krüppelhafter Zwerg, derzu jenem Geschlecht gehört, das der Liebeentsagt. […] Mime wird aber zum FeindSiegfrieds und wünscht ihm den Tod durchFafner. Hier enthüllt sich die dynamischege Unbewusstheit und Unbezogenheit abscheulicheTaten. […] Er hält den früherenintellektuellen und moralischen Tiefstanddem höher entwickelten Individuum unterdie Augen, damit man nicht vergesse, wieNatur Mimes: Er ist ein männlicher Repräsentantder furchtbaren Mutter, die ihremSohn den giftigen Wurm in den Weg legt.«»Glauben sollst du, was ich dir sage: Ich bindir Vater und Mutter zugleich«, lässt Mime seinenZögling wissen. Mime übernimmt aberin Wagners Siegfried nicht nur beide Partsder für Heldensagen typischen Pflegeeltern,er ist darüber hinaus auch das Negativbildzu Siegfried, der ebenfalls zu klassischenHeldenmythen gehörende schurkische Widersacher,der Antiheld! Dient der Archetypusdes Helden als Projektionsfläche fürWünsche und Sehnsüchte und bedient sichdaher eines nicht nur mit übermenschlichenphysischen Kräften bedachten, sondernauch vom Scheitel bis zur Sohle ideal geformtenMenschenbildes, so erlangen seineüberragende Kraft und Schönheit erst durchdas Gegenbild eines an Feigheit und Hässlichkeitkaum zu übertreffenden Widersachersihre wahre Strahlkraft. Wagner selbstnennt seinen Siegfried den »von uns gewünschten,gewollten Menschen der Zukunft«,spricht vom »jugendlich schönenSiegfriedmenschen«, ja bezeichnet ihn garals den »schönsten meiner Lebensträume«.Seine Vorstellungen von Mimes äußererGestalt, zu finden in Der junge Siegfried,Wagners erster Textfassung des späterenSiegfried, beinhalten nicht einen einzigenpositiven Aspekt: »Er ist von kleiner gedrückterGestalt, etwas verwachsen undhinkend; sein Kopf ist über das Verhältnisgroß, sein Gesicht ist dunkelaschfarben undrunzlig, sein Auge klein und stechend, mitroten Rändern, sein grauer Bart lang undstruppig, sein Haupt ist kahl und von einerroten Mütze bedeckt.«Gut und Böse, hässlich und schönMime ist Batmans großem Widersacher, dem»Joker«, vergleichbar, dessen Gesicht zu einergrotesk verzerrten, unheimlichen Clowns-Maske erstarrt ist. Und in der Tat trägt Mimeauch Züge einer uns in den Mythen vergangenerJahrtausende immer wieder begegnendenarchetypischen Figur, die von PaulRadin, Karl Kerényi und C.G. Jung als»Schelm« oder »Trickster« bezeichnet wurde.Der »Trickster« ist eine ambivalente Figur, erverkörpert das Prinzip der Vereinigung vonGegensätzen, ist weder gut noch böse, er istlistenreich und zugleich ein Tölpel. »Er istebenso unter- wie übermenschlich, eingöttlich-tierisches Wesen, dessen durchgehendeund eindrucksvollste Eigenschaft dieUnbewusstheit ist. […] Obschon er nicht eigentlichboshaft ist, so begeht er doch infol-das Gestern aussah.« (C.G. Jung) Siegfriedund Mime, Batman und Joker, Held und Antiheld,Kämpfer und Schelm, Muskelprotzund Clown bedingen sich also in gewisserWeise gegenseitig, der Superheld definiertsich und seine Überlegenheit vor der Foliedes zurückgebliebenen Missratenen.»Viele von den Schelmen-Zügen wiederholensich in der Gestalt des mittelalterlichenGauklers und leben weiter bis aufden heutigen Tag im Hanswurst des Kasperle-Theatersund im Clown.« (Paul Radin)Und die Gegenüberstellung dieser beidenArchetypen vollzieht sich nicht allein in derFiktion des Theaters oder der Literatur: InZirkus- und Jahrmarkt-Veranstaltungen des19. Jahrhunderts wird der Superheld inForm des »strong man« oder des Trapezkünstlerssicherlich nicht ganz unbewusstdem missratenen, deformierten menschlichenKörper in Form von »Freak Shows«gegenübergestellt. »Tatsächlich wird dermenschliche Körper im Zirkus gerade wegenseiner Unabhängigkeit, seines Einfallsreichtumsund seiner Eigenständigkeit bewundert,wegen seiner Überlebensfähigkeitund seiner Überlegenheit über die Natur. Am