18. 19 KONZERTANNA VOGTREISE IN DEN OSTENIm 7. Sinfoniekonzert widmet sich das Niedersächsische Staatsorchester Werken großer russischer KomponistenRomantische Musik aus Russland wird heute,aus einer zeitlichen Entfernung von fast 150Jahren, gerne mit gleichermaßen vereinfachendenund nichtssagenden Klischees wiedem »virtuosen Klangrausch« oder dem»Ausdruck der tiefgründigen russischen Seele«belegt. Die Frage danach, was «russischeMusik« überhaupt ist, sorgte jedoch in derzweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vorallem in St. Petersburg für künstlerischeKämpfe, die von ihrer Bedeutung her denKonflikten zwischen den »Neudeutschen«und den »Konservativen« in Deutschlanddurchaus vergleichbar waren. Auch in Russlanddiskutierte man über die Formen derabsoluten Musik und der Programmmusik,die Streitpunkte gingen jedoch weit darüberhinaus. Russland war Mitte des 19. Jahrhundertsauf der Suche nach einer »nationalrussischen«Musiksprache, die es in dieserForm bis dahin nicht gegeben hatte. Mitwelchen Mitteln man allerdings die Etablierungeiner Nationalmusik erreichen solle,darüber gab es gespaltene Meinungen: Wie»westlich« durfte russische Musik sein, welcheBedeutung sollte die akademische Ausbildungspielen, welche die Intuition, das»Genie«?Lautstark meldete sich in den 60er Jahrendes 19. Jahrhunderts eine Gruppe von Komponistenin St. Petersburg zu Wort, die vonMili Balakirew angeführt wurde und ihrenmusiktheoretischen Mentor im MusikkritikerWladimir Stassow fand. Stassow selbstprägte den – eigentlich nicht ganz glücklichen– Namen der Gruppe, »Das mächtigeHäuflein«, in einer Konzertkritik von 1867.Diese »Gruppe der Fünf«, wie sie auch genanntewurde, verband einige der vielversprechendstenKomponisten Russlands: ModestMussorgsky, Alexander Borodin, NikolaiRimski-Korsakow und Cesar Cui, die sichunter der Leitung des charismatischen,wenngleich auch etwas despotischen MiliBalakirew für eine nationalrussische Musiknach dem Vorbild Michail Glinkas starkmachten. Die Werke sollten – ohne Einflüsseaus dem Westen – alleine dem Genius undder Phantasie der Komponisten entspringenund dabei »typisch russische« Themen undVolksmusikelemente verarbeiten. Eine akademischeAusbildung der Komponistenempfand Balakirew dafür als schädlich, daman sich an den Konservatorien unweigerlichden ausländischen Einflüssen öffne unddie Phantasie beschränke. Die Gründung desPetersburger Konservatoriums durch den andersgesinnten Artur Rubinstein im Jahr 1861und das Engagement von internationalenLehrkräften wurde vom Kreis um Balakirewdementsprechend als Affront aufgefasst.Anerkennung fand die Gruppe erst in denspäten 1870er Jahren, als Rimski-Korsakowund Borodin mit großem Erfolg eigene Werkeaufführten. Beide waren auf dem Gebiet derKomposition Autodidakten und übten zunächstandere Berufe aus: Während Borodinsein Leben lang als Chemiker arbeitete unddarin durchaus bedeutend war, gehörteRimski-Korsakow viele Jahre dem Militär an,musste sogar die »Gruppe der Fünf« für einedreijährige Weltumsegelung verlassen, umseinen Abschluss als Marinekadett zu erhalten.Später jedoch avancierte er zum vielversprechendstenKomponisten des »MächtigenHäufleins«, distanzierte sich aber vonden Idealen seines Mentors Balakirew, umsich selbst musiktheoretisch weiterzubilden,denn er litt sehr unter seinem »Dilettantismus«,wie er zugab. Schließlich wurde ersogar zum Professor an das PetersburgerKonservatorium berufen. Wie Rubinstein,Tschaikowsky und Rachmaninow war Rimski-Korsakowdem Westen gegenüber nichtverschlossen und konnte mit Hilfe seinerKenntnisse der Satztechnik und Instrumentationbald zu einem der bekanntesten KomponistenRusslands aufsteigen. Zu seinenwichtigsten Werken gehört das viersätzigesinfonische Werk Scheherazade, das er1888 beendete, und in dem er auf meisterhafteArt die typisch russische Vorliebe fürdas »Orientalische« mit moderner Satztechnikund farbenfroher Instrumentation verband.In Scheherazade vertonte er, ganz inder Tradition der Programmmusik, eine literarischeVorlage: die jahrhundertealtenMärchen aus 1001 Nacht. Mit charakteristischenmusikalischen Motiven kennzeichneteer darin den tyrannischen SultanSchahriar und die Wesirstochter Scheherazade,die dem Sultan jede Nacht eine anderephantastische Geschichte erzählt, am spannendstenPunkt jedoch abbricht, um sich ihrLeben zu bewahren. Nachdem seine Frauden Sultan betrogen hatte, schwor diesernämlich, seine zukünftigen Bräute nach derHochzeitsnacht zu töten. Diesem blutigenTreiben macht die kluge Scheherazade mitihren Geschichten ein Ende, da der neugierigeSultan den Fortgang der Märchen unbedingtwissen will. Nach 1001 Nächtenschließlich sieht er ein, dass er mit seinemRachefeldzug töricht gewesen war, gibt diesenauf und nimmt Scheherazade offiziell zurFrau. Diese Erzählung liegt Rimski-Korsakowssinfonischer Suite zu Grunde. Die ursprünglichenTitel der einzelnen Sätze (DasMeer und Sindbads Schiff, Die Geschichtevom Prinzen Kalender, Der junge Prinz unddie junge Prinzessin, Feier in Bagdad, DasMeer, Das Schiff zerschellt an einer Klippeunter einem bronzenen Reiter) zog Rimski-Korsakow jedoch bald wieder zurück, umdem Zuhörer stattdessen die Möglichkeit zugeben, sich ganz unvoreingenommen aufdie musikimmanenten Ausdrücke einzulassen.Um die wiederkehrenden Motive vonScheherazade und dem Sultan gruppieren
KONZERTWeiter und weiter entfernt sie sich. Das russischeLied und die orientalische Weise verschmelzenzu einer gemeinsamen Harmonie,deren Klänge sich nach und nach in der Ferneverlieren.« In ihrem Aufbau ist die Kompositionsehr schlicht gehalten, sie bestichtjedoch vor allem durch ihre wiederholten,einprägsamen Melodielinien und ihren melancholischenGrundton, der durch die Verwendungvon ungewohnten Instrumentenkopplungenund Rhythmen »fremde« Weltenanklingen lässt. So wurde die Steppenskizzebald zu Borodins am häufigsten gespieltenund vor allem auch im Ausland bekanntestenWerk. Er widmete die Komposition FranzLiszt, dessen programmatische Werke erüberaus bewunderte. Das »Mächtige Häuflein«drohte zu dieser Zeit bereits zu zerbrechen,die gemeinsamen Ideale und Feindbilderder Gruppe waren zu weit auseinandergedriftet– für die Entwicklung und Förderungder russischen Musik im 19. Jahrhundertist die Rolle diese Gruppe trotz allemkaum zu überschätzen.Nikolai Rimski-Korsakow, gemalt von Valentin Serow (1898)sich verschiedenste emotionale Elementeaus der arabischen Erzählung – Ausdrückeetwa der Freude, der Sehnsucht, der Melancholieund der Trauer. So können die Geschichtenmit Hilfe der Musik immer wiederneu in der Phantasie des Zuhörers entstehen,wie Rimski-Korsakow erklärte: »Indemdiese Motive und Themen jedes Mal in verschiedenenFarben, Formen und Stimmungenerscheinen, entsprechen sie immerverschiedenen Vorstellungen, Handlungenund Bildern.«Ein expliziteres Programm unterlegte Rimski-KorsakowsFreund und Kollege, AlexanderBorodin, seinem nur wenige Jahre zuvorentstandenen, kurzen Werk Eine Steppenskizzeaus Mittelasien: »In der einförmigenSteppe Mittelasiens erklingen die bisherfremden Töne eines friedlichen russischenLiedes. Aus der Ferne vernimmt man denHufschlag von Pferden und Kamelen undden eigentümlichen Klang einer orientalischenWeise. Eine einheimische Karawanenähert sich, die unter dem Schutz russischerSoldaten sicher und sorglos ihren weitenWeg durch die unermessliche Wüste zieht.7. SINFONIEKONZERTALEXANDER BORODINEine Steppenskizze aus Mittelasien (1880)SERGEI RACHMANINOWKonzert für Klavier und Orchester <strong>Nr</strong>. 1 fis-Mollop. 1 (1892/1917)NIKOLAI RIMSKI-KORSAKOWScheherazade op. 35 (1888)SOLIST Nikolai Tokarev (Klavier)DIRIGENT Michael SanderlingSonntag, 6. März 2011, 17.00 UhrMontag, 7. März 2011, 19.30 UhrKurzeinführung jeweils 30 Minuten vor demKonzert