Erziehung und Wissenschaft - GEW
Erziehung und Wissenschaft - GEW
Erziehung und Wissenschaft - GEW
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Freier<br />
sensibilisieren<br />
Wann begann der Abstieg des Torwarts<br />
Olli Kahn? Nein, nicht im Endspiel<br />
2002, als er gegen Brasilien den<br />
Titel für Deutschland vermasselte.<br />
Dass Konkurrent Jens Lehmann cleverer<br />
ist, zeigte sich im vergangenen<br />
Herbst. Damals nämlich verschickte<br />
der Deutsche Frauenrat Briefe an alle<br />
Nationalspieler mit der Einladung,<br />
sich unter dem Motto „Abpfiff“ an einer<br />
Kampagne gegen Zwangsprostitution<br />
im Umfeld der WM zu beteiligen.<br />
Kahn schwieg, seine Kollegen auch.<br />
Nur Lehmann schickte eine Mail <strong>und</strong><br />
versprach, das Thema mit seinen Kollegen<br />
zu besprechen.<br />
Ob er’s getan hat, wissen<br />
wir nicht. Aber inzwischen<br />
schwimmt Lehmann<br />
auch in dieser Hinsicht<br />
oben auf. Die Kampagnen<br />
gegen Zwangsprostitution<br />
haben nämlich ziemliche<br />
Wellen geschlagen. Kirchen, Gewerkschaften<br />
<strong>und</strong> Parteien erklärten ihre Unterstützung,<br />
das Europaparlament hat<br />
sich mit dem Thema beschäftigt. In<br />
Schweden wurde sogar darüber diskutiert,<br />
ob man nicht gleich ganz die Teilnahme<br />
an der WM absagen soll.<br />
Augen auf, Männer!<br />
Die Idee der Frauenverbände ist, die bei<br />
der WM versammelten potenziellen<br />
K<strong>und</strong>en mit Plakaten, Handzetteln <strong>und</strong><br />
Fernsehspots auf das Thema aufmerksam<br />
zu machen. Denn die Freier sind oft<br />
die einzigen, die zu den Opfern Kontakt<br />
haben. Übermäßige Kontrolle, die Bereitschaft<br />
der Frau, alles, auch ungeschützten<br />
Sex, mitzumachen oder Anzeichen<br />
von Misshandlung können<br />
Hinweise auf Menschenhandel sein.<br />
Allzu oft verschließen Männer jedoch<br />
die Augen, manche reagieren noch<br />
nicht einmal, wenn sie direkt um Hilfe<br />
gebeten werden.<br />
Wie viele Frauen im Umfeld der WM<br />
16 <strong>Erziehung</strong> <strong>und</strong> <strong>Wissenschaft</strong> 6/2006<br />
„Abpfiff“: Kampagne gegen Zwangsprostitution<br />
zur Prostitution gezwungen werden, ist<br />
allerdings völlig unklar. R<strong>und</strong> 400 000<br />
Prostituierte gebe es, so eine Schätzung<br />
der Prostituiertenvertretung „Hydra“,<br />
ohnehin in Deutschland, fast die Hälfte<br />
sind Frauen mit Migrationshintergr<strong>und</strong>.<br />
Die zuweilen genannte Zahl von 40000<br />
Frauen, die zur WM zusätzlich ins Land<br />
kommen sollen, ist völlig aus der Luft<br />
gegriffen. Monika Hoffmann von der<br />
Frankfurter Prostituierten-Beratungsstelle<br />
„Tamara” geht davon aus, dass die<br />
meisten Frauen, die im Juni möglicherweise<br />
aus Osteuropa kommen, um den<br />
männlichen WM-Fans ihre Dienste anzubieten,<br />
ihrem Geschäft „freiwillig“<br />
nachgehen.<br />
Fiese Zuhälter, die Frauen ausbeuten,<br />
um das dicke Geld zu machen, sind nur<br />
ein Teil des Problems. Die meisten Sexarbeiterinnen<br />
müssen sich aus wirt-<br />
schaftlicher Not<br />
für diese Arbeit<br />
entscheiden. Da<br />
es für sie kaum<br />
legale Möglichkeiten<br />
gibt, nach<br />
Deutschland einzureisen,versuchen<br />
sie es notgedrungen<br />
über<br />
Schleuser. Doch<br />
wer illegal im<br />
Land ist, ist auch<br />
erpressbar. Da<br />
wird dann der<br />
Lohn gedrückt,<br />
werden Vereinbarungen gebrochen.<br />
Manche Frauen werden auch mit<br />
falschen Jobversprechungen angeworben<br />
– sie denken, sie würden als Kellnerinnen<br />
arbeiten <strong>und</strong> landen dann im<br />
Bordell. Manchmal werden die Frauen<br />
regelrecht eingesperrt, auch körperliche<br />
Gewalt ist im Spiel. R<strong>und</strong> tausend dieser<br />
Fälle kommen in Deutschland jedes<br />
Jahr ans Licht.<br />
Die Fußballverbände sollen nun mithelfen,<br />
das Thema über ihre Kanäle ins Bewusstsein<br />
der Fans zu bringen. Ob das<br />
gelingt, bleibt abzuwarten. FIFA-Präsident<br />
Joseph Blatter hat sich schon mal für<br />
❞ … gemeinsam mit der FIFA<br />
ist die Entscheidung gefallen,<br />
sich bei Aktivitäten im sozialen<br />
Bereich auf UNICEF <strong>und</strong><br />
die SOS-Kinderdörfer zu konzentrierern<br />
… Auch <strong>und</strong> besonders<br />
im Sinne der Glaubwürdigkeit<br />
können wir die Aktionsfelder<br />
nicht weiter ausdehnen.❝<br />
Aus dem Anwortschreiben des DFB<br />
an Ex-B<strong>und</strong>esfamilienministerin<br />
Renate Schmidt, 31. August 2005<br />
„nicht zuständig“ erklärt. Der Deutsche<br />
Fußball-B<strong>und</strong> (DFB) unterstützt zwar<br />
inzwischen die Abpfiff-Kampagne, aber<br />
erst nachdem sein Chef Gerhard Mayer-<br />
Vorfelder sich ziemlich blamiert hatte:<br />
Der DFB müsse in dieser „leidigen Angelegenheit“<br />
nicht aktiv werden,<br />
schließlich unterstütze man doch schon<br />
SOS-Kinderdörfer, hatte er zunächst<br />
verkündet.<br />
DFB nicht mit Ruhm bekleckert<br />
Auf den DFB-Internetseiten erfährt der<br />
Fan bis heute nichts über das Thema.<br />
Nur wer gezielt sucht, findet einen kleinen<br />
Artikel, in dem sich der Geschäftsführende<br />
Präsident Theo Zwanziger für<br />
sein Engagement loben lässt – um gleichzeitig<br />
aber die Verantwortung wieder<br />
weit von sich zu weisen: Schließlich sei<br />
der „Kampf gegen die Zwangsprostituti-<br />
on eine staatliche<br />
Aufgabe, bei der<br />
Sicherheits- <strong>und</strong><br />
Ordnungsaspekte<br />
eine wichtige Rolle<br />
spielen.“<br />
Genau diese Hoffnung,<br />
die Polizei<br />
werde es schon<br />
richten, ist jedoch<br />
höchst zwiespältig.<br />
Denn oft werden<br />
die betroffenen<br />
Frauen einfach<br />
nur abgeschoben,<br />
wenn sie<br />
zur Polizei gehen. Und während Politiker<br />
aller Couleur jetzt werbewirksam für<br />
die „armen Zwangsprostituierten“ das<br />
Wort ergreifen, musste im April eine Broschüre<br />
der „Gesellschaft für Technische<br />
Zusammenarbeit“ mit Tipps <strong>und</strong> Hilfestellungen<br />
für Opfer von Menschenhandel<br />
auf Druck des Innenministeriums<br />
eingestampft werden – weil sie Frauen<br />
mit illegalem Aufenthaltsstatus riet,<br />
nicht gleich zur Polizei zu gehen, sondern<br />
zunächst einmal unabhängige Beratungsstellen<br />
aufzusuchen. Der Grat zwischen<br />
Heiligkeit <strong>und</strong> Scheinheiligkeit ist<br />
eben oft recht schmal. Antje Schrupp<br />
Foto: imago