Erziehung und Wissenschaft - GEW
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Die hessische Kultusministerin Karin<br />
Wolff (CDU) will Pensionäre, Eltern<br />
<strong>und</strong> Lehramtsstudenten als Unterrichtsvertretungen<br />
einstellen. Dafür<br />
will sie sogar das Schulgesetz ändern –<br />
ein b<strong>und</strong>esweit einmaliger Vorgang.<br />
Derzeit gibt es für Hessens<br />
Kultusministerin Karin<br />
Wolff <strong>und</strong> die staatlichen<br />
Schulämter nur ein Thema:<br />
die Durchsetzung einer<br />
„Unterrichtsgarantie<br />
plus“. Obwohl das bei ihrem Regierungsantritt<br />
1999 gegebene Versprechen<br />
einer „Unterrichtsgarantie“ zur vollen<br />
Abdeckung der St<strong>und</strong>entafel noch nicht<br />
eingelöst ist, setzt Wolff im Vorfeld der<br />
Landtagswahl 2008 auf ein noch weitergehenderes<br />
Projekt. Danach soll ab dem<br />
kommenden Schuljahr keine einzige<br />
Unterrichtsst<strong>und</strong>e am Vormittag mehr<br />
ausfallen. Ab dem ersten Tag des Fehlens<br />
einer Lehrkraft soll es eine Betreuung<br />
geben, ab dem dritten Tag Fachunterricht.<br />
Für kurzfristige Vertretungen<br />
bis zu fünf Wochen soll jede Schule<br />
1000 Euro pro Lehrerstelle zur eigenverantwortlichen<br />
Nutzung bekommen,<br />
um Lehrkräfte in Elternzeit, Pensionäre,<br />
Lehramtsstudierende <strong>und</strong> andere Hilfskräfte<br />
für Vertretungsunterricht zu bezahlen.<br />
Außerdem sollen die Schulen<br />
durch „schulorganisatorische Weichenstellungen“<br />
den Unterrichtsausfall minimieren,<br />
die Mehrarbeit von Lehrerinnen<br />
<strong>und</strong> Lehrern, schulinterne Reserven<br />
durch den Einsatz von Referendarinnen<br />
<strong>und</strong> Referendaren sowie „selbsttätiges<br />
Lernen“ ausschöpfen.<br />
Zu Wolffs Verw<strong>und</strong>erung stieß das Kon-<br />
?<br />
Höchstens ein<br />
Betreuungsangebot<br />
Hessen: scharfe Kritik an „Unterrichtsgarantie plus“<br />
zept nicht nur bei Personalräten <strong>und</strong> der<br />
<strong>GEW</strong> auf Kritik.<br />
Protest auch von Eltern<br />
Inzwischen häufen sich die Protestbriefe<br />
von Eltern <strong>und</strong> Schulleitungen. „Uns ist<br />
wichtig, dass nicht ‚irgendwer‘ unsere<br />
Kinder unterrichtet, sondern gut ausgebildete,<br />
qualifizierte <strong>und</strong> engagierte<br />
Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrer“, schreibt beispielsweise<br />
der Schulelternbeirat der<br />
Anne-Frank-Schule Frankfurt. Die Vorsitzende<br />
des Landeselternbeirats Sibylle<br />
Goldacker nannte den Ausdruck<br />
„Unterrichtsgarantie plus“ eine „Katastrophe“.<br />
Denn es werde keine Unterrichtsgarantie<br />
geben, sondern höchstens<br />
ein Betreuungsangebot. 89 Schulleiterinnen<br />
<strong>und</strong> Schulleiter aus dem<br />
Kreis Groß-Gerau <strong>und</strong> dem Main-Taunus-Kreis<br />
erinnern die Kultusministerin<br />
in einem offenen Brief an ihre programmatische<br />
Aussage, dass „guter Unterricht<br />
dauerhafte Professionalität“<br />
braucht: „Wir sind nicht bereit, unsere<br />
Verantwortung für einen qualifizierten<br />
Unterricht einem nicht einlösbaren Versprechen<br />
unterzuordnen.“<br />
Personalräte empören sich über die erneute<br />
Mehrbelastung der Kollegien,<br />
aber auch darüber, dass die Honorare für<br />
Vertretungskräfte wie auf dem Basar ausgehandelt<br />
werden sollen. Leiharbeitsfirmen<br />
<strong>und</strong> Unternehmensberatungen<br />
wittern bereits ein lukratives Geschäft<br />
<strong>und</strong> stehen mit entsprechenden Angeboten<br />
auf der Matte. Fragwürdige Musterarbeitsverträge<br />
gab es erst ein halbes<br />
Jahr nach der ersten Ankündigung. BAT-<br />
Verträge sollen ausdrücklich vermieden<br />
werden: „Auf das befristete Arbeitsverhältnis<br />
findet kein Tarifvertrag Anwen-<br />
dung.“ Schnell strickte die mit absoluter<br />
Mehrheit regierende CDU-Fraktion den<br />
Vorwurf, die <strong>GEW</strong> instrumentalisiere<br />
Personalräte für eine „Boykott-Strategie“.<br />
Durch eine Änderung des Schulgesetzes<br />
will Wolff, was die Bildungsgewerkschaft<br />
erzürnt, die Beteiligungsrechte<br />
der Personalräte bei der Einstellung von<br />
Vertretungskräften aushebeln, unter anderem<br />
durch eine Verkürzung der Äußerungsfrist<br />
auf fünf Tage. Die Kultusministerin<br />
handle, so Pitt von Bebenburg<br />
in der Frankfurter R<strong>und</strong>schau, nach<br />
dem Motto: „Wenn unserer Politik das<br />
Recht im Wege steht, dann schaffen wir<br />
es eben ab.“ Etikettenschwindel sei inzwischen<br />
zu einem „Markenzeichen“<br />
der Ministerin geworden.<br />
„Mobile Vertretungsreserve“<br />
Dabei hatte die Landesregierung im Jahr<br />
2000 ein Konzept gegen den Unterrichtsausfall<br />
auf den Weg gebracht, dem<br />
auch die <strong>GEW</strong> <strong>und</strong> der Hauptpersonalrat<br />
zugestimmt hatten. Im Rahmen einer<br />
„mobilen Vertretungsreserve“ werden<br />
neu eingestellte Lehrkräfte verpflichtet,<br />
in den ersten drei Jahren an<br />
wechselnden Einsatzorten zu arbeiten.<br />
Aber genau diese Reserve wird zum neuen<br />
Schuljahr von 100 auf 50 Stellen gekürzt.<br />
Die <strong>GEW</strong> setzt sich für eine verlässliche<br />
Schule ein, „die diesen Namen<br />
verdient“, so Landesvorsitzender Jochen<br />
Nagel. Allen Schulen müsse „eine ausreichende<br />
Vertretungsreserve zur Verfügung<br />
stehen, um den Unterrichtsausfall<br />
durch den Einsatz qualifizierter<br />
Lehrkräfte in unbefristeten, regulären<br />
Beschäftigungsverhältnissen zu reduzieren.“<br />
Harald Freiling<br />
Hessens Kultusministerin<br />
Karin<br />
Wolff (CDU) will<br />
bei Unterrichtsausfall<br />
Eltern,<br />
Lehramtsstudierende<br />
<strong>und</strong> pensionierte<br />
Lehrkräfte<br />
einsetzen.<br />
6/2006 <strong>Erziehung</strong> <strong>und</strong> <strong>Wissenschaft</strong> 39<br />
Foto: dpa