06.12.2012 Aufrufe

Erziehung und Wissenschaft - GEW

Erziehung und Wissenschaft - GEW

Erziehung und Wissenschaft - GEW

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

GESELLSCHAFTSPOLITIK<br />

Der Systemwechsel<br />

in der Familienpolitik<br />

wirft<br />

zwei Probleme<br />

auf: Im Osten fehlen<br />

Arbeitsplätze,<br />

an die die Mütter<br />

zurückkehren<br />

könnten, im Westen<br />

gibt es viel zu<br />

wenig Betreuungsplätze<br />

für die<br />

Jüngsten.<br />

Studien <strong>und</strong> Beispielrechnungen<br />

zum Elterngeld<br />

sowie zum siebten<br />

Familienbericht finden<br />

Sie im Internet unter:<br />

www.bmfsfj.de<br />

Zweiverdiener-Ehe<br />

Elterngeld als Lohnersatz<br />

Mit dem Elterngeld, das ab Januar<br />

2007 bis zu 14 Monate gezahlt werden<br />

soll, haben sich Union <strong>und</strong> SPD<br />

auf einen „Systemwechsel“ in der Familienpolitik<br />

nach skandinavischem<br />

Vorbild verständigt. Am 14. Juni soll<br />

der Gesetzentwurf im Kabinett verabschiedet<br />

werden. Er sieht vor, dass der<br />

beruflich pausierende Partner ein Jahr<br />

lang 67 Prozent seines bisherigen Nettoeinkommens<br />

erhält. Zwei weitere<br />

Monate Lohnersatz zahlt der Staat,<br />

wenn der andere Partner, meist der<br />

Vater, zuhause bleibt.<br />

Ein guter Tag für die jungen Familien<br />

in Deutschland“, lobte<br />

sich CDU-Familienministerin<br />

Ursula von der Leyen, als<br />

sie das Konzept verkündete.<br />

Doch nicht alle Familien<br />

können ihr darin zustimmen.<br />

Denn das bisherige <strong>Erziehung</strong>sgeld, das<br />

durch das Elterngeld ersetzt werden soll,<br />

hatte bislang eine andere Funktion: Es<br />

sollte arme Familien unterstützen. Wer<br />

bisher wenig oder nichts verdiente, bekam<br />

maximal zwei Jahre 300 Euro <strong>Erziehung</strong>sgeld.<br />

Das Elterngeld mit seinem<br />

Lohnersatz bevorzugt dagegen vor<br />

allem die Mittelschicht (s. auch E &W<br />

3/2006). Arbeitslose erhalten einen<br />

Sockelbetrag von 300 Euro – aber dies<br />

nur ein Jahr lang. „Wer auf das bisherige<br />

<strong>Erziehung</strong>sgeld angewiesen war, darf<br />

mit der Einführung des Elterngeldes<br />

nicht schlechter gestellt werden“, warnte<br />

die ehemalige DGB-Vizechefin Ursula<br />

Engelen-Kefer noch. Aber genau das<br />

passiert: Arbeitslose verlieren insgesamt<br />

3600 Euro, Gutverdiener dagegen können<br />

bei 14 Monaten Auszeit bis zu<br />

25200 Euro gewinnen, maximal 1800<br />

Euro werden pro Monat gezahlt.<br />

32 <strong>Erziehung</strong> <strong>und</strong> <strong>Wissenschaft</strong> 6/2006<br />

Doch: Systemwechsel in der Familienpolitik geht zu Lasten der Arbeitslosen<br />

Frau A verdient bisher als Buchhalterin 830 Euro netto, ihr Mann, Herr A, als<br />

Facharbeiter 1710 Euro. Nach der Geburt steigt Frau A für sechs Monate aus dem<br />

Beruf aus, wegen der Geringverdienerklausel bekommt sie knapp 630 Euro Elterngeld.<br />

Zusammen mit dem Kindergeld von 154 Euro kommt die Familie auf<br />

knapp 2500 Euro Nettoeinkommen. Wenn Herr A in Elternzeit ginge, würde sich<br />

die Familie noch besser stehen: Frau A würde in die günstigere Steuerklasse III<br />

wechseln <strong>und</strong> deshalb netto nicht mehr nur 830 Euro verdienen, sondern 1250<br />

Euro. Das Elterngeld ihres Mannes betrüge 1150 Euro, mit dem Kindergeld hätten<br />

sie sogar etwas mehr als zuvor, nämlich 2550 Euro. Bisher hätte die Familie<br />

keinen Anspruch auf <strong>Erziehung</strong>sgeld gehabt, weil ihr Einkommen zu hoch ist, sie<br />

hätten nur etwa 1870 Euro aus dem Nettoeinkommen des Mannes <strong>und</strong> dem Kindergeld<br />

gehabt. Der Staat zahlt Familie A insgesamt 15060 Euro Elterngeld.<br />

Für Geringverdiener gibt es eine eigene<br />

Regelung: Wer weniger als 1000 Euro<br />

nach Hause bringt, bekommt mehr als<br />

67 Prozent des Einkommens – für je 20<br />

Euro unter der Grenze wird es ein Prozentpunkt<br />

mehr. Wer etwa 600 Euro verdient,<br />

dem werden 87 Prozent des Einkommens<br />

als Elterngeld zugestanden,<br />

also 522 Euro. Geringverdiener stellen<br />

sich somit nur etwas schlechter als zuvor.<br />

Umverteilung nach oben<br />

Klare Verlierer bei der neuen Regelung<br />

sind Arbeitslose. 155 000 Familien, die<br />

bisher zwei Jahre Anspruch auf <strong>Erziehung</strong>sgeld<br />

hatten, stehen mit dem Elterngeld<br />

schlechter, hat das Familienministerium<br />

zugegeben. Entsprechend<br />

verärgert sind die Kommentare der Opposition.<br />

„Kinder aus sozial schwachen<br />

Familien bleiben Kinder zweiter Klasse“,<br />

so der B<strong>und</strong>esgeschäftsführer der<br />

Linkspartei, Dietmar Bartsch. „Das ist eine<br />

Umverteilung von den Armen zur<br />

Mittelschicht“, analysiert Markus Kurth,<br />

sozialpolitischer Sprecher der Grünen-<br />

Fraktion im B<strong>und</strong>estag, <strong>und</strong> urteilt:<br />

„Die Regierung betreibt damit Bevölkerungspolitik:<br />

Den armen Menschen soll<br />

das Leben sauer gemacht werden, die<br />

Reichen sollen sich fortpflanzen.“<br />

Die Familienministerin steht dazu, dass<br />

es „für Transferempfänger eine Reduzierung<br />

gibt“, doch damit würde auch für<br />

diese die „Schwelle zum Arbeitsmarkt<br />

gesenkt“. Mit anderen Worten: Nach<br />

den maximal 14 Monaten Elternzeit sollen<br />

die Mütter auf den Arbeitsmarkt<br />

<strong>und</strong> nicht weiter zu Hause bleiben. Dies<br />

sehen auch einige Gewerkschafterinnen<br />

als positives Signal. Anne Jenter vom<br />

<strong>GEW</strong>-Vorstand betont: „Jetzt ist klar:<br />

Das Leitbild ist die berufstätige Mutter.<br />

Es gibt keine Prämie mehr fürs Daheimbleiben,<br />

wie es das <strong>Erziehung</strong>sgeld war.<br />

Wenn Menschen mit Kind bedürftig<br />

sind, muss das Sozialsystem helfen.“<br />

Manko: Kinderbetreuung<br />

Allerdings wirft dieser Systemwechsel<br />

zwei Probleme auf: Zum einen fehlen<br />

insbesondere in Ostdeutschland oft die<br />

Stellen, auf die frau zurückkehren könnte.<br />

Zum anderen gibt es, vor allem in<br />

Westdeutschland, kaum Betreuungsplätze<br />

für ein- <strong>und</strong> zweijährige Kinder.<br />

Deshalb kritisiert auch FDP-Generalsekretär<br />

Dirk Niebel: „Was nützt ein Elterngeld,<br />

wenn nach 14 Monaten die Kin-<br />

Foto: dpa

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!