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Erziehung und Wissenschaft - GEW

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„Eigentlich ganz normal“<br />

<strong>GEW</strong> stellt „Index für Inklusion“ vor: gemeinsames Leben <strong>und</strong> Lernen aller Kinder<br />

Trennen <strong>und</strong> Sortieren sind in unserem<br />

Schulsystem die Regel. Der englische<br />

<strong>Wissenschaft</strong>ler Tony Booth zeigt<br />

mit seinem „index of inclusion“, dass<br />

gemeinsames Leben <strong>und</strong> Lernen aller<br />

Kinder – <strong>und</strong> zwar nicht nur behinderter<br />

<strong>und</strong> nicht behinderter – möglich<br />

ist. Ein Konzept, das noch dazu zu einem<br />

guten Schulerfolg führt. Der Index<br />

für Inklusion könnte in diesem<br />

Sinne wegweisend sein für eine Schule<br />

für alle, wie sie die <strong>GEW</strong> fordert.<br />

Der Film zeigt einen Jungen,<br />

vielleicht 13, 14 Jahre alt,<br />

offensichtlich mit Down-<br />

Syndrom. Eine Betreuerin<br />

kümmert sich liebevoll um<br />

das Kind, weicht nicht von<br />

seiner Seite, sitzt im Klassenzimmer<br />

zwischen ihm <strong>und</strong> seinen nicht behinderten<br />

Mitschülern, begleitet ihn sogar<br />

zur Essensausgabe in der schuleigenen<br />

Mensa. „Die Hilfe, die er dort bekommt,<br />

trennt ihn von den anderen, es<br />

ist der Versuch, ihn zu integrieren, aber<br />

er sitzt abseits, bekommt Unterstützung,<br />

wo er sie vielleicht gar nicht<br />

braucht“, sagt Tony Booth. In diesem Bei-<br />

Indikatoren für<br />

Inklusion<br />

● Fühlt sich jeder in der Einrichtung<br />

willkommen?<br />

● Helfen sich die Kinder <strong>und</strong> Jugendlichen<br />

gegenseitig?<br />

● Wird neuen Erzieherinnen oder<br />

Lehrkräften bei der Eingewöhnung<br />

geholfen?<br />

● Werden Aktivitäten so geplant,<br />

dass alle mitmachen können?<br />

● Wird den Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen<br />

vermittelt, wie großartig es ist,<br />

anders <strong>und</strong> einzigartig zu sein?<br />

● Ermutigen die Geschichten, Lieder,<br />

Besuche <strong>und</strong> Gäste die Kinder<br />

<strong>und</strong> Jugendlichen, Hintergründe <strong>und</strong><br />

Sichtweisen, die sich von ihren eigenen<br />

unterscheiden, zu entdecken?<br />

● Werden beeinträchtigte Menschen<br />

bei der Umgestaltung von Gebäuden<br />

um Rat gefragt?<br />

spiel geschieht trotz oder gerade wegen<br />

aller Bemühungen gerade das nicht, was<br />

Booth unter Teilhabe versteht.<br />

Tony Booth vom englischen Canterbury<br />

Christ Church University College ist<br />

Autor des „Index für Inklusion“, eines<br />

Buchs, das Wege eröffnen will zu einem<br />

gemeinsamen Lernen <strong>und</strong> Leben aller<br />

Kinder. Und wenn Booth „alle Kinder“<br />

sagt, dann redet er nicht von Behinderten<br />

<strong>und</strong> Nicht-Behinderten, „Normalen“<br />

<strong>und</strong> „Besonderen“, sondern er zählt<br />

die Kinder in ihrer Vielfalt auf, wie sie in<br />

vielen Klassenzimmern Tisch an Tisch<br />

beieinander sitzen: Kinder verschiedener<br />

Hautfarbe, aus unterschiedlichen Familien,<br />

Einzelkinder, Kinder aus<br />

Großfamilien, ängstliche <strong>und</strong> aggressive<br />

Kinder, Jungen, Mädchen, gebildete<br />

<strong>und</strong> weniger gebildete, schlaue <strong>und</strong> weniger<br />

schlaue, starke <strong>und</strong> schwache.<br />

Die Idee der Inklusion, die Booth vertritt,<br />

ist weit mehr als der Anspruch, Einzelne<br />

in ein bestehendes System „zu integrieren“.<br />

Inklusion ist die Vorstellung davon,<br />

aus der existierenden Vielfalt ein Ganzes<br />

zu machen, niemanden von der Teilhabe<br />

an diesem Ganzen auszuschließen. Inklusion<br />

ist genau das Gegenteil von Ausschluss,<br />

von Sortieren <strong>und</strong> Trennen.<br />

Exklusion ist die Regel<br />

Inklusion aber ist die Ausnahme. Das<br />

Bildungssystem, nicht nur das deutsche,<br />

trennt viel häufiger als dass es zusammenführt.<br />

„Das System ist hochselektiv“,<br />

sagt Professorin Helga Deppe-Wolfinger<br />

von der Goethe-Universität Frankfurt.<br />

Die üblichen vier Schulformen reproduzierten<br />

die soziale Lage der Kinder<br />

<strong>und</strong> Jugendlichen, schotten sie voneinander<br />

ab <strong>und</strong> entziehen damit schwächeren<br />

Schülern Bildungsmöglichkeiten.<br />

Obwohl beispielsweise durch die Ergebnisse<br />

des internationalen Schulleistungsvergleichs<br />

PISA erwiesen sei, dass das<br />

gemeinsame Lernen aller das Bildungsniveau<br />

insgesamt hebe. Die Schulformen<br />

seien, so Deppe-Wolfinger, „vordemokratische<br />

Strukturen“. Förderschulen<br />

seien die Schulen der Armen, Arbeitslosen,<br />

Sozialhilfeempfänger <strong>und</strong> Ausländer.<br />

Und dort, wo der Versuch der<br />

Integration gemacht werde, gebe es häufig<br />

lediglich ein Extra-Programm für das<br />

Integrationskind – für alle anderen verändere<br />

sich nichts.<br />

Tony Booth will das ändern. Statt von ei-<br />

Foto: Johannes Teufel<br />

nem „sonderpädagogischen Förderbedarf“<br />

spricht er von Barrieren, die es zu<br />

beseitigen, <strong>und</strong> Ressourcen, die es zu aktivieren<br />

gelte. Ein solches Potenzial<br />

könnten zum Beispiel behinderte Menschen<br />

in einer Gemeinde sein, die an<br />

Konzepten für eine funktionierende Gemeinschaft<br />

mitarbeiteten. Schulen<br />

könnten etwa Barrieren abbauen, indem<br />

sie Gemeinschaftsräume einrichten, in<br />

denen sich die Angehörigen der Schülerschaft<br />

zum Kaffee <strong>und</strong> Gespräch treffen.<br />

Dem Anspruch nach bestmöglichen<br />

Leistungen stellt er die Vorstellung eines<br />

guten Umfeldes entgegen, in dem<br />

Gleichberechtigung, Hilfsbereitschaft,<br />

Gemeinschaftsgeist <strong>und</strong> Teilhabe<br />

gr<strong>und</strong>legende Werte seien. Bildung <strong>und</strong><br />

<strong>Erziehung</strong> seien mehr als Leistung. Englische<br />

Schulen, die nach der Idee der Inklusion<br />

arbeiteten, erreichen bei den regelmäßigen<br />

Schulinspektionen gute Ergebnisse.<br />

„Die Inspektoren“, berichtet<br />

Booth, „sind meistens ziemlich davon<br />

beeindruckt, wie sich die Schulen insgesamt<br />

mit dem Konzept der Inklusion<br />

weiterentwickeln.“ Auch die formalen<br />

Anforderungen der Inspektoren nach<br />

dem Erreichen der vorgegebenen Standards<br />

erfüllten die Schulen ordentlich.<br />

Ein gutes Umfeld, wie es die Idee der Inklusion<br />

vorsieht, führe auch dazu, dass<br />

Lehrer gut unterrichten <strong>und</strong> Schüler gut<br />

lernen. Ziel von Bildung dürfe nicht allein<br />

Fachwissen sein, sondern es gehe<br />

darum, „eine Gesellschaft zu bilden“.<br />

Denn Inklusion, so Booth, „ist doch eigentlich<br />

ganz normal.“ Peter Hanack<br />

JUGENDHILFE<br />

Es gibt kein „normal“<br />

<strong>und</strong> „besonders“,<br />

die Vielfalt<br />

ist die Norm. Im<br />

Klassenzimmer<br />

sitzen ganz unterschiedlicheSchüler<br />

Tisch an Tisch:<br />

Kinder verschiedener<br />

Hautfarbe,<br />

aus unterschiedlichen<br />

Familien …<br />

Inklusion ist die<br />

Idee, aus der bestehendenVielfalt<br />

ein Ganzes zu<br />

machen.<br />

Tony Booth, Mel Ainscow <strong>und</strong> Denise Kingston<br />

Index für Inklusion<br />

(Tageseinrichtungen für Kinder)<br />

Lernen, Partizipation <strong>und</strong> Spiel in der inklusiven<br />

Kindertageseinrichtung entwickeln<br />

Deutschsprachige Ausgabe<br />

Herausgeber der Originalfassung:<br />

Centre for Studies on Inclusive Education (CSIE)<br />

Herausgeber der deutschen Fassung:<br />

Gewerkschaft <strong>Erziehung</strong> <strong>und</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />

6/2006 <strong>Erziehung</strong> <strong>und</strong> <strong>Wissenschaft</strong> 37<br />

Jugendhilfe <strong>und</strong> Sozialarbeit<br />

Tony Booth, Mel Ainscow,<br />

Denise Kingston:<br />

Index für Inklusion,<br />

Deutschsprachige Ausgabe,<br />

Hg. Gewerkschaft<br />

<strong>Erziehung</strong> <strong>und</strong> <strong>Wissenschaft</strong>,<br />

Frankfurt 2006,<br />

148 Seiten,<br />

ISBN 3-930813-93-9,<br />

16 Euro inkl. MwSt.,<br />

Porto <strong>und</strong> Versand, Bestelladresse:<br />

<strong>GEW</strong>-<br />

Hauptvorstand, Reifenberger<br />

Str. 21, 60489<br />

Frankfurt am Main,<br />

Tel. 069/789 73-329,<br />

Fax 789 73-103,<br />

E-Mail: juhi@gew.de

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