zds#8
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eitenweg<br />
22.42 Uhr<br />
Rembertiring, Eingang „Stubu“<br />
Immer mehr Menschen strömen auf<br />
die „Discomeile“ und machen sich<br />
auf den Weg zu den Locations. Meist<br />
sind sie unter 18 und halten aufgeregt<br />
den Erziehungsauftrag in den<br />
Händen, der ihnen Eintritt bis<br />
0.30 Uhr erlaubt.<br />
22.55 Uhr<br />
Rembertiring<br />
Die letzten Locations schließen ihre<br />
Türen auf. Sicherheitskräfte sind<br />
positioniert, Promoter verteilen<br />
fleißig Werbeflyer. Der Einlass beginnt.<br />
23.07 Uhr<br />
Rembertiring, Höhe „Casino“<br />
Auch die Sozialarbeiter von „Pro<br />
Meile“ beginnen ihre Arbeit mit ihrem<br />
ersten Rundgang. Sie gehen schnellen<br />
Schrittes auf eine Horde Jugendlicher<br />
zu, die miteinander rangeln.<br />
Nur RuhiGstellen,<br />
nicht treten<br />
interview<br />
14 15<br />
Mindestlohn – 7,30 Euro pro Stunde. Nachts und<br />
am Wochenende verdient man meist mehr, in<br />
München, Frankfurt oder Berlin teilweise bis zu<br />
300 Euro pro Nacht. In Bremen dagegen<br />
gibt’s auch nachts meist nur zwischen acht und<br />
18,00 Euro pro Stunde.<br />
ZDS Gefahrenzuschläge oder Boni gibt es nicht?<br />
SCHUSTER Nicht offiziell. Der Stundenlohn<br />
der Clubs ist natürlich ganz unterschiedlich. Und<br />
ein erfahrener Sicherheitsdienstleister verdient<br />
fairerweise mehr als ein Neuling. Viele von uns<br />
arbeiten als Selbstständige, andere sind beim jeweiligen<br />
Club als 400-Euro-Kraft gemeldet. Der<br />
exakte Stundenlohn lässt sich daher nur schwer<br />
beziffern. Wichtig ist aber, dass man die richtige<br />
Einstellung zu der Arbeit hat.<br />
ZDS Was meinen Sie damit?<br />
SCHUSTER Ein guter Sicherheitsdienstleister<br />
schlägt und tritt nicht. Er reagiert lediglich, um<br />
Angriffsgegenstände unter Kontrolle zu bringen.<br />
Dabei nutzen wir die Methode des Fixierens. Sie<br />
kennen das vielleicht – es sieht brutal aus, wir<br />
wollen die betroffene Person in dem Moment<br />
aber nur ruhigstellen. Schmerzhaft ist es auch<br />
nicht, wenn man es richtig macht. Die Devise<br />
lautet: Wir überschreiten keine Grenzen, sondern<br />
gewährleisten nur die Sicherheit aller Gäste.<br />
ZDS Gilt das Ihrer Meinung nach für alle Bremer<br />
Sicherheitsdienstleister?<br />
SCHUSTER Natürlich nicht! Knapp drei Viertel<br />
arbeiten, um mehr Geld zu verdienen. Vom<br />
Rest kann man sagen, er hat andere Gründe, warum<br />
er da steht. Darunter auch all die, die bloß<br />
ihre Machtgefühle ausleben wollen. Immer wieder<br />
kann man solche „Sicherheitskräfte“ finden,<br />
die eigentlich keine Ahnung vom Beruf und vom<br />
Umgang mit Menschen an sich haben, sich selbst<br />
aber gerne in den Mittelpunkt stellen, um stärker<br />
dazustehen, als sie es eigentlich sind. Männlich<br />
wie auch weiblich.<br />
ZDS Ein ziemlich weit verbreitetes Vorurteil über<br />
Türsteher ...!<br />
SCHUSTER …, das aber tatsächlich nur eine<br />
Minderheit betrifft. Die meisten davon entlarven<br />
sich schnell selbst, weil es ihnen an Knowhow<br />
und körperlicher Fitness fehlt und sie durch<br />
ihre Umgangsweise mit den Gästen auffallen. Viele<br />
vergessen, dass wir den Club repräsentieren,<br />
vor dessen Tür wir stehen. Wir greifen nur im<br />
Notfall ein und bewahren andere vor Gewalt.<br />
Pseudo-Sicherheitsdienstleister können diesem<br />
Auftrag nie gerecht werden. Die sollten schnellstmöglich<br />
aus dem Gewerbe verschwinden!<br />
ZDS Sie haben in den vergangenen zehn Jahren<br />
schon für so gut wie jede Diskothek in der Stadt<br />
gearbeitet. Lassen sich da Unterschiede in der<br />
Türpolitik erkennen?<br />
SCHUSTER Gravierende! Es gibt Clubs, die setzen<br />
auf Niveau, andere eben nicht. Dementsprechend<br />
ist natürlich die Kundschaft und die Einlasskontrolle<br />
geregelt. Einige lassen wirklich<br />
jeden rein. Da müssen wir dann lediglich auf Waffen<br />
und andere verbotene Utensilien achten.<br />
Andere geben konkrete Vorgaben, wer rein darf<br />
und wer nicht. Kurz: Du hast freie Hand hier und<br />
feste Regeln dort.<br />
ZDS Was sind das denn für Regeln zum Beispiel?<br />
SCHUSTER Das liegt in der Macht des Geschäftsführers.<br />
Wer auf gepflegte Kundschaft setzt, will<br />
in seinem Club zum Beispiel keine Männer mit<br />
weißen Turnschuhen sehen – das ist der Klassiker.<br />
Vor allem in Szeneclubs beliebt ist eine Frauenquote,<br />
etwa: 60 Prozent Frauen und 40 Prozent<br />
Männer. Weitere Regeln sind meist auf die<br />
spezielle Veranstaltung bezogen. Eine Ü30- oder<br />
Ü40-Disco verliert ihren Charakter, wenn 30<br />
Prozent der Gäste unter 20 Jahre alt sind.<br />
ZDS Setzen Sie als Türsteher die jeweiligen Vorgaben<br />
eins zu eins um?<br />
SCHUSTER So etwas hundertprozentig umzusetzen,<br />
ist nicht immer und überall möglich. An<br />
der „Meile“ in Bremen haben wir tatsächlich eigentlich<br />
große Freiheit beim Einlass. Nur wenige<br />
Läden dort selektieren stark. Und ich selbst<br />
habe noch nie einen Mann abgewiesen, weil er<br />
ein Mann war. Es muss einfach optisch und verhaltenstechnisch<br />
passen.<br />
ZDS So einfach ist das?<br />
SCHUSTER Ja und nein. Jemanden abzuweisen,<br />
der sich betrunken daneben benimmt, ist natürlich<br />
einfach. Ebenso, sich Gesichter zu merken<br />
und sich an Randalierer von der Vorwoche zu<br />
erinnern. Aber in der Realität ist es doch so: Ist<br />
der Club leer, braucht er Kundschaft, also wird<br />
die Intensität der Selektion reduziert. Ein Gast,<br />
der dann rein darf, darf das aber in der nächsten<br />
Woche dann nicht unbedingt wieder. Das ist ein<br />
tragischer Fall, der nicht selten vorkommt.<br />
ZDS Und wie erklären Sie das dann?<br />
SCHUSTER Natürlich nicht mit der Wahrheit,<br />
das wäre verletzend und beleidigend. Wir sagen<br />
dann „Heute nicht.“, „Chef sagt Nein.“ oder „Du<br />
passt nicht ins Konzept der heutigen Veranstaltung.“<br />
Meist beginnen dann Diskussionen.<br />
ZDS Kein Wunder!<br />
SCHUSTER Der Punkt ist aber doch: Es gibt ein<br />
gewisses Konzept und dieses wollen die Gäste<br />
erleben, dazu gehört ein überwiegend gleichblei-<br />
bendes Publikum. Wir können an der Tür keine<br />
langen Diskussionen gebrauchen. Unser Job ist<br />
es, die Leute, die dürfen, schnellstmöglich in den<br />
Club zu bringen. Wenn die abgewiesenen Gäste<br />
den Fakt nicht akzeptieren wollen, werden sie<br />
aggressiv. Für uns kommt es dann auf Erfahrung<br />
und Einfühlungsvermögen an – freundlich, aber<br />
doch bestimmt!<br />
ZDS Sind Aggressionen und Gewalt regelmäßig<br />
an der Tagesordnung?<br />
SCHUSTER Es gibt ruhige und stressige Nächte.<br />
Wir sind schon vom fahrenden Auto aus mit<br />
Eiern und Steinen beworfen worden. Das ist natürlich<br />
ein Extrem. Aber irgendwie angegriffen<br />
und beleidigt werden wir oft – zum Nachteil der<br />
Möchtegerngäste selbst natürlich, denn die Chance,<br />
dass die beim nächsten Mal dann Einlass bekommen,<br />
sinkt in diesem Moment gegen null.<br />
Und die anderen Wartenden müssen unnötig in<br />
der Kälte ausharren. Deswegen versuchen wir<br />
das möglichst zu vermeiden … Ein guter Sicherheitsdienstleister<br />
lässt sich nicht provozieren.<br />
ZDS Kürzlich hat ein Schwarzer einer Diskothek<br />
an der „Meile“ Rassismus vorgeworfen, weil er<br />
nicht rein durfte. Das Gericht gab ihm recht.<br />
SCHUSTER Es ist für abgewiesene Personen<br />
leicht, die Karte der Nationalität auszuspielen.<br />
Jemandem wegen seiner Herkunft oder Nationalität<br />
den Zugang zu verweigern, kann sich aber<br />
kein Club in Bremen erlauben: Wir sind eine Studentenstadt,<br />
davon abgesehen würden die<br />
Behörden schnell reagieren. Sollte seine Hautfarbe<br />
tatsächlich der Grund gewesen sein, hat<br />
der Mann den Prozess zu Recht gewonnen. Die<br />
Devise des Stadtamts allerdings ist auch falsch:<br />
Dass jeder reinkommen sollte, ist unmöglich.<br />
Das Persönlichkeitsrecht und das Hausrecht in<br />
solchen Fällen miteinander zu kombinieren, geht<br />
einfach nicht.<br />
ZDS Immer wieder hört man von Schmiergeldern<br />
und kriminellen Gangs, die angeblich die<br />
Türpolitik kontrollieren. Was ist dran an diesen<br />
Gerüchten?<br />
SCHUSTER Ich muss zugeben, dass es Zeiten<br />
gab, in denen die wohlbekannte Gang hier regelmäßig<br />
an die Türen klopfte. Die sind heute aber<br />
vorbei, denn die „Rocker“ müssen sich verdeckt<br />
halten – zumindest an der Tür, an der ich momentan<br />
arbeite. Die Betreiber und Geschäftsführer<br />
der „Discomeile“ arbeiten inzwischen eng mit<br />
Stadtamt und Polizei zusammen.<br />
ZDS Früher war das anders?<br />
SCHUSTER Ja. Ich kann nicht mit Garantie sagen,<br />
dass da keine krummen Dinger gedreht wurden.<br />
Und vielleicht auch heute noch werden, ohne<br />
dass es für Dritte ersichtlich ist, wer weiß …<br />
ZDS Warum ist die Kontrolle der Türen denn<br />
überhaupt interessant für Gangs?<br />
SCHUSTER Es gibt natürlich ein finanzielles Interesse:<br />
Einige Clubs verdienen mehrere Zehntausend<br />
Euro am Abend. Wer möchte davon nicht<br />
ein wenig abbekommen? Konkrete Aussagen darüber<br />
kann ich aber nicht machen, das wären nur<br />
Mutmaßungen.<br />
ZDS Hat sich das Verhalten der Gäste geändert<br />
in den letzten Jahren?<br />
SCHUSTER Ihre Gewaltbereitschaft wächst stetig<br />
und sie schrecken nach wie vor nicht davor<br />
zurück, Waffen mitzubringen – trotz Waffenverbotszone.<br />
Ich bin nur froh, dass die Polizei auf<br />
der „Meile“ so gute Arbeit leistet. Die deeskalieren<br />
so manche gefährliche Situation allein durch<br />
ihre Anwesenheit.<br />
ZDS Was bedeutet die Gewaltbereitschaft der<br />
Gäste für die Zukunft der „Discomeile“?<br />
SCHUSTER Für die ein oder andere Location<br />
bedeutet es auf jeden Fall, ihr Konzept und ihr<br />
Sicherheitsniveau zu überdenken. Zum Beispiel<br />
die sogenannten 1-Euro-Bars: Viele Clubbesucher<br />
wandern da die Nacht über immer wieder<br />
hin und trinken dort viel mehr, als sie vertragen.<br />
Vor Clubs wie dem „Stubu“ und dem „La Viva“<br />
werden sie dann aggressiv, weil die Sicherheitskräfte<br />
sie als stark alkoholisierte Personen nicht<br />
wieder hinein lassen. Daraufhin ziehen sie frustriert<br />
und aggressiv über die Discomeile, wo sie<br />
ihren Frust durch Gewalt versuchen abzubauen.<br />
Oder aber sie werden auf Grund ihres stark alkoholisierten<br />
Auftretens zum Opfer und beispielsweise<br />
ausgeraubt.<br />
ZDS Wie lange wollen Sie Ihr Hobby unter diesen<br />
Umständen noch ausleben?<br />
SCHUSTER Es gibt Momente, da denke ich, das<br />
sollte die letzte Nacht gewesen sein. Wenn fünf<br />
Personen auf einen einschlagen zum Beispiel. Dennoch<br />
mag ich meinen Job: Nach so manch langer<br />
Nacht, in der ich betrunkene Frauen sicher ins<br />
Taxi gesetzt, aggressive Männer voneinander ferngehalten<br />
und ein Lob vom Chef für meine gute<br />
Türpolitik bekommen habe, kann ich nicht sagen,<br />
dass ich jemals damit aufhören möchte.<br />
ZUR PERSON<br />
Robert Schuster ist Mitte 30 und heißt in<br />
Wirklichkeit anders. Er hat über zehn Jahre Erfahrung<br />
als Türsteher an der Discomeile.