zds#8
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eitenweg<br />
lichter,<br />
immer<br />
prosa<br />
26 27<br />
sam in Richtung Bahnhof. Werfe den Lampen von Weitem durch das<br />
Rauschen hindurch einen müden Blick zu. Erst später überquere ich<br />
die Straße. Bleibe an der Ecke Rembertistraße stehen. Warte darauf,<br />
dass die Beleuchtung der Gewoba aufhört zu leuchten. Sie hört nicht<br />
auf zu leuchten. Grasgrüner Schlenker vor dem Schriftzug, eine Wiese<br />
vor einem Wohnblock, da hinten liegt ein Verwandlungsroboter<br />
von kik, dem der linke Arm fehlt. Die Fußgängerampel springt auf<br />
Grün um, das höre ich am langen, ständig unterbrochenen Piepen.<br />
Plastik, Glas. „Albers Wettannahmen.<br />
Vitam impendere vero“<br />
Ein Mann in blauem Anorak hält mit seinem Damenfahrrad<br />
vor dem Schaufenster des Wettbüro Albers. Er sieht in die leere, mit<br />
Teppichboden ausgelegte Halle, auf den Flachbildschirm, der über einem<br />
Billardtisch hängt. Sieht sich ein Handballspiel an. Die glatte<br />
durchsichtige Fensterfront sperrt ihn aus, wird von seinem Atem beschlagen.<br />
Aus der milchigen Glastür neben einer Textilreinigung tritt<br />
ein zweiter Mann auf die Straße, hebt die Hand in Richtung eines<br />
schwarzen Autos, ein kurzes Blinken, über die Straße hinweg ein leises<br />
perfektes Knirschen, ich glaube, es ist ein Audi R6, Motorenrauschen,<br />
ständig unterbrochenes Piepen. Er öffnet den Kofferraum und<br />
wirft eine große blaue Mülltüte hinein. Der Mann im blauen Anorak<br />
steigt auf sein Fahrrad und verschwindet in der Rembertistraße. Dann<br />
kommt er zurück und fährt an mir vorbei. Ich ziehe mein Handy aus<br />
der Jackentasche. Entsperre die Tastatur. Höre, wie der Deckel des<br />
Kofferraums zufällt. Unter der Glastür des Wettbüros hindurch wird<br />
warme, nach kaltem Zigarettenrauch riechende Luft in den gleichmäßig<br />
rauschenden Abend geblasen. Das Display leuchtet auf. Unterbrochenes<br />
Piepen, immer noch, oder schon wieder, nochmal kurzes Blinken<br />
am schwarzen Auto, der Mann verschwindet im Eingang, lässt die<br />
Tür offen. Ja, ich bin ziemlich sicher, das ist ein Audi R6.<br />
Freie Plätze, Verpflegung. „discomeile.com,<br />
neuer Gerichtstermin steht in den Sternen“<br />
Ich schiebe das Handy in die Jackentasche und überquere den<br />
Rembertiring noch einmal, weg von der Discomeile, gehe weiter in<br />
Richtung Bahnhof. Nähere mich der Hochstraße. In das Motorenrauschen<br />
mischt sich ein anderer Klang, gleichmäßig ansteigend, die Straßenbahnen<br />
sind nicht mehr weit entfernt. Ein paar Jungs kommen mir<br />
entgegen, große Brillengestelle, kleine Tunnel in den Ohren. Schieben<br />
Rennräder neben sich her, einer imitiert etwas Spanisches, sie lachen,<br />
schließen ihre leichten Räder vor einem Dönerladen an die Stangen.<br />
Ich werfe einen Seitenblick auf den Fleischspieß, der sich hinter Glas<br />
wie in Zeitlupe dreht, dann auf die andere Seite der Straße, die Discomeile<br />
ist noch nicht angeschaltet. Beschließe, mir am Bahnhof ein<br />
Eis zu kaufen. Wo ist hier gleich noch die Bildungsbehörde? Rauschen,<br />
Lichter, Ampeln, Schilder, Lichter, Rauschen, Rauschen. An der Kreuzung<br />
beim Bahnhofsplatz zeigt die elektronische Tafel 164 freie Parkplätze<br />
an. Im grell beleuchteten Parkhaus steht mitten auf der Fahrbahn<br />
ein Einkaufswagen, vollgepackt mit alten Plastiktüten und Kleidungsstücken,<br />
Ampeln springen auf Rot um, auf Grün um, Rauschen.<br />
Blume<br />
An der Kreuzung vor dem Tivolihochhaus kommt langsam<br />
der Audi zum Stehen. Ich ziehe mein Handy aus der Jackentasche, entsperre<br />
die Tastatur. Ich warte darauf, dass die Lichter ausgehen. Sie<br />
gehen nicht aus. Der Breitenweg, ein systematisch zerlegter Weihnachtsstern,<br />
ohne Glitzer und lange vor Heiligabend, lange vor der<br />
Discomeile, bevor die Lebkuchenherzen mit Kirschfüllung in die<br />
Supermärkte kommen. Und lange danach, immer. Ich warte. Aus dem<br />
Audi dringen gedämpft Stereo Klavierakkorde in das leuchtende Rauschen.<br />
„… catch a star … so many people love you baby …“. Die<br />
Autoampel springt auf Grün um. Der Audi zieht an mir vorbei.<br />
„… waiting for a star to fall …“. Verschwindet im Rauschen. „… and<br />
carry your heart into my arms …“. Ich lasse mein Handy in der Jackentasche.<br />
Gehe weiter in Richtung Bahnhof.