zds#8
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eitenweg<br />
×<br />
17.36 Uhr<br />
Hinter dem Nordwestknoten<br />
Die Lichter glänzen auf dem<br />
nassen Asphalt. Achtspurig braust der<br />
Verkehr vorbei. Einfädeln, abbiegen,<br />
Spur halten – hat irgendjemand das<br />
Matratzenlager am Straßenrand<br />
gesehen?<br />
17.40 Uhr<br />
Breitenweg, Höhe „Jakobushaus“<br />
Die Fenster der Notunterkunft<br />
sind bunt umrandet. In nicht wenigen<br />
brennt Licht. Die Tische in der<br />
Cafeteria im Erdgeschoss sind leer.<br />
Sie hat bereits geschlossen.<br />
Unter<br />
der Brücke<br />
PortrÄt<br />
30 31<br />
Eine Autofahrerin brachte den Männern Lammfelldecken vorbei.<br />
Gegen den eiskalten Bremer Nebel schützen sie aber nur bedingt<br />
Erstens: Immer eine Unterlage, die die<br />
Kälte von unten abhält! Zweitens: Auf<br />
gute Gesellschaft achten! Obdachlose<br />
sind oft Opfer – Überfälle, Diebstähle,<br />
Aggressionen. Selbst innerhalb der Szene<br />
ist das keine Seltenheit. Wer Freunde um<br />
sich hat, schläft sicherer. Und drittens ein<br />
Platz, an dem man seine Sachen lassen<br />
kann. Ein Platz wie dieser hier: abgeschieden<br />
und doch nicht weit draußen,<br />
geräumig, aber auch bei starkem Regen<br />
trocken. Matratzen, Decken und Bretter,<br />
gestützt auf ein paar Planken, bilden einen<br />
knapp hüfthohen, gebogenen Wall um<br />
das Lager. Der schützt gegen neugierige<br />
Blicke, vor allem aber gegen Wind. Um die<br />
30 Quadratmeter misst der so umgrenzte<br />
Raum. Wäre das Geflecht aus Fahrbahnen<br />
und Brücken ringsum ein Hotel, würde<br />
man von einem Vierbettzimmer reden.<br />
Vor dem Fenster, das es hier nicht gibt,<br />
wachsen Brombeeren und Äpfel. Marder,<br />
Fledermäuse und Katzen schauen regelmäßig<br />
vorbei.<br />
Eine richtige<br />
Wohnung?<br />
„Daran denkt<br />
man jeden Tag“<br />
Der Verkehrslärm ist allgegenwärtig.<br />
„Wie Meeresrauschen“, sagt Steffen K.<br />
„Irgendwann hörst du das nicht mehr.“<br />
Die Männer haben sich arrangiert, mit<br />
der Situation, mit ihrem Leben, so gut<br />
es eben geht. Sie haben sich eingerichtet<br />
hinter den mannshohen Büschen, die im<br />
Winter bloß blattloses Geäst sind, mit<br />
Matratzen und Decken und ein paar<br />
Plastiktüten mit Kleidung und anderem<br />
Kram. Sie jammern nicht. Aber die<br />
Augen sind traurig. Wie es wäre, wieder<br />
eine richtige Wohnung zu haben, sagt<br />
Steffen K., „daran denkt man jeden Tag.“<br />
Es gibt halbintakte Stühle hier, einen Kerzenständer,<br />
einen Besen. Etwas abseits<br />
steht, auf einer Mülltonne, ein Globus.<br />
Eine Handvoll leere Zigarettenschachteln<br />
liegt zwischen den Schlaflagern, auch ein<br />
paar Flaschen, aber Komasaufen sei hier<br />
nicht erwünscht, unterstreicht Steffen K.<br />
Davor wolle man ja gerade fliehen,<br />
vor den Alkis und den Drogen in den<br />
Notunterkünften. „Wenn man selbst<br />
labil ist, kann man schnell draufgehen“,<br />
sagt er, und: „Da will ich nicht wieder<br />
reinrutschen.“<br />
Neben Steffen K.s Matratze steht ein<br />
Nachttisch aus schilffarbenem Geflecht.<br />
Der Stecker des Radioweckers darauf<br />
hängt verloren in der Luft. Der Wecker<br />
funktionierte auch mal mit Batterien,<br />
aber das Wecken übernimmt hier ohnehin<br />
der Verkehr. Morgens um fünf, sechs<br />
Uhr geht es los mit dem Gedröhne, ein<br />
Fahrzeug nach dem anderen saust dann<br />
vorbei, nur ein paar Schritte weiter. Die<br />
Straßenlaterne, die den ganzen Schlafplatz<br />
nachts in gelbes Licht taucht,<br />
erlischt um Viertel nach sieben. In der<br />
Regel schläft dann niemand mehr, denn<br />
auch die Kälte macht wach. Schon im<br />
November fiel das Thermometer neun<br />
mal unter null. „Frühmorgens ist es am<br />
schlimmsten“, sagt Thomas B.<br />
In dem Bett ganz links liegt, eingewickelt<br />
in einen Stapel Decken, ein älterer Mann<br />
mit üppigem Bart. Er reckt sich, sucht<br />
nach einer Zigarette, grüßt. Steffen K.<br />
gibt ihm Feuer. Der Kollege, erzählt er,<br />
verlasse seit zwei Wochen das Bett nur<br />
noch, um auf Toilette zu gehen. Wenn sie<br />
abends zurückkommen aus der Stadt,<br />
bringen sie ihm was zu essen mit.<br />
Die wenigsten AutofahrerInnen, die an<br />
der Schlafstelle vorbeifahren, dürften<br />
diese überhaupt bemerken. Manche<br />
hupen freundlich. Eine kam kürzlich dann<br />
zu Fuß vorbei und brachte den Brückenbewohnern<br />
ein paar Lammfelldecken.<br />
„Die sind echt gut“, lobt Thomas B. In der<br />
Frühe hilft trotz allem manchmal nur<br />
noch Aufstehen und Bewegung: Der<br />
eiskalte Nebel, der dann über Bremen<br />
liegt, kriecht überall hin. Und er macht,<br />
wenn’s dumm läuft, sogar das Geschäft<br />
kaputt. Steffen K. greift nach einem Heft,<br />
das auf dem Nachttisch liegt. Es ist ein<br />
Exemplar der „Zeitschrift der Straße“.<br />
Das Papier ist welk, wellt sich vor<br />
Feuchtigkeit. Vor Nebelfeuchtigkeit.<br />
Thomas B. kramt einen Tabakbeutel aus<br />
seinem grauen Parka, den er über die<br />
beiden Wollpullover gezogen hat, und<br />
beginnt sich die nächste Zigarette zu<br />
drehen. Seine Finger sind dunkelrot.<br />
Vor allem nachmittags stehen er und<br />
Steffen K. hinterm Hauptbahnhof und<br />
bieten die Zeitschrift dort feil. Vormittags<br />
sind sie beim Arzt – Methadonvergabe.<br />
Die meisten,<br />
die auf der<br />
Straße leben,<br />
haben ein<br />
Suchtproblem<br />
„Ich hatte auch mal ein anständiges<br />
Leben“, sagt Thomas B. Er sagt es ganz<br />
nüchtern, ohne Pathos. Es war einmal.<br />
Es war einmal, sein Job bei der Luftwaffe,<br />
zwei Jahre lang. Es war einmal, seine Zeit<br />
als Staplerfahrer bei der Spedition.<br />
Seine Beziehung damals hielt acht Jahre.<br />
Dann meldete die Firma Insolvenz an, der<br />
neue Inhaber hatte zu viele Lkws gekauft.<br />
Für Thomas B. begann „der große<br />
Absturz“. Eine Zeit lang hielt er sich<br />
mit Zeitarbeit über Wasser. Dann war<br />
die Freundin weg, der Job weg, die<br />
Wohnung weg. Er herbergte bei Freunden,<br />
schließlich fiel auch das flach. Thomas B.<br />
begann zu trinken. Mit 30, das war vor<br />
vier Jahren, kam noch Heroin dazu. Das<br />
Methadonprogramm fing ihn schließlich<br />
auf. Es brachte auch Steffen K. von der<br />
Nadel weg. „Die meisten, die auf der<br />
Straße leben, haben ein Suchtproblem“,<br />
sagt der. Zusammen gehen die beiden<br />
Männer jeden Morgen zum Arzt, trinken<br />
in der Praxis einen kleinen Plastikbecher<br />
mit dem Substitut. Es schmeckt nach<br />
nichts, sagt Thomas B., aber es besänftigt<br />
den Rappel, den der Körper sonst kriegt.<br />
Kennengelernt haben sie sich im Frühjahr,<br />
in Oslebshausen: Justizvollzugsanstalt,<br />
Abteilung für Untersuchungshaft. Dort<br />
sitzen Beschuldigte ein, die noch auf<br />
ihren Prozess warten. Und Menschen wie<br />
Steffen K. und Thomas B., die Geldstrafen<br />
und Bußgelder nicht bezahlen können.<br />
1.700 Euro waren es bei Steffen K. Rund<br />
sieben Monate saß er deswegen ein,<br />
ein Tagessatz von acht Euro. Jeder<br />
Gefängnisplatz kostet um die 100 Euro<br />
pro Tag, Baukosten für den Knast nicht<br />
mitgerechnet.<br />
80 Euro Lohn<br />
für 16 Tage Arbeit<br />
Die Möglichkeiten, als wohnungsloser<br />
Methadonsubstituierter an Geld zu<br />
kommen, sind begrenzt. Und das Geld<br />
von der BAgiS reicht nie – erst recht<br />
nicht, wenn es, wie in Steffen K.s Fall,<br />
wegen einer Sperre zeitweilig auf null<br />
gekürzt wird. Steffen K.s Knie sind kaputt.<br />
Im Straßenbau kann er nicht mehr arbeiten.<br />
Aber auf den Kopf gefallen ist er<br />
nicht. Thomas B. hat noch immer seinen<br />
Staplerführerschein. Arbeit? Er schaut an<br />
seinen Klamotten herunter. „Dafür müsste<br />
ich erst mal eine Wohnung finden. Und<br />
das ist nicht mehr so einfach.“ Er hat<br />
Schulden, die Schufa stellt ihm kein gutes<br />
Zeugnis aus. Dass die BAgiS die Miete<br />
übernehmen würde, ziehe bei Vermietern<br />
nicht, sagt er. Und dass er hier unter der<br />
Brücke zumindest seine Ruhe habe.<br />
Wenn er die „Zeitschrift der Straße“<br />
verkauft, hat er neben der aktuellen<br />
immer auch die alten Ausgaben dabei.<br />
„Viele Leute sammeln die Zeitschrift und<br />
kaufen die Hefte, die ihnen noch fehlen“,<br />
ist seine Erfahrung. Und noch eine hat er<br />
beim Verkaufen gemacht: „Wenn man<br />
sagt: ‚Zeitschrift der Straße‘, dann kommen<br />
die Leute. Sagt man‚ ,Obdachlosenzeitung‘,<br />
dann… – wsst!“ Sein Arm fährt<br />
zur Seite. Eine „Obdachlosenzeitung“ will<br />
niemand haben.<br />
Die einzigen Jobs, die er ab und an ergattert<br />
sind Gelegenheitsjobs – da finden<br />
sich immer wieder Arbeitgeber. Solche<br />
wie der Freimarkt-Gastronom, der ihn<br />
einmal zum Kellnern engagierte in<br />
seiner Kaschemme. 16 Tage lang habe er<br />
da gearbeitet, sagt Thomas B., „zwölf<br />
Stunden am Tag“. 400 Euro habe der Wirt<br />
dafür versprochen, allerdings erst am<br />
Schluss, damit sie durchhielten. Thomas<br />
B. hielt durch. Am letzten Tag drückte<br />
ihm der Wirt dann ganze 80 Euro in die<br />
Hand. Warum er ihn nicht verklagt habe?<br />
„Geht nicht“, sagt er. „Ich hatte ja keinen<br />
Vertrag.“ Oder der Mann, der mit dem<br />
dicken BMW am Bahnhof vorfuhr. 20 Euro<br />
am Tag versprach er jedem der beiden,<br />
plus Kost und einen Campingwagen zum<br />
drin wohnen. „Dafür sollten wir in<br />
Oldenburg mit einer Klingelkasse für<br />
einen Zirkus Werbung machen“, erzählt<br />
Steffen K. Wenn die täglichen Arzttermine<br />
in Bremen nicht wären, sie hätten es<br />
vermutlich sogar gemacht.<br />
„Wohnung, Arbeit, Familie“, sagt Steffen K.–<br />
wenn er sich was wünschen dürfte, dann<br />
wäre es das: „Ein ganz normales Leben“.<br />
Das ist so schnell nicht in Sicht, Steffen K.<br />
macht sich da keine Illusionen. Er hat<br />
deshalb einen zweiten, kleineren Wunsch<br />
parat: „Erst mal einen Stapel ‚Zeitschrift<br />
der Straße‘.“ Die könnte er dann verkaufen.