100 Jahre Jütro
Eine Firmen- und Familiengeschichte 1911 bis 2011
Eine Firmen- und Familiengeschichte
1911 bis 2011
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<strong>100</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Jütro</strong><br />
Eine Firmen- und Familiengeschichte<br />
1911 bis 2011
<strong>100</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Jütro</strong> im Überblick<br />
Die FirmengrünDung<br />
1911<br />
1912<br />
1914<br />
1926<br />
1936<br />
1937<br />
1938<br />
Am 1. mai gründet richard meyer gemeinsam mit seiner Frau marie eine Konservenfabrik für die Verarbeitung<br />
von Waldfrüchten in Jüterbog, Vorstadt neumarkt nummer 1.<br />
Dem gründerehepaar wird Sohn Fritz geboren.<br />
richard meyer steht im Feld. Seine Frau marie leitet die geschicke der Firma mit umsicht, Durchsetzungsvermögen<br />
und Talent. Kurz vor Kriegsausbruch zieht die junge Familie in das neben der Fabrik neu errichtete<br />
Wohnhaus.<br />
Das eingeschossige Fabrikgebäude muss aufgestockt werden, um dem Firmenwachstum rechnung zu tragen.<br />
Das 25-jährige Betriebsjubiläum wird feierlich begangen. Das Firmenkonzept zur Herstellung qualitativ hochwertiger<br />
Konserven hat sich bewährt. Bald schon geraten Fabrikation und Lager räumlich erneut an ihre grenzen.<br />
Der Zukauf des benachbarten grundstücks Vorstadt neumarkt nummer 7 ist notwendig.<br />
ein neues, zweigeschossiges Fabrikgebäude wird errichtet.<br />
nach einer umfassenden Ausbildung tritt mit Fritz meyer die zweite generation in das Familienunternehmen<br />
ein. er heiratet die gastwirtstochter Hildegard Dornbusch.<br />
WäHrenD DeS 2. WeLTKriegS<br />
Die Töchter Bernhild (1939) und gudrun (1942) kommen zur Welt.<br />
1941<br />
1943<br />
1944<br />
1945<br />
Fritz meyer wird zur Wehrmacht eingezogen.<br />
Der Firmengründer richard meyer stirbt überraschend kurz vor Vollendung seines 60. Lebensjahres. Von nun<br />
an zeichnet seine Witwe marie für das unternehmen.<br />
im Juli wird dem Fabrikantenpaar Fritz und Hildegard meyer Sohn Bernd-richard geboren.<br />
nach dem einmarsch der roten Armee im April wird Fritz meyer gemeinsam mit anderen Jüterboger Bürgern<br />
festgesetzt und auf dem Hof des Jüterboger Amtsgerichts bei einem Fluchtversuch erschossen. marie meyer<br />
und ihre Schwiegertochter Hildegard führen das unternehmen weiter.<br />
PriVATeS unD HALBSTAATLicHeS WirTScHAFTen in Der DDr<br />
1953<br />
1961<br />
1962<br />
1964<br />
1966<br />
1967<br />
1970<br />
Marie Meyer flieht im Frühjahr nach einer willkürlichen staatlichen Buchprüfung nach Westberlin. Sie kehrt im<br />
Juli 1953 zurück.<br />
Das 50-jährige Betriebsjubiläum begeht die Konservenfabrik noch als privates unternehmen.<br />
Der Staat sichert sich durch eine Beteiligung an der Firma Einfluss, ermöglicht aber auch notwendige Investitionen.<br />
Der Betrieb gilt nun als halbstaatlich.<br />
Bernd-richard meyer verlässt die ingenieurschule für Lebensmittelindustrie in gerwisch als ingenieur.<br />
Zweiundzwanzigjährig übernimmt er in dritter generation den Betrieb.<br />
Bernd-richard meyer heiratet seine Kommilitonin Angelika Stein.<br />
Sohn michael wird geboren.
<strong>100</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Jütro</strong> im Überblick<br />
Die VerSTAATLicHung DeS FAmiLienunTerneHmenS<br />
1972<br />
Der Familienbetrieb wird zwangsverstaatlicht. Als Betriebsleiter behält Bernd-richard meyer die Verantwortung<br />
für das unternehmen.<br />
Die Haupterzeugnisse in den 1970er und 1980er <strong>Jahre</strong>n sind konservierte erdbeeren, gurken, rotkohl und<br />
besonders Apfelmus. Hochwertige Qualitätskonserven für den export und den „delikat“-Handel werden auf<br />
modernen Anlagen ausländischer maschinenbauer gefertigt.<br />
Die „JüTerBoger KonSerVenFABriK ricHArD meyer gmBH“ KeHrT ZurücK<br />
1990<br />
1991<br />
1992<br />
nach den politischen und wirtschaftlichen umbrüchen des <strong>Jahre</strong>s 1989 verlässt die Konservenfabrik im Februar<br />
1990 den Kombinatsverband und ist nun ein juristisch selbständiger Betrieb. Zum 1. April 1990 wird die<br />
„Jüterboger Konservenfabrik richard meyer gmbH“ wiedergegründet.<br />
gemeinsam mit der Agrargenossenschaft Jessen/Schweinitz wird die <strong>Jütro</strong>-Frost aus der Taufe gehoben. Ziel<br />
dieser Zusammenarbeit ist es, die erzeugnisse der genossenschaft vor ort in Jessen zu frosten und die tiefgekühlten<br />
Halbfabrikate später in Jüterbog zu obstkonserven zu verarbeiten.<br />
Die geschäftsbeziehungen zur i. Schroeder Kg (gmbH & co.) Hamburg beginnen. eine neue Lagerhalle<br />
entsteht im gewerbegebiet, um die produzierten Bestände, um deren einlagerung sich bis 1990 der staatliche<br />
großhandel gekümmert hat, selbst lagern zu können. Das Hauptaugenmerk liegt nun auf der gurkenverarbeitung.<br />
Die ehem. Firma Freytag, eine kleine Senffabrik, wird übernommen.<br />
Der neuAnFAng gLücKT<br />
1996<br />
1998<br />
Am 2. Januar müssen die <strong>Jütro</strong> Konservenfabrik und die <strong>Jütro</strong> Frost gmbH Konkurs anmelden. Die i. Schroeder<br />
Kg (gmbH & co.) Hamburg übernimmt beide Betriebe. Zum 1. märz 1996 entstehen die unternehmen <strong>Jütro</strong><br />
Konservenfabrik gmbH und <strong>Jütro</strong> Tiefkühlkost gmbH. mitinhaber Diplomkaufmann Peter Humbert, i. Schroeder<br />
Kg (gmbH & co.) Hamburg und Diplomingenieur michael meyer übernehmen die geschäftsführung der <strong>Jütro</strong><br />
Tiefkühlkost gmbH. mit michael meyer steht nun die vierte generation im Betriebsgeschehen.<br />
Zur Steigerung der Verarbeitungskapazitäten erfolgt ein vollständiger technologischer umbau der alten Fabrik.<br />
im „gurkenkrieg“ um die Bezeichnung „Spreewälder gurken“ muss sich die Firma gegenüber den Spreewälder<br />
Produzenten geschlagen geben. Die Apfelmusproduktion wird eingestellt und die obstkonservenherstellung<br />
aus Tiefkühlprodukten beginnt.<br />
1999<br />
2001<br />
2004<br />
2009<br />
2010<br />
2011<br />
Das unternehmen wird in eine Kommanditgesellschaft umgewandelt. Der Firmensitz der neuen <strong>Jütro</strong> Tiefkühlkost<br />
GmbH & Co. KG befindet sich in Jessen/Elster in Sachsen-Anhalt.<br />
Die <strong>Jütro</strong> Konservenfabrik Jüterbog zieht ins gewerbegebiet Luckenwalder Berg. Die Feinkostproduktion gewinnt<br />
neben der gurkenverarbeitung immer mehr an Bedeutung. Die errichtung eines zweiten Tiefkühllagers in<br />
Jessen wird notwendig.<br />
Die Produktion hochwertiger Fertiggerichte in der menüschale für die Zubereitung in der mikrowelle beginnt bei<br />
der <strong>Jütro</strong> Tiefkühlkost gmbH & co. Kg in Jessen/elster.<br />
Am 27. Juni 2009 verursacht ein Schwelbrand in der Fertigungshalle der <strong>Jütro</strong> Tiefkühlkost millionenschäden.<br />
Dank unverzüglicher Aufbauarbeiten kann die Produktion bereits nach drei Wochen ohne nachteilige Auswirkungen<br />
auf die Kunden wieder aufgenommen werden.<br />
Die <strong>Jütro</strong> Tiefkühlkost nimmt ein vollautomatisches Tiefkühllager mit 8.500 Palettenplätzen in Betrieb.<br />
gemeinsam mit Freunden, Kunden, geschäftspartnern, Familie und Belegschaft begehen wir das <strong>100</strong>-jährige<br />
Firmenjubiläum.
Eine Firmengeschichte wird immer von Menschen bestimmt,<br />
die sich einer Aufgabe widmen und diese mit Leben erfüllen.
<strong>100</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Jütro</strong><br />
Eine Firmen- und Familiengeschichte<br />
1911 bis 2011
Inhaltsverzeichnis<br />
Seite<br />
Zum Geleit<br />
7<br />
Die erste Generation: Das Gründerpaar Richard und Marie Meyer<br />
9<br />
Die zweite Generation: Meine Eltern Fritz und Hildegard Meyer<br />
27<br />
Die dritte Generation: Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />
43<br />
Die vierte Generation tritt an: Michael und Andrea Meyer<br />
69<br />
Ein Wort zum Schluss<br />
95<br />
Literatur- und Bildnachweis<br />
96<br />
5
Vorwort<br />
Zum Geleit<br />
Die Jüterboger Konservenfabrik feiert<br />
2011 ihr <strong>100</strong>-jähriges Bestehen. Dies ist<br />
Anlass für mich, zurückschauen auf die<br />
Geschichte der Familie wie auf die der<br />
Fabrik, sind doch beide schicksalhaft<br />
miteinander verknüpft. Von Jüterbog<br />
wird ebenso die Rede sein wie von der<br />
Entwicklung der Konservenindustrie,<br />
besonders in Hinblick auf die Obst- und<br />
Gemüseverarbeitung, der wir uns bereits<br />
in vierter Generation erfolgreich widmen.<br />
Die Blechdosenindustrie ist schließlich so<br />
alt wie die Konservenherstellung. Beide<br />
nahmen ihren fabrikmäßigen Anfang zu<br />
Beginn des 20. Jahrhunderts und ermöglichten<br />
es gemeinsam, dass Konserven<br />
vom Luxus- zum Gebrauchsartikel werden<br />
konnten. Diese Chancen und Potenziale<br />
erkannte mein Großvater Richard<br />
Meyer und gründete gemeinsam mit seiner<br />
Ehefrau eine Konservenfabrik. Dass<br />
sie noch heute erfolgreich besteht, und<br />
dass sie sämtlichen politischen Wechselfällen<br />
des 20. Jahrhunderts hat trotzen<br />
können, ist ihr Verdienst und das ihrer<br />
Nachkommen. Krieg, Zerstörung, Willkür<br />
und unendliches Leid, ja die Dezimierung<br />
und Vernichtung ganzer Familien prägten<br />
diese Zeit maßgeblich. Mensch zu bleiben<br />
und seine Ziele nicht aus den Augen<br />
zu verlieren, Freiräume zu suchen und<br />
das Überleben des Unternehmens zu sichern,<br />
waren Herausforderungen, denen<br />
sich die Gründer wie auch ihre Kinder<br />
und Kindeskinder zu stellen hatten.<br />
Das 25-jährige Betriebsjubiläum begingen<br />
wir 1936 im Nationalsozialismus,<br />
das 50-jährige Jubiläum 1961 und das<br />
75-jährige im <strong>Jahre</strong> 1986 unter dem<br />
kommunistischen Zwangsregime der<br />
7
Vorwort<br />
SED, das es uns trotz allem ermöglichte,<br />
diese Feste zu begehen. Im hundertsten<br />
Gründungsjahr finden wir uns und unser<br />
Unternehmen in einer demokratischen<br />
Grundordnung, in der es wieder Freude<br />
macht, Unternehmer zu sein.<br />
Allen Schicksalsschlägen zum Trotz blieb<br />
die Firma über all die <strong>Jahre</strong> hinweg die<br />
Wurzel, aus der sich ein Leben in Wohlstand<br />
und gutem Auskommen für jedes<br />
einzelne Familienmitglied speiste.<br />
Natürlich sind Familienunternehmen nicht<br />
nur die Wirkungsstätte der männlichen<br />
Familienoberhäupter, sondern auch die<br />
der Ehefrauen. Bereits kurz nach der<br />
Firmengründung musste meine Großmutter<br />
mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges<br />
– gerade 24-jährig – das junge Unternehmen<br />
führen. Diese Erfahrungen selbständigen<br />
Handelns kamen ihr 1945 zugute,<br />
als sie gemeinsam mit ihrer Schwiegertochter<br />
Familie und Firma durch die<br />
Nachkriegszeit leitete. Auch meine Frau<br />
Angelika ist mir seit über 40 <strong>Jahre</strong> eine<br />
große Stütze und bildet den freundlichen<br />
Ausgleich im Unternehmen. Mein Sohn<br />
hat ebenfalls mit seiner Frau Andrea eine<br />
Unternehmerfrau gefunden, auf deren<br />
Hilfe er sich jederzeit verlassen kann.<br />
Dokumente, Fotos und vielfältige Unterlagen<br />
aus den vergangenen Jahrzehnten<br />
haben sich in unserem Archiv erhalten.<br />
Doch sind auch wertvolle Materialien<br />
beim Abriss des alten Fabrikgebäudes<br />
2002 verloren gegangen. Kaum sechs<br />
Wochen blieben uns für den Umzug der<br />
Firma, und sicher wäre vom Fabrikboden<br />
noch das eine oder andere zu retten<br />
gewesen. Doch für Sentimentalitäten war<br />
keine Zeit – schade.<br />
Wo die schriftlichen Zeugnisse fehlen,<br />
müssen mündliche Überlieferungen die<br />
Lücken füllen. Ich bin froh und glücklich,<br />
auf den reichhaltigen Erinnerungs- und<br />
Erfahrungsschatz meiner hochbetagten<br />
Mutter zurückgreifen zu können. Seit ihrer<br />
Einheirat in die Gründerfamilie ist sie aufs<br />
Engste mit der Fabrik verbunden. Ich<br />
selbst, der ich als künftiger Inhaber quasi<br />
in der Fabrik aufgewachsen bin, kann<br />
inzwischen auch schon auf beinahe 60<br />
<strong>Jahre</strong> bewussten Lebens im Unternehmen<br />
zurückblicken und tue das für diese<br />
Chronik mit besonderer Freude.<br />
Ihr<br />
8
Die erste Generation – Das Gründerpaar Richard und Marie Meyer<br />
DIE ERSTE GENERATION<br />
DAS GRÜNDERPAAR<br />
RICHARD UND MARIE MEYER<br />
9
Die erste Generation – Das Gründerpaar Richard und Marie Meyer<br />
Die Schwestern<br />
Anna und Marie<br />
Kassin auf der<br />
Obstplantage<br />
ihres Vaters<br />
(Marie links).<br />
Mein Großvater Richard Meyer ist am<br />
16. September 1884 in Braunschweig<br />
als Sohn des Bautechnikers Friedrich<br />
Andreas Meyer und seiner Ehefrau Luise<br />
Hermine, geb. Grimm, zur Welt gekommen.<br />
In seiner Heimatstadt lernte er den<br />
Kaufmannsberuf. Vermutlich tat er das<br />
in einer der neu gegründeten modernen<br />
Konservenfabriken, die zu dieser Zeit im<br />
Niedersächsischen wie Pilze aus dem<br />
Boden schossen. Nach Werder an der<br />
Havel kam er, um sich als Volontär in der<br />
Konservenfabrik Bärbaum weiterzubilden.<br />
Schnell muss dem jungen Mann<br />
aufgegangen sein, dass die im Entstehen<br />
begriffene Konservenindustrie ein<br />
Entwicklungspotenzial besaß, das es zu<br />
nutzen galt.<br />
Leider wissen wir nicht, wie sich meine<br />
Großeltern kennen lernten. Vielleicht<br />
liefen sie sich über den Weg, als der<br />
Großvater Frischware beim Obstplantagenbesitzer<br />
Kassin für die Bärbaumsche<br />
Konservenfabrik orderte. Friedrich<br />
Kassin, der Vater meiner Großmutter, war<br />
ein überaus angesehener und vermögender<br />
Obstplantagen- und auch Fischereibesitzer<br />
in Werder an der Havel. Gemeinsam<br />
mit seiner Frau Anna, geb. Tauscher,<br />
hatte er zwei Töchter, Anna und Marie.<br />
Marie Kassin wurde am 23. Januar 1890<br />
geboren.<br />
Sie erhielt bei ihrer Hochzeit am 8. April<br />
1911 eine großzügige Mitgift, die den<br />
finanziellen Grundstock der in Aussicht<br />
genommenen Firmengründung des<br />
jungen Paares bildete. Wie der Großvater<br />
während seiner Ausbildung in der<br />
Konservenindustrie, so hatte auch die<br />
Großmutter durch ihre Nähe zu den Obstplantagen<br />
früh erkannt, dass sich in der<br />
Fertigung von Konserven ein lohnendes<br />
Betätigungsfeld bieten könnte. In Werder<br />
selbst arbeiteten schon einige Firmen auf<br />
10
Die erste Generation – Das Gründerpaar Richard und Marie Meyer<br />
Eröffnungsbilanz<br />
vom 1. Mai<br />
1911, mit der<br />
Firmengründer<br />
Richard Meyer<br />
das Hauptbuch<br />
eröffnet.<br />
diesem Gebiet, die sich in der Hauptsache<br />
mit der Verarbeitung des Obstes aus<br />
den nahen Anbaugebieten beschäftigten.<br />
Richard und Marie Meyer entschieden<br />
sich bei der Wahl ihres Firmensitzes<br />
gegen Werder und Plantagenobst und<br />
für Jüterbog und Waldfrüchte. Steinpilze,<br />
Pfifferlinge und Heidelbeeren aus<br />
den umgebenden Wäldern versprachen<br />
eine größere Wertschöpfung. Mit diesen<br />
Produkten schien auch die Firmenphilosophie<br />
des jungen Gründerpaares, die<br />
Herstellung hochwertiger Qualitätskonserven,<br />
möglich. Kaum vier Wochen nach<br />
der Hochzeit nahm mit der Eröffnungsbilanz<br />
zum 1. Mai 1911 die Konservenfabrik<br />
in Jüterbog, Vorstadt Neumarkt 1, ihre<br />
Arbeit auf.<br />
11
Zum Thema<br />
Das Geheimnis,<br />
die <strong>Jahre</strong>szeiten festzuhalten<br />
Das Haltbarmachen von Lebensmitteln<br />
ist ein uraltes Thema. Was<br />
einst mit Pökeln, Räuchern und<br />
Trocknen begann, wird vermutlich<br />
mit der Konservierung in Dosen<br />
und Gläsern und auch mit dem<br />
Frosten frischer Produkte noch<br />
nicht abgeschlossen sein.<br />
Nachdem der französische Konditor<br />
und Zuckerbäcker Nicolas<br />
Appert 1809 sein Verfahren zur<br />
Konservierung in Glasgefäßen<br />
hatte patentieren lassen, schrieb<br />
der „Courier de l’Europe“ begeistert:<br />
„Appert hat das Geheimnis<br />
entdeckt, die <strong>Jahre</strong>szeiten festzuhalten,<br />
bei ihm leben Frühling,<br />
Sommer und Herbst in Flaschen“.<br />
Genau darum ging es. Die Fülle<br />
der Früchte, die in den warmen<br />
Monaten anfiel, wollte auch im<br />
Winter genossen werden. Am<br />
liebsten sogar jederzeit. Doch ehe<br />
dieser Traum Wirklichkeit werden<br />
konnte, brauchte es findige Köpfe,<br />
die sich von Rückschlägen und<br />
Hindernissen nicht entmutigen<br />
ließen, die tüftelten, forschten und<br />
wagten.<br />
Baron Wilhelm Eberhard Anton<br />
von Campen beispielsweise. Er<br />
lernte in diplomatischer Mission<br />
des braunschweigischen Hofes<br />
bei einem Aufenthalt in Frankreich<br />
Apperts Konservierungsmethoden<br />
kennen.<br />
Zurückgekehrt beauftragte er den<br />
Seesener Klempnermeister Heinrich<br />
Züchner mit der Herstellung<br />
von Dosen. Eigentlich verließen<br />
Leuchter, Laternen und Lampen<br />
und hin und wieder auch ein paar<br />
Zuckerdosen die Klempnerwerkstatt.<br />
Nun sollten Dosen gefertigt<br />
werden, um die Jagdbeute des<br />
Barons haltbar zu machen.<br />
Der Erfolg sprach sich bald herum,<br />
und es dauerte nicht lange, bis<br />
auch Hausfrauen nach Konservendosen<br />
verlangten, um Obst und<br />
Gemüse aus den Gärten haltbar<br />
zu machen. Mancher füllte sogar<br />
über den eigenen Bedarf ab und<br />
verkaufte die Dosen weiter. So<br />
entstanden die ersten einfachen<br />
Konservenfabriken. Und aus der<br />
Klempnerei Züchner entwickelte<br />
sich in den nächsten 150 <strong>Jahre</strong>n<br />
eines der führenden Unternehmen<br />
der Feinstblechverpackungsindustrie.<br />
Die Herstellung hochwertiger<br />
Weißblechdosen und das Befüllen<br />
der Dosen entwickelten sich zu<br />
den beiden Zweigen der entstehenden<br />
Konservenindustrie.<br />
Nicolas Appert<br />
Konservenglas zu Apperts Zeiten<br />
12
Zum Thema<br />
Die Konservenindustrie<br />
bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs<br />
Die ersten größeren Betriebe<br />
entstanden nach 1840 in Braunschweig.<br />
Spargel aus den umliegenden<br />
Anbaugebieten wurde<br />
hier in Dosen gefüllt und haltbar<br />
gemacht. Klempner und Landwirte<br />
funktionierten nun als Zulieferer.<br />
Die 1880er <strong>Jahre</strong>, die eigentlichen<br />
<strong>Jahre</strong>n der Gründerkrise der<br />
deutschen Wirtschaft, gelten gemeinhin<br />
als die Gründerjahre der<br />
Konservenindustrie, und der ausbrechende<br />
Erste Weltkrieg führte<br />
zu einem ungeahnten Anstieg der<br />
Nachfrage nach haltbaren Lebensmitteln.<br />
Die eigenen Soldaten und<br />
auch die der verbündeten Heere<br />
konnten so versorgt werden.<br />
Wenige <strong>Jahre</strong> vor Kriegsausbruch<br />
hatten meine Großeltern<br />
ihre Konservenfabrik in Jüterbog<br />
gegründet, die von diesem kriegsbedingten<br />
Aufschwung der Branche<br />
profitieren konnte. Das wollten<br />
allerdings auch andere, und Konservenfabriken<br />
schossen wie Pilze<br />
aus dem Boden.<br />
Bei Kriegsende stellte sich jedoch<br />
heraus, dass der Bedarf der Bevölkerung<br />
so groß nicht mehr war.<br />
Ohne die zu versorgenden Heere<br />
und Kolonien und nach dem Verlust<br />
der Kriegs- und Handelsflotte<br />
hatte nur noch ein Teil der Betriebe<br />
sein Auskommen. Die Jüterboger<br />
Qualitätskonserven behielten es.<br />
Und das, obwohl die Branche<br />
inzwischen mit einem ernst zu<br />
nehmenden Imageproblem zu<br />
kämpfen hatte.<br />
Schnell waren die Produkte in den<br />
Augen der Verbraucher nämlich<br />
vom Luxusgut zum Billigartikel<br />
geworden. Die Neugründungen<br />
hatten den Konkurrenzdruck verschärft<br />
und manche Hersteller zu<br />
Billigproduzenten werden lassen.<br />
Verbraucher, die von der Qualität<br />
dieser billigen Konserven enttäuscht<br />
waren, betrachteten leicht<br />
die gesamte Erzeugnispalette der<br />
Konservenindustrie als minderwertig.<br />
Ein weiterer Vorwurf, der den<br />
konservierten Erzeugnissen immer<br />
wieder gemacht worden ist, war<br />
der, sie seien vitaminlos oder gar<br />
giftig. Dieser Makel haftete den<br />
Dosen an und schreckte ängstliche<br />
Käufer ab. Die wirtschaftliche<br />
Vereinigung der Konservenindustrie<br />
versuchte immer wieder mit den<br />
unterschiedlichsten Mitteln, Vorurteile<br />
der Verbraucher gegenüber<br />
den Konserven auszuräumen. 1<br />
Vergiftungen entstünden nie durch<br />
Obst- und Gemüsekonserven,<br />
sondern immer nur durch die Beikost,<br />
wie etwa durch verdorbenes<br />
Fleisch. Außerdem sei die Verarbeitung<br />
hochgradig hygienisch,<br />
so dass beispielsweise Erbsen<br />
„mit Menschenhänden gar nicht in<br />
Berührung“ 1 kämen. Gleichzeitig<br />
mahnte die Vereinigung in den<br />
1930er <strong>Jahre</strong>n die Kunden, auf<br />
den Verbrauch deutscher Konserven<br />
zu achten, um die heimische<br />
Landwirtschaft und Industrie zu<br />
stützen.<br />
Braunschweig blieb das Zentrum<br />
der Gemüsekonservenindustrie.<br />
Schwerpunkte der Obstkonservenindustrie<br />
befanden sich<br />
in Hannover, in der Altmark, im<br />
Raum Lübeck und in Sachsen.<br />
Von einem gartenmäßigen Anbau<br />
der Produkte war man inzwischen<br />
zum feldmäßigen Anbau übergegangen.<br />
Braunschweig und der<br />
Spargel waren hier wiederum die<br />
Vorreiter. Neugezüchtete Bohnenbzw.<br />
Erbsensorten ermöglichten<br />
großflächigen Anbau und zeitsparende<br />
Verarbeitung. Den Bedarf an<br />
Beerenobst konnte die heimische<br />
Konservenindustrie jedoch nicht im<br />
Inland decken. Dafür waren Importe<br />
notwendig.<br />
Wie der Betrieb der Großeltern arbeitete<br />
die überwiegende Zahl der<br />
Unternehmen als Familienbetriebe<br />
mit ortsansässigen Beschäftigten<br />
13
Zum Thema<br />
und Saisonarbeitern. Verarbeitungsmaschinen<br />
gab es kaum.<br />
Arbeit in der Konservenfabrik war<br />
Handarbeit und Frauenarbeit.<br />
Zuverlässigkeit, Schnelligkeit und<br />
Geschicklichkeit zeichnete sie aus.<br />
Bohnen, Spargel, Erbsen und<br />
Pilze konnten nur über eine kurze<br />
Zeitspanne eingelagert werden<br />
und bedurften einer schnellen Verarbeitung.<br />
„Am vorteilhaftesten ist<br />
es immer noch, das Entfädeln [der<br />
Bohnen] mit der Hand vorzunehmen,<br />
wozu sich Frauen am geeignetsten<br />
(und billigsten) erwiesen<br />
haben“, heißt es in einer Abhandlung<br />
von 1932. 2<br />
Die verarbeitende Industrie war<br />
gezwungen, sich den örtlichen<br />
Gegebenheiten anzupassen, denn<br />
die Rohware konnte in der Regel<br />
nicht über weite Strecken transportiert<br />
werden. Einem Ausbau der<br />
Verarbeitungskapazitäten waren<br />
also enge Grenzen gesetzt.<br />
Bereits in den letzten <strong>Jahre</strong>n<br />
vor dem Ausbruch des Zweiten<br />
Weltkriegs nahm die Absatzentwicklung<br />
der Konserven wieder<br />
an Fahrt auf. Der eingeschränkte<br />
Fett- und Fleischkonsum und eine<br />
zunehmende Erwerbstätigkeit<br />
der Frauen ließ diese häufiger zu<br />
Gemüse aus der Dose greifen.<br />
Während des Krieges nahm die<br />
Wehrmacht den größten Teil der<br />
produzierten Konserven ab. Fehlende<br />
ausländische Konkurrenz<br />
sicherte den Absatz der übrigen<br />
Konserven, ja für den zivilen Bedarf<br />
fehlte es sogar an Konserven.<br />
Von den Kriegsereignissen selbst<br />
blieben die meisten Konservenfabriken<br />
weitestgehend verschont.<br />
Kleine Betriebe in ländlichen<br />
Gegenden waren keine Ziele für<br />
alliierte Truppen.<br />
Mit dem Einmarsch der Roten<br />
Armee sollte jedoch das Geschick<br />
unserer Familie und mit ihm das<br />
der Firma eine schmerzhafte Wendung<br />
nehmen.<br />
Ansicht der ehemaligen Fabrik am Oberhag<br />
Vorstadt Neumarkt 1 (nach 1926)<br />
Literaturnachweis:<br />
1<br />
Siehe die Schrift von Eduard Nehring:<br />
Streit um Konserven. Drama in einem<br />
Aufzug, Braunschweig 1930<br />
2<br />
Eduard Jacobson: Wertvolle Ratschläge<br />
für die Konserven-Industrie, II.<br />
Auflage, Braunschweig 1932, S. 54<br />
14
Zum Thema<br />
Jüterbog – mehr als eine Garnisonsstadt?<br />
Obwohl Jüterbog bereits im 12.<br />
Jahrhundert das Stadtrecht erhielt,<br />
blieb es doch bis weit ins 19. Jahrhundert<br />
hinein eine Landstadt, ein<br />
zentraler Ort für die umliegenden<br />
Bauernschaften. Die industrielle<br />
Revolution spielte sich im benachbarten<br />
Luckenwalde ab, während<br />
es innerhalb der Jüterboger Stadttore<br />
ruhig blieb. Die 1841 eröffnete<br />
Fernbahnlinie brauste im Wortsinne<br />
in der Ferne vorbei. Skeptisch<br />
gegenüber den großen Dampflokomotiven<br />
hatte man den Bahnhof<br />
weit vor die Stadt verlegt. Lediglich<br />
an den Markttagen, zu den Vieh-,<br />
Woll- oder Flachsmärkten, herrschte<br />
hier reges Treiben. Mädchen<br />
und Frauen in der Fläminger Tracht<br />
mit den typischen großen Flügelhauben<br />
prägten dann das Stadtbild.<br />
Erst unter Bismarck begann Jüterbog<br />
aus seinem Dornröschenschlaf<br />
zu erwachen. Schüsse<br />
weckten es. Der neue Schießplatz<br />
auf der Heide zwischen Treuenbrietzen<br />
und Jüterbog und eine<br />
eigene Garnison belebten die Wirtschaft,<br />
und zwischen die Fläminger<br />
Trachten mischten sich Uniformen<br />
aus fernen Ländern. Offiziere<br />
aus Japan, Russland, der Türkei<br />
und Bulgarien sah man in den<br />
Straßen und Gassen der Stadt.<br />
Blick von Vorstadt Neumarkt in den Bärstrauch. Rechts unten, wo die Zeichnung<br />
noch Grünanlagen zeigt, das Grundstück Vorstadt Neumarkt 1, auf dem 1911 die<br />
Konservenfabrik Rich. Meyer errichtet wird.<br />
Es versteht sich, dass nun auch<br />
der Bahnhof herangeholt werden<br />
musste. Eine Pferdebahn verkürzte<br />
den Weg in die Stadt und tat das<br />
bis zur Aufnahme des Omnibusverkehrs<br />
1928. Lange Zeit bewahrte<br />
sich Jüterbog seinen altertümlichen<br />
Charakter, doch setzte in<br />
den letzten <strong>Jahre</strong>n vor dem Ersten<br />
Weltkrieg eine rege Bautätigkeit<br />
ein, die auch die Installation von<br />
Wasserleitungen und Kanalisation<br />
einschloss.<br />
Die Verringerung des Heeres<br />
infolge des Versailler Vertrages traf<br />
Jüterbog schwer. Wohl und Wehe<br />
der Stadt waren mit dem der Garnison<br />
aufs engste verbunden gewesen.<br />
Zwar blieb der Schießplatz<br />
als Truppenübungsplatz erhalten,<br />
doch in die Kaserne zogen erst<br />
Verwundete und später Obdachlose<br />
ein. Seit 1930 wurde auf dem<br />
Truppenübungsplatz wieder eifrig<br />
das Schießen geübt, und kaum<br />
vier <strong>Jahre</strong> später galt Jüterbog als<br />
der größte Truppenübungsplatz<br />
Deutschlands. Auf die industrielle<br />
Entwicklung der Stadt wirkte sich<br />
dies nicht nachhaltig aus. Neben<br />
der Konservenfabrik meiner<br />
15
Zum Thema<br />
Großeltern gab es um diese Zeit<br />
eine Briefumschlagfabrik, eine<br />
Gärungsessig- und Senffabrik, die<br />
auch Fruchtsäfte und Trinkbranntwein<br />
herstellte, eine elektrisch betriebene<br />
Getreidemühle und einige<br />
kleine Zigarrenfabriken.<br />
Nach dem Ende des Zweiten<br />
Weltkriegs strebte die Stadt eine<br />
zivile Nachnutzung der zahlreichen<br />
Militäreinrichtungen an. Die sowjetische<br />
Besatzungsmacht jedoch<br />
hatte anderes vor und nutzte bis<br />
zur Wende 1989 beinahe zwei<br />
Drittel der administrativen Fläche<br />
der Stadt. Lange Lastwagenkolonnen<br />
russischer Armeefahrzeuge<br />
schoben sich fortan durch die<br />
Jüterboger Altstadt, und Soldaten<br />
gehörten auch weiterhin zum<br />
gewohnten Bild. Für mich war das<br />
Zusammentreffen mit russischen<br />
Armeeangehörigen in all den <strong>Jahre</strong>n<br />
unvermeidlich und nicht immer<br />
leicht.<br />
Die Auflösung des traditionellen<br />
Militärstandortes zu Beginn der<br />
1990er <strong>Jahre</strong> machte eine Anpassung<br />
des lokalen Arbeitsmarktes<br />
notwendig. In einem landwirtschaftlich<br />
geprägten Raum wie<br />
dem Fläming verlegten sich viele<br />
Arbeitssuchende auf Landtechnikinstandsetzung<br />
oder arbeiteten in<br />
Das Neumarkttor (Außenansicht) um 1890. Unmittelbar rechts hinter dem Tor siedelt<br />
sich 1911 die Konservenfabrik an. Die Straße führt heute rechts am Tor vorbei, wo<br />
hier noch Baum und Fachwerkhaus stehen.<br />
der neu entstandenen Schmuckfabrikation<br />
in Neuheim (ehem. Dorf<br />
Zinna). Besonders nach dem Abzug<br />
der letzten sowjetischen Soldaten<br />
1994 wuchs die Bedeutung<br />
der landwirtschaftlichen Produktion,<br />
die mit den Schwerpunkten<br />
ökologische Bewirtschaftung und<br />
Direktvermarktung in den letzten<br />
<strong>Jahre</strong>n außerordentliche Erfolge<br />
erzielen konnte. Dass Jüterbog<br />
inzwischen zu einem Branchenschwerpunkt<br />
der Ernährungswirtschaft<br />
in Brandenburg geworden<br />
ist, verdankt die Stadt dieser<br />
Entwicklung und nicht zuletzt auch<br />
dem Bestehen der <strong>Jütro</strong>. Mit der<br />
großzügigen Anlage von Gewerbegebieten<br />
schuf sie für uns, wie<br />
auch für andere Unternehmen,<br />
Expansionsmöglichkeiten, die eine<br />
moderne und wettbewerbsfähige<br />
Produktion in Jüterbog ermöglichen.<br />
Die Stadt selbst versucht sich in<br />
den letzten Jahrzehnten zunehmend<br />
als Kulturstadt zu etablieren.<br />
Zahlreiche und zunehmend gut<br />
besuchte Veranstaltungen in der<br />
aufwändig restaurierten Altstadt<br />
erfüllen nicht nur mich und andere<br />
Jüterboger mit Stolz und Freude,<br />
sie geben dem Namen unserer<br />
Stadt überregional einen neuen<br />
Klang. Das hört sich nicht mehr<br />
nach Schüssen an, sondern nach<br />
Orgelmusik.<br />
16
Die erste Generation – Das Gründerpaar Richard und Marie Meyer<br />
Schornstein, Dampfkessel und<br />
Dampfmaschine<br />
Das Grundstück war kaum größer als<br />
3.000 Quadratmeter. Hier befanden sich<br />
ein moderner Flachbau mit Fabrikationsund<br />
Maschinenraum und das Herzstück<br />
der Fabrik, das Kesselhaus. Fabrikschornstein,<br />
Dampfkessel und Dampfmaschine<br />
mit Drehkrafterzeugung waren<br />
die sichtbaren Zeichen dafür, dass hier<br />
modern produziert werden konnte. Die<br />
ersten Verarbeitungsmaschinen, Putzmaschinen,<br />
Schneidemaschinen, Verschließmaschinen,<br />
aber auch die Dampfautoklaven<br />
und Blanchierkessel fanden hier<br />
ihren Platz. Auch für die Weiterverarbeitung<br />
der Konserven und die Lagerung<br />
der Blechdosen mussten Räumlichkeiten<br />
gefunden werden.<br />
Angetrieben wurden die Maschinen<br />
mittels verlegter Achsen und großer<br />
Transmissionsriemen durch den Dampf<br />
aus der Dampfmaschine. Dieser Dampf<br />
erhitzte auch Blanchierkessel und Autoklaven.<br />
Den ersten Blanchierkessel,<br />
den mein Großvater 1911 bei der Firma<br />
Karges Hammer in Braunschweig bestellt<br />
hatte und der mehr als 50 <strong>Jahre</strong> in Betrieb<br />
war, habe ich selbst in den 1960er<br />
<strong>Jahre</strong>n verschrottet. Die Blanchierkessel<br />
standen als eine Batterie von vier kupfernen<br />
Doppelwandkesseln im Verarbeitungsraum.<br />
Hier befand sich auch<br />
die Gebläsewaschmaschine der Firma<br />
Frings.<br />
Dieser spezielle Maschinenpark musste<br />
durch die junge Unternehmerfamilie angeschafft<br />
und vor allem finanziert werden.<br />
Damals lief man deswegen nicht zur<br />
Bank, sondern sah sich im Familien- und<br />
Bekanntenkreis um. Eine Möglichkeit,<br />
kostengünstig zu wirtschaften, bestand<br />
darin, dem Emballagenhersteller die benötigten<br />
Dosen erst zu bezahlen, nachdem<br />
man sie gefüllt und verkauft hatte.<br />
17
Zum Thema<br />
Eine Fabrik ohne Kesselhaus ist eine Fabrik<br />
ohne Herzschlag - Die Entwicklung unseres<br />
Kesselhauses von 1911 bis 2011<br />
Fabrikansicht zwischen 1914 (Fertigstellung des Wohnhauses, rechts im Bild) und 1926 (Aufstockung des Flachbaus links neben<br />
dem Wohnhaus)<br />
Das Einsetzen der industriellen<br />
Revolution im 19. Jahrhundert<br />
ist untrennbar mit der Nutzung<br />
der Dampfkraft verbunden. Konzentrierten<br />
sich die meisten Fabrikationsstätten,<br />
gebunden an<br />
Wasserkraft, bis dahin außerhalb<br />
der Städte, kamen mit Dampfmaschinen<br />
und Eisenbahnen die<br />
Fabriken in die Städte. In hermetisch<br />
abgeschlossenen Eisen- oder<br />
sogar Holzbehältern konnte durch<br />
das Erhitzen von Wasser Dampf<br />
erzeugt werden, dessen Kraft Maschinen<br />
antrieb.<br />
Die Veränderungen, die sich in<br />
den vergangenen <strong>100</strong> <strong>Jahre</strong>n im<br />
Kesselhaus der Jüterboger Konservenfabrik<br />
vollzogen, sollen im<br />
Folgenden überblicksartig dargestellt<br />
werden:<br />
1911 – Gründung der Firma<br />
• Anschaffung eines Einflammrohrkessels<br />
mit Kohlefeuerung<br />
und einer Heizfläche von 25 m 2<br />
• Leistung ca. 700 kg/h Dampf<br />
• Eine Dampfmaschine treibt die<br />
Transmission für Verarbeitungsund<br />
Verschließmaschinen an.<br />
• Blanchierkessel und Autoklav<br />
nutzten die Wärme des Dampfes<br />
zum Erhitzen und Sterilisieren.<br />
1938/39<br />
• Ersatz des Einflammrohrkessels<br />
durch einen Einflammrohrkessel<br />
mit Kohlefeuerung und<br />
einer Heizfläche von 40 m 2<br />
• Leistung ca. 1.000 kg/h Dampf<br />
• Stilllegung der Dampfmaschine<br />
nach dem Fabrikneubau und<br />
der Umstellung des Transmissionsantriebs<br />
auf Elektromotor<br />
18
Zum Thema<br />
1963<br />
• erhöhter Dampfbedarf der liegenden<br />
Autoklaven macht den<br />
Einbau eines stehenden Quersiededampfkessels<br />
mit 25 m 2<br />
mit Kohlefeuerung notwendig<br />
• Leistung ca. 700 kg/h Dampf<br />
1969/70<br />
• Die Umstellung der bestehenden<br />
Dampfkesselanlage von<br />
Kohle- auf Ölfeuerung bringt<br />
einen Zuwachs an Dampfkapazität<br />
von 30 Prozent.<br />
Der Schnelldampferzeuger Certuss mit einer Leistung von ca. 2.000 kg/h Dampf.<br />
1973<br />
• Inbetriebnahme eines Dreizugkessels<br />
mit 3.200 kg/h Dampf<br />
1976<br />
• Feststellung eines Materialfehlers<br />
beim Dreizugkessel,<br />
• Anschaffung eines neuen Dreizugkessels<br />
• Leistung ca. 3.500 kg/h Dampf<br />
1983<br />
• im Rahmen der Ölablösungen<br />
werden viele ölbefeuerte<br />
Dampfkesselanlagen stillgelegt<br />
und Kohlefeuerung wieder<br />
eingeführt<br />
• die VEB Jüterboger Konservenfabrik<br />
erhält Stadtgas zur<br />
Befeuerung der Dampfkesselanlage<br />
• Inbetriebnahme von 4 Gasdampfautomaten<br />
• Leistung ca. je 1.000 kg/h<br />
Dampf<br />
1996<br />
• Erweiterung der Dampfkesselanlage<br />
mit einem Schnelldampferzeuger<br />
der Fa. Certuss<br />
• Leistung ca. 2.000 kg/h<br />
Dreizugkessel, Fabrikat Loos<br />
2002<br />
• Errichtung eines modernen<br />
Kesselhauses mit Erdgasbefeuerung<br />
am neuen Standort<br />
• Inbetriebnahme eines Dreizugkessels<br />
Fabrikat LOOS<br />
• Leistung ca.: 8.000 kg/h Dampf<br />
• Weiterbetrieb des Schnelldampferzeugers<br />
Certuss<br />
19
Die erste Generation – Das Gründerpaar Richard und Marie Meyer<br />
Jüterboger Konserven<br />
im Hotel Kempinski in Berlin<br />
Schnell erweiterte sich das Sortiment,<br />
als sich meine Großeltern entschlossen,<br />
neben Wald- und Wildfruchtkonserven<br />
auch die Herstellung von Obstkonserven<br />
zu wagen. Neben der Verarbeitung von<br />
Straßenobst konzentrierten sie sich nun<br />
doch vermehrt auf die Produkte der benachbarten<br />
Obstanbaugebiete und damit<br />
auf Himbeeren, Kirschen, Pfirsiche und<br />
Erdbeeren.<br />
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs<br />
begannen sie, Obst in Werder, aber auch<br />
in Jessen/Elster einzukaufen und zu verarbeiten.<br />
In Jessen hatte mein Großvater<br />
Himbeerplantagen unter Vertrag. Diese<br />
Himbeeren wurden in einem aufwändigen<br />
Verfahren haltbar gemacht und waren<br />
schnell eine gefragte Spezialität der Konservenfabrik.<br />
Da die Früchte sehr empfindlich sind,<br />
wurden sie auf der Plantage direkt in die<br />
Blechdosen geerntet. Diese steckten im<br />
so genannten Pflückgürtel und kamen<br />
noch am gleichen Abend in die Konservenfabrik,<br />
um dort mit Zuckerlösung<br />
gefüllt, verschlossen und im Autoklaven<br />
haltbar gemacht zu werden. Jüterboger<br />
Pilzkonserven und Himbeeren kamen<br />
sogar im Hotel Kempinski in Berlin auf<br />
den Tisch.<br />
Selbstverständlich galten auch die übrigen<br />
Produkte, besonders in den Gründungsjahren,<br />
noch als ausgesprochene<br />
Luxusgüter. Dass sich gerade Qualitätskonserven<br />
mit einer angemessenen<br />
Wertschöpfung verkaufen ließen, war die<br />
Grundidee der Firmengründung, an der<br />
über Jahrzehnte hinweg festgehalten<br />
wurde.<br />
Den hohen Ansprüchen konnte man<br />
jedoch nur gerecht werden, indem ein<br />
beträchtlicher Teil der Arbeit per Hand<br />
erledigt wurde. Mir fallen in diesem Zusammenhang<br />
gleich unsere Pfirsiche in<br />
20
Die erste Generation – Das Gründerpaar Richard und Marie Meyer<br />
Birnen brauchen Zuwendung<br />
Besonders aufwändig war die Produktion von Birnenkonserven.<br />
Harte, aber dennoch reife Sorten kamen<br />
im Herbst ins Lager. In den folgenden Wochen wurde<br />
durch Härteprüfung per Hand jeden Tag die Partie ausgesucht,<br />
die zur Verarbeitung kam. An langen Tafeln<br />
standen die Frauen und schälten die Früchte mit Hilfe<br />
von 10 bis 15 Birnenschälmaschinen (Foto unten).<br />
Dosen ein. Es waren Weinbergpfirsiche,<br />
eine Sorte, die heute beinahe vollständig<br />
in Vergessenheit geraten ist und die<br />
noch bis in meine Zeit verarbeitet wurde.<br />
Sie kamen aus Jessen und waren etwas<br />
ganz Besonderes.<br />
Zum Verzehr als Frischware eigneten sie<br />
sich überhaupt nicht, doch in der Zuckerlösung<br />
der Konserve entfalteten sie einen<br />
herrlichen Geschmack mit intensivem<br />
Aroma.<br />
Man erwärmte sie in Natronlauge, um<br />
die Haut abzulösen. Das geschah auf<br />
Blanchiersieben in Blanchierkesseln. Die<br />
Frauen an den Fülltischen halbierten und<br />
entsteinten die abgespülten Früchte und<br />
füllten sie in die Dosen. Nun nur noch Zuckerlösung<br />
darüber geben, verschließen,<br />
und dann ging es in den Autoklaven zum<br />
Haltbarmachen. Große Mengen stellte<br />
man pro Tag nicht her, aber die Qualität<br />
war einzigartig.<br />
Halbiert und entkernt wurde mit der Hand. Per Nadelprobe<br />
prüfte man, ob der anschließende Blanchierprozess<br />
abgeschlossen war, oder ob die Früchte noch<br />
einige Minuten im Blanchierkessel verbleiben mussten.<br />
Fiel die mit einer Stahlnadel angestochene Birne herunter,<br />
waren die Früchte fertig und konnten in die Dosen<br />
eingeschichtet werden – von Hand, versteht sich. Birnen<br />
brauchten überhaupt besonders viel Zuwendung,<br />
schließlich durften sie nach dem Schälen nicht unappetitlich<br />
braun werden. Deswegen kamen sie geschält<br />
in mit Zitronensäure versetztes Wasser. Auch beim<br />
Einfüllen der Zuckerlösung mussten die Frauen peinlich<br />
genau darauf achten, dass die Birnen vollständig<br />
bedeckt waren, um eine Braunfärbung zu verhindern.<br />
21
Die erste Generation – Das Gründerpaar Richard und Marie Meyer<br />
rechts:<br />
Blick in die Produktionsräume<br />
kurz nach der<br />
Firmengründung<br />
1911<br />
links:<br />
das soeben<br />
fertiggestellte<br />
Wohnhaus im<br />
<strong>Jahre</strong> 1914<br />
Das Verschließen und<br />
Kennzeichnen der Dosen<br />
Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts<br />
wurden die Dosen verlötet, später erreichte<br />
man einen sicheren Verschluss<br />
auch durch das Falzen.<br />
Die Dosendeckel markierte man vorher<br />
mittels Stanzzeichen, die Rückschlüsse<br />
auf den Inhalt der Dose ermöglichten.<br />
Diese Zeichen konnten noch bis zu Beginn<br />
der 1920er <strong>Jahre</strong> hinein sehr individuell<br />
ausfallen und wurden erst 1922<br />
normiert. Wichtig waren diese Angaben<br />
für das Etikettieren, das erst auf dem<br />
Lager und Monate später erfolgte.<br />
Eine funktionierende Konservenfabrik<br />
benötigte deshalb ausreichende Lagerräume,<br />
schließlich mussten Gemüse<br />
und Obst nach der Ernte zügig verarbeitet<br />
werden.<br />
Handarbeit und Technik<br />
In jedem Frauenbetrieb muss es für die<br />
schweren Arbeiten auch einige männliche<br />
Arbeitskräfte geben. Bei uns waren<br />
das Heizer, Schlosser und Transportarbeiter,<br />
und auch das Verschließen der<br />
Dosen übernahmen die Männer.<br />
Aufgrund des hohen Anteils an Handarbeit,<br />
der von Produkt zu Produkt unterschiedlich<br />
ausfiel, kamen regelmäßig Saisonarbeitskräfte<br />
zum Einsatz. An sechs<br />
Tagen die Woche wurde gearbeitet, bis<br />
das Obst oder die Wildfrüchte verarbeitet<br />
waren. Die Entlohnung erfolgte wöchentlich.<br />
Allerdings waren meine Großeltern<br />
auch immer bestrebt, den Maschinenpark<br />
zu ergänzen, so es die finanziellen<br />
Möglichkeiten erlaubten.<br />
Mit der Erweiterung des Sortiments um<br />
die Erzeugnisse der regionalen Obstplantagen<br />
begann auch die Produktion<br />
von Marmelade und Konfitüre. Pulp für<br />
die Konfitürenfertigung und Mark zur<br />
22
Die erste Generation – Das Gründerpaar Richard und Marie Meyer<br />
Herstellung von Marmeladen fiel bei der<br />
Obstkonservenbereitung an und konnte<br />
auf diesem Weg weiterverarbeitet werden.<br />
Großvaters Leidenschaften<br />
Zufrieden mit der Geschäftsentwicklung<br />
fand mein Großvater hin und wieder Zeit,<br />
seinen Hobbys zu frönen. Neben der<br />
Liebe zu großen Autos – Horch war seine<br />
bevorzugte Automarke – widmete er<br />
sich vor allem dem Waidwerk. Zeitweise<br />
besaß er in der Nähe von Mügeln eine<br />
eigene Jagd. Gern traf er sich mit seinem<br />
Freund Kolessow, um gemeinsam vierbeiniges<br />
Wild zu jagen. Der Russe Kolessow<br />
hatte nach dem Krieg in die hiesige<br />
Stadtmühle eingeheiratet und besaß in<br />
Welsickendorf ein kleines Jagdhäuschen.<br />
Wenn mein Großvater sich anschickte,<br />
dorthin zu fahren, hing der Haussegen<br />
regelmäßig schief, denn meine Großmutter<br />
konnte der Jagdleidenschaft oder<br />
auch dem fröhlichen Jäger leben so gar<br />
nichts abgewinnen.<br />
Mein Großvater war Mitglied der Schützengilde<br />
und wurde 1935 Schützenkönig.<br />
Mitte der 1990er <strong>Jahre</strong> konnte die „Schützengilde<br />
1405 Jüterbog“ neu gegründet<br />
werden. Ich selbst stehe der Traditionskompanie<br />
als Kompaniechef vor und<br />
erhielt knapp 60 <strong>Jahre</strong> nach Großvater<br />
Richard die Auszeichnung als Schützenkönig.<br />
Dieses erfolgreiche Anknüpfen<br />
an die Tradition meiner Vorfahren macht<br />
mich gleichermaßen stolz und glücklich.<br />
Richard Meyer<br />
als Mitglied der<br />
Schützengilde<br />
von Jüterbog<br />
(vierter von<br />
links)<br />
23
Die erste Generation – Das Gründerpaar Richard und Marie Meyer<br />
Familie und Wohlstand<br />
wachsen<br />
Marie und Fritz<br />
Meyer<br />
Im zweiten Jahr ihrer Ehe wurde dem<br />
Gründerpaar Richard und Marie Meyer<br />
ihr einziger Sohn Fritz geboren. Er kam<br />
am 21. Juni 1912 zur Welt. Kaum zwei<br />
<strong>Jahre</strong> darauf begann der Weltkrieg, und<br />
auch Richard Meyer musste ins Feld.<br />
Seiner Frau Marie gelang es trotz ihrer<br />
Jugend, die im Entstehen begriffene<br />
Firma mit Geschick und Glück durch die<br />
Kriegsjahre zu steuern. Energisch und<br />
resolut kümmerte sie sich auch um die<br />
kaufmännischen Angelegenheiten, die<br />
bis dahin ihrem Mann oblagen. Kurz vor<br />
dem Beginn der Kriegsereignisse war die<br />
junge Familie in ihr neues großes Wohnhaus<br />
eingezogen, das sie sich neben<br />
dem Fabrikgebäude errichtet hatte.<br />
Aus den Aufzeichnungen des Hauptbuches,<br />
das mein Großvater bei der Firmengründung<br />
angelegt hatte, ist unzweifelhaft<br />
zu erkennen, dass sich die Familie<br />
bereits in den ersten <strong>Jahre</strong>n nach der<br />
Unternehmensgründung durch fleißige<br />
und beharrliche Arbeit einen bescheidenen,<br />
aber gesunden Wohlstand aufbauen<br />
konnte (siehe auch die Bilanzübersicht<br />
auf Seite 9).<br />
„Hinten“ in der Fabrik sorgte die Großmutter<br />
für einen reibungslosen Ablauf<br />
der Produktion. „Vorn“ im Büro sorgte der<br />
Großvater mit kaufmännischem Geschick<br />
dafür, dass sich die Anstrengungen<br />
angemessen auszahlten. Und mittendrin<br />
24
Die erste Generation – Das Gründerpaar Richard und Marie Meyer<br />
spielte und lernte der kleine Fritz, der<br />
sich selbstverständlich sehr bald für die<br />
Arbeit der Eltern zu interessieren begann.<br />
Nach dem Abitur trat er eine Volontärstelle<br />
in der Sächsischen Blechwarenfabrik<br />
in Radebeul an. Bei der befreundeten Familie<br />
Niehbuhr erwarb er sowohl im kaufmännischen<br />
als auch im fachmännischen<br />
Bereich wichtige Kenntnisse, die ihn auf<br />
seine Tätigkeit als Juniorchef vorbereiten<br />
sollten. In den <strong>Jahre</strong>n 1936 bis 1937<br />
absolvierte er das Konserventechnikum<br />
in Braunschweig und verließ es mit dem<br />
Abschluss als Konserventechniker.<br />
Sonntagsbesuch<br />
befreundeter Geschäftspartner<br />
-<br />
Familie Niebuhr<br />
im Gespräch mit<br />
Richard (li.) und<br />
Marie (2.v.r.)<br />
Meyer<br />
25
Die erste Generation – Das Gründerpaar Richard und Marie Meyer<br />
Der Firmenstandort wächst<br />
Firmenansicht,<br />
ausgeführt durch<br />
den Jüterboger<br />
Maler Martin<br />
Wesslau<br />
Im Sommer 1926 gaben die Firmeninhaber<br />
ein Ölgemälde in Auftrag, das<br />
das Firmenensemble zeigen sollte. Der<br />
Anlass, die Konservenfabrik in Öl malen<br />
zu lassen, war die soeben fertiggestellte<br />
Aufstockung der Produktionsräume.<br />
Zur Firmengründung 1911 wurden die<br />
Räume für die Konservenfabrikation,<br />
die sich links neben dem Wohnhaus am<br />
Oberhag entlang erstrecken, als einstöckiger<br />
Flachbau ausgeführt und 1926<br />
um zwei Etagen aufgestockt, um dem<br />
gewachsenen Produktionsvolumen Rechnung<br />
zu tragen.<br />
Das Wohnhaus rechts konnte 1914 fertiggestellt<br />
und bezogen werden.<br />
1936 wurde das Grundstück Vorstadt<br />
Neumarkt 7, das in Richtung Neumarkttor<br />
hinter der Konservenfabrik liegt, hinzugekauft<br />
und mit weiteren Produktions- und<br />
Verwaltungsräumen bebaut.<br />
26
Die zweite Generation – Meine Eltern Fritz und Hildegard Meyer<br />
DIE ZWEITE GENERATION<br />
MEINE ELTERN<br />
FRITZ UND HILDEGARD MEYER<br />
27
Die zweite Generation – Meine Eltern Fritz und Hildegard Meyer<br />
leicht verzehnfachen. Das Konzept der<br />
Großeltern, nicht durch billige Massenproduktion,<br />
sondern durch die Herstellung<br />
hochwertiger Qualitätskonserven<br />
Geld zu verdienen, war auf der ganzen<br />
Linie aufgegangen.<br />
links:<br />
Die Bilanz für<br />
das Inflationsjahr<br />
1923 weist Beträge<br />
in Milliardenhöhe<br />
aus.<br />
kleine Fotos:<br />
Richtfest und<br />
Bauarbeiten zur<br />
Firmenerweiterung<br />
Zeichnung<br />
rechts:<br />
Situation nach<br />
der Fabrikerweiterung<br />
1936 war mein Vater ein junger Mann von<br />
24 <strong>Jahre</strong>n, der mitten in seiner Ausbildung<br />
stand und seine neu gewonnenen<br />
Kenntnisse natürlich auch im elterlichen<br />
Betrieb anzuwenden suchte. Es war das<br />
Jahr des 25-jährigen Betriebsjubiläums,<br />
welches selbstverständlich feierlich begangen<br />
wurde. Grund genug zum Feiern<br />
gab es allemal.<br />
Weder die schwierigen Bedingungen<br />
während der Kriegszeiten noch die folgende<br />
Wirtschaftskrise hatten das junge<br />
Unternehmen ernsthaft in seinem Bestand<br />
gefährden können. Im Gegenteil:<br />
Mein Großvater bezahlte während der Inflation<br />
seine Schulden mit Papiergeld und<br />
verfügte doch weiterhin über gut gefüllte<br />
Lager. So konnte sich die Bilanzsumme<br />
in den ersten 25 <strong>Jahre</strong>n des Bestehens<br />
Bauliche und technische<br />
Veränderungen seit 1936<br />
<strong>Jütro</strong> Qualitätskonserven wurden immer<br />
beliebter, der Absatz stieg und die kleine<br />
Konservenfabrik stieß schon bald an die<br />
Grenzen ihrer Produktionskapazitäten.<br />
Was lag näher, als der Zukauf des benachbarten<br />
Grundstücks Vorstadt Neumarkt<br />
Nummer 7. Die hinzugewonnene<br />
Fläche von 2.500 Quadratmetern sollte<br />
einem neuen Fabrikgebäude Platz bieten.<br />
Als Erstes entstand an der Straßenfront<br />
ein kleines Bürogebäude mit angrenzender<br />
Rohwarenannahme. Mit dem<br />
neuen Fabrikgebäude veränderte sich<br />
endgültig der Charakter der Konservenproduktion<br />
weg von der handwerklichen<br />
und hin zur industriellen Konservenfertigung.<br />
Am Grundsatz, Qualitätsprodukte<br />
28
Die zweite Generation – Meine Eltern Fritz und Hildegard Meyer<br />
herzustellen, änderte sich jedoch nichts.<br />
Wenn auch aus heutiger Sicht eine<br />
Grundfläche von 35 x 12 Metern für eine<br />
industrielle Fabrikation klein anmutet, war<br />
es doch zur damaligen Zeit ein ansehnliches<br />
Fabrikgebäude, das 65 <strong>Jahre</strong> als<br />
Produktionsstätte genutzt wurde.<br />
Während seines Studiums am Braunschweiger<br />
Konserventechnikum hatte<br />
sich mein Vater intensiv mit den technischen<br />
Möglichkeiten und Entwicklungen<br />
auf dem Gebiet der Konservenherstellung<br />
beschäftigt. Ideen der Linienführung<br />
industrieller Produktion, die aus den<br />
USA überschwappten, machte er sich<br />
schnell zu eigen und verwirklichte sie in<br />
der neuen Produktionshalle. Da ich diese<br />
Produktion von Kindesbeinen auf kenne,<br />
kann ich mich auch heute noch sehr gut<br />
daran erinnern: Im vorderen Teil befand<br />
sich hinter der Rohwarenannahme die<br />
Produkt- und Rohwarenvorbereitung mit<br />
einer Vielzahl von speziellen Verarbeitungsmaschinen,<br />
wie Waschmaschinen,<br />
Putz- und Schneidemaschinen, Passiermaschinen<br />
und auch verschiedenen<br />
29
Die zweite Generation – Meine Eltern Fritz und Hildegard Meyer<br />
Fritz Meyer<br />
während seiner<br />
Ausbildung im<br />
Labor<br />
Entsteinmaschinen für die unterschiedlichsten<br />
Fruchtgrößen. Diese Maschinen<br />
wurden entsprechend des Saisonablaufes<br />
aufgestellt und nach Saisonende<br />
wieder in einen Maschinenschuppen verbracht.<br />
An den Seitenwänden der Halle<br />
standen sechs kupferne Blanchierkessel<br />
mit entsprechender Seilzugbeschickung<br />
und den notwendigen Kühlbecken. Im<br />
hinteren Teil waren die beiden Fülllinien,<br />
bestehend aus zwei Füllplatten und den<br />
Dosenverschließmaschinen angeordnet.<br />
Hier standen auch die doppelwandigen<br />
Kupferkessel für die Herstellung des<br />
Aufgusses.<br />
Die Dosen kamen vom so genannten<br />
Dosenboden über Dosenrinnen zu den<br />
Füllplatten. Der Antrieb sämtlicher Maschinen<br />
erfolgte über Transmissionen, die<br />
mit Elektromotoren arbeiteten. Am Ende<br />
dieser Halle arbeitete eine Batterie von<br />
drei stehenden Autoklaven mit zwei Kühlbehältern,<br />
in denen die Sterilisation und<br />
Pasteurisation der Konserven erfolgte.<br />
Eingestapelt in große Rundkäfige wurden<br />
die Konserven mit Hilfe fahrbarer Untergestelle<br />
zu den Autoklaven transportiert<br />
und dort von einem elektrisch betriebenen<br />
Seilzug in die Autoklaven befördert.<br />
Wuchtige Spindelschrauben verschlossen<br />
das Gerät und der Kochprozess<br />
begann. Im Anschluss daran kamen die<br />
Dosen, die sich noch immer in den Rundkäfigen<br />
befanden, zum Nachkühlen in<br />
Kühlbehälter. Schließlich wurden sie mit<br />
einem Fahrstuhl in das über der Fabrikation<br />
befindliche Lager transportiert, dort<br />
aus den Käfigen entnommen und aufgestapelt.<br />
30
Die zweite Generation – Meine Eltern Fritz und Hildegard Meyer<br />
Technische Veränderungen und Neuentwicklungen<br />
waren in der vergleichsweise<br />
neuen und aufstrebenden Branche der<br />
Konservenindustrie an der Tagesordnung.<br />
Die räumliche Erweiterung des Betriebsgeländes<br />
ermöglichte die Teilhabe<br />
am technischen Fortschritt nun auch in<br />
Jüterbog. Trotz technischen Fortschritts<br />
und erhöhter Leistung blieb der Qualitätsgedanke<br />
oberstes Gebot. Und wenn dies<br />
bei der Herstellung hochwertiger Obstkonserven<br />
und Gemüsespezialitäten nur<br />
mit Handarbeit zu erreichen war, dann<br />
musste es eben bei Handarbeit bleiben.<br />
Marmeladen- und<br />
Konfitüreproduktion<br />
Die alte Fabrik erhielt durch die Umstellung<br />
auf Marmeladen- und Konfitüreproduktion<br />
ein neues Gesicht. In acht<br />
kupfernen Doppelwandkochkesseln<br />
kochten Marmelade und Konfitüre. Das<br />
Obstmark für die Marmeladenherstellung<br />
wurde ausschließlich selbst hergestellt,<br />
in schwefeliger Säure konserviert, in<br />
500-Liter-Holzfässer abgefüllt und gelagert.<br />
Die Pulpe aus ebenso konservierten<br />
Früchten musste zugekauft werden.<br />
Die Konservierung in schwefeliger Säure<br />
war zu dieser Zeit die einzige Möglichkeit<br />
der Haltbarmachung und verlangte sehr<br />
viel Erfahrung und Geschick. Ich habe es<br />
als Kind oft erlebt, dass der Marmeladenkocher<br />
am Wochenende mit dem Spundbohrer<br />
gerannt kam, um ein Fass, das<br />
nicht ausreichend konserviert war, anzubohren<br />
und damit vor dem Zerbersten zu<br />
retten. Für die Lagerung der Fässer war<br />
ein extra Holzschuppen errichtet worden.<br />
<strong>Jütro</strong>-Briefkopf<br />
der 1930er<br />
<strong>Jahre</strong><br />
Das Wohnhaus<br />
(rechts) in den<br />
1930er <strong>Jahre</strong>n<br />
31
Die zweite Generation – Meine Eltern Fritz und Hildegard Meyer<br />
links:<br />
Fritz Meyer,<br />
Autoliebhaber<br />
rechts:<br />
25-jähriges<br />
Firmenjubiläum<br />
1936<br />
Bei der Herstellung der Obsthalbfabrikate<br />
kamen unterschiedliche Passiermaschinen<br />
zum Einsatz. Ein Obstdämpfer der<br />
Firma Herbort war speziell für die Vorbereitung<br />
von Äpfeln und Pflaumen angeschafft<br />
worden und fand in der neuen<br />
Fabrikhalle, wo nun die Konservenproduktion<br />
erfolgte, seinen Platz.<br />
Zwischen Hoffnung und<br />
Verzweiflung – die 1940er <strong>Jahre</strong><br />
Bereits als Heranwachsender und auch<br />
während seiner Ausbildung hatte mein<br />
Vater regelmäßige Aufgaben in der elterlichen<br />
Fabrik zu übernehmen. Dass der<br />
Wohlstand, in dem er aufwuchs, nicht<br />
vom Himmel gefallen war, wusste er und<br />
verstand es doch, ihn zu genießen.<br />
Als ausgesprochen geselligen und<br />
fröhlichen Menschen zog es meinen<br />
Vater nach Feierabend in die Stadt, wo<br />
er sich mit seinen Freunden traf. Recht<br />
bald lernte er meine Mutter, die hübsche<br />
Gast wirtstochter Hildegard Dornbusch,<br />
kennen und heiratete sie 1938. Und die<br />
nächste Generation ließ nicht lange auf<br />
sich warten. Meine Schwestern Bernhild<br />
und Gudrun kamen 1939 und 1942 zur<br />
Welt, und doch wartete besonders die<br />
Großmutter sehnlich auf einen männlichen<br />
Nachkommen. Mit meiner Geburt<br />
im Juli 1944 hatte dieses Warten ein<br />
Ende. Es gab einen Stammhalter! Elf Monate<br />
vorher war mein Großvater Richard<br />
überraschend kurz vor Vollendung seines<br />
60. Lebensjahres verstorben.<br />
Mein Vater, der sich seit 1941 im Felde<br />
befand, wurde daraufhin Ende 1943 vom<br />
Wehrdienst freigestellt, um seine Mutter<br />
im Unternehmen zu unterstützen, wie<br />
er es seit dem Ende seiner Ausbildung<br />
bereits getan hatte.<br />
32
Die zweite Generation – Meine Eltern Fritz und Hildegard Meyer<br />
April 1945 –<br />
Das Kriegsende ohne Männer<br />
Anteile daran besaß, interessierte weder<br />
die Denunzianten noch die einmarschierten<br />
Russen. Als die Gefangenen am 22.<br />
April 1945 ins Gefängnis nach Luckau<br />
gebracht wurden, war mein Vater bereits<br />
nicht mehr dabei. Aller Wahrscheinlichkeit<br />
nach ist er kurz nach seiner Festnahme<br />
auf dem Hof des Amtsgerichtes bei<br />
einem Fluchtversuch erschossen worden.<br />
Wir erfuhren davon nichts. Meine Mutter<br />
erklärte ihren Mann für vermisst, das war<br />
alles, was sie tun konnte. Eine Mauer des<br />
Schweigens umgab noch Jahrzehnte<br />
später die Ereignisse jener Tage auf dem<br />
Fritz Meyer als<br />
Soldat im Feld<br />
Das Chefbüro<br />
der Jüterboger<br />
Konservenfabrik<br />
zum 50. Firmenjubiläum<br />
1961<br />
Kaum eineinhalb <strong>Jahre</strong> blieben meinem<br />
Vater noch mit Frau und Kindern.<br />
Beim Einmarsch der Roten Armee Ende<br />
April wurde er gemeinsamen mit etwa<br />
70 Jüterboger Bürgern im Amtsgericht<br />
der Stadt festgesetzt. Parteifunktionäre,<br />
Nationalsozialisten und eben auch Unternehmer<br />
und Geschäftsleute gerieten<br />
in das Visier der Siegermacht. Dass<br />
mein Vater gar nicht der Eigentümer der<br />
Konservenfabrik war und lediglich einige<br />
33
Die zweite Generation – Meine Eltern Fritz und Hildegard Meyer<br />
Hof des Amtsgerichtes. Aus erbrechtlichen<br />
Gründen mussten wir meinen Vater<br />
nach dem Tod seiner Mutter und meiner<br />
Großmutter 1963 für tot erklären lassen.<br />
Doch erst 1990 offenbarte sich mir eine<br />
unbekannte ältere Dame, die mir vom<br />
Schicksal meines Vaters berichtete.<br />
Meine Mutter, die zum Zeitpunkt seines<br />
Todes eine junge und attraktive Frau gewesen<br />
ist, hat sich später nie wieder gebunden.<br />
Die Großmutter hätte es sicher<br />
nicht gutgeheißen.<br />
Neuanfang nach 1945 – Das<br />
Unternehmen in Frauenhand<br />
Die persönliche Bilanz der Familie Meyer<br />
verzeichnete bei Kriegsende eine geplünderte,<br />
aber weitgehend intakte<br />
Fabrik, zwei Frauen und drei Kinder.<br />
Der Mangel war mit Händen greifbar,<br />
und die einzige Chance von Mutter und<br />
Großmutter bestand darin, die Ärmel<br />
aufzukrempeln und anzupacken. An eine<br />
Konservenherstellung, in welchem Qualitätssegment<br />
auch immer, war vorerst<br />
nicht zu denken. Oberstes Ziel war es,<br />
den Hunger zu stillen. Gekochte Zuckerrübenschnipsel<br />
sollten dabei helfen.<br />
Aus den ersten Früchten konnten bald<br />
auch wieder Konserven gemacht werden.<br />
In Dosen gab es sie aber nicht mehr,<br />
denn in der sowjetischen Besatzungszone<br />
war die Blechdosenherstellung eingestellt<br />
worden, selbst Blechdeckel gab es<br />
in den ersten <strong>Jahre</strong>n nicht. Gemüse und<br />
Früchte kamen nun in Gläser, die sogar<br />
mit Glasdeckeln verschlossen werden<br />
mussten. Schwer zu beschaffen war<br />
beides. Zum Sterilisieren und Pasteurisieren<br />
verschloss man die Glasdeckel mit<br />
einer Metallspange. Später gab es die so<br />
genannten Inkogläser mit einem umgebörtelten<br />
Blechdeckel.<br />
Bis man auch Gläser in der vorhandenen<br />
Dosenschließmaschine sicher verschlie-<br />
34
Die zweite Generation – Meine Eltern Fritz und Hildegard Meyer<br />
ßen konnte, brauchte es ein paar Anläufe.<br />
Das erste Glas flog wie ein Torpedo<br />
durch die Fabrik, weil die Drehzahl nicht<br />
reduziert worden war. Doch nach diesen<br />
anfänglichen Schwierigkeiten kam die<br />
Produktion von Kirsch-, Pflaumen- und<br />
Erdbeerkonserven recht schnell wieder<br />
in Gang. Auch grüne Bohnen wurden<br />
verarbeitet. Zum Entspitzen gab man<br />
sie in Jüterbog an Heimarbeiterinnen.<br />
Beim Entkelchen von Erdbeeren, beim<br />
Kirschenentstielen, beim Entsteinen von<br />
Pfirsichen und bei anderen Arbeiten mehr<br />
halfen die alten Leutchen aus dem benachbarten<br />
Schuricht-Stift, die sich damit<br />
ihre karge Rente aufbesserten. Unsere<br />
Arbeiter verdienten damals zwischen 50<br />
und 60 Pfennigen pro Stunde.<br />
35
Die zweite Generation – Meine Eltern Fritz und Hildegard Meyer<br />
Die Firmenbilanzen 1911-1948<br />
Datum Aktiva Passiva Ergebnis Währung<br />
1. Mai 1911 45.071,18 45.071,18 Eröffnungsbilanz in Mark<br />
30. April 1912 53.655,15 54.886,87 -1.231,72 Mark<br />
30. April 1913 62.828,48 66.122,57 -3.294,09 Mark<br />
30. April 1914 61.251,05 58.754,73 2.496,32 Mark<br />
31. Juli 1919 383.158,48 307.131,21 76.027,27 Mark<br />
31. Juli 1920 359.934,92 336.806,52 23.128,40 Mark<br />
31. Juli 1921 365.686,93 319.472,23 46.214,70 Mark<br />
31. Juli 1922 3.737.514,30 3.295.514,30 442.000,00 Mark<br />
31. Juli 1923 1.265.117.280,23 653.556.980,23 611.560.300,00 Mark<br />
31. Dezember 1923 47.136.217.708,00 991.832,00 47.135.225.876,00 Mark<br />
31. Dezember 1923 80.443,08 80.443,08 Goldmark-Eröffnungsbilanz<br />
31. Juli 1924 91.274,91 94.810,32 -3.535,41 Goldmark<br />
31. Juli 1925 132.455,58 113.955,51 18.500,07 Mark<br />
31. Juli 1926 124.381,43 98.859,19 25.522,24 Reichsmark<br />
31. Juli 1927 145.841,95 123.745,65 22.096,30 Reichsmark<br />
31. Juli 1928 173.177,62 138.699,08 34.478,54 Reichsmark<br />
31. Juli 1929 220.823,23 188.322,32 32.500,91 Reichsmark<br />
31. Juli 1930 238.666,26 185.029,22 53.637,04 Reichsmark<br />
31. Juli 1931 442.385,51 423.534,40 18.851,11 Reichsmark<br />
31. Juli 1932 355.780,48 299.282,37 56.498,11 Reichsmark<br />
31. Juli 1933 345.640,45 272.953,55 72.686,90 Reichsmark<br />
31. Juli 1934 329.348,52 277.493,40 51.855,12 Reichsmark<br />
31. Juli 1935 333.071,18 259.921,49 73.149,69 Reichsmark<br />
31. Juli 1936 428.230,16 354.067,46 74.162,70 Reichsmark<br />
31. Juli 1937 491.226,68 425.990,64 65.236,04 Reichsmark<br />
31. Juli 1938 411.131,83 349.146,72 61.985,11 Reichsmark<br />
31. Juli 1939 443.312,18 333.480,89 109.831,29 Reichsmark<br />
31. Juli 1940 518.021,24 362.148,51 155.872,73 Reichsmark<br />
31. Juli 1941 486.014,01 368.356,13 117.657,88 Reichsmark<br />
31. Juli 1942 479.235,25 358.193,82 121.041,43 Reichsmark<br />
31. Juli 1943 460.168,65 387.819,99 72.348,66 Reichsmark<br />
31. Juli 1944 544.202,98 379.400,78 164.802,20 Reichsmark<br />
31. Juli 1945 763.640,73 516.020,37 247.620,36 Reichsmark<br />
31. Dezember 1946 848.343,25 791.975,50 56.367,75 Reichsmark<br />
31. Dezember 1947 902.702,64 847.484,20 55.218,44 Reichsmark<br />
31. Dezember 1948 788.083,29 691.945,49 96.137,80 D-Mark<br />
36
Die zweite Generation – Meine Eltern Fritz und Hildegard Meyer<br />
Ein dramatischer Frühling<br />
Wenige <strong>Jahre</strong> nach dem Krieg hatte<br />
der Staat versucht, mittels willkürlicher<br />
Buchprüfungen für die <strong>Jahre</strong> seit 1945<br />
Unternehmer zu verunsichern und unter<br />
Haftandrohung zur Aufgabe des Betriebes<br />
und zur Ausreise zu bewegen.<br />
Die Vorwürfe waren in der Regel haltlos<br />
und oft hanebüchen. Fabrikplünderungen,<br />
Kriegsschäden, Verluste an Verpackungsmaterial<br />
und Rohstoffen, wie sie in<br />
den Kriegs- und Nachkriegszeiten an der<br />
Tagesordnung waren, durften nicht geltend<br />
gemacht werden. Buch- und Steuerprüfungen<br />
mussten daher zwangsläufig<br />
Differenzen ergeben. Der Betrugsvorwurf<br />
stand im Raum, und ehe man sich versah,<br />
befand man sich in Haft. Dieses<br />
Vorgehen hatte Methode und zielte auf<br />
die Liquidierung privatwirtschaftlicher<br />
Unternehmen und bäuerlicher Betriebe.<br />
Meine Großmutter, zu dieser Zeit alleinige<br />
Eigentümerin der Firma, entzog sich<br />
als eine der letzten im April 1953 diesen<br />
Nachstellungen durch Flucht nach Westberlin.<br />
In einer Nacht- und Nebelaktion<br />
wurde sie von Freunden nach Potsdam<br />
gebracht. In Jüterbog den Zug zu besteigen,<br />
wäre zu gefährlich gewesen. Am<br />
nächsten Morgen begannen die Hausdurchsuchungen<br />
nicht nur in der Wohnung<br />
der Großmutter und im Firmenbüro,<br />
sondern auch bei unserer Familie. Und<br />
dann verhaftete man meine Mutter. Für<br />
meine Schwestern und mich bereitete<br />
man die Aufnahme in einem Kinderheim<br />
vor, und vermutlich haben wir es nur dem<br />
mutigen und unermüdlichen Einsatz unseres<br />
Onkels Dr. Stiebler zu verdanken,<br />
dass uns dieses Schicksal erspart blieb.<br />
Es gelang ihm, unsere Mutter aus dem<br />
Gefängnis herauszuholen.<br />
Unser Heizer Hermann Lehmann, der<br />
Vorsitzende der Betriebsgewerkschaftsleitung,<br />
war zwischenzeitlich zum Leiter<br />
der Konservenfabrik bestimmt worden,<br />
und bei ihm war die Fabrik in verantwortungsvollen<br />
Händen. Dass wir allerdings<br />
weder die Räume noch den Fabrikhof betreten<br />
durften, hat uns verunsichert und<br />
bedrückt. Zwei Tage nach der Flucht der<br />
Großmutter erfolgten die Räumung ihrer<br />
Wohnung und die Beschlagnahmung der<br />
Einrichtung.<br />
Prokurist Herbert<br />
Fremdling (Mitte)<br />
37
Die zweite Generation – Meine Eltern Fritz und Hildegard Meyer<br />
Der Neue Kurs<br />
Meine Großmutter verfolgte die politische<br />
Entwicklung von Westberlin aus, und als<br />
sie sicher sein konnte, dass keine Gefahr<br />
mehr drohte, kehrte sie als eine der<br />
ersten am 9. Juli 1953 nach Jüterbog<br />
zurück. Es war mein neunter Geburtstag.<br />
Unverzüglich sprach sie beim Vorsitzenden<br />
des Rates des Kreises vor, der<br />
ihr wortreich versprach, den Betrieb<br />
und sämtliche beschlagnahmten Güter<br />
zurückzugeben. „Da können wir gleich<br />
in ihrem Büro anfangen“, sagte meine<br />
Großmutter. Das geschnitzte Herrenzimmer<br />
hatte es dem Vorsitzenden offenbar<br />
angetan. Heute steht es in meinem Haus.<br />
Viele andere Dinge jedoch tauchten nie<br />
wieder auf und sind auf immer verloren.<br />
Diese Enteignung war ein erster schlimmer<br />
Rückschlag. Er traf uns zu einer Zeit,<br />
da Mutter und Großmutter in unermüdlichem<br />
Fleiß die Firma nach dem Krieg<br />
und dem Verlust der Männer wieder auf<br />
die Beine gebracht hatten. Für meine<br />
Großmutter war es keine Frage, zurückzukehren<br />
und weiter zu machen. Viele<br />
andere taten das nicht. Sie blieben im<br />
Westen.<br />
Anfang Juni 1953 kehrte Walter<br />
Ulbricht mit einer SED-Delegation aus<br />
Moskau zurück, wo ihnen die sowjetische<br />
Führung einen „Maßnahmeplan<br />
zur Gesundung des politischen Lebens<br />
in der DDR“ verordnet hatte. Als „Neuer<br />
Kurs“ wurde dieser Plan am 11. Juni<br />
im Parteiorgan „Neues Deutschland“<br />
verkündet. Selbstkritisch nahm man<br />
u.a. die Enteignungen von Privatunternehmen<br />
zurück, und schon wenige<br />
Tage später kehrten die ersten verhafteten<br />
Firmeninhaber heim und erhielten<br />
ihre Unternehmen zurück. Die meisten<br />
blieben aber nicht lange und verließen<br />
mit ihren Angehörigen bald darauf das<br />
Land endgültig Richtung Westen. Die<br />
Normerhöhungen, die der Ministerrat<br />
erst am 28. Mai beschlossen hatte,<br />
waren von den Veränderungen durch<br />
den neuen Kurs nicht betroffen, weil sie<br />
im Maßnahmeplan der Sowjets nicht<br />
vorkamen. Der Unmut unter der Arbeiterschaft<br />
wuchs deswegen weiter an<br />
und führte zu den dramatischen Ereignissen<br />
um den 17. Juni 1953.<br />
38
Die zweite Generation – Meine Eltern Fritz und Hildegard Meyer<br />
Fassgurken für die Rotarmisten<br />
Auch die in der Umgebung von Jüterbog<br />
stationierte russische Armee wollte<br />
versorgt sein. Sauerkraut war gefragt,<br />
aber auch Fassgurken und milchsauer<br />
vergorene grüne Tomaten nahmen die<br />
Rotarmisten sehr gerne ab. Diese neuen<br />
Aufgaben mussten nahezu ausschließlich<br />
mit den vorhandenen technischen Mitteln<br />
in Angriff genommen und gelöst werden.<br />
Die meisten Maschinen, die meine Großeltern<br />
und mein Vater angeschafft hatten,<br />
waren glücklicherweise noch so gut in<br />
Schuss, dass man mit ihnen produzieren<br />
konnte. Nachschub konnte in Braunschweig<br />
nicht mehr bestellt werden,<br />
und es dauerte einige <strong>Jahre</strong>, bis auch in<br />
der DDR eine Maschinenfabrik begann,<br />
Verarbeitungsmaschinen für die Konservenindustrie<br />
herzustellen. Die erste neue<br />
Maschine war eine Kirschen-Entrapp-Maschine,<br />
die Mutter und Großmutter 1959<br />
beim VEB Maschinebau Burg erwarben.<br />
Kirschen und anderes Steinobst konnten<br />
damit maschinell entstielt werden. Ich<br />
war damals schon Lehrling im VEB Elite<br />
Konservenfabrik Gerwisch bei Magdeburg<br />
und verfolgte mit großem Interesse<br />
die Entwicklung im Verarbeitungsmaschinenbau.<br />
Schließlich stand seit meiner<br />
Geburt fest, dass ich den Betrieb einmal<br />
übernehmen würde. Meine Mutter hatte<br />
mich schon im Kinderwagen mit in die<br />
Fabrik genommen, und später war der<br />
Fabrikhof mein Spielplatz. Ich wuchs<br />
quasi zwischen Autoklaven, Entsteinern<br />
und Kochkesseln auf. Und natürlich unter<br />
den wachen und liebevollen Augen der<br />
Arbeiterinnen und Arbeiter, die mir wie<br />
eine große Familie vorkamen.<br />
Mutter und Großmutter waren damals<br />
ebenso wie unser Prokurist Herbert<br />
Fremdling hauptsächlich im Büro, aber<br />
auch in der Produktion „hinten“, wie wir<br />
es nannten, tätig. Die Produktion dominierten<br />
die Frauen, und in einem eigenen<br />
Lastkraftwagen fuhr unser Kraftfahrer<br />
einen Teil der Waren ins Land. Der überwiegende<br />
Teil wurde jedoch von Spediteuren<br />
abgeholt.<br />
Mittagspause<br />
39
Die zweite Generation – Meine Eltern Fritz und Hildegard Meyer<br />
Der Ernst des Lebens beginnt –<br />
Meine Ausbildung<br />
Bernd-Richard<br />
Meyer als<br />
Schüler<br />
Im Sommer 1950 feierte ich meinen<br />
sechsten Geburtstag und wurde bereits<br />
im September eingeschult.<br />
Ich kann nicht sagen, dass mir das Lernen<br />
viel Freude bereitet hätte und auch<br />
meine Lernerfolge waren eher mäßig.<br />
Nach der achten Klasse verließ ich die<br />
Schule und begann meine Lehre in der<br />
VEB Elite Konservenfabrik in Gerwisch<br />
bei Magdeburg. Dass ich diese Richtung<br />
einschlagen würde, stand nicht nur für<br />
die Familie, sondern auch für mich selbst<br />
schon von klein auf fest. Erfolge im Lernen<br />
ließen nun nicht mehr lange auf sich<br />
warten. Das war mein Metier. In zweieinhalb<br />
<strong>Jahre</strong>n durchlief ich eine umfassende<br />
Ausbildung in der Obst- und Gemüseverarbeitung,<br />
die keinen der vielfältigen<br />
handwerklichen und auch technischen<br />
Aspekte dieses Berufes außer Acht ließ.<br />
Allerdings bedeutete diese Lehrzeit auch<br />
eine Trennung von der Familie. Mit 14<br />
<strong>Jahre</strong>n zog ich ins Lehrlingswohnheim<br />
ein, wo außer mir beinahe ausschließlich<br />
Mädchen wohnten. In mancherlei Beziehung<br />
bedeutete dieses Wohnheimleben<br />
selbstverständlich einen Zugewinn an<br />
Freiheit. Gleichwohl bedeutete es neben<br />
dem zeitweiligen Abschied von der<br />
Familie auch, dass man sich mitunter<br />
strengeren Regeln zu unterwerfen hatte,<br />
als das zu Hause der Fall gewesen wäre.<br />
Im Nachhinein war ich dennoch froh, bei<br />
meiner ersten Zigarette vom Heimleiter<br />
und nicht von meiner Großmutter erwischt<br />
worden zu sein.<br />
40
Die zweite Generation – Meine Eltern Fritz und Hildegard Meyer<br />
Studium in Gerwisch<br />
Im Anschluss an meine Facharbeiterausbildung<br />
begann ich 1961 ein Studium an<br />
der Ingenieurschule der Lebensmittelindustrie<br />
Gerwisch in der Fachrichtung<br />
Obst- und Gemüseverarbeitung. Das<br />
Studium dauerte vier <strong>Jahre</strong>, doch für<br />
mich wäre es beinahe schon im Herbst<br />
1961 zu Ende gewesen. Zu offen hatte<br />
ich meine Meinung über den Mauerbau<br />
geäußert. Das war einigen an der Ingenieurschule<br />
wohl nicht lieb gewesen.<br />
Glücklicherweise setzte sich mein Lehrmeister<br />
überzeugend für mich ein, und<br />
ich konnte mein Studium 1964 als Ingenieur<br />
abschließen.<br />
Die Studienzeit in Gerwisch hat mich<br />
nicht nur mit dem nötigen Rüstzeug zur<br />
Leitung einer Konservenfabrik versehen,<br />
diese Zeit bedeutete auch für mein ganz<br />
privates Leben eine Zäsur. Ich lernte hier<br />
meine Frau Angelika kennen, die ebenso<br />
wie ich Lebensmittelingenieurwesen<br />
studierte. Allerdings kam sie, anders als<br />
ich, gar nicht aus diesem Metier. Ihr Vater<br />
war lange <strong>Jahre</strong> Stahlwerkschef in Hennigsdorf<br />
gewesen. Nach einer Fachausbildung<br />
in Lommatzsch war meine Frau<br />
zum Studium delegiert worden, wo wir<br />
uns 1962 trafen.<br />
Im gleichen Jahr hatten meine Großmutter<br />
und meine Mutter einer staatlichen<br />
Beteiligung an unserem Familienunternehmen<br />
zustimmen müssen. 1961<br />
feierten wir noch unser 50-jähriges Betriebsjubiläum.<br />
Bis dahin konnte meine<br />
Großmutter die Aufnahme der staatlichen<br />
Beteiligung erfolgreich hinauszögern.<br />
Nun erwarb der Staat Anteile an der<br />
Firma, sicherte sich damit Einfluss und<br />
ermöglichte gleichzeitig notwendige Investitionen.<br />
Die Konservenfabrik galt nun<br />
als halbstaatlicher Betrieb.<br />
Es versteht sich, dass ich bereits während<br />
meiner Lehrzeit und auch im Studium<br />
stets versuchte, alles, was ich sah<br />
und lernte, gut zu prüfen, um es im elterlichen<br />
Betrieb zur Anwendung zu bringen.<br />
Betriebsausflug<br />
in den Spreewald<br />
1969<br />
41
Die zweite Generation – Meine Eltern Fritz und Hildegard Meyer<br />
Die alte<br />
Stechuhr<br />
sein, sie erleichterten doch die Arbeit.<br />
Die Ablösung des Gabelhubwagens<br />
durch unseren ersten Elektrogabelstapler<br />
war 1968 eine ganz große Sache. Heute<br />
kann man sich das kaum noch vorstellen.<br />
Gerade um diese Zeit begannen sich im<br />
Bereich der Konservenindustrie wichtige<br />
technische Entwicklungen abzuzeichnen.<br />
In meinen zweiwöchigen Semesterferien<br />
baute ich 1962 gemeinsam mit Schmiedemeister<br />
Arno Berger in Jüterbog ein<br />
„modernes“ Füllband. Die Leistungen<br />
dieses Bandes, an dem die Gurken noch<br />
per Hand abgefüllt wurden, waren sehr<br />
passabel. Bis dahin hatten mechanische<br />
Fördermittel in unserer Konservenfabrik<br />
keine Rolle gespielt. Nun war ich ständig<br />
auf der Suche nach Maschinen, die die<br />
Arbeiten effektivieren konnten. Mochten<br />
es auch gebrauchte Anlagen und Geräte<br />
Nach dem Studienabschluss delegierte<br />
mich mein Ausbildungsbetrieb in den<br />
VEB Feinkost Potsdam. Jungingenieure<br />
wurden auf diese Art im Land verteilt<br />
und mussten in der Regel für ein Jahr im<br />
Betrieb verbleiben, um Erfahrungen in<br />
der Praxis zu sammeln. Der VEB Feinkost<br />
war der erste Betrieb der DDR, der sich<br />
mit der Herstellung von Kindernahrung<br />
beschäftigte. Die Entwicklungen hatten<br />
gerade erst begonnen, und schon<br />
aus diesem Grund war die Arbeit dort<br />
überaus interessant. Vom Technologen<br />
wurde ich schnell zum stellvertretenden<br />
Produktionsleiter. Allerdings stand von<br />
Beginn an fest, dass ich nach 12 Monaten<br />
den volkseigenen Betrieb verlassen<br />
würde, um den elterlichen Betrieb zu<br />
übernehmen. Vorher hatte ich aber noch<br />
einer wichtigen Pflicht zu genügen – der<br />
18-monatigen Wehrpflicht. Damit endete<br />
meine Zeit in der Fremde.<br />
42
Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />
DIE DRITTE GENERATION<br />
BERND-RICHARD<br />
UND ANGELIKA MEYER<br />
43
Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />
Mit 22 <strong>Jahre</strong>n<br />
Unternehmenschef<br />
Im November 1966 endlich übernahm ich<br />
die Verantwortung für die Konservenfabrik<br />
meiner Vorfahren. Meine Großmutter<br />
war im Sommer 1962 verstorben. Bis zuletzt<br />
hatte sie in der Fabrik mitgearbeitet.<br />
In der Produktion fühlte sie sich genauso<br />
zu Hause wie bei der Kalkulation im Büro,<br />
und mehr als eine Mittagspause gönnte<br />
sie sich auch im Alter nicht. Resolut und<br />
energisch hatte sie gemeinsam mit meiner<br />
Mutter seit dem Kriegsende all ihre<br />
Schaffenskraft in die Erhaltung der Firma<br />
investiert. Dieses Werk weiterzuführen,<br />
ja zu optimieren, war mein erklärtes Ziel.<br />
Ich war 22 <strong>Jahre</strong> alt, gut ausgebildet und<br />
voller Tatendrang. Unser damaliger Prokurist<br />
Herbert Fremdling, der von 1947 an<br />
beinahe 40 <strong>Jahre</strong> bei uns tätig war, hatte<br />
mich bereits mit dem notwendigen kaufmännischen<br />
Wissen ausgestattet, welches<br />
man durchaus auch im Sozialismus<br />
brauchte, wenn man ein Unternehmen<br />
leiten wollte. Auch mit einer staatlichen<br />
Beteiligung von 33 Prozent waren wir weiterhin<br />
ein privates Unternehmen, das zum<br />
<strong>Jahre</strong>sende einen Gewinn erwirtschaften<br />
wollte. Bei einem Einkommenssteuersystem,<br />
das eine Gewinnversteuerung von<br />
95 Prozent vorsah, war das kein leichtes<br />
Unterfangen.<br />
Gesunde Unternehmensentwicklung<br />
oder Festhalten<br />
an den Grundprinzipien?<br />
Zuerst beschäftigte ich mich mit unserem<br />
Sortiment und prüfte die Leistungen, die<br />
zur Herstellung jedes einzelnen Produktes<br />
notwendig waren, genau. Recht<br />
schnell wurde mir klar, dass eine umfassende<br />
Versorgung mit Lebensmitteln, wie<br />
sie die DDR plante und propagierte, auch<br />
für uns nur unter Aufgabe des hohen<br />
Qualitätsstandards, den die Großmutter<br />
immer vertreten hatte, zu machen war. Es<br />
fiel mir nicht leicht, mit diesem Grundprinzip<br />
meiner Vorfahren zu brechen, doch<br />
im Interesse eines gesunden Unternehmens<br />
war dies die einzig mögliche Entscheidung.<br />
In der Folge vollzogen sich<br />
weitreichende technische Veränderun-<br />
44
Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />
Unsere Konservenproduktion<br />
in den 1960er<br />
<strong>Jahre</strong>n<br />
gen, die durch Kapitalinvestitionen des<br />
Staates finanziert worden sind, aber auch<br />
Investitionskredite konnten aufgenommen<br />
werden. Die alten Maschinen wurden<br />
verschrottet und durch neueste Technik<br />
ersetzt. So konnten die ersten liegenden<br />
Autoklaven angeschafft werden. Rundfüller<br />
ersetzten die aufwändige Handarbeit.<br />
Aufgussgießer und Gläserverschließautomaten<br />
beschleunigten die Produktion in<br />
ganz erheblichem Maße. Doch handelte<br />
es sich bei technischen Veränderungen<br />
nur um die eine Seite der Medaille. Der<br />
Anteil körperlicher Arbeit blieb weiterhin<br />
groß – und diese Arbeit leisteten sowohl<br />
die Beschäftigten als auch ich selbst. Da<br />
durfte es keine Berührungsängste geben.<br />
Be- und Entladearbeiten, Schlosserarbeiten<br />
und die abendlichen Fahrten nach<br />
Werder, um das frische Obst abzuholen,<br />
fielen in meinen Aufgabenbereich. Bis<br />
1968 fuhren wir mit unserem alten Opel<br />
Blitz, den wir dann erst durch einen W50<br />
ersetzten.<br />
Die technische Planung des Unternehmens<br />
wurde bald meine liebste Beschäftigung,<br />
der ich nicht nur einen Teil meiner<br />
Arbeitszeit, sondern auch so manches<br />
Wochenende widmete.<br />
Die Tücken der Personalpolitik<br />
Neben der technischen Erneuerung in<br />
der Produktion beschäftigte ich mich<br />
intensiv mit Personalpolitik. Was nützen<br />
die modernen Maschinen, wenn wir keine<br />
gut ausgebildeten Arbeiter fanden, die<br />
für uns arbeiten wollten. Obwohl wir kein<br />
volkseigener Betrieb waren, hatten wir<br />
uns an staatliche Lohnvorgaben zu halten<br />
und durften unseren Arbeitern nicht mehr<br />
zahlen, als sie in staatlichen Fabriken<br />
verdienten. Da war es oft schwer, geeignete<br />
Leute zu finden. Ungeeignete fanden<br />
sich leichter. Die kamen zu spät oder<br />
betranken sich am Arbeitsplatz. Mehr als<br />
einmal musste ich den Kesselwärter oder<br />
den Betriebsschlosser betrunken nach<br />
Hause schicken und die Arbeiten zusätzlich<br />
selbst übernehmen. Bei aller Euphorie<br />
über die selbständigen Leitung des<br />
Betriebes waren das für mich als jungen<br />
Chef sehr schwierige Situationen.<br />
45
Zum Thema<br />
Die Gurkenverarbeitung im Wandel der Zeit<br />
Die Gurken sind reif<br />
Gurkenernte im sog. Flieger<br />
Verladen des Erntegutes<br />
Gurkenwäsche<br />
Die Geschichte der Einlegegurken<br />
und ihrer Verarbeitung ist lang. In<br />
unsere Region, die Region um den<br />
Spreewald, kamen die eingelegten<br />
Gurken im 19. Jahrhundert. Tuchmacher<br />
aus den Niederlanden<br />
brachten sie mit.<br />
Mit der Entwicklung des Gartenbaus<br />
erhöhte sich auch bei uns<br />
das Aufkommen an Einlegegurken.<br />
Da die Gurke als Frischware sehr<br />
schnell verdirbt, begann man Anfang<br />
des 20. Jahrhunderts mittels<br />
Zugabe von 3- bis 4-prozentigem<br />
Salzwasser, die Gurken in Eichenfässern<br />
milchsauer zu vergären.<br />
Bei einer Kräuterzugabe z.B. von<br />
Dill entstand die so genannte<br />
Salzdillgurke. Die Entwicklung in<br />
der Konservenindustrie ermöglichte<br />
bald die Konservierung von<br />
Einlegegurken in 10-Kilogramm-<br />
Dosen als Salzdillgurke oder auch<br />
mit einem süß-sauren Aufguss.<br />
Im Spreewald, insbesondere in<br />
Lübbenau, praktizierten das schon<br />
in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts<br />
mehr als 25 kleine und<br />
kleinste Betriebe.<br />
Für unser Unternehmen hatte die<br />
Gurkenverarbeitung bis zum Ende<br />
des 2. Weltkrieges keine besondere<br />
Bedeutung. Kaum fünf Kilometer<br />
von Jüterbog entfernt wurden<br />
Spreewälder Gurken im Gut Markendorf<br />
ähnlich wie in Lübbenau<br />
verarbeitet. Erst die sowjetische<br />
Armee verpflichtete uns, Einlegegurken<br />
zu Salzdillgurken und<br />
Weißkohl zu Sauerkraut zu verarbeiten<br />
und grüne Tomaten milchsauer<br />
zu vergären und in Fässern<br />
auszuliefern. Die großen Holzbottiche<br />
dafür waren als Pulpfässer<br />
aus der Marmeladenproduktion in<br />
der Fabrik noch vorhanden. Doch<br />
auch damals schon begannen wir,<br />
Einlegegurken ganz oder in Streifen<br />
mit einer süß-sauren Rezeptur<br />
in Konservengläsern zu konservieren.<br />
Allerdings war der manuelle<br />
Aufwand beim Befüllen der Gläser<br />
sehr hoch, deshalb stellten wir sie<br />
nur in geringer Stückzahl her.<br />
Mein persönliches Interesse an der<br />
Gurkenverarbeitung verdanke ich<br />
der Bekanntschaft mit fünf Spreewäldern,<br />
Söhnen und Töchtern der<br />
Besitzer dieser kleinen Gurkenfabriken<br />
aus Lübbenau. Wir lernten<br />
uns in der Ausbildung kennen und<br />
begannen bald verschiedene Produkte<br />
zu verkosten und Erfahrungen<br />
auszutauschen. Das Ergebnis<br />
war die <strong>Jütro</strong>-Spreewälder-Gurke,<br />
die mit einem eigens für uns kreierten<br />
Aromastoff, einer Zusammensetzung<br />
aus natürlichen Aromen,<br />
verarbeitet wurde.<br />
46
Zum Thema<br />
Manuelles Nachlesen<br />
Noch bis vor etwa 30 <strong>Jahre</strong>n war<br />
die Gurke ein reines Handarbeitsprodukt.<br />
Das sperrige Füllgut<br />
verweigerte sich beinahe jeglicher<br />
maschineller Bearbeitung und<br />
musste von Hand eingefüllt werden.<br />
Zwar konnte die Abfüllung<br />
durch den Einsatz von Transportbändern<br />
und Füllbändern effektiver<br />
gestaltet werden, den Füllprozess<br />
per Hand ersetzten die Bänder<br />
nicht. Erst Ende der siebziger<br />
<strong>Jahre</strong> gelang mit der Entwicklung<br />
der ersten funktionierenden Vibrationsfüllmaschinen<br />
ein entscheidender<br />
Schritt zur Effektivierung<br />
der Gurkenproduktion. Inzwischen<br />
spielt die Gurkenverarbeitung<br />
auch bei uns eine herausragende<br />
Rolle. Nicht weniger als 20 Millionen<br />
Gurkenkonserven verlassen<br />
jährlich den Betrieb.<br />
Große Trucks transportieren seit<br />
der Wende Gurken aus Niederbayern,<br />
dem Oderbruch und dem<br />
Spreewald zu uns nach Jüterbog.<br />
Innerhalb der Saison sind das<br />
120 Tonnen Gurken, die täglich<br />
den Betrieb erreichen. Nach einer<br />
Prüfung der Qualität und Quantität<br />
kommen die Kisten zu je 450 Kilogramm<br />
Gurken zur Waschstrecke,<br />
dort werden sie gründlich eingeweicht<br />
und anschließend in der<br />
Maschinelles Gläserfüllen<br />
Trommelwaschmaschine gereinigt.<br />
Verlesebänder transportieren die<br />
Gurken zu den Hochleistungsfüllern,<br />
die das Einfüllen schnell und<br />
effektiv übernehmen. Auf dem<br />
Nachpackband wird das Gewicht<br />
der einzelnen Gläser nochmals<br />
kontrolliert und die Füllung gegebenenfalls<br />
korrigiert. Mittels Vakuumfüller<br />
wird die Aufgussfüllung<br />
durchgeführt. Die Herstellung des<br />
Aufgusses geschieht natürlich<br />
mit frischen Zutaten und nach<br />
der traditionellen und einmaligen<br />
Rezeptur von <strong>Jütro</strong>. Die Verschlussmaschine<br />
setzt die Deckel<br />
auf die Gläser, die darauf in drei<br />
Pasteurisatoren verschwinden.<br />
Gekühlt kommen sie wieder heraus<br />
und brauchen nur noch ein Etikett,<br />
ehe sie verpackt und automatisch<br />
palettiert werden.<br />
Unser Unternehmen verfügt über<br />
zwei dieser Hochleistungslinien,<br />
die in jeder Schicht <strong>100</strong>.000<br />
Gläser produzieren, und das im<br />
Drei-Schicht-System. Obwohl sich<br />
im Laufe der letzten <strong>Jahre</strong> das<br />
Produktionsprofil der <strong>Jütro</strong> GmbH<br />
& Co. KG Konserven und Feinkost<br />
immer mehr in Richtung Feinkostproduktion<br />
entwickelt hat, bleibt<br />
die Gurkenverarbeitung ein wichtiges<br />
Standbein für die <strong>Jütro</strong>.<br />
Die maschinell gefüllten Gläser<br />
werden von Hand nachgestopft.<br />
Vakuumfüller für den Aufguss<br />
Die Verschlussmaschine setzt<br />
die Deckel auf die Gläser.<br />
Pasteurisiert und nachgekühlt gehen<br />
die Gläser zur Verpackung.<br />
47
Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />
sich der Produktionsausstoß ganz erheblich.<br />
Mit der Ablösung des manuellen<br />
Füllprozesses verdreifachte sich die<br />
Schichtleistung auf 30.000 Gläser. In den<br />
1980er <strong>Jahre</strong>n lieferten wir unsere Gewürzgurken<br />
auch in 10-Liter-Dosen sogar<br />
in den Westen.<br />
Bernd-Richard<br />
Meyer 1968<br />
auf dem ersten<br />
Elektrostapler,<br />
der ins Unternehmen<br />
kam<br />
Jetzt kommen die Gurken<br />
Bei meinem Eintritt in die Firma produzierten<br />
wir jährlich etwa eine Million<br />
Gläser mit Obst- und Gemüsekonserven.<br />
1972 waren es schon über sieben Millionen,<br />
und auch das Sortiment hatte sich<br />
gewandelt. Gurken spielten nun eine<br />
weitaus größere Rolle, als das vorher<br />
der Fall gewesen war. Während meiner<br />
Lehre hatte ich mich mit einigen jungen<br />
Leuten aus Lübbenau angefreundet, die<br />
auch aus der Konservenindustrie kamen<br />
und die schon zu dieser Zeit sehr viele<br />
Gurken verarbeiteten. Wir haben verkostet<br />
und bald darauf die Firma Öhme und<br />
Baier in Leipzig beauftragt, für uns ein<br />
spreewaldtypisches Gurkenaroma zu entwickeln.<br />
Seit etwa 1976 nahm die Produktion<br />
und Verarbeitung von Einlegegurken<br />
einen immer größeren Raum ein, und mit<br />
der Inbetriebnahme des Trommelfüllers<br />
Universa (Fabrikat Herbort) 1979 erhöhte<br />
Nach der Einstellung der Marmeladenund<br />
Konfitürenherstellung im Rahmen der<br />
staatlich vorgegebenen Spezialisierung<br />
der Produktion 1963 konzentrierten wir<br />
uns immer mehr auf die Produktion von<br />
Gemüsesterilkonserven. In den Wintermonaten<br />
konnten durch die Verarbeitung<br />
von Speisemöhren, Roter Beete und Sellerie<br />
die Kapazitäten der vier liegenden<br />
Autoklaven besser ausgelastet werden.<br />
Steigende Anforderungen<br />
verlangen nach neuen<br />
Maschinen und Eigeninitiative<br />
Besonders in den 1970er <strong>Jahre</strong>n entwickelte<br />
sich die Konservenindustrie im<br />
gesamten Land. Die Produkte, die die<br />
Landwirtschaft in großer Zahl lieferte,<br />
mussten für den Winter haltbar gemacht<br />
werden, um eine kontinuierliche Versorgung<br />
der Bevölkerung gewährleisten zu<br />
können. Den immer weiter steigenden<br />
48
Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />
Anforderungen konnten wir nur durch<br />
den Einsatz neuer Maschinen und Geräte<br />
gerecht werden, und gleichzeitig galt es,<br />
Lagerkapazitäten zu erweitern. Natürlich<br />
kamen auch die Bedürfnisse der Arbeiter<br />
und Arbeiterinnen nicht zu kurz. Bereits<br />
1968 entstanden in den Wintermonaten<br />
neue Sozialräume im Obergeschoss des<br />
alten Fabrikgebäudes. 1970 erfolgte<br />
die Umstellung der Dampfkesselanlage<br />
auf Ölfeuerung. Ohne die Hilfe meines<br />
Schwiegervaters, der Stahlwerkschef in<br />
Hennigsdorf war, wäre dieser Umbau<br />
sicher nicht so schnell realisierbar gewesen.<br />
Mit der Erweiterung unserer Autoklavenkapazitäten<br />
und mit der Anschaffung<br />
einer neuen Gläserwaschmaschine erhöhte<br />
sich unser Dampfbedarf erheblich.<br />
Glücklicherweise hatte ich gute Kontakte<br />
zu Maschinenbaubetrieben in Sachsen<br />
und Thüringen, die sich ebenfalls in privater<br />
Hand befanden. Es verstand sich,<br />
dass man sich gegenseitig half. Unseren<br />
modernen 3,2-Tonnen-Dreizugkessel<br />
kauften wir also bei der Firma Gebr.<br />
Weißbach in Karl-Marx-Stadt. Dieser<br />
Ankauf bedeutete für die Konservenfabrik<br />
einen beträchtlichen technischen Fortschritt.<br />
Der Kessel konnte mit Öl befeuert<br />
werden, musste aber bereits nach vier<br />
<strong>Jahre</strong>n wegen einer Materialdoppelung<br />
im Flammenrohr aufgegeben und ausgewechselt<br />
werden. Der Zeitpunkt des Ausfalls<br />
war denkbar ungünstig. Ganz kurz<br />
vor Beginn der Saison 1975 hatten wir<br />
nur zwei Monate Zeit, Ersatz zu beschaffen.<br />
Nun war guter Rat teuer. Zufällig<br />
stand – nicht unüblich für DDR-Verhältnisse<br />
– ein 5-Tonnen-Dreizugkessel in der<br />
Nähe von Gera bei einer Spedition herum.<br />
Dieser kam nun bei uns zum Einsatz.<br />
In den <strong>Jahre</strong>n 1971 und 1972 erfolgt der<br />
Umbau des ehemaligen Fass-Schuppens<br />
hinter der neuen Fabrik. Wir brauchten<br />
ihn dringend als Produktionsraum. Ausgestattet<br />
mit zwei weiteren Autoklaven,<br />
einer großen Gläserwaschmaschine MGB<br />
30, einem Lagerraum und den Anlagen<br />
zur Etikettierung war auch hier die Produktion<br />
möglich.<br />
Prokurist Herbert<br />
Fremdling beim<br />
tatkräftigen Einsatz<br />
außerhalb<br />
seines Kontors<br />
49
Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />
Die dringend notwendige Erweiterung<br />
der Lagerkapazitäten scheiterte an den<br />
knappen Baubilanzen. Andere Projekte<br />
konnten nur in so genannter Eigeninitiative<br />
in enger Zusammenarbeit mit<br />
Schlossern, Maurern und Schweißern<br />
realisiert werden. Gewerkelt wurde nach<br />
Feierabend und an den Wochenenden.<br />
Der Lohn für die zügige technische Erneuerung<br />
der Fabrik war eine Steigerung<br />
unseres Produktionsausstoßes von einer<br />
Million Einheiten 1966 auf sieben Millionen<br />
im Jahr 1972.<br />
Der Möhrenstützpunkt<br />
in Frankenförde<br />
Möglich war eine derartige Produktionserhöhung<br />
nur durch eine ausgesprochen<br />
enge Zusammenarbeit mit den Erzeugern<br />
in den landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften<br />
(LPG). Unsere Speisemöhren<br />
bezogen wir aus dem bekannten<br />
Möhrenanbaugebiet Luckenwalde und intensivierten<br />
die Zusammenarbeit mit den<br />
<strong>Jahre</strong>n immer weiter. Gemeinsam bauten<br />
wir bei der LPG Frankenförde einen<br />
Möhrenstützpunkt auf. Hier konnten in<br />
den Wintermonaten die Möhren geputzt<br />
werden. Küchenfertig landeten sie dann<br />
bei uns, wo sie zu Gemüsemischungen<br />
verarbeitet wurden. Die Verlagerung der<br />
manuellen Arbeit bedeutete für uns einen<br />
großen Kapazitätszuwachs. In Jüterbog<br />
mussten die blanchierten und gewürfelten<br />
Karotten nur noch mit Erbsen und<br />
Blumenkohl, die wir tiefgekühlt oder auch<br />
getrocknet erhielten, zusammengefügt<br />
und abgefüllt werden.<br />
Widerstand zwecklos –<br />
Die Enteignung 1972<br />
Die überaus günstige Entwicklung unseres<br />
Unternehmens seit Mitte der 1960er<br />
<strong>Jahre</strong> erfüllte mich als jungen Chef mit<br />
Stolz. Konnte ich doch das, was ich in<br />
Ausbildung und Studium gelernt hatte,<br />
zum Nutzen des Familienbetriebes einsetzen.<br />
Doch zogen bald schon dunkle<br />
Wolken auf. Es wurde von Zwangsverstaatlichungen<br />
gesprochen, mit denen<br />
die Regierung in den Besitz von über<br />
15.000 privaten und halbstaatlichen<br />
50
Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />
Betrieben kommen wollte. Bereits im Februar<br />
1972 sprach man auf dem Parteitag<br />
der LDPD, der ich damals angehörte, von<br />
diesen Plänen. Etliche Privatunternehmer<br />
aus Sachsen und auch aus Thüringen,<br />
die schon mit einer relativ hohen staatlichen<br />
Beteiligung von bis zu 95 Prozent<br />
arbeiteten, verpflichteten sich anlässlich<br />
dieses Parteitages, ihre Firmen an den<br />
Staat zu verkaufen. Man kann sich die<br />
Aufregung vorstellen, die dieses Ansinnen<br />
auslöste. Mir selbst und vielen anderen<br />
wäre es nie in den Sinn gekommen,<br />
ein eben flott gemachtes Unternehmen<br />
ohne Not dem Staat zu übertragen.<br />
Gerade in der Konservenindustrie gab es<br />
eine Vielzahl kleiner und kleinerer Betriebe,<br />
die noch in privater Hand waren. Wir<br />
kannten uns alle gut und fragten uns gegenseitig:<br />
„Waren sie schon bei dir?“ Mit<br />
Gleichgesinnten traf ich mich heimlich,<br />
und wir tauschten unsere Erfahrungen<br />
und Gedanken aus, denn mehr als abwarten<br />
konnte man nicht. Was hätte ich<br />
auch tun sollen? Mein Sohn Michael war<br />
noch nicht einmal zwei <strong>Jahre</strong> alt. Sollte<br />
LDPD<br />
Liberal-Demokratische Partei Deutschlands, 1945<br />
in der DDR gegründet und 1990 in der gesamtdeutschen<br />
FDP aufgegangen<br />
ich über die Mauer springen und mich erschießen<br />
lassen? Wie hätte ich das Werk<br />
meiner Vorfahren im Stich lassen können?<br />
Anfang April 1972 war es dann soweit.<br />
Herr Semmler, der Abteilungsleiter<br />
Handel und Versorgung des Rates des<br />
Kreises, Herr Teuergarten, Vorstandsvorsitzender<br />
der Konsumgenossenschaft<br />
Jüterbog, und der Wirtschaftssekretär der<br />
SED-Kreisleitung erschienen in meinem<br />
Büro. Sie schlugen mir, wie erwartet, vor,<br />
unser Unternehmen zum Buchwert an<br />
den Staat zu verkaufen. Ich wusste, dass<br />
es kein Entrinnen geben würde und erbat<br />
mir Bedenkzeit, die mir gewährt wurde.<br />
Die Aussichtslosigkeit, die großelterliche<br />
Firma der Familie und meinem Sohn zu<br />
bewahren, hat mir heftig zugesetzt. Ich<br />
musste mich den Zwangsverhandlungen<br />
beugen, und vom 1. Mai 1972 an hieß es<br />
51
Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />
auf dem Firmenschild „VEB Jüterboger<br />
Konservenfabrik“. Ein weiterer juristisch<br />
und wirtschaftlich selbständiger volkseigener<br />
Betrieb war entstanden. Und ich<br />
war der Direktor.<br />
Ich bleibe!<br />
Hier war mein Platz. Es war und blieb<br />
doch meine Aufgabe, für unsere Firma<br />
und ihr Bestehen zu arbeiten. Wie hätte<br />
ich zuschauen sollen, wenn fremde<br />
Leute in Großvaters Fabrik wirkten und<br />
über kurz oder lang das Lebenswerk<br />
meiner Vorfahren und auch das meinige<br />
in Scherben ging? In meiner Umgebung<br />
sah ich zu viele Beispiele dafür. Fabrikbesitzer<br />
in der Generation meines Vaters zogen<br />
sich verbittert zurück und versäumten<br />
es gleichzeitig, ihren Nachkommen<br />
Mut zu machen, die Firma nicht im Stich<br />
zu lassen. Ich selbst gehörte zu der Generation,<br />
die sich an die Spielregeln des<br />
Systems hatte gewöhnen müssen und<br />
auch können. Wie wollte ich mit meinen<br />
30 <strong>Jahre</strong>n die gestandenen Unternehmer<br />
umstimmen? Die meisten von ihnen lehnten<br />
das gesamte System des Sozialismus<br />
vehement ab. Wie hätten sie sich einbringen<br />
sollen? Auch meine Mutter hat die<br />
Verstaatlichung des Betriebes selbstverständlich<br />
schwer getroffen. „Ich gehe hier<br />
raus. Ich gehe ‚nach hinten‘ in die Fabrik,<br />
arbeiten“.<br />
Für mich blieb die Firma in den nächsten<br />
18 <strong>Jahre</strong>n dennoch meine eigene. Es<br />
gelang mir nicht, sie mir aus dem Herzen<br />
zu reißen und es nötigte mich auch keiner<br />
dazu. Mein gesammeltes Wissen, alle<br />
meine Kenntnisse habe ich für eine stabile<br />
Entwicklung der <strong>Jütro</strong> eingesetzt. Dafür<br />
musste ich mich anpassen. Es gelang<br />
mir, ein gutes menschliches Verhältnis zu<br />
den Entscheidungsträgern beim Rat des<br />
Kreises und anderen Stellen aufzubauen.<br />
Eine andere Möglichkeit gab es gar nicht.<br />
Ich hatte Familie und Verantwortung. Ich<br />
hatte eine gesicherte materielle Existenz<br />
und dachte nicht daran, sie aufzugeben.<br />
Man konnte sich anpassen, ohne ein<br />
Kratzer zu sein. Ich habe das versucht.<br />
52
Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />
Das Ministerium für Staatssicherheit<br />
nimmt Fühlung auf<br />
Kaum ein Jahr nach der Enteignung<br />
des Betriebes und meiner Einsetzung<br />
als Direktor des volkseigenen Betriebes<br />
erschien ein Mitarbeiter des Ministeriums<br />
für Staatssicherheit in meinem Büro,<br />
um mich anzuwerben. Ich war Mitglied<br />
der LDPD, Kreistagsabgeordneter und<br />
politisch interessiert. Auch meine engen<br />
verwandtschaftlichen Kontakte in die<br />
Bundesrepublik schienen mich für das<br />
Ministerium interessant zu machen. Für<br />
mich selbst stand eine Zusammenarbeit<br />
mit dem Geheimdienst jenseits des Denkbaren.<br />
Die Schwierigkeit bestand darin,<br />
dies dem Mitarbeiter in einer Form zu verdeutlichen,<br />
die meinen Stuhl als Betriebsdirektor<br />
nicht wanken ließ. Immer wieder<br />
warb und insistierte er und endlich, es<br />
war Juni 1973 geworden, legte er mir die<br />
Verpflichtungserklärung zur Unterschrift<br />
vor. Meine Frage nach einer Durchschrift<br />
verneinte er. Worauf ich erwiderte: „Ich<br />
bin Kaufmann, und ich bin es gewöhnt,<br />
immer einen Beleg für meine Handlungen<br />
zurückzubehalten. Unter diesen Umständen<br />
kann ich nicht unterschreiben.“<br />
Der Mitarbeiter legte das Papier in seine<br />
Mappe und kam nie wieder. Wenn ich<br />
vorher gewusst hätte, dass es so einfach<br />
sein kann. Wie viele schlaflose Nächte<br />
hätte ich mir in diesem Frühling erspart.<br />
Investitionen<br />
der neuen Eigentümer<br />
Nach der Enteignung der letzten privaten<br />
Betriebe in der DDR zeigten sich mehr<br />
und mehr Versorgungslücken, die die<br />
volkseigene Wirtschaft nicht zu schließen<br />
vermochte. Die Regierung musste handeln.<br />
Allein mit der erweiterten Einführung<br />
der Schichtarbeit oder mit dem Umsetzen<br />
von Arbeitern aus andern Betrieben war<br />
es jedoch nicht getan. Grundsätzliches<br />
Umdenken tat Not, und Investitionen<br />
konnten nicht ausbleiben.<br />
Besonders seit Mitte der 1970er <strong>Jahre</strong><br />
entwickelte sich die Konservenindustrie<br />
der DDR spürbar weiter. Jahrzehntelang<br />
galt es als ausgemacht, dass die Obst-<br />
53
Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />
und Gemüsekonserven, die innerhalb<br />
des RGW durch Bulgarien, Ungarn,<br />
Rumänien und andere Länder bereitgestellt<br />
wurden, für den Bedarf der DDR<br />
ausreichten. Diese Einschätzung ging,<br />
wie manch andere auch, an der Lebenswirklichkeit<br />
der DDR-Bürger vorbei.<br />
RGW<br />
Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe: Internationale<br />
Wirtschaftsorganisation sozialistischer Staaten, 1949<br />
in Moskau als Gegenstück zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft<br />
(EWG) gegründet.<br />
Nun redete man von stabiler Eigenversorgung,<br />
und plötzlich gab es für die Konservenindustrie<br />
Maschinen und Anlagen<br />
auch aus dem westlichen Ausland. Ein<br />
moderner Pasteurisator, Fabrikat Jedinstro,<br />
der 1976 aus Jugoslawien kam,<br />
versetzte uns in die Lage, den diskontinuierlichen<br />
Produktionsablauf der Sterilisation<br />
oder Pasteurisation im Autoklaven<br />
weitestgehend aufzugeben und uns auf<br />
pasteurisierte Produkte zu spezialisieren.<br />
Lediglich für die Herstellung unserer Pilzund<br />
Spargelkonserven wurden weiterhin<br />
die Autoklaven benutzt.<br />
Auch hinsichtlich der verarbeiteten Rohstoffe<br />
gab es Veränderungen. Unser<br />
Hauptaugenmerk lag nun auf Erdbeeren,<br />
Gurken, Rotkohl und Apfelmus. In Mengen<br />
lief letzterer bei uns vom Band. Auch<br />
Süß- und Sauerkirschen machten einen<br />
großen Teil unseres Produktionsvolumens<br />
aus. Zwei Entsteinmaschinen der schweizerischen<br />
Firma Ferrum waren eigens für<br />
uns angeschafft worden. Die Wege, über<br />
die dies geschah, waren für uns schwer<br />
durchschaubar. Fakt ist, dass der permanente<br />
Devisenmangel der DDR oft eine<br />
bare Bezahlung der so dringend notwendigen<br />
Maschinen, für welchen Industriezweig<br />
auch immer, verhinderte. Mittelalterlicher<br />
Tauschhandel konnte in solchen<br />
Fällen weiterhelfen. Maschinen gegen<br />
Konserven – das war für beide Seiten ein<br />
gutes Geschäft.<br />
54
Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />
Die Jüterboger Konservenfabrik<br />
als volkseigener Betrieb<br />
in den 1970er und 1980er <strong>Jahre</strong>n<br />
Die rasante technische Entwicklung,<br />
die die <strong>Jütro</strong> in den 1970er und 1980er<br />
<strong>Jahre</strong>n erlebte, zeigte sich auch daran,<br />
dass wir eines der ersten Unternehmen<br />
waren, das auf den modernen westlichen<br />
Twist-off-Verschluss umrüstete.<br />
Auch eine hochmoderne französische<br />
Spargelschälmaschine kam bei uns zum<br />
Einsatz, und es machte mich trotz allem<br />
stolz und glücklich, an diesem Fortschritt<br />
teilzuhaben. Es blieb unser Betrieb, und<br />
er entwickelte sich. Wir waren mit modernen<br />
Maschinen ausgerüstet, und unsere<br />
Produkte wurden von den Verbrauchern<br />
geschätzt. Den Grundstein dafür hatten<br />
meine Großeltern gelegt, und ich selbst<br />
arbeitete täglich dafür. Wie hätte ich über<br />
diese Entwicklung, auch angesichts der<br />
Umstände, nicht froh sein können. Sogar<br />
den großelterlichen Qualitätsansprüchen<br />
konnte, wenn auch nur teilweise, wieder<br />
Genüge getan werden. Unsere Produkte<br />
für den Export, und natürlich auch die für<br />
den delikat-Handel, trugen zu Recht den<br />
Titel Qualitätskonserven.<br />
Die Initiative der Regierung zur Förderung<br />
des Anbaus von Obst und Gemüse,<br />
wie sie um die Mitte der 1970er <strong>Jahre</strong><br />
ins Leben gerufen worden war, trug im<br />
wahrsten Sinne des Wortes bald reiche<br />
Früchte, die es in der Konservenindustrie<br />
zu verarbeiten galt. Arbeitskräfte aus<br />
anderen Industriezweigen wurden uns<br />
zugewiesen, zweischichtiges Arbeiten<br />
und sogar die Arbeit in drei Schichten<br />
waren notwendig. Und natürlich wurden,<br />
außer den Artikeln für Export und delikat,<br />
alle unsere Produkte subventioniert. Ein<br />
Glas Erdbeeren, das wir für 8,59 Mark<br />
herstellten, ging für 2,57 Mark an den<br />
Großhandel. Wir erhielten 6,02 Mark an<br />
Subventionen dafür.<br />
Glücklicherweise mussten wir unter den<br />
Bedingungen der volkseigenen Wirtschaft<br />
die Lagerflächen für die großen<br />
Konservenmengen, die wir täglich produzierten,<br />
nicht mehr selbst vorhalten. Das<br />
tat nun der staatlich organisierte Handel,<br />
55
Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />
Neue Maschinen,<br />
neue Herausforderungen<br />
Blick ins Konservenlager<br />
am<br />
alten Standort<br />
Vorstadt Neumarkt<br />
im Jahr<br />
1985<br />
Fabrikgebäude<br />
mit neuem<br />
Anstrich 1990<br />
der verpflichtet war, sämtliche Produkte<br />
bei den Erzeugern abzunehmen. Konserven<br />
für den Export allerdings mussten wir<br />
selbst einlagern, bis die Verhandlungen<br />
abgeschlossen waren und unsere Dosen<br />
ins Ausland transportiert wurden. Noch<br />
1985/86 war dafür eine neue Lagerhalle<br />
von ca. 900 Quadratmetern gebaut<br />
worden. Auch ein 10 Meter langer Anbau<br />
an das Fabrikgebäude war notwendig<br />
geworden.<br />
Die alten Fabrikgebäude, die mein Großvater<br />
hatte errichten lassen, waren inzwischen<br />
unansehnlich geworden, hätten frischen<br />
Putz und frische Farbe gebraucht.<br />
Am Finanziellen mangelte es nicht, doch<br />
die Baukapazitäten des Kreises reichten<br />
dafür in all den <strong>Jahre</strong>n nicht aus. Erst<br />
zu Beginn der 1990er <strong>Jahre</strong>, als private<br />
Baufirmen ihre Leistungen anzubieten<br />
begannen, erhielten die Gebäude einen<br />
neuen pastellfarbenen Anstrich.<br />
Besonders in den 1980er <strong>Jahre</strong>n konnte<br />
eine Reihe hochmoderner Anlagen<br />
aus dem westlichen Ausland in Betrieb<br />
genommen werden, die mein technikbegeistertes<br />
Herz so manches Mal höher<br />
schlagen ließen. Natürlich lief nicht immer<br />
alles glatt, aber gerade diese Herausforderungen<br />
machten die Arbeit spannend,<br />
wenn sie auch nicht immer gelöst<br />
werden konnten. Beispielsweise wollte<br />
die erwähnte französische Spargelschälmaschine,<br />
in die wir große Hoffnungen<br />
gesetzt hatten, in keiner Weise mit dem<br />
56
Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />
Spargel aus der landwirtschaftlichen<br />
Produktionsgenossenschaft harmonieren.<br />
Was wir auch unternahmen, Maschine<br />
und Rohware fanden nicht zueinander.<br />
Hunderttausende französische Spargelgläser<br />
blieben ungefüllt, und ich hatte<br />
etliche schlaflose Nächte. Letztendlich<br />
schälten wir den Spargel eben wieder<br />
von Hand. Das hatte unseren Arbeiterinnen<br />
noch nie Probleme bereitet. Die amerikanische<br />
Apfelschälmaschine „Atlas<br />
Pacific“ hatte dagegen überhaupt keine<br />
Probleme mit den genossenschaftlichen<br />
Äpfeln. Die mit ihrer Hilfe in den Wintermonaten<br />
geschälten Äpfel kamen als<br />
Konserven oder auch als Apfelmus in die<br />
Geschäfte. Gerade die Apfelmusproduktion<br />
erfuhr eine umfassende Modernisierung<br />
durch den Einsatz von Apfeldämpfern,<br />
modernen Abfülltechniken und einer<br />
vollautomatischen Dosenverschlussmaschine.<br />
1986 gelang es uns, einen neuen<br />
Pasteurisator Fabrikat niko und eine<br />
Krones-Etikettiermaschine anzuschaffen.<br />
Mit der Übernahme von Exportaufträgen<br />
erhielten wir modernste Verarbeitungsmaschinen<br />
aus dem westlichen Ausland,<br />
dem so genannten NSW (nichtsozialistisches<br />
Wirtschaftsgebiet). Aus diesem<br />
Grund erklärte ich mich Ende der 1970er<br />
<strong>Jahre</strong> bereit, Apfelmus und Gurkenerzeugnisse<br />
für den westdeutschen und<br />
niederländischen Markt zu fertigen.<br />
Besonders unser Apfelmus aus dem<br />
heimischen „Gelben Köstlichen“ war<br />
auf dem internationalen Markt nicht nur<br />
qualitativ, sondern auch preislich ohne<br />
jede Konkurrenz. Zwischen 800.000 und<br />
1.000.000 Dosen zu fünf Kilogramm gingen<br />
jährlich in den Westen. Verpackung<br />
und Etiketten stellten die Handelspartner<br />
bereit, und später fuhren die großen<br />
Lastwagen aus der Bundesrepublik auf<br />
unserem winzigen Fabrikhof vor, wo unter<br />
den wachsamen Augen des Zolls und<br />
des Ministeriums für Staatssicherheit die<br />
Paletten verladen wurden.<br />
Unsere Apfelmusproduktion<br />
Ende der<br />
1980er <strong>Jahre</strong><br />
57
Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />
Auch unsere Gurkenerzeugnisse in<br />
Dosen zu zehn Kilogramm waren auf<br />
dem westeuropäischen Markt sehr gefragt.<br />
Die erwirtschafteten Valutamittel<br />
flossen selbstverständlich nicht direkt in<br />
unseren Betrieb, erst im Spätherbst 1989<br />
erhielten wir ein eigenes Valuta-Konto.<br />
Über die Anschaffung moderner und<br />
hochleistungsfähiger Maschinen durch<br />
das Kombinat profitierten wir aber doch<br />
davon. Ähnlich verhielt es sich mit unserer<br />
Produktion für das delikat-Programm.<br />
Relish-Produkte (würzige Soßen aus Gemüsestückchen),<br />
Ketchup und auch eine<br />
Apfel-Sahne-Creme mit Mandeln stellten<br />
wir dafür her.<br />
Anfang der 1980er <strong>Jahre</strong> war es mit den<br />
günstigen Öllieferungen aus der Sowjetunion<br />
vorbei, die die DDR bis dahin zu<br />
einem beträchtlichen Teil in Naturalien<br />
bezahlt hatte. Im Rahmen der so genannten<br />
Ölablösung kam nun wieder die<br />
Braunkohle ins Spiel. Die Umgestaltung<br />
des Kesselhauses war in all den <strong>Jahre</strong>n<br />
nicht nur ein wiederkehrendes organisatorisches<br />
Problem, sondern stellte auch<br />
die Transportunternehmen, die die Kessel<br />
anlieferten, vor enorme Herausforderungen.<br />
Mit Tiefladern befuhren sie unseren<br />
engen Fabrikhof und mussten die Dampfkessel<br />
auf den Millimeter genau an ihren<br />
Platz verbringen.<br />
delikat<br />
Schaufenster<br />
eines delikat-<br />
Ladens<br />
1976 öffneten die ersten delikat-Läden, die vor allem<br />
Nahrungs- und Genussmittel anboten. Zum Sortiment<br />
gehörten Importwaren wie Südfrüchte und Kakao,<br />
hochwertige Erzeugnisse der heimischen Wirtschaft<br />
(Exportartikel) wie Pralinen oder Gebäckmischungen<br />
und einige Westprodukte, die oft in der DDR hergestellt<br />
wurden (Gestattungsproduktion). Die Preise<br />
waren überdurchschnittlich hoch.<br />
58
Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />
Wir hatten das Glück, die Befeuerung<br />
unseres Kesselhauses auf Stadtgas umstellen<br />
zu können. Da sich unser Unternehmen<br />
unmittelbar im Wohngebiet und<br />
in der Nähe des Krankenhauses befand,<br />
war das die bessere Lösung. So blieb es<br />
bis 2001/2002, bis zum Umzug der Firma<br />
ins Gewerbegebiet Luckenwalder Berg.<br />
Genugtuung und Gelassenheit<br />
Natürlich agierte und reagierte man in<br />
einem volkseigenen Betrieb in der DDR<br />
damals anders, aber die kontinuierliche<br />
Entwicklung des großväterlichen Unternehmens<br />
hat mich auch nach der Enteignung<br />
immer stolz gemacht. Wenn ich<br />
sah, wie positiv sich das Unternehmen<br />
entwickelte, erfüllte mich das doch mit<br />
einer gewissen Genugtuung, die mich<br />
manche Dinge gelassener betrachten<br />
ließ. Das System, in dem ich mit meiner<br />
Familie lebte und in dem ich die von der<br />
Großmutter übernommene Firma leitete,<br />
war fast immer nur eine Nebensache.<br />
Lange Zeit konnte ich sogar die Etablierung<br />
einer Parteigruppe der SED in der<br />
Konservenfabrik verhindern. 1982 waren<br />
jedoch alle Argumente ausgereizt.<br />
Als Mitglied der LDPD war ich Abgeordneter<br />
im Kreistag und habe in diesem<br />
Gremium versucht, mich für liberale<br />
Ideen stark zu machen. Allerdings genoss<br />
ich dort auch immer eine gewisse<br />
Narrenfreiheit. Jeder wusste, dass meinem<br />
Vater und unserer Familie damals<br />
mit dem Einmarsch der Roten Armee<br />
Schlimmes widerfahren war, und keiner<br />
wäre beispielsweise je auf den Gedanken<br />
gekommen, mich zur Teilnahme an den<br />
obligatorischen Kranzniederlegungen für<br />
gefallene sowjetische Soldaten aufzufordern.<br />
Deutsch-Sowjetische Freundschaft<br />
war mit mir nicht zu machen.<br />
Meine Frau hat mich in diesen <strong>Jahre</strong>n<br />
besonders unterstützt und mir immer den<br />
Rücken gestärkt, dem Familienunternehmen<br />
treu zu bleiben. Nachdem der<br />
VEB Fruchtsaftbetrieb in Werder gebaut<br />
worden war, übernahm dort der Betriebsdirektor<br />
des VEB Havelland Beelitz die<br />
Verantwortung. Mir bot man die Stelle in<br />
59
Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />
Silhouette von<br />
Jüterbog<br />
Beelitz an. Meine Frau war damals die<br />
einzige, die sagte: „Bleib hier! Wenn du<br />
deinen Betrieb verlässt, dann verlierst<br />
du ihn!“ Bis zu ihrem altersbedingten<br />
Ausscheiden 2007 war sie über 40 <strong>Jahre</strong><br />
hinweg meine wichtigste Stütze im Unternehmen.<br />
Heute werde ich oft gefragt, wie wir die<br />
Zeit in der DDR überstanden haben. Ich<br />
sage dann immer: „Es war gar nicht so<br />
schlimm, wie Außenstehende sich das<br />
denken. Es war ein langer Abschnitt<br />
meines Lebens, aber doch nur ein Teil<br />
davon!“ Meine Vorfahren haben schlimmere<br />
und schwierigere Zeiten durchleben<br />
müssen.<br />
Chance und Katastrophe<br />
Meine schwersten <strong>Jahre</strong> in beruflicher<br />
wie auch in persönlicher Hinsicht kamen<br />
erst nach der Wende und begannen mit<br />
der Rückübertragung meines Betriebes.<br />
Das war einerseits ein beinahe unwirkliches,<br />
glückliches Ereignis, auf der anderen<br />
Seite aber auch die größte berufliche<br />
Herausforderung, deren Tragweite ich in<br />
Hinblick auf das Fortbestehen unseres<br />
Familienunternehmens zuerst unterschätzte.<br />
Den Wendeherbst 1989 verbrachte ich<br />
fern der Fabrik in Templin zu einer prophylaktischen<br />
Kur. Ich befand mich also<br />
nahe an der Grenze zu Mecklenburg, wo<br />
Veränderungen bekanntlich erst <strong>Jahre</strong><br />
später ankommen, doch die Zeichen<br />
der Wende waren selbst in dem großen<br />
Kurheim des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes<br />
(FDGB) nicht zu übersehen.<br />
Täglich verschwanden weitere Portraits<br />
von Größen der Partei- und Staatsführung<br />
von den Wänden der langen Flure.<br />
Ich selbst hatte Zeit und Muße genug,<br />
die Veränderungen zu beobachten und<br />
zu analysieren. Es versteht sich, dass<br />
mich eine Frage am allermeisten umtrieb:<br />
„Wie kriegst du jetzt dein Unternehmen<br />
zurück?“ Dass sich an den bestehenden<br />
Eigentumsverhältnissen etwas ändern<br />
würde, war mir sofort klar. Nun kam eine<br />
60
Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />
bessere Zeit. In meinem kleinen Zimmer<br />
schrieb ich Konzepte und reiste mit<br />
einem Stapel Papier und dem Kopf voller<br />
Ideen Mitte November wieder ins heimische<br />
Jüterbog. Wenige Wochen später<br />
kündigte ich meinem Kombinatsdirektor<br />
die Mitgliedschaft im Kombinat, und seit<br />
dem 1. Februar 1990 waren wir endlich<br />
wieder ein juristisch und wirtschaftlich<br />
selbständiger Betrieb. Ab 1. April 1990<br />
firmierten wir unter „Jüterboger Konservenfabrik<br />
Rich. Meyer GmbH“, wie<br />
vor der Verstaatlichung. Das heißt, wir<br />
begannen noch zu DDR-Zeiten und mit<br />
DDR-Mark wirtschaftlich selbständig zu<br />
agieren und hatten nicht die schlechtesten<br />
Voraussetzungen. Ausgerüstet mit<br />
modernen Maschinen produzierten wir<br />
noch bis zum 30. Juni 1990 subventionierte<br />
Produkte. Allerdings stellte sich der<br />
Großhandel im Sommer 1990 zunehmend<br />
quer und nahm uns die Konserven nicht<br />
vertragsgemäß ab, so dass auch die<br />
Subventionen nicht in dem Maße fließen<br />
konnten, wie wir es erhofft hatten. Aber<br />
wir exportierten ja auch, erhielten die<br />
Erlöse auf unser Valutakonto und erwirtschafteten<br />
bis zur Währungsunion dennoch<br />
gutes Geld. Es lief rund für uns. Am<br />
30. Juni 1990, einen Tag vor der Währungsunion,<br />
wertete ich die Bilanzwerte<br />
meines Betriebes von Mark der DDR auf<br />
D-Mark um. Wir hatten auf Grund eines<br />
hohen Grundmittelbestandes wegen der<br />
modernen Maschinen und Anlagen einen<br />
großen Anteil an Rücklagen, schließlich<br />
musste alles, was überbewertet war,<br />
untergebracht werden. Doch Rücklagen,<br />
die ich in Notzeiten hätte angreifen können,<br />
waren das eben nicht. Die meisten<br />
anderen Betriebe profitierten später von<br />
der Treuhandregelung, die Verluste zum<br />
31. Dezember 1990 mit einem Einschuss<br />
von Startkapital in mehrfacher Höhe zu<br />
regulieren. Als zwei Monate nach der<br />
Währungsunion die Bestimmungen zur<br />
D-Mark-Eröffnungsbilanz veröffentlicht<br />
wurden, war bei uns schon alles passiert.<br />
Wir hatten eben nicht im Verhältnis 1:2<br />
umgestellt, schrieben Ende 1990 schwarze<br />
Zahlen und sahen von der Treuhand<br />
keinen Pfennig. Im Nachhinein scheint<br />
es, als wären wir damals zu voreilig<br />
gewesen. Wir hatten den Stier schon im<br />
Neues Firmenschild<br />
nach der<br />
Reprivatisierung<br />
1990<br />
61
Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />
April bei den Hörnern packen wollen.<br />
Die Chance und die Lust, nach all den<br />
<strong>Jahre</strong>n wieder der Chef im eigenen Unternehmen<br />
zu sein, waren übermächtig<br />
gewesen.<br />
Erste Messe<br />
1990 in Erfurt<br />
Wir produzierten konkurrenzfähig, unsere<br />
Produkte verkauften sich, die Handelsbeziehungen<br />
entwickelten sich in unserem<br />
Sinne, und doch zeigte sich schon bald<br />
unser geradezu chronischer Kapitalmangel.<br />
Anders als in den <strong>Jahre</strong>n vor 1990<br />
galt es nun, die produzierten Bestände<br />
zu finanzieren. Was früher direkt zum<br />
OGS (Großhandel Obst-Gemüse-Speisekartoffeln)<br />
ging, stand nun bis zum<br />
Verkauf und zur Auslieferung bei uns auf<br />
dem Hof, und das kostete, statt Geld<br />
einzubringen. Lediglich ein Drittel unserer<br />
Fabrikfläche konnte unter diesen Umständen<br />
für die Produktion genutzt werden.<br />
Bereits 1992 bauten wir deswegen<br />
eine neue Lagerhalle von 4.500 Quadratmetern,<br />
die uns in die Lage versetzte,<br />
vernünftig zu agieren. Unser Hauptaugenmerk<br />
lag zu dieser Zeit auf der Gurkenverarbeitung,<br />
die innerhalb von 10 bis<br />
12 Wochen im Jahr abgeschlossen sein<br />
musste. Wenn wir in diesem Geschäft<br />
mithalten wollten, mussten sich unsere<br />
Verarbeitungskapazitäten erhöhen. Nach<br />
einigen kleineren Investitionen war es<br />
möglich, nicht nur große Losgrößen zu<br />
produzieren, sondern auch Gurken unterschiedlicher<br />
Größe zu verarbeiten.<br />
62
Zum Thema<br />
Die <strong>Jütro</strong> im Gurkenkrieg<br />
In den ersten <strong>Jahre</strong>n nach 1990<br />
konzentrierten wir uns stark auf<br />
die Gurken- und Gemüseverarbeitung.<br />
Ich suchte und fand<br />
Verbindungen zu alten und<br />
neuen Kollegen im Spreewald<br />
und zum Spreewaldverein und<br />
kreierte ab 1990 die „Spreewälder<br />
Art“. Diese Produkte sind<br />
von den Verbrauchern sehr gut<br />
angenommen worden, und wir<br />
schauten sehr zuversichtlich in<br />
die Zukunft.<br />
Für unser neu entwickeltes<br />
„Spreewälder Gurkenfässchen“<br />
erhielten wir 1994 von ALDI<br />
Nord die Einlistung, und dieses<br />
Fässchen entwickelte sich bald<br />
zu einem Top-Artikel. Leider<br />
währte die Freude darüber nicht<br />
lange, denn mit der Übernahme<br />
der Spreewaldkonserve Golßen<br />
durch die Geschwister Linkenheil<br />
begann schon bald die<br />
professionelle Vermarktung der<br />
Spreewälder Erzeugnisse. In<br />
einem ersten Schritt erfolgte die<br />
territoriale Definition des Gebietes<br />
Spreewald, dem Jüterbog,<br />
wenn auch nur wegen einer Differenz<br />
von 18 Kilometern Luftlinie,<br />
nicht angehörte. Der Spreewaldverein<br />
engagierte sich<br />
intensiv für eine Abgrenzung<br />
der Spreewaldregion und die<br />
Herausbildung einer homogenen<br />
Gebietseinheit. Geographische<br />
Begriffe wie „Spreewälder<br />
Gurken“ oder auch „Spreewälder<br />
Meerrettich“ sollten nur<br />
noch Betriebe benutzen dürfen,<br />
die im Wirtschaftsraum Spreewald<br />
angesiedelt waren. Wir zogen<br />
uns auf unser „Gurkenfässchen<br />
Spreewälder Art“ zurück,<br />
und das ging auch für einige<br />
<strong>Jahre</strong> gut. Allerdings wollten wir<br />
uns nicht kampflos geschlagen<br />
geben. Lange Zeit stellten wir<br />
uns dickköpfig und argumentierten,<br />
dass der Spreewald<br />
doch mit dem Wirtschaftraum<br />
Spreewald nicht identisch sei<br />
und kaum einer im wirklichen<br />
Spreewald produziere, der nun<br />
seine Produkte als „Spreewälder“<br />
anbieten durfte. Ja, wir<br />
versuchten kurzzeitig selbst, im<br />
so genannten Wirtschaftsraum<br />
Spreewald zu verarbeiten, doch<br />
der Absatzerfolg blieb aus. Da<br />
unser Hauptabnehmer mit der<br />
Bezeichnung „Spreewälder Art“<br />
keine Probleme hatte, waren wir<br />
zeitweilig versucht, das Problem<br />
gelassener zu sehen, bis<br />
1999 mit der Umsetzung eines<br />
EU-Beschlusses auch diese<br />
Bezeichnung für unsere Produkte<br />
nicht mehr erlaubt war. Heute<br />
gibt es das „Gurkenfässchen<br />
nach hauseigener Rezeptur“,<br />
und die Kunden mögen es immer<br />
noch.<br />
Letztendlich hat uns der Gurkenkrieg<br />
außer einer Menge<br />
Aufregung und nicht unbeträchtlichen<br />
Anwaltskosten<br />
nichts gebracht. Als eigenständiges<br />
Unternehmen hätten wir<br />
uns auf einen derartig langen<br />
Rechtsstreit gar nicht einlassen<br />
können. Allein mit unserem starken<br />
Partner, der I. Schroeder<br />
KG, und deren Markenanwältin<br />
im Rücken war das möglich<br />
gewesen.<br />
Die Geschwister Linkenheil<br />
haben sich damals vom Spreewald<br />
das meiste erhofft und<br />
waren bereit dafür zu streiten.<br />
Ich kann ihre Beweggründe<br />
verstehen. Jeder Unternehmer<br />
hätte so gehandelt. Auch ich.<br />
63
Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />
links:<br />
Sauerkirschen<br />
werden während<br />
der Ernte frisch<br />
entsteint<br />
rechts:<br />
Einlauf der entsteinten<br />
Kirschen<br />
in den Froster<br />
In der Obstverarbeitung spielten in<br />
diesen Anfangsjahren besonders die<br />
Sauerkirschen eine große Rolle. Da sich<br />
der heimische Obstbau noch nicht vollständig<br />
konsolidiert hatte, waren wir<br />
gezwungen, die Ware teilweise in Polen<br />
einzukaufen. Unsere Apfelmusproduktion<br />
gaben wir schweren Herzens auf. Aus<br />
unserer Sicht war unser Apfelmus das<br />
beste Apfelmus ganz Europas, doch am<br />
Markt waren wir damit nicht konkurrenzfähig.<br />
Zunehmend gingen wir dazu über,<br />
Obstkonserven aus tiefgefrorenen Produkten<br />
herzustellen, die wir aufkauften.<br />
„Das können wir auch alleine“, dachten<br />
wir uns, „schließlich sitzen wir ja mitten im<br />
Obstanbaugebiet.“<br />
Die <strong>Jütro</strong> Frost GmbH<br />
Am 1. Juli 1991 starteten wir mit der<br />
Gründung der <strong>Jütro</strong> Frost GmbH ein<br />
überaus ehrgeiziges Projekt gemeinsam<br />
mit der Agrargenossenschaft Jessen/<br />
Schweinitz. In der ehemaligen Kohllagerhalle<br />
der Jessener Genossenschaft<br />
installierten wir eine Bandgefrieranlage<br />
und ein Gefrierlager. Ziel war es, die<br />
Erzeugnisse der Genossenschaft vor Ort<br />
in Jessen zu frosten, um die tiefgekühlten<br />
Halbfabrikate später in Jüterbog zu Obstkonserven<br />
zu verarbeiten. Die Kapazitäten<br />
der Konservenfabrik waren schließlich<br />
in den Sommermonaten bereits durch<br />
die Gurkenverarbeitung gebunden. 300<br />
Tonnen Sauerkirschen der Jessener<br />
Genossenschaft konnten von den 13<br />
Mitarbeitern schon im Sommer 1991 für<br />
eine Weiterverarbeitung in der Konservenfabrik<br />
haltbar gemacht werden. In der<br />
neu gestalteten Verarbeitungshalle kam<br />
ein Flow-Freezer-Froster zur Aufstellung.<br />
Dieser moderne Tiefkühlfroster war in<br />
der Lage, pro Stunde bis zu 1,3 Tonnen<br />
Früchte einzeln schockzufrosten. Zwei<br />
Kühlzellen mit je 150 Tonnen Lagerkapazität<br />
nahmen die Waren bis zur weiteren<br />
Verwendung auf.<br />
64
Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />
Unser Sortiment umfasste die Verarbeitung<br />
von Erdbeeren, kleinen Mengen<br />
Himbeeren, roten und schwarzen Johannisbeeren,<br />
entsteinten Kirschen und<br />
Pflaumen, aber auch von Apfelwürfeln<br />
und Apfelsegmenten. Später kamen Gemüseprodukte<br />
wie Kürbiswürfel, Zwiebeln<br />
und Porree hinzu.<br />
Wenn sich die Investitionen rentieren<br />
sollten, durften wir uns aber nicht allein<br />
auf die Zulieferung für die Konservenfabrik<br />
konzentrieren. Erste Kontakte zu<br />
Großhandels- und Industrieabnehmern,<br />
wie beispielsweise zu Dr. Oetker, waren<br />
schnell geknüpft. Diesen namhaften<br />
Lebensmittelkonzern belieferten wir<br />
beispielsweise mit gesüßtem Rhabarber<br />
für sein Produkt „Altdeutscher Kuchen“.<br />
Der frische Rhabarber wurde geschnitten<br />
und in Vakuumtanks gefüllt. Anschließend<br />
gaben wir eine Zuckerlösung zu, verschlossen<br />
den Behälter, um im Inneren<br />
ein Vakuum zu ziehen, das einen Flüssigkeitsaustausch<br />
der Fruchtzellen bewirkte.<br />
Der Rhabarberfruchtsaft wurde so im<br />
Produkt durch die Zuckerlösung ersetzt.<br />
Tiefgefroren ging das Produkt an den<br />
Kunden.<br />
1992 erfolgte die Errichtung eines Tiefkühlhauses,<br />
in dem 3.500 Europaletten<br />
Platz hatten. Um das Sortiment auch auf<br />
abgepackte Produkte als Einzelartikel<br />
oder Mischungen erweitern zu können,<br />
installierten wir im gleichen Jahr eine<br />
gebrauchte Verpackungsmaschine für<br />
Schlauchbeutel á 2,5 Kilogramm. Damit<br />
waren wir fähig, den Großhandel sowohl<br />
mit 10-Kilogramm-Kartons als auch<br />
unterverpackt zu vier Beuteln mit je 2,5<br />
Kilogramm zu beliefern.<br />
Trotz reger Akquise reichten die Geschäftstätigkeit<br />
und die daraus erwirtschafteten<br />
Erträge nicht aus, um Zins<br />
und Tilgung für die realisierten Investitionen<br />
aufzubringen. Mit den zunehmenden<br />
links:<br />
erste Schlauchbeutelmaschine<br />
1994<br />
Mitte:<br />
erste Faltschachtelanlage<br />
1998<br />
rechts:<br />
Regalanlage im<br />
Tiefkühllager 1<br />
1992<br />
65
Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />
Erster Katalog<br />
der <strong>Jütro</strong> Tiefkühlkost<br />
GmbH<br />
wirtschaftlichen Schwierigkeiten der<br />
Jüterboger Konservenfabrik Rich. Meyer<br />
GmbH, aber auch wegen der Probleme<br />
der Agrargenossenschaft stagnierte<br />
schließlich das Betriebsgeschehen in der<br />
<strong>Jütro</strong> Frost GmbH.<br />
Bereits die Kapitalbeschaffung für dieses<br />
Projekt hatte sich damals äußerst schwierig<br />
gestaltet. Im Rückblick habe ich mich<br />
manches Mal gefragt, warum ich es trotz<br />
wachsender Bedenken umgesetzt habe.<br />
Vielleicht war es Zweckoptimismus oder<br />
auch eine Frage der kaufmännischen<br />
Ehre – schließlich stand ich bei der Agrargenossenschaft<br />
im Wort …<br />
Mit der <strong>Jütro</strong> Frost kamen neue Arbeitsbereiche,<br />
neue Bankverbindlichkeiten<br />
und neue Probleme.<br />
Wie viele andere Unternehmer waren<br />
auch wir sicher in den ersten <strong>Jahre</strong>n<br />
nach der Wende in mancher Hinsicht<br />
blauäugig. Das Gefühl für den Markt,<br />
für Schulden und Zinsen hatte sich in<br />
den Zeiten der Planwirtschaft verändert.<br />
Diese Zusammenhänge wieder neu zu<br />
erlernen, war ein überaus schmerzhafter<br />
Prozess, der die Konservenfabrik ungleich<br />
härter betraf als die <strong>Jütro</strong> Frost.<br />
Wir brauchten eben große Mengen Betriebsmittel,<br />
um Rohstoffe aufzukaufen,<br />
zu verarbeiten, auf Lager zu stellen und<br />
dann irgendwann abzusetzen. Das Dilemma<br />
bestand außerdem darin, dass wir<br />
gewisse Losgrößen produzieren mussten,<br />
um für Handelspartner interessant zu sein<br />
und zu bleiben.<br />
Trotz der großen Freude darüber, wieder<br />
selbst Entscheidungen treffen zu können,<br />
begann sich mehr und mehr ein Gefühl<br />
der Ohnmacht durchzusetzen und die<br />
Angst, die Prozesse allein nicht mehr in<br />
den Griff zu bekommen. Auf der Suche<br />
nach Wegen, um Schaden vom Unternehmen<br />
abzuwenden, erschien plötzlich<br />
der erneute Verlust der Firma denkbar.<br />
66
Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />
Eine helfende Hand –<br />
Die I. Schroeder KG<br />
Bis 1995 waren wir, was den Absatz<br />
unserer Produkte betraf, einige <strong>Jahre</strong><br />
zweigleisig unterwegs gewesen. Seit<br />
1992 verbanden uns enge geschäftliche<br />
Beziehungen mit der I. Schroeder KG in<br />
Hamburg. Allerdings produzierten wir für<br />
das Unternehmen oft gerade mal kostendeckend<br />
Obstkonserven, wie Erdbeeren<br />
und Sauerkirschen. Bald kamen wir auch<br />
mit der Kühne KG Hamburg ins Gespräch<br />
und fassten die Gründung einer<br />
gemeinsamen Vertriebsgesellschaft ins<br />
Auge. Für Kühne als Markenartikler war<br />
der ostdeutsche Markt wegen des hohen<br />
Preisniveaus der Kühne-Produkte schwer<br />
zu erobern. Mit einem preiswerteren Ostprodukt<br />
sollte es leichter möglich sein, in<br />
den neuen Ländern Fuß zu fassen. Über<br />
einen langen Zeitraum hinweg beriet man<br />
in der Chefetage der Kühne KG dieses<br />
Zusammengehen. Die Geschäftsführung<br />
sprach sich für die Gründung der Gesellschaft<br />
aus. Doch die Familie Kühne<br />
konnte sich zu einem solchen Schritt<br />
nicht entschließen, und 1995 verschwanden<br />
die Pläne in der Schublade. Bei uns<br />
war nun guter Rat teuer. Unser hoher<br />
Kapitalbedarf war kaum noch zu decken.<br />
Die steigenden Zinsen für aufgenommenes<br />
Fremdkapital fraßen nach und nach<br />
alles auf. Auch Landesbürgschaften<br />
halfen nicht mehr. Letztendlich forderte<br />
die bürgende Investitionsbank des Landes<br />
Brandenburg die I. Schroeder KG<br />
zu einer Kapitalbeteiligung auf. Für ein<br />
Handelsunternehmen wie dieses war die<br />
Verbindung mit produzierenden Betrieben<br />
deswegen interessant, weil sich große<br />
Handelsketten seit den 1990er <strong>Jahre</strong>n<br />
in ihrer Einkaufstätigkeit immer mehr auf<br />
Produzenten und weniger auf Händler zu<br />
fokussieren begannen.<br />
v.l.n.r.<br />
Klaus Humbert,<br />
Senior-Chef der<br />
I. Schroeder KG,<br />
Bernd-Richard<br />
Meyer, Angelika<br />
Meyer und Ruth<br />
Humbert<br />
67
Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />
Peter Humbert, Mitgeschäftsführer der <strong>Jütro</strong> Unternehmen (li.), und<br />
Bernd-Richard Meyer<br />
Angelika, Bernd-Richard und Michael Meyer beim 50-jährigen Jubiläum<br />
der I. Schroeder KG<br />
Zum 3. Januar 1996 musste ich für die<br />
<strong>Jütro</strong> Konservenfabrik und die damalige<br />
<strong>Jütro</strong> Frost Konkurs anmelden. Trotz<br />
der Zusicherung der Familie Humbert (I.<br />
Schroeder KG), die <strong>Jütro</strong> zu übernehmen,<br />
ist mir dieser Schritt sehr schwer<br />
gefallen. Achtzehn <strong>Jahre</strong> hatte ich auf die<br />
Selbständigkeit gewartet, und nun sollte<br />
das alles wieder vorbei sein? Natürlich<br />
war es ein schmerzvolles Eingeständnis<br />
des Scheiterns, doch im Nachhinein bin<br />
ich froh, für mich und mein Unternehmen<br />
diesen Weg gewählt zu haben. Gleichermaßen<br />
bin ich dankbar dafür, in der<br />
Familie Humbert Partner und Freunde<br />
gefunden zu haben, an deren Seite die<br />
schwersten <strong>Jahre</strong> meines Lebens nicht<br />
verloren waren. Der eine suchte nach<br />
Hilfe, um die neuen Prozesse besser zu<br />
begreifen und zu bewältigen, und der<br />
andere suchte neue geschäftliche Herausforderungen<br />
und Möglichkeiten. So<br />
habe ich 1992 Herrn Klaus Humbert kennen<br />
und schätzen gelernt. Was am Anfang<br />
eine schlichte kaufmännische Notwendigkeit<br />
war, ist heute geradezu ein<br />
Musterbeispiel für die deutsche Einheit,<br />
aufgebaut auf gegenseitiger Achtung,<br />
Ehrlichkeit und persönlicher Zuneigung.<br />
Am 1. März 1996 entstanden die beiden<br />
Unternehmen <strong>Jütro</strong> Konservenfabrik<br />
GmbH und <strong>Jütro</strong> Tiefkühlkost GmbH mit<br />
dem Mitinhaber I. Schroeder KG – unser<br />
Zinssatz sank sofort um mehr als vier<br />
Prozent.<br />
68
Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />
DIE VIERTE GENERATION<br />
TRITT AN<br />
MICHAEL UND ANDREA MEYER<br />
69
Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />
Spielplatz aller<br />
Generationen -<br />
der Fabrikhof<br />
(Michael Meyer)<br />
Die Geschäftsführung der <strong>Jütro</strong> Tiefkühlkost<br />
übernahm unser damals 25-jähriger<br />
Sohn Michael. Wie ich, so war auch<br />
er schon im Kinderwagen in die Fabrik<br />
geschoben worden, und bis zur Verstaatlichung<br />
des Betriebes 1972 hatte es<br />
so ausgesehen, als wachse mit ihm die<br />
nächste Unternehmergeneration heran.<br />
Da wir Eltern beruflich sehr eingebunden<br />
waren, galten für ihn schon seit frühester<br />
Kindheit strenge Pflichten, die er willig<br />
und ohne die geringste Aufsässigkeit<br />
erfüllte. Viel Zeit verbrachte er bei seinen<br />
Großeltern mütterlicherseits, auf deren<br />
Wochenendgrundstück in Lindow er<br />
auch einen großen Teil der Sommerferien<br />
verlebte. Schnell lernte er Trompete und<br />
Jagdhorn zu spielen, und über <strong>Jahre</strong> hinweg<br />
trainierte er viermal wöchentlich an<br />
der Sportschule in Luckenwalde Schwimmen.<br />
Einmal hat er eine Wiese in Brand<br />
gesteckt. Das ist wirklich die einzige<br />
Dummheit, an die wir uns – inzwischen<br />
lachend – erinnern können.<br />
Wissbegier, Ehrgeiz und Fleiß zeichneten<br />
ihn schon als Schüler aus, und seine<br />
überdurchschnittlichen Abiturleistungen<br />
wurden 1989 sogar mit der Verleihung<br />
der begehrten Lessingmedaille gewürdigt.<br />
Nach dem Ende seines Wehrdienstes<br />
absolvierte er 1991/92 bei der<br />
Firma Hipp im bayrischen Pfaffenhofen<br />
ein Praktikum und konnte sich dort trotz<br />
seiner Jugend sehr überzeugend behaupten.<br />
Es versteht sich, dass Michael,<br />
unserem Vorbild folgend, ebenfalls ein<br />
Studium der Lebensmitteltechnologie<br />
aufnahm, das er 1996 an der Fachhochschule<br />
Berlin als Diplom-Ingenieur abschloss.<br />
Für ihn erfüllte sich damit ein<br />
lang gehegter Wunsch, denn er hatte nie<br />
einen Zweifel daran aufkommen lassen,<br />
in diesem Bereich arbeiten zu wollen. In<br />
langen Gesprächen versuchten wir vor<br />
1989, ihn in andere Richtungen zu lenken.<br />
Doch weder das Hotelfach, noch<br />
Medizin, noch Jura vermochten ihn zu<br />
reizen. Er war nun einmal mit und in der<br />
Fabrik aufgewachsen. Etwas anderes<br />
kam nicht in Frage. Die politischen und<br />
gesellschaftlichen Entwicklungen belohn-<br />
70
Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />
ten nun seine Hartnäckigkeit, und ich bin<br />
froh und glücklich bei dem Gedanken<br />
daran, den Betrieb meines Großvaters<br />
in nicht allzu ferner Zeit gänzlich in die<br />
Hände meines Sohnes zu geben.<br />
Dieser trägt inzwischen nicht nur Verantwortung<br />
für die <strong>Jütro</strong> Tiefkühlkost,<br />
sondern auch für seine Frau Andrea und<br />
die beiden Töchter Lisa und Lea. Schwiegertochter<br />
Andrea ist meinem Sohn nicht<br />
allein eine starke Stütze in der Tiefkühlfabrik,<br />
sie ist der Mittelpunkt dieses Unternehmens.<br />
Gemeinsam haben sie sich in<br />
ihrem Haus am Standort der Tiefkühlkost<br />
in Jessen niedergelassen. Und da ich die<br />
starken Frauen der Familie Meyer kenne,<br />
muss mir auch um die nächste Unternehmergeneration<br />
nicht bange sein.<br />
Der Neustart glückt<br />
Doch zurück ins Jahr 1996 und zu unserem<br />
Neustart mit der I. Schroeder KG.<br />
Technische Entwicklungen und Investitionen,<br />
die nun wieder möglich waren,<br />
konzentrierten sich natürlich auf den<br />
Standort Neumarkt 5-7. Die Dampfkapazität<br />
musste erhöht werden, und auch für<br />
die Gurkenverarbeitung waren kleinere<br />
Neuanschaffungen notwendig. Bereits<br />
1992 hatten wir begonnen, im Gewerbegebiet<br />
Fuß zu fassen und errichteten dort<br />
eine Lagerhalle. Der Bau einer weiteren,<br />
6.000 Quadratmeter großen Lagerhalle<br />
1998 war ein nächster logischer und notwendiger<br />
Schritt. Gleichzeitig bauten wir<br />
die alte Fabrik technologisch völlig um,<br />
und es gelang uns damit, die Verarbeitungskapazitäten<br />
zu steigern. Für diese<br />
Arbeiten gewannen wir eine südafrikanische<br />
Firma, die uns Palettierer lieferte<br />
und den Umbau erledigte. Dennoch ließ<br />
uns der Gedanke nicht los, im Gewerbegebiet<br />
noch einmal neu anzufangen. Zu<br />
den schwierigen und beengten Platzverhältnissen<br />
auf dem Fabrikhof, die schon<br />
meine Großeltern beklagt hatten, waren<br />
mit den <strong>Jahre</strong>n weitere Schwierigkeiten<br />
und Unzulänglichkeiten hinzugekommen.<br />
Einweihung der<br />
neuen Lagerhalle<br />
1998<br />
71
Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />
Raus aus der Stadt<br />
Der Konservenexpress<br />
Eine hygienische Produktion unserer<br />
Erzeugnisse, wie sie den ISO-Anforderungen<br />
entsprach, war nur unter allergrößten<br />
Anstrengungen zu gewährleisten.<br />
Die bauliche Substanz der alten Fabrik<br />
machte dies beinahe unmöglich. 250.000<br />
Gläser Konserven verließen täglich über<br />
den Hof die Fabrik. Dort standen neben<br />
<strong>100</strong> Tonnen Gurken mindestens 200.000<br />
leere Gläser. Der „Konservenexpress“<br />
war permanent im Einsatz, und doch war<br />
oft kaum Land in Sicht. Auch die infrastrukturellen<br />
Belastungen durch unsere<br />
Lage an den Bundesstraßen 101 und 102<br />
mit dem Stadttor als Nadelöhr waren mit<br />
der Zeit kaum mehr tragbar. Wegen der<br />
Lastkraftwagen, die auf unser Firmengelände<br />
einbiegen wollten, kam es immer<br />
wieder zu Verkehrsstaus.<br />
Die endgültige Entscheidung, mit der<br />
Produktion ins Gewerbegebiet zu ziehen,<br />
fiel 2001. Der genehmigte Förderantrag<br />
lag da schon beinahe zwei <strong>Jahre</strong><br />
in meiner Schublade. Ein Kesselhaus,<br />
eine 7.000 Quadratmeter große Halle für<br />
Lager und Produktion und ein Verwaltungsgebäude<br />
entstanden bis zum 31.<br />
Dezember 2001.<br />
Wir verstanden diese Veränderung als<br />
Weiterentwicklung und Neuanfang zugleich.<br />
Unsere Stammbelegschaft arbeitete<br />
den Sommer über in drei Schichten<br />
und sammelte Arbeitsstunden an, die<br />
dann in der Zeit des Umzuges abgefeiert<br />
werden konnten. Den Umzug der Fabrik<br />
übernahm erneut die Firma aus Südafrika.<br />
Und endlich passte wieder alles<br />
zusammen. Helle, großzügige Produktionsräume,<br />
moderne Maschinen, ausreichende<br />
Lagerkapazitäten und Platz für<br />
große Lastkraftwagen.<br />
72
Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />
Letztes Auf- und Ausräumen<br />
Demontage der Produktionsanlagen<br />
Platz für so manche schriftlichen Zeugnisse<br />
über meine Vorfahren und ihr Leben<br />
und Wirken in der Firma hätte sich<br />
vermutlich auch noch gefunden. Dass ich<br />
mir damals nicht die Zeit nehmen konnte,<br />
wichtige Unterlagen zu sichern und aufzubewahren,<br />
habe ich nicht erst bei den<br />
Arbeiten an dieser Chronik bitter bereut.<br />
In die Freude über und den Stolz auf diesen<br />
neuen Standort mischten sich selbstverständlich<br />
auch Wehmut und Trauer.<br />
Der Auszug aus der großväterlichen Fabrik,<br />
die bald darauf abgerissen wurde, fiel<br />
mir schwer. Von jedem Raum der leergeräumten<br />
Fabrik nahm ich Abschied. So<br />
viele Erinnerungen, so viele Geschichten,<br />
so viele Gesichter fielen mir bei meinem<br />
Rundgang ein. Hier hatte ich ja im Grunde<br />
mein bisheriges Leben verbracht. Mit<br />
einem Strauß Blumen begab ich mich<br />
zum Grab der Großeltern.<br />
Abriss der alten Firmengebäude Vorstadt Neumarkt<br />
Rege Bautätigkeit am Firmenneubau im Gewerbegebiet<br />
73
Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />
Ein weiteres Lager ist fertig<br />
Die Produktionslinie wird in die Halle eingefahren.<br />
Die bedeutenden Kapazitätserweiterungen,<br />
die sich aus dem Umzug in das<br />
Gewerbegebiet ergaben, galt es nun zu<br />
nutzen. Neben der Gurkenproduktion,<br />
der wir uns in den <strong>Jahre</strong>n nach 1990<br />
verstärkt gewidmet hatten, gewann mehr<br />
und mehr die Feinkostproduktion an<br />
Bedeutung. Mehr zufällig und beinahe<br />
unfreiwillig waren wir 1992 zu Feinkostproduzenten<br />
geworden. Familie Eichelbaum,<br />
die Besitzer der traditionsreichen<br />
Firma Freytag, war 1953 vor den staatlichen<br />
Repressalien gegenüber Privatunternehmern<br />
nach dem Westen geflohen<br />
und nie zurückgekehrt. Der Betrieb, eine<br />
Senffabrik, wurde volkseigen. Nach dem<br />
Ende der DDR baten uns die Nachkommen<br />
der ehemaligen Firmeninhaber, mit<br />
denen uns entfernte verwandtschaftliche<br />
Beziehungen verbanden, die Fabrik zu<br />
kaufen. Ich tat es eher aus sentimentalen<br />
Gründen.<br />
Kreative Lebensmittel –<br />
die <strong>Jütro</strong>-Feinkost ist dabei<br />
Bereits seit dem Beginn der 1980er <strong>Jahre</strong><br />
beschäftigte sich die <strong>Jütro</strong> nicht mehr nur<br />
mit der Konservenproduktion. Wie weiter<br />
oben bereits erwähnt, begann schon<br />
mit den Produktentwicklungen für den<br />
delikat-Handel die Arbeit an kreativen<br />
Lebensmitteln aus dem Feinkostbereich.<br />
Das betraf beispielsweise Frucht-Sahne-Produkte,<br />
wie unsere Apfel-Sahne-<br />
Creme, oder Relish-Erzeugnisse wie<br />
Gurken- und Tomaten-Paprika-Relish.<br />
Parallel dazu lief für den delikat-Handel,<br />
aber auch für den Export die Produktion<br />
von Tomatenketchup mit Twist-off-<br />
Verschluss an. Der damit verbundene<br />
Erwerb hochwertiger Ausrüstungen aus<br />
der Bundesrepublik, wie z.B. einer Etikettiermaschine<br />
der Firma Krones, eines<br />
74
Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />
Millimetergenaues Platzieren der Maschinen Produktionsbeginn am 7. Januar 2002<br />
Kolbenfüllers der Firma Engler, oder die<br />
Anschaffung von Twist-off-Maschinen<br />
und Verschlüssen der Firma Schmalbach<br />
machten diese Produktion für die <strong>Jütro</strong><br />
interessant und möglich.<br />
Spätestens mit dem Kauf der kleinen<br />
Senffabrik 1992 begann die Feinkostproduktion<br />
wieder an Bedeutung zu gewinnen,<br />
die so genannte <strong>Jütro</strong> Feinkost<br />
wurde gegründet. Schnell war klar, dass<br />
es nicht genügen würde, sich nur mit der<br />
Produktion von Tomatenketchup und Senf<br />
zu beschäftigen. Eine weitere Entwicklung<br />
der Produktion in Richtung Mayonnaise<br />
und Saucen war geplant. Mit dem<br />
Kauf der ersten Prozessanlage Fabrikat<br />
Food-Tec schufen wir die technischen<br />
Voraussetzungen, um hochwertige Emulsionen<br />
in Form von traditionellen Mayonnaiseprodukten,<br />
Delikatess-Mayonnaise,<br />
Remoulade, Salatmayonnaise und Salatcreme<br />
herzustellen.<br />
Mit dem Umzug ergab sich die Möglichkeit,<br />
die bis dahin externe Feinkostproduktion<br />
in die Fabrik zu integrieren.<br />
Schließlich stellen diese Artikel wesentlich<br />
höhere hygienische Anforderungen<br />
an die Produktionsräume, als es die<br />
Konservenindustrie tut. Dem musste in<br />
der 2002 neu gebauten Produktionsstätte<br />
Rechnung getragen werden. Es gelang<br />
eine Zweiteilung der Produktionshalle<br />
in eine Abteilung für die traditionelle<br />
Konservenherstellung und in eine große<br />
Feinkostabteilung. Ähnlich wie in der <strong>Jütro</strong><br />
Tiefkühlkost GmbH entstanden neue<br />
Produktideen, durch die sich das Sortiment<br />
von Feinkosterzeugnissen wesentlich<br />
erweiterte.<br />
75
Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />
Das Ketchup wird in großen Kesseln gekocht<br />
Moderne und effiziente Anlagen in der Weiterverarbeitung<br />
Gläser, Plasteflaschen und<br />
Weichpackungen für unsere<br />
Feinkostartikel<br />
2004 wurde in eine erste Plasteflaschenlinie<br />
investiert, um Ketchup- und Mayonnaise-Erzeugnisse<br />
in handelsübliche<br />
Plasteflaschen abzufüllen und vertreiben<br />
zu können. In Zusammenarbeit mit einer<br />
externen Produktentwicklung wurden und<br />
werden ständig neue Rezepturen entwickelt.<br />
Damit gelingt es uns, die Wünsche<br />
der Verbraucher und die des Handels<br />
zu erfüllen. Heute umfasst das Sortiment<br />
eine breite Palette an Feinkostartikeln, die<br />
kaum noch Wünsche und Möglichkeiten<br />
offen lassen.<br />
Mit der zunehmenden Entwicklung der<br />
Feinkostproduktion ging eine ständige<br />
Kapazitätserweiterung einher. Inzwischen<br />
verfügt die Feinkostabteilung in der<br />
Produktvorbereitung über zwei moderne<br />
und leistungsfähige Prozessanlagen<br />
der Firma Limitech aus Dänemark, mit<br />
deren Hilfe es möglich ist, sämtliche nur<br />
denkbaren Rezepturen zu verarbeiten<br />
und qualitativ hochwertige Saucen herzustellen.<br />
Die Erfüllung der hohen hygienischen<br />
Anforderungen spiegelt sich<br />
selbstverständlich in unserer qualitativ<br />
hochwertigen Produktion wieder. Unsere<br />
Feinkostartikel wie Mayonnaise, Ketchup,<br />
WOK-Saucen und Grillsaucen können<br />
sich hinsichtlich der Qualität mit den<br />
Produkten führender Feinkosthersteller<br />
messen.<br />
Zusätzlich zur traditionellen Glasabfüllung<br />
installierten wir 2006 mit der Firma<br />
Combi eine Combisafe-Anlage als Prototyp,<br />
um Saucen, stückige Produkte<br />
oder Saucen mit hochwertigen stückigen<br />
Produkten nun auch in Weichpackungen<br />
abzufüllen. Der Absatz der Produkte in<br />
dieser Combisafe-Verpackung steigt<br />
76
Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />
Ketchup-Abfüllung in Glasflaschen<br />
Ketchup-Abfüllung in PET-Flaschen<br />
ständig. Zusätzlich zu den beiden Plasteflaschenabfüllanlagen<br />
für PP- und PE-<br />
Flaschen wurde 2010 eine hochmoderne<br />
leistungsfähige Abfüllanlage für PET-Flaschen<br />
installiert, die die Verarbeitung von<br />
Plasteklarsichtflaschen ermöglicht.<br />
Leere PE-Flaschen fahren in die Abfüllanlage ein<br />
77
Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />
Das Herzstück der Combisafe-Anlage: Die Einheit zum<br />
Befüllen und Verschließen der Weichpackungen<br />
Palettenfertige Einheiten werden in Gitterpaletten zusammengeführt,<br />
um im Autoklav pasteurisiert zu werden.<br />
Die Combisafe-Anlage im Überblick<br />
Blick in die Fülleinheit<br />
Der Trend geht zur Feinkost<br />
Wir kommen heute nicht umhin festzustellen,<br />
dass Feinkostprodukte viel eher<br />
im Trend liegen, als die von uns seit <strong>100</strong><br />
<strong>Jahre</strong>n gefertigten Konserven. Die Verbrauchergewohnheiten<br />
sind, nicht zuletzt<br />
auch wegen eines ständig verfügbaren<br />
Frischwarenangebots, im Wandel begriffen.<br />
In einigen Bevölkerungsschichten<br />
gewinnen Fertigartikel zunehmend an<br />
Beliebtheit.<br />
Diesen Wandel der Gewohnheiten zu erkennen<br />
und den Markt gezielt mit Produkten<br />
zu begleiten, wird immer wichtiger.<br />
Eine eigene Produktentwicklung befindet<br />
sich dafür gerade im Aufbau. Logisch<br />
und folgerichtig war aus diesen Gründen<br />
unsere Umfirmierung in „<strong>Jütro</strong> GmbH &<br />
Co. KG Konserven und Feinkost“, denn<br />
dass wir uns auch auf die Herstellung<br />
von Feinkostprodukten verstehen, haben<br />
wir in den vergangenen <strong>Jahre</strong>n hinlänglich<br />
bewiesen.<br />
78
Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />
Sauce Hollandaise wird in die aufgespreizten Packungen gefüllt<br />
Unser Sortiment wächst ständig. Gleichzeitig<br />
benötigen wir nicht mehr die<br />
enormen Lagerkapazitäten, wie für Konserven,<br />
und auch die Investitionen sind<br />
geringer, da die Produkte viel schneller<br />
umgeschlagen werden können.<br />
Die gefüllten und verschlossenen Packungen werden<br />
zu Paletteneinheiten formiert.<br />
Inzwischen konzentrieren sich sowohl<br />
unsere Investitionstätigkeit als auch die<br />
Anstrengungen der Produktentwicklung<br />
auf den Feinkostbereich. Mit Soßen,<br />
Grillsoßen, Senf, Ketchup und ähnlichen<br />
Artikeln realisieren wir heute etwa 50 Prozent<br />
unseres Umsatzes.<br />
Ich bin sehr froh, 1992 die Chance bekommen<br />
zu haben, mich mit meinem<br />
Unternehmen auch im Feinkostbereich<br />
versuchen zu können. Ob uns das gelingen<br />
würde, war damals ebenso wenig<br />
sicher, wie das Wachstum gerade dieser<br />
Branche absehbar war.<br />
Haltbarmachen im Autoklaven<br />
79
Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />
links:<br />
Die Anfänge der<br />
Frostung von<br />
frischen Obstprodukten<br />
1992<br />
rechts:<br />
Moderne Produktion<br />
von<br />
Fertiggerichten<br />
2011<br />
Den Kundenwünschen auf der<br />
Spur – Tiefkühlprodukte von<br />
<strong>Jütro</strong><br />
Auch im Bereich der Tiefkühlproduktion<br />
ging es nach dem Neuanfang 1996<br />
wieder bergauf. Ein anfänglich geringes<br />
Produktionsvolumen verbreiterte sich mit<br />
den <strong>Jahre</strong>n immer weiter. 1998 konnte<br />
eine einfache, gebrauchte Anlage für<br />
die Verpackung von Obst- und Gemüseartikeln<br />
sowie deren Mischungen in<br />
Faltschachteln angeschafft werden. Die<br />
Packungen zu 300 und zu 450 Gramm<br />
rundeten das Angebot ab, das bisher nur<br />
in Schlauchbeuteln zu haben war. Für<br />
eine erfolgreiche Akquise der Kunden im<br />
Einzelhandel, wie sie die <strong>Jütro</strong> Tiefkühlkost<br />
seit 1998 verstärkt vornahm, war<br />
genau diese Erweiterung des Angebotes<br />
ein entscheidender Vorteil.<br />
Die günstige Geschäftsentwicklung<br />
ermöglichte dem jungen Unternehmen<br />
1999 die Realisierung größerer Investitionen.<br />
Als erstes konnten endlich die<br />
Produktionsräume, besonders in der Produktaufgabe,<br />
neu gestaltet werden. Im<br />
Produktionsbereich gelang die Installation<br />
einer Bandanlage zur automatischen<br />
Mischung von bis zu drei verschiedenen<br />
Komponenten, und die Produktverteilung<br />
für die Beschickung der drei Abfülllinien<br />
erfolgte nun ebenfalls moderner und<br />
effizienter. Eine 6-Mix-Ringkopfwaage mit<br />
Schlauchbeutelmaschine und Kartonverpackung<br />
erleichterte die Verpackung der<br />
fertigen Produkte, und ein Knickarmroboter<br />
ermöglichte nun eine automatische<br />
Palettierung.<br />
Ergänzt sei an dieser Stelle, dass wir das<br />
Unternehmen mit Wirkung vom 1. Januar<br />
80
Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />
1999 in eine Kommanditgesellschaft<br />
umwandelten. Den Firmensitz der neuen<br />
<strong>Jütro</strong> Tiefkühlkost GmbH & Co. KG verlegten<br />
wir nach Jessen/Elster in Sachsen-<br />
Anhalt.<br />
Die rasant anwachsende Sortimentsbreite<br />
im Tiefkühlbereich zeigte, dass wir uns<br />
auf dem richtigen Weg befanden. Bereits<br />
2001 waren wir gezwungen, unsere Lagerkapazitäten<br />
mit der Errichtung eines<br />
zweiten Tiefkühllagers zu verdoppeln.<br />
Gerade Artikel in Faltschachteln waren<br />
nachgefragt, und die Abfüllleistungen<br />
konnten durch die Installation einer<br />
zweiten Linie um <strong>100</strong> Prozent gesteigert<br />
werden. Mit dem Verpacken unserer<br />
Artikel in so genannte Sortimentskartons<br />
kamen wir einem Wunsch des Handels<br />
nach, und die Erweiterung der bereits<br />
vollautomatisch arbeitenden Palettierung<br />
beschleunigte die Verpackungsprozesse.<br />
Mit Hilfe dieser Investitionen entwickelten<br />
wir uns Stück für Stück zu einem modernen<br />
und leistungsfähigen Unternehmen<br />
der Tiefkühlbranche. Nun galt es, die<br />
günstigen Bedingungen zu nutzen, und<br />
wir taten dies mit der Entwicklung neuer<br />
Produkte. Die Produktion von Rahmgemüse,<br />
von gesüßtem Obst und besonders<br />
von Convenience-Produkten als<br />
Fertiggerichte ließ nicht lange auf sich<br />
warten. Eine beträchtliche Umsatzsteigerung,<br />
die wir der Erweiterung unserer<br />
Produktpalette zu verdanken hatten,<br />
machte wiederum Kapazitätserweiterungen<br />
notwendig. Doch unser Augenmerk<br />
lag dabei nicht allein auf der Anschaffung<br />
neuer Anlagen wie der Schlauchbeutelanlage<br />
(2002), sondern auch auf der<br />
Neuorganisation und der beständigen<br />
Optimierung der Arbeitsabläufe.<br />
links:<br />
Die vollautomatisch<br />
laufende<br />
Mischlinie für<br />
Gemüse- und<br />
Obstprodukte<br />
rechts:<br />
Automatisierter<br />
Transport der<br />
abgefüllten Tiefkühlerzeugnisse<br />
zur Endverpackung<br />
nächste Seite:<br />
vollautomatische<br />
Palettierung der<br />
Fertigware<br />
81
Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />
Fertiggerichte<br />
für die Mikrowelle<br />
Im Jahr 2004 realisierte das Unternehmen<br />
<strong>Jütro</strong> Tiefkühlkost wohl die mutigste,<br />
wie sich im Verlauf der folgenden <strong>Jahre</strong><br />
herausstellte, innovativste und dadurch<br />
auch erfolgreichste Investition. Hochwertige<br />
Fertiggerichte in Menüschalen für<br />
die ausschließliche Zubereitung in der<br />
Mikrowelle verlassen seit diesem Jahr<br />
die moderne Fertigungslinie der <strong>Jütro</strong><br />
Tiefkühlkost. Das von einem Schweizer<br />
Unternehmen patentierte Garsystem<br />
bedient sich eines Dream-Steam-Dampfgarventils,<br />
welches an der Oberfolie<br />
der Menüschale eingeschweißt ist. Die<br />
Exklusivität der Verwendung und Vermarktung<br />
dieses Ventils haben wir uns für<br />
den deutschen Markt gesichert. Seitdem<br />
kreierte unsere Produktentwicklung zahlreiche<br />
wohlschmeckende Fertiggerichte,<br />
die die Verbraucher nicht nur im Hinblick<br />
auf die Qualität, sondern auch in Bezug<br />
auf das Preis-Leistungs-Verhältnis nachhaltig<br />
zu überzeugen vermögen.<br />
2005 wurde der Neubau des dritten<br />
Tiefkühllagers als reines Fertigwarenlager<br />
konzipiert und mit einer Kapazität von<br />
insgesamt 6.000 Europalettenstellplätzen<br />
realisiert. Daneben verfügt das Unternehmen<br />
über eine Lagerkapazität von 7.000<br />
Palettenstellplätzen im Rohstoffbereich,<br />
was eine Summe von über 13.000 Palettenplätzen<br />
ergibt.<br />
Die Installation einer Anlage zur Frostung<br />
von Saucen-Petties im Jahr 2008 schuf<br />
nun alle verfahrenstechnischen Voraussetzungen<br />
für einen weiteren Ausbau der<br />
Position im Bereich der Fertiggerichte.<br />
Vor allem für die Herstellung der beliebten<br />
Pasta-Gerichte war diese Anlage<br />
von enormer Bedeutung. Doch auch hier<br />
erschöpften sich die räumlichen Kapazitäten<br />
im Verlauf der folgenden <strong>Jahre</strong>.<br />
Anfang 2009 begannen die Konzeptionen<br />
für ein viertes und jetzt vollautomatisches<br />
Kühlhaus. Unterbrochen wurden diese<br />
intensiven und bereits sehr weit fortgeschrittenen<br />
Planungen durch ein einschneidendes<br />
Ereignis im Sommer 2009.<br />
84
Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />
Glück im Unglück<br />
In den frühen Abendstunden des 27. Juni<br />
2009 löste ein Schwelbrand in einer<br />
elektrischen Unterverteilung innerhalb<br />
der Produktaufgabe in der Fertigungshalle<br />
einen Schaden in Millionenhöhe aus.<br />
Das Unternehmen hatte jedoch Glück im<br />
Unglück. Zwar entzündeten sich einige<br />
Decken- und Wandpaneele im unmittelbaren<br />
Bereich des Brandherdes. Menschen,<br />
Maschinen und Anlagen fielen<br />
den Flammen jedoch nicht zum Opfer.<br />
Nun zahlte es sich aus, dass wir in den<br />
vergangenen <strong>Jahre</strong>n dem aktiven Brandschutz<br />
eine so hohe Bedeutung zugemessen<br />
hatten. Da der Betrieb in drei<br />
Komplexe als Brandabschnitte unterteilt<br />
war, gelang es, ein Übergreifen des Feuers<br />
auf andere Betriebseinrichtungen zu<br />
vermeiden. Die Tiefkühlhäuser konnten<br />
schon wenige Stunden nach der erfolgreichen<br />
Brandbekämpfung wieder in<br />
Betrieb gesetzt werden.<br />
In der Produktion stand man jedoch<br />
vor einem großen „Scherbenhaufen“.<br />
Experten und Gutachter meinten, dass<br />
erst innerhalb eines Zeitraumes von vier<br />
Monaten wieder mit der Aufnahme der<br />
Fertigung zu rechnen sei. Die Notwendigkeit,<br />
weiterhin die Handelsketten mit den<br />
vertraglich bei <strong>Jütro</strong> gebundenen Tiefkühlprodukten<br />
zu versorgen, erhöhte den<br />
Druck bei der Beseitigung des Brandschadens.<br />
Die Produktionshalle wurde in Sanierungsabschnitte<br />
unterteilt und diese mit<br />
entsprechenden Prioritäten der Wiederinbetriebnahme<br />
belegt. Bereits nach 18<br />
Tagen begann die Produktion von Faltschachteln,<br />
die von Menüschalen lief<br />
nach 21 Tagen wieder an, und selbst die<br />
Schlauchbeutelproduktion konnte schon<br />
24 Tage nach der Brandkatastrophe<br />
wieder aufgenommen werden. Sämtliche<br />
Brandschäden waren Ende September<br />
2009 beseitigt und damit alle Expertenmeinungen<br />
Lügen gestraft.<br />
85
Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />
Jahr<br />
verarbeitete Produkte<br />
in Tonnen<br />
Endverbrauchereinheiten<br />
Umsatz in Euro<br />
2001 14.400 24.600.000 15,2 Mio.<br />
2004 33.800 67.000.000 36,8 Mio.<br />
2008 43.<strong>100</strong> 79.700.000 53,8 Mio.<br />
2010 53.000 98.500.000 72,4 Mio.<br />
Trotzdem nun alle Maschinen wieder im<br />
altgewohnten Glanz erstrahlten und die<br />
Arbeit im Betrieb lief, als wäre nichts gewesen,<br />
steckte uns der Schrecken jenes<br />
Samstagabends noch lange in den Knochen.<br />
Eines hatte diese Geschichte aber<br />
wieder auf eindrucksvolle Weise verdeutlicht:<br />
wenn es Schwierigkeiten gibt, dann<br />
stehen alle Mitarbeiter mit der Firmenleitung<br />
fest zusammen, dann ziehen alle an<br />
einem Strang, um das Familienunternehmen<br />
wieder flott zu machen.<br />
Die Fertigungsabläufe<br />
werden optimiert<br />
Sowohl die Produktion als auch unsere<br />
ehrgeizigen Investitionsplanungen duldeten<br />
keinen Aufschub. Bereits Ende 2009/<br />
Anfang 2010 konkretisierten sich neue<br />
Projekte, und schon im Juni war Baustart<br />
für die Errichtung des vierten und jetzt<br />
vollautomatischen Tiefkühllagers mit<br />
8.500 Palettenplätzen. Gleichzeitig entstanden<br />
ein Versandgebäude mit integriertem<br />
Sozialteil sowie eine Produktionshalle.<br />
Dabei behielten wir die angestrebte<br />
Optimierung der Fertigungsabläufe fest<br />
im Blick und installierten gleich eine<br />
neue Palettierung in der Fertigungshalle.<br />
Selbstverständlich wurde sie sofort in den<br />
vollautomatisch laufenden Lagerprozess<br />
eingebunden. Mit der Erweiterung unserer<br />
Schlauchbeutelverpackungstechnik<br />
gelang es uns, die Leistung dieser Linie<br />
im Vergleich zu 2001 zu verdoppeln.<br />
Eine Erfolgsgeschichte<br />
Aus ganz kleinen Anfängen eines Frostbetriebes<br />
entwickelte sich die <strong>Jütro</strong><br />
Tiefkühlkost GmbH & Co. KG innerhalb<br />
weniger <strong>Jahre</strong> zu einem respektablen Unternehmen<br />
seiner Branche. Im Jahr 2010<br />
verarbeiteten wir weit über 53.000 Tonnen<br />
tiefgekühltes Obst, Gemüse, Teigwaren,<br />
Reis, Fleisch-, Fisch- und Geflügelerzeugnisse.<br />
Diese schmackhaften veredelten<br />
Obst- und Gemüseerzeugnisse<br />
und Convenience-Gerichte sind bei sämtlichen<br />
namhaften Einzelhandelsunternehmen<br />
Deutschlands gelistet und werden<br />
von den Kunden sehr gut angenommen,<br />
wie die obenstehende Tabelle zeigt.<br />
86
Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />
Die Zahlen sprechen für eine gesunde<br />
und kontinuierliche Aufwärtsbewegung,<br />
die wir selbstverständlich mit Freude und<br />
Genugtuung sehen. Die persönlichen<br />
Anstrengungen, aber auch die umfassenden<br />
Investitionen der vergangen<br />
<strong>Jahre</strong> haben sich gelohnt. Der Schlüssel<br />
zum Erfolg dieses jungen Unternehmens<br />
mit seiner ebenso jungen Führung liegt<br />
ausschließlich im Engagement seiner<br />
Mitarbeiter begründet. Nur durch ihren<br />
Einsatz und ihre Leistungen sind die<br />
hohen Kapazitätsauslastungen aller vorhandenen<br />
Fertigungslinien möglich, was<br />
letztendlich zum wirtschaftlichen Erfolg<br />
führt. Weiterhin zeichnet sich der Betrieb<br />
durch die mutige und zukunftsweisende<br />
Umsetzung vieler neuer Ideen aus, die<br />
die Mitarbeiter der inzwischen erweiterten<br />
Produktentwicklung ertüfteln.<br />
Nicht umsonst nimmt die <strong>Jütro</strong> Tiefkühlkost<br />
mit ihren 145 Mitarbeitern einen<br />
führenden Platz unter den deutschen<br />
Produzenten ein und wird diesen in Zukunft<br />
nicht nur festigen, sondern weiter<br />
ausbauen.<br />
Nicht ohne Stolz und mit Wohlwollen<br />
blicken wir heute auf die 4. Generation<br />
unseres <strong>100</strong>-jährigen Familienunternehmens,<br />
die gerade am Aufbau und an der<br />
Entwicklung der <strong>Jütro</strong> Tiefkühlkost einen<br />
maßgeblichen Anteil hat.<br />
Die <strong>Jütro</strong> im Firmenverbund<br />
der I. Schroeder KG Hamburg<br />
Seit dem Einstieg der I. Schroeder KG<br />
1996 hat sich unser Unternehmen in beispielhafter<br />
Weise entwickelt. Heute steht<br />
den <strong>Jütro</strong>-Unternehmen eine gemeinsame<br />
Geschäftsführung, bestehend aus<br />
Dipl.-Kaufmann Peter Humbert, Dipl.-Ing.<br />
Michael Meyer und Dipl.-Ing. Bernd-<br />
Richard Meyer vor, die die Geschicke<br />
dieser gewachsenen und bedeutenden<br />
Unternehmen lenken. Hier verbindet sich<br />
das Know-how eines großen Handelsunternehmens<br />
mit den Ressourcen zweier<br />
moderner Produktionsstätten und deren<br />
Mitarbeitern. Gemeinsames Ziel sind<br />
die Produktion qualitativ hochwertiger<br />
Lebensmittel und der gewinnbringende<br />
Vertrieb der Erzeugnisse.<br />
87
Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />
Briefkopf<br />
von 1918<br />
In dieser Konstellation hat sich in den<br />
vergangenen <strong>Jahre</strong>n unsere Zusammenarbeit<br />
ständig, kontinuierlich und erfolgreich<br />
entwickelt.<br />
Tätigkeit auf, die unsere Erzeugnisse den<br />
Händlern anboten und auch Schilder und<br />
Preislisten mit sich führten, die dann in<br />
den Läden angebracht werden konnten.<br />
An unseren beiden modernen Produktionsstätten<br />
verfünffachte sich die Anzahl<br />
der Mitarbeiter in den letzten 15 <strong>Jahre</strong>n<br />
beinahe auf über 300 Beschäftigte.<br />
Investitionen in mehrfacher Millionenhöhe<br />
konnten gemeinsam entwickelt und<br />
verwirklicht werden. So flossen seit dem<br />
Neustart der <strong>Jütro</strong> nicht weniger als 23,2<br />
Millionen Euro in den Betrieb - 8,8 Millionen<br />
allein 2009 und 2010.<br />
Klappern<br />
gehört zum Handwerk<br />
Die Produktwerbung spielte in den Anfangsjahren<br />
des Unternehmens eine untergeordnete<br />
Rolle. Ab Mitte der 1920er<br />
<strong>Jahre</strong> nahmen Handelsvertreter ihre<br />
Für den Vertrieb benutzten wir unseren<br />
eigenen Fuhrpark oder versandten die<br />
Ware als Stückgut mit der Deutschen<br />
Reichsbahn. In stabilen Holzkisten, die<br />
wir als Leihverpackung bereitstellten, verschickten<br />
wir unsere Produkte ab einer<br />
Mindestbestellmenge von 50 1/1 Dosen<br />
an die Kunden.<br />
Auch nach 1945 blieb die Präsentation<br />
unserer Erzeugnisse eher bescheiden.<br />
Schließlich waren die Konserven bilanziert<br />
und mussten sowieso an den volkseigenen<br />
Großhandel abgegeben werden.<br />
Dennoch gelang es uns hin und wieder,<br />
befreundete private Lebensmittelhändler,<br />
mit denen wir aufgrund gemeinsamer<br />
kaufmännischer Tradition schon lange<br />
88
Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />
zusammenarbeiteten, bevorzugt zu<br />
beliefern. An Messen für landwirtschaftliche<br />
Produkte nahm selbstverständlich<br />
auch die <strong>Jütro</strong> teil.<br />
Die herrschende Mangelwirtschaft endete<br />
abrupt mit Eintritt in die Marktwirtschaft<br />
zum 1. Juli 1990. Schnell stellte<br />
sich heraus, dass wir als Lebensmittelhersteller<br />
nun die Initiative zur Vermarktung<br />
unserer Produkte selbst ergreifen<br />
mussten. Der gute Ruf der <strong>Jütro</strong>-Konserven<br />
im ostdeutschen Raum war ein<br />
Pfund, mit dem es zu wuchern galt. Die<br />
Hauptaufgabe bestand darin, die neu<br />
in Ostdeutschland agierenden Handelsunternehmen<br />
von unserer Qualität<br />
zu überzeugen.<br />
Nicht nur die Qualität, sondern auch<br />
unsere technische Ausrüstung stimmte.<br />
Schon seit <strong>Jahre</strong>n produzierten wir mit<br />
Twist-off-Verschluss und verfügten so<br />
über einen nicht unbeträchtlichen Vorteil<br />
gegenüber anderen Unternehmen<br />
der Branche.<br />
Lediglich die Etiketten bedurften einer<br />
umfassenden Neugestaltung, um mit<br />
unseren Produkten auch im Westteil<br />
Deutschlands Erfolg zu haben. Auf einer<br />
Tagung der ostdeutschen Lebensmittelproduzenten<br />
im Frühjahr 1990<br />
in Frankfurt (Oder) lernten wir einen<br />
Etikettenspezialisten, Herrn Werner E.<br />
Sewing, kennen, der uns bis heute bei<br />
der Gestaltung unserer Etiketten fachlich<br />
kompetent unterstützt.<br />
links:<br />
Werner E.<br />
Sewing, Bernd-<br />
Richard und<br />
Angelika Meyer<br />
rechts:<br />
Auszeichnung<br />
von <strong>Jütro</strong>-Produkten<br />
durch<br />
die Centrale<br />
Marketinggesellschaft<br />
der<br />
deutschen<br />
Agrarwirtschaft<br />
mbH (CMA),<br />
überreicht<br />
durch CMA-<br />
Geschäftsführer<br />
Dr. Antonius<br />
Nienhaus (links)<br />
und Bundeswirtschaftsminister<br />
Jürgen Möllemann<br />
(rechts)<br />
89
Zum Thema<br />
Neugestaltung unserer Etiketten 1990<br />
90
Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />
Auf der ersten Grünen Woche im Januar<br />
1990 verschafften wir uns als Besucher<br />
einen Überblick und holten uns Anregungen<br />
für die notwendige neue Präsentation<br />
unserer Konserven. Ein Jahr später<br />
ermöglichte uns das Landwirtschaftsministerium<br />
des Landes Brandenburg, als<br />
Aussteller an der Internationalen Grünen<br />
Woche teilzunehmen. Wir präsentierten<br />
uns auf einem Gemeinschaftsstand der<br />
brandenburgischen Lebensmittelhersteller,<br />
was kurz nach der Wende ein<br />
unbeschreibliches Erlebnis war. Seither<br />
ist die <strong>Jütro</strong> jedes Jahr als Aussteller auf<br />
der Grünen Woche anzutreffen.<br />
Auf den Verkaufsveranstaltungen der damaligen<br />
Centralen Marketinggesellschaft<br />
der deutschen Agrarwirtschaft (CMA) für<br />
ostdeutsche Lebensmittelhersteller und<br />
auf anderen Messen präsentierten wir<br />
uns danach selbstbewusst.<br />
links:<br />
Andrea und<br />
Michael Meyer<br />
auf der Anuga<br />
1995<br />
rechts:<br />
<strong>Jütro</strong>-Stand auf<br />
der anuga 1999<br />
(Angelika und<br />
Bernd-Richard<br />
Meyer)<br />
91
Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />
Brandenburgs<br />
Ministerpräsident<br />
Matthias<br />
Platzeck (2.v.l.)<br />
am <strong>Jütro</strong>-Stand<br />
auf der Grünen<br />
Woche in Berlin<br />
2010<br />
Mit dem Ausscheiden des volkseigenen<br />
Großhandels veränderte sich unsere<br />
Kundenklientel abrupt. Plötzlich sahen wir<br />
uns großen Handelsunternehmen wie der<br />
SPAR Nord-Ost oder Tengelmann gegenüber,<br />
die die Initiative auch im ostdeutschen<br />
Lebensmittelhandel übernahmen.<br />
Erste Gespräche mit der neu gebildeten<br />
SPAR Nord-Ost in Potsdam, die den so<br />
genannten volkseigenen Handel WTB<br />
(Waren des täglichen Bedarfs) übernommen<br />
hatte, erfolgten schon kurz nach der<br />
Währungsunion. An der Hausmesse des<br />
Unternehmens im September 1990 nahm<br />
auch die <strong>Jütro</strong> teil. Eigens entwickeltes<br />
Prospektmaterial mit dem Slogan „Havelländer<br />
Obstgarten, Spreewälder Gemüsegarten“<br />
ermöglichte erstmalig in der<br />
<strong>100</strong>-jährigen Geschichte unserer Firma<br />
einen werbewirksamen Verkauf.<br />
Die Landesmarketing-Institutionen der<br />
Bundesländer für die Vermarktung landwirtschaftlicher<br />
Produkte (im Land Brandenburg<br />
die pro agro) begleiteten von<br />
Beginn an Verkaufsveranstaltungen und<br />
Messen für die Lebensmittelhersteller. Im<br />
Herbst 1991 ermöglichte uns das bran-<br />
92
Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />
denburgische Landwirtschaftsministerium<br />
die Teilnahme an der ANUGA in Köln.<br />
Während dieser Messe ergaben sich die<br />
ersten Kontakte zu Herrn und Frau Humbert<br />
von der I. Schroeder KG Hamburg.<br />
An der ANUGA nehmen die beiden <strong>Jütro</strong>-<br />
Unternehmen 2011 bereits zum zehnten<br />
Mal teil. Sie bietet uns als Messegroßveranstaltung<br />
weltweiter Lebensmittelproduzenten<br />
die Möglichkeit, national und<br />
auch international Kontakte zu knüpfen<br />
und einem Fachpublikum neue Produkte<br />
vorzustellen.<br />
Seit 1991 präsentieren wir die <strong>Jütro</strong> auf<br />
der Grünen Woche. Im Jubiläumsjahr<br />
2011 sind wir also schon zum 20. Mal<br />
dabei! Sie ist für uns eine geeignete<br />
Plattform, unser Sortiment sowie neuer<br />
Produkte zu präsentieren und verkosten<br />
zu lassen. Obwohl sie sich immer mehr<br />
zum Oktoberfest der Berliner und Brandenburger<br />
zu entwickeln scheint, schätzen<br />
wir doch die Möglichkeit, im Rahmen<br />
dieser Veranstaltung Kontakte zu den<br />
Konsumenten unserer Artikel aufzunehmen<br />
und zu pflegen.<br />
Gemeinschaftsstand<br />
der <strong>Jütro</strong><br />
Tiefkühlkost<br />
GmbH & Co.<br />
KG und der<br />
I. Schroeder KG<br />
(GmbH & Co.)<br />
auf der Intercool<br />
2006<br />
93
Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />
Gemeinschaftsstand der <strong>Jütro</strong> Tiefkühlkost GmbH & Co. KG<br />
und der I. Schroeder KG (GmbH & Co.) auf der Intercool 2006<br />
94
Ein Wort zum Schluss<br />
Ein Wort zum Schluss<br />
In den vergangenen <strong>100</strong> <strong>Jahre</strong>n entwickelten<br />
wir uns von einem kleinen<br />
Konservenhersteller zu einem leistungsstarken<br />
und konkurrenzfähigen Lebensmittelproduzenten.<br />
Dabei blieben wir im<br />
Grunde das, was wir immer gewesen<br />
sind – ein Familienunternehmen.<br />
Gerade aus diesem Grund sind wir uns<br />
der Verantwortung für unsere Mitarbeiter<br />
auf besondere Art bewusst. Sie sind das<br />
eigentliche Potenzial, aus dem unsere<br />
erfolgreiche Geschäftsentwicklung in den<br />
vergangenen <strong>100</strong> <strong>Jahre</strong>n resultiert. Dafür<br />
möchten wir an dieser Stelle danken.<br />
Als verlässlicher Arbeitgeber werden wir<br />
auch künftig unserer Verantwortung für<br />
die Region gerecht.<br />
Die fünfte Generation wächst heran. Mit<br />
großem Interesse verfolgen meine beiden<br />
Enkeltöchter unser Tun und das ihrer<br />
Eltern. Dass es zur Fortführung unseres<br />
Betriebes Söhne braucht, glaubt inzwischen<br />
keiner mehr.<br />
Mögen Fortschritt und Tradition auch in<br />
den kommenden Jahrzehnten Hand in<br />
Hand gehen zur weiteren Entwicklung<br />
und zum Fortbestand der <strong>Jütro</strong>-Unternehmen.<br />
Ihr<br />
95
Literatur- und Bildnachweis<br />
Verwendete Literatur<br />
Eduard Jacobsen:<br />
Katechismus der gesamten<br />
Konserven industrie<br />
Braunschweig 1929<br />
Eduard Nehring:<br />
Streit um Konserven<br />
Braunschweig 1930<br />
Eduard Jacobsen:<br />
Wertvolle Ratschläge für die<br />
Konserven-Industrie<br />
2. Auflage, Braunschweig 1932<br />
<strong>100</strong>0 <strong>Jahre</strong> Jüterbog, Mering, 2007<br />
Dr. Martin Humbert:<br />
Die Konservenindustrie<br />
Diss. 1996<br />
Wilhelm Klemm:<br />
Die Züchners<br />
Braunschweig 1937<br />
Erich Sturtevant:<br />
Chronik der Stadt Jüterbog<br />
Jüterbog1936<br />
M. J. Dikis und A. M. Malski:<br />
Die Maschinen und Apparate der<br />
Konservenindustrie<br />
Leipzig 1955<br />
Henrik Schulze:<br />
Der frühere Kreis Jüterbog-Luckenwalde<br />
in alten Ansichten<br />
Zaltbommel (NL) 1994<br />
Markus Hennen:<br />
Jüterbog – <strong>100</strong>0 <strong>Jahre</strong> Ersterwähnung<br />
Jüterbog 2007<br />
96
Bildnachweis<br />
Folgende Abbildungen stammen nicht<br />
aus dem Archiv der <strong>Jütro</strong>, sondern aus<br />
den nachgenannten Quellen:<br />
Nicolas Appert (Seite 12), wikipedia.de<br />
Konservenglas zu Apperts Zeiten (Seite<br />
12), wikipedia.de<br />
Blick von Vorstadt Neumarkt in den „Bärstrauch“<br />
(Seite 15), Erich Sturtevant,<br />
Chronik der Stadt Jüterbog, Jüterbog<br />
1935, S. 473<br />
Das Neumarkttor (Außenansicht) um<br />
1890 (Seite 16), ebd.<br />
delikat-Schaufenster (Seite 58), Florian<br />
Schäffer/wikipedia.de<br />
Fotografennachweis<br />
Antje Plewinski, Berlin:<br />
• Fotos Menüschalen (Seite 84 f.)<br />
• Fotos Schlauchbeutel (Seite 87)<br />
Peter Männig, Leipzig:<br />
• Fotoserie „PE-, PP- und PET-Abfüllanlage“<br />
auf Ausklappseite vorn<br />
• Fotoserie „Autoklav“ auf Ausklappseite<br />
hinten<br />
• Foto Kesselhaus (Seite 19)<br />
• Fotos aus der Feinkostproduktion in<br />
Jüterbog (Seite 76 f.)<br />
• Fotostrecke Combisafe-Anlage (Seite<br />
78 f.)<br />
Birgit Heinzel, Jessen:<br />
• Foto Michael & Andrea Meyer (Seite<br />
69)<br />
• Fotos aus der Tiefkühlkostproduktion<br />
in Jessen (Seite 80 f.)<br />
• Foto der Palettieranlage in Jessen<br />
(Seite 82/83)<br />
Frank Donati, Berlin:<br />
• Foto Grüne Woche 2010 (Seite 92)<br />
97
Foto Umschlagseite (ausgeklappt) innen:<br />
Bernd-Richard Meyer (erste Reihe Mitte) als junger Unternehmenschef<br />
im Kreise seiner Mitarbeiter<br />
Impressum<br />
Herausgeber:<br />
Bernd-Richard Meyer<br />
<strong>Jütro</strong> GmbH & Co. KG<br />
Konserven & Feinkost<br />
Gewerbering 1<br />
14913 Jüterbog<br />
Autorin:<br />
Jana Männig, Leipzig<br />
www.jana-maennig.de<br />
Reproduktionen:<br />
Peter Männig, Leipzig<br />
Holger Krusche, Leipzig<br />
Layout & Drucksatz:<br />
Peter Männig, Leipzig<br />
1. Auflage<br />
1.-750. Exemplar<br />
April 2011<br />
98
Firmenansicht der <strong>Jütro</strong> GmbH & Co. KG Konserven & Feinkost in Jüterbog<br />
www.juetro.de