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100 Jahre Jütro

Eine Firmen- und Familiengeschichte 1911 bis 2011

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1911 bis 2011

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<strong>100</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Jütro</strong><br />

Eine Firmen- und Familiengeschichte<br />

1911 bis 2011


<strong>100</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Jütro</strong> im Überblick<br />

Die FirmengrünDung<br />

1911<br />

1912<br />

1914<br />

1926<br />

1936<br />

1937<br />

1938<br />

Am 1. mai gründet richard meyer gemeinsam mit seiner Frau marie eine Konservenfabrik für die Verarbeitung<br />

von Waldfrüchten in Jüterbog, Vorstadt neumarkt nummer 1.<br />

Dem gründerehepaar wird Sohn Fritz geboren.<br />

richard meyer steht im Feld. Seine Frau marie leitet die geschicke der Firma mit umsicht, Durchsetzungsvermögen<br />

und Talent. Kurz vor Kriegsausbruch zieht die junge Familie in das neben der Fabrik neu errichtete<br />

Wohnhaus.<br />

Das eingeschossige Fabrikgebäude muss aufgestockt werden, um dem Firmenwachstum rechnung zu tragen.<br />

Das 25-jährige Betriebsjubiläum wird feierlich begangen. Das Firmenkonzept zur Herstellung qualitativ hochwertiger<br />

Konserven hat sich bewährt. Bald schon geraten Fabrikation und Lager räumlich erneut an ihre grenzen.<br />

Der Zukauf des benachbarten grundstücks Vorstadt neumarkt nummer 7 ist notwendig.<br />

ein neues, zweigeschossiges Fabrikgebäude wird errichtet.<br />

nach einer umfassenden Ausbildung tritt mit Fritz meyer die zweite generation in das Familienunternehmen<br />

ein. er heiratet die gastwirtstochter Hildegard Dornbusch.<br />

WäHrenD DeS 2. WeLTKriegS<br />

Die Töchter Bernhild (1939) und gudrun (1942) kommen zur Welt.<br />

1941<br />

1943<br />

1944<br />

1945<br />

Fritz meyer wird zur Wehrmacht eingezogen.<br />

Der Firmengründer richard meyer stirbt überraschend kurz vor Vollendung seines 60. Lebensjahres. Von nun<br />

an zeichnet seine Witwe marie für das unternehmen.<br />

im Juli wird dem Fabrikantenpaar Fritz und Hildegard meyer Sohn Bernd-richard geboren.<br />

nach dem einmarsch der roten Armee im April wird Fritz meyer gemeinsam mit anderen Jüterboger Bürgern<br />

festgesetzt und auf dem Hof des Jüterboger Amtsgerichts bei einem Fluchtversuch erschossen. marie meyer<br />

und ihre Schwiegertochter Hildegard führen das unternehmen weiter.<br />

PriVATeS unD HALBSTAATLicHeS WirTScHAFTen in Der DDr<br />

1953<br />

1961<br />

1962<br />

1964<br />

1966<br />

1967<br />

1970<br />

Marie Meyer flieht im Frühjahr nach einer willkürlichen staatlichen Buchprüfung nach Westberlin. Sie kehrt im<br />

Juli 1953 zurück.<br />

Das 50-jährige Betriebsjubiläum begeht die Konservenfabrik noch als privates unternehmen.<br />

Der Staat sichert sich durch eine Beteiligung an der Firma Einfluss, ermöglicht aber auch notwendige Investitionen.<br />

Der Betrieb gilt nun als halbstaatlich.<br />

Bernd-richard meyer verlässt die ingenieurschule für Lebensmittelindustrie in gerwisch als ingenieur.<br />

Zweiundzwanzigjährig übernimmt er in dritter generation den Betrieb.<br />

Bernd-richard meyer heiratet seine Kommilitonin Angelika Stein.<br />

Sohn michael wird geboren.


<strong>100</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Jütro</strong> im Überblick<br />

Die VerSTAATLicHung DeS FAmiLienunTerneHmenS<br />

1972<br />

Der Familienbetrieb wird zwangsverstaatlicht. Als Betriebsleiter behält Bernd-richard meyer die Verantwortung<br />

für das unternehmen.<br />

Die Haupterzeugnisse in den 1970er und 1980er <strong>Jahre</strong>n sind konservierte erdbeeren, gurken, rotkohl und<br />

besonders Apfelmus. Hochwertige Qualitätskonserven für den export und den „delikat“-Handel werden auf<br />

modernen Anlagen ausländischer maschinenbauer gefertigt.<br />

Die „JüTerBoger KonSerVenFABriK ricHArD meyer gmBH“ KeHrT ZurücK<br />

1990<br />

1991<br />

1992<br />

nach den politischen und wirtschaftlichen umbrüchen des <strong>Jahre</strong>s 1989 verlässt die Konservenfabrik im Februar<br />

1990 den Kombinatsverband und ist nun ein juristisch selbständiger Betrieb. Zum 1. April 1990 wird die<br />

„Jüterboger Konservenfabrik richard meyer gmbH“ wiedergegründet.<br />

gemeinsam mit der Agrargenossenschaft Jessen/Schweinitz wird die <strong>Jütro</strong>-Frost aus der Taufe gehoben. Ziel<br />

dieser Zusammenarbeit ist es, die erzeugnisse der genossenschaft vor ort in Jessen zu frosten und die tiefgekühlten<br />

Halbfabrikate später in Jüterbog zu obstkonserven zu verarbeiten.<br />

Die geschäftsbeziehungen zur i. Schroeder Kg (gmbH & co.) Hamburg beginnen. eine neue Lagerhalle<br />

entsteht im gewerbegebiet, um die produzierten Bestände, um deren einlagerung sich bis 1990 der staatliche<br />

großhandel gekümmert hat, selbst lagern zu können. Das Hauptaugenmerk liegt nun auf der gurkenverarbeitung.<br />

Die ehem. Firma Freytag, eine kleine Senffabrik, wird übernommen.<br />

Der neuAnFAng gLücKT<br />

1996<br />

1998<br />

Am 2. Januar müssen die <strong>Jütro</strong> Konservenfabrik und die <strong>Jütro</strong> Frost gmbH Konkurs anmelden. Die i. Schroeder<br />

Kg (gmbH & co.) Hamburg übernimmt beide Betriebe. Zum 1. märz 1996 entstehen die unternehmen <strong>Jütro</strong><br />

Konservenfabrik gmbH und <strong>Jütro</strong> Tiefkühlkost gmbH. mitinhaber Diplomkaufmann Peter Humbert, i. Schroeder<br />

Kg (gmbH & co.) Hamburg und Diplomingenieur michael meyer übernehmen die geschäftsführung der <strong>Jütro</strong><br />

Tiefkühlkost gmbH. mit michael meyer steht nun die vierte generation im Betriebsgeschehen.<br />

Zur Steigerung der Verarbeitungskapazitäten erfolgt ein vollständiger technologischer umbau der alten Fabrik.<br />

im „gurkenkrieg“ um die Bezeichnung „Spreewälder gurken“ muss sich die Firma gegenüber den Spreewälder<br />

Produzenten geschlagen geben. Die Apfelmusproduktion wird eingestellt und die obstkonservenherstellung<br />

aus Tiefkühlprodukten beginnt.<br />

1999<br />

2001<br />

2004<br />

2009<br />

2010<br />

2011<br />

Das unternehmen wird in eine Kommanditgesellschaft umgewandelt. Der Firmensitz der neuen <strong>Jütro</strong> Tiefkühlkost<br />

GmbH & Co. KG befindet sich in Jessen/Elster in Sachsen-Anhalt.<br />

Die <strong>Jütro</strong> Konservenfabrik Jüterbog zieht ins gewerbegebiet Luckenwalder Berg. Die Feinkostproduktion gewinnt<br />

neben der gurkenverarbeitung immer mehr an Bedeutung. Die errichtung eines zweiten Tiefkühllagers in<br />

Jessen wird notwendig.<br />

Die Produktion hochwertiger Fertiggerichte in der menüschale für die Zubereitung in der mikrowelle beginnt bei<br />

der <strong>Jütro</strong> Tiefkühlkost gmbH & co. Kg in Jessen/elster.<br />

Am 27. Juni 2009 verursacht ein Schwelbrand in der Fertigungshalle der <strong>Jütro</strong> Tiefkühlkost millionenschäden.<br />

Dank unverzüglicher Aufbauarbeiten kann die Produktion bereits nach drei Wochen ohne nachteilige Auswirkungen<br />

auf die Kunden wieder aufgenommen werden.<br />

Die <strong>Jütro</strong> Tiefkühlkost nimmt ein vollautomatisches Tiefkühllager mit 8.500 Palettenplätzen in Betrieb.<br />

gemeinsam mit Freunden, Kunden, geschäftspartnern, Familie und Belegschaft begehen wir das <strong>100</strong>-jährige<br />

Firmenjubiläum.


Eine Firmengeschichte wird immer von Menschen bestimmt,<br />

die sich einer Aufgabe widmen und diese mit Leben erfüllen.


<strong>100</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Jütro</strong><br />

Eine Firmen- und Familiengeschichte<br />

1911 bis 2011


Inhaltsverzeichnis<br />

Seite<br />

Zum Geleit<br />

7<br />

Die erste Generation: Das Gründerpaar Richard und Marie Meyer<br />

9<br />

Die zweite Generation: Meine Eltern Fritz und Hildegard Meyer<br />

27<br />

Die dritte Generation: Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />

43<br />

Die vierte Generation tritt an: Michael und Andrea Meyer<br />

69<br />

Ein Wort zum Schluss<br />

95<br />

Literatur- und Bildnachweis<br />

96<br />

5


Vorwort<br />

Zum Geleit<br />

Die Jüterboger Konservenfabrik feiert<br />

2011 ihr <strong>100</strong>-jähriges Bestehen. Dies ist<br />

Anlass für mich, zurückschauen auf die<br />

Geschichte der Familie wie auf die der<br />

Fabrik, sind doch beide schicksalhaft<br />

miteinander verknüpft. Von Jüterbog<br />

wird ebenso die Rede sein wie von der<br />

Entwicklung der Konservenindustrie,<br />

besonders in Hinblick auf die Obst- und<br />

Gemüseverarbeitung, der wir uns bereits<br />

in vierter Generation erfolgreich widmen.<br />

Die Blechdosenindustrie ist schließlich so<br />

alt wie die Konservenherstellung. Beide<br />

nahmen ihren fabrikmäßigen Anfang zu<br />

Beginn des 20. Jahrhunderts und ermöglichten<br />

es gemeinsam, dass Konserven<br />

vom Luxus- zum Gebrauchsartikel werden<br />

konnten. Diese Chancen und Potenziale<br />

erkannte mein Großvater Richard<br />

Meyer und gründete gemeinsam mit seiner<br />

Ehefrau eine Konservenfabrik. Dass<br />

sie noch heute erfolgreich besteht, und<br />

dass sie sämtlichen politischen Wechselfällen<br />

des 20. Jahrhunderts hat trotzen<br />

können, ist ihr Verdienst und das ihrer<br />

Nachkommen. Krieg, Zerstörung, Willkür<br />

und unendliches Leid, ja die Dezimierung<br />

und Vernichtung ganzer Familien prägten<br />

diese Zeit maßgeblich. Mensch zu bleiben<br />

und seine Ziele nicht aus den Augen<br />

zu verlieren, Freiräume zu suchen und<br />

das Überleben des Unternehmens zu sichern,<br />

waren Herausforderungen, denen<br />

sich die Gründer wie auch ihre Kinder<br />

und Kindeskinder zu stellen hatten.<br />

Das 25-jährige Betriebsjubiläum begingen<br />

wir 1936 im Nationalsozialismus,<br />

das 50-jährige Jubiläum 1961 und das<br />

75-jährige im <strong>Jahre</strong> 1986 unter dem<br />

kommunistischen Zwangsregime der<br />

7


Vorwort<br />

SED, das es uns trotz allem ermöglichte,<br />

diese Feste zu begehen. Im hundertsten<br />

Gründungsjahr finden wir uns und unser<br />

Unternehmen in einer demokratischen<br />

Grundordnung, in der es wieder Freude<br />

macht, Unternehmer zu sein.<br />

Allen Schicksalsschlägen zum Trotz blieb<br />

die Firma über all die <strong>Jahre</strong> hinweg die<br />

Wurzel, aus der sich ein Leben in Wohlstand<br />

und gutem Auskommen für jedes<br />

einzelne Familienmitglied speiste.<br />

Natürlich sind Familienunternehmen nicht<br />

nur die Wirkungsstätte der männlichen<br />

Familienoberhäupter, sondern auch die<br />

der Ehefrauen. Bereits kurz nach der<br />

Firmengründung musste meine Großmutter<br />

mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges<br />

– gerade 24-jährig – das junge Unternehmen<br />

führen. Diese Erfahrungen selbständigen<br />

Handelns kamen ihr 1945 zugute,<br />

als sie gemeinsam mit ihrer Schwiegertochter<br />

Familie und Firma durch die<br />

Nachkriegszeit leitete. Auch meine Frau<br />

Angelika ist mir seit über 40 <strong>Jahre</strong> eine<br />

große Stütze und bildet den freundlichen<br />

Ausgleich im Unternehmen. Mein Sohn<br />

hat ebenfalls mit seiner Frau Andrea eine<br />

Unternehmerfrau gefunden, auf deren<br />

Hilfe er sich jederzeit verlassen kann.<br />

Dokumente, Fotos und vielfältige Unterlagen<br />

aus den vergangenen Jahrzehnten<br />

haben sich in unserem Archiv erhalten.<br />

Doch sind auch wertvolle Materialien<br />

beim Abriss des alten Fabrikgebäudes<br />

2002 verloren gegangen. Kaum sechs<br />

Wochen blieben uns für den Umzug der<br />

Firma, und sicher wäre vom Fabrikboden<br />

noch das eine oder andere zu retten<br />

gewesen. Doch für Sentimentalitäten war<br />

keine Zeit – schade.<br />

Wo die schriftlichen Zeugnisse fehlen,<br />

müssen mündliche Überlieferungen die<br />

Lücken füllen. Ich bin froh und glücklich,<br />

auf den reichhaltigen Erinnerungs- und<br />

Erfahrungsschatz meiner hochbetagten<br />

Mutter zurückgreifen zu können. Seit ihrer<br />

Einheirat in die Gründerfamilie ist sie aufs<br />

Engste mit der Fabrik verbunden. Ich<br />

selbst, der ich als künftiger Inhaber quasi<br />

in der Fabrik aufgewachsen bin, kann<br />

inzwischen auch schon auf beinahe 60<br />

<strong>Jahre</strong> bewussten Lebens im Unternehmen<br />

zurückblicken und tue das für diese<br />

Chronik mit besonderer Freude.<br />

Ihr<br />

8


Die erste Generation – Das Gründerpaar Richard und Marie Meyer<br />

DIE ERSTE GENERATION<br />

DAS GRÜNDERPAAR<br />

RICHARD UND MARIE MEYER<br />

9


Die erste Generation – Das Gründerpaar Richard und Marie Meyer<br />

Die Schwestern<br />

Anna und Marie<br />

Kassin auf der<br />

Obstplantage<br />

ihres Vaters<br />

(Marie links).<br />

Mein Großvater Richard Meyer ist am<br />

16. September 1884 in Braunschweig<br />

als Sohn des Bautechnikers Friedrich<br />

Andreas Meyer und seiner Ehefrau Luise<br />

Hermine, geb. Grimm, zur Welt gekommen.<br />

In seiner Heimatstadt lernte er den<br />

Kaufmannsberuf. Vermutlich tat er das<br />

in einer der neu gegründeten modernen<br />

Konservenfabriken, die zu dieser Zeit im<br />

Niedersächsischen wie Pilze aus dem<br />

Boden schossen. Nach Werder an der<br />

Havel kam er, um sich als Volontär in der<br />

Konservenfabrik Bärbaum weiterzubilden.<br />

Schnell muss dem jungen Mann<br />

aufgegangen sein, dass die im Entstehen<br />

begriffene Konservenindustrie ein<br />

Entwicklungspotenzial besaß, das es zu<br />

nutzen galt.<br />

Leider wissen wir nicht, wie sich meine<br />

Großeltern kennen lernten. Vielleicht<br />

liefen sie sich über den Weg, als der<br />

Großvater Frischware beim Obstplantagenbesitzer<br />

Kassin für die Bärbaumsche<br />

Konservenfabrik orderte. Friedrich<br />

Kassin, der Vater meiner Großmutter, war<br />

ein überaus angesehener und vermögender<br />

Obstplantagen- und auch Fischereibesitzer<br />

in Werder an der Havel. Gemeinsam<br />

mit seiner Frau Anna, geb. Tauscher,<br />

hatte er zwei Töchter, Anna und Marie.<br />

Marie Kassin wurde am 23. Januar 1890<br />

geboren.<br />

Sie erhielt bei ihrer Hochzeit am 8. April<br />

1911 eine großzügige Mitgift, die den<br />

finanziellen Grundstock der in Aussicht<br />

genommenen Firmengründung des<br />

jungen Paares bildete. Wie der Großvater<br />

während seiner Ausbildung in der<br />

Konservenindustrie, so hatte auch die<br />

Großmutter durch ihre Nähe zu den Obstplantagen<br />

früh erkannt, dass sich in der<br />

Fertigung von Konserven ein lohnendes<br />

Betätigungsfeld bieten könnte. In Werder<br />

selbst arbeiteten schon einige Firmen auf<br />

10


Die erste Generation – Das Gründerpaar Richard und Marie Meyer<br />

Eröffnungs​bilanz<br />

vom 1. Mai<br />

1911, mit der<br />

Firmengründer<br />

Richard Meyer<br />

das Hauptbuch<br />

eröffnet.<br />

diesem Gebiet, die sich in der Hauptsache<br />

mit der Verarbeitung des Obstes aus<br />

den nahen Anbaugebieten beschäftigten.<br />

Richard und Marie Meyer entschieden<br />

sich bei der Wahl ihres Firmensitzes<br />

gegen Werder und Plantagenobst und<br />

für Jüterbog und Waldfrüchte. Steinpilze,<br />

Pfifferlinge und Heidelbeeren aus<br />

den umgebenden Wäldern versprachen<br />

eine größere Wertschöpfung. Mit diesen<br />

Produkten schien auch die Firmenphilosophie<br />

des jungen Gründerpaares, die<br />

Herstellung hochwertiger Qualitätskonserven,<br />

möglich. Kaum vier Wochen nach<br />

der Hochzeit nahm mit der Eröffnungsbilanz<br />

zum 1. Mai 1911 die Konservenfabrik<br />

in Jüterbog, Vorstadt Neumarkt 1, ihre<br />

Arbeit auf.<br />

11


Zum Thema<br />

Das Geheimnis,<br />

die <strong>Jahre</strong>szeiten festzuhalten<br />

Das Haltbarmachen von Lebensmitteln<br />

ist ein uraltes Thema. Was<br />

einst mit Pökeln, Räuchern und<br />

Trocknen begann, wird vermutlich<br />

mit der Konservierung in Dosen<br />

und Gläsern und auch mit dem<br />

Frosten frischer Produkte noch<br />

nicht abgeschlossen sein.<br />

Nachdem der französische Konditor<br />

und Zuckerbäcker Nicolas<br />

Appert 1809 sein Verfahren zur<br />

Konservierung in Glasgefäßen<br />

hatte patentieren lassen, schrieb<br />

der „Courier de l’Europe“ begeistert:<br />

„Appert hat das Geheimnis<br />

entdeckt, die <strong>Jahre</strong>szeiten festzuhalten,<br />

bei ihm leben Frühling,<br />

Sommer und Herbst in Flaschen“.<br />

Genau darum ging es. Die Fülle<br />

der Früchte, die in den warmen<br />

Monaten anfiel, wollte auch im<br />

Winter genossen werden. Am<br />

liebsten sogar jederzeit. Doch ehe<br />

dieser Traum Wirklichkeit werden<br />

konnte, brauchte es findige Köpfe,<br />

die sich von Rückschlägen und<br />

Hindernissen nicht entmutigen<br />

ließen, die tüftelten, forschten und<br />

wagten.<br />

Baron Wilhelm Eberhard Anton<br />

von Campen beispielsweise. Er<br />

lernte in diplomatischer Mission<br />

des braunschweigischen Hofes<br />

bei einem Aufenthalt in Frankreich<br />

Apperts Konservierungsmethoden<br />

kennen.<br />

Zurückgekehrt beauftragte er den<br />

Seesener Klempnermeister Heinrich<br />

Züchner mit der Herstellung<br />

von Dosen. Eigentlich verließen<br />

Leuchter, Laternen und Lampen<br />

und hin und wieder auch ein paar<br />

Zuckerdosen die Klempnerwerkstatt.<br />

Nun sollten Dosen gefertigt<br />

werden, um die Jagdbeute des<br />

Barons haltbar zu machen.<br />

Der Erfolg sprach sich bald herum,<br />

und es dauerte nicht lange, bis<br />

auch Hausfrauen nach Konservendosen<br />

verlangten, um Obst und<br />

Gemüse aus den Gärten haltbar<br />

zu machen. Mancher füllte sogar<br />

über den eigenen Bedarf ab und<br />

verkaufte die Dosen weiter. So<br />

entstanden die ersten einfachen<br />

Konservenfabriken. Und aus der<br />

Klempnerei Züchner entwickelte<br />

sich in den nächsten 150 <strong>Jahre</strong>n<br />

eines der führenden Unternehmen<br />

der Feinstblechverpackungsindustrie.<br />

Die Herstellung hochwertiger<br />

Weißblechdosen und das Befüllen<br />

der Dosen entwickelten sich zu<br />

den beiden Zweigen der entstehenden<br />

Konservenindustrie.<br />

Nicolas Appert<br />

Konservenglas zu Apperts Zeiten<br />

12


Zum Thema<br />

Die Konservenindustrie<br />

bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs<br />

Die ersten größeren Betriebe<br />

entstanden nach 1840 in Braunschweig.<br />

Spargel aus den umliegenden<br />

Anbaugebieten wurde<br />

hier in Dosen gefüllt und haltbar<br />

gemacht. Klempner und Landwirte<br />

funktionierten nun als Zulieferer.<br />

Die 1880er <strong>Jahre</strong>, die eigentlichen<br />

<strong>Jahre</strong>n der Gründerkrise der<br />

deutschen Wirtschaft, gelten gemeinhin<br />

als die Gründerjahre der<br />

Konservenindustrie, und der ausbrechende<br />

Erste Weltkrieg führte<br />

zu einem ungeahnten Anstieg der<br />

Nachfrage nach haltbaren Lebensmitteln.<br />

Die eigenen Soldaten und<br />

auch die der verbündeten Heere<br />

konnten so versorgt werden.<br />

Wenige <strong>Jahre</strong> vor Kriegsausbruch<br />

hatten meine Großeltern<br />

ihre Konservenfabrik in Jüterbog<br />

gegründet, die von diesem kriegsbedingten<br />

Aufschwung der Branche<br />

profitieren konnte. Das wollten<br />

allerdings auch andere, und Konservenfabriken<br />

schossen wie Pilze<br />

aus dem Boden.<br />

Bei Kriegsende stellte sich jedoch<br />

heraus, dass der Bedarf der Bevölkerung<br />

so groß nicht mehr war.<br />

Ohne die zu versorgenden Heere<br />

und Kolonien und nach dem Verlust<br />

der Kriegs- und Handelsflotte<br />

hatte nur noch ein Teil der Betriebe<br />

sein Auskommen. Die Jüterboger<br />

Qualitätskonserven behielten es.<br />

Und das, obwohl die Branche<br />

inzwischen mit einem ernst zu<br />

nehmenden Imageproblem zu<br />

kämpfen hatte.<br />

Schnell waren die Produkte in den<br />

Augen der Verbraucher nämlich<br />

vom Luxusgut zum Billigartikel<br />

geworden. Die Neugründungen<br />

hatten den Konkurrenzdruck verschärft<br />

und manche Hersteller zu<br />

Billigproduzenten werden lassen.<br />

Verbraucher, die von der Qualität<br />

dieser billigen Konserven enttäuscht<br />

waren, betrachteten leicht<br />

die gesamte Erzeugnispalette der<br />

Konservenindustrie als minderwertig.<br />

Ein weiterer Vorwurf, der den<br />

konservierten Erzeugnissen immer<br />

wieder gemacht worden ist, war<br />

der, sie seien vitaminlos oder gar<br />

giftig. Dieser Makel haftete den<br />

Dosen an und schreckte ängstliche<br />

Käufer ab. Die wirtschaftliche<br />

Vereinigung der Konservenindustrie<br />

versuchte immer wieder mit den<br />

unterschiedlichsten Mitteln, Vorurteile<br />

der Verbraucher gegenüber<br />

den Konserven auszuräumen. 1<br />

Vergiftungen entstünden nie durch<br />

Obst- und Gemüsekonserven,<br />

sondern immer nur durch die Beikost,<br />

wie etwa durch verdorbenes<br />

Fleisch. Außerdem sei die Verarbeitung<br />

hochgradig hygienisch,<br />

so dass beispielsweise Erbsen<br />

„mit Menschenhänden gar nicht in<br />

Berührung“ 1 kämen. Gleichzeitig<br />

mahnte die Vereinigung in den<br />

1930er <strong>Jahre</strong>n die Kunden, auf<br />

den Verbrauch deutscher Konserven<br />

zu achten, um die heimische<br />

Landwirtschaft und Industrie zu<br />

stützen.<br />

Braunschweig blieb das Zentrum<br />

der Gemüsekonservenindustrie.<br />

Schwerpunkte der Obstkonservenindustrie<br />

befanden sich<br />

in Hannover, in der Altmark, im<br />

Raum Lübeck und in Sachsen.<br />

Von einem gartenmäßigen Anbau<br />

der Produkte war man inzwischen<br />

zum feldmäßigen Anbau übergegangen.<br />

Braunschweig und der<br />

Spargel waren hier wiederum die<br />

Vorreiter. Neugezüchtete Bohnenbzw.<br />

Erbsensorten ermöglichten<br />

großflächigen Anbau und zeitsparende<br />

Verarbeitung. Den Bedarf an<br />

Beerenobst konnte die heimische<br />

Konservenindustrie jedoch nicht im<br />

Inland decken. Dafür waren Importe<br />

notwendig.<br />

Wie der Betrieb der Großeltern arbeitete<br />

die überwiegende Zahl der<br />

Unternehmen als Familienbetriebe<br />

mit ortsansässigen Beschäftigten<br />

13


Zum Thema<br />

und Saisonarbeitern. Verarbeitungsmaschinen<br />

gab es kaum.<br />

Arbeit in der Konservenfabrik war<br />

Handarbeit und Frauenarbeit.<br />

Zuverlässigkeit, Schnelligkeit und<br />

Geschicklichkeit zeichnete sie aus.<br />

Bohnen, Spargel, Erbsen und<br />

Pilze konnten nur über eine kurze<br />

Zeitspanne eingelagert werden<br />

und bedurften einer schnellen Verarbeitung.<br />

„Am vorteilhaftesten ist<br />

es immer noch, das Entfädeln [der<br />

Bohnen] mit der Hand vorzunehmen,<br />

wozu sich Frauen am geeignetsten<br />

(und billigsten) erwiesen<br />

haben“, heißt es in einer Abhandlung<br />

von 1932. 2<br />

Die verarbeitende Industrie war<br />

gezwungen, sich den örtlichen<br />

Gegebenheiten anzupassen, denn<br />

die Rohware konnte in der Regel<br />

nicht über weite Strecken transportiert<br />

werden. Einem Ausbau der<br />

Verarbeitungskapazitäten waren<br />

also enge Grenzen gesetzt.<br />

Bereits in den letzten <strong>Jahre</strong>n<br />

vor dem Ausbruch des Zweiten<br />

Weltkriegs nahm die Absatzentwicklung<br />

der Konserven wieder<br />

an Fahrt auf. Der eingeschränkte<br />

Fett- und Fleischkonsum und eine<br />

zunehmende Erwerbstätigkeit<br />

der Frauen ließ diese häufiger zu<br />

Gemüse aus der Dose greifen.<br />

Während des Krieges nahm die<br />

Wehrmacht den größten Teil der<br />

produzierten Konserven ab. Fehlende<br />

ausländische Konkurrenz<br />

sicherte den Absatz der übrigen<br />

Konserven, ja für den zivilen Bedarf<br />

fehlte es sogar an Konserven.<br />

Von den Kriegsereignissen selbst<br />

blieben die meisten Konservenfabriken<br />

weitestgehend verschont.<br />

Kleine Betriebe in ländlichen<br />

Gegenden waren keine Ziele für<br />

alliierte Truppen.<br />

Mit dem Einmarsch der Roten<br />

Armee sollte jedoch das Geschick<br />

unserer Familie und mit ihm das<br />

der Firma eine schmerzhafte Wendung<br />

nehmen.<br />

Ansicht der ehemaligen Fabrik am Oberhag<br />

Vorstadt Neumarkt 1 (nach 1926)<br />

Literaturnachweis:<br />

1<br />

Siehe die Schrift von Eduard Nehring:<br />

Streit um Konserven. Drama in einem<br />

Aufzug, Braunschweig 1930<br />

2<br />

Eduard Jacobson: Wertvolle Ratschläge<br />

für die Konserven-Industrie, II.<br />

Auflage, Braunschweig 1932, S. 54<br />

14


Zum Thema<br />

Jüterbog – mehr als eine Garnisonsstadt?<br />

Obwohl Jüterbog bereits im 12.<br />

Jahrhundert das Stadtrecht erhielt,<br />

blieb es doch bis weit ins 19. Jahrhundert<br />

hinein eine Landstadt, ein<br />

zentraler Ort für die umliegenden<br />

Bauernschaften. Die industrielle<br />

Revolution spielte sich im benachbarten<br />

Luckenwalde ab, während<br />

es innerhalb der Jüterboger Stadttore<br />

ruhig blieb. Die 1841 eröffnete<br />

Fernbahnlinie brauste im Wortsinne<br />

in der Ferne vorbei. Skeptisch<br />

gegenüber den großen Dampflokomotiven<br />

hatte man den Bahnhof<br />

weit vor die Stadt verlegt. Lediglich<br />

an den Markttagen, zu den Vieh-,<br />

Woll- oder Flachsmärkten, herrschte<br />

hier reges Treiben. Mädchen<br />

und Frauen in der Fläminger Tracht<br />

mit den typischen großen Flügelhauben<br />

prägten dann das Stadtbild.<br />

Erst unter Bismarck begann Jüterbog<br />

aus seinem Dornröschenschlaf<br />

zu erwachen. Schüsse<br />

weckten es. Der neue Schießplatz<br />

auf der Heide zwischen Treuenbrietzen<br />

und Jüterbog und eine<br />

eigene Garnison belebten die Wirtschaft,<br />

und zwischen die Fläminger<br />

Trachten mischten sich Uniformen<br />

aus fernen Ländern. Offiziere<br />

aus Japan, Russland, der Türkei<br />

und Bulgarien sah man in den<br />

Straßen und Gassen der Stadt.<br />

Blick von Vorstadt Neumarkt in den Bärstrauch. Rechts unten, wo die Zeichnung<br />

noch Grünanlagen zeigt, das Grundstück Vorstadt Neumarkt 1, auf dem 1911 die<br />

Konservenfabrik Rich. Meyer errichtet wird.<br />

Es versteht sich, dass nun auch<br />

der Bahnhof herangeholt werden<br />

musste. Eine Pferdebahn verkürzte<br />

den Weg in die Stadt und tat das<br />

bis zur Aufnahme des Omnibusverkehrs<br />

1928. Lange Zeit bewahrte<br />

sich Jüterbog seinen altertümlichen<br />

Charakter, doch setzte in<br />

den letzten <strong>Jahre</strong>n vor dem Ersten<br />

Weltkrieg eine rege Bautätigkeit<br />

ein, die auch die Installation von<br />

Wasserleitungen und Kanalisation<br />

einschloss.<br />

Die Verringerung des Heeres<br />

infolge des Versailler Vertrages traf<br />

Jüterbog schwer. Wohl und Wehe<br />

der Stadt waren mit dem der Garnison<br />

aufs engste verbunden gewesen.<br />

Zwar blieb der Schießplatz<br />

als Truppenübungsplatz erhalten,<br />

doch in die Kaserne zogen erst<br />

Verwundete und später Obdachlose<br />

ein. Seit 1930 wurde auf dem<br />

Truppenübungsplatz wieder eifrig<br />

das Schießen geübt, und kaum<br />

vier <strong>Jahre</strong> später galt Jüterbog als<br />

der größte Truppenübungsplatz<br />

Deutschlands. Auf die industrielle<br />

Entwicklung der Stadt wirkte sich<br />

dies nicht nachhaltig aus. Neben<br />

der Konservenfabrik meiner<br />

15


Zum Thema<br />

Großeltern gab es um diese Zeit<br />

eine Briefumschlagfabrik, eine<br />

Gärungsessig- und Senffabrik, die<br />

auch Fruchtsäfte und Trinkbranntwein<br />

herstellte, eine elektrisch betriebene<br />

Getreidemühle und einige<br />

kleine Zigarrenfabriken.<br />

Nach dem Ende des Zweiten<br />

Weltkriegs strebte die Stadt eine<br />

zivile Nachnutzung der zahlreichen<br />

Militäreinrichtungen an. Die sowjetische<br />

Besatzungsmacht jedoch<br />

hatte anderes vor und nutzte bis<br />

zur Wende 1989 beinahe zwei<br />

Drittel der administrativen Fläche<br />

der Stadt. Lange Lastwagenkolonnen<br />

russischer Armeefahrzeuge<br />

schoben sich fortan durch die<br />

Jüterboger Altstadt, und Soldaten<br />

gehörten auch weiterhin zum<br />

gewohnten Bild. Für mich war das<br />

Zusammentreffen mit russischen<br />

Armeeangehörigen in all den <strong>Jahre</strong>n<br />

unvermeidlich und nicht immer<br />

leicht.<br />

Die Auflösung des traditionellen<br />

Militärstandortes zu Beginn der<br />

1990er <strong>Jahre</strong> machte eine Anpassung<br />

des lokalen Arbeitsmarktes<br />

notwendig. In einem landwirtschaftlich<br />

geprägten Raum wie<br />

dem Fläming verlegten sich viele<br />

Arbeitssuchende auf Landtechnikinstandsetzung<br />

oder arbeiteten in<br />

Das Neumarkttor (Außenansicht) um 1890. Unmittelbar rechts hinter dem Tor siedelt<br />

sich 1911 die Konservenfabrik an. Die Straße führt heute rechts am Tor vorbei, wo<br />

hier noch Baum und Fachwerkhaus stehen.<br />

der neu entstandenen Schmuckfabrikation<br />

in Neuheim (ehem. Dorf<br />

Zinna). Besonders nach dem Abzug<br />

der letzten sowjetischen Soldaten<br />

1994 wuchs die Bedeutung<br />

der landwirtschaftlichen Produktion,<br />

die mit den Schwerpunkten<br />

ökologische Bewirtschaftung und<br />

Direktvermarktung in den letzten<br />

<strong>Jahre</strong>n außerordentliche Erfolge<br />

erzielen konnte. Dass Jüterbog<br />

inzwischen zu einem Branchenschwerpunkt<br />

der Ernährungswirtschaft<br />

in Brandenburg geworden<br />

ist, verdankt die Stadt dieser<br />

Entwicklung und nicht zuletzt auch<br />

dem Bestehen der <strong>Jütro</strong>. Mit der<br />

großzügigen Anlage von Gewerbegebieten<br />

schuf sie für uns, wie<br />

auch für andere Unternehmen,<br />

Expansionsmöglichkeiten, die eine<br />

moderne und wettbewerbsfähige<br />

Produktion in Jüterbog ermöglichen.<br />

Die Stadt selbst versucht sich in<br />

den letzten Jahrzehnten zunehmend<br />

als Kulturstadt zu etablieren.<br />

Zahlreiche und zunehmend gut<br />

besuchte Veranstaltungen in der<br />

aufwändig restaurierten Altstadt<br />

erfüllen nicht nur mich und andere<br />

Jüterboger mit Stolz und Freude,<br />

sie geben dem Namen unserer<br />

Stadt überregional einen neuen<br />

Klang. Das hört sich nicht mehr<br />

nach Schüssen an, sondern nach<br />

Orgelmusik.<br />

16


Die erste Generation – Das Gründerpaar Richard und Marie Meyer<br />

Schornstein, Dampfkessel und<br />

Dampfmaschine<br />

Das Grundstück war kaum größer als<br />

3.000 Quadratmeter. Hier befanden sich<br />

ein moderner Flachbau mit Fabrikationsund<br />

Maschinenraum und das Herzstück<br />

der Fabrik, das Kesselhaus. Fabrikschornstein,<br />

Dampfkessel und Dampfmaschine<br />

mit Drehkrafterzeugung waren<br />

die sichtbaren Zeichen dafür, dass hier<br />

modern produziert werden konnte. Die<br />

ersten Verarbeitungsmaschinen, Putzmaschinen,<br />

Schneidemaschinen, Verschließmaschinen,<br />

aber auch die Dampfautoklaven<br />

und Blanchierkessel fanden hier<br />

ihren Platz. Auch für die Weiterverarbeitung<br />

der Konserven und die Lagerung<br />

der Blechdosen mussten Räumlichkeiten<br />

gefunden werden.<br />

Angetrieben wurden die Maschinen<br />

mittels verlegter Achsen und großer<br />

Transmissionsriemen durch den Dampf<br />

aus der Dampfmaschine. Dieser Dampf<br />

erhitzte auch Blanchierkessel und Autoklaven.<br />

Den ersten Blanchierkessel,<br />

den mein Großvater 1911 bei der Firma<br />

Karges Hammer in Braunschweig bestellt<br />

hatte und der mehr als 50 <strong>Jahre</strong> in Betrieb<br />

war, habe ich selbst in den 1960er<br />

<strong>Jahre</strong>n verschrottet. Die Blanchierkessel<br />

standen als eine Batterie von vier kupfernen<br />

Doppelwandkesseln im Verarbeitungsraum.<br />

Hier befand sich auch<br />

die Gebläsewaschmaschine der Firma<br />

Frings.<br />

Dieser spezielle Maschinenpark musste<br />

durch die junge Unternehmerfamilie angeschafft<br />

und vor allem finanziert werden.<br />

Damals lief man deswegen nicht zur<br />

Bank, sondern sah sich im Familien- und<br />

Bekanntenkreis um. Eine Möglichkeit,<br />

kostengünstig zu wirtschaften, bestand<br />

darin, dem Emballagenhersteller die benötigten<br />

Dosen erst zu bezahlen, nachdem<br />

man sie gefüllt und verkauft hatte.<br />

17


Zum Thema<br />

Eine Fabrik ohne Kesselhaus ist eine Fabrik<br />

ohne Herzschlag - Die Entwicklung unseres<br />

Kesselhauses von 1911 bis 2011<br />

Fabrikansicht zwischen 1914 (Fertigstellung des Wohnhauses, rechts im Bild) und 1926 (Aufstockung des Flachbaus links neben<br />

dem Wohnhaus)<br />

Das Einsetzen der industriellen<br />

Revolution im 19. Jahrhundert<br />

ist untrennbar mit der Nutzung<br />

der Dampfkraft verbunden. Konzentrierten<br />

sich die meisten Fabrikationsstätten,<br />

gebunden an<br />

Wasserkraft, bis dahin außerhalb<br />

der Städte, kamen mit Dampfmaschinen<br />

und Eisenbahnen die<br />

Fabriken in die Städte. In hermetisch<br />

abgeschlossenen Eisen- oder<br />

sogar Holzbehältern konnte durch<br />

das Erhitzen von Wasser Dampf<br />

erzeugt werden, dessen Kraft Maschinen<br />

antrieb.<br />

Die Veränderungen, die sich in<br />

den vergangenen <strong>100</strong> <strong>Jahre</strong>n im<br />

Kesselhaus der Jüterboger Konservenfabrik<br />

vollzogen, sollen im<br />

Folgenden überblicksartig dargestellt<br />

werden:<br />

1911 – Gründung der Firma<br />

• Anschaffung eines Einflammrohrkessels<br />

mit Kohlefeuerung<br />

und einer Heizfläche von 25 m 2<br />

• Leistung ca. 700 kg/h Dampf<br />

• Eine Dampfmaschine treibt die<br />

Transmission für Verarbeitungsund<br />

Verschließmaschinen an.<br />

• Blanchierkessel und Autoklav<br />

nutzten die Wärme des Dampfes<br />

zum Erhitzen und Sterilisieren.<br />

1938/39<br />

• Ersatz des Einflammrohrkessels<br />

durch einen Einflammrohrkessel<br />

mit Kohlefeuerung und<br />

einer Heizfläche von 40 m 2<br />

• Leistung ca. 1.000 kg/h Dampf<br />

• Stilllegung der Dampfmaschine<br />

nach dem Fabrikneubau und<br />

der Umstellung des Transmissionsantriebs<br />

auf Elektromotor<br />

18


Zum Thema<br />

1963<br />

• erhöhter Dampfbedarf der liegenden<br />

Autoklaven macht den<br />

Einbau eines stehenden Quersiededampfkessels<br />

mit 25 m 2<br />

mit Kohlefeuerung notwendig<br />

• Leistung ca. 700 kg/h Dampf<br />

1969/70<br />

• Die Umstellung der bestehenden<br />

Dampfkesselanlage von<br />

Kohle- auf Ölfeuerung bringt<br />

einen Zuwachs an Dampfkapazität<br />

von 30 Prozent.<br />

Der Schnelldampferzeuger Certuss mit einer Leistung von ca. 2.000 kg/h Dampf.<br />

1973<br />

• Inbetriebnahme eines Dreizugkessels<br />

mit 3.200 kg/h Dampf<br />

1976<br />

• Feststellung eines Materialfehlers<br />

beim Dreizugkessel,<br />

• Anschaffung eines neuen Dreizugkessels<br />

• Leistung ca. 3.500 kg/h Dampf<br />

1983<br />

• im Rahmen der Ölablösungen<br />

werden viele ölbefeuerte<br />

Dampfkesselanlagen stillgelegt<br />

und Kohlefeuerung wieder<br />

eingeführt<br />

• die VEB Jüterboger Konservenfabrik<br />

erhält Stadtgas zur<br />

Befeuerung der Dampfkesselanlage<br />

• Inbetriebnahme von 4 Gasdampfautomaten<br />

• Leistung ca. je 1.000 kg/h<br />

Dampf<br />

1996<br />

• Erweiterung der Dampfkesselanlage<br />

mit einem Schnelldampferzeuger<br />

der Fa. Certuss<br />

• Leistung ca. 2.000 kg/h<br />

Dreizugkessel, Fabrikat Loos<br />

2002<br />

• Errichtung eines modernen<br />

Kesselhauses mit Erdgasbefeuerung<br />

am neuen Standort<br />

• Inbetriebnahme eines Dreizugkessels<br />

Fabrikat LOOS<br />

• Leistung ca.: 8.000 kg/h Dampf<br />

• Weiterbetrieb des Schnelldampferzeugers<br />

Certuss<br />

19


Die erste Generation – Das Gründerpaar Richard und Marie Meyer<br />

Jüterboger Konserven<br />

im Hotel Kempinski in Berlin<br />

Schnell erweiterte sich das Sortiment,<br />

als sich meine Großeltern entschlossen,<br />

neben Wald- und Wildfruchtkonserven<br />

auch die Herstellung von Obstkonserven<br />

zu wagen. Neben der Verarbeitung von<br />

Straßenobst konzentrierten sie sich nun<br />

doch vermehrt auf die Produkte der benachbarten<br />

Obstanbaugebiete und damit<br />

auf Himbeeren, Kirschen, Pfirsiche und<br />

Erdbeeren.<br />

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs<br />

begannen sie, Obst in Werder, aber auch<br />

in Jessen/Elster einzukaufen und zu verarbeiten.<br />

In Jessen hatte mein Großvater<br />

Himbeerplantagen unter Vertrag. Diese<br />

Himbeeren wurden in einem aufwändigen<br />

Verfahren haltbar gemacht und waren<br />

schnell eine gefragte Spezialität der Konservenfabrik.<br />

Da die Früchte sehr empfindlich sind,<br />

wurden sie auf der Plantage direkt in die<br />

Blechdosen geerntet. Diese steckten im<br />

so genannten Pflückgürtel und kamen<br />

noch am gleichen Abend in die Konservenfabrik,<br />

um dort mit Zuckerlösung<br />

gefüllt, verschlossen und im Autoklaven<br />

haltbar gemacht zu werden. Jüterboger<br />

Pilzkonserven und Himbeeren kamen<br />

sogar im Hotel Kempinski in Berlin auf<br />

den Tisch.<br />

Selbstverständlich galten auch die übrigen<br />

Produkte, besonders in den Gründungsjahren,<br />

noch als ausgesprochene<br />

Luxusgüter. Dass sich gerade Qualitätskonserven<br />

mit einer angemessenen<br />

Wertschöpfung verkaufen ließen, war die<br />

Grundidee der Firmengründung, an der<br />

über Jahrzehnte hinweg festgehalten<br />

wurde.<br />

Den hohen Ansprüchen konnte man<br />

jedoch nur gerecht werden, indem ein<br />

beträchtlicher Teil der Arbeit per Hand<br />

erledigt wurde. Mir fallen in diesem Zusammenhang<br />

gleich unsere Pfirsiche in<br />

20


Die erste Generation – Das Gründerpaar Richard und Marie Meyer<br />

Birnen brauchen Zuwendung<br />

Besonders aufwändig war die Produktion von Birnenkonserven.<br />

Harte, aber dennoch reife Sorten kamen<br />

im Herbst ins Lager. In den folgenden Wochen wurde<br />

durch Härteprüfung per Hand jeden Tag die Partie ausgesucht,<br />

die zur Verarbeitung kam. An langen Tafeln<br />

standen die Frauen und schälten die Früchte mit Hilfe<br />

von 10 bis 15 Birnenschälmaschinen (Foto unten).<br />

Dosen ein. Es waren Weinbergpfirsiche,<br />

eine Sorte, die heute beinahe vollständig<br />

in Vergessenheit geraten ist und die<br />

noch bis in meine Zeit verarbeitet wurde.<br />

Sie kamen aus Jessen und waren etwas<br />

ganz Besonderes.<br />

Zum Verzehr als Frischware eigneten sie<br />

sich überhaupt nicht, doch in der Zuckerlösung<br />

der Konserve entfalteten sie einen<br />

herrlichen Geschmack mit intensivem<br />

Aroma.<br />

Man erwärmte sie in Natronlauge, um<br />

die Haut abzulösen. Das geschah auf<br />

Blanchiersieben in Blanchierkesseln. Die<br />

Frauen an den Fülltischen halbierten und<br />

entsteinten die abgespülten Früchte und<br />

füllten sie in die Dosen. Nun nur noch Zuckerlösung<br />

darüber geben, verschließen,<br />

und dann ging es in den Autoklaven zum<br />

Haltbarmachen. Große Mengen stellte<br />

man pro Tag nicht her, aber die Qualität<br />

war einzigartig.<br />

Halbiert und entkernt wurde mit der Hand. Per Nadelprobe<br />

prüfte man, ob der anschließende Blanchierprozess<br />

abgeschlossen war, oder ob die Früchte noch<br />

einige Minuten im Blanchierkessel verbleiben mussten.<br />

Fiel die mit einer Stahlnadel angestochene Birne herunter,<br />

waren die Früchte fertig und konnten in die Dosen<br />

eingeschichtet werden – von Hand, versteht sich. Birnen<br />

brauchten überhaupt besonders viel Zuwendung,<br />

schließlich durften sie nach dem Schälen nicht unappetitlich<br />

braun werden. Deswegen kamen sie geschält<br />

in mit Zitronensäure versetztes Wasser. Auch beim<br />

Einfüllen der Zuckerlösung mussten die Frauen peinlich<br />

genau darauf achten, dass die Birnen vollständig<br />

bedeckt waren, um eine Braunfärbung zu verhindern.<br />

21


Die erste Generation – Das Gründerpaar Richard und Marie Meyer<br />

rechts:<br />

Blick in die Produktionsräume<br />

kurz nach der<br />

Firmengründung<br />

1911<br />

links:<br />

das soeben<br />

fertiggestellte<br />

Wohnhaus im<br />

<strong>Jahre</strong> 1914<br />

Das Verschließen und<br />

Kennzeichnen der Dosen<br />

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts<br />

wurden die Dosen verlötet, später erreichte<br />

man einen sicheren Verschluss<br />

auch durch das Falzen.<br />

Die Dosendeckel markierte man vorher<br />

mittels Stanzzeichen, die Rückschlüsse<br />

auf den Inhalt der Dose ermöglichten.<br />

Diese Zeichen konnten noch bis zu Beginn<br />

der 1920er <strong>Jahre</strong> hinein sehr individuell<br />

ausfallen und wurden erst 1922<br />

normiert. Wichtig waren diese Angaben<br />

für das Etikettieren, das erst auf dem<br />

Lager und Monate später erfolgte.<br />

Eine funktionierende Konservenfabrik<br />

benötigte deshalb ausreichende Lagerräume,<br />

schließlich mussten Gemüse<br />

und Obst nach der Ernte zügig verarbeitet<br />

werden.<br />

Handarbeit und Technik<br />

In jedem Frauenbetrieb muss es für die<br />

schweren Arbeiten auch einige männliche<br />

Arbeitskräfte geben. Bei uns waren<br />

das Heizer, Schlosser und Transportarbeiter,<br />

und auch das Verschließen der<br />

Dosen übernahmen die Männer.<br />

Aufgrund des hohen Anteils an Handarbeit,<br />

der von Produkt zu Produkt unterschiedlich<br />

ausfiel, kamen regelmäßig Saisonarbeitskräfte<br />

zum Einsatz. An sechs<br />

Tagen die Woche wurde gearbeitet, bis<br />

das Obst oder die Wildfrüchte verarbeitet<br />

waren. Die Entlohnung erfolgte wöchentlich.<br />

Allerdings waren meine Großeltern<br />

auch immer bestrebt, den Maschinenpark<br />

zu ergänzen, so es die finanziellen<br />

Möglichkeiten erlaubten.<br />

Mit der Erweiterung des Sortiments um<br />

die Erzeugnisse der regionalen Obstplantagen<br />

begann auch die Produktion<br />

von Marmelade und Konfitüre. Pulp für<br />

die Konfitürenfertigung und Mark zur<br />

22


Die erste Generation – Das Gründerpaar Richard und Marie Meyer<br />

Herstellung von Marmeladen fiel bei der<br />

Obstkonservenbereitung an und konnte<br />

auf diesem Weg weiterverarbeitet werden.<br />

Großvaters Leidenschaften<br />

Zufrieden mit der Geschäftsentwicklung<br />

fand mein Großvater hin und wieder Zeit,<br />

seinen Hobbys zu frönen. Neben der<br />

Liebe zu großen Autos – Horch war seine<br />

bevorzugte Automarke – widmete er<br />

sich vor allem dem Waidwerk. Zeitweise<br />

besaß er in der Nähe von Mügeln eine<br />

eigene Jagd. Gern traf er sich mit seinem<br />

Freund Kolessow, um gemeinsam vierbeiniges<br />

Wild zu jagen. Der Russe Kolessow<br />

hatte nach dem Krieg in die hiesige<br />

Stadtmühle eingeheiratet und besaß in<br />

Welsickendorf ein kleines Jagdhäuschen.<br />

Wenn mein Großvater sich anschickte,<br />

dorthin zu fahren, hing der Haussegen<br />

regelmäßig schief, denn meine Großmutter<br />

konnte der Jagdleidenschaft oder<br />

auch dem fröhlichen Jäger leben so gar<br />

nichts abgewinnen.<br />

Mein Großvater war Mitglied der Schützengilde<br />

und wurde 1935 Schützenkönig.<br />

Mitte der 1990er <strong>Jahre</strong> konnte die „Schützengilde<br />

1405 Jüterbog“ neu gegründet<br />

werden. Ich selbst stehe der Traditionskompanie<br />

als Kompaniechef vor und<br />

erhielt knapp 60 <strong>Jahre</strong> nach Großvater<br />

Richard die Auszeichnung als Schützenkönig.<br />

Dieses erfolgreiche Anknüpfen<br />

an die Tradition meiner Vorfahren macht<br />

mich gleichermaßen stolz und glücklich.<br />

Richard Meyer<br />

als Mitglied der<br />

Schützengilde<br />

von Jüterbog<br />

(vierter von<br />

links)<br />

23


Die erste Generation – Das Gründerpaar Richard und Marie Meyer<br />

Familie und Wohlstand<br />

wachsen<br />

Marie und Fritz<br />

Meyer<br />

Im zweiten Jahr ihrer Ehe wurde dem<br />

Gründerpaar Richard und Marie Meyer<br />

ihr einziger Sohn Fritz geboren. Er kam<br />

am 21. Juni 1912 zur Welt. Kaum zwei<br />

<strong>Jahre</strong> darauf begann der Weltkrieg, und<br />

auch Richard Meyer musste ins Feld.<br />

Seiner Frau Marie gelang es trotz ihrer<br />

Jugend, die im Entstehen begriffene<br />

Firma mit Geschick und Glück durch die<br />

Kriegsjahre zu steuern. Energisch und<br />

resolut kümmerte sie sich auch um die<br />

kaufmännischen Angelegenheiten, die<br />

bis dahin ihrem Mann oblagen. Kurz vor<br />

dem Beginn der Kriegsereignisse war die<br />

junge Familie in ihr neues großes Wohnhaus<br />

eingezogen, das sie sich neben<br />

dem Fabrikgebäude errichtet hatte.<br />

Aus den Aufzeichnungen des Hauptbuches,<br />

das mein Großvater bei der Firmengründung<br />

angelegt hatte, ist unzweifelhaft<br />

zu erkennen, dass sich die Familie<br />

bereits in den ersten <strong>Jahre</strong>n nach der<br />

Unternehmensgründung durch fleißige<br />

und beharrliche Arbeit einen bescheidenen,<br />

aber gesunden Wohlstand aufbauen<br />

konnte (siehe auch die Bilanzübersicht<br />

auf Seite 9).<br />

„Hinten“ in der Fabrik sorgte die Großmutter<br />

für einen reibungslosen Ablauf<br />

der Produktion. „Vorn“ im Büro sorgte der<br />

Großvater mit kaufmännischem Geschick<br />

dafür, dass sich die Anstrengungen<br />

angemessen auszahlten. Und mittendrin<br />

24


Die erste Generation – Das Gründerpaar Richard und Marie Meyer<br />

spielte und lernte der kleine Fritz, der<br />

sich selbstverständlich sehr bald für die<br />

Arbeit der Eltern zu interessieren begann.<br />

Nach dem Abitur trat er eine Volontärstelle<br />

in der Sächsischen Blechwarenfabrik<br />

in Radebeul an. Bei der befreundeten Familie<br />

Niehbuhr erwarb er sowohl im kaufmännischen<br />

als auch im fachmännischen<br />

Bereich wichtige Kenntnisse, die ihn auf<br />

seine Tätigkeit als Juniorchef vorbereiten<br />

sollten. In den <strong>Jahre</strong>n 1936 bis 1937<br />

absolvierte er das Konserventechnikum<br />

in Braunschweig und verließ es mit dem<br />

Abschluss als Konserventechniker.<br />

Sonntagsbesuch<br />

befreundeter Geschäftspartner<br />

-<br />

Familie Niebuhr<br />

im Gespräch mit<br />

Richard (li.) und<br />

Marie (2.v.r.)<br />

Meyer<br />

25


Die erste Generation – Das Gründerpaar Richard und Marie Meyer<br />

Der Firmenstandort wächst<br />

Firmenansicht,<br />

ausgeführt durch<br />

den Jüterboger<br />

Maler Martin<br />

Wesslau<br />

Im Sommer 1926 gaben die Firmeninhaber<br />

ein Ölgemälde in Auftrag, das<br />

das Firmenensemble zeigen sollte. Der<br />

Anlass, die Konservenfabrik in Öl malen<br />

zu lassen, war die soeben fertiggestellte<br />

Aufstockung der Produktionsräume.<br />

Zur Firmengründung 1911 wurden die<br />

Räume für die Konservenfabrikation,<br />

die sich links neben dem Wohnhaus am<br />

Oberhag entlang erstrecken, als einstöckiger<br />

Flachbau ausgeführt und 1926<br />

um zwei Etagen aufgestockt, um dem<br />

gewachsenen Produktionsvolumen Rechnung<br />

zu tragen.<br />

Das Wohnhaus rechts konnte 1914 fertiggestellt<br />

und bezogen werden.<br />

1936 wurde das Grundstück Vorstadt<br />

Neumarkt 7, das in Richtung Neumarkttor<br />

hinter der Konservenfabrik liegt, hinzugekauft<br />

und mit weiteren Produktions- und<br />

Verwaltungsräumen bebaut.<br />

26


Die zweite Generation – Meine Eltern Fritz und Hildegard Meyer<br />

DIE ZWEITE GENERATION<br />

MEINE ELTERN<br />

FRITZ UND HILDEGARD MEYER<br />

27


Die zweite Generation – Meine Eltern Fritz und Hildegard Meyer<br />

leicht verzehnfachen. Das Konzept der<br />

Großeltern, nicht durch billige Massenproduktion,<br />

sondern durch die Herstellung<br />

hochwertiger Qualitätskonserven<br />

Geld zu verdienen, war auf der ganzen<br />

Linie aufgegangen.<br />

links:<br />

Die Bilanz für<br />

das Inflationsjahr<br />

1923 weist Beträge<br />

in Milliardenhöhe<br />

aus.<br />

kleine Fotos:<br />

Richtfest und<br />

Bauarbeiten zur<br />

Firmenerweiterung<br />

Zeichnung<br />

rechts:<br />

Situation nach<br />

der Fabrikerweiterung<br />

1936 war mein Vater ein junger Mann von<br />

24 <strong>Jahre</strong>n, der mitten in seiner Ausbildung<br />

stand und seine neu gewonnenen<br />

Kenntnisse natürlich auch im elterlichen<br />

Betrieb anzuwenden suchte. Es war das<br />

Jahr des 25-jährigen Betriebsjubiläums,<br />

welches selbstverständlich feierlich begangen<br />

wurde. Grund genug zum Feiern<br />

gab es allemal.<br />

Weder die schwierigen Bedingungen<br />

während der Kriegszeiten noch die folgende<br />

Wirtschaftskrise hatten das junge<br />

Unternehmen ernsthaft in seinem Bestand<br />

gefährden können. Im Gegenteil:<br />

Mein Großvater bezahlte während der Inflation<br />

seine Schulden mit Papiergeld und<br />

verfügte doch weiterhin über gut gefüllte<br />

Lager. So konnte sich die Bilanzsumme<br />

in den ersten 25 <strong>Jahre</strong>n des Bestehens<br />

Bauliche und technische<br />

Veränderungen seit 1936<br />

<strong>Jütro</strong> Qualitätskonserven wurden immer<br />

beliebter, der Absatz stieg und die kleine<br />

Konservenfabrik stieß schon bald an die<br />

Grenzen ihrer Produktionskapazitäten.<br />

Was lag näher, als der Zukauf des benachbarten<br />

Grundstücks Vorstadt Neumarkt<br />

Nummer 7. Die hinzugewonnene<br />

Fläche von 2.500 Quadratmetern sollte<br />

einem neuen Fabrikgebäude Platz bieten.<br />

Als Erstes entstand an der Straßenfront<br />

ein kleines Bürogebäude mit angrenzender<br />

Rohwarenannahme. Mit dem<br />

neuen Fabrikgebäude veränderte sich<br />

endgültig der Charakter der Konservenproduktion<br />

weg von der handwerklichen<br />

und hin zur industriellen Konservenfertigung.<br />

Am Grundsatz, Qualitätsprodukte<br />

28


Die zweite Generation – Meine Eltern Fritz und Hildegard Meyer<br />

herzustellen, änderte sich jedoch nichts.<br />

Wenn auch aus heutiger Sicht eine<br />

Grundfläche von 35 x 12 Metern für eine<br />

industrielle Fabrikation klein anmutet, war<br />

es doch zur damaligen Zeit ein ansehnliches<br />

Fabrikgebäude, das 65 <strong>Jahre</strong> als<br />

Produktionsstätte genutzt wurde.<br />

Während seines Studiums am Braunschweiger<br />

Konserventechnikum hatte<br />

sich mein Vater intensiv mit den technischen<br />

Möglichkeiten und Entwicklungen<br />

auf dem Gebiet der Konservenherstellung<br />

beschäftigt. Ideen der Linienführung<br />

industrieller Produktion, die aus den<br />

USA überschwappten, machte er sich<br />

schnell zu eigen und verwirklichte sie in<br />

der neuen Produktionshalle. Da ich diese<br />

Produktion von Kindesbeinen auf kenne,<br />

kann ich mich auch heute noch sehr gut<br />

daran erinnern: Im vorderen Teil befand<br />

sich hinter der Rohwarenannahme die<br />

Produkt- und Rohwarenvorbereitung mit<br />

einer Vielzahl von speziellen Verarbeitungsmaschinen,<br />

wie Waschmaschinen,<br />

Putz- und Schneidemaschinen, Passiermaschinen<br />

und auch verschiedenen<br />

29


Die zweite Generation – Meine Eltern Fritz und Hildegard Meyer<br />

Fritz Meyer<br />

während seiner<br />

Ausbildung im<br />

Labor<br />

Entsteinmaschinen für die unterschiedlichsten<br />

Fruchtgrößen. Diese Maschinen<br />

wurden entsprechend des Saisonablaufes<br />

aufgestellt und nach Saisonende<br />

wieder in einen Maschinenschuppen verbracht.<br />

An den Seitenwänden der Halle<br />

standen sechs kupferne Blanchierkessel<br />

mit entsprechender Seilzugbeschickung<br />

und den notwendigen Kühlbecken. Im<br />

hinteren Teil waren die beiden Fülllinien,<br />

bestehend aus zwei Füllplatten und den<br />

Dosenverschließmaschinen angeordnet.<br />

Hier standen auch die doppelwandigen<br />

Kupferkessel für die Herstellung des<br />

Aufgusses.<br />

Die Dosen kamen vom so genannten<br />

Dosenboden über Dosenrinnen zu den<br />

Füllplatten. Der Antrieb sämtlicher Maschinen<br />

erfolgte über Transmissionen, die<br />

mit Elektromotoren arbeiteten. Am Ende<br />

dieser Halle arbeitete eine Batterie von<br />

drei stehenden Autoklaven mit zwei Kühlbehältern,<br />

in denen die Sterilisation und<br />

Pasteurisation der Konserven erfolgte.<br />

Eingestapelt in große Rundkäfige wurden<br />

die Konserven mit Hilfe fahrbarer Untergestelle<br />

zu den Autoklaven transportiert<br />

und dort von einem elektrisch betriebenen<br />

Seilzug in die Autoklaven befördert.<br />

Wuchtige Spindelschrauben verschlossen<br />

das Gerät und der Kochprozess<br />

begann. Im Anschluss daran kamen die<br />

Dosen, die sich noch immer in den Rundkäfigen<br />

befanden, zum Nachkühlen in<br />

Kühlbehälter. Schließlich wurden sie mit<br />

einem Fahrstuhl in das über der Fabrikation<br />

befindliche Lager transportiert, dort<br />

aus den Käfigen entnommen und aufgestapelt.<br />

30


Die zweite Generation – Meine Eltern Fritz und Hildegard Meyer<br />

Technische Veränderungen und Neuentwicklungen<br />

waren in der vergleichsweise<br />

neuen und aufstrebenden Branche der<br />

Konservenindustrie an der Tagesordnung.<br />

Die räumliche Erweiterung des Betriebsgeländes<br />

ermöglichte die Teilhabe<br />

am technischen Fortschritt nun auch in<br />

Jüterbog. Trotz technischen Fortschritts<br />

und erhöhter Leistung blieb der Qualitätsgedanke<br />

oberstes Gebot. Und wenn dies<br />

bei der Herstellung hochwertiger Obstkonserven<br />

und Gemüsespezialitäten nur<br />

mit Handarbeit zu erreichen war, dann<br />

musste es eben bei Handarbeit bleiben.<br />

Marmeladen- und<br />

Konfitüreproduktion<br />

Die alte Fabrik erhielt durch die Umstellung<br />

auf Marmeladen- und Konfitüreproduktion<br />

ein neues Gesicht. In acht<br />

kupfernen Doppelwandkochkesseln<br />

kochten Marmelade und Konfitüre. Das<br />

Obstmark für die Marmeladenherstellung<br />

wurde ausschließlich selbst hergestellt,<br />

in schwefeliger Säure konserviert, in<br />

500-Liter-Holzfässer abgefüllt und gelagert.<br />

Die Pulpe aus ebenso konservierten<br />

Früchten musste zugekauft werden.<br />

Die Konservierung in schwefeliger Säure<br />

war zu dieser Zeit die einzige Möglichkeit<br />

der Haltbarmachung und verlangte sehr<br />

viel Erfahrung und Geschick. Ich habe es<br />

als Kind oft erlebt, dass der Marmeladenkocher<br />

am Wochenende mit dem Spundbohrer<br />

gerannt kam, um ein Fass, das<br />

nicht ausreichend konserviert war, anzubohren<br />

und damit vor dem Zerbersten zu<br />

retten. Für die Lagerung der Fässer war<br />

ein extra Holzschuppen errichtet worden.<br />

<strong>Jütro</strong>-Briefkopf<br />

der 1930er<br />

<strong>Jahre</strong><br />

Das Wohnhaus<br />

(rechts) in den<br />

1930er <strong>Jahre</strong>n<br />

31


Die zweite Generation – Meine Eltern Fritz und Hildegard Meyer<br />

links:<br />

Fritz Meyer,<br />

Autoliebhaber<br />

rechts:<br />

25-jähriges<br />

Firmenjubiläum<br />

1936<br />

Bei der Herstellung der Obsthalbfabrikate<br />

kamen unterschiedliche Passiermaschinen<br />

zum Einsatz. Ein Obstdämpfer der<br />

Firma Herbort war speziell für die Vorbereitung<br />

von Äpfeln und Pflaumen angeschafft<br />

worden und fand in der neuen<br />

Fabrikhalle, wo nun die Konservenproduktion<br />

erfolgte, seinen Platz.<br />

Zwischen Hoffnung und<br />

Verzweiflung – die 1940er <strong>Jahre</strong><br />

Bereits als Heranwachsender und auch<br />

während seiner Ausbildung hatte mein<br />

Vater regelmäßige Aufgaben in der elterlichen<br />

Fabrik zu übernehmen. Dass der<br />

Wohlstand, in dem er aufwuchs, nicht<br />

vom Himmel gefallen war, wusste er und<br />

verstand es doch, ihn zu genießen.<br />

Als ausgesprochen geselligen und<br />

fröhlichen Menschen zog es meinen<br />

Vater nach Feierabend in die Stadt, wo<br />

er sich mit seinen Freunden traf. Recht<br />

bald lernte er meine Mutter, die hübsche<br />

Gast wirtstochter Hildegard Dornbusch,<br />

kennen und heiratete sie 1938. Und die<br />

nächste Generation ließ nicht lange auf<br />

sich warten. Meine Schwestern Bernhild<br />

und Gudrun kamen 1939 und 1942 zur<br />

Welt, und doch wartete besonders die<br />

Großmutter sehnlich auf einen männlichen<br />

Nachkommen. Mit meiner Geburt<br />

im Juli 1944 hatte dieses Warten ein<br />

Ende. Es gab einen Stammhalter! Elf Monate<br />

vorher war mein Großvater Richard<br />

überraschend kurz vor Vollendung seines<br />

60. Lebensjahres verstorben.<br />

Mein Vater, der sich seit 1941 im Felde<br />

befand, wurde daraufhin Ende 1943 vom<br />

Wehrdienst freigestellt, um seine Mutter<br />

im Unternehmen zu unterstützen, wie<br />

er es seit dem Ende seiner Ausbildung<br />

bereits getan hatte.<br />

32


Die zweite Generation – Meine Eltern Fritz und Hildegard Meyer<br />

April 1945 –<br />

Das Kriegsende ohne Männer<br />

Anteile daran besaß, interessierte weder<br />

die Denunzianten noch die einmarschierten<br />

Russen. Als die Gefangenen am 22.<br />

April 1945 ins Gefängnis nach Luckau<br />

gebracht wurden, war mein Vater bereits<br />

nicht mehr dabei. Aller Wahrscheinlichkeit<br />

nach ist er kurz nach seiner Festnahme<br />

auf dem Hof des Amtsgerichtes bei<br />

einem Fluchtversuch erschossen worden.<br />

Wir erfuhren davon nichts. Meine Mutter<br />

erklärte ihren Mann für vermisst, das war<br />

alles, was sie tun konnte. Eine Mauer des<br />

Schweigens umgab noch Jahrzehnte<br />

später die Ereignisse jener Tage auf dem<br />

Fritz Meyer als<br />

Soldat im Feld<br />

Das Chefbüro<br />

der Jüterboger<br />

Konservenfabrik<br />

zum 50. Firmenjubiläum<br />

1961<br />

Kaum eineinhalb <strong>Jahre</strong> blieben meinem<br />

Vater noch mit Frau und Kindern.<br />

Beim Einmarsch der Roten Armee Ende<br />

April wurde er gemeinsamen mit etwa<br />

70 Jüterboger Bürgern im Amtsgericht<br />

der Stadt festgesetzt. Parteifunktionäre,<br />

Nationalsozialisten und eben auch Unternehmer<br />

und Geschäftsleute gerieten<br />

in das Visier der Siegermacht. Dass<br />

mein Vater gar nicht der Eigentümer der<br />

Konservenfabrik war und lediglich einige<br />

33


Die zweite Generation – Meine Eltern Fritz und Hildegard Meyer<br />

Hof des Amtsgerichtes. Aus erbrechtlichen<br />

Gründen mussten wir meinen Vater<br />

nach dem Tod seiner Mutter und meiner<br />

Großmutter 1963 für tot erklären lassen.<br />

Doch erst 1990 offenbarte sich mir eine<br />

unbekannte ältere Dame, die mir vom<br />

Schicksal meines Vaters berichtete.<br />

Meine Mutter, die zum Zeitpunkt seines<br />

Todes eine junge und attraktive Frau gewesen<br />

ist, hat sich später nie wieder gebunden.<br />

Die Großmutter hätte es sicher<br />

nicht gutgeheißen.<br />

Neuanfang nach 1945 – Das<br />

Unternehmen in Frauenhand<br />

Die persönliche Bilanz der Familie Meyer<br />

verzeichnete bei Kriegsende eine geplünderte,<br />

aber weitgehend intakte<br />

Fabrik, zwei Frauen und drei Kinder.<br />

Der Mangel war mit Händen greifbar,<br />

und die einzige Chance von Mutter und<br />

Großmutter bestand darin, die Ärmel<br />

aufzukrempeln und anzupacken. An eine<br />

Konservenherstellung, in welchem Qualitätssegment<br />

auch immer, war vorerst<br />

nicht zu denken. Oberstes Ziel war es,<br />

den Hunger zu stillen. Gekochte Zuckerrübenschnipsel<br />

sollten dabei helfen.<br />

Aus den ersten Früchten konnten bald<br />

auch wieder Konserven gemacht werden.<br />

In Dosen gab es sie aber nicht mehr,<br />

denn in der sowjetischen Besatzungszone<br />

war die Blechdosenherstellung eingestellt<br />

worden, selbst Blechdeckel gab es<br />

in den ersten <strong>Jahre</strong>n nicht. Gemüse und<br />

Früchte kamen nun in Gläser, die sogar<br />

mit Glasdeckeln verschlossen werden<br />

mussten. Schwer zu beschaffen war<br />

beides. Zum Sterilisieren und Pasteurisieren<br />

verschloss man die Glasdeckel mit<br />

einer Metallspange. Später gab es die so<br />

genannten Inkogläser mit einem umgebörtelten<br />

Blechdeckel.<br />

Bis man auch Gläser in der vorhandenen<br />

Dosenschließmaschine sicher verschlie-<br />

34


Die zweite Generation – Meine Eltern Fritz und Hildegard Meyer<br />

ßen konnte, brauchte es ein paar Anläufe.<br />

Das erste Glas flog wie ein Torpedo<br />

durch die Fabrik, weil die Drehzahl nicht<br />

reduziert worden war. Doch nach diesen<br />

anfänglichen Schwierigkeiten kam die<br />

Produktion von Kirsch-, Pflaumen- und<br />

Erdbeerkonserven recht schnell wieder<br />

in Gang. Auch grüne Bohnen wurden<br />

verarbeitet. Zum Entspitzen gab man<br />

sie in Jüterbog an Heimarbeiterinnen.<br />

Beim Entkelchen von Erdbeeren, beim<br />

Kirschenentstielen, beim Entsteinen von<br />

Pfirsichen und bei anderen Arbeiten mehr<br />

halfen die alten Leutchen aus dem benachbarten<br />

Schuricht-Stift, die sich damit<br />

ihre karge Rente aufbesserten. Unsere<br />

Arbeiter verdienten damals zwischen 50<br />

und 60 Pfennigen pro Stunde.<br />

35


Die zweite Generation – Meine Eltern Fritz und Hildegard Meyer<br />

Die Firmenbilanzen 1911-1948<br />

Datum Aktiva Passiva Ergebnis Währung<br />

1. Mai 1911 45.071,18 45.071,18 Eröffnungsbilanz in Mark<br />

30. April 1912 53.655,15 54.886,87 -1.231,72 Mark<br />

30. April 1913 62.828,48 66.122,57 -3.294,09 Mark<br />

30. April 1914 61.251,05 58.754,73 2.496,32 Mark<br />

31. Juli 1919 383.158,48 307.131,21 76.027,27 Mark<br />

31. Juli 1920 359.934,92 336.806,52 23.128,40 Mark<br />

31. Juli 1921 365.686,93 319.472,23 46.214,70 Mark<br />

31. Juli 1922 3.737.514,30 3.295.514,30 442.000,00 Mark<br />

31. Juli 1923 1.265.117.280,23 653.556.980,23 611.560.300,00 Mark<br />

31. Dezember 1923 47.136.217.708,00 991.832,00 47.135.225.876,00 Mark<br />

31. Dezember 1923 80.443,08 80.443,08 Goldmark-Eröffnungsbilanz<br />

31. Juli 1924 91.274,91 94.810,32 -3.535,41 Goldmark<br />

31. Juli 1925 132.455,58 113.955,51 18.500,07 Mark<br />

31. Juli 1926 124.381,43 98.859,19 25.522,24 Reichsmark<br />

31. Juli 1927 145.841,95 123.745,65 22.096,30 Reichsmark<br />

31. Juli 1928 173.177,62 138.699,08 34.478,54 Reichsmark<br />

31. Juli 1929 220.823,23 188.322,32 32.500,91 Reichsmark<br />

31. Juli 1930 238.666,26 185.029,22 53.637,04 Reichsmark<br />

31. Juli 1931 442.385,51 423.534,40 18.851,11 Reichsmark<br />

31. Juli 1932 355.780,48 299.282,37 56.498,11 Reichsmark<br />

31. Juli 1933 345.640,45 272.953,55 72.686,90 Reichsmark<br />

31. Juli 1934 329.348,52 277.493,40 51.855,12 Reichsmark<br />

31. Juli 1935 333.071,18 259.921,49 73.149,69 Reichsmark<br />

31. Juli 1936 428.230,16 354.067,46 74.162,70 Reichsmark<br />

31. Juli 1937 491.226,68 425.990,64 65.236,04 Reichsmark<br />

31. Juli 1938 411.131,83 349.146,72 61.985,11 Reichsmark<br />

31. Juli 1939 443.312,18 333.480,89 109.831,29 Reichsmark<br />

31. Juli 1940 518.021,24 362.148,51 155.872,73 Reichsmark<br />

31. Juli 1941 486.014,01 368.356,13 117.657,88 Reichsmark<br />

31. Juli 1942 479.235,25 358.193,82 121.041,43 Reichsmark<br />

31. Juli 1943 460.168,65 387.819,99 72.348,66 Reichsmark<br />

31. Juli 1944 544.202,98 379.400,78 164.802,20 Reichsmark<br />

31. Juli 1945 763.640,73 516.020,37 247.620,36 Reichsmark<br />

31. Dezember 1946 848.343,25 791.975,50 56.367,75 Reichsmark<br />

31. Dezember 1947 902.702,64 847.484,20 55.218,44 Reichsmark<br />

31. Dezember 1948 788.083,29 691.945,49 96.137,80 D-Mark<br />

36


Die zweite Generation – Meine Eltern Fritz und Hildegard Meyer<br />

Ein dramatischer Frühling<br />

Wenige <strong>Jahre</strong> nach dem Krieg hatte<br />

der Staat versucht, mittels willkürlicher<br />

Buchprüfungen für die <strong>Jahre</strong> seit 1945<br />

Unternehmer zu verunsichern und unter<br />

Haftandrohung zur Aufgabe des Betriebes<br />

und zur Ausreise zu bewegen.<br />

Die Vorwürfe waren in der Regel haltlos<br />

und oft hanebüchen. Fabrikplünderungen,<br />

Kriegsschäden, Verluste an Verpackungsmaterial<br />

und Rohstoffen, wie sie in<br />

den Kriegs- und Nachkriegszeiten an der<br />

Tagesordnung waren, durften nicht geltend<br />

gemacht werden. Buch- und Steuerprüfungen<br />

mussten daher zwangsläufig<br />

Differenzen ergeben. Der Betrugsvorwurf<br />

stand im Raum, und ehe man sich versah,<br />

befand man sich in Haft. Dieses<br />

Vorgehen hatte Methode und zielte auf<br />

die Liquidierung privatwirtschaftlicher<br />

Unternehmen und bäuerlicher Betriebe.<br />

Meine Großmutter, zu dieser Zeit alleinige<br />

Eigentümerin der Firma, entzog sich<br />

als eine der letzten im April 1953 diesen<br />

Nachstellungen durch Flucht nach Westberlin.<br />

In einer Nacht- und Nebelaktion<br />

wurde sie von Freunden nach Potsdam<br />

gebracht. In Jüterbog den Zug zu besteigen,<br />

wäre zu gefährlich gewesen. Am<br />

nächsten Morgen begannen die Hausdurchsuchungen<br />

nicht nur in der Wohnung<br />

der Großmutter und im Firmenbüro,<br />

sondern auch bei unserer Familie. Und<br />

dann verhaftete man meine Mutter. Für<br />

meine Schwestern und mich bereitete<br />

man die Aufnahme in einem Kinderheim<br />

vor, und vermutlich haben wir es nur dem<br />

mutigen und unermüdlichen Einsatz unseres<br />

Onkels Dr. Stiebler zu verdanken,<br />

dass uns dieses Schicksal erspart blieb.<br />

Es gelang ihm, unsere Mutter aus dem<br />

Gefängnis herauszuholen.<br />

Unser Heizer Hermann Lehmann, der<br />

Vorsitzende der Betriebsgewerkschaftsleitung,<br />

war zwischenzeitlich zum Leiter<br />

der Konservenfabrik bestimmt worden,<br />

und bei ihm war die Fabrik in verantwortungsvollen<br />

Händen. Dass wir allerdings<br />

weder die Räume noch den Fabrikhof betreten<br />

durften, hat uns verunsichert und<br />

bedrückt. Zwei Tage nach der Flucht der<br />

Großmutter erfolgten die Räumung ihrer<br />

Wohnung und die Beschlagnahmung der<br />

Einrichtung.<br />

Prokurist Herbert<br />

Fremdling (Mitte)<br />

37


Die zweite Generation – Meine Eltern Fritz und Hildegard Meyer<br />

Der Neue Kurs<br />

Meine Großmutter verfolgte die politische<br />

Entwicklung von Westberlin aus, und als<br />

sie sicher sein konnte, dass keine Gefahr<br />

mehr drohte, kehrte sie als eine der<br />

ersten am 9. Juli 1953 nach Jüterbog<br />

zurück. Es war mein neunter Geburtstag.<br />

Unverzüglich sprach sie beim Vorsitzenden<br />

des Rates des Kreises vor, der<br />

ihr wortreich versprach, den Betrieb<br />

und sämtliche beschlagnahmten Güter<br />

zurückzugeben. „Da können wir gleich<br />

in ihrem Büro anfangen“, sagte meine<br />

Großmutter. Das geschnitzte Herrenzimmer<br />

hatte es dem Vorsitzenden offenbar<br />

angetan. Heute steht es in meinem Haus.<br />

Viele andere Dinge jedoch tauchten nie<br />

wieder auf und sind auf immer verloren.<br />

Diese Enteignung war ein erster schlimmer<br />

Rückschlag. Er traf uns zu einer Zeit,<br />

da Mutter und Großmutter in unermüdlichem<br />

Fleiß die Firma nach dem Krieg<br />

und dem Verlust der Männer wieder auf<br />

die Beine gebracht hatten. Für meine<br />

Großmutter war es keine Frage, zurückzukehren<br />

und weiter zu machen. Viele<br />

andere taten das nicht. Sie blieben im<br />

Westen.<br />

Anfang Juni 1953 kehrte Walter<br />

Ulbricht mit einer SED-Delegation aus<br />

Moskau zurück, wo ihnen die sowjetische<br />

Führung einen „Maßnahmeplan<br />

zur Gesundung des politischen Lebens<br />

in der DDR“ verordnet hatte. Als „Neuer<br />

Kurs“ wurde dieser Plan am 11. Juni<br />

im Parteiorgan „Neues Deutschland“<br />

verkündet. Selbstkritisch nahm man<br />

u.a. die Enteignungen von Privatunternehmen<br />

zurück, und schon wenige<br />

Tage später kehrten die ersten verhafteten<br />

Firmeninhaber heim und erhielten<br />

ihre Unternehmen zurück. Die meisten<br />

blieben aber nicht lange und verließen<br />

mit ihren Angehörigen bald darauf das<br />

Land endgültig Richtung Westen. Die<br />

Normerhöhungen, die der Ministerrat<br />

erst am 28. Mai beschlossen hatte,<br />

waren von den Veränderungen durch<br />

den neuen Kurs nicht betroffen, weil sie<br />

im Maßnahmeplan der Sowjets nicht<br />

vorkamen. Der Unmut unter der Arbeiterschaft<br />

wuchs deswegen weiter an<br />

und führte zu den dramatischen Ereignissen<br />

um den 17. Juni 1953.<br />

38


Die zweite Generation – Meine Eltern Fritz und Hildegard Meyer<br />

Fassgurken für die Rotarmisten<br />

Auch die in der Umgebung von Jüterbog<br />

stationierte russische Armee wollte<br />

versorgt sein. Sauerkraut war gefragt,<br />

aber auch Fassgurken und milchsauer<br />

vergorene grüne Tomaten nahmen die<br />

Rotarmisten sehr gerne ab. Diese neuen<br />

Aufgaben mussten nahezu ausschließlich<br />

mit den vorhandenen technischen Mitteln<br />

in Angriff genommen und gelöst werden.<br />

Die meisten Maschinen, die meine Großeltern<br />

und mein Vater angeschafft hatten,<br />

waren glücklicherweise noch so gut in<br />

Schuss, dass man mit ihnen produzieren<br />

konnte. Nachschub konnte in Braunschweig<br />

nicht mehr bestellt werden,<br />

und es dauerte einige <strong>Jahre</strong>, bis auch in<br />

der DDR eine Maschinenfabrik begann,<br />

Verarbeitungsmaschinen für die Konservenindustrie<br />

herzustellen. Die erste neue<br />

Maschine war eine Kirschen-Entrapp-Maschine,<br />

die Mutter und Großmutter 1959<br />

beim VEB Maschinebau Burg erwarben.<br />

Kirschen und anderes Steinobst konnten<br />

damit maschinell entstielt werden. Ich<br />

war damals schon Lehrling im VEB Elite<br />

Konservenfabrik Gerwisch bei Magdeburg<br />

und verfolgte mit großem Interesse<br />

die Entwicklung im Verarbeitungsmaschinenbau.<br />

Schließlich stand seit meiner<br />

Geburt fest, dass ich den Betrieb einmal<br />

übernehmen würde. Meine Mutter hatte<br />

mich schon im Kinderwagen mit in die<br />

Fabrik genommen, und später war der<br />

Fabrikhof mein Spielplatz. Ich wuchs<br />

quasi zwischen Autoklaven, Entsteinern<br />

und Kochkesseln auf. Und natürlich unter<br />

den wachen und liebevollen Augen der<br />

Arbeiterinnen und Arbeiter, die mir wie<br />

eine große Familie vorkamen.<br />

Mutter und Großmutter waren damals<br />

ebenso wie unser Prokurist Herbert<br />

Fremdling hauptsächlich im Büro, aber<br />

auch in der Produktion „hinten“, wie wir<br />

es nannten, tätig. Die Produktion dominierten<br />

die Frauen, und in einem eigenen<br />

Lastkraftwagen fuhr unser Kraftfahrer<br />

einen Teil der Waren ins Land. Der überwiegende<br />

Teil wurde jedoch von Spediteuren<br />

abgeholt.<br />

Mittagspause<br />

39


Die zweite Generation – Meine Eltern Fritz und Hildegard Meyer<br />

Der Ernst des Lebens beginnt –<br />

Meine Ausbildung<br />

Bernd-Richard<br />

Meyer als<br />

Schüler<br />

Im Sommer 1950 feierte ich meinen<br />

sechsten Geburtstag und wurde bereits<br />

im September eingeschult.<br />

Ich kann nicht sagen, dass mir das Lernen<br />

viel Freude bereitet hätte und auch<br />

meine Lernerfolge waren eher mäßig.<br />

Nach der achten Klasse verließ ich die<br />

Schule und begann meine Lehre in der<br />

VEB Elite Konservenfabrik in Gerwisch<br />

bei Magdeburg. Dass ich diese Richtung<br />

einschlagen würde, stand nicht nur für<br />

die Familie, sondern auch für mich selbst<br />

schon von klein auf fest. Erfolge im Lernen<br />

ließen nun nicht mehr lange auf sich<br />

warten. Das war mein Metier. In zweieinhalb<br />

<strong>Jahre</strong>n durchlief ich eine umfassende<br />

Ausbildung in der Obst- und Gemüseverarbeitung,<br />

die keinen der vielfältigen<br />

handwerklichen und auch technischen<br />

Aspekte dieses Berufes außer Acht ließ.<br />

Allerdings bedeutete diese Lehrzeit auch<br />

eine Trennung von der Familie. Mit 14<br />

<strong>Jahre</strong>n zog ich ins Lehrlingswohnheim<br />

ein, wo außer mir beinahe ausschließlich<br />

Mädchen wohnten. In mancherlei Beziehung<br />

bedeutete dieses Wohnheimleben<br />

selbstverständlich einen Zugewinn an<br />

Freiheit. Gleichwohl bedeutete es neben<br />

dem zeitweiligen Abschied von der<br />

Familie auch, dass man sich mitunter<br />

strengeren Regeln zu unterwerfen hatte,<br />

als das zu Hause der Fall gewesen wäre.<br />

Im Nachhinein war ich dennoch froh, bei<br />

meiner ersten Zigarette vom Heimleiter<br />

und nicht von meiner Großmutter erwischt<br />

worden zu sein.<br />

40


Die zweite Generation – Meine Eltern Fritz und Hildegard Meyer<br />

Studium in Gerwisch<br />

Im Anschluss an meine Facharbeiterausbildung<br />

begann ich 1961 ein Studium an<br />

der Ingenieurschule der Lebensmittelindustrie<br />

Gerwisch in der Fachrichtung<br />

Obst- und Gemüseverarbeitung. Das<br />

Studium dauerte vier <strong>Jahre</strong>, doch für<br />

mich wäre es beinahe schon im Herbst<br />

1961 zu Ende gewesen. Zu offen hatte<br />

ich meine Meinung über den Mauerbau<br />

geäußert. Das war einigen an der Ingenieurschule<br />

wohl nicht lieb gewesen.<br />

Glücklicherweise setzte sich mein Lehrmeister<br />

überzeugend für mich ein, und<br />

ich konnte mein Studium 1964 als Ingenieur<br />

abschließen.<br />

Die Studienzeit in Gerwisch hat mich<br />

nicht nur mit dem nötigen Rüstzeug zur<br />

Leitung einer Konservenfabrik versehen,<br />

diese Zeit bedeutete auch für mein ganz<br />

privates Leben eine Zäsur. Ich lernte hier<br />

meine Frau Angelika kennen, die ebenso<br />

wie ich Lebensmittelingenieurwesen<br />

studierte. Allerdings kam sie, anders als<br />

ich, gar nicht aus diesem Metier. Ihr Vater<br />

war lange <strong>Jahre</strong> Stahlwerkschef in Hennigsdorf<br />

gewesen. Nach einer Fachausbildung<br />

in Lommatzsch war meine Frau<br />

zum Studium delegiert worden, wo wir<br />

uns 1962 trafen.<br />

Im gleichen Jahr hatten meine Großmutter<br />

und meine Mutter einer staatlichen<br />

Beteiligung an unserem Familienunternehmen<br />

zustimmen müssen. 1961<br />

feierten wir noch unser 50-jähriges Betriebsjubiläum.<br />

Bis dahin konnte meine<br />

Großmutter die Aufnahme der staatlichen<br />

Beteiligung erfolgreich hinauszögern.<br />

Nun erwarb der Staat Anteile an der<br />

Firma, sicherte sich damit Einfluss und<br />

ermöglichte gleichzeitig notwendige Investitionen.<br />

Die Konservenfabrik galt nun<br />

als halbstaatlicher Betrieb.<br />

Es versteht sich, dass ich bereits während<br />

meiner Lehrzeit und auch im Studium<br />

stets versuchte, alles, was ich sah<br />

und lernte, gut zu prüfen, um es im elterlichen<br />

Betrieb zur Anwendung zu bringen.<br />

Betriebsausflug<br />

in den Spreewald<br />

1969<br />

41


Die zweite Generation – Meine Eltern Fritz und Hildegard Meyer<br />

Die alte<br />

Stechuhr<br />

sein, sie erleichterten doch die Arbeit.<br />

Die Ablösung des Gabelhubwagens<br />

durch unseren ersten Elektrogabelstapler<br />

war 1968 eine ganz große Sache. Heute<br />

kann man sich das kaum noch vorstellen.<br />

Gerade um diese Zeit begannen sich im<br />

Bereich der Konservenindustrie wichtige<br />

technische Entwicklungen abzuzeichnen.<br />

In meinen zweiwöchigen Semesterferien<br />

baute ich 1962 gemeinsam mit Schmiedemeister<br />

Arno Berger in Jüterbog ein<br />

„modernes“ Füllband. Die Leistungen<br />

dieses Bandes, an dem die Gurken noch<br />

per Hand abgefüllt wurden, waren sehr<br />

passabel. Bis dahin hatten mechanische<br />

Fördermittel in unserer Konservenfabrik<br />

keine Rolle gespielt. Nun war ich ständig<br />

auf der Suche nach Maschinen, die die<br />

Arbeiten effektivieren konnten. Mochten<br />

es auch gebrauchte Anlagen und Geräte<br />

Nach dem Studienabschluss delegierte<br />

mich mein Ausbildungsbetrieb in den<br />

VEB Feinkost Potsdam. Jungingenieure<br />

wurden auf diese Art im Land verteilt<br />

und mussten in der Regel für ein Jahr im<br />

Betrieb verbleiben, um Erfahrungen in<br />

der Praxis zu sammeln. Der VEB Feinkost<br />

war der erste Betrieb der DDR, der sich<br />

mit der Herstellung von Kindernahrung<br />

beschäftigte. Die Entwicklungen hatten<br />

gerade erst begonnen, und schon<br />

aus diesem Grund war die Arbeit dort<br />

überaus interessant. Vom Technologen<br />

wurde ich schnell zum stellvertretenden<br />

Produktionsleiter. Allerdings stand von<br />

Beginn an fest, dass ich nach 12 Monaten<br />

den volkseigenen Betrieb verlassen<br />

würde, um den elterlichen Betrieb zu<br />

übernehmen. Vorher hatte ich aber noch<br />

einer wichtigen Pflicht zu genügen – der<br />

18-monatigen Wehrpflicht. Damit endete<br />

meine Zeit in der Fremde.<br />

42


Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />

DIE DRITTE GENERATION<br />

BERND-RICHARD<br />

UND ANGELIKA MEYER<br />

43


Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />

Mit 22 <strong>Jahre</strong>n<br />

Unternehmenschef<br />

Im November 1966 endlich übernahm ich<br />

die Verantwortung für die Konservenfabrik<br />

meiner Vorfahren. Meine Großmutter<br />

war im Sommer 1962 verstorben. Bis zuletzt<br />

hatte sie in der Fabrik mitgearbeitet.<br />

In der Produktion fühlte sie sich genauso<br />

zu Hause wie bei der Kalkulation im Büro,<br />

und mehr als eine Mittagspause gönnte<br />

sie sich auch im Alter nicht. Resolut und<br />

energisch hatte sie gemeinsam mit meiner<br />

Mutter seit dem Kriegsende all ihre<br />

Schaffenskraft in die Erhaltung der Firma<br />

investiert. Dieses Werk weiterzuführen,<br />

ja zu optimieren, war mein erklärtes Ziel.<br />

Ich war 22 <strong>Jahre</strong> alt, gut ausgebildet und<br />

voller Tatendrang. Unser damaliger Prokurist<br />

Herbert Fremdling, der von 1947 an<br />

beinahe 40 <strong>Jahre</strong> bei uns tätig war, hatte<br />

mich bereits mit dem notwendigen kaufmännischen<br />

Wissen ausgestattet, welches<br />

man durchaus auch im Sozialismus<br />

brauchte, wenn man ein Unternehmen<br />

leiten wollte. Auch mit einer staatlichen<br />

Beteiligung von 33 Prozent waren wir weiterhin<br />

ein privates Unternehmen, das zum<br />

<strong>Jahre</strong>sende einen Gewinn erwirtschaften<br />

wollte. Bei einem Einkommenssteuersystem,<br />

das eine Gewinnversteuerung von<br />

95 Prozent vorsah, war das kein leichtes<br />

Unterfangen.<br />

Gesunde Unternehmensentwicklung<br />

oder Festhalten<br />

an den Grundprinzipien?<br />

Zuerst beschäftigte ich mich mit unserem<br />

Sortiment und prüfte die Leistungen, die<br />

zur Herstellung jedes einzelnen Produktes<br />

notwendig waren, genau. Recht<br />

schnell wurde mir klar, dass eine umfassende<br />

Versorgung mit Lebensmitteln, wie<br />

sie die DDR plante und propagierte, auch<br />

für uns nur unter Aufgabe des hohen<br />

Qualitätsstandards, den die Großmutter<br />

immer vertreten hatte, zu machen war. Es<br />

fiel mir nicht leicht, mit diesem Grundprinzip<br />

meiner Vorfahren zu brechen, doch<br />

im Interesse eines gesunden Unternehmens<br />

war dies die einzig mögliche Entscheidung.<br />

In der Folge vollzogen sich<br />

weitreichende technische Veränderun-<br />

44


Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />

Unsere Konservenproduktion<br />

in den 1960er<br />

<strong>Jahre</strong>n<br />

gen, die durch Kapitalinvestitionen des<br />

Staates finanziert worden sind, aber auch<br />

Investitionskredite konnten aufgenommen<br />

werden. Die alten Maschinen wurden<br />

verschrottet und durch neueste Technik<br />

ersetzt. So konnten die ersten liegenden<br />

Autoklaven angeschafft werden. Rundfüller<br />

ersetzten die aufwändige Handarbeit.<br />

Aufgussgießer und Gläserverschließautomaten<br />

beschleunigten die Produktion in<br />

ganz erheblichem Maße. Doch handelte<br />

es sich bei technischen Veränderungen<br />

nur um die eine Seite der Medaille. Der<br />

Anteil körperlicher Arbeit blieb weiterhin<br />

groß – und diese Arbeit leisteten sowohl<br />

die Beschäftigten als auch ich selbst. Da<br />

durfte es keine Berührungsängste geben.<br />

Be- und Entladearbeiten, Schlosserarbeiten<br />

und die abendlichen Fahrten nach<br />

Werder, um das frische Obst abzuholen,<br />

fielen in meinen Aufgabenbereich. Bis<br />

1968 fuhren wir mit unserem alten Opel<br />

Blitz, den wir dann erst durch einen W50<br />

ersetzten.<br />

Die technische Planung des Unternehmens<br />

wurde bald meine liebste Beschäftigung,<br />

der ich nicht nur einen Teil meiner<br />

Arbeitszeit, sondern auch so manches<br />

Wochenende widmete.<br />

Die Tücken der Personalpolitik<br />

Neben der technischen Erneuerung in<br />

der Produktion beschäftigte ich mich<br />

intensiv mit Personalpolitik. Was nützen<br />

die modernen Maschinen, wenn wir keine<br />

gut ausgebildeten Arbeiter fanden, die<br />

für uns arbeiten wollten. Obwohl wir kein<br />

volkseigener Betrieb waren, hatten wir<br />

uns an staatliche Lohnvorgaben zu halten<br />

und durften unseren Arbeitern nicht mehr<br />

zahlen, als sie in staatlichen Fabriken<br />

verdienten. Da war es oft schwer, geeignete<br />

Leute zu finden. Ungeeignete fanden<br />

sich leichter. Die kamen zu spät oder<br />

betranken sich am Arbeitsplatz. Mehr als<br />

einmal musste ich den Kesselwärter oder<br />

den Betriebsschlosser betrunken nach<br />

Hause schicken und die Arbeiten zusätzlich<br />

selbst übernehmen. Bei aller Euphorie<br />

über die selbständigen Leitung des<br />

Betriebes waren das für mich als jungen<br />

Chef sehr schwierige Situationen.<br />

45


Zum Thema<br />

Die Gurkenverarbeitung im Wandel der Zeit<br />

Die Gurken sind reif<br />

Gurkenernte im sog. Flieger<br />

Verladen des Erntegutes<br />

Gurkenwäsche<br />

Die Geschichte der Einlegegurken<br />

und ihrer Verarbeitung ist lang. In<br />

unsere Region, die Region um den<br />

Spreewald, kamen die eingelegten<br />

Gurken im 19. Jahrhundert. Tuchmacher<br />

aus den Niederlanden<br />

brachten sie mit.<br />

Mit der Entwicklung des Gartenbaus<br />

erhöhte sich auch bei uns<br />

das Aufkommen an Einlegegurken.<br />

Da die Gurke als Frischware sehr<br />

schnell verdirbt, begann man Anfang<br />

des 20. Jahrhunderts mittels<br />

Zugabe von 3- bis 4-prozentigem<br />

Salzwasser, die Gurken in Eichenfässern<br />

milchsauer zu vergären.<br />

Bei einer Kräuterzugabe z.B. von<br />

Dill entstand die so genannte<br />

Salzdillgurke. Die Entwicklung in<br />

der Konservenindustrie ermöglichte<br />

bald die Konservierung von<br />

Einlegegurken in 10-Kilogramm-<br />

Dosen als Salzdillgurke oder auch<br />

mit einem süß-sauren Aufguss.<br />

Im Spreewald, insbesondere in<br />

Lübbenau, praktizierten das schon<br />

in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts<br />

mehr als 25 kleine und<br />

kleinste Betriebe.<br />

Für unser Unternehmen hatte die<br />

Gurkenverarbeitung bis zum Ende<br />

des 2. Weltkrieges keine besondere<br />

Bedeutung. Kaum fünf Kilometer<br />

von Jüterbog entfernt wurden<br />

Spreewälder Gurken im Gut Markendorf<br />

ähnlich wie in Lübbenau<br />

verarbeitet. Erst die sowjetische<br />

Armee verpflichtete uns, Einlegegurken<br />

zu Salzdillgurken und<br />

Weißkohl zu Sauerkraut zu verarbeiten<br />

und grüne Tomaten milchsauer<br />

zu vergären und in Fässern<br />

auszuliefern. Die großen Holzbottiche<br />

dafür waren als Pulpfässer<br />

aus der Marmeladenproduktion in<br />

der Fabrik noch vorhanden. Doch<br />

auch damals schon begannen wir,<br />

Einlegegurken ganz oder in Streifen<br />

mit einer süß-sauren Rezeptur<br />

in Konservengläsern zu konservieren.<br />

Allerdings war der manuelle<br />

Aufwand beim Befüllen der Gläser<br />

sehr hoch, deshalb stellten wir sie<br />

nur in geringer Stückzahl her.<br />

Mein persönliches Interesse an der<br />

Gurkenverarbeitung verdanke ich<br />

der Bekanntschaft mit fünf Spreewäldern,<br />

Söhnen und Töchtern der<br />

Besitzer dieser kleinen Gurkenfabriken<br />

aus Lübbenau. Wir lernten<br />

uns in der Ausbildung kennen und<br />

begannen bald verschiedene Produkte<br />

zu verkosten und Erfahrungen<br />

auszutauschen. Das Ergebnis<br />

war die <strong>Jütro</strong>-Spreewälder-Gurke,<br />

die mit einem eigens für uns kreierten<br />

Aromastoff, einer Zusammensetzung<br />

aus natürlichen Aromen,<br />

verarbeitet wurde.<br />

46


Zum Thema<br />

Manuelles Nachlesen<br />

Noch bis vor etwa 30 <strong>Jahre</strong>n war<br />

die Gurke ein reines Handarbeitsprodukt.<br />

Das sperrige Füllgut<br />

verweigerte sich beinahe jeglicher<br />

maschineller Bearbeitung und<br />

musste von Hand eingefüllt werden.<br />

Zwar konnte die Abfüllung<br />

durch den Einsatz von Transportbändern<br />

und Füllbändern effektiver<br />

gestaltet werden, den Füllprozess<br />

per Hand ersetzten die Bänder<br />

nicht. Erst Ende der siebziger<br />

<strong>Jahre</strong> gelang mit der Entwicklung<br />

der ersten funktionierenden Vibrationsfüllmaschinen<br />

ein entscheidender<br />

Schritt zur Effektivierung<br />

der Gurkenproduktion. Inzwischen<br />

spielt die Gurkenverarbeitung<br />

auch bei uns eine herausragende<br />

Rolle. Nicht weniger als 20 Millionen<br />

Gurkenkonserven verlassen<br />

jährlich den Betrieb.<br />

Große Trucks transportieren seit<br />

der Wende Gurken aus Niederbayern,<br />

dem Oderbruch und dem<br />

Spreewald zu uns nach Jüterbog.<br />

Innerhalb der Saison sind das<br />

120 Tonnen Gurken, die täglich<br />

den Betrieb erreichen. Nach einer<br />

Prüfung der Qualität und Quantität<br />

kommen die Kisten zu je 450 Kilogramm<br />

Gurken zur Waschstrecke,<br />

dort werden sie gründlich eingeweicht<br />

und anschließend in der<br />

Maschinelles Gläserfüllen<br />

Trommelwaschmaschine gereinigt.<br />

Verlesebänder transportieren die<br />

Gurken zu den Hochleistungsfüllern,<br />

die das Einfüllen schnell und<br />

effektiv übernehmen. Auf dem<br />

Nachpackband wird das Gewicht<br />

der einzelnen Gläser nochmals<br />

kontrolliert und die Füllung gegebenenfalls<br />

korrigiert. Mittels Vakuumfüller<br />

wird die Aufgussfüllung<br />

durchgeführt. Die Herstellung des<br />

Aufgusses geschieht natürlich<br />

mit frischen Zutaten und nach<br />

der traditionellen und einmaligen<br />

Rezeptur von <strong>Jütro</strong>. Die Verschlussmaschine<br />

setzt die Deckel<br />

auf die Gläser, die darauf in drei<br />

Pasteurisatoren verschwinden.<br />

Gekühlt kommen sie wieder heraus<br />

und brauchen nur noch ein Etikett,<br />

ehe sie verpackt und automatisch<br />

palettiert werden.<br />

Unser Unternehmen verfügt über<br />

zwei dieser Hochleistungslinien,<br />

die in jeder Schicht <strong>100</strong>.000<br />

Gläser produzieren, und das im<br />

Drei-Schicht-System. Obwohl sich<br />

im Laufe der letzten <strong>Jahre</strong> das<br />

Produktionsprofil der <strong>Jütro</strong> GmbH<br />

& Co. KG Konserven und Feinkost<br />

immer mehr in Richtung Feinkostproduktion<br />

entwickelt hat, bleibt<br />

die Gurkenverarbeitung ein wichtiges<br />

Standbein für die <strong>Jütro</strong>.<br />

Die maschinell gefüllten Gläser<br />

werden von Hand nachgestopft.<br />

Vakuumfüller für den Aufguss<br />

Die Verschlussmaschine setzt<br />

die Deckel auf die Gläser.<br />

Pasteurisiert und nachgekühlt gehen<br />

die Gläser zur Verpackung.<br />

47


Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />

sich der Produktionsausstoß ganz erheblich.<br />

Mit der Ablösung des manuellen<br />

Füllprozesses verdreifachte sich die<br />

Schichtleistung auf 30.000 Gläser. In den<br />

1980er <strong>Jahre</strong>n lieferten wir unsere Gewürzgurken<br />

auch in 10-Liter-Dosen sogar<br />

in den Westen.<br />

Bernd-Richard<br />

Meyer 1968<br />

auf dem ersten<br />

Elektrostapler,<br />

der ins Unternehmen<br />

kam<br />

Jetzt kommen die Gurken<br />

Bei meinem Eintritt in die Firma produzierten<br />

wir jährlich etwa eine Million<br />

Gläser mit Obst- und Gemüsekonserven.<br />

1972 waren es schon über sieben Millionen,<br />

und auch das Sortiment hatte sich<br />

gewandelt. Gurken spielten nun eine<br />

weitaus größere Rolle, als das vorher<br />

der Fall gewesen war. Während meiner<br />

Lehre hatte ich mich mit einigen jungen<br />

Leuten aus Lübbenau angefreundet, die<br />

auch aus der Konservenindustrie kamen<br />

und die schon zu dieser Zeit sehr viele<br />

Gurken verarbeiteten. Wir haben verkostet<br />

und bald darauf die Firma Öhme und<br />

Baier in Leipzig beauftragt, für uns ein<br />

spreewaldtypisches Gurkenaroma zu entwickeln.<br />

Seit etwa 1976 nahm die Produktion<br />

und Verarbeitung von Einlegegurken<br />

einen immer größeren Raum ein, und mit<br />

der Inbetriebnahme des Trommelfüllers<br />

Universa (Fabrikat Herbort) 1979 erhöhte<br />

Nach der Einstellung der Marmeladenund<br />

Konfitürenherstellung im Rahmen der<br />

staatlich vorgegebenen Spezialisierung<br />

der Produktion 1963 konzentrierten wir<br />

uns immer mehr auf die Produktion von<br />

Gemüsesterilkonserven. In den Wintermonaten<br />

konnten durch die Verarbeitung<br />

von Speisemöhren, Roter Beete und Sellerie<br />

die Kapazitäten der vier liegenden<br />

Autoklaven besser ausgelastet werden.<br />

Steigende Anforderungen<br />

verlangen nach neuen<br />

Maschinen und Eigeninitiative<br />

Besonders in den 1970er <strong>Jahre</strong>n entwickelte<br />

sich die Konservenindustrie im<br />

gesamten Land. Die Produkte, die die<br />

Landwirtschaft in großer Zahl lieferte,<br />

mussten für den Winter haltbar gemacht<br />

werden, um eine kontinuierliche Versorgung<br />

der Bevölkerung gewährleisten zu<br />

können. Den immer weiter steigenden<br />

48


Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />

Anforderungen konnten wir nur durch<br />

den Einsatz neuer Maschinen und Geräte<br />

gerecht werden, und gleichzeitig galt es,<br />

Lagerkapazitäten zu erweitern. Natürlich<br />

kamen auch die Bedürfnisse der Arbeiter<br />

und Arbeiterinnen nicht zu kurz. Bereits<br />

1968 entstanden in den Wintermonaten<br />

neue Sozialräume im Obergeschoss des<br />

alten Fabrikgebäudes. 1970 erfolgte<br />

die Umstellung der Dampfkesselanlage<br />

auf Ölfeuerung. Ohne die Hilfe meines<br />

Schwiegervaters, der Stahlwerkschef in<br />

Hennigsdorf war, wäre dieser Umbau<br />

sicher nicht so schnell realisierbar gewesen.<br />

Mit der Erweiterung unserer Autoklavenkapazitäten<br />

und mit der Anschaffung<br />

einer neuen Gläserwaschmaschine erhöhte<br />

sich unser Dampfbedarf erheblich.<br />

Glücklicherweise hatte ich gute Kontakte<br />

zu Maschinenbaubetrieben in Sachsen<br />

und Thüringen, die sich ebenfalls in privater<br />

Hand befanden. Es verstand sich,<br />

dass man sich gegenseitig half. Unseren<br />

modernen 3,2-Tonnen-Dreizugkessel<br />

kauften wir also bei der Firma Gebr.<br />

Weißbach in Karl-Marx-Stadt. Dieser<br />

Ankauf bedeutete für die Konservenfabrik<br />

einen beträchtlichen technischen Fortschritt.<br />

Der Kessel konnte mit Öl befeuert<br />

werden, musste aber bereits nach vier<br />

<strong>Jahre</strong>n wegen einer Materialdoppelung<br />

im Flammenrohr aufgegeben und ausgewechselt<br />

werden. Der Zeitpunkt des Ausfalls<br />

war denkbar ungünstig. Ganz kurz<br />

vor Beginn der Saison 1975 hatten wir<br />

nur zwei Monate Zeit, Ersatz zu beschaffen.<br />

Nun war guter Rat teuer. Zufällig<br />

stand – nicht unüblich für DDR-Verhältnisse<br />

– ein 5-Tonnen-Dreizugkessel in der<br />

Nähe von Gera bei einer Spedition herum.<br />

Dieser kam nun bei uns zum Einsatz.<br />

In den <strong>Jahre</strong>n 1971 und 1972 erfolgt der<br />

Umbau des ehemaligen Fass-Schuppens<br />

hinter der neuen Fabrik. Wir brauchten<br />

ihn dringend als Produktionsraum. Ausgestattet<br />

mit zwei weiteren Autoklaven,<br />

einer großen Gläserwaschmaschine MGB<br />

30, einem Lagerraum und den Anlagen<br />

zur Etikettierung war auch hier die Produktion<br />

möglich.<br />

Prokurist Herbert<br />

Fremdling beim<br />

tatkräftigen Einsatz<br />

außerhalb<br />

seines Kontors<br />

49


Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />

Die dringend notwendige Erweiterung<br />

der Lagerkapazitäten scheiterte an den<br />

knappen Baubilanzen. Andere Projekte<br />

konnten nur in so genannter Eigeninitiative<br />

in enger Zusammenarbeit mit<br />

Schlossern, Maurern und Schweißern<br />

realisiert werden. Gewerkelt wurde nach<br />

Feierabend und an den Wochenenden.<br />

Der Lohn für die zügige technische Erneuerung<br />

der Fabrik war eine Steigerung<br />

unseres Produktionsausstoßes von einer<br />

Million Einheiten 1966 auf sieben Millionen<br />

im Jahr 1972.<br />

Der Möhrenstützpunkt<br />

in Frankenförde<br />

Möglich war eine derartige Produktionserhöhung<br />

nur durch eine ausgesprochen<br />

enge Zusammenarbeit mit den Erzeugern<br />

in den landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften<br />

(LPG). Unsere Speisemöhren<br />

bezogen wir aus dem bekannten<br />

Möhrenanbaugebiet Luckenwalde und intensivierten<br />

die Zusammenarbeit mit den<br />

<strong>Jahre</strong>n immer weiter. Gemeinsam bauten<br />

wir bei der LPG Frankenförde einen<br />

Möhrenstützpunkt auf. Hier konnten in<br />

den Wintermonaten die Möhren geputzt<br />

werden. Küchenfertig landeten sie dann<br />

bei uns, wo sie zu Gemüsemischungen<br />

verarbeitet wurden. Die Verlagerung der<br />

manuellen Arbeit bedeutete für uns einen<br />

großen Kapazitätszuwachs. In Jüterbog<br />

mussten die blanchierten und gewürfelten<br />

Karotten nur noch mit Erbsen und<br />

Blumenkohl, die wir tiefgekühlt oder auch<br />

getrocknet erhielten, zusammengefügt<br />

und abgefüllt werden.<br />

Widerstand zwecklos –<br />

Die Enteignung 1972<br />

Die überaus günstige Entwicklung unseres<br />

Unternehmens seit Mitte der 1960er<br />

<strong>Jahre</strong> erfüllte mich als jungen Chef mit<br />

Stolz. Konnte ich doch das, was ich in<br />

Ausbildung und Studium gelernt hatte,<br />

zum Nutzen des Familienbetriebes einsetzen.<br />

Doch zogen bald schon dunkle<br />

Wolken auf. Es wurde von Zwangsverstaatlichungen<br />

gesprochen, mit denen<br />

die Regierung in den Besitz von über<br />

15.000 privaten und halbstaatlichen<br />

50


Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />

Betrieben kommen wollte. Bereits im Februar<br />

1972 sprach man auf dem Parteitag<br />

der LDPD, der ich damals angehörte, von<br />

diesen Plänen. Etliche Privatunternehmer<br />

aus Sachsen und auch aus Thüringen,<br />

die schon mit einer relativ hohen staatlichen<br />

Beteiligung von bis zu 95 Prozent<br />

arbeiteten, verpflichteten sich anlässlich<br />

dieses Parteitages, ihre Firmen an den<br />

Staat zu verkaufen. Man kann sich die<br />

Aufregung vorstellen, die dieses Ansinnen<br />

auslöste. Mir selbst und vielen anderen<br />

wäre es nie in den Sinn gekommen,<br />

ein eben flott gemachtes Unternehmen<br />

ohne Not dem Staat zu übertragen.<br />

Gerade in der Konservenindustrie gab es<br />

eine Vielzahl kleiner und kleinerer Betriebe,<br />

die noch in privater Hand waren. Wir<br />

kannten uns alle gut und fragten uns gegenseitig:<br />

„Waren sie schon bei dir?“ Mit<br />

Gleichgesinnten traf ich mich heimlich,<br />

und wir tauschten unsere Erfahrungen<br />

und Gedanken aus, denn mehr als abwarten<br />

konnte man nicht. Was hätte ich<br />

auch tun sollen? Mein Sohn Michael war<br />

noch nicht einmal zwei <strong>Jahre</strong> alt. Sollte<br />

LDPD<br />

Liberal-Demokratische Partei Deutschlands, 1945<br />

in der DDR gegründet und 1990 in der gesamtdeutschen<br />

FDP aufgegangen<br />

ich über die Mauer springen und mich erschießen<br />

lassen? Wie hätte ich das Werk<br />

meiner Vorfahren im Stich lassen können?<br />

Anfang April 1972 war es dann soweit.<br />

Herr Semmler, der Abteilungsleiter<br />

Handel und Versorgung des Rates des<br />

Kreises, Herr Teuergarten, Vorstandsvorsitzender<br />

der Konsumgenossenschaft<br />

Jüterbog, und der Wirtschaftssekretär der<br />

SED-Kreisleitung erschienen in meinem<br />

Büro. Sie schlugen mir, wie erwartet, vor,<br />

unser Unternehmen zum Buchwert an<br />

den Staat zu verkaufen. Ich wusste, dass<br />

es kein Entrinnen geben würde und erbat<br />

mir Bedenkzeit, die mir gewährt wurde.<br />

Die Aussichtslosigkeit, die großelterliche<br />

Firma der Familie und meinem Sohn zu<br />

bewahren, hat mir heftig zugesetzt. Ich<br />

musste mich den Zwangsverhandlungen<br />

beugen, und vom 1. Mai 1972 an hieß es<br />

51


Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />

auf dem Firmenschild „VEB Jüterboger<br />

Konservenfabrik“. Ein weiterer juristisch<br />

und wirtschaftlich selbständiger volkseigener<br />

Betrieb war entstanden. Und ich<br />

war der Direktor.<br />

Ich bleibe!<br />

Hier war mein Platz. Es war und blieb<br />

doch meine Aufgabe, für unsere Firma<br />

und ihr Bestehen zu arbeiten. Wie hätte<br />

ich zuschauen sollen, wenn fremde<br />

Leute in Großvaters Fabrik wirkten und<br />

über kurz oder lang das Lebenswerk<br />

meiner Vorfahren und auch das meinige<br />

in Scherben ging? In meiner Umgebung<br />

sah ich zu viele Beispiele dafür. Fabrikbesitzer<br />

in der Generation meines Vaters zogen<br />

sich verbittert zurück und versäumten<br />

es gleichzeitig, ihren Nachkommen<br />

Mut zu machen, die Firma nicht im Stich<br />

zu lassen. Ich selbst gehörte zu der Generation,<br />

die sich an die Spielregeln des<br />

Systems hatte gewöhnen müssen und<br />

auch können. Wie wollte ich mit meinen<br />

30 <strong>Jahre</strong>n die gestandenen Unternehmer<br />

umstimmen? Die meisten von ihnen lehnten<br />

das gesamte System des Sozialismus<br />

vehement ab. Wie hätten sie sich einbringen<br />

sollen? Auch meine Mutter hat die<br />

Verstaatlichung des Betriebes selbstverständlich<br />

schwer getroffen. „Ich gehe hier<br />

raus. Ich gehe ‚nach hinten‘ in die Fabrik,<br />

arbeiten“.<br />

Für mich blieb die Firma in den nächsten<br />

18 <strong>Jahre</strong>n dennoch meine eigene. Es<br />

gelang mir nicht, sie mir aus dem Herzen<br />

zu reißen und es nötigte mich auch keiner<br />

dazu. Mein gesammeltes Wissen, alle<br />

meine Kenntnisse habe ich für eine stabile<br />

Entwicklung der <strong>Jütro</strong> eingesetzt. Dafür<br />

musste ich mich anpassen. Es gelang<br />

mir, ein gutes menschliches Verhältnis zu<br />

den Entscheidungsträgern beim Rat des<br />

Kreises und anderen Stellen aufzubauen.<br />

Eine andere Möglichkeit gab es gar nicht.<br />

Ich hatte Familie und Verantwortung. Ich<br />

hatte eine gesicherte materielle Existenz<br />

und dachte nicht daran, sie aufzugeben.<br />

Man konnte sich anpassen, ohne ein<br />

Kratzer zu sein. Ich habe das versucht.<br />

52


Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />

Das Ministerium für Staatssicherheit<br />

nimmt Fühlung auf<br />

Kaum ein Jahr nach der Enteignung<br />

des Betriebes und meiner Einsetzung<br />

als Direktor des volkseigenen Betriebes<br />

erschien ein Mitarbeiter des Ministeriums<br />

für Staatssicherheit in meinem Büro,<br />

um mich anzuwerben. Ich war Mitglied<br />

der LDPD, Kreistagsabgeordneter und<br />

politisch interessiert. Auch meine engen<br />

verwandtschaftlichen Kontakte in die<br />

Bundesrepublik schienen mich für das<br />

Ministerium interessant zu machen. Für<br />

mich selbst stand eine Zusammenarbeit<br />

mit dem Geheimdienst jenseits des Denkbaren.<br />

Die Schwierigkeit bestand darin,<br />

dies dem Mitarbeiter in einer Form zu verdeutlichen,<br />

die meinen Stuhl als Betriebsdirektor<br />

nicht wanken ließ. Immer wieder<br />

warb und insistierte er und endlich, es<br />

war Juni 1973 geworden, legte er mir die<br />

Verpflichtungserklärung zur Unterschrift<br />

vor. Meine Frage nach einer Durchschrift<br />

verneinte er. Worauf ich erwiderte: „Ich<br />

bin Kaufmann, und ich bin es gewöhnt,<br />

immer einen Beleg für meine Handlungen<br />

zurückzubehalten. Unter diesen Umständen<br />

kann ich nicht unterschreiben.“<br />

Der Mitarbeiter legte das Papier in seine<br />

Mappe und kam nie wieder. Wenn ich<br />

vorher gewusst hätte, dass es so einfach<br />

sein kann. Wie viele schlaflose Nächte<br />

hätte ich mir in diesem Frühling erspart.<br />

Investitionen<br />

der neuen Eigentümer<br />

Nach der Enteignung der letzten privaten<br />

Betriebe in der DDR zeigten sich mehr<br />

und mehr Versorgungslücken, die die<br />

volkseigene Wirtschaft nicht zu schließen<br />

vermochte. Die Regierung musste handeln.<br />

Allein mit der erweiterten Einführung<br />

der Schichtarbeit oder mit dem Umsetzen<br />

von Arbeitern aus andern Betrieben war<br />

es jedoch nicht getan. Grundsätzliches<br />

Umdenken tat Not, und Investitionen<br />

konnten nicht ausbleiben.<br />

Besonders seit Mitte der 1970er <strong>Jahre</strong><br />

entwickelte sich die Konservenindustrie<br />

der DDR spürbar weiter. Jahrzehntelang<br />

galt es als ausgemacht, dass die Obst-<br />

53


Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />

und Gemüsekonserven, die innerhalb<br />

des RGW durch Bulgarien, Ungarn,<br />

Rumänien und andere Länder bereitgestellt<br />

wurden, für den Bedarf der DDR<br />

ausreichten. Diese Einschätzung ging,<br />

wie manch andere auch, an der Lebenswirklichkeit<br />

der DDR-Bürger vorbei.<br />

RGW<br />

Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe: Internationale<br />

Wirtschaftsorganisation sozialistischer Staaten, 1949<br />

in Moskau als Gegenstück zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft<br />

(EWG) gegründet.<br />

Nun redete man von stabiler Eigenversorgung,<br />

und plötzlich gab es für die Konservenindustrie<br />

Maschinen und Anlagen<br />

auch aus dem westlichen Ausland. Ein<br />

moderner Pasteurisator, Fabrikat Jedinstro,<br />

der 1976 aus Jugoslawien kam,<br />

versetzte uns in die Lage, den diskontinuierlichen<br />

Produktionsablauf der Sterilisation<br />

oder Pasteurisation im Autoklaven<br />

weitestgehend aufzugeben und uns auf<br />

pasteurisierte Produkte zu spezialisieren.<br />

Lediglich für die Herstellung unserer Pilzund<br />

Spargelkonserven wurden weiterhin<br />

die Autoklaven benutzt.<br />

Auch hinsichtlich der verarbeiteten Rohstoffe<br />

gab es Veränderungen. Unser<br />

Hauptaugenmerk lag nun auf Erdbeeren,<br />

Gurken, Rotkohl und Apfelmus. In Mengen<br />

lief letzterer bei uns vom Band. Auch<br />

Süß- und Sauerkirschen machten einen<br />

großen Teil unseres Produktionsvolumens<br />

aus. Zwei Entsteinmaschinen der schweizerischen<br />

Firma Ferrum waren eigens für<br />

uns angeschafft worden. Die Wege, über<br />

die dies geschah, waren für uns schwer<br />

durchschaubar. Fakt ist, dass der permanente<br />

Devisenmangel der DDR oft eine<br />

bare Bezahlung der so dringend notwendigen<br />

Maschinen, für welchen Industriezweig<br />

auch immer, verhinderte. Mittelalterlicher<br />

Tauschhandel konnte in solchen<br />

Fällen weiterhelfen. Maschinen gegen<br />

Konserven – das war für beide Seiten ein<br />

gutes Geschäft.<br />

54


Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />

Die Jüterboger Konservenfabrik<br />

als volkseigener Betrieb<br />

in den 1970er und 1980er <strong>Jahre</strong>n<br />

Die rasante technische Entwicklung,<br />

die die <strong>Jütro</strong> in den 1970er und 1980er<br />

<strong>Jahre</strong>n erlebte, zeigte sich auch daran,<br />

dass wir eines der ersten Unternehmen<br />

waren, das auf den modernen westlichen<br />

Twist-off-Verschluss umrüstete.<br />

Auch eine hochmoderne französische<br />

Spargelschälmaschine kam bei uns zum<br />

Einsatz, und es machte mich trotz allem<br />

stolz und glücklich, an diesem Fortschritt<br />

teilzuhaben. Es blieb unser Betrieb, und<br />

er entwickelte sich. Wir waren mit modernen<br />

Maschinen ausgerüstet, und unsere<br />

Produkte wurden von den Verbrauchern<br />

geschätzt. Den Grundstein dafür hatten<br />

meine Großeltern gelegt, und ich selbst<br />

arbeitete täglich dafür. Wie hätte ich über<br />

diese Entwicklung, auch angesichts der<br />

Umstände, nicht froh sein können. Sogar<br />

den großelterlichen Qualitätsansprüchen<br />

konnte, wenn auch nur teilweise, wieder<br />

Genüge getan werden. Unsere Produkte<br />

für den Export, und natürlich auch die für<br />

den delikat-Handel, trugen zu Recht den<br />

Titel Qualitätskonserven.<br />

Die Initiative der Regierung zur Förderung<br />

des Anbaus von Obst und Gemüse,<br />

wie sie um die Mitte der 1970er <strong>Jahre</strong><br />

ins Leben gerufen worden war, trug im<br />

wahrsten Sinne des Wortes bald reiche<br />

Früchte, die es in der Konservenindustrie<br />

zu verarbeiten galt. Arbeitskräfte aus<br />

anderen Industriezweigen wurden uns<br />

zugewiesen, zweischichtiges Arbeiten<br />

und sogar die Arbeit in drei Schichten<br />

waren notwendig. Und natürlich wurden,<br />

außer den Artikeln für Export und delikat,<br />

alle unsere Produkte subventioniert. Ein<br />

Glas Erdbeeren, das wir für 8,59 Mark<br />

herstellten, ging für 2,57 Mark an den<br />

Großhandel. Wir erhielten 6,02 Mark an<br />

Subventionen dafür.<br />

Glücklicherweise mussten wir unter den<br />

Bedingungen der volkseigenen Wirtschaft<br />

die Lagerflächen für die großen<br />

Konservenmengen, die wir täglich produzierten,<br />

nicht mehr selbst vorhalten. Das<br />

tat nun der staatlich organisierte Handel,<br />

55


Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />

Neue Maschinen,<br />

neue Herausforderungen<br />

Blick ins Konservenlager<br />

am<br />

alten Standort<br />

Vorstadt Neumarkt<br />

im Jahr<br />

1985<br />

Fabrikgebäude<br />

mit neuem<br />

Anstrich 1990<br />

der verpflichtet war, sämtliche Produkte<br />

bei den Erzeugern abzunehmen. Konserven<br />

für den Export allerdings mussten wir<br />

selbst einlagern, bis die Verhandlungen<br />

abgeschlossen waren und unsere Dosen<br />

ins Ausland transportiert wurden. Noch<br />

1985/86 war dafür eine neue Lagerhalle<br />

von ca. 900 Quadratmetern gebaut<br />

worden. Auch ein 10 Meter langer Anbau<br />

an das Fabrikgebäude war notwendig<br />

geworden.<br />

Die alten Fabrikgebäude, die mein Großvater<br />

hatte errichten lassen, waren inzwischen<br />

unansehnlich geworden, hätten frischen<br />

Putz und frische Farbe gebraucht.<br />

Am Finanziellen mangelte es nicht, doch<br />

die Baukapazitäten des Kreises reichten<br />

dafür in all den <strong>Jahre</strong>n nicht aus. Erst<br />

zu Beginn der 1990er <strong>Jahre</strong>, als private<br />

Baufirmen ihre Leistungen anzubieten<br />

begannen, erhielten die Gebäude einen<br />

neuen pastellfarbenen Anstrich.<br />

Besonders in den 1980er <strong>Jahre</strong>n konnte<br />

eine Reihe hochmoderner Anlagen<br />

aus dem westlichen Ausland in Betrieb<br />

genommen werden, die mein technikbegeistertes<br />

Herz so manches Mal höher<br />

schlagen ließen. Natürlich lief nicht immer<br />

alles glatt, aber gerade diese Herausforderungen<br />

machten die Arbeit spannend,<br />

wenn sie auch nicht immer gelöst<br />

werden konnten. Beispielsweise wollte<br />

die erwähnte französische Spargelschälmaschine,<br />

in die wir große Hoffnungen<br />

gesetzt hatten, in keiner Weise mit dem<br />

56


Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />

Spargel aus der landwirtschaftlichen<br />

Produktionsgenossenschaft harmonieren.<br />

Was wir auch unternahmen, Maschine<br />

und Rohware fanden nicht zueinander.<br />

Hunderttausende französische Spargelgläser<br />

blieben ungefüllt, und ich hatte<br />

etliche schlaflose Nächte. Letztendlich<br />

schälten wir den Spargel eben wieder<br />

von Hand. Das hatte unseren Arbeiterinnen<br />

noch nie Probleme bereitet. Die amerikanische<br />

Apfelschälmaschine „Atlas<br />

Pacific“ hatte dagegen überhaupt keine<br />

Probleme mit den genossenschaftlichen<br />

Äpfeln. Die mit ihrer Hilfe in den Wintermonaten<br />

geschälten Äpfel kamen als<br />

Konserven oder auch als Apfelmus in die<br />

Geschäfte. Gerade die Apfelmusproduktion<br />

erfuhr eine umfassende Modernisierung<br />

durch den Einsatz von Apfeldämpfern,<br />

modernen Abfülltechniken und einer<br />

vollautomatischen Dosenverschlussmaschine.<br />

1986 gelang es uns, einen neuen<br />

Pasteurisator Fabrikat niko und eine<br />

Krones-Etikettiermaschine anzuschaffen.<br />

Mit der Übernahme von Exportaufträgen<br />

erhielten wir modernste Verarbeitungsmaschinen<br />

aus dem westlichen Ausland,<br />

dem so genannten NSW (nichtsozialistisches<br />

Wirtschaftsgebiet). Aus diesem<br />

Grund erklärte ich mich Ende der 1970er<br />

<strong>Jahre</strong> bereit, Apfelmus und Gurkenerzeugnisse<br />

für den westdeutschen und<br />

niederländischen Markt zu fertigen.<br />

Besonders unser Apfelmus aus dem<br />

heimischen „Gelben Köstlichen“ war<br />

auf dem internationalen Markt nicht nur<br />

qualitativ, sondern auch preislich ohne<br />

jede Konkurrenz. Zwischen 800.000 und<br />

1.000.000 Dosen zu fünf Kilogramm gingen<br />

jährlich in den Westen. Verpackung<br />

und Etiketten stellten die Handelspartner<br />

bereit, und später fuhren die großen<br />

Lastwagen aus der Bundesrepublik auf<br />

unserem winzigen Fabrikhof vor, wo unter<br />

den wachsamen Augen des Zolls und<br />

des Ministeriums für Staatssicherheit die<br />

Paletten verladen wurden.<br />

Unsere Apfelmusproduktion<br />

Ende der<br />

1980er <strong>Jahre</strong><br />

57


Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />

Auch unsere Gurkenerzeugnisse in<br />

Dosen zu zehn Kilogramm waren auf<br />

dem westeuropäischen Markt sehr gefragt.<br />

Die erwirtschafteten Valutamittel<br />

flossen selbstverständlich nicht direkt in<br />

unseren Betrieb, erst im Spätherbst 1989<br />

erhielten wir ein eigenes Valuta-Konto.<br />

Über die Anschaffung moderner und<br />

hochleistungsfähiger Maschinen durch<br />

das Kombinat profitierten wir aber doch<br />

davon. Ähnlich verhielt es sich mit unserer<br />

Produktion für das delikat-Programm.<br />

Relish-Produkte (würzige Soßen aus Gemüsestückchen),<br />

Ketchup und auch eine<br />

Apfel-Sahne-Creme mit Mandeln stellten<br />

wir dafür her.<br />

Anfang der 1980er <strong>Jahre</strong> war es mit den<br />

günstigen Öllieferungen aus der Sowjetunion<br />

vorbei, die die DDR bis dahin zu<br />

einem beträchtlichen Teil in Naturalien<br />

bezahlt hatte. Im Rahmen der so genannten<br />

Ölablösung kam nun wieder die<br />

Braunkohle ins Spiel. Die Umgestaltung<br />

des Kesselhauses war in all den <strong>Jahre</strong>n<br />

nicht nur ein wiederkehrendes organisatorisches<br />

Problem, sondern stellte auch<br />

die Transportunternehmen, die die Kessel<br />

anlieferten, vor enorme Herausforderungen.<br />

Mit Tiefladern befuhren sie unseren<br />

engen Fabrikhof und mussten die Dampfkessel<br />

auf den Millimeter genau an ihren<br />

Platz verbringen.<br />

delikat<br />

Schaufenster<br />

eines delikat-<br />

Ladens<br />

1976 öffneten die ersten delikat-Läden, die vor allem<br />

Nahrungs- und Genussmittel anboten. Zum Sortiment<br />

gehörten Importwaren wie Südfrüchte und Kakao,<br />

hochwertige Erzeugnisse der heimischen Wirtschaft<br />

(Exportartikel) wie Pralinen oder Gebäckmischungen<br />

und einige Westprodukte, die oft in der DDR hergestellt<br />

wurden (Gestattungsproduktion). Die Preise<br />

waren überdurchschnittlich hoch.<br />

58


Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />

Wir hatten das Glück, die Befeuerung<br />

unseres Kesselhauses auf Stadtgas umstellen<br />

zu können. Da sich unser Unternehmen<br />

unmittelbar im Wohngebiet und<br />

in der Nähe des Krankenhauses befand,<br />

war das die bessere Lösung. So blieb es<br />

bis 2001/2002, bis zum Umzug der Firma<br />

ins Gewerbegebiet Luckenwalder Berg.<br />

Genugtuung und Gelassenheit<br />

Natürlich agierte und reagierte man in<br />

einem volkseigenen Betrieb in der DDR<br />

damals anders, aber die kontinuierliche<br />

Entwicklung des großväterlichen Unternehmens<br />

hat mich auch nach der Enteignung<br />

immer stolz gemacht. Wenn ich<br />

sah, wie positiv sich das Unternehmen<br />

entwickelte, erfüllte mich das doch mit<br />

einer gewissen Genugtuung, die mich<br />

manche Dinge gelassener betrachten<br />

ließ. Das System, in dem ich mit meiner<br />

Familie lebte und in dem ich die von der<br />

Großmutter übernommene Firma leitete,<br />

war fast immer nur eine Nebensache.<br />

Lange Zeit konnte ich sogar die Etablierung<br />

einer Parteigruppe der SED in der<br />

Konservenfabrik verhindern. 1982 waren<br />

jedoch alle Argumente ausgereizt.<br />

Als Mitglied der LDPD war ich Abgeordneter<br />

im Kreistag und habe in diesem<br />

Gremium versucht, mich für liberale<br />

Ideen stark zu machen. Allerdings genoss<br />

ich dort auch immer eine gewisse<br />

Narrenfreiheit. Jeder wusste, dass meinem<br />

Vater und unserer Familie damals<br />

mit dem Einmarsch der Roten Armee<br />

Schlimmes widerfahren war, und keiner<br />

wäre beispielsweise je auf den Gedanken<br />

gekommen, mich zur Teilnahme an den<br />

obligatorischen Kranzniederlegungen für<br />

gefallene sowjetische Soldaten aufzufordern.<br />

Deutsch-Sowjetische Freundschaft<br />

war mit mir nicht zu machen.<br />

Meine Frau hat mich in diesen <strong>Jahre</strong>n<br />

besonders unterstützt und mir immer den<br />

Rücken gestärkt, dem Familienunternehmen<br />

treu zu bleiben. Nachdem der<br />

VEB Fruchtsaftbetrieb in Werder gebaut<br />

worden war, übernahm dort der Betriebsdirektor<br />

des VEB Havelland Beelitz die<br />

Verantwortung. Mir bot man die Stelle in<br />

59


Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />

Silhouette von<br />

Jüterbog<br />

Beelitz an. Meine Frau war damals die<br />

einzige, die sagte: „Bleib hier! Wenn du<br />

deinen Betrieb verlässt, dann verlierst<br />

du ihn!“ Bis zu ihrem altersbedingten<br />

Ausscheiden 2007 war sie über 40 <strong>Jahre</strong><br />

hinweg meine wichtigste Stütze im Unternehmen.<br />

Heute werde ich oft gefragt, wie wir die<br />

Zeit in der DDR überstanden haben. Ich<br />

sage dann immer: „Es war gar nicht so<br />

schlimm, wie Außenstehende sich das<br />

denken. Es war ein langer Abschnitt<br />

meines Lebens, aber doch nur ein Teil<br />

davon!“ Meine Vorfahren haben schlimmere<br />

und schwierigere Zeiten durchleben<br />

müssen.<br />

Chance und Katastrophe<br />

Meine schwersten <strong>Jahre</strong> in beruflicher<br />

wie auch in persönlicher Hinsicht kamen<br />

erst nach der Wende und begannen mit<br />

der Rückübertragung meines Betriebes.<br />

Das war einerseits ein beinahe unwirkliches,<br />

glückliches Ereignis, auf der anderen<br />

Seite aber auch die größte berufliche<br />

Herausforderung, deren Tragweite ich in<br />

Hinblick auf das Fortbestehen unseres<br />

Familienunternehmens zuerst unterschätzte.<br />

Den Wendeherbst 1989 verbrachte ich<br />

fern der Fabrik in Templin zu einer prophylaktischen<br />

Kur. Ich befand mich also<br />

nahe an der Grenze zu Mecklenburg, wo<br />

Veränderungen bekanntlich erst <strong>Jahre</strong><br />

später ankommen, doch die Zeichen<br />

der Wende waren selbst in dem großen<br />

Kurheim des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes<br />

(FDGB) nicht zu übersehen.<br />

Täglich verschwanden weitere Portraits<br />

von Größen der Partei- und Staatsführung<br />

von den Wänden der langen Flure.<br />

Ich selbst hatte Zeit und Muße genug,<br />

die Veränderungen zu beobachten und<br />

zu analysieren. Es versteht sich, dass<br />

mich eine Frage am allermeisten umtrieb:<br />

„Wie kriegst du jetzt dein Unternehmen<br />

zurück?“ Dass sich an den bestehenden<br />

Eigentumsverhältnissen etwas ändern<br />

würde, war mir sofort klar. Nun kam eine<br />

60


Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />

bessere Zeit. In meinem kleinen Zimmer<br />

schrieb ich Konzepte und reiste mit<br />

einem Stapel Papier und dem Kopf voller<br />

Ideen Mitte November wieder ins heimische<br />

Jüterbog. Wenige Wochen später<br />

kündigte ich meinem Kombinatsdirektor<br />

die Mitgliedschaft im Kombinat, und seit<br />

dem 1. Februar 1990 waren wir endlich<br />

wieder ein juristisch und wirtschaftlich<br />

selbständiger Betrieb. Ab 1. April 1990<br />

firmierten wir unter „Jüterboger Konservenfabrik<br />

Rich. Meyer GmbH“, wie<br />

vor der Verstaatlichung. Das heißt, wir<br />

begannen noch zu DDR-Zeiten und mit<br />

DDR-Mark wirtschaftlich selbständig zu<br />

agieren und hatten nicht die schlechtesten<br />

Voraussetzungen. Ausgerüstet mit<br />

modernen Maschinen produzierten wir<br />

noch bis zum 30. Juni 1990 subventionierte<br />

Produkte. Allerdings stellte sich der<br />

Großhandel im Sommer 1990 zunehmend<br />

quer und nahm uns die Konserven nicht<br />

vertragsgemäß ab, so dass auch die<br />

Subventionen nicht in dem Maße fließen<br />

konnten, wie wir es erhofft hatten. Aber<br />

wir exportierten ja auch, erhielten die<br />

Erlöse auf unser Valutakonto und erwirtschafteten<br />

bis zur Währungsunion dennoch<br />

gutes Geld. Es lief rund für uns. Am<br />

30. Juni 1990, einen Tag vor der Währungsunion,<br />

wertete ich die Bilanzwerte<br />

meines Betriebes von Mark der DDR auf<br />

D-Mark um. Wir hatten auf Grund eines<br />

hohen Grundmittelbestandes wegen der<br />

modernen Maschinen und Anlagen einen<br />

großen Anteil an Rücklagen, schließlich<br />

musste alles, was überbewertet war,<br />

untergebracht werden. Doch Rücklagen,<br />

die ich in Notzeiten hätte angreifen können,<br />

waren das eben nicht. Die meisten<br />

anderen Betriebe profitierten später von<br />

der Treuhandregelung, die Verluste zum<br />

31. Dezember 1990 mit einem Einschuss<br />

von Startkapital in mehrfacher Höhe zu<br />

regulieren. Als zwei Monate nach der<br />

Währungsunion die Bestimmungen zur<br />

D-Mark-Eröffnungsbilanz veröffentlicht<br />

wurden, war bei uns schon alles passiert.<br />

Wir hatten eben nicht im Verhältnis 1:2<br />

umgestellt, schrieben Ende 1990 schwarze<br />

Zahlen und sahen von der Treuhand<br />

keinen Pfennig. Im Nachhinein scheint<br />

es, als wären wir damals zu voreilig<br />

gewesen. Wir hatten den Stier schon im<br />

Neues Firmenschild<br />

nach der<br />

Reprivatisierung<br />

1990<br />

61


Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />

April bei den Hörnern packen wollen.<br />

Die Chance und die Lust, nach all den<br />

<strong>Jahre</strong>n wieder der Chef im eigenen Unternehmen<br />

zu sein, waren übermächtig<br />

gewesen.<br />

Erste Messe<br />

1990 in Erfurt<br />

Wir produzierten konkurrenzfähig, unsere<br />

Produkte verkauften sich, die Handelsbeziehungen<br />

entwickelten sich in unserem<br />

Sinne, und doch zeigte sich schon bald<br />

unser geradezu chronischer Kapitalmangel.<br />

Anders als in den <strong>Jahre</strong>n vor 1990<br />

galt es nun, die produzierten Bestände<br />

zu finanzieren. Was früher direkt zum<br />

OGS (Großhandel Obst-Gemüse-Speisekartoffeln)<br />

ging, stand nun bis zum<br />

Verkauf und zur Auslieferung bei uns auf<br />

dem Hof, und das kostete, statt Geld<br />

einzubringen. Lediglich ein Drittel unserer<br />

Fabrikfläche konnte unter diesen Umständen<br />

für die Produktion genutzt werden.<br />

Bereits 1992 bauten wir deswegen<br />

eine neue Lagerhalle von 4.500 Quadratmetern,<br />

die uns in die Lage versetzte,<br />

vernünftig zu agieren. Unser Hauptaugenmerk<br />

lag zu dieser Zeit auf der Gurkenverarbeitung,<br />

die innerhalb von 10 bis<br />

12 Wochen im Jahr abgeschlossen sein<br />

musste. Wenn wir in diesem Geschäft<br />

mithalten wollten, mussten sich unsere<br />

Verarbeitungskapazitäten erhöhen. Nach<br />

einigen kleineren Investitionen war es<br />

möglich, nicht nur große Losgrößen zu<br />

produzieren, sondern auch Gurken unterschiedlicher<br />

Größe zu verarbeiten.<br />

62


Zum Thema<br />

Die <strong>Jütro</strong> im Gurkenkrieg<br />

In den ersten <strong>Jahre</strong>n nach 1990<br />

konzentrierten wir uns stark auf<br />

die Gurken- und Gemüseverarbeitung.<br />

Ich suchte und fand<br />

Verbindungen zu alten und<br />

neuen Kollegen im Spreewald<br />

und zum Spreewaldverein und<br />

kreierte ab 1990 die „Spreewälder<br />

Art“. Diese Produkte sind<br />

von den Verbrauchern sehr gut<br />

angenommen worden, und wir<br />

schauten sehr zuversichtlich in<br />

die Zukunft.<br />

Für unser neu entwickeltes<br />

„Spreewälder Gurkenfässchen“<br />

erhielten wir 1994 von ALDI<br />

Nord die Einlistung, und dieses<br />

Fässchen entwickelte sich bald<br />

zu einem Top-Artikel. Leider<br />

währte die Freude darüber nicht<br />

lange, denn mit der Übernahme<br />

der Spreewaldkonserve Golßen<br />

durch die Geschwister Linkenheil<br />

begann schon bald die<br />

professionelle Vermarktung der<br />

Spreewälder Erzeugnisse. In<br />

einem ersten Schritt erfolgte die<br />

territoriale Definition des Gebietes<br />

Spreewald, dem Jüterbog,<br />

wenn auch nur wegen einer Differenz<br />

von 18 Kilometern Luftlinie,<br />

nicht angehörte. Der Spreewaldverein<br />

engagierte sich<br />

intensiv für eine Abgrenzung<br />

der Spreewaldregion und die<br />

Herausbildung einer homogenen<br />

Gebietseinheit. Geographische<br />

Begriffe wie „Spreewälder<br />

Gurken“ oder auch „Spreewälder<br />

Meerrettich“ sollten nur<br />

noch Betriebe benutzen dürfen,<br />

die im Wirtschaftsraum Spreewald<br />

angesiedelt waren. Wir zogen<br />

uns auf unser „Gurkenfässchen<br />

Spreewälder Art“ zurück,<br />

und das ging auch für einige<br />

<strong>Jahre</strong> gut. Allerdings wollten wir<br />

uns nicht kampflos geschlagen<br />

geben. Lange Zeit stellten wir<br />

uns dickköpfig und argumentierten,<br />

dass der Spreewald<br />

doch mit dem Wirtschaftraum<br />

Spreewald nicht identisch sei<br />

und kaum einer im wirklichen<br />

Spreewald produziere, der nun<br />

seine Produkte als „Spreewälder“<br />

anbieten durfte. Ja, wir<br />

versuchten kurzzeitig selbst, im<br />

so genannten Wirtschaftsraum<br />

Spreewald zu verarbeiten, doch<br />

der Absatzerfolg blieb aus. Da<br />

unser Hauptabnehmer mit der<br />

Bezeichnung „Spreewälder Art“<br />

keine Probleme hatte, waren wir<br />

zeitweilig versucht, das Problem<br />

gelassener zu sehen, bis<br />

1999 mit der Umsetzung eines<br />

EU-Beschlusses auch diese<br />

Bezeichnung für unsere Produkte<br />

nicht mehr erlaubt war. Heute<br />

gibt es das „Gurkenfässchen<br />

nach hauseigener Rezeptur“,<br />

und die Kunden mögen es immer<br />

noch.<br />

Letztendlich hat uns der Gurkenkrieg<br />

außer einer Menge<br />

Aufregung und nicht unbeträchtlichen<br />

Anwaltskosten<br />

nichts gebracht. Als eigenständiges<br />

Unternehmen hätten wir<br />

uns auf einen derartig langen<br />

Rechtsstreit gar nicht einlassen<br />

können. Allein mit unserem starken<br />

Partner, der I. Schroeder<br />

KG, und deren Markenanwältin<br />

im Rücken war das möglich<br />

gewesen.<br />

Die Geschwister Linkenheil<br />

haben sich damals vom Spreewald<br />

das meiste erhofft und<br />

waren bereit dafür zu streiten.<br />

Ich kann ihre Beweggründe<br />

verstehen. Jeder Unternehmer<br />

hätte so gehandelt. Auch ich.<br />

63


Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />

links:<br />

Sauerkirschen<br />

werden während<br />

der Ernte frisch<br />

entsteint<br />

rechts:<br />

Einlauf der entsteinten<br />

Kirschen<br />

in den Froster<br />

In der Obstverarbeitung spielten in<br />

diesen Anfangsjahren besonders die<br />

Sauerkirschen eine große Rolle. Da sich<br />

der heimische Obstbau noch nicht vollständig<br />

konsolidiert hatte, waren wir<br />

gezwungen, die Ware teilweise in Polen<br />

einzukaufen. Unsere Apfelmusproduktion<br />

gaben wir schweren Herzens auf. Aus<br />

unserer Sicht war unser Apfelmus das<br />

beste Apfelmus ganz Europas, doch am<br />

Markt waren wir damit nicht konkurrenzfähig.<br />

Zunehmend gingen wir dazu über,<br />

Obstkonserven aus tiefgefrorenen Produkten<br />

herzustellen, die wir aufkauften.<br />

„Das können wir auch alleine“, dachten<br />

wir uns, „schließlich sitzen wir ja mitten im<br />

Obstanbaugebiet.“<br />

Die <strong>Jütro</strong> Frost GmbH<br />

Am 1. Juli 1991 starteten wir mit der<br />

Gründung der <strong>Jütro</strong> Frost GmbH ein<br />

überaus ehrgeiziges Projekt gemeinsam<br />

mit der Agrargenossenschaft Jessen/<br />

Schweinitz. In der ehemaligen Kohllagerhalle<br />

der Jessener Genossenschaft<br />

installierten wir eine Bandgefrieranlage<br />

und ein Gefrierlager. Ziel war es, die<br />

Erzeugnisse der Genossenschaft vor Ort<br />

in Jessen zu frosten, um die tiefgekühlten<br />

Halbfabrikate später in Jüterbog zu Obstkonserven<br />

zu verarbeiten. Die Kapazitäten<br />

der Konservenfabrik waren schließlich<br />

in den Sommermonaten bereits durch<br />

die Gurkenverarbeitung gebunden. 300<br />

Tonnen Sauerkirschen der Jessener<br />

Genossenschaft konnten von den 13<br />

Mitarbeitern schon im Sommer 1991 für<br />

eine Weiterverarbeitung in der Konservenfabrik<br />

haltbar gemacht werden. In der<br />

neu gestalteten Verarbeitungshalle kam<br />

ein Flow-Freezer-Froster zur Aufstellung.<br />

Dieser moderne Tiefkühlfroster war in<br />

der Lage, pro Stunde bis zu 1,3 Tonnen<br />

Früchte einzeln schockzufrosten. Zwei<br />

Kühlzellen mit je 150 Tonnen Lagerkapazität<br />

nahmen die Waren bis zur weiteren<br />

Verwendung auf.<br />

64


Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />

Unser Sortiment umfasste die Verarbeitung<br />

von Erdbeeren, kleinen Mengen<br />

Himbeeren, roten und schwarzen Johannisbeeren,<br />

entsteinten Kirschen und<br />

Pflaumen, aber auch von Apfelwürfeln<br />

und Apfelsegmenten. Später kamen Gemüseprodukte<br />

wie Kürbiswürfel, Zwiebeln<br />

und Porree hinzu.<br />

Wenn sich die Investitionen rentieren<br />

sollten, durften wir uns aber nicht allein<br />

auf die Zulieferung für die Konservenfabrik<br />

konzentrieren. Erste Kontakte zu<br />

Großhandels- und Industrieabnehmern,<br />

wie beispielsweise zu Dr. Oetker, waren<br />

schnell geknüpft. Diesen namhaften<br />

Lebensmittelkonzern belieferten wir<br />

beispielsweise mit gesüßtem Rhabarber<br />

für sein Produkt „Altdeutscher Kuchen“.<br />

Der frische Rhabarber wurde geschnitten<br />

und in Vakuumtanks gefüllt. Anschließend<br />

gaben wir eine Zuckerlösung zu, verschlossen<br />

den Behälter, um im Inneren<br />

ein Vakuum zu ziehen, das einen Flüssigkeitsaustausch<br />

der Fruchtzellen bewirkte.<br />

Der Rhabarberfruchtsaft wurde so im<br />

Produkt durch die Zuckerlösung ersetzt.<br />

Tiefgefroren ging das Produkt an den<br />

Kunden.<br />

1992 erfolgte die Errichtung eines Tiefkühlhauses,<br />

in dem 3.500 Europaletten<br />

Platz hatten. Um das Sortiment auch auf<br />

abgepackte Produkte als Einzelartikel<br />

oder Mischungen erweitern zu können,<br />

installierten wir im gleichen Jahr eine<br />

gebrauchte Verpackungsmaschine für<br />

Schlauchbeutel á 2,5 Kilogramm. Damit<br />

waren wir fähig, den Großhandel sowohl<br />

mit 10-Kilogramm-Kartons als auch<br />

unterverpackt zu vier Beuteln mit je 2,5<br />

Kilogramm zu beliefern.<br />

Trotz reger Akquise reichten die Geschäftstätigkeit<br />

und die daraus erwirtschafteten<br />

Erträge nicht aus, um Zins<br />

und Tilgung für die realisierten Investitionen<br />

aufzubringen. Mit den zunehmenden<br />

links:<br />

erste Schlauchbeutelmaschine<br />

1994<br />

Mitte:<br />

erste Faltschachtelanlage<br />

1998<br />

rechts:<br />

Regalanlage im<br />

Tiefkühllager 1<br />

1992<br />

65


Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />

Erster Katalog<br />

der <strong>Jütro</strong> Tiefkühlkost<br />

GmbH<br />

wirtschaftlichen Schwierigkeiten der<br />

Jüterboger Konservenfabrik Rich. Meyer<br />

GmbH, aber auch wegen der Probleme<br />

der Agrargenossenschaft stagnierte<br />

schließlich das Betriebsgeschehen in der<br />

<strong>Jütro</strong> Frost GmbH.<br />

Bereits die Kapitalbeschaffung für dieses<br />

Projekt hatte sich damals äußerst schwierig<br />

gestaltet. Im Rückblick habe ich mich<br />

manches Mal gefragt, warum ich es trotz<br />

wachsender Bedenken umgesetzt habe.<br />

Vielleicht war es Zweckoptimismus oder<br />

auch eine Frage der kaufmännischen<br />

Ehre – schließlich stand ich bei der Agrargenossenschaft<br />

im Wort …<br />

Mit der <strong>Jütro</strong> Frost kamen neue Arbeitsbereiche,<br />

neue Bankverbindlichkeiten<br />

und neue Probleme.<br />

Wie viele andere Unternehmer waren<br />

auch wir sicher in den ersten <strong>Jahre</strong>n<br />

nach der Wende in mancher Hinsicht<br />

blauäugig. Das Gefühl für den Markt,<br />

für Schulden und Zinsen hatte sich in<br />

den Zeiten der Planwirtschaft verändert.<br />

Diese Zusammenhänge wieder neu zu<br />

erlernen, war ein überaus schmerzhafter<br />

Prozess, der die Konservenfabrik ungleich<br />

härter betraf als die <strong>Jütro</strong> Frost.<br />

Wir brauchten eben große Mengen Betriebsmittel,<br />

um Rohstoffe aufzukaufen,<br />

zu verarbeiten, auf Lager zu stellen und<br />

dann irgendwann abzusetzen. Das Dilemma<br />

bestand außerdem darin, dass wir<br />

gewisse Losgrößen produzieren mussten,<br />

um für Handelspartner interessant zu sein<br />

und zu bleiben.<br />

Trotz der großen Freude darüber, wieder<br />

selbst Entscheidungen treffen zu können,<br />

begann sich mehr und mehr ein Gefühl<br />

der Ohnmacht durchzusetzen und die<br />

Angst, die Prozesse allein nicht mehr in<br />

den Griff zu bekommen. Auf der Suche<br />

nach Wegen, um Schaden vom Unternehmen<br />

abzuwenden, erschien plötzlich<br />

der erneute Verlust der Firma denkbar.<br />

66


Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />

Eine helfende Hand –<br />

Die I. Schroeder KG<br />

Bis 1995 waren wir, was den Absatz<br />

unserer Produkte betraf, einige <strong>Jahre</strong><br />

zweigleisig unterwegs gewesen. Seit<br />

1992 verbanden uns enge geschäftliche<br />

Beziehungen mit der I. Schroeder KG in<br />

Hamburg. Allerdings produzierten wir für<br />

das Unternehmen oft gerade mal kostendeckend<br />

Obstkonserven, wie Erdbeeren<br />

und Sauerkirschen. Bald kamen wir auch<br />

mit der Kühne KG Hamburg ins Gespräch<br />

und fassten die Gründung einer<br />

gemeinsamen Vertriebsgesellschaft ins<br />

Auge. Für Kühne als Markenartikler war<br />

der ostdeutsche Markt wegen des hohen<br />

Preisniveaus der Kühne-Produkte schwer<br />

zu erobern. Mit einem preiswerteren Ostprodukt<br />

sollte es leichter möglich sein, in<br />

den neuen Ländern Fuß zu fassen. Über<br />

einen langen Zeitraum hinweg beriet man<br />

in der Chefetage der Kühne KG dieses<br />

Zusammengehen. Die Geschäftsführung<br />

sprach sich für die Gründung der Gesellschaft<br />

aus. Doch die Familie Kühne<br />

konnte sich zu einem solchen Schritt<br />

nicht entschließen, und 1995 verschwanden<br />

die Pläne in der Schublade. Bei uns<br />

war nun guter Rat teuer. Unser hoher<br />

Kapitalbedarf war kaum noch zu decken.<br />

Die steigenden Zinsen für aufgenommenes<br />

Fremdkapital fraßen nach und nach<br />

alles auf. Auch Landesbürgschaften<br />

halfen nicht mehr. Letztendlich forderte<br />

die bürgende Investitionsbank des Landes<br />

Brandenburg die I. Schroeder KG<br />

zu einer Kapitalbeteiligung auf. Für ein<br />

Handelsunternehmen wie dieses war die<br />

Verbindung mit produzierenden Betrieben<br />

deswegen interessant, weil sich große<br />

Handelsketten seit den 1990er <strong>Jahre</strong>n<br />

in ihrer Einkaufstätigkeit immer mehr auf<br />

Produzenten und weniger auf Händler zu<br />

fokussieren begannen.<br />

v.l.n.r.<br />

Klaus Humbert,<br />

Senior-Chef der<br />

I. Schroeder KG,<br />

Bernd-Richard<br />

Meyer, Angelika<br />

Meyer und Ruth<br />

Humbert<br />

67


Die dritte Generation – Bernd-Richard und Angelika Meyer<br />

Peter Humbert, Mitgeschäftsführer der <strong>Jütro</strong> Unternehmen (li.), und<br />

Bernd-Richard Meyer<br />

Angelika, Bernd-Richard und Michael Meyer beim 50-jährigen Jubiläum<br />

der I. Schroeder KG<br />

Zum 3. Januar 1996 musste ich für die<br />

<strong>Jütro</strong> Konservenfabrik und die damalige<br />

<strong>Jütro</strong> Frost Konkurs anmelden. Trotz<br />

der Zusicherung der Familie Humbert (I.<br />

Schroeder KG), die <strong>Jütro</strong> zu übernehmen,<br />

ist mir dieser Schritt sehr schwer<br />

gefallen. Achtzehn <strong>Jahre</strong> hatte ich auf die<br />

Selbständigkeit gewartet, und nun sollte<br />

das alles wieder vorbei sein? Natürlich<br />

war es ein schmerzvolles Eingeständnis<br />

des Scheiterns, doch im Nachhinein bin<br />

ich froh, für mich und mein Unternehmen<br />

diesen Weg gewählt zu haben. Gleichermaßen<br />

bin ich dankbar dafür, in der<br />

Familie Humbert Partner und Freunde<br />

gefunden zu haben, an deren Seite die<br />

schwersten <strong>Jahre</strong> meines Lebens nicht<br />

verloren waren. Der eine suchte nach<br />

Hilfe, um die neuen Prozesse besser zu<br />

begreifen und zu bewältigen, und der<br />

andere suchte neue geschäftliche Herausforderungen<br />

und Möglichkeiten. So<br />

habe ich 1992 Herrn Klaus Humbert kennen<br />

und schätzen gelernt. Was am Anfang<br />

eine schlichte kaufmännische Notwendigkeit<br />

war, ist heute geradezu ein<br />

Musterbeispiel für die deutsche Einheit,<br />

aufgebaut auf gegenseitiger Achtung,<br />

Ehrlichkeit und persönlicher Zuneigung.<br />

Am 1. März 1996 entstanden die beiden<br />

Unternehmen <strong>Jütro</strong> Konservenfabrik<br />

GmbH und <strong>Jütro</strong> Tiefkühlkost GmbH mit<br />

dem Mitinhaber I. Schroeder KG – unser<br />

Zinssatz sank sofort um mehr als vier<br />

Prozent.<br />

68


Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />

DIE VIERTE GENERATION<br />

TRITT AN<br />

MICHAEL UND ANDREA MEYER<br />

69


Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />

Spielplatz aller<br />

Generationen -<br />

der Fabrikhof<br />

(Michael Meyer)<br />

Die Geschäftsführung der <strong>Jütro</strong> Tiefkühlkost<br />

übernahm unser damals 25-jähriger<br />

Sohn Michael. Wie ich, so war auch<br />

er schon im Kinderwagen in die Fabrik<br />

geschoben worden, und bis zur Verstaatlichung<br />

des Betriebes 1972 hatte es<br />

so ausgesehen, als wachse mit ihm die<br />

nächste Unternehmergeneration heran.<br />

Da wir Eltern beruflich sehr eingebunden<br />

waren, galten für ihn schon seit frühester<br />

Kindheit strenge Pflichten, die er willig<br />

und ohne die geringste Aufsässigkeit<br />

erfüllte. Viel Zeit verbrachte er bei seinen<br />

Großeltern mütterlicherseits, auf deren<br />

Wochenendgrundstück in Lindow er<br />

auch einen großen Teil der Sommerferien<br />

verlebte. Schnell lernte er Trompete und<br />

Jagdhorn zu spielen, und über <strong>Jahre</strong> hinweg<br />

trainierte er viermal wöchentlich an<br />

der Sportschule in Luckenwalde Schwimmen.<br />

Einmal hat er eine Wiese in Brand<br />

gesteckt. Das ist wirklich die einzige<br />

Dummheit, an die wir uns – inzwischen<br />

lachend – erinnern können.<br />

Wissbegier, Ehrgeiz und Fleiß zeichneten<br />

ihn schon als Schüler aus, und seine<br />

überdurchschnittlichen Abiturleistungen<br />

wurden 1989 sogar mit der Verleihung<br />

der begehrten Lessingmedaille gewürdigt.<br />

Nach dem Ende seines Wehrdienstes<br />

absolvierte er 1991/92 bei der<br />

Firma Hipp im bayrischen Pfaffenhofen<br />

ein Praktikum und konnte sich dort trotz<br />

seiner Jugend sehr überzeugend behaupten.<br />

Es versteht sich, dass Michael,<br />

unserem Vorbild folgend, ebenfalls ein<br />

Studium der Lebensmitteltechnologie<br />

aufnahm, das er 1996 an der Fachhochschule<br />

Berlin als Diplom-Ingenieur abschloss.<br />

Für ihn erfüllte sich damit ein<br />

lang gehegter Wunsch, denn er hatte nie<br />

einen Zweifel daran aufkommen lassen,<br />

in diesem Bereich arbeiten zu wollen. In<br />

langen Gesprächen versuchten wir vor<br />

1989, ihn in andere Richtungen zu lenken.<br />

Doch weder das Hotelfach, noch<br />

Medizin, noch Jura vermochten ihn zu<br />

reizen. Er war nun einmal mit und in der<br />

Fabrik aufgewachsen. Etwas anderes<br />

kam nicht in Frage. Die politischen und<br />

gesellschaftlichen Entwicklungen belohn-<br />

70


Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />

ten nun seine Hartnäckigkeit, und ich bin<br />

froh und glücklich bei dem Gedanken<br />

daran, den Betrieb meines Großvaters<br />

in nicht allzu ferner Zeit gänzlich in die<br />

Hände meines Sohnes zu geben.<br />

Dieser trägt inzwischen nicht nur Verantwortung<br />

für die <strong>Jütro</strong> Tiefkühlkost,<br />

sondern auch für seine Frau Andrea und<br />

die beiden Töchter Lisa und Lea. Schwiegertochter<br />

Andrea ist meinem Sohn nicht<br />

allein eine starke Stütze in der Tiefkühlfabrik,<br />

sie ist der Mittelpunkt dieses Unternehmens.<br />

Gemeinsam haben sie sich in<br />

ihrem Haus am Standort der Tiefkühlkost<br />

in Jessen niedergelassen. Und da ich die<br />

starken Frauen der Familie Meyer kenne,<br />

muss mir auch um die nächste Unternehmergeneration<br />

nicht bange sein.<br />

Der Neustart glückt<br />

Doch zurück ins Jahr 1996 und zu unserem<br />

Neustart mit der I. Schroeder KG.<br />

Technische Entwicklungen und Investitionen,<br />

die nun wieder möglich waren,<br />

konzentrierten sich natürlich auf den<br />

Standort Neumarkt 5-7. Die Dampfkapazität<br />

musste erhöht werden, und auch für<br />

die Gurkenverarbeitung waren kleinere<br />

Neuanschaffungen notwendig. Bereits<br />

1992 hatten wir begonnen, im Gewerbegebiet<br />

Fuß zu fassen und errichteten dort<br />

eine Lagerhalle. Der Bau einer weiteren,<br />

6.000 Quadratmeter großen Lagerhalle<br />

1998 war ein nächster logischer und notwendiger<br />

Schritt. Gleichzeitig bauten wir<br />

die alte Fabrik technologisch völlig um,<br />

und es gelang uns damit, die Verarbeitungskapazitäten<br />

zu steigern. Für diese<br />

Arbeiten gewannen wir eine südafrikanische<br />

Firma, die uns Palettierer lieferte<br />

und den Umbau erledigte. Dennoch ließ<br />

uns der Gedanke nicht los, im Gewerbegebiet<br />

noch einmal neu anzufangen. Zu<br />

den schwierigen und beengten Platzverhältnissen<br />

auf dem Fabrikhof, die schon<br />

meine Großeltern beklagt hatten, waren<br />

mit den <strong>Jahre</strong>n weitere Schwierigkeiten<br />

und Unzulänglichkeiten hinzugekommen.<br />

Einweihung der<br />

neuen Lagerhalle<br />

1998<br />

71


Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />

Raus aus der Stadt<br />

Der Konservenexpress<br />

Eine hygienische Produktion unserer<br />

Erzeugnisse, wie sie den ISO-Anforderungen<br />

entsprach, war nur unter allergrößten<br />

Anstrengungen zu gewährleisten.<br />

Die bauliche Substanz der alten Fabrik<br />

machte dies beinahe unmöglich. 250.000<br />

Gläser Konserven verließen täglich über<br />

den Hof die Fabrik. Dort standen neben<br />

<strong>100</strong> Tonnen Gurken mindestens 200.000<br />

leere Gläser. Der „Konservenexpress“<br />

war permanent im Einsatz, und doch war<br />

oft kaum Land in Sicht. Auch die infrastrukturellen<br />

Belastungen durch unsere<br />

Lage an den Bundesstraßen 101 und 102<br />

mit dem Stadttor als Nadelöhr waren mit<br />

der Zeit kaum mehr tragbar. Wegen der<br />

Lastkraftwagen, die auf unser Firmengelände<br />

einbiegen wollten, kam es immer<br />

wieder zu Verkehrsstaus.<br />

Die endgültige Entscheidung, mit der<br />

Produktion ins Gewerbegebiet zu ziehen,<br />

fiel 2001. Der genehmigte Förderantrag<br />

lag da schon beinahe zwei <strong>Jahre</strong><br />

in meiner Schublade. Ein Kesselhaus,<br />

eine 7.000 Quadratmeter große Halle für<br />

Lager und Produktion und ein Verwaltungsgebäude<br />

entstanden bis zum 31.<br />

Dezember 2001.<br />

Wir verstanden diese Veränderung als<br />

Weiterentwicklung und Neuanfang zugleich.<br />

Unsere Stammbelegschaft arbeitete<br />

den Sommer über in drei Schichten<br />

und sammelte Arbeitsstunden an, die<br />

dann in der Zeit des Umzuges abgefeiert<br />

werden konnten. Den Umzug der Fabrik<br />

übernahm erneut die Firma aus Südafrika.<br />

Und endlich passte wieder alles<br />

zusammen. Helle, großzügige Produktionsräume,<br />

moderne Maschinen, ausreichende<br />

Lagerkapazitäten und Platz für<br />

große Lastkraftwagen.<br />

72


Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />

Letztes Auf- und Ausräumen<br />

Demontage der Produktionsanlagen<br />

Platz für so manche schriftlichen Zeugnisse<br />

über meine Vorfahren und ihr Leben<br />

und Wirken in der Firma hätte sich<br />

vermutlich auch noch gefunden. Dass ich<br />

mir damals nicht die Zeit nehmen konnte,<br />

wichtige Unterlagen zu sichern und aufzubewahren,<br />

habe ich nicht erst bei den<br />

Arbeiten an dieser Chronik bitter bereut.<br />

In die Freude über und den Stolz auf diesen<br />

neuen Standort mischten sich selbstverständlich<br />

auch Wehmut und Trauer.<br />

Der Auszug aus der großväterlichen Fabrik,<br />

die bald darauf abgerissen wurde, fiel<br />

mir schwer. Von jedem Raum der leergeräumten<br />

Fabrik nahm ich Abschied. So<br />

viele Erinnerungen, so viele Geschichten,<br />

so viele Gesichter fielen mir bei meinem<br />

Rundgang ein. Hier hatte ich ja im Grunde<br />

mein bisheriges Leben verbracht. Mit<br />

einem Strauß Blumen begab ich mich<br />

zum Grab der Großeltern.<br />

Abriss der alten Firmengebäude Vorstadt Neumarkt<br />

Rege Bautätigkeit am Firmenneubau im Gewerbegebiet<br />

73


Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />

Ein weiteres Lager ist fertig<br />

Die Produktionslinie wird in die Halle eingefahren.<br />

Die bedeutenden Kapazitätserweiterungen,<br />

die sich aus dem Umzug in das<br />

Gewerbegebiet ergaben, galt es nun zu<br />

nutzen. Neben der Gurkenproduktion,<br />

der wir uns in den <strong>Jahre</strong>n nach 1990<br />

verstärkt gewidmet hatten, gewann mehr<br />

und mehr die Feinkostproduktion an<br />

Bedeutung. Mehr zufällig und beinahe<br />

unfreiwillig waren wir 1992 zu Feinkostproduzenten<br />

geworden. Familie Eichelbaum,<br />

die Besitzer der traditionsreichen<br />

Firma Freytag, war 1953 vor den staatlichen<br />

Repressalien gegenüber Privatunternehmern<br />

nach dem Westen geflohen<br />

und nie zurückgekehrt. Der Betrieb, eine<br />

Senffabrik, wurde volkseigen. Nach dem<br />

Ende der DDR baten uns die Nachkommen<br />

der ehemaligen Firmeninhaber, mit<br />

denen uns entfernte verwandtschaftliche<br />

Beziehungen verbanden, die Fabrik zu<br />

kaufen. Ich tat es eher aus sentimentalen<br />

Gründen.<br />

Kreative Lebensmittel –<br />

die <strong>Jütro</strong>-Feinkost ist dabei<br />

Bereits seit dem Beginn der 1980er <strong>Jahre</strong><br />

beschäftigte sich die <strong>Jütro</strong> nicht mehr nur<br />

mit der Konservenproduktion. Wie weiter<br />

oben bereits erwähnt, begann schon<br />

mit den Produktentwicklungen für den<br />

delikat-Handel die Arbeit an kreativen<br />

Lebensmitteln aus dem Feinkostbereich.<br />

Das betraf beispielsweise Frucht-Sahne-Produkte,<br />

wie unsere Apfel-Sahne-<br />

Creme, oder Relish-Erzeugnisse wie<br />

Gurken- und Tomaten-Paprika-Relish.<br />

Parallel dazu lief für den delikat-Handel,<br />

aber auch für den Export die Produktion<br />

von Tomatenketchup mit Twist-off-<br />

Verschluss an. Der damit verbundene<br />

Erwerb hochwertiger Ausrüstungen aus<br />

der Bundesrepublik, wie z.B. einer Etikettiermaschine<br />

der Firma Krones, eines<br />

74


Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />

Millimetergenaues Platzieren der Maschinen Produktionsbeginn am 7. Januar 2002<br />

Kolbenfüllers der Firma Engler, oder die<br />

Anschaffung von Twist-off-Maschinen<br />

und Verschlüssen der Firma Schmalbach<br />

machten diese Produktion für die <strong>Jütro</strong><br />

interessant und möglich.<br />

Spätestens mit dem Kauf der kleinen<br />

Senffabrik 1992 begann die Feinkostproduktion<br />

wieder an Bedeutung zu gewinnen,<br />

die so genannte <strong>Jütro</strong> Feinkost<br />

wurde gegründet. Schnell war klar, dass<br />

es nicht genügen würde, sich nur mit der<br />

Produktion von Tomatenketchup und Senf<br />

zu beschäftigen. Eine weitere Entwicklung<br />

der Produktion in Richtung Mayonnaise<br />

und Saucen war geplant. Mit dem<br />

Kauf der ersten Prozessanlage Fabrikat<br />

Food-Tec schufen wir die technischen<br />

Voraussetzungen, um hochwertige Emulsionen<br />

in Form von traditionellen Mayonnaiseprodukten,<br />

Delikatess-Mayonnaise,<br />

Remoulade, Salatmayonnaise und Salatcreme<br />

herzustellen.<br />

Mit dem Umzug ergab sich die Möglichkeit,<br />

die bis dahin externe Feinkostproduktion<br />

in die Fabrik zu integrieren.<br />

Schließlich stellen diese Artikel wesentlich<br />

höhere hygienische Anforderungen<br />

an die Produktionsräume, als es die<br />

Konservenindustrie tut. Dem musste in<br />

der 2002 neu gebauten Produktionsstätte<br />

Rechnung getragen werden. Es gelang<br />

eine Zweiteilung der Produktionshalle<br />

in eine Abteilung für die traditionelle<br />

Konservenherstellung und in eine große<br />

Feinkostabteilung. Ähnlich wie in der <strong>Jütro</strong><br />

Tiefkühlkost GmbH entstanden neue<br />

Produktideen, durch die sich das Sortiment<br />

von Feinkosterzeugnissen wesentlich<br />

erweiterte.<br />

75


Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />

Das Ketchup wird in großen Kesseln gekocht<br />

Moderne und effiziente Anlagen in der Weiterverarbeitung<br />

Gläser, Plasteflaschen und<br />

Weichpackungen für unsere<br />

Feinkostartikel<br />

2004 wurde in eine erste Plasteflaschenlinie<br />

investiert, um Ketchup- und Mayonnaise-Erzeugnisse<br />

in handelsübliche<br />

Plasteflaschen abzufüllen und vertreiben<br />

zu können. In Zusammenarbeit mit einer<br />

externen Produktentwicklung wurden und<br />

werden ständig neue Rezepturen entwickelt.<br />

Damit gelingt es uns, die Wünsche<br />

der Verbraucher und die des Handels<br />

zu erfüllen. Heute umfasst das Sortiment<br />

eine breite Palette an Feinkostartikeln, die<br />

kaum noch Wünsche und Möglichkeiten<br />

offen lassen.<br />

Mit der zunehmenden Entwicklung der<br />

Feinkostproduktion ging eine ständige<br />

Kapazitätserweiterung einher. Inzwischen<br />

verfügt die Feinkostabteilung in der<br />

Produktvorbereitung über zwei moderne<br />

und leistungsfähige Prozessanlagen<br />

der Firma Limitech aus Dänemark, mit<br />

deren Hilfe es möglich ist, sämtliche nur<br />

denkbaren Rezepturen zu verarbeiten<br />

und qualitativ hochwertige Saucen herzustellen.<br />

Die Erfüllung der hohen hygienischen<br />

Anforderungen spiegelt sich<br />

selbstverständlich in unserer qualitativ<br />

hochwertigen Produktion wieder. Unsere<br />

Feinkostartikel wie Mayonnaise, Ketchup,<br />

WOK-Saucen und Grillsaucen können<br />

sich hinsichtlich der Qualität mit den<br />

Produkten führender Feinkosthersteller<br />

messen.<br />

Zusätzlich zur traditionellen Glasabfüllung<br />

installierten wir 2006 mit der Firma<br />

Combi eine Combisafe-Anlage als Prototyp,<br />

um Saucen, stückige Produkte<br />

oder Saucen mit hochwertigen stückigen<br />

Produkten nun auch in Weichpackungen<br />

abzufüllen. Der Absatz der Produkte in<br />

dieser Combisafe-Verpackung steigt<br />

76


Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />

Ketchup-Abfüllung in Glasflaschen<br />

Ketchup-Abfüllung in PET-Flaschen<br />

ständig. Zusätzlich zu den beiden Plasteflaschenabfüllanlagen<br />

für PP- und PE-<br />

Flaschen wurde 2010 eine hochmoderne<br />

leistungsfähige Abfüllanlage für PET-Flaschen<br />

installiert, die die Verarbeitung von<br />

Plasteklarsichtflaschen ermöglicht.<br />

Leere PE-Flaschen fahren in die Abfüllanlage ein<br />

77


Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />

Das Herzstück der Combisafe-Anlage: Die Einheit zum<br />

Befüllen und Verschließen der Weichpackungen<br />

Palettenfertige Einheiten werden in Gitterpaletten zusammengeführt,<br />

um im Autoklav pasteurisiert zu werden.<br />

Die Combisafe-Anlage im Überblick<br />

Blick in die Fülleinheit<br />

Der Trend geht zur Feinkost<br />

Wir kommen heute nicht umhin festzustellen,<br />

dass Feinkostprodukte viel eher<br />

im Trend liegen, als die von uns seit <strong>100</strong><br />

<strong>Jahre</strong>n gefertigten Konserven. Die Verbrauchergewohnheiten<br />

sind, nicht zuletzt<br />

auch wegen eines ständig verfügbaren<br />

Frischwarenangebots, im Wandel begriffen.<br />

In einigen Bevölkerungsschichten<br />

gewinnen Fertigartikel zunehmend an<br />

Beliebtheit.<br />

Diesen Wandel der Gewohnheiten zu erkennen<br />

und den Markt gezielt mit Produkten<br />

zu begleiten, wird immer wichtiger.<br />

Eine eigene Produktentwicklung befindet<br />

sich dafür gerade im Aufbau. Logisch<br />

und folgerichtig war aus diesen Gründen<br />

unsere Umfirmierung in „<strong>Jütro</strong> GmbH &<br />

Co. KG Konserven und Feinkost“, denn<br />

dass wir uns auch auf die Herstellung<br />

von Feinkostprodukten verstehen, haben<br />

wir in den vergangenen <strong>Jahre</strong>n hinlänglich<br />

bewiesen.<br />

78


Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />

Sauce Hollandaise wird in die aufgespreizten Packungen gefüllt<br />

Unser Sortiment wächst ständig. Gleichzeitig<br />

benötigen wir nicht mehr die<br />

enormen Lagerkapazitäten, wie für Konserven,<br />

und auch die Investitionen sind<br />

geringer, da die Produkte viel schneller<br />

umgeschlagen werden können.<br />

Die gefüllten und verschlossenen Packungen werden<br />

zu Paletteneinheiten formiert.<br />

Inzwischen konzentrieren sich sowohl<br />

unsere Investitionstätigkeit als auch die<br />

Anstrengungen der Produktentwicklung<br />

auf den Feinkostbereich. Mit Soßen,<br />

Grillsoßen, Senf, Ketchup und ähnlichen<br />

Artikeln realisieren wir heute etwa 50 Prozent<br />

unseres Umsatzes.<br />

Ich bin sehr froh, 1992 die Chance bekommen<br />

zu haben, mich mit meinem<br />

Unternehmen auch im Feinkostbereich<br />

versuchen zu können. Ob uns das gelingen<br />

würde, war damals ebenso wenig<br />

sicher, wie das Wachstum gerade dieser<br />

Branche absehbar war.<br />

Haltbarmachen im Autoklaven<br />

79


Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />

links:<br />

Die Anfänge der<br />

Frostung von<br />

frischen Obstprodukten<br />

1992<br />

rechts:<br />

Moderne Produktion<br />

von<br />

Fertiggerichten<br />

2011<br />

Den Kundenwünschen auf der<br />

Spur – Tiefkühlprodukte von<br />

<strong>Jütro</strong><br />

Auch im Bereich der Tiefkühlproduktion<br />

ging es nach dem Neuanfang 1996<br />

wieder bergauf. Ein anfänglich geringes<br />

Produktionsvolumen verbreiterte sich mit<br />

den <strong>Jahre</strong>n immer weiter. 1998 konnte<br />

eine einfache, gebrauchte Anlage für<br />

die Verpackung von Obst- und Gemüseartikeln<br />

sowie deren Mischungen in<br />

Faltschachteln angeschafft werden. Die<br />

Packungen zu 300 und zu 450 Gramm<br />

rundeten das Angebot ab, das bisher nur<br />

in Schlauchbeuteln zu haben war. Für<br />

eine erfolgreiche Akquise der Kunden im<br />

Einzelhandel, wie sie die <strong>Jütro</strong> Tiefkühlkost<br />

seit 1998 verstärkt vornahm, war<br />

genau diese Erweiterung des Angebotes<br />

ein entscheidender Vorteil.<br />

Die günstige Geschäftsentwicklung<br />

ermöglichte dem jungen Unternehmen<br />

1999 die Realisierung größerer Investitionen.<br />

Als erstes konnten endlich die<br />

Produktionsräume, besonders in der Produktaufgabe,<br />

neu gestaltet werden. Im<br />

Produktionsbereich gelang die Installation<br />

einer Bandanlage zur automatischen<br />

Mischung von bis zu drei verschiedenen<br />

Komponenten, und die Produktverteilung<br />

für die Beschickung der drei Abfülllinien<br />

erfolgte nun ebenfalls moderner und<br />

effizienter. Eine 6-Mix-Ringkopfwaage mit<br />

Schlauchbeutelmaschine und Kartonverpackung<br />

erleichterte die Verpackung der<br />

fertigen Produkte, und ein Knickarmroboter<br />

ermöglichte nun eine automatische<br />

Palettierung.<br />

Ergänzt sei an dieser Stelle, dass wir das<br />

Unternehmen mit Wirkung vom 1. Januar<br />

80


Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />

1999 in eine Kommanditgesellschaft<br />

umwandelten. Den Firmensitz der neuen<br />

<strong>Jütro</strong> Tiefkühlkost GmbH & Co. KG verlegten<br />

wir nach Jessen/Elster in Sachsen-<br />

Anhalt.<br />

Die rasant anwachsende Sortimentsbreite<br />

im Tiefkühlbereich zeigte, dass wir uns<br />

auf dem richtigen Weg befanden. Bereits<br />

2001 waren wir gezwungen, unsere Lagerkapazitäten<br />

mit der Errichtung eines<br />

zweiten Tiefkühllagers zu verdoppeln.<br />

Gerade Artikel in Faltschachteln waren<br />

nachgefragt, und die Abfüllleistungen<br />

konnten durch die Installation einer<br />

zweiten Linie um <strong>100</strong> Prozent gesteigert<br />

werden. Mit dem Verpacken unserer<br />

Artikel in so genannte Sortimentskartons<br />

kamen wir einem Wunsch des Handels<br />

nach, und die Erweiterung der bereits<br />

vollautomatisch arbeitenden Palettierung<br />

beschleunigte die Verpackungsprozesse.<br />

Mit Hilfe dieser Investitionen entwickelten<br />

wir uns Stück für Stück zu einem modernen<br />

und leistungsfähigen Unternehmen<br />

der Tiefkühlbranche. Nun galt es, die<br />

günstigen Bedingungen zu nutzen, und<br />

wir taten dies mit der Entwicklung neuer<br />

Produkte. Die Produktion von Rahmgemüse,<br />

von gesüßtem Obst und besonders<br />

von Convenience-Produkten als<br />

Fertiggerichte ließ nicht lange auf sich<br />

warten. Eine beträchtliche Umsatzsteigerung,<br />

die wir der Erweiterung unserer<br />

Produktpalette zu verdanken hatten,<br />

machte wiederum Kapazitätserweiterungen<br />

notwendig. Doch unser Augenmerk<br />

lag dabei nicht allein auf der Anschaffung<br />

neuer Anlagen wie der Schlauchbeutelanlage<br />

(2002), sondern auch auf der<br />

Neuorganisation und der beständigen<br />

Optimierung der Arbeitsabläufe.<br />

links:<br />

Die vollautomatisch<br />

laufende<br />

Mischlinie für<br />

Gemüse- und<br />

Obstprodukte<br />

rechts:<br />

Automatisierter<br />

Transport der<br />

abgefüllten Tiefkühlerzeugnisse<br />

zur Endverpackung<br />

nächste Seite:<br />

vollautomatische<br />

Palettierung der<br />

Fertigware<br />

81


Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />

Fertiggerichte<br />

für die Mikrowelle<br />

Im Jahr 2004 realisierte das Unternehmen<br />

<strong>Jütro</strong> Tiefkühlkost wohl die mutigste,<br />

wie sich im Verlauf der folgenden <strong>Jahre</strong><br />

herausstellte, innovativste und dadurch<br />

auch erfolgreichste Investition. Hochwertige<br />

Fertiggerichte in Menüschalen für<br />

die ausschließliche Zubereitung in der<br />

Mikrowelle verlassen seit diesem Jahr<br />

die moderne Fertigungslinie der <strong>Jütro</strong><br />

Tiefkühlkost. Das von einem Schweizer<br />

Unternehmen patentierte Garsystem<br />

bedient sich eines Dream-Steam-Dampfgarventils,<br />

welches an der Oberfolie<br />

der Menüschale eingeschweißt ist. Die<br />

Exklusivität der Verwendung und Vermarktung<br />

dieses Ventils haben wir uns für<br />

den deutschen Markt gesichert. Seitdem<br />

kreierte unsere Produktentwicklung zahlreiche<br />

wohlschmeckende Fertiggerichte,<br />

die die Verbraucher nicht nur im Hinblick<br />

auf die Qualität, sondern auch in Bezug<br />

auf das Preis-Leistungs-Verhältnis nachhaltig<br />

zu überzeugen vermögen.<br />

2005 wurde der Neubau des dritten<br />

Tiefkühllagers als reines Fertigwarenlager<br />

konzipiert und mit einer Kapazität von<br />

insgesamt 6.000 Europalettenstellplätzen<br />

realisiert. Daneben verfügt das Unternehmen<br />

über eine Lagerkapazität von 7.000<br />

Palettenstellplätzen im Rohstoffbereich,<br />

was eine Summe von über 13.000 Palettenplätzen<br />

ergibt.<br />

Die Installation einer Anlage zur Frostung<br />

von Saucen-Petties im Jahr 2008 schuf<br />

nun alle verfahrenstechnischen Voraussetzungen<br />

für einen weiteren Ausbau der<br />

Position im Bereich der Fertiggerichte.<br />

Vor allem für die Herstellung der beliebten<br />

Pasta-Gerichte war diese Anlage<br />

von enormer Bedeutung. Doch auch hier<br />

erschöpften sich die räumlichen Kapazitäten<br />

im Verlauf der folgenden <strong>Jahre</strong>.<br />

Anfang 2009 begannen die Konzeptionen<br />

für ein viertes und jetzt vollautomatisches<br />

Kühlhaus. Unterbrochen wurden diese<br />

intensiven und bereits sehr weit fortgeschrittenen<br />

Planungen durch ein einschneidendes<br />

Ereignis im Sommer 2009.<br />

84


Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />

Glück im Unglück<br />

In den frühen Abendstunden des 27. Juni<br />

2009 löste ein Schwelbrand in einer<br />

elektrischen Unterverteilung innerhalb<br />

der Produktaufgabe in der Fertigungshalle<br />

einen Schaden in Millionenhöhe aus.<br />

Das Unternehmen hatte jedoch Glück im<br />

Unglück. Zwar entzündeten sich einige<br />

Decken- und Wandpaneele im unmittelbaren<br />

Bereich des Brandherdes. Menschen,<br />

Maschinen und Anlagen fielen<br />

den Flammen jedoch nicht zum Opfer.<br />

Nun zahlte es sich aus, dass wir in den<br />

vergangenen <strong>Jahre</strong>n dem aktiven Brandschutz<br />

eine so hohe Bedeutung zugemessen<br />

hatten. Da der Betrieb in drei<br />

Komplexe als Brandabschnitte unterteilt<br />

war, gelang es, ein Übergreifen des Feuers<br />

auf andere Betriebseinrichtungen zu<br />

vermeiden. Die Tiefkühlhäuser konnten<br />

schon wenige Stunden nach der erfolgreichen<br />

Brandbekämpfung wieder in<br />

Betrieb gesetzt werden.<br />

In der Produktion stand man jedoch<br />

vor einem großen „Scherbenhaufen“.<br />

Experten und Gutachter meinten, dass<br />

erst innerhalb eines Zeitraumes von vier<br />

Monaten wieder mit der Aufnahme der<br />

Fertigung zu rechnen sei. Die Notwendigkeit,<br />

weiterhin die Handelsketten mit den<br />

vertraglich bei <strong>Jütro</strong> gebundenen Tiefkühlprodukten<br />

zu versorgen, erhöhte den<br />

Druck bei der Beseitigung des Brandschadens.<br />

Die Produktionshalle wurde in Sanierungsabschnitte<br />

unterteilt und diese mit<br />

entsprechenden Prioritäten der Wiederinbetriebnahme<br />

belegt. Bereits nach 18<br />

Tagen begann die Produktion von Faltschachteln,<br />

die von Menüschalen lief<br />

nach 21 Tagen wieder an, und selbst die<br />

Schlauchbeutelproduktion konnte schon<br />

24 Tage nach der Brandkatastrophe<br />

wieder aufgenommen werden. Sämtliche<br />

Brandschäden waren Ende September<br />

2009 beseitigt und damit alle Expertenmeinungen<br />

Lügen gestraft.<br />

85


Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />

Jahr<br />

verarbeitete Produkte<br />

in Tonnen<br />

Endverbrauchereinheiten<br />

Umsatz in Euro<br />

2001 14.400 24.600.000 15,2 Mio.<br />

2004 33.800 67.000.000 36,8 Mio.<br />

2008 43.<strong>100</strong> 79.700.000 53,8 Mio.<br />

2010 53.000 98.500.000 72,4 Mio.<br />

Trotzdem nun alle Maschinen wieder im<br />

altgewohnten Glanz erstrahlten und die<br />

Arbeit im Betrieb lief, als wäre nichts gewesen,<br />

steckte uns der Schrecken jenes<br />

Samstagabends noch lange in den Knochen.<br />

Eines hatte diese Geschichte aber<br />

wieder auf eindrucksvolle Weise verdeutlicht:<br />

wenn es Schwierigkeiten gibt, dann<br />

stehen alle Mitarbeiter mit der Firmenleitung<br />

fest zusammen, dann ziehen alle an<br />

einem Strang, um das Familienunternehmen<br />

wieder flott zu machen.<br />

Die Fertigungsabläufe<br />

werden optimiert<br />

Sowohl die Produktion als auch unsere<br />

ehrgeizigen Investitionsplanungen duldeten<br />

keinen Aufschub. Bereits Ende 2009/<br />

Anfang 2010 konkretisierten sich neue<br />

Projekte, und schon im Juni war Baustart<br />

für die Errichtung des vierten und jetzt<br />

vollautomatischen Tiefkühllagers mit<br />

8.500 Palettenplätzen. Gleichzeitig entstanden<br />

ein Versandgebäude mit integriertem<br />

Sozialteil sowie eine Produktionshalle.<br />

Dabei behielten wir die angestrebte<br />

Optimierung der Fertigungsabläufe fest<br />

im Blick und installierten gleich eine<br />

neue Palettierung in der Fertigungshalle.<br />

Selbstverständlich wurde sie sofort in den<br />

vollautomatisch laufenden Lagerprozess<br />

eingebunden. Mit der Erweiterung unserer<br />

Schlauchbeutelverpackungstechnik<br />

gelang es uns, die Leistung dieser Linie<br />

im Vergleich zu 2001 zu verdoppeln.<br />

Eine Erfolgsgeschichte<br />

Aus ganz kleinen Anfängen eines Frostbetriebes<br />

entwickelte sich die <strong>Jütro</strong><br />

Tiefkühlkost GmbH & Co. KG innerhalb<br />

weniger <strong>Jahre</strong> zu einem respektablen Unternehmen<br />

seiner Branche. Im Jahr 2010<br />

verarbeiteten wir weit über 53.000 Tonnen<br />

tiefgekühltes Obst, Gemüse, Teigwaren,<br />

Reis, Fleisch-, Fisch- und Geflügelerzeugnisse.<br />

Diese schmackhaften veredelten<br />

Obst- und Gemüseerzeugnisse<br />

und Convenience-Gerichte sind bei sämtlichen<br />

namhaften Einzelhandelsunternehmen<br />

Deutschlands gelistet und werden<br />

von den Kunden sehr gut angenommen,<br />

wie die obenstehende Tabelle zeigt.<br />

86


Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />

Die Zahlen sprechen für eine gesunde<br />

und kontinuierliche Aufwärtsbewegung,<br />

die wir selbstverständlich mit Freude und<br />

Genugtuung sehen. Die persönlichen<br />

Anstrengungen, aber auch die umfassenden<br />

Investitionen der vergangen<br />

<strong>Jahre</strong> haben sich gelohnt. Der Schlüssel<br />

zum Erfolg dieses jungen Unternehmens<br />

mit seiner ebenso jungen Führung liegt<br />

ausschließlich im Engagement seiner<br />

Mitarbeiter begründet. Nur durch ihren<br />

Einsatz und ihre Leistungen sind die<br />

hohen Kapazitätsauslastungen aller vorhandenen<br />

Fertigungslinien möglich, was<br />

letztendlich zum wirtschaftlichen Erfolg<br />

führt. Weiterhin zeichnet sich der Betrieb<br />

durch die mutige und zukunftsweisende<br />

Umsetzung vieler neuer Ideen aus, die<br />

die Mitarbeiter der inzwischen erweiterten<br />

Produktentwicklung ertüfteln.<br />

Nicht umsonst nimmt die <strong>Jütro</strong> Tiefkühlkost<br />

mit ihren 145 Mitarbeitern einen<br />

führenden Platz unter den deutschen<br />

Produzenten ein und wird diesen in Zukunft<br />

nicht nur festigen, sondern weiter<br />

ausbauen.<br />

Nicht ohne Stolz und mit Wohlwollen<br />

blicken wir heute auf die 4. Generation<br />

unseres <strong>100</strong>-jährigen Familienunternehmens,<br />

die gerade am Aufbau und an der<br />

Entwicklung der <strong>Jütro</strong> Tiefkühlkost einen<br />

maßgeblichen Anteil hat.<br />

Die <strong>Jütro</strong> im Firmenverbund<br />

der I. Schroeder KG Hamburg<br />

Seit dem Einstieg der I. Schroeder KG<br />

1996 hat sich unser Unternehmen in beispielhafter<br />

Weise entwickelt. Heute steht<br />

den <strong>Jütro</strong>-Unternehmen eine gemeinsame<br />

Geschäftsführung, bestehend aus<br />

Dipl.-Kaufmann Peter Humbert, Dipl.-Ing.<br />

Michael Meyer und Dipl.-Ing. Bernd-<br />

Richard Meyer vor, die die Geschicke<br />

dieser gewachsenen und bedeutenden<br />

Unternehmen lenken. Hier verbindet sich<br />

das Know-how eines großen Handelsunternehmens<br />

mit den Ressourcen zweier<br />

moderner Produktionsstätten und deren<br />

Mitarbeitern. Gemeinsames Ziel sind<br />

die Produktion qualitativ hochwertiger<br />

Lebensmittel und der gewinnbringende<br />

Vertrieb der Erzeugnisse.<br />

87


Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />

Briefkopf<br />

von 1918<br />

In dieser Konstellation hat sich in den<br />

vergangenen <strong>Jahre</strong>n unsere Zusammenarbeit<br />

ständig, kontinuierlich und erfolgreich<br />

entwickelt.<br />

Tätigkeit auf, die unsere Erzeugnisse den<br />

Händlern anboten und auch Schilder und<br />

Preislisten mit sich führten, die dann in<br />

den Läden angebracht werden konnten.<br />

An unseren beiden modernen Produktionsstätten<br />

verfünffachte sich die Anzahl<br />

der Mitarbeiter in den letzten 15 <strong>Jahre</strong>n<br />

beinahe auf über 300 Beschäftigte.<br />

Investitionen in mehrfacher Millionenhöhe<br />

konnten gemeinsam entwickelt und<br />

verwirklicht werden. So flossen seit dem<br />

Neustart der <strong>Jütro</strong> nicht weniger als 23,2<br />

Millionen Euro in den Betrieb - 8,8 Millionen<br />

allein 2009 und 2010.<br />

Klappern<br />

gehört zum Handwerk<br />

Die Produktwerbung spielte in den Anfangsjahren<br />

des Unternehmens eine untergeordnete<br />

Rolle. Ab Mitte der 1920er<br />

<strong>Jahre</strong> nahmen Handelsvertreter ihre<br />

Für den Vertrieb benutzten wir unseren<br />

eigenen Fuhrpark oder versandten die<br />

Ware als Stückgut mit der Deutschen<br />

Reichsbahn. In stabilen Holzkisten, die<br />

wir als Leihverpackung bereitstellten, verschickten<br />

wir unsere Produkte ab einer<br />

Mindestbestellmenge von 50 1/1 Dosen<br />

an die Kunden.<br />

Auch nach 1945 blieb die Präsentation<br />

unserer Erzeugnisse eher bescheiden.<br />

Schließlich waren die Konserven bilanziert<br />

und mussten sowieso an den volkseigenen<br />

Großhandel abgegeben werden.<br />

Dennoch gelang es uns hin und wieder,<br />

befreundete private Lebensmittelhändler,<br />

mit denen wir aufgrund gemeinsamer<br />

kaufmännischer Tradition schon lange<br />

88


Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />

zusammenarbeiteten, bevorzugt zu<br />

beliefern. An Messen für landwirtschaftliche<br />

Produkte nahm selbstverständlich<br />

auch die <strong>Jütro</strong> teil.<br />

Die herrschende Mangelwirtschaft endete<br />

abrupt mit Eintritt in die Marktwirtschaft<br />

zum 1. Juli 1990. Schnell stellte<br />

sich heraus, dass wir als Lebensmittelhersteller<br />

nun die Initiative zur Vermarktung<br />

unserer Produkte selbst ergreifen<br />

mussten. Der gute Ruf der <strong>Jütro</strong>-Konserven<br />

im ostdeutschen Raum war ein<br />

Pfund, mit dem es zu wuchern galt. Die<br />

Hauptaufgabe bestand darin, die neu<br />

in Ostdeutschland agierenden Handelsunternehmen<br />

von unserer Qualität<br />

zu überzeugen.<br />

Nicht nur die Qualität, sondern auch<br />

unsere technische Ausrüstung stimmte.<br />

Schon seit <strong>Jahre</strong>n produzierten wir mit<br />

Twist-off-Verschluss und verfügten so<br />

über einen nicht unbeträchtlichen Vorteil<br />

gegenüber anderen Unternehmen<br />

der Branche.<br />

Lediglich die Etiketten bedurften einer<br />

umfassenden Neugestaltung, um mit<br />

unseren Produkten auch im Westteil<br />

Deutschlands Erfolg zu haben. Auf einer<br />

Tagung der ostdeutschen Lebensmittelproduzenten<br />

im Frühjahr 1990<br />

in Frankfurt (Oder) lernten wir einen<br />

Etikettenspezialisten, Herrn Werner E.<br />

Sewing, kennen, der uns bis heute bei<br />

der Gestaltung unserer Etiketten fachlich<br />

kompetent unterstützt.<br />

links:<br />

Werner E.<br />

Sewing, Bernd-<br />

Richard und<br />

Angelika Meyer<br />

rechts:<br />

Auszeichnung<br />

von <strong>Jütro</strong>-Produkten<br />

durch<br />

die Centrale<br />

Marketinggesellschaft<br />

der<br />

deutschen<br />

Agrarwirtschaft<br />

mbH (CMA),<br />

überreicht<br />

durch CMA-<br />

Geschäftsführer<br />

Dr. Antonius<br />

Nienhaus (links)<br />

und Bundeswirtschaftsminister<br />

Jürgen Möllemann<br />

(rechts)<br />

89


Zum Thema<br />

Neugestaltung unserer Etiketten 1990<br />

90


Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />

Auf der ersten Grünen Woche im Januar<br />

1990 verschafften wir uns als Besucher<br />

einen Überblick und holten uns Anregungen<br />

für die notwendige neue Präsentation<br />

unserer Konserven. Ein Jahr später<br />

ermöglichte uns das Landwirtschaftsministerium<br />

des Landes Brandenburg, als<br />

Aussteller an der Internationalen Grünen<br />

Woche teilzunehmen. Wir präsentierten<br />

uns auf einem Gemeinschaftsstand der<br />

brandenburgischen Lebensmittelhersteller,<br />

was kurz nach der Wende ein<br />

unbeschreibliches Erlebnis war. Seither<br />

ist die <strong>Jütro</strong> jedes Jahr als Aussteller auf<br />

der Grünen Woche anzutreffen.<br />

Auf den Verkaufsveranstaltungen der damaligen<br />

Centralen Marketinggesellschaft<br />

der deutschen Agrarwirtschaft (CMA) für<br />

ostdeutsche Lebensmittelhersteller und<br />

auf anderen Messen präsentierten wir<br />

uns danach selbstbewusst.<br />

links:<br />

Andrea und<br />

Michael Meyer<br />

auf der Anuga<br />

1995<br />

rechts:<br />

<strong>Jütro</strong>-Stand auf<br />

der anuga 1999<br />

(Angelika und<br />

Bernd-Richard<br />

Meyer)<br />

91


Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />

Brandenburgs<br />

Ministerpräsident<br />

Matthias<br />

Platzeck (2.v.l.)<br />

am <strong>Jütro</strong>-Stand<br />

auf der Grünen<br />

Woche in Berlin<br />

2010<br />

Mit dem Ausscheiden des volkseigenen<br />

Großhandels veränderte sich unsere<br />

Kundenklientel abrupt. Plötzlich sahen wir<br />

uns großen Handelsunternehmen wie der<br />

SPAR Nord-Ost oder Tengelmann gegenüber,<br />

die die Initiative auch im ostdeutschen<br />

Lebensmittelhandel übernahmen.<br />

Erste Gespräche mit der neu gebildeten<br />

SPAR Nord-Ost in Potsdam, die den so<br />

genannten volkseigenen Handel WTB<br />

(Waren des täglichen Bedarfs) übernommen<br />

hatte, erfolgten schon kurz nach der<br />

Währungsunion. An der Hausmesse des<br />

Unternehmens im September 1990 nahm<br />

auch die <strong>Jütro</strong> teil. Eigens entwickeltes<br />

Prospektmaterial mit dem Slogan „Havelländer<br />

Obstgarten, Spreewälder Gemüsegarten“<br />

ermöglichte erstmalig in der<br />

<strong>100</strong>-jährigen Geschichte unserer Firma<br />

einen werbewirksamen Verkauf.<br />

Die Landesmarketing-Institutionen der<br />

Bundesländer für die Vermarktung landwirtschaftlicher<br />

Produkte (im Land Brandenburg<br />

die pro agro) begleiteten von<br />

Beginn an Verkaufsveranstaltungen und<br />

Messen für die Lebensmittelhersteller. Im<br />

Herbst 1991 ermöglichte uns das bran-<br />

92


Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />

denburgische Landwirtschaftsministerium<br />

die Teilnahme an der ANUGA in Köln.<br />

Während dieser Messe ergaben sich die<br />

ersten Kontakte zu Herrn und Frau Humbert<br />

von der I. Schroeder KG Hamburg.<br />

An der ANUGA nehmen die beiden <strong>Jütro</strong>-<br />

Unternehmen 2011 bereits zum zehnten<br />

Mal teil. Sie bietet uns als Messegroßveranstaltung<br />

weltweiter Lebensmittelproduzenten<br />

die Möglichkeit, national und<br />

auch international Kontakte zu knüpfen<br />

und einem Fachpublikum neue Produkte<br />

vorzustellen.<br />

Seit 1991 präsentieren wir die <strong>Jütro</strong> auf<br />

der Grünen Woche. Im Jubiläumsjahr<br />

2011 sind wir also schon zum 20. Mal<br />

dabei! Sie ist für uns eine geeignete<br />

Plattform, unser Sortiment sowie neuer<br />

Produkte zu präsentieren und verkosten<br />

zu lassen. Obwohl sie sich immer mehr<br />

zum Oktoberfest der Berliner und Brandenburger<br />

zu entwickeln scheint, schätzen<br />

wir doch die Möglichkeit, im Rahmen<br />

dieser Veranstaltung Kontakte zu den<br />

Konsumenten unserer Artikel aufzunehmen<br />

und zu pflegen.<br />

Gemeinschaftsstand<br />

der <strong>Jütro</strong><br />

Tiefkühlkost<br />

GmbH & Co.<br />

KG und der<br />

I. Schroeder KG<br />

(GmbH & Co.)<br />

auf der Intercool<br />

2006<br />

93


Die vierte Generation tritt an – Michael und Andrea Meyer<br />

Gemeinschaftsstand der <strong>Jütro</strong> Tiefkühlkost GmbH & Co. KG<br />

und der I. Schroeder KG (GmbH & Co.) auf der Intercool 2006<br />

94


Ein Wort zum Schluss<br />

Ein Wort zum Schluss<br />

In den vergangenen <strong>100</strong> <strong>Jahre</strong>n entwickelten<br />

wir uns von einem kleinen<br />

Konservenhersteller zu einem leistungsstarken<br />

und konkurrenzfähigen Lebensmittelproduzenten.<br />

Dabei blieben wir im<br />

Grunde das, was wir immer gewesen<br />

sind – ein Familienunternehmen.<br />

Gerade aus diesem Grund sind wir uns<br />

der Verantwortung für unsere Mitarbeiter<br />

auf besondere Art bewusst. Sie sind das<br />

eigentliche Potenzial, aus dem unsere<br />

erfolgreiche Geschäftsentwicklung in den<br />

vergangenen <strong>100</strong> <strong>Jahre</strong>n resultiert. Dafür<br />

möchten wir an dieser Stelle danken.<br />

Als verlässlicher Arbeitgeber werden wir<br />

auch künftig unserer Verantwortung für<br />

die Region gerecht.<br />

Die fünfte Generation wächst heran. Mit<br />

großem Interesse verfolgen meine beiden<br />

Enkeltöchter unser Tun und das ihrer<br />

Eltern. Dass es zur Fortführung unseres<br />

Betriebes Söhne braucht, glaubt inzwischen<br />

keiner mehr.<br />

Mögen Fortschritt und Tradition auch in<br />

den kommenden Jahrzehnten Hand in<br />

Hand gehen zur weiteren Entwicklung<br />

und zum Fortbestand der <strong>Jütro</strong>-Unternehmen.<br />

Ihr<br />

95


Literatur- und Bildnachweis<br />

Verwendete Literatur<br />

Eduard Jacobsen:<br />

Katechismus der gesamten<br />

Konserven industrie<br />

Braunschweig 1929<br />

Eduard Nehring:<br />

Streit um Konserven<br />

Braunschweig 1930<br />

Eduard Jacobsen:<br />

Wertvolle Ratschläge für die<br />

Konserven-Industrie<br />

2. Auflage, Braunschweig 1932<br />

<strong>100</strong>0 <strong>Jahre</strong> Jüterbog, Mering, 2007<br />

Dr. Martin Humbert:<br />

Die Konservenindustrie<br />

Diss. 1996<br />

Wilhelm Klemm:<br />

Die Züchners<br />

Braunschweig 1937<br />

Erich Sturtevant:<br />

Chronik der Stadt Jüterbog<br />

Jüterbog1936<br />

M. J. Dikis und A. M. Malski:<br />

Die Maschinen und Apparate der<br />

Konservenindustrie<br />

Leipzig 1955<br />

Henrik Schulze:<br />

Der frühere Kreis Jüterbog-Luckenwalde<br />

in alten Ansichten<br />

Zaltbommel (NL) 1994<br />

Markus Hennen:<br />

Jüterbog – <strong>100</strong>0 <strong>Jahre</strong> Ersterwähnung<br />

Jüterbog 2007<br />

96


Bildnachweis<br />

Folgende Abbildungen stammen nicht<br />

aus dem Archiv der <strong>Jütro</strong>, sondern aus<br />

den nachgenannten Quellen:<br />

Nicolas Appert (Seite 12), wikipedia.de<br />

Konservenglas zu Apperts Zeiten (Seite<br />

12), wikipedia.de<br />

Blick von Vorstadt Neumarkt in den „Bärstrauch“<br />

(Seite 15), Erich Sturtevant,<br />

Chronik der Stadt Jüterbog, Jüterbog<br />

1935, S. 473<br />

Das Neumarkttor (Außenansicht) um<br />

1890 (Seite 16), ebd.<br />

delikat-Schaufenster (Seite 58), Florian<br />

Schäffer/wikipedia.de<br />

Fotografennachweis<br />

Antje Plewinski, Berlin:<br />

• Fotos Menüschalen (Seite 84 f.)<br />

• Fotos Schlauchbeutel (Seite 87)<br />

Peter Männig, Leipzig:<br />

• Fotoserie „PE-, PP- und PET-Abfüllanlage“<br />

auf Ausklappseite vorn<br />

• Fotoserie „Autoklav“ auf Ausklappseite<br />

hinten<br />

• Foto Kesselhaus (Seite 19)<br />

• Fotos aus der Feinkostproduktion in<br />

Jüterbog (Seite 76 f.)<br />

• Fotostrecke Combisafe-Anlage (Seite<br />

78 f.)<br />

Birgit Heinzel, Jessen:<br />

• Foto Michael & Andrea Meyer (Seite<br />

69)<br />

• Fotos aus der Tiefkühlkostproduktion<br />

in Jessen (Seite 80 f.)<br />

• Foto der Palettieranlage in Jessen<br />

(Seite 82/83)<br />

Frank Donati, Berlin:<br />

• Foto Grüne Woche 2010 (Seite 92)<br />

97


Foto Umschlagseite (ausgeklappt) innen:<br />

Bernd-Richard Meyer (erste Reihe Mitte) als junger Unternehmenschef<br />

im Kreise seiner Mitarbeiter<br />

Impressum<br />

Herausgeber:<br />

Bernd-Richard Meyer<br />

<strong>Jütro</strong> GmbH & Co. KG<br />

Konserven & Feinkost<br />

Gewerbering 1<br />

14913 Jüterbog<br />

Autorin:<br />

Jana Männig, Leipzig<br />

www.jana-maennig.de<br />

Reproduktionen:<br />

Peter Männig, Leipzig<br />

Holger Krusche, Leipzig<br />

Layout & Drucksatz:<br />

Peter Männig, Leipzig<br />

1. Auflage<br />

1.-750. Exemplar<br />

April 2011<br />

98


Firmenansicht der <strong>Jütro</strong> GmbH & Co. KG Konserven & Feinkost in Jüterbog<br />

www.juetro.de

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