100 Jahre Jütro

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Zum Thema Das Geheimnis, die Jahreszeiten festzuhalten Das Haltbarmachen von Lebensmitteln ist ein uraltes Thema. Was einst mit Pökeln, Räuchern und Trocknen begann, wird vermutlich mit der Konservierung in Dosen und Gläsern und auch mit dem Frosten frischer Produkte noch nicht abgeschlossen sein. Nachdem der französische Konditor und Zuckerbäcker Nicolas Appert 1809 sein Verfahren zur Konservierung in Glasgefäßen hatte patentieren lassen, schrieb der „Courier de l’Europe“ begeistert: „Appert hat das Geheimnis entdeckt, die Jahreszeiten festzuhalten, bei ihm leben Frühling, Sommer und Herbst in Flaschen“. Genau darum ging es. Die Fülle der Früchte, die in den warmen Monaten anfiel, wollte auch im Winter genossen werden. Am liebsten sogar jederzeit. Doch ehe dieser Traum Wirklichkeit werden konnte, brauchte es findige Köpfe, die sich von Rückschlägen und Hindernissen nicht entmutigen ließen, die tüftelten, forschten und wagten. Baron Wilhelm Eberhard Anton von Campen beispielsweise. Er lernte in diplomatischer Mission des braunschweigischen Hofes bei einem Aufenthalt in Frankreich Apperts Konservierungsmethoden kennen. Zurückgekehrt beauftragte er den Seesener Klempnermeister Heinrich Züchner mit der Herstellung von Dosen. Eigentlich verließen Leuchter, Laternen und Lampen und hin und wieder auch ein paar Zuckerdosen die Klempnerwerkstatt. Nun sollten Dosen gefertigt werden, um die Jagdbeute des Barons haltbar zu machen. Der Erfolg sprach sich bald herum, und es dauerte nicht lange, bis auch Hausfrauen nach Konservendosen verlangten, um Obst und Gemüse aus den Gärten haltbar zu machen. Mancher füllte sogar über den eigenen Bedarf ab und verkaufte die Dosen weiter. So entstanden die ersten einfachen Konservenfabriken. Und aus der Klempnerei Züchner entwickelte sich in den nächsten 150 Jahren eines der führenden Unternehmen der Feinstblechverpackungsindustrie. Die Herstellung hochwertiger Weißblechdosen und das Befüllen der Dosen entwickelten sich zu den beiden Zweigen der entstehenden Konservenindustrie. Nicolas Appert Konservenglas zu Apperts Zeiten 12
Zum Thema Die Konservenindustrie bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs Die ersten größeren Betriebe entstanden nach 1840 in Braunschweig. Spargel aus den umliegenden Anbaugebieten wurde hier in Dosen gefüllt und haltbar gemacht. Klempner und Landwirte funktionierten nun als Zulieferer. Die 1880er Jahre, die eigentlichen Jahren der Gründerkrise der deutschen Wirtschaft, gelten gemeinhin als die Gründerjahre der Konservenindustrie, und der ausbrechende Erste Weltkrieg führte zu einem ungeahnten Anstieg der Nachfrage nach haltbaren Lebensmitteln. Die eigenen Soldaten und auch die der verbündeten Heere konnten so versorgt werden. Wenige Jahre vor Kriegsausbruch hatten meine Großeltern ihre Konservenfabrik in Jüterbog gegründet, die von diesem kriegsbedingten Aufschwung der Branche profitieren konnte. Das wollten allerdings auch andere, und Konservenfabriken schossen wie Pilze aus dem Boden. Bei Kriegsende stellte sich jedoch heraus, dass der Bedarf der Bevölkerung so groß nicht mehr war. Ohne die zu versorgenden Heere und Kolonien und nach dem Verlust der Kriegs- und Handelsflotte hatte nur noch ein Teil der Betriebe sein Auskommen. Die Jüterboger Qualitätskonserven behielten es. Und das, obwohl die Branche inzwischen mit einem ernst zu nehmenden Imageproblem zu kämpfen hatte. Schnell waren die Produkte in den Augen der Verbraucher nämlich vom Luxusgut zum Billigartikel geworden. Die Neugründungen hatten den Konkurrenzdruck verschärft und manche Hersteller zu Billigproduzenten werden lassen. Verbraucher, die von der Qualität dieser billigen Konserven enttäuscht waren, betrachteten leicht die gesamte Erzeugnispalette der Konservenindustrie als minderwertig. Ein weiterer Vorwurf, der den konservierten Erzeugnissen immer wieder gemacht worden ist, war der, sie seien vitaminlos oder gar giftig. Dieser Makel haftete den Dosen an und schreckte ängstliche Käufer ab. Die wirtschaftliche Vereinigung der Konservenindustrie versuchte immer wieder mit den unterschiedlichsten Mitteln, Vorurteile der Verbraucher gegenüber den Konserven auszuräumen. 1 Vergiftungen entstünden nie durch Obst- und Gemüsekonserven, sondern immer nur durch die Beikost, wie etwa durch verdorbenes Fleisch. Außerdem sei die Verarbeitung hochgradig hygienisch, so dass beispielsweise Erbsen „mit Menschenhänden gar nicht in Berührung“ 1 kämen. Gleichzeitig mahnte die Vereinigung in den 1930er Jahren die Kunden, auf den Verbrauch deutscher Konserven zu achten, um die heimische Landwirtschaft und Industrie zu stützen. Braunschweig blieb das Zentrum der Gemüsekonservenindustrie. Schwerpunkte der Obstkonservenindustrie befanden sich in Hannover, in der Altmark, im Raum Lübeck und in Sachsen. Von einem gartenmäßigen Anbau der Produkte war man inzwischen zum feldmäßigen Anbau übergegangen. Braunschweig und der Spargel waren hier wiederum die Vorreiter. Neugezüchtete Bohnenbzw. Erbsensorten ermöglichten großflächigen Anbau und zeitsparende Verarbeitung. Den Bedarf an Beerenobst konnte die heimische Konservenindustrie jedoch nicht im Inland decken. Dafür waren Importe notwendig. Wie der Betrieb der Großeltern arbeitete die überwiegende Zahl der Unternehmen als Familienbetriebe mit ortsansässigen Beschäftigten 13
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