2016-02 Archiv des Badewesens___WEB
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
93 AB <strong>Archiv</strong> <strong>des</strong> <strong>Badewesens</strong> <strong>02</strong>/<strong>2016</strong> | Sammelbecken · Geschichte<br />
Historische Volks- und Stadtbäder in Deutschland<br />
und Frankreich<br />
Wegbereiter einer europäischen Sozialpolitik<br />
Sammelbecken<br />
Kathleen Hirschnitz, Halle (Saale)<br />
Eine ganze Reihe von ca. 100 Jahre<br />
alten Stadtbädern sind Zeugnisse einer<br />
langen Badekultur in Deutschland.<br />
Auch heute noch verfügen die<br />
historischen Stadtbäder über ein großes<br />
Potenzial, neben dem baukulturellen<br />
Ambiente und den zahlreichen<br />
gesundheitsfördernden Angeboten<br />
nicht zuletzt als Ort zum Schwimmen<br />
lernen.<br />
Doch tragen die ca. 100 Jahre alten<br />
Bauwerke oft die Probleme eines modernen<br />
Nutzungskonzeptes in sich,<br />
zudem die Frage, wie diese wirtschaftlich<br />
betrieben und saniert werden<br />
können. Zahlreiche Beispiele zeigen<br />
jedoch, dass es sich lohnt, die Bäder<br />
als Alleinstellungsmerkmale in den<br />
Kommunen zu entwickeln. Dies zeigt<br />
eine Ausstellung mit dem Titel „Historische<br />
Volks- und Stadtbäder in<br />
Deutschland und Frankreich – Wegbereiter<br />
einer europäischen Sozialpolitik“,<br />
die von Halle (Saale) ausgehend<br />
u. a. auch in Strasbourg, Gotha<br />
und Mannheim gezeigt wird. Zi<br />
Einleitung<br />
Im Jahr 1900 standen auf der Weltausstellung<br />
in Paris die soziale Frage und<br />
das Leben der Massen im Zentrum der<br />
Aufmerksamkeit. Die Deutschen hatten<br />
in ihrem Pavillon einen goldenen<br />
Obelisk errichtet (zu Ehren der 16 Jahre<br />
zuvor eingeführten Bismarck’schen<br />
Sozialreformen) – London hingegen<br />
präsentierte das Modell eines Stadtba<strong>des</strong>.<br />
Ein Stadtbad bei einer Weltausstellung<br />
als vorbildliche Lösung der sozialen<br />
Frage zu präsentieren, leuchtete um die<br />
damalige Jahrhundertwende offenkundig<br />
ein – fanden sich darin doch viele<br />
Antworten auf die Frage, wie der<br />
Ansammlung immer zahlreicherer, entwurzelter<br />
Menschen in den Städten<br />
und deren Verwahrlosung in den Mühlen<br />
<strong>des</strong> Industriekapitalismus 1) begegnet<br />
werden könne. Die Antwort lautete:<br />
durch Hygiene, Leibesertüchtigung<br />
und Gesundheitspflege.<br />
Folgerichtig wurden die Errichtung<br />
und der Betrieb von Bädern als kommunale<br />
Aufgabe begriffen – und dies<br />
mit Erfolg. Für die Einbürgerung <strong>des</strong><br />
Proletariats in die Gesellschaft 2) – heute<br />
würden wir von Inklusion spre -<br />
chen – ließ sich kaum ein geschickterer<br />
Ansatz denken. Die Badewannenmoscheen<br />
– als eine solche titulierten<br />
die Bürger von St. Gallen liebevoll ihr<br />
Stadtbad – zogen schnell viele Nutzer<br />
aus den einfachen Einkommensschichten<br />
an und halfen, die hygienischen<br />
Verhältnisse in den Armenquartieren<br />
Infokasten<br />
Ausstellungsorte <strong>2016</strong><br />
16.01. - 12.03.: Herschelbad Mannheim<br />
19.04.: Eröffnung im Stadtbad<br />
Gotha (anlässlich<br />
<strong>des</strong> 1<strong>02</strong>. Geburtstags<br />
<strong>des</strong> Ba<strong>des</strong>)<br />
Weitere Standorte sind in Planung.<br />
zu verbessern. Zudem fanden sich in<br />
den Schwimm-Hallen bald auch die<br />
ersten Schwimmvereine ein – noch unterschieden<br />
in Arbeiterschwimmvereine<br />
und Bürgerliche Schwimmvereine<br />
– und gaben dem Breitensport hier<br />
eine Heimat (siehe Abbildung 1).<br />
Schwimmbäder haben ihre soziale<br />
Funktion bis heute behalten. Sie sind<br />
Stätten für Sport, Gesundheit und Wohlbefinden<br />
geblieben. 3)<br />
In den nicht sanierten Stadtbädern liegen<br />
ungenutzte Potenziale. Sie verfügen<br />
über ein hohes Maß an Raumressourcen<br />
– aus den Nutzungsbereichen,<br />
die heute mehrheitlich nicht mehr bedient<br />
werden, wie die Brause- und Wannenbäder<br />
sowie die meist ehemals integrierten<br />
Wäschereien, Tischlereien<br />
und Schlossereien. Diese Räume wei-