Berufsspezial 2016 Fritz+Fränzi
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Das Gymnasium ist die Zeit,<br />
in der junge Menschen ihren Horizont<br />
enorm erweitern, in der sie<br />
über mehr Themen Bescheid wissen<br />
als in ihrem ganzen übrigen<br />
Leben: vom Bohrschen Atommodell<br />
bis zur Rolle der Jakobiner<br />
während der Französischen Revolution<br />
und von der Integralrechnung<br />
bis zur lateinischen u-Deklination.<br />
Es ist die Zeit, in der sich<br />
Jugendliche eine eigene Meinung<br />
bilden, diskutieren, Pläne schmieden,<br />
Wissen aufsaugen und auch<br />
gerne weitergeben. Und daneben<br />
immer wieder für Prüfungen lernen,<br />
Hunderte Französisch- oder<br />
Lateinvokabeln pauken, eine Nacht<br />
durcharbeiten, weil die Semesterarbeit<br />
zu spät in Angriff genommen<br />
wurde.<br />
Denken in Zusammenhängen<br />
Danach gefragt, was man können<br />
muss, um am Gymnasium zu<br />
bestehen, sagt die Winterthurer<br />
Gymnasiastin Julie Baumann:<br />
«Man muss Zusammenhänge verstehen.<br />
Auswendiglernen reicht<br />
nicht. Und man muss mit Druck<br />
umgehen können.» Jeweils Ende<br />
Semester nimmt die Belastung zu,<br />
eine Prüfung folgt auf die nächste.<br />
Wer den geforderten Notenschnitt<br />
nicht erreicht, besucht das nächste<br />
Semester provisorisch. Bleibt auch<br />
das nächste Zeugnis unter den<br />
Anforderungen, wird die Klasse<br />
wiederholt. Zweimaliges Wiederholen<br />
geht nicht. Dann ist die<br />
Gymizeit zu Ende.<br />
Und was sollen die Mittelschüler<br />
lernen? «Einerseits müssen die<br />
Schülerinnen und Schüler fachlich<br />
und auffassungsmässig reif für die<br />
Hochschule sein», sagt Gisela<br />
Meyer Stüssi, Griechisch - und<br />
Lateinlehrerin am Freien Gymnasium<br />
Bern. «Anderseits ist die vertiefte<br />
Gesellschaftsreife ein Ziel.<br />
Damit sind ein breites Wissen<br />
gemeint und die Grundlagen, um<br />
später einmal gesellschaftlich wichtige<br />
Aufgaben wahrnehmen zu<br />
können. Es geht nicht nur um Wissen,<br />
das Punkt für Punkt abgefragt<br />
werden kann.»<br />
Meyer Stüssi ist Vizepräsidentin<br />
des Vereins Schweizerischer Gymnasiallehrerinnen<br />
und Gymnasiallehrer<br />
und verfolgt die Entwicklung<br />
an den Mittelschulen. Dass<br />
auch angehende Primarlehrer,<br />
Kindergärtner oder Physiotherapeuten<br />
eine Matur brauchen, habe<br />
neue soziale Gruppen in die Mittelschulen<br />
gebracht. «Das hat dem<br />
Klima an den Mittelschulen gut<br />
getan», sagt sie. Von einem generellen<br />
Run auf die Mittelschulen<br />
und einer Matura-um-jeden-<br />
Preis-Mentalität will Meyer Stüssi<br />
nichts wissen. Unter Verweis auf<br />
eine Studie des Bildungshistorikers<br />
Lucien Criblez sagt sie: «Den<br />
grössten Teil des Anstiegs der<br />
Maturitätsquote machen die jungen<br />
Frauen aus. Davor besuchten<br />
wenige von ihnen das Gymnasium,<br />
heute sind sie sogar leicht in<br />
der Überzahl. Und die jungen<br />
Menschen vom Land haben aufgeholt.»<br />
Um am Gymi zu bestehen,<br />
reicht Auswendiglernen<br />
nicht. Man muss auch<br />
Druck aushalten können.<br />
28 Mai <strong>2016</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Berufswahl-Spezial