Schroeder - 1998 - Lehrbuch der Pflanzengeographie
Schroeder - 1998 - Lehrbuch der Pflanzengeographie
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E-G. <strong>Schroe<strong>der</strong></strong><br />
<strong>Lehrbuch</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>Pflanzengeographie</strong><br />
Quelle & Meyer Verlag Wiesbaden
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J , L / ■<br />
^ 6 5<br />
<strong>1998</strong>, by Quelle & Meyer Verlag GmbH & Co., Wiesbaden<br />
ISBN 3-494-02235-6<br />
Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb <strong>der</strong> engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes<br />
ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbeson<strong>der</strong>e für Vervielfältigungen auf<br />
fotomechanischem Wege (Fotokopie/Mikrokopie), Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung<br />
und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Gewidmet den Botanikern und Geographen, die die <strong>Pflanzengeographie</strong> in den letzten zwei Jahrhun<strong>der</strong>ten<br />
begründet und weiterentwickelt haben, insbeson<strong>der</strong>e:<br />
Alexan<strong>der</strong> von Humboldt, 1769-1859<br />
August Grisebach, 1814-1879<br />
Adolf Engler, 1844-1930<br />
O skar D rude, 1852-1933<br />
Andreas Franz W ilhelm Schimper, 1856-1901<br />
Martin Rikli, 1868-1951<br />
E duard Rubel, 1876-1960<br />
Heinrich Brockmann-Jerosch, 1879-1939<br />
JosiAS Braun-Blanquet, 1884-1980<br />
Heinrich W alter, 1898-1989<br />
C arl T roll, 1899-1975<br />
Reinhold T üxen, 1899-1980<br />
J osef Schmithüsen, 1909-1984<br />
Hermann M eusel, 1909-1997<br />
Heinz Ellenberg, 1913-1997
^ “3<br />
r' A<br />
Vorwort<br />
Die <strong>Pflanzengeographie</strong> ist eine Disziplin mit<br />
einer langen, zweihun<strong>der</strong>tjährigen Geschichte<br />
und einer Tradition, in <strong>der</strong> die deskriptiv-vergleichende<br />
Betrachtung die Grundlage bildet.<br />
Wie auch die umstehende Personenliste zeigt,<br />
steht ihre Entwicklung in engem Zusammenhang<br />
mit <strong>der</strong> deutschen Geistesgeschichte und<br />
wissenschaftlichen Philosophie des 19. und frühen<br />
20. Jahrhun<strong>der</strong>ts. Manche mo<strong>der</strong>nen Autoren<br />
ziehen es heute vor, von Geobotanik o<strong>der</strong><br />
Vegetationsgeographie zu sprechen, doch dekken<br />
sich beide Begriffe nicht ganz mit dem klassischen<br />
Inhalt. Indem ich mich <strong>der</strong> klassischen<br />
Tradition verbunden fühle, habe ich für das<br />
vorliegende Werk bewußt den Titel „<strong>Pflanzengeographie</strong>“<br />
gewählt.<br />
Es richtet sich sowohl an Studenten und Dozenten<br />
<strong>der</strong> Biologie und Geographie als auch<br />
an interessierte Laien. Der Text geht ursprünglich<br />
auf Vorlesungen zurück, die ich in den letzten<br />
Zwanzigjahren gehalten habe. Im Laufe dieses<br />
Zeitraumes hat sich die Darstellung, auch in<br />
Interaktion mit Hörern und Kollegen, ständig<br />
gewandelt und angepaßt. Ein wichtiges Anliegen<br />
war es mir dabei stets, die grundsätzlich<br />
wichtigen Tatsachen (die „roten Fäden“) in möglichst<br />
einfacher, leicht verständlicher Form aufscheinen<br />
zu lassen. Das gilt auch für die jetzige,<br />
zu einem Konzentrat aus den wichtigsten einschlägigen<br />
Bearbeitungen ausgebaute Fassung.<br />
Im einleitenden, allgemeinen Teil konnten<br />
die meisten Grundlagen kurz gefaßt werden, da<br />
es genügend gute Spezialdarstellungen (z. B. <strong>der</strong><br />
Ökologie) gibt. Etwas ausführlicher wurde jedoch<br />
die Verbreitungsökologie behandelt, die<br />
in den meisten gängigen Lehrbüchern - wenn<br />
überhaupt - nur ganz am Rande erwähnt wird.<br />
Vorausgesetzt wird eine gewisse Grundkenntnis<br />
<strong>der</strong> Flora Mitteleuropas.<br />
Der Hauptteil ist <strong>der</strong> Schil<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Flora<br />
und Vegetation <strong>der</strong> Erde in globaler und regionaler<br />
Sicht gewidmet. Bei einem solchen Vorhaben<br />
sollte ein Grundsatz im Vor<strong>der</strong>grund stehen:<br />
nämlich alle Zonen und Regionen möglichst<br />
gleichgewichtig zu erfassen. Dem stehen<br />
jedoch zwei Hin<strong>der</strong>nisse entgegen. Erstens zeigen<br />
Flora und Vegetation <strong>der</strong> einzelnen Regionen<br />
eine recht unterschiedliche Diversität und<br />
sind auch in sehr verschiedenem Ausmaße untersucht,<br />
d. h. es gibt über manche einfach mehr<br />
zu berichten als über an<strong>der</strong>e. Und zweitens ist<br />
das Buch von einem mitteleuropäischen Autor<br />
für mitteleuropäische Leser geschrieben. Das<br />
bedeutet nicht nur, daß die dem Leser geläufigen<br />
Verhältnisse unserer Heimat oft als Ausgangspunkt<br />
genommen werden; vielmehr ist<br />
zugleich ein wesentliches Ziel, die Stellung <strong>der</strong><br />
mitteleuropäischen Pflanzenwelt im globalen<br />
Rahmen, insbeson<strong>der</strong>e als (keineswegs zentralen)<br />
Teil <strong>der</strong> Holarktis, bewußt zu machen. Zwar<br />
leben wir heute in einer Zeit weltweiter Verbindungen<br />
- sei es in virtueller Hinsicht durch das<br />
Fernsehen, o<strong>der</strong> in realer durch die fast unbegrenzten<br />
Reisemöglichkeiten - , aber wenn es um<br />
Tatsachenwissen biologischer, geographischer<br />
o<strong>der</strong> historischer Art geht, so zeigt sich auch<br />
bei gebildeten Menschen oft eine erstaunliche,<br />
ja fast erschreckende Eingeengtheit des räumlichen<br />
und zeitlichen Horizontes: dieser reicht<br />
meist kaum über die Grenzen Mitteleuropas<br />
sowie über die letzten 50-100 Jahre hinaus.<br />
Ich hoffe, daß die Darstellung trotz <strong>der</strong> genannten<br />
Einschränkungen (und vielleicht noch einiger<br />
subjektiver Präferenzen des Autors) doch einigermaßen<br />
ausgewogen geworden ist. Daß sie<br />
unendlich viele Lücken enthält, ist allerdings unvermeidlich.<br />
Jedem Hinweis auf solche, die unbedingt<br />
gefüllt werden müßten, werde ich dankbar<br />
nachgehen.<br />
Die Verwandlung von Vorlesungskonzepten<br />
in ein dmckfertiges Manuskript ist ein arbeitsaufwendiges<br />
Unternehmen, das viel mehr Zeit beanspmcht<br />
als man anfänglich erwartet hat. Für<br />
die Geduld, die mir während dieser langen Zeit<br />
entgegengebracht wurde, danke ich allen Institutskollegen<br />
und ganz beson<strong>der</strong>s meiner Frau. Spezieller<br />
Dank gebührt Frau S. H ourticolon und<br />
Herrn B. Raufeisen für die tatkräftige Mithilfe bei<br />
<strong>der</strong> Anfertigung <strong>der</strong> Abbildungen. Zu meinem<br />
großen Bedauern wurde allerdings auf die Beigabe<br />
<strong>der</strong> ursprünglich vorgesehenen zahlreichen Fotos<br />
aus Kostengründen verzichtet.<br />
Göttingen, 7. September 1997<br />
Fred-Günter <strong>Schroe<strong>der</strong></strong>
Inhalt<br />
V orw ort..................................................................................................................................................................... VI<br />
I ' Allgemeine <strong>Pflanzengeographie</strong> ............................................................................................................. 1<br />
A Pflanzliche Bausteine und Umwelteinflüsse ....................................................................................2<br />
1 Die Pflanze und ihre Klassifizierung ....................................................................................... 2<br />
a Pflanzensippen und Pflanzenreich .................................................................................2<br />
b W uchs-und Lebensformen ..............................................................................................2<br />
2 Standortsökologie ........................................................................................................................... 6<br />
" a Physiologische Ansprüche und Standort ..................................................................... 6<br />
ö b Wirkung <strong>der</strong> global differenzierenden Faktoren ........................................................7<br />
c Maßgebliche Klimawerte und ihre Darstellung ....................................................... 12<br />
B Verbreitungsökologie .............................................................................................................................14<br />
1 Die Diasporen und ihre Bereitstellung ..................................................................................15<br />
2 Transport <strong>der</strong> Diasporen ............................................................................................................ 16<br />
a Zoochorie ..............................................................................................................................18<br />
b Anemochorie ....................................................................................................................... 26<br />
c Hydrochorie .........................................................................................................................32<br />
d Ballochorie ...........................................................................................................................34<br />
e Autochorie ............................................................................................................................ 36<br />
f Atelechorie ........................................................................................................................... 37<br />
3 Etablierung am Zielort ............................................................................................................... 38<br />
a Festsetzung <strong>der</strong> Diasporen .............................................................................................. 38<br />
b Keimung und Keimungsökologie ................................................................................. 39<br />
c Etablierung <strong>der</strong> Einzelpflanze und <strong>der</strong> Sippe .......................................................... 42<br />
4 Arealbildung.....................................................................................................................................42<br />
5 Verän<strong>der</strong>ung des Areals infolge Än<strong>der</strong>ung von Umweltfaktoren ................................ 46<br />
■¡l C Areale und Floren .................................................................................................................................. 48<br />
1 Methoden <strong>der</strong> Inventarisierung und Darstellung .............................................................. 48<br />
2 Analyse und Verknüpfung ........................................................................................................ 49<br />
a Größe und Gestalt von Arealen .....................................................................................49<br />
b Natürliche Florengebiete ..................................................................................................51<br />
c Arealtypen und Florenelemente ................................................................................... 52<br />
D Vegetation .................................................................................................................................................56<br />
o 1 Vegetationstypen und ihre Klassifizierung ............................................................................56<br />
« a Pflanzenformationen .........................................................................................................56<br />
" b Pflanzengesellschaften .......................................................................................................56<br />
o 2 Räumliche Ordnung <strong>der</strong> Vegetation; Vegetationsmosaik ............................................... 60<br />
“ 3 Zeitliche Ordnung <strong>der</strong> Vegetation: Sukzession und Klimax ........................................62<br />
a Verjüngung und Verjüngungssukzession ...................................................................62<br />
b Sukzession als Folge edaphischer Standortsän<strong>der</strong>ungen ......................................63<br />
c Sukzessionstheorien und Klimaxbegriff ..................................................................... 65<br />
• 4 Verbreitung von Vegetationseinheiten (Synchorologie) ...................................................66<br />
E Einfluß des Menschen auf Flora und Vegetation ........................................................................ 67<br />
1 Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Vegetation ......................................................................................................68<br />
2 Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Pflanzenverbreitung ....................................................................................71<br />
a Verkleinerung von Arealen, Gefährdung .................................................................. 71<br />
» b Vergrößerung von Arealen: Anthropochorie ........................................................... 74
VIII Inhalt<br />
II Pflanzengeographische Einteilung <strong>der</strong> Erde ....................................................................................... 85<br />
A A Floristische Glie<strong>der</strong>ung .......................................................................................................................<br />
1 Die Florenreiche und Florenregionen ................................................................................. 89<br />
2 Florenreiche und Sippenverbreitung ........................................... 101<br />
X B Vegetationsglie<strong>der</strong>ung .......................................................................................................................108<br />
1 Die thermischen Vegetationszonen ..................................................................................... 109<br />
2 Hygrische Unterglie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> thermischen Zonen .....................................................112<br />
a Tropische Zone ............................................................................................................. 113<br />
b Méridionale und Australe Zone .............................................................................. 114<br />
c Nemorale Zone ............................................................................................................. 115<br />
d Boreale Zone .................................................................................................................. H 5<br />
3 Vegetation <strong>der</strong> Gebirge ............................................................................................................. 115<br />
a Alpine Stufe .................................................................................................................... H 8<br />
b Waldstufen in den Extratropen ............................................................................... 118<br />
c Oreotropische Stufe ..................................................................................................... 119<br />
4 Synopse <strong>der</strong> Wimax-Formationen ........................................................................................120<br />
5 Azonale Vegetation ................................................................................................................... 121<br />
C Kurzer Abriß <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Landvegetation (Paläökologie) ....................................122<br />
1 Von den ersten Landpflanzen bis zum Steinkohlenwald .............................................. 123<br />
2 Die Zeit <strong>der</strong> Gymnospermen ..................................................................................................127<br />
3 Entstehung und Diversifizierung <strong>der</strong> Angiospermen ........................... 135<br />
4 Die Herausbildung <strong>der</strong> heutigen Verteilung von Flora und Vegetation .................. 141<br />
III Die Pflanzendecke in regionaler Betrachtung ..................................................................................145<br />
A Die Tropische Zone (Formationen 1-5) .......................................................................................147<br />
1 Tropischer Regenwald ...............................................................................................................148<br />
1.1 Neotropische Region ................................................................................................... 172<br />
1.2 Afrikanische Region ........................................................................................................174<br />
1.3 Indopazifische Region ...................................................................................................174<br />
Anhang: Die Mangrove ............................................................................................................ 176<br />
2 Regengrüner Wald und Savanne .......................................................................................... 178<br />
2.1 Neotropische Region .....................................................................................................186<br />
2.2 Afrikanische Region ....................................................................................................... 186<br />
2.3 Indopazifische Region ...................................................................................................186<br />
3 Eurytropische Trockengehölze ..............................................................................................187<br />
3.1 Amerikanische Region ...................................................................................................192<br />
3.2 Afrikanisch-Indische Region ........................................................................................193<br />
3.3 Australische Region .........................................................................................................194<br />
4 Eurytropische Wüste .................................................................................................................194<br />
4.1 Sonora-Region .................................................................................................................. 199<br />
4.2 Peruanisch-Patagonische Region ............................................................................... 199<br />
4.3 Saharo-Sindische Region ............................................................................................. 201<br />
4.4 Namib-Karru-Region ......................................................................................................202<br />
4.5 Australische Region ........................................................................................................ 203<br />
5 Oreotropischer Wald ................................................................................................................ 203<br />
5.1 Neotropische Region .....................................................................................................209<br />
5.2 Afrikanische Region ......................................................................................................209<br />
5.3 Indopazifische Region .................................................................................................. 210<br />
B Die Méridionale und die Australe Zone (Formationen 6-8) ................................................212<br />
o 6 Lorbeerwald ....................................................................................................................................212<br />
6.1 Sinojapanische Region .................................................................................................. 220<br />
6.2 Südost-Nordamerikanische Region ............................................................................ 221<br />
o 6.3 Makaronesische Region ................................................................................................. 222
Inhalt<br />
IX<br />
6.4 Ostaustralische Region .................................................................................................. 222<br />
6.5 Neuseeländische Region .............................................................................................. 225<br />
6.6 Südamerikanische Region ............................................................................................ 227<br />
6.7 Südafrikanische Region .................................................................................................230<br />
(^oS| 7 Hartlaubwald ..............................................................................................................................231<br />
7.1 Kalifornisch-Mexikanische Region ........................................................................... 234<br />
7.2 Mediterrane Region ........................................................................................................ 237<br />
7.3 Chilenische Region ........................................................................................................240<br />
7.4 Kapländische Region .................................................................................................... 241<br />
7.5 Australische Region ........................................................................................................ 244<br />
8 Pampa ............................................................................................................................................. 246<br />
8.1 Argentinische Region .................................................................................................... 248<br />
8.2 Südafrikanische Region .................................................................................................249<br />
C Die Nemorale Zone (Formationen 9-13) .................................................................................. 251<br />
9 Sommergrüner Laubwald ........................................................................................................251<br />
9.1 Ost-Nordamerikanische Region ................................................................................261<br />
9.2 Europäische Region .......................................................................................................268<br />
9.3 Sinojapanische Region ...................................................................................................270<br />
10 Nemoraler Nadelwald ................................................................................................................274<br />
10.1 West-Nordamerikanische Region .............................................................................. 279<br />
10.2 Mediterrane Region ........................................................................................................282<br />
11 Nemorale Trockengehölze ......................................................................................................283<br />
11.1 West-Nordamerikanische Region ..............................................................................284<br />
11.2 Westasiatische Region ................................................................................................... 285<br />
12 Steppe ............................................................................................................................................. 286<br />
12.1 Nordamerikanische Region ........................................................................................ 290<br />
12.2 Eurasiatische Region ......................................................................................................290<br />
13 Nemorale Wüste .........................................................................................................................291<br />
13.1 Nordamerikanische Region ........................................................................................ 293<br />
13.2 Eurasiatische Region ......................................................................................................294<br />
D Die Boreale Zone (Formationen 14-15) .....................................................................................297<br />
14 Dunkle Taiga ................................................................................................................................ 298<br />
14.1 Nordamerikanische Region .........................................................................................307<br />
14.2 Westeurasiatische Region ............................................................................................ 310<br />
14.3 Ostasiatische Region ......................................................................................................311<br />
15 Helle Taiga ....................................................................................................................................313<br />
= 15.1 Ostsibirische Region .................................................................................................. 313<br />
E Die Polarzonen und Alpinen Stufen .......................................................................................<br />
= 16 Tundra .........................................................................................................................................315<br />
16.1 Arktische Region .............................................................................................................335<br />
16.2 Holarktisch-Alpine Region ..........................................................................................337<br />
16.3 Tropisch-Alpine Region ................................................................................................340<br />
16.4 Austral-Antarktische Region ....................................................................................... 342<br />
F Vegetationsglie<strong>der</strong>ung ausgewählter Gebirge .......................................................................... 344<br />
Tropische Zone (ohne nördliche Randtropen) ............................................................... 345<br />
Australe Zone ...............................................................................................................................354<br />
Nördliche Randtropen .................................. 358<br />
0 Méridionale Zone .......................................................................................................................364<br />
Nemorale Zone ........................................................................................................................... 369<br />
Boreale Zone .................................................................................................................................379<br />
G Die Pflanzenwelt <strong>der</strong> Gewässer ....................................................................................................381<br />
1 Die Binnengewässer ...................................................................................................................382<br />
2 Das Meer ....................................................................................................................................... 385<br />
?
X<br />
Inhalt<br />
H Zur <strong>Pflanzengeographie</strong> Mitteleuropas ....................................................................................... 394<br />
1 Die Wie<strong>der</strong>bewaldung nach <strong>der</strong> letzten Eiszeit ............................................................. 394<br />
2 Die Entstehung <strong>der</strong> heutigen Pflanzendecke unter dem Einfluß des Menschen 400<br />
3 Die aktuelle Flora und Vegetation ....................................................................................... 405<br />
a Floristische Einordnung und Florenelemente ...................................................... 408<br />
b Vegetation ...........................................................................................................................411<br />
Literaturverzeichnis ............................................................................................................................................. 424<br />
1 Regionalliteratur zu Teil III ............................................................................................................424<br />
2 Gesamtliste aller zitierten Schriften ............................................................................................. 425<br />
Register .................................................................................................................................................................... 438<br />
Vegetationskarte (Einstecktasche auf dritter Umschlagseite)<br />
Praktische Anmerkungen<br />
Pflanzennamen sind gewöhnlich in <strong>der</strong> lateinischen Form angegeben, deutsche werden nur in Ausnahmefällen<br />
benutzt. Die Familienzugehörigkeit sämtlicher erwähnten Gattungen ist im Register<br />
vermerkt.<br />
Ortsnamen werden in <strong>der</strong> im Deutschen üblichen Form angewendet, auch für Orte außerhalb des<br />
deutschen Sprachraumes. Die Wie<strong>der</strong>gabe russischer Orts- und Personennamen erfolgt in <strong>der</strong> wissenschaftlichen<br />
(slawistischen) Transkription, so weit keine gängige deutsche Form existiert.<br />
Bei Literaturangaben im Text werden nur Name und Jahreszahl genannt, bei mehreren Autoren<br />
folgt nach dem ersten Namen „etc.“<br />
Bei Angaben <strong>der</strong> Meereshöhe entfällt <strong>der</strong> oft übliche Zusatz „ü. M.“ o<strong>der</strong> „ü. N N “.<br />
Abkürzungen:<br />
N, O, S, W = Nord, Ost, Süd, W est; auch in Zusammensetzungen;<br />
M- = Mittel-.<br />
Jvh = Jahre vor heute.<br />
i. w. S., i. e. S. = im weiteren / engeren Sinne.<br />
Bei lateinischen Pflanzennamen: sp. = (irgendeine) Art, ssp. = Subspezies,<br />
sect. = Sektion, subg. = Untergattung, s. 1. = sensu latiore = i. w. S., s. str. =<br />
sensu strictiore = i. e. S.
I<br />
Allgemeine <strong>Pflanzengeographie</strong><br />
Gegenstand <strong>der</strong> <strong>Pflanzengeographie</strong> ist das vielfältige<br />
Pflanzenkleid <strong>der</strong> Erde, insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong><br />
Landgebiete, in seiner aktuellen Glie<strong>der</strong>ung und<br />
seiner ökologischen und historischen Bedingtheit.<br />
Bevor dieses im einzelnen geschil<strong>der</strong>t wird,<br />
sind einige allgemeine Überlegungen notwendig.<br />
Die aktuelle Vielfalt beruht darauf, daß an<br />
jedem Ort <strong>der</strong> Erde eine ganz bestimmte Kombination<br />
von zwei Variablen vorliegt: <strong>der</strong> dort<br />
vorhandenen pflanzlichen Bausteine und <strong>der</strong> auf<br />
sie wirkenden Umwelteinflüsse. Die Untersuchung<br />
dieser Komponenten ist zwar Aufgabe <strong>der</strong><br />
Morphologie, Systematik und Ökologie; doch<br />
müssen einige Aspekte aus diesen Disziplinen<br />
vorweg hier kurz vorgeführt werden.<br />
Eine erste wichtige pflanzengeographische<br />
Frage ist, auf welche Weise die differenzierte<br />
räumliche Verteilung <strong>der</strong> Bausteine, d. h. <strong>der</strong><br />
Pflanzensippen, zustande kommt. Vorgang und<br />
Bedingungen <strong>der</strong> Ausbreitung (o<strong>der</strong> Verbreitung;<br />
dieses Wort bezeichnet sowohl den Vorgang<br />
als auch das Areal als sein Ergebnis) von<br />
Pflanzen untersucht die Teildisziplin, die als<br />
Verbreitungsökologie bezeichnet wird.<br />
Ergebnisse <strong>der</strong> Ausbreitung sind einerseits das<br />
Areal, d. h. die Summe aller Wuchsorte einer<br />
Sippe, an<strong>der</strong>erseits die Flora, d. h. die Gesamtzahl<br />
aller Sippen in einem definierten geographischen<br />
Raum. Mit <strong>der</strong> Methodik <strong>der</strong> Feststellung<br />
und mit <strong>der</strong> theoretischen Analyse von<br />
Arealen und Floren beschäftigt sich die allgemeine<br />
Arealkunde (auch Floristik o<strong>der</strong> Chorologie<br />
genannt).<br />
Gegenüber <strong>der</strong> rein statistisch definierten Flora<br />
bezeichnet man als Vegetation das geordnete,<br />
ökologisch kontrollierte Zusammenleben verschiedener<br />
Sippen am Wuchsort (quasi das „Integral“<br />
<strong>der</strong> dort anwesenden Flora). Die Erfassung<br />
und Klassifizierung von Vegetationseinheiten<br />
und die Untersuchung ihrer räumlichen<br />
und zeitlichen Ordnung sind Aufgaben <strong>der</strong> allgemeinen<br />
Vegetationskunde.<br />
Ein beson<strong>der</strong>er Faktor, dessen Bedeutung in<br />
den letzten Jahrhun<strong>der</strong>ten ständig zunimmt, ist<br />
<strong>der</strong> Einfluß des Menschen. Er hat sowohl die<br />
Flora als auch die Vegetation in großen Teilen<br />
<strong>der</strong> Erde nachhaltig verän<strong>der</strong>t und bedarf daher<br />
einer detaillierten Darstellung.
A Pflanzliche Bausteine und Umwelteinflüsse<br />
\i<br />
Die Pflanze und ihre<br />
Klassifizierung<br />
Für die Klassifizierung <strong>der</strong> Pflanzen gibt es zwei<br />
grundverschiedene Einteilungsprinzipien. Rein<br />
nach dem äußeren Habitus, <strong>der</strong> Physiognomie,<br />
kann man sogenannte Wuchs- o<strong>der</strong> Lebensformen<br />
unterscheiden. Exakte Analyse <strong>der</strong> Morphologie<br />
im weitesten Sinne, d. h. Feststellung<br />
und Vergleich aller erkennbaren Merkmale, fuhrt<br />
über die Kriterien <strong>der</strong> abgestuften Ähnlichkeit<br />
zum Natürlichen System des Pflanzenreiches als<br />
Ausdruck <strong>der</strong> durch die Evolution gegebenen<br />
Verwandtschaft.<br />
Pflanzensippen und Pflanzenreich<br />
Die botanische Systematik, ihre Methoden und<br />
Probleme sind nicht Thema dieser Darstellung.<br />
Definiert sei das häufig benutzte Wort Pflanzensippe<br />
(bzw. kurz Sippe): es ist eine allgemeine<br />
Bezeichnung für eine Einheit des Pflanzensystems<br />
ohne Berücksichtigung ihres Ranges in<br />
<strong>der</strong> taxonomischen Hierarchie. Die hier am häufigsten<br />
erwähnten Sippen sind Arten, Gattungen<br />
und Familien.<br />
Eine vereinfachte Übersicht über die Hauptgruppen<br />
des Pflanzenreiches gibt Tab. 1 (Näheres<br />
z. B. bei M elchior 1964, C ronquist 1981,<br />
Heywood 1982, Stewart 1983, Forr 1971, Hoek<br />
etc. 1993; vgl. auch Abb. 46, S. 124). Von ihnen<br />
sind in <strong>der</strong> Flora und Vegetation <strong>der</strong> Landoberfläche<br />
die Kormophyten dominierend,<br />
wobei die Physiognomie überwiegend von Samenpflanzen<br />
bestimmt wird. Die übrigen Gruppen<br />
können zwar physiologisch-ökologisch große<br />
Bedeutung haben (so Bakterien und Pilze),<br />
physiognomisch treten aber nur noch Moose<br />
und Flechten in Ausnahmefällen stärker in Erscheinung.<br />
Die Pflanzenwelt des Meeres wird<br />
hingegen von Algen beherrscht.<br />
Wuchs- und Lebensformen<br />
Gegenüber <strong>der</strong> Sippensystematik, die erst mit<br />
<strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Entwicklung <strong>der</strong> wissenschaftlichen<br />
Botanik seit dem 18. Jahrhun<strong>der</strong>t möglich<br />
wurde, ist die physiognomische Einteilung <strong>der</strong><br />
Pflanzen viel älter: schon seit Anbeginn <strong>der</strong><br />
sprachlichen Entwicklung <strong>der</strong> Menschheit entstanden<br />
physiognomische Bezeichnungen wie<br />
Baum, Strauch, Kraut. Die mo<strong>der</strong>ne Morphologie<br />
bzw. Ökologie hat solche Begriffe übernommen,<br />
neu definiert bzw. präzisiert, vermehrt<br />
und in Systeme gebracht (vgl. z. B. Rietz 1931,<br />
Rauh 1940, Schmithüsen 1968, Barkman 1988).<br />
Hierfür sind unterschiedliche Kriterien verwendbar,<br />
die entsprechend zu verschiedenen Glie<strong>der</strong>ungen<br />
führen. Zuweilen hat man versucht, alle<br />
Kriterien in einem Globalsystem zu vereinigen,<br />
doch fuhrt das zu extremer Unübersichtlichkeit,<br />
so daß es zweckmäßiger ist, mehrere Glie<strong>der</strong>ungen<br />
nebeneinan<strong>der</strong> bestehen zu lassen.<br />
Morphologisch begründete Kriterien für die<br />
Definition von Wuchsformen (Tab. 2) sind z. B.<br />
die Orientierung und Verteilung des Sproßsystems<br />
im Raume, die Gesamt-Lebensdauer, die<br />
Blühhäufigkeit o<strong>der</strong> die Verholzung <strong>der</strong> Achsen.<br />
Eine spezieller ökologisch definierte Glie<strong>der</strong>ung<br />
sind die sogenannten Lebensformen nach<br />
Raunkiaer (Abb. 1, Tab. 2.D). Dieses System,<br />
das seit seiner ersten Aufstellung (Raun-kiaer<br />
1904) viel benutzt und nach und nach erweitert<br />
wurde, basiert auf <strong>der</strong> ökologisch wichtigen Position<br />
<strong>der</strong> Überdauerungsknospen. Das ist zugleich<br />
sein Nachteil: es ist damit auf die Verhältnisse<br />
in <strong>der</strong> nördlichen gemäßigten Zone (d.<br />
h. einem Gebiet mit periodischem Klima) bezogen<br />
und daher in Gebieten ohne Klimaperiodizität<br />
(so in den feuchten Tropen) nur<br />
bedingt brauchbar.<br />
In einer sehr detaillierten Neubearbeitung haben<br />
Ellenberg & MOller-Dombois (1967b) versucht, tropische<br />
Lebensformen besser mit zu erfassen; für die<br />
Wuchsformen tropischer Gehölze ist außerdem die<br />
Klassifizierung von Hallé etc. (1978) grundlegend<br />
wichtig.
Die Pflanze und ihre Klassifizierung 3<br />
Tab. 1: Übersicht über das Pflanzenreich.<br />
Von den Nie<strong>der</strong>en Pflanzen sind nur die wichtigsten Gruppen angegeben.<br />
A = Abteilung, U.-A. = Unterabteilung, K = Klasse, U.-K. = Unterklasse; f = ausgestorben;<br />
[ 1= keine taxonomische, nur konventionelle Einheit.<br />
Taxonomische Einheit Deutscher Name bzw. Kurzbezeichnung Ungefähre Artenzahl<br />
Reich Procaryola<br />
Prokaryonten<br />
A Bacteria Bakterien 1600<br />
A Cyanophyceae Blaualgen 2000<br />
Reich Eucaryota<br />
Eukaryonten<br />
[Fungt\<br />
Pilze<br />
A Myxomycota Schleimpilze 700<br />
A Eumycota Echte Pilze 112000<br />
\Lichmes\<br />
Flechten (Symbiose Pilz/Alge)<br />
\Algae\<br />
Algen<br />
A Rhodophyta<br />
Rotalgen 4000<br />
A Chrysophyta<br />
K Ehaeophyceae Braunalgen 2000<br />
A Chlorophyta Grünalgen 8000<br />
A Bryophyta<br />
Moose<br />
K Anthocerotopsida Hornmoose 100<br />
K Hepaticae Lebermoose 5000<br />
K Musci Laubmoose 8000<br />
[Cormophyta]<br />
Kormophyten, Gefäßpflanzen<br />
A Pteridophyta<br />
Farnpflanzen<br />
K Psilophytopsida Urfarne (Psilophyten) t<br />
K Lycopodiopsida Bärlappartige (Lykophyten) 1000<br />
K Equisetopsida Schachtelhalmartige (Sphenophyten) 30<br />
K Etlicopsida<br />
Echte Farne (Pterophyten;<br />
inkl. Progymnospermen) 9000<br />
A Spermatophyta<br />
Samenpflanzen<br />
[U.-A. (Jymnospermae\ Nacktsamer<br />
K Pteridospermae Samenfarne t<br />
K Cycadopsida Cycadeen 120<br />
K Bennettitopsida Bennettiteen t<br />
K Pentoxylopüda Pentoxyleen t<br />
K Caytomopstda Caytonieen t<br />
K (Jlossoptendopsida Glossopterideen t<br />
K (Jzekanowskiopsida Czekanowskieen t<br />
K (Jmkgoopstda Ginkgoartige 1<br />
K Comjeropsida<br />
Koniferenartige<br />
U.-K. Lordaüidae Cordaiten t<br />
U.-K. Coniferae Koniferen, Nadelhölzer 600<br />
K Gnetopsida Gnetumartige 80<br />
U.-A. Angiospermae Blütenpflanzen 240000<br />
K Dicotyiedoneae<br />
Dikotylen<br />
K Monocotyledoneae Monokotylen
4 Pflanzliche Bausteine und Umwelteinflüsse<br />
Phanerophyt<br />
Therophyt<br />
9<br />
Helophyt<br />
Hydrophyten<br />
(Hemi-) (Eu-)<br />
Chamäphyten<br />
Abb. 1: Lebensformen nach Raunkiaer, modifiziert.<br />
Überdauernde Teile schwarz (vgl. Tab. 2.D). - Nach Raunkiaer 1904, Strasburger etc. 1991, Larcher 1994.<br />
Tab. 2: W uchsformen von Kormophyten.<br />
Nach diversen Quellen; zur Terminologie vgl. auch W agenitz 1996.<br />
• - ii.'/'-?* •-<br />
• .--r- ■
Die Pflanze und ihre Klassifizierung 5<br />
Forts. Tab. 2: Wuchsformen von Kormophyten.<br />
C<br />
Nach Orientierung und Verteilung des Sproßsystems im Raum<br />
Terrestrische: Im Boden wurzelnd, Blätter im Luftraum befindlich.<br />
Aufrechte: Hauptachse(n) negativ geotropisch wachsend, fest, freitragend; wenn mehrere, dann sich<br />
nicht gegenseitig stützend.<br />
Lianen: Achsen negativ geotropisch wachsend, aber nicht freitragend, son<strong>der</strong>n sich an ± vertikalen<br />
Unterlagen festhaltend.<br />
Schlinger: Die Hauptachse windet sich um die Unterlage.<br />
Rankenkletterer: Seitliche Organe winden sich um die Unterlage.<br />
Haftkletterer: Seitliche Organe befestigen sich mit ihrer rauhen Oberfläche an <strong>der</strong> Unterlage.<br />
Spreizkletterer: Die Pflanze stützt sich mit Wi<strong>der</strong>haken u.dgl. ab.<br />
Kriechende: Achsen nicht freitragend, dem Boden aufliegend, meist mit sproßbürtigen Wurzeln.<br />
Polsterpflanzen: Sprosse zahlreich, alle ± gleichartig, bodennahe, dicht aneinan<strong>der</strong>schließend und sich<br />
gegenseitig stützend.<br />
Rosettenpflanzen: Achse stark gestaucht, in o<strong>der</strong> unter Bodenniveau liegend, meist nur die Blätter<br />
sichtbar, die oft dem Boden aufliegen.<br />
Epiphyten: Nicht im Boden wurzelnd, son<strong>der</strong>n an<strong>der</strong>e Pflanzen u. dgl. als Unterlage benutzend (noch<br />
weiter unterteilbar wie die Terrestrischen).<br />
Aquatische (Wasserpflanzen): Photosyntheseorgane im Wasser (submers) o<strong>der</strong> an <strong>der</strong> Wasseroberfläche<br />
befindlich, Achsen vom Wasser getragen.<br />
Benthische: Auf dem Boden des Gewässers wurzelnd.<br />
Pelagische: Freischwimmend.<br />
D<br />
Nach Lage <strong>der</strong> (ggf.) ungünstige Jahreszeiten überdauernden Meristeme (Lebensformen nach<br />
R aunkiaer, modifiziert; Abb. 1)<br />
Phanerophyten: Oberirdischer Sproßzuwachs sich von Jahr zu Jahr addierend (vgl. B); Meristeme höher<br />
als 50 cm im freien Luftraum. Die Sproßachsen sind im Normalfall verholzt (= Bäume bzw. Sträucher),<br />
können aber auch krautig sein (Krautige Phanerophyten).<br />
Chamäphyten: Wie Phanerophyten, aber Meristeme höchstens 50 cm über dem Boden. Sproßachsen<br />
verholzt (= Zwergsträucher) o<strong>der</strong> krautig (Krautige Chamäphyten).<br />
Hemikryptophyten: Nur basale Sproßteile ausdauernd, oberirdische kurzlebig; Meristeme etwa in<br />
Bodenniveau.<br />
Geophyten: Meristeme nur an unterirdischen Organen. Nach diesen werden Rhizom-, Zwiebel-, Knollen-,<br />
Wurzelgeophyten unterschieden.<br />
Therophyten (= Sommerannuelle): Nur Samen bzw. Früchte überdauern.<br />
Helophyten: Sumpfpflanzen, photosynthetische Teile im Luftraum, überdauernde Meristeme unter<br />
Wasser.<br />
Hydrophyten: Wasserpflanzen, ± ganz im Wasser lebend, und zwar:<br />
Hemihydrophyten: Blätter an <strong>der</strong> Wasseroberfläche.<br />
Euhydrophyten: Völlig submers.<br />
Als Tropophyten faßt man nicht-annuelle Pflanzen in periodischen Klimaten zusammen, <strong>der</strong>en Aussehen<br />
sich im Laufe des Jahres wandelt, gewöhnlich durch den Verlust <strong>der</strong> Blätter o<strong>der</strong> weiterer oberirdischer<br />
Teile in <strong>der</strong> ungünstigen Jahreszeit (Sommergrüne/Regengrüne).
6 Pflanzliche Bausteine und Umwelteinflüsse<br />
2 Standortsökologie<br />
a<br />
Physiologische Ansprüche und<br />
Standort<br />
Das Verhalten <strong>der</strong> Pflanze in <strong>der</strong> Umwelt ist<br />
durch ihre physiologischen Ansprüche bedingt.<br />
Die autotrophe Landpflanze, mit <strong>der</strong> wir uns<br />
hier in erster Linie befassen, benötigt für ihre<br />
Existenz das Vorhandensein angemessener Mengen<br />
<strong>der</strong> folgenden Komponenten:<br />
Licht<br />
C O 2<br />
O 2<br />
Wärme<br />
Wasser<br />
Mineralstoffe.<br />
Diese „Lebensmittel“ sind ihr in verschiedener<br />
Form zugänglich: das Licht stammt aus <strong>der</strong> (direkten<br />
o<strong>der</strong> indirekten) Sonnenstrahlung, C O 2<br />
und O 2 entnimmt sie aus <strong>der</strong> Atmosphäre, Wärme<br />
teils ebenfalls aus dieser, teils direkt aus <strong>der</strong><br />
Strahlung, Wasser und Mineralstoffe im Normalfalle<br />
aus dem Boden. Näheres zu den<br />
ökophysiologischen Grundlagen vgl. bei Lar-<br />
CHER 1994 und Steubing etc. 1981.<br />
Wichtigstes Thema <strong>der</strong> <strong>Pflanzengeographie</strong><br />
ist die globale Differenzierung von Flora und<br />
Vegetation. Dementsprechend ist zu fragen, bei<br />
welchen <strong>der</strong> genannten Komponenten globale<br />
Unterschiede auftreten, die diese Differenzierung<br />
bewirken. Bei den Gasen C O j und O 2 ist<br />
das nicht <strong>der</strong> Fall: sie sind überall gleichmäßig<br />
verteilt. Der Gehalt an Mineralstoffen ist vom<br />
Boden abhängig und infolgedessen eher lokal<br />
als global verschieden. Beim Licht gibt es zwar<br />
große globale Unterschiede bezüglich <strong>der</strong> Tageslänge,<br />
die auch starken Einfluß auf das Verhalten<br />
<strong>der</strong> Einzelpflanze haben können (Kurz-,<br />
Langtagspflanzen); ein Einfluß auf die globale<br />
Floren- und Vegetationsglie<strong>der</strong>ung ist aber (zumindest<br />
rezent) nicht erkennbar. Es bleiben die<br />
Faktoren W ärm e und Wasser. Beide sind auf<br />
<strong>der</strong> Erde sehr ungleich verteilt; wieviel von ihnen<br />
an einem Ort verfügbar ist, hängt vom jeweiligen<br />
Klima ab. Die Großgliedemng <strong>der</strong> Flora<br />
und Vegetation <strong>der</strong> Erde ist also durch das Klima<br />
mit seinen beiden Komponenten Temperatur<br />
und Feuchtigkeit bedingt.<br />
Wieviel Licht, Wärme, Wasser und Mineralstoffe<br />
<strong>der</strong> Einzelpflanze bzw. dem Einzelbestand<br />
an ihrem Wuchsort zur Verfügung stehen, wird<br />
aber nicht nur durch das Klima, son<strong>der</strong>n durch<br />
weitere Faktoren anorganischer und organischer<br />
Natur bestimmt, die das Wachstum auch noch<br />
in an<strong>der</strong>er Hinsicht beeinflussen können. Alle<br />
diese Umwelteinflüsse bezeichnet man als<br />
Standortsfaktoren, die Gesamtheit ihrer Wirkungen<br />
auf die Pflanze bzw. den Bestand als<br />
Standort (zu unterscheiden von den Begriffen<br />
W uchsort und Fundort, mit denen allein <strong>der</strong><br />
geographische Punkt des Vorkommens gemeint<br />
ist). Die vielfältigen Standortsfaktoren lassen sich<br />
in drei Gmppen unterglie<strong>der</strong>n: klimatische, biotische<br />
und edaphische (Tab. 3).<br />
Tab. 3: Standortsfaktoren.<br />
Klimatische (Groß- und Mesoklima)<br />
Temperatur<br />
Nie<strong>der</strong>schlag<br />
Einstrahlung<br />
Biotische (an<strong>der</strong>e Lebewesen, z. B.:)<br />
Konkurrenten<br />
Feinde<br />
Parasiten<br />
Symbionten<br />
Beschützer, z. B. gegen<br />
Freßfeinde<br />
Austrocknung<br />
Bestäuber<br />
Diasporen-Verbreiter<br />
Edaphische (i. w. S., z. B.:)<br />
Boden:<br />
Struktur<br />
Chemismus (einschl. pH)<br />
Wasserhaushalt<br />
Geländesituation<br />
Mikroklima<br />
Weitere Einflüsse auf die Flora und Vegetation<br />
gehen vom Menschen aus. Die Einwirkung des<br />
Menschen zeigt drei verschiedene Dimensionen:<br />
er ist (1) selbst biotischer Standortsfaktor, (2)<br />
Beeinflusser <strong>der</strong> übrigen Faktoren, (3) Erzeuger<br />
neuer, in <strong>der</strong> Natur so nicht vorkommen<strong>der</strong><br />
Zustände.
Standortsökologie 7<br />
b<br />
Wirkung <strong>der</strong> global<br />
differenzierenden Faktoren<br />
Von den beiden maßgebenden Klimakomponenten,<br />
<strong>der</strong> thermischen und <strong>der</strong> hygrischen, ist<br />
die Wärme die übergeordnete: das großklimatisch<br />
bedingte Angebot an Wasser läßt sich leicht durch<br />
lokale, edaphische Einflüsse grundlegend verän<strong>der</strong>n,<br />
das an Wärme hingegen kaum.<br />
Wärme<br />
Die Wärme, bzw. ihre Meßgröße, die Temperatur,<br />
wirkt in zweierlei Weise auf das Leben <strong>der</strong><br />
Pflanzen ein: einerseits durch Beeinflussung <strong>der</strong><br />
wichtigsten Lebensvorgänge wie Photosynthese<br />
und Atmung, an<strong>der</strong>erseits durch Schädigung <strong>der</strong><br />
lebenden Substanz bei <strong>der</strong> Über- o<strong>der</strong> Unterschreitung<br />
bestimmter Extremwerte.<br />
Photosynthese und Atmung sind chemische<br />
Prozesse und damit temperaturabhängig. Beide<br />
kommen erst bei einer bestimmten Mindesttemperatur<br />
in Gang und steigen dann mit zunehmenden<br />
Temperaturen an. Während <strong>der</strong> Anstieg<br />
bei <strong>der</strong> Atmung in Form einer Exponentialkurve<br />
erfolgt, entspricht er bei <strong>der</strong> Photosynthese einer<br />
Sättigungskurve, da <strong>der</strong> COj-Gehalt <strong>der</strong> Luft<br />
als Minimumfaktor dämpfend wirkt. Die Nettophotosynthese<br />
o<strong>der</strong> Stoffbilanz, d. h. die Menge<br />
<strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Photosynthese erzeugten Substanz<br />
abzüglich <strong>der</strong> im gleichen Zeitraum durch Atmung<br />
verbrauchten, stellt sich demzufolge in<br />
Form einer Optimumskurve dar (Abb. 2). Für<br />
die Gesamtheit <strong>der</strong> höheren Landpflanzen liegt<br />
<strong>der</strong>en Optimumsbereich zwischen -t-10 und<br />
-1-35 °C und ist damit recht breit (bei den einzelnen<br />
Arten ist er schmäler, entsprechend den<br />
in ihrem Wuchsraum herrschenden Bedingungen).<br />
Liegt die Temperatur ober- o<strong>der</strong> unterhalb<br />
des Optimumsbereichs, so ist die Nettoproduktion<br />
herabgesetzt; ist das über längere Zeit<br />
<strong>der</strong> Fall, so kann das Wachstum zum Erliegen<br />
kommen und das Vorkommen <strong>der</strong> betr. Sippe<br />
auf die Dauer unmöglich werden.<br />
Niedriger liegt das Optimum bei manchen Kryptogamen<br />
extremer Standorte; so werden für Flechtenarten<br />
in <strong>der</strong> Antarktis Werte von 5 bis 8 °C angegeben, und<br />
eine positive Stoffbilanz ist hier sogar bei Temperaturen<br />
bis unter -10 °C möglich.<br />
Neben dem Optim um sbereich <strong>der</strong> N ettophotosynthese<br />
gibt es für jede Pflanzensippe<br />
einen wesentlich weiteren thermischen Toleranzbereich,<br />
in dem zumindest mittelfristiges<br />
Überleben möglich ist. Werden dessen Temperaturgrenzen<br />
überschritten, so kommt es zu<br />
Schädigungen, die meist auf Membrandegeneration<br />
in den Zellen und Störung des Eiweißstoffwechsels<br />
beruhen. Sie betreffen die einzelnen<br />
Zellsorten und Gewebe <strong>der</strong> Pflanze in<br />
unterschiedlichem Maße; doch kann schon das<br />
Absterben ein es wichtigen Gewebetyps für die<br />
ganze Pflanze letal wirken.<br />
Hitzeschäden können bei Temperaturen ab<br />
etwa 45 °C auftreten; 60 °C und mehr sind zumindest<br />
für die Blätter <strong>der</strong> meisten höheren<br />
Pflanzen letal. Solche Temperaturen treten in<br />
<strong>der</strong> Luft nur selten auf (in Libyen und Mexiko<br />
wurden bis zu 58 °C gemessen) und auch dann<br />
meist nur kurzzeitig. Allerdings kann infolge<br />
direkter Sonneneinstrahlung die Temperatur von<br />
Blättern bis zu 20 °C über die <strong>der</strong> Luft ansteigen.<br />
Als Anpassungen, die eine solche Überhitzung<br />
verhin<strong>der</strong>n können, werden angegeben:<br />
• Steilstellen <strong>der</strong> Blätter (z. B. Eucalyptus)<br />
• Glänzende, reflektierende Blattoberflächen<br />
Abb. 2: Temperaturbereich des<br />
Lebens höherer Pflanzen.
8 Pflanzliche Bausteine und Umwelteinflüsse<br />
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• Behaarung mit toten, lufterfüllten Haaren,<br />
die zugleich Reflexion und Isolation bewirken<br />
• Transpirationskühlung.<br />
Die letztgenannte, die in Lehrbüchern oft als wichtige<br />
Nebenwirkung <strong>der</strong> Transpiration angegeben wird, hat<br />
in Wirklichkeit nur geringe Bedeutung, da in Gebieten<br />
mit extrem hohen Temperaturen meist zugleich<br />
so starker Wasserstreß herrscht, daß eine uneingeschränkte<br />
Transpiration gar nicht möglich ist. Ausnahmen<br />
sind Fälle, in denen die Pflanze eine Verbindung<br />
zum Grundwasser hat.<br />
Insgesamt ist zu konstatieren, daß Schäden<br />
durch zu hohe Temperaturen keinen erkennbaren<br />
Einfluß auf die globale Floren- und Vegetationsglie<strong>der</strong>ung<br />
haben. Das Fehlen von Pflanzensippen<br />
in sehr heißen Gebieten beruht gewöhnlich<br />
auf <strong>der</strong> damit verbundenen Trockenheit.<br />
Umso größer ist die Wirkung von Kälteschäden.<br />
Die Amplitude <strong>der</strong> Temperaturen, die<br />
solche Schäden verursachen können, ist sehr<br />
groß: während manche Sippen tropischer Verbreitung<br />
schon bei etwa -F5 °C abzusterben beginnen,<br />
gibt es an<strong>der</strong>e, die selbst die am Kälte<br />
pol <strong>der</strong> Nordhalbkugel auftretenden -7 0 °C<br />
ungeschädigt überstehen. Einen Überblick über<br />
das Auftreten von Frosttemperaturen auf <strong>der</strong><br />
Erde gibt Abb. 3.<br />
Nach <strong>der</strong> Art <strong>der</strong> Wirkung, die die Schädigung<br />
hervorruft, unterscheidet man Erkältungsschäden<br />
und Frostschäden. Erkältungsschäden<br />
entstehen bei Temperaturen über dem Gefrierpunkt<br />
bzw. bei geringen Frostgraden im Außenmilieu,<br />
ohne daß es in <strong>der</strong> Pflanze selbst zur<br />
Bildung von Eis kommt (da das in <strong>der</strong> Pflanze<br />
vorhandene Wasser nicht chemisch rein und außerdem<br />
meist noch matrikal gebunden ist, liegt<br />
sein Gefrierpunkt in jedem Fall tiefer als 0 °C).<br />
Eigentliche Frostschäden werden durch Eisbildung<br />
im Innern <strong>der</strong> Pflanze hervorgerufen;<br />
diese kann sowohl innerhalb <strong>der</strong> lebenden Zellen<br />
als auch außerhalb <strong>der</strong>selben in wasserdurchtränkten<br />
Zellwänden und in Leitelementen erfolgen.<br />
Das in <strong>der</strong> Pflanze vorhandene Eis verstärkt<br />
die oben skizzierten Schädigungen durch<br />
Wasserentzug; in <strong>der</strong> lebenden Zelle selbst plötzlich<br />
entstehende Eiskristalle können außerdem<br />
die Feinstruktur <strong>der</strong> Zelle mechanisch schädigen.<br />
:'V *r--'" n,<br />
'<br />
.^r-H-/'<br />
Abb. 3: Auftreten von Frösten auf <strong>der</strong> Erde.<br />
1 frostfrei, 2 Fröste bis -10 °C, 3 mittlere Minima bis -<br />
1994, verän<strong>der</strong>t.<br />
°C, 4 dsgl. unter -40 °C, 5 Polareis. - Aus Larcher<br />
‘ „ * ■
Standortsökologie 9<br />
Wie auch bei an<strong>der</strong>en ökologischen Streßfaktoren,<br />
gibt es zwei Strategien zum Schutz<br />
gegen Schädigungen durch Kälte: die Kältevermeidung,<br />
und die Entwicklung einer wirklichen<br />
Kälteresistenz.<br />
Die Kältevermeidung besteht darin, daß die<br />
Pflanze dafür sorgt, daß sie bzw. zumindest ihre<br />
empfindlichsten Teile (im Normalfalle die physiologisch<br />
beson<strong>der</strong>s aktiven Blätter) den schädigenden<br />
Temperaturen gar nicht ausgesetzt<br />
wird. Typische Anpassungen dieser Art sind <strong>der</strong><br />
Abwurf <strong>der</strong> Blätter (sommergrüne Gehölze) o<strong>der</strong><br />
aller oberirdischen Teile (Geophyten), o<strong>der</strong> aber<br />
das völlige vegetative Absterben und die<br />
Überdauerung als im Zustand latenten Lebens<br />
befindliche Samen (Therophyten). Solche Verhaltensweisen<br />
sind allerdings auf Gebiete mit<br />
periodischem Klima beschränkt, in dem die zu<br />
tiefen Temperaturen zwar längere Zeit andauern<br />
können, aber nur einen bestimmten Teil des<br />
Jahres betreffen. Treten kritische Temperaturen<br />
stets nur kurzzeitig auf (z. B. als Nachtfröste in<br />
tropischen Gebirgslagen), so kann bereits eine<br />
Isolierung durch starke Behaarung ausreichen,<br />
um das Eindringen <strong>der</strong> Kälte in das lebende<br />
Gewebe zu verhin<strong>der</strong>n.<br />
Von echter Kälteresistenz spricht man, wenn<br />
Anpassungen vorliegen, die das Überleben <strong>der</strong><br />
tatsächlich auf die Zellen einwirkenden Tieftemperaturen<br />
erlauben. Es handelt sich hierbei<br />
um äußerlich nicht erkennbare, konstitutionelle<br />
physiologische Eigenschaften, die von den<br />
einzelnen Sippen in unterschiedlichem Ausmaße<br />
erworben o<strong>der</strong> nicht erworben wurden. Entsprechend<br />
<strong>der</strong> Unterteilung <strong>der</strong> Kälteschäden<br />
läßt sich auch hier zwischen Erkältungs- und<br />
Frostresistenz differenzieren.<br />
Erkältungsresistenz liegt vor, wenn alle Temperaturen<br />
bis direkt vor <strong>der</strong> beginnenden Eisbildung<br />
ohne Schaden ertragen werden. Diese<br />
Eigenschaft fehlt vielen tropischen Sippen, die<br />
eben deswegen auf die Tropen beschränkt sind.<br />
Viele Pflanzen nutzen die Erkältungsresistenz<br />
aus, um im Sinne einer Vermeidungsstrategie<br />
(„Eisvermeidung“) auch mäßige Fröste im<br />
Außenmilieu zu überstehen, ohne wirklich frostresistent<br />
zu sein. Das geschieht u. a. durch eine<br />
stärkere Gefrierpunktemiedrigung des Zellsaftes<br />
mit Hilfe einer aktiven Erhöhung seiner Konzentration,<br />
beson<strong>der</strong>s des Zuckergehaltes. Auf<br />
diese Weise können Fröste bis zu etwa -1 2 °C<br />
ohne Eisbildung in <strong>der</strong> Pflanze überstanden<br />
werden (bekanntes Beispiel ist Olea europaea, die<br />
bei beginnen<strong>der</strong> Eisbildung sofort geschädigt<br />
wird).<br />
Bei <strong>der</strong> wirklichen Frostresistenz (auch „Eisbeständigkeit“<br />
genannt) ist das Protoplasma befähigt,<br />
die Wirkungen <strong>der</strong> Eisbildung in <strong>der</strong><br />
Pflanze unbeschädigt zu überstehen; das jedoch<br />
nicht unbegrenzt, son<strong>der</strong>n nur bis zum Eintreten<br />
bestimmter, sehr unterschiedlicher Minimaltemperaturen.<br />
Wie schon angedeutet, sind die<br />
ohne Schaden ertragenen Temperaturen auch in<br />
den einzelnen Geweben und Organen <strong>der</strong>selben<br />
Pflanze recht unterschiedlich (Abb. 4). Außerdem<br />
wechseln sie im Laufe des Jahres: in<br />
Gebieten mit thermischen Jahreszeiten ist echte<br />
Frostresistenz nur im Winter vorhanden. Im<br />
Sommer sind die Pflanzen nur erkältungsresistent,<br />
was zur Folge hat, daß etwa im Mai<br />
auftretende Spätfröste von wenigen Minusgraden<br />
zu starken Schäden führen können. Zum<br />
Herbst hin erfolgt eine zunehmende „Abhärtung“,<br />
die anscheinend sowohl durch die sinkenden<br />
Temperaturen als auch durch die abnehmende<br />
Tageslänge induziert sein kann.<br />
Abb. 4: Differenzierte Frostresistenz in versehiedenen<br />
Teilen von Acer pseudoplatanus im Winter (abgehärtet)<br />
und in <strong>der</strong> Vegetationsperiode (nicht abgehärtet).<br />
Aus Larch ER 1994.
10 Pflanzliche Bausteine und Umwelteinflüsse<br />
Neben den bisher behandelten direkten<br />
Kälteschäden gibt es auch indirekte Schädigungen,<br />
nämlich durch die sogenannte Frosttrocknis.<br />
Sie besteht darin, daß an sich frostresistente<br />
Pflanzen bei anhaltendem Frost, vor allem in<br />
Verbindung mit intensiver Sonneneinstrahlung,<br />
Wasser verlieren, das infolge des gefrorenen<br />
Bodens nicht ersetzt werden kann: es kommt<br />
also zum Vertrocknen, beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong> Blätter<br />
(Schutzmaßnahmen hiergegen sind die gleichen<br />
wie bei Wasserstreß).<br />
Während die verschiedenen Formen kältebedingter<br />
Schäden theoretisch klar zu trennen<br />
sind, ist in <strong>der</strong> Praxis oft schwer zu ermitteln,<br />
welche Wirkungsweise im Einzelfall ausschlaggebend<br />
war. Ohne Differenzierung <strong>der</strong> Ursachen<br />
bezeichnet man als „Frosthärte“ gewöhnlich die<br />
Minustemperatur, die gerade noch ohne größere<br />
Schäden ertragen wird. Allgemein ist festzustellen,<br />
daß die Blätter <strong>der</strong> Angiospermen nur<br />
selten eine Frosthärte entwickelt haben, die wesentlich<br />
unter -1 5 °C geht (eine Ausnahme bilden<br />
viele Ericaceen). Sehr viel tiefere Frostgrade<br />
ertragen die xeromorphen Nadelblätter einiger<br />
Koniferen.<br />
Wasser<br />
Das Wasser ist für das Pflanzenleben von größter<br />
Bedeutung: es ist nicht nur <strong>der</strong> mengenmäßig<br />
wichtigste Baustoff <strong>der</strong> lebenden Substanz<br />
(Protoplasma 70-90 %, gesamte lebende Pflanzenzelle<br />
> 90 % HjO), son<strong>der</strong>n auch Nährstoff<br />
(bei <strong>der</strong> Photosynthese) und Transportmittel für<br />
gelöste Substanzen.<br />
Den wasserbewohnenden Vorfahren <strong>der</strong> höheren<br />
Pflanzen stand Wasser in unbegrenzter<br />
Menge zur Verfügung. An<strong>der</strong>s bei den Landpflanzen:<br />
sie leben im Luftraum, <strong>der</strong> fast immer<br />
ein starkes Wassersättigungsdefizit aufweist,<br />
und verlieren infolgedessen fast dauernd Wasser;<br />
dieser Wasserverlust ist die Transpiration.<br />
Die Bewältigung <strong>der</strong> durch die Transpiration<br />
drohenden Schäden war das größte Problem bei<br />
<strong>der</strong> Entstehung <strong>der</strong> Landpflanzen. Auch hierfür<br />
wurden die beiden unterschiedlichen Strategien<br />
<strong>der</strong> Vermeidung und <strong>der</strong> echten Resistenz<br />
angewandt. Dementsprechend sind zwei Typen<br />
des Wasserhaushaltes zu unterscheiden.<br />
Beim passiven Wasserhaushalt sind die Zellen<br />
resistent gegen Wasserverlust. Ihr Wassergehalt<br />
steht im Gleichgewicht mit dem <strong>der</strong> Umgebung,<br />
d. h. mit <strong>der</strong> relativen Luftfeuchte. Nur<br />
wenn diese sehr hoch ist (o<strong>der</strong> die Pflanze direkt<br />
mit flüssigem Wasser benetzt wird), ist aktives<br />
Leben möglich; bei Austrocknung gehen die<br />
Zellen in einen Zustand latenten Lebens über.<br />
Da eine genügend hohe Luftfeuchte fast überall<br />
nur ziemlich kurzzeitig eintritt, hat diese Strategie<br />
den Nachteil, daß nur schwache Wuchsleistungen<br />
möglich sind. Pflanzen mit solchem<br />
Verhalten, die auch poikilohydrisch heißen,<br />
erreichen daher nur geringe Größen und haben<br />
in <strong>der</strong> Vegetation nur eine geringe Bedeutung.<br />
Zu ihnen gehören neben einigen an <strong>der</strong> Luft<br />
lebenden Algen vor allem Moose und Flechten<br />
(von Kormophyten nur wenige, physiologisch<br />
aberrante Sippen).<br />
Die große Mehrzahl <strong>der</strong> Kormophyten, d. h.<br />
<strong>der</strong> typischen Landpflanzen, sind hingegen<br />
homoiohydrisch, sie haben einen aktiven Wasserhaushalt.<br />
Ihre Zellen vertragen keine stärkere<br />
Entwässerung. Um diese zu verhin<strong>der</strong>n, mußte<br />
eine Reihe von Schutzanpassungen entwikkelt<br />
werden, die den typischen anatomisch-physiologischen<br />
Merkmalskomplex <strong>der</strong> Kormophyten<br />
(Landpflanzen-Syndrom) bilden. Zunächst<br />
ist eine möglichst gute Abdichtung nach außen<br />
notwendig, <strong>der</strong> die im Prinzip lückenlose Epi<strong>der</strong>mis<br />
mit <strong>der</strong> Kutikula dient. Der Abschluß<br />
darf jedoch nicht vollständig sein: regelbare<br />
Durchlässe, die Spaltöffnungen (Stomata), sorgen<br />
dafür, daß das für die Photosynthese notwendige<br />
C O 2 (ebenso das O 2 für die Atmung)<br />
in die Pflanze gelangt. Das hierbei (durch „stomatäre<br />
Transpiration“) und ebenso durch die<br />
nicht völlig wasserdichte Kutikula („kutikuläre<br />
Transpiration“) zwangsläufig doch verlorengehende<br />
Wasser wird durch ein Wasserleitungssystem,<br />
das Xylem, ersetzt, dem es aus dem Boden<br />
mit Hilfe eines Aufnahmeorgans, <strong>der</strong> Wurzel,<br />
zugeführt wird. Auf diese Weise wird im Innern<br />
<strong>der</strong> Pflanze permanent ein bestimmter Wasserzustand<br />
(Hydratur) aufrechterhalten, <strong>der</strong> ein<br />
ununterbrochenes aktives Leben erlaubt und damit<br />
letztlich die Grundlage <strong>der</strong> erfolgreichen Erobemng<br />
des Landes durch die Kormophyten ist.<br />
Die ersten größeren Landpflanzen lebten<br />
unter Umweltbedingungen, die durch ein reiches<br />
Wasserangebot (sowohl in klimatischer als<br />
auch in edaphischer Hinsicht) die Aufrechterhaltung<br />
<strong>der</strong> Hydratur relativ leicht machten.<br />
Seither wurden jedoch immer trockenere Standorte<br />
besiedelt, so daß viele Pflanzensippen zeitweilig<br />
o<strong>der</strong> längerfristig unter Wasserstreß leiden.
Standortsökologie 11<br />
Von Wasserstreß kann man sprechen, wenn<br />
bei uneingeschränkter Transpiration (d. h. offenen<br />
Stomata) mehr Wasser verloren geht, als aus<br />
dem Boden nachgeleitet werden kann. Das Defizit<br />
in <strong>der</strong> Nachleitung kann zwei Ursachen<br />
haben: zu geringe Leitungskapazität, o<strong>der</strong> zu<br />
geringer Bodenwassergehalt.<br />
Die erste Ursache liegt meistens bei kurzzeitigem<br />
Wasserstreß vor, wie er oft täglich zur Zeit<br />
<strong>der</strong> höchsten Strahlungsintensität eintritt. Die<br />
Pflanze hilft sich hiergegen durch vorübergehenden<br />
Spaltenschluß; Folge ist die bekannte, bei<br />
<strong>der</strong> Messung von Transpirations-Tagesgängen<br />
häufig gefundene „Mittagsdepression“.<br />
Länger anhalten<strong>der</strong> Wasserstreß infolge Wassermangels<br />
im Boden tritt bei sehr trockenen<br />
Klima- o<strong>der</strong> Witterungsbedingungen auf (kann<br />
aber auch durch extreme Flachgründigkeit des<br />
Bodens bedingt sein, z. B. auf Felsuntergrund).<br />
Er führt im Prinzip zu langfristigem Spaltenschluß<br />
und damit letztlich zur Drosselung <strong>der</strong><br />
Photosynthese, d. h. <strong>der</strong> Produktion. Sind die<br />
ungünstigen Bedingungen jahreszeitlich begrenzt<br />
(Trockenzeit), so können ähnliche Vermeidungsstrategien<br />
wie beim Winter auftreten:<br />
Abwurf <strong>der</strong> Blätter, Zurückziehen in den Boden,<br />
Überdauern als Samen.<br />
Solche Maßnahmen sind jedoch unwirksam,<br />
wenn Wasserstreßperioden über das ganze Jahr<br />
verteilt sind o<strong>der</strong> (zumindest in <strong>der</strong> thermisch<br />
bedingten Vegetationsperiode) ununterbrochen<br />
andauern. Unter solchen Bedingungen lebende<br />
Pflanzen haben stärkere Anpassungen entwikkelt,<br />
die die Aufrechterhaltung nicht nur <strong>der</strong><br />
Hydratur, son<strong>der</strong>n auch einer gewissen Photosyntheseleistung<br />
gewährleisten. Nach den Anpassungsstrategien,<br />
die diese Dürreresistenz<br />
bewirken, unterscheidet man Xerophyten und<br />
Sukkulenten.<br />
Beide Gruppen benötigen eine effektive Abdichtung<br />
nach außen: sehr dichte Kutikula und<br />
gut schließende Spaltöffnungen. Bei den Sukkulenten,<br />
die unter Klimabedingungen mit zwar<br />
sehr kurzer, aber regelmäßig periodischer Regenzeit<br />
auftreten, wird das Überleben <strong>der</strong> Trockenzeit<br />
durch Wasserspeicherung gesichert. Sie erfolgt<br />
in großen Parenchymkomplexen, die zu<br />
einer Verdickung bzw. Abrundung <strong>der</strong> betroffenen<br />
Pflanzenteile führen (die resultierende Verkleinerung<br />
<strong>der</strong> Oberfläche im Verhältnis zum<br />
Volumen bewirkt zugleich eine relative Herabsetzung<br />
<strong>der</strong> kutikulären Transpiration). Entsprechend<br />
den O rganen , in denen das W asserspeichergewebe<br />
auftritt, gibt es Blatt- und<br />
Stammsukkulenten; die Ausbildung <strong>der</strong> Sukkulenz<br />
ist ein klassisches Beispiel für gleiche Physiognomie<br />
bei Sippen unterschiedlicher Verwandtschaft<br />
infolge konvergenter ökologischer<br />
Anpassung. Das Wurzelsystem größerer Sukkulenten<br />
ist meist differenziert in wenige tiefgehende,<br />
<strong>der</strong> Befestigung dienende Pfahlwurzeln<br />
und ein flaches, weit ausgedehntes Wurzelwerk<br />
dicht unter <strong>der</strong> Bodenoberfläche, das bei einsetzenden<br />
Regenfällen möglichst rasch viel Wasser<br />
aufhehmen kann. Bei den meisten Sukkulenten<br />
ist die Wasserspeicherung mit einer zweiten,<br />
spezielleren Anpassung verbunden: sie haben<br />
den Typ <strong>der</strong> CAM-Photosynthese. Hierbei<br />
müssen die Stomata zur C02-Aufnahme nur<br />
nachts geöffnet werden, so daß ein Stoffgewinn<br />
bei minimalem Wasserverlust möglich ist.<br />
Bei den Xerophyten (Xerom orphen) wird<br />
die Dürreresistenz ohne Wasserspeicherung erreicht.<br />
Mittel hierzu sind einerseits eine noch<br />
stärkere Verhin<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Transpiration, an<strong>der</strong>erseits<br />
eine sehr ausgeprägte Fähigkeit zur Wasseraufhahme<br />
aus dem Boden. Letztere wird erm<br />
öglicht durch ein umfangreiches, tiefreichendes<br />
Wurzelsystem, das um ein Vielfaches<br />
größer sein kann als <strong>der</strong> oberirdische Teil <strong>der</strong><br />
Pflanze. An letzterem, zumindest an seinen grünen<br />
Abschnitten, ist zumeist ähnlich wie bei den<br />
Sukkulenten das Verhältnis Oberfläche zu Volumen<br />
verkleinert: die Blätter sind relativ dick<br />
und durch starke Sklerenchymanteile hart („hartlaubig“,<br />
„sklerophyll“), so daß sie auch bei starkem<br />
Wasserentzug nicht welken, o<strong>der</strong> sie sind<br />
ganz reduziert und die Photosynthese erfolgt in<br />
<strong>der</strong> Sproßachse. Das Chlorenchym (photosynthetisch<br />
tätige Gewebe) besteht meist nicht<br />
nur aus einer Palisadenschicht, son<strong>der</strong>n aus<br />
mehreren übereinan<strong>der</strong> (infolge <strong>der</strong> in Trockengebieten<br />
intensiven Einstrahlung gelangt auch<br />
in die tieferen Schichten noch genügend Licht).<br />
Die Kutikula ist oft noch durch Wachsüberzüge<br />
verstärkt, o<strong>der</strong> ein dichtes, aus toten lufterfüllen<br />
Zellen bestehendes Haarkleid schirmt sie vom<br />
offenen Luftraum ab, so daß verdunstendes<br />
Wasser nicht so schnell abgeführt wird. Dem<br />
gleichen Ziel dient die häufig auftretende Einsenkung<br />
des Spaltöffnungen; diese sind meist in<br />
sehr großer Zahl vorhanden, so daß bei ausnahmsweise<br />
eintretenden günstigen Bedingungen rasch<br />
eine intensive Photosynthese möglich ist.<br />
Insgesamt ist die äußere Konsistenz <strong>der</strong> Pflanzen,<br />
beson<strong>der</strong>s ihrer photosynthetisch aktiven
12 Pflanzliche Bausteine und Umwelteinflüsse<br />
Teile, sehr stark durch den Wasserfaktor bestimmt.<br />
Man unterscheidet dementsprechend<br />
eine Reihe von „morphologischen Wasserhaushaltstypen“:<br />
neben den besprochenen Sukkulenten<br />
und Xeromorphen gibt es noch Mesomorphe,<br />
die zwar einen guten Verdunstungsschutz,<br />
aber wenig Festigungsgewebe haben und<br />
daher bei stärkerem Wasserstreß welken, und<br />
Hygromorphe mit kaum entwickeltem Verdunstungsschutz,<br />
die auf dauernd hohe Luftfeuchte<br />
angewiesen sind.<br />
c<br />
Maßgebliche Klimawerte und ihre<br />
Darstellung<br />
Wie ausgefuhrt, ist die ökologische Grundlage<br />
<strong>der</strong> Großglie<strong>der</strong>ung von Flora und Vegetation<br />
die globale Differenzierung des Klimas. Für diese<br />
haben Geographen und Klimatologen eine Reihe<br />
verschiedener Glie<strong>der</strong>ungen entworfen, die<br />
hier nicht erörtert werden sollen (manche von<br />
ihnen basieren ihrerseits großenteils auf <strong>der</strong><br />
Vegetationsglie<strong>der</strong>ung).<br />
Will man die Verbreitung und Abgrenzung<br />
von Florenelementen und Vegetationstypen im<br />
Detail auf ihre klimatischen Ursachen zurückführen,<br />
so muß man auf die von <strong>der</strong> Meteorologie<br />
gelieferten Klimawerte zurückgreifen. Wie<br />
später noch näher ausgeführt werden wird, sind<br />
hierfür vor allem die folgenden Daten von Bedeutung:<br />
• die Zeit mit Temperaturmitteln über<br />
-1-10 °C („Sommerlänge“)<br />
das absolute Minimum <strong>der</strong> Temperatur<br />
• die Humidität bzw. Aridität.<br />
Die beiden thermischen Komponenten, die die<br />
Dauer des für die Stoffproduktion optimal nutzbaren<br />
Zeitraums bzw. das Auftreten für bestimmte<br />
Sippen letaler Tieftemperaturen anzeigen,<br />
bieten dabei keine Probleme. Schwierig ist aber<br />
eine adäquate Ermittlung und Darstellung des<br />
hygrischen Faktors. Die „Humidität“ des Klimas,<br />
die für das <strong>der</strong> Pflanzenwelt zur Verfügung stehende<br />
Wasserangebot verantwortlich ist, hängt<br />
von drei verschiedenen Klimamerkmalen ab: <strong>der</strong><br />
Menge <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>schläge, ihrer jahreszeitlichen<br />
Verteilung und den zugleich herrschenden Temperaturen.<br />
Alle drei variieren un-abhängig voneinan<strong>der</strong>,<br />
so daß einerseits die verschiedensten<br />
Kombinationen möglich sind, an<strong>der</strong>erseits aber<br />
auch dieselbe Wirkung durch unterschiedliche<br />
Kombinationen erreicht werden kann. Diese<br />
Schwierigkeit hat man durch die Berechnung<br />
sogenannter Klimaindizes, in die alle drei Komponenten<br />
eingehen, zu meistern versucht. Doch<br />
sind die so ermittelten Zah-lenwerte insofern unbefriedigend,<br />
als sie erstens allgemein unanschaulich<br />
sind und zweitens die ihnen zugrundeliegenden<br />
konkreten Werte nicht mehr erkennen<br />
lassen.<br />
Beide genannten Nachteile lassen sich durch<br />
eine kombinierte grafische Darstellung vermeiden,<br />
wie sie in den auf Gaussen zurückgehenden,<br />
von W alter weltweit eingeführten (W alter<br />
etc. 1960f) Klimadiagrammen vorliegt. Diese<br />
eigens für ökologische Zwecke konzipierten,<br />
zahlreiche Informationen in übersichtlicher<br />
Form darbietenden Diagramme (Abb. 5) werden<br />
auch im vorliegenden Text verwendet. Speziell<br />
hervorgehoben sei dabei schon hier <strong>der</strong><br />
wichtige Begriff <strong>der</strong> „Dürrezeit“, <strong>der</strong> stets in dem<br />
von W alter definierten Sinne (m in Abb. 5)<br />
benutzt wird.
Standortsökologie 13<br />
ODESSA (7 0 m )<br />
DOUALA (13 m )<br />
MO)<br />
B Verbreitungsökologie<br />
Nehmen wir an, irgendwo auf <strong>der</strong> Erde sei eine<br />
neue Pflanzensippe entstanden. Sie hat eine<br />
Reihe genetisch fixierter Eigenschaften, von denen<br />
für uns zwei Gruppen von Interesse sind:<br />
die Standortsansprüche (klimatische, edaphische<br />
und hiotische; synökologische Konstitution)<br />
und die Ausbreitungsfähigkeit (verbreitungsökologische<br />
Konstitution).<br />
Grundlegend für die Ausbreitungsmöglichkeiten<br />
sind die klimatischen Ansprüche: unsere<br />
Pflanze wird nur da auf die Dauer wachsen können,<br />
wo die Klimaverhältnisse diesen entsprechen.<br />
Das Gebiet auf <strong>der</strong> Erde, in dem das zutrifft,<br />
ist ihr potentielles Areal.<br />
Die Pflanze wird nun beginnen, ihr potentielles<br />
Areal zu besiedeln. Wie weit sie das schafft,<br />
hängt von ihren übrigen Standortsansprüchen<br />
und ihrer Ausbreitungsfähigkeit ab. Aus verschiedenen<br />
Gründen ist das tatsächlich besiedelte,<br />
das reale Areal, gewöhnlich kleiner als das potentielle<br />
(Näheres S. 45).<br />
Die Form des potentiellen Areals ist durch<br />
die Klimabedingungen gegeben. An<strong>der</strong>n sich<br />
diese, so än<strong>der</strong>t sich auch das potentielle und in<br />
Folge davon auch das reale Areal.<br />
Die Ausbreitung wird durch die Diasporen<br />
(Verbreitungseinheiten) besorgt, das sind im<br />
Normalfalle beson<strong>der</strong>e, im Ruhezustand befindliche<br />
Teile des Pflanzenkörpers. Sie lösen sich<br />
von <strong>der</strong> Mutterpflanze, werden auf verschiedene<br />
Weise verfrachtet und schließlich irgendwo<br />
abgesetzt, wo die darin enthaltenen Keime (1<br />
bis viele) unter günstigen Umständen zu neuen<br />
Individuen heranwachsen können.<br />
Eine Ausbreitung hat stattgefunden, wenn<br />
eine Pflanzensippe einen Wuchsort, an dem sie<br />
bisher nicht vorkam, neu besetzt hat. Als wirklich<br />
erfolgreich und dauerhaft kann ein solcher<br />
Ausbreitungsschritt aber erst dann gelten, wenn<br />
die neu angesiedelten Exemplare fähig sind, sich<br />
selbst weiter fortzupflanzen. Den Gesamtvorgang<br />
kann man demnach in die folgenden<br />
Schritte aufglie<strong>der</strong>n:<br />
(1) Erzeugung <strong>der</strong> Diasporen<br />
(2) Bereitstellung für den Transport<br />
(3) Transport<br />
(4) Festsetzung am Zielort<br />
(5) Keimung<br />
(6) Etablierung als Einzelpflanze<br />
(7) Erzeugung neuer Diasporen<br />
[Die Trennung <strong>der</strong> Diasporen von <strong>der</strong> Mutterpflanze<br />
und <strong>der</strong> Keime voneinan<strong>der</strong> kann bei<br />
den Schritten (2), (3) o<strong>der</strong> (6) erfolgen].<br />
Tab. 4: Diasporen.<br />
Morphologie<br />
Generativ:<br />
Sporen<br />
Samen<br />
Keimlinge („Viviparie“)<br />
Früchte<br />
Früchtchen<br />
Teilfrüchte<br />
Früchte mit Zusatzorganen<br />
Scheinfrüchte<br />
Fmchtstände (normale)<br />
Tote Zweige o<strong>der</strong> ganze<br />
Pflanzen mit Früchten<br />
Vegetativ:<br />
Brutkörper<br />
Brutsprosse, -knospen.<br />
-zwiebeln, -knollen<br />
Ausläufer<br />
Fragmente vegetativer<br />
Zweige<br />
Ganze Pflanzen<br />
Beispiele<br />
Farne, Moose, Algen, Pilze<br />
Papaver, Orchidaceae, Evonymus, Aesculus<br />
Rhizophora (u. U. Mimulus guttatus)<br />
Corylus, Prunus, Helianthus, Triticum<br />
Ranunculus, Clematis, Potentilla, Geum<br />
Acer, Raphanus, Umbelliferae, Labiatae<br />
Carex, Carpinus<br />
Morus, Ficus<br />
Tilia, Cotinus<br />
Galium aparine, Saxifraga tridactylites, Seseli tortuosum<br />
Moose: Tetraphis, Marchantía<br />
Bryophyllum, Poa alpina, Hydrocharis, Dentaria bulbifera.<br />
Ranunculus ficaria<br />
Fragaria, Ranunculus repens, Epilobium<br />
Submerse Wasserpflanzen, Tillandsia usneoides<br />
Lemna, Azolla
Die Diasporen und ihre Bereitstellung 15<br />
Der erste und <strong>der</strong> letzte Schritt, die Erzeugung<br />
<strong>der</strong> Diasporen, gehören in die Morphologie bzw.<br />
Fortpflanzungsphysiologie und sind hier nicht<br />
weiter zu behandeln.<br />
Statt von Ausbreitung spricht man oft auch<br />
von Pflanzenwan<strong>der</strong>ung. Hierzu ist zu bemerken,<br />
daß die höheren Pflanzen, mit denen wir<br />
uns hier vorwiegend befassen, typischerweise<br />
ortsfest sind, im Gegensatz zum Tier, das sich<br />
als Individuum fortbewegen, also tatsächlich<br />
wan<strong>der</strong>n kann; <strong>der</strong> Begriff Wan<strong>der</strong>ung bezieht<br />
sich hier also nicht auf Individuen, son<strong>der</strong>n auf<br />
Sippen. Noch einen weiteren Unterschied zwischen<br />
den „Wan<strong>der</strong>ungen“ von Tier und Pflanze<br />
sollte man sich klarmachen: Ein Tier, also<br />
ein Individuum, kann zu einem Ort hin-, aber<br />
auch wie<strong>der</strong> wegwan<strong>der</strong>n. Eine Pflanzenwan<strong>der</strong>ung<br />
ist hingegen nur vorwärts möglich.<br />
Wenn eine Sippe an einem Wuchsort wie<strong>der</strong> verschwindet,<br />
dann nicht durch Wegwan<strong>der</strong>n, son<strong>der</strong>n<br />
durch Aussterben.<br />
1 Die Diasporen und ihre<br />
Bereitstellung<br />
Die Diasporen sind morphologisch von sehr<br />
verschiedener Wertigkeit (Tab. 4). Allerdings<br />
haben die generativen bei weitem die größte<br />
Bedeutung, d. h. vor allem Frucht und Same<br />
<strong>der</strong> Angiospermen. Im Folgenden wird sich zeigen,<br />
daß bei ihnen die gleichen Anpassungen<br />
an bestimmte Transportarten usw. auf ganz unterschiedlicher<br />
morphologischer Grundlage entstehen<br />
können. Deshalb sind einige Grundbegriffe<br />
<strong>der</strong> Frucht- und Samenmorphologie hier<br />
schematisch zusammengestellt (Abb. 6).<br />
Die Bereitstellung <strong>der</strong> Diasporen ist stark von<br />
<strong>der</strong> Transportart abhängig; viele Einzelheiten<br />
sind im Zusammenhang mit dem Transport zu<br />
behandeln. Sie muß so erfolgen, daß das transportierende<br />
Agens die Diasporen in optimaler<br />
Weise erfassen kann. Grundsätzlich gibt es folgende<br />
Möglichkeiten:<br />
(1) Die Diaspore löst sich selbst vor dem Transport<br />
von <strong>der</strong> Mutterpflanze.<br />
(2) Die Diaspore bleibt an <strong>der</strong> Mutterpflanze,<br />
bis sie vom Transportmittel erfaßt und abgelöst<br />
wird.<br />
j (Griffel-Rest)<br />
Abb. 6: Einige Begriffe <strong>der</strong><br />
Frucht- und Samenmorphologie,<br />
erläutert anhand eines<br />
schematischen Schnittes<br />
durch die Frucht.
16 Verbreitungsökologie<br />
(3) Die Diaspore löst sich we<strong>der</strong> vor noch während<br />
des Transportes von <strong>der</strong> Mutterpflanze.<br />
Zu (1). Hier kann man noch unterscheiden:<br />
(a )<br />
(b)<br />
Abfallen: die Diaspore löst sich direkt von<br />
<strong>der</strong> Mutterpflanze ab, z. B. von einem Stiel<br />
mit Hilfe von Trennungsgewebe.<br />
Ausfallen: Die Diasporen fallen aus einem<br />
Behälter aus (z. B. Kapsel, Compositen-<br />
Körbchen, Koniferenzapfen).<br />
Das einfache, schwerkraftbedingte Herabfallen<br />
von Diasporen (a) hat man auch schon als beson<strong>der</strong>e<br />
Transportart bezeichnet, als „Barochorie“.<br />
Doch ist das unsinnig, da <strong>der</strong> Begriff<br />
des Transportes das horizontale Entferntwerden<br />
<strong>der</strong> Diaspore von <strong>der</strong> Mutterpflanze mit einschließt.<br />
Bei (b) greift oft schon das Transportmittel<br />
mit ein, z. B. durch Schütteln, also Übergang<br />
zu (2). Im übrigen haben solche Behälter oft<br />
spezielle Öffnungsmechanismen, die auf bestimmte<br />
Umweltbedingungen reagieren (meist<br />
mittels Hygroskopie), z. B.:<br />
Hygrochasie: Öffnung nur bei Feuchtigkeit<br />
Xerochasie: Öffnung nur bei Trockenheit<br />
(z. B. viele Koniferenzapfen).<br />
Extreme Fälle von Xerochasie treten bei sog.<br />
Pyrophyten auf: die Behälter öffnen sich nur<br />
bei sehr großer Hitze, wie sie etwa durch Waldbrände<br />
hervorgerufen wird (z. B. manche Pinus-<br />
Arten in Kalifornien, ähnlich Banksia-K ritn in<br />
Australien; beides Pioniergehölze mit stark verholzten<br />
Zapfen).<br />
Zu (2). Hier handelt es sich z. B. um das Abreißen<br />
<strong>der</strong> Diasporen von <strong>der</strong> Mutterpflanze durch<br />
Tiere o<strong>der</strong> Wind, Ausschütteln von Behältern<br />
durch Wind u. dgl.<br />
Zu (3). Dies erscheint zunächst wi<strong>der</strong>sinnig,<br />
kommt aber vor, nämlich:<br />
(a )<br />
(b)<br />
Die Mutterpflanze besorgt den Transport<br />
selbst (z. B. durch Ausläufer), die Trennung<br />
erfolgt erst nach Etablierung <strong>der</strong> Tochterpflanze.<br />
Der Transport soll überhaupt verhin<strong>der</strong>t<br />
werden (Atelechorie, vgl. später).<br />
Mit dieser Ausnahme erfolgt also die Trennung<br />
<strong>der</strong> Diasporen von <strong>der</strong> Mutterpflanze vor o<strong>der</strong><br />
beim Transport. Da aber die Diasporen oft<br />
vielkeimig sind, ist dann außerdem noch die<br />
Trennung <strong>der</strong> Keime voneinan<strong>der</strong> nötig (mehrere<br />
Individuen am selben Bestimmungsort<br />
würden sich unnötigerweise gegenseitig Konkurrenz<br />
machen). Die Vereinzelung <strong>der</strong> Keime erfolgt<br />
auf verschiedene Weise im Zusammenhang<br />
mit dem Transport. An<strong>der</strong>erseits kommt es auch<br />
vor, daß mehrere Keime (bzw. Samen) fest miteinan<strong>der</strong>verbunden<br />
bleiben (Synaptospermie);<br />
dies kann z. B. bei Zweihäusigen und Selbststerilen<br />
ökologisch sinnvoll sein.<br />
Bemerkt sei schließlich noch, daß bei vielen<br />
Pflanzen verschiedene Formen von Diasporen<br />
nebeneinan<strong>der</strong> auftreten, die dann auch unterschiedlich<br />
transportiert werden: H eterodiasporie.<br />
Oft treten Früchte/Samen und Ausläufer<br />
nebeneinan<strong>der</strong> auf (z. B. Fragaria, Epilobiuni).<br />
Es können aber auch die Früchte selbst unterschiedlich<br />
sein (Heterokarpie), o<strong>der</strong> sehr selten<br />
die Samen (Heterospermie).<br />
2 Transport <strong>der</strong> Diasporen<br />
Als Transportmittel <strong>der</strong> Diasporen fungieren<br />
Tiere, Wind, Wasser, ballistische Kräfte sowie<br />
die Pflanze selbst. Entsprechend unterscheidet<br />
man 5 Verbreitungsweisen (Tab. 5): Zoochorie,<br />
Anemochorie, Hydrochorie, Ballochorie und<br />
Autochorie („Transportklassen“; Näheres hierzu<br />
mit zahlreichen weiteren Beispielen vgl. bei<br />
M üller-S chnei<strong>der</strong> 1977, Pijl 1969, U lbrich<br />
1928, Ridley 1930). Ihre praktische Bedeutung<br />
ist sehr unterschiedlich (manche <strong>der</strong> traditionell<br />
unterschiedenen Formen sind eher als Kuriositäten<br />
anzusehen); weitaus am wichtigsten sind<br />
die beiden ersten. Dabei ist die Anemochorie<br />
die normale Verbreitungsweise <strong>der</strong> Kryptogamen.<br />
Bei den Samenpflanzen ist die Vielfalt sehr<br />
groß; hier ist aber die Zoochorie als die ursprünglichere<br />
anzunehm en (ursprüngliche<br />
Gruppen haben oft recht große, für W indtransport<br />
ungeeignete Samen).<br />
Die oft sehr auffälligen Anpassungen an die<br />
verschiedenen Verbreitungsweisen werden als<br />
Verbreitungsmittel bezeichnet. Sie finden sich<br />
nicht nur an den Diasporen selbst, son<strong>der</strong>n auch<br />
an an<strong>der</strong>en Teilen <strong>der</strong> Pflanze, wo sie z. B. bei<br />
<strong>der</strong> Bereitstellung Bedeutung haben können.<br />
Allerdings ist bei <strong>der</strong> Deutung auffälliger Strukturen<br />
stets Vorsicht geboten: sie könnten auch<br />
schon bei <strong>der</strong> Anthese wichtig gewesen sein,<br />
o<strong>der</strong> gar keine erkennbare Funktion haben. An-
Transport <strong>der</strong> Diasporen 17<br />
Tab. 5: Klassifizierung <strong>der</strong> Verbreitungsweisen.<br />
Zoochorie = Verbreitung durch Tiere. Formen;<br />
Diasporen<br />
dienen als<br />
Nahrung<br />
Keime selbst<br />
sind Nahrung<br />
an<strong>der</strong>e Teile <strong>der</strong><br />
Diaspore sind Nahrung<br />
'Keime nicht mitgefressen<br />
''Keime mitgefressen, im<br />
' Kot wie<strong>der</strong> ausgeschieden<br />
Dyszoochorie<br />
Synzoochorie<br />
Endozoochorie<br />
Diasporen<br />
dienen nicht ■<br />
als Nahrung<br />
/ zufällig mitgefressen<br />
außen anhaftend<br />
Epizoochorie<br />
Anemochorie = Verbreitung durch Wind. Formen:<br />
Transport über den Boden<br />
Transport durch die Luft<br />
Hydrochorie = Verbreitung durch Wasser. Formen:<br />
In fließendem Süßwasser ± zufällig mitgefuhrt<br />
An Schwimmen an <strong>der</strong> Wasseroberfläche angepaßt<br />
Ballochorie = Wegschleu<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Diasporen durch<br />
einmaligen Anstoß. Die Energie hierfür liefern:<br />
Tiere<br />
Wind<br />
Regentropfen<br />
die Pflanze selbst<br />
Autochorie = Selbsttransport. Formen;<br />
Die Mutterpflanze besorgt den Transport<br />
Die Diasporen bewegen sich selbst<br />
Chamäanemochorie<br />
Meteoranemochorie<br />
Rheohydrochorie<br />
Nautohydrochorie<br />
Zooballochorie<br />
Anemoballochorie<br />
Hydroballochorie<br />
Autoballochorie<br />
Blastautocborie<br />
Herpautochorie<br />
Atelechorie = Verhindemng des Transportes<br />
[Anthropochorie = Verbreitung durch den Menschen; Hier nicht einzuordnen, da von grundsätzlich<br />
an<strong>der</strong>er Dimension - nicht korreliert mit Diasporen-Eigenschaften.]<br />
<strong>der</strong>erseits gibt es auch viele Fälle erfolgreichen<br />
Transportes ohne sichtbare spezielle Anpassungen.<br />
Von daher lassen sich 3 Formen des Transportes<br />
unterscheiden:<br />
• angepaßt<br />
• unangepaßt, regelmäßig<br />
• zufällig.<br />
In <strong>der</strong> Praxis werden die meisten Diasporen<br />
ohnehin auf unterschiedliche Weise transportiert<br />
(„Polychorie“). Beson<strong>der</strong>s zwischen Nahund<br />
Ferntransport gibt es in dieser Hinsicht oft<br />
große Unterschiede (auch wenn man von<br />
Heterodiasporie absieht): So wirken viele <strong>der</strong><br />
beson<strong>der</strong>s auffallenden Anpassungen oft nur<br />
über geringe o<strong>der</strong> mittlere Distanzen, und ein<br />
wirklicher Ferntransport wird dann nur zufällig<br />
durch singuläre Ereignisse erreicht (untypische<br />
Verbreitungsfälle).
18 Verbreitungsökologie<br />
Zoochorie<br />
Die Verbindung zwischen Diaspore und Tier<br />
kann grundsätzlich auf zweierlei Weise Zustandekommen:<br />
entwe<strong>der</strong> werden die Diasporen<br />
absichtlich als Nahrung aufgesucht, o<strong>der</strong> sie sind<br />
für das Tier ohne Interesse und werden von diesem<br />
nur unabsichtlich mitgefuhrt. Letzteres trifft<br />
für die Epizoochorie zu; aber auch bei <strong>der</strong><br />
Endozoochorie sind Fälle, in denen Diasporen<br />
zusammen mit an<strong>der</strong>er Nahrung zufällig aufgenommen<br />
werden, nicht selten.<br />
Wichtigste beteiligte Tiergruppen sind Säugetiere,<br />
Vögel und Ameisen (neben <strong>der</strong> hier benutzten<br />
funktionellen Einteilung werden danach<br />
auch die Kategorien M am m aliochorie, Ornithochorie<br />
und M yrmekochorie unterschieden);<br />
seltener spielen auch Fische, Reptilien,<br />
Mollusken o<strong>der</strong> verschiedene Insektengruppen<br />
bei <strong>der</strong> Diasporenverbreitung eine Rolle. Eine<br />
Spezialisierung bestimmter Tiere auf bestimmte<br />
Pflanzen im Sinne einer Koevolution ist wesentlich<br />
seltener als in <strong>der</strong> Bestäubungsökologie,<br />
sie kommt nur in den Tropen relativ häufig vor<br />
(so bei fruchtfressenden Vögeln und Fle<strong>der</strong>mäusen).<br />
Dyszoochorie<br />
Bei dieser Form <strong>der</strong> Zoochorie dienen die in<br />
den Diasporen befindlichen Keime selbst den<br />
Tieren als Nahrung. Da sie hierbei zerstört werden,<br />
erscheint eine solche Transportart für die<br />
Pflanze zunächst sinnlos. Sie ist aber trotzdem<br />
wirksam, da verschiedene Umstände dafür sorgen,<br />
daß nur ein Teil <strong>der</strong> von den Tieren transportierten<br />
Diasporen tatsächlich verzehrt bzw.<br />
verdaut wird.<br />
Dyszoochore Diasporen enthalten meist viel<br />
Stärke und an<strong>der</strong>e Reservestoffe (Fette, Proteine).<br />
Sie sind off stark entwässert und daher haltbar,<br />
so daß sie sich zur Anlegung von Vorräten<br />
eignen. Es können 2 Typen unterschieden werden:<br />
• Körner-Typ: Klein bis mittelgroß, ± hart,<br />
treten in Mengen auf und werden als Ganzes<br />
verzehrt; es sind Samen (z. B. Papaver,<br />
Plantago, Caryophyllaceae, viele Leguminosen)<br />
o<strong>der</strong> kleine Nußfrüchte (z. B. Gramineae,<br />
Polygonaceae).<br />
• Nuß-Typ (Abb. 7): Mittelgroß bis groß, mit<br />
harter Schale, die vor dem Fressen des weichen,<br />
den Keim enthaltenden Inneren zertrümmert<br />
werden muß. Meist Früchte (z. B.<br />
Corylus, Fagus\ Steinkerne bei Juglans und<br />
Amygdalus)', doch gehören auch die Samen<br />
von Pinus cemhra („Zirbelnüsse“) hierher.<br />
Konsumenten sind Vögel und Säuger (hier beson<strong>der</strong>s<br />
Nager). Die Diasporen werden gesammelt<br />
und zu Freßplätzen gebracht, o<strong>der</strong> es werden<br />
Vorräte angelegt.<br />
Die Bereitstellung <strong>der</strong> Diasporen erfolgt meist<br />
auf dem Boden; von Vögeln und Kleinsäugern<br />
werden sie aber auch von <strong>der</strong> Pflanze selbst abgeholt.<br />
Überlebenschancen für die Keime sind an<br />
mehreren Punkten des Vorganges Nahrungsbeschaffung<br />
gegeben:<br />
Nuss - Typ<br />
Beeren - Typ<br />
(einkernig)<br />
Arillus - Typ<br />
harte Schale<br />
Keim }■<br />
Fleisch<br />
(Pulpa)<br />
Kern<br />
(mehrkernig)<br />
Fragaria - Typ<br />
Abb. 7: Dyszoochore (Nuß-Typ) und endozoochore<br />
Diasporen, scbematisch.
Transport <strong>der</strong> Diasporen 19<br />
• Verlust beim Einsammeln und Transport<br />
• Verlust beim Fressen (z. B. beim Ofifhen <strong>der</strong><br />
Schale, beim Füttern aus dem Kropf)<br />
• Ungenügendes Kauen (bei Körner-Diasporen:<br />
Verdauung erfolgt nur nach Beschädigung<br />
<strong>der</strong> Schale im Mund bzw. Muskelmagen,<br />
unbeschädigte werden wie<strong>der</strong> ausgeschieden)<br />
• Nichtwie<strong>der</strong>fmden von Vorräten (beson<strong>der</strong>s<br />
günstig bei einzeln im Boden vergrabenen<br />
Nuß-Diasporen: Eichelhäher, Eichhörnchen).<br />
Als Anpassungen an - besser gesagt Prädispositionen<br />
für - die Dyszoochorie könnte man neben<br />
dem Nährwert bei den Körner-Diasporen<br />
die große Zahl (Überlebenschancen einzelner<br />
erhöht), bei den Nuß-Diasporen die harte Schale<br />
(Freßerschwerung) ansehen.<br />
Was die Wirksamkeit dieser Verbreitungsweise<br />
betrifft, so ist zu konstatieren, daß sie bei Sippen<br />
mit großen Nuß-Diasporen die einzige wesentliche<br />
Transportart ist; bei den mitteleuropäischen<br />
Quercus- und Fh^ai-Arten hat sie offensichtlich<br />
ausgereicht, um die Wie<strong>der</strong>einwan<strong>der</strong>ung<br />
nach <strong>der</strong> Eiszeit zu gewährleisten<br />
(aber anscheinend nicht bei A esculus und<br />
Castanea). Direkte Beobachtungen gibt es nur<br />
wenige (so sammelte ein Eichelhäher in einem<br />
Fferbst 4600 Eicheln ein und transportierte sie<br />
durchschnittlich 4 km weit).<br />
Dyszoochore Diasporen treten beson<strong>der</strong>s<br />
häufig in Gebieten mit ungünstiger Jahreszeit<br />
(Winter, Trockenzeit) auf; im Tropischen Regenwald<br />
sind sie eher selten. Viele von ihnen sind<br />
für die menschliche Ernährung von großer Bedeutung<br />
(z. B. Getreide, viele Leguminosen,<br />
Helianthus).<br />
Endozoochorie<br />
Hier werden die Keime zwar vom Tier mit in<br />
den Darmtrakt aufgenommen, passieren diesen<br />
jedoch ± unbeschädigt. Der Verzehr <strong>der</strong> Diasporen<br />
kann zufällig geschehen (unangepaßte<br />
Endozoochorie); meist ist er aber beabsichtigt,<br />
da Teile von ihnen als Nahrung dienen (angepaßte<br />
Endozoochorie).<br />
Die u nan gep aß te Endozoochorie ist zwar<br />
unauffällig, aber keineswegs selten. Es handelt<br />
sich darum, daß große pflanzenfressende Säugetiere<br />
Diasporen ihrer Nahrungspflanzen mit<br />
aufnehmen. Die Diasporen sind meist klein,<br />
vom Körner-Typ, mit fester Schale, und haften<br />
oft lange an <strong>der</strong> Pflanze (z. B. Trifolium repens).<br />
Große Mengen noch keimfähiger Diasporen verschiedener<br />
Pflanzenarten fand z. B. M üller-<br />
Schnei<strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Untersuchung von Kuhmist<br />
auf Schweizer Weiden (Tab. 6).<br />
Tab. 6: Unangepaßte Endozoochorie: Diasporen in<br />
Rin<strong>der</strong>kot.<br />
Die Diasporen wurden im Oktober 1944 aus 500 g<br />
Rin<strong>der</strong>kot von einer Weide in <strong>der</strong> Umgebung von<br />
Chur ausgewaschen und bis April 1945 auf ihre Keimfähigkeit<br />
geprüft. - Aus MOller-S chnei<strong>der</strong> 1945.<br />
Art<br />
Samenzahl<br />
Gekeimt<br />
Urtica dioica 219 143<br />
Plantago major 61 53<br />
Trifolium repens 42 40<br />
Helianthemum nummularium 29 22<br />
Agrostis tenuis 29 18<br />
Cynosurus cristatus 16 6<br />
Trifolium pratense 15 15<br />
Plantago lanceolata 14 3<br />
Linum catharticum 13 1<br />
Poa annua 12 2<br />
Veronica officinalis 11 9<br />
Festuca rubra 9 7<br />
Prunella vulgaris 7 3<br />
Cerastium caespitosum 5 5<br />
11 weitere Arten 25 15<br />
Für die Ausbreitung von Pflanzensippen über<br />
größere Entfernungen kann die unangepaßte<br />
Endozoochorie durchaus Bedeutung haben, so<br />
etwa bei den herdenbildenden Großsäugern <strong>der</strong><br />
Graslän<strong>der</strong>, die weite Wandemngen ausführen<br />
(übrigens wurden auch in Vogelkot keimfähige<br />
Diasporen dieses Typs gefunden).<br />
Die an gepaß te Endozoochorie ist ein klassischer<br />
und bezüglich seiner Anpassungen viel<br />
untersuchter Fall. Typische Verbreitungseinheiten<br />
sind die Saft-Diasporen. Sie bestehen aus<br />
einem meist wasserreichen, Kohlehydrate und<br />
Geschmacksstoffe, oft auch Vitamine (seltener<br />
Fette o<strong>der</strong> Proteine) enthaltenden Fleisch (Pulpa),<br />
das den Tieren zur Nahrung dient, und<br />
harten, unverdaulichen Kernen, die die Keime<br />
(in Ein- o<strong>der</strong> Mehrzahl) enthalten. Deren Schale<br />
ist off so resistent, daß sie die Keimung erschwert<br />
(so daß Kerne, die durch Passieren des
20 Verbreitungsökologie<br />
Tierdarmes außen schon etwas korrodiert sind,<br />
schneller keimen); außerdem besitzt sie zuweilen<br />
noch schleimige Außenschichten, die eine<br />
Beschädigung beim Kauen verhin<strong>der</strong>n (z. B. Tomate).<br />
Nach <strong>der</strong> Lage von Fleisch und Kernen zueinan<strong>der</strong><br />
lassen sich 3 Typen unterscheiden<br />
(Abb. 7):<br />
• Beeren-Typ: Kerne (1 o<strong>der</strong> mehrere) rings<br />
vom Fleisch umhüllt.<br />
• Arillus-Typ: ein einzelner Kern mit seitlich<br />
daran sitzendem o<strong>der</strong> ihn nur teilweise umhüllendem<br />
Fleisch.<br />
• Fragaria-Typ: mehrere Kerne, dem Fleisch<br />
außen aufsitzend.<br />
Die morphologische Wertigkeit <strong>der</strong> Diasporen ist unterschiedlich.<br />
Beim Arillus-Typ handelt es sich oft um<br />
Samen, wobei das Fleisch von einem echten Arillus<br />
gebildet wird (z. B. Taxm, Evonymus)', bei <strong>der</strong> Konifere<br />
Podocarpus ist die stielartige Samenschuppe fleischig.<br />
Ähnlich kann auch <strong>der</strong> Stiel einer Frucht als Pulpa<br />
ausgebildet sein (Sassafras, Anacardium). Der Fragaria-<br />
Typ ist am besten durch die Sammelfrucht <strong>der</strong> Erdbeere<br />
selbst repräsentiert, bei <strong>der</strong> das Fleisch vom<br />
Blütenboden geliefert wird; bei <strong>der</strong> Scheinfrucht von<br />
Laportea moroides sitzen die Nußfrüchte auf dem fleischigen<br />
Achsengerüst des Fruchtstandes. Zum Beeren-<br />
Typ vgl. Tab. 7.<br />
Konsumenten sind in <strong>der</strong> Hauptsache Säugetiere<br />
und Vögel. Im Gegensatz zu den dyszoochoren<br />
zeichnen sich endozoochore Diasporen<br />
durch spezielle Mittel <strong>der</strong> Anlockung aus, die je<br />
nach <strong>der</strong> Zielgruppe verschieden sind.<br />
Vögel sind bekanntlich Augentiere, <strong>der</strong>en<br />
Geruchssinn schlecht entwickelt ist (so wird für<br />
m anche Taubenarten angegeben, daß sie<br />
Amylazetat in <strong>der</strong> Luft erst in einer Konzentration<br />
wahrnehmen, die den in <strong>der</strong> chemischen<br />
Industrie zulässigen Maximalwert um ein Mehrfaches<br />
übersteigt). Dementsprechend sind an<br />
Vogelverbreitung angepaßte Diasporen meist<br />
geruchlos, zeichnen sich dafür aber durch auffallende<br />
Farben aus. Solche Lockfarben sind vor<br />
allem Rottöne, aber auch Gelb, Weiß, Blau;<br />
auch kann die Wirkung weniger intensiver Farben<br />
durch Kontraste verstärkt werden (z. B.<br />
Schwarz gegen rotes Herbstlaub).<br />
Tab, 7; An Endozoochorie angepaßte Diasporen, Beeren-Typ.<br />
Diaspore Fleisch Schale Keim Beispiele<br />
Same Sarkotesta Sklerotesta Samen-<br />
Inneres<br />
Beere<br />
- einkernig Perikarp Testa Samen-<br />
Inneres<br />
- mehrkernig Perikarp Testa Samen-<br />
Inneres<br />
Steinfrucht<br />
- einkernig (Exokarp -F)<br />
Mesokarp<br />
- mehrkemig (Exokarp ■+■)<br />
Mesokarp<br />
Blütenbecher<br />
Einzel-<br />
Exokarp<br />
Ginkgo, Magnolia, Paeonia<br />
Melocanna, Persea, Phoenix<br />
Actaea, AcHnidia, Carica, Convallaria,<br />
Cucumis, Ribes, Solanum, Vaccinium,<br />
Vitis<br />
Endokarp Same Mangifera, Prunus, Olea, Viburnum<br />
Einzel-<br />
Endokarpien<br />
Sammelfrucht<br />
- mit Nussfrüchtchen<br />
- mit Steinfrüchtchen<br />
Einzel-<br />
Perikarp<br />
Einzel-<br />
Endokarp<br />
Same<br />
Same<br />
Same<br />
Arctous, Comus, Empetrum, Ilex, He<strong>der</strong>á,<br />
Rhamnus, Sambucus<br />
Rosa, Cotoneaster, Mespilus<br />
Rubus<br />
Scheinfrucht<br />
- gymnosperm Zapfenschuppen<br />
Testa<br />
Samen- Ephedra, Juniperus<br />
Inneres<br />
- angiosperm Perigonien Perikarpien Samen Morus<br />
Fruchtstandsachse<br />
Perikarpien Samen Ficus<br />
(hohl)
Transport <strong>der</strong> Diasporen 21<br />
Die Bereitstellung <strong>der</strong> Vogel-Diasporen erfolgt<br />
gewöhnlich an <strong>der</strong> Pflanze. Ihre Größe ist<br />
in Mitteleuropa meist so begrenzt, daß sie von<br />
den Vögeln als ganzes geschluckt werden können.<br />
Dabei lassen sich jahreszeitliche Unterschiede<br />
<strong>der</strong> Konsistenz beobachten: im Sommer,<br />
zur Zeit größten Nahrungsangebotes reifende<br />
Früchte sind meist kurzlebig, weich, saftig<br />
und wohlschmeckend; im Herbst reifende<br />
sind dagegen oft weniger attraktiv, fest und geschmacklos,<br />
sie bleiben aber länger an <strong>der</strong> Pflanze<br />
und werden schließlich trotzdem gefressen<br />
(manche sog. „Wintersteher“ scheinen jedoch so<br />
schlecht zu schmecken, daß sie trotz auffallen<strong>der</strong><br />
Farbe nur im äußersten Notfall angenommen<br />
werden, z. B. Vihurnum opulus). In den<br />
Feuchttropen, wo Saft-Diasporen (vor allem<br />
Früchte) das ganze Jahr über zur Verfügung stehen,<br />
gibt es viele hierauf spezialisierte Vogelarten;<br />
hier sind auch große, vielkernige Früchte<br />
häufig, die von den Vögeln in Stücken verzehrt<br />
werden.<br />
Bei den Säugetieren spielt die Anlockung<br />
durch den Duft oft eine große Rolle, hingegen<br />
können die Farben eher unauffällig sein (beson<strong>der</strong>s<br />
für Nachttiere). Da Säuger kauende Mundwerkzeuge<br />
besitzen, ist die Größe <strong>der</strong> Diasporen<br />
unwesentlich; im Durchschnitt sind sie größer<br />
als bei Vögeln. Die Bereitstellung erfolgt in Mitteleuropa<br />
gewöhnlich durch einfaches Abfallen<br />
auf dem Boden, in den Tropen jedoch oft auch<br />
an <strong>der</strong> Pflanze: so in Baumkronen (Konsumenten<br />
z. B. Affen), am Grunde von Baumstämmen<br />
(kaulikarp, für Bodentiere) o<strong>der</strong> an langen<br />
Stielen herabhängend (für Fle<strong>der</strong>mäuse).<br />
Ein Spezialfall, <strong>der</strong> als Merkwürdigkeit erwähnt sei,<br />
ist die Endozoochorie durch Fische im tropischen<br />
Amazonasgebiet. Im dortigen Auenwald (Värzea),<br />
dessen Boden monatelang meterhoch überschwemmt<br />
ist, fruchten viele Bäume während <strong>der</strong> Hochwasserperiode.<br />
Ihre Saft-Diasporen schwimmen an <strong>der</strong> Wasseroberfläche<br />
und werden von Fischen verzehrt. Für<br />
etwa 50 Fischarten, die teils in ganzen Schwärmen<br />
auftreten, wurde festgestellt, daß sie regelmäßig Diasporen<br />
von ca. 100 Pflanzenarten fressen (z. B. wurden<br />
im Magen eines 25 kg schweren Welses 60 Palmenffüchte<br />
gefunden) und die Kerne wie<strong>der</strong> ausscheiden.<br />
Einige Fischarten aus <strong>der</strong> Piranha-Verwandtschaft betätigen<br />
sich allerdings auch im Sinne <strong>der</strong> Dyszoochorie<br />
(Goulding 1983).<br />
Im übrigen ist die skizzierte Differenzierung<br />
nach Tiergruppen keineswegs festgelegt: beson<strong>der</strong>s<br />
Diasporen, die nach ihren Merkmalen eindeutig<br />
als „vogelorientiert“ erscheinen, können<br />
genauso häufig von Säugern aufgenommen werden.<br />
Vielfach werden Saft-Diasporen auch von<br />
Tieren verzehrt, die an sich auf Fleischnahrung<br />
spezialisiert sind (Carnivora, Accipitridae)-. so<br />
nehmen Bären und Füchse viele Beeren als Zusatznahrung<br />
auf, und vor allem protein- o<strong>der</strong><br />
ölhaltige Früchte können auch einen größeren<br />
Nahrungsanteil ausmachen (z. B. Avocado bei<br />
Katzen und Jaguaren, Olpalme bei Geiern und<br />
Adlern).<br />
Wie erwähnt, wird durch die Mund- und<br />
Darmpassage die Schale <strong>der</strong> Kerne zumindest<br />
außen beschädigt, was einerseits eine Erleichterung<br />
<strong>der</strong> Keimung bedeuten kann; an<strong>der</strong>erseits<br />
führt es meist bei einem Teil <strong>der</strong> Diasporen zum<br />
Verlust <strong>der</strong> Keimfähigkeit.<br />
Die Wirksamkeit <strong>der</strong> Endozoochorie für die<br />
Nahausbreitung liegt auf <strong>der</strong> Hand. Ob es auch<br />
zum Transport über weitere Strecken kommt,<br />
hängt sowohl von <strong>der</strong> Beweglichkeit <strong>der</strong> Tiere<br />
als auch von <strong>der</strong> Zeit ab, die die Diaspore im<br />
Tier verbleibt. Bei Vögeln ist zwar die Beweglichkeit<br />
groß, aber die Verdauung erfolgt meist<br />
recht schnell, eine Darmpassage dauert oft nur<br />
Vj Stunde. Verlängert werden kann die Zeit<br />
durch Aufbewahrung <strong>der</strong> Diasporen im Kropf<br />
(zuweilen bis zu 2 Wochen). In Mitteleuropa ist<br />
die Transportweite jahreszeitlich verschieden: im<br />
Frühsommer, wenn die Vögel reviertreu sind,<br />
nur wenige 100 m; im Herbst zur Zeit des Vogelzuges<br />
können dagegen mehrere bis viele km<br />
überbrückt werden. Bei Säugetieren, vor allem<br />
größeren, kann die Darmpassage oft mehrere<br />
Tage dauern. Bei den wan<strong>der</strong>nden Herdentieren<br />
<strong>der</strong> Graslän<strong>der</strong> kann das zum Transport über<br />
viele km führen, nicht aber bei Waldbewohnern<br />
mit ihren meist begrenzten Revieren.<br />
In M itteleuropa gehören zu den Endozoochoren<br />
vor allem viele Sträucher und Kleinbäume;<br />
doch gibt es daneben auch eine Reihe<br />
von Waldbodenpflanzen.<br />
Synzoochorie<br />
Hier benutzen die Tiere die Diasporen zwar<br />
ebenfalls als Nahrung, aber die Keime selbst<br />
passieren nicht den Darm, son<strong>der</strong>n werden als<br />
wertlos weggeworfen; ein Transport findet statt,<br />
wenn die Diasporen zunächst zu einem Freßplatz<br />
gebracht werden. Für die Tiergruppen <strong>der</strong><br />
Vögel und Säugetiere läßt sich diese Transportart<br />
von <strong>der</strong> Endozoochorie kaum trennen:<br />
sie ist oft Begleiterscheinung, etwa wenn kleine
22 Verbreitungsökologie<br />
Tiere sich an Diasporen heranmachen, die eigentlich<br />
für größere „bestimmt“ sind. Vor allem<br />
gilt das für Saft-Diasporen mit einzelnem<br />
sehr großem Kern; solche sind beson<strong>der</strong>s in tropischen<br />
Bereichen verbreitet (z. B. Mango, Avocado).<br />
Die Anpassungen sind dieselben wie bei<br />
<strong>der</strong> Endozoochorie; die Wirksamkeit beschränkt<br />
sich jedoch auf geringe Entfernungen.<br />
Ein Spezialfall, <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>e Erwähnung<br />
verdient (und auch sehr detailliert untersucht<br />
ist), ist die M yrmekochorie, d. h. die Verbreitung<br />
durch Ameisen (vgl. S ernan<strong>der</strong> 1906,<br />
B resinsky 1963). Obwohl im Prinzip den bisher<br />
behandelten entsprechend, sind die Anpassungen<br />
hier doch sehr spezifisch. Die Anlockung<br />
<strong>der</strong> Ameisen erfolgt durch Duftstoffe, meist freie<br />
ungesättigte Fettsäuren (Ölsäuren, z. B. Rizinolsäure).<br />
Als Nahrung werden Zucker, Fette<br />
und Vitamine (z. B. Bi, C) angeboten. Die Diasporen,<br />
die verständlicherweise klein sind, sind<br />
zuweilen beerenartig gebaut. Meist entsprechen<br />
sie aber dem Arillus-typ, wobei einem glatten,<br />
harten, unverletzlichen Kern ein weicher, meist<br />
weißlicher „Ölkörper“, das Eläosom, ansitzt, das<br />
die Nährstoffe enthält (Abb. 8). Die morpholo<br />
gische Wertigkeit des Eläosoms ist sehr unterschiedlich<br />
(Tab. 8). Die Bereitstellung erfolgt entsprechend<br />
dem Lebensraum <strong>der</strong> Ameisen: in<br />
Mitteleuropa meist auf dem Boden durch Auso<strong>der</strong><br />
Abfallen bzw. durch auf dem Boden liegende<br />
Behälter; in den Tropen, wo viele Epiphyten<br />
durch Baumameisen verbreitet werden,<br />
bleiben die Diasporen oft bis zur Abholung an<br />
<strong>der</strong> Mutterpflanze. Häufig transportieren die<br />
Ameisen die Diasporen zunächst als Ganzes in<br />
ihre Bauten, verwerten dort die Ölkörper und<br />
schaffen die Kerne als Abfall wie<strong>der</strong> hinaus;<br />
doch können diese auch schon unterwegs zurückgelassen<br />
werden.<br />
Die Wirksamkeit beschränkt sich naturgemäß<br />
auf den Nahbereich: Entfernungen von mehr<br />
als 15 m werden nur selten überschritten (für<br />
Formica rufa werden als Höchstwert 70 m angegeben).<br />
Günstig ist, daß die Keime oft ± im Boden<br />
deponiert werden, so daß die Aussichten<br />
für das Aufkommen des Keimlings beson<strong>der</strong>s<br />
gut sind; dem entspricht es, daß oft nur eine<br />
relativ geringe Diasporenzahl erzeugt wird.<br />
Die mitteleuropäischen Myrmekochoren sind<br />
meist krautige Pflanzen; viele von ihnen sind
Transport <strong>der</strong> Diasporen 23<br />
Tab. 8: Myrmekochore Diasporen (Beispiele aus Mitteleuropa).<br />
Diaspore Eläosom Beispiele<br />
Same<br />
Auswuchs an Mikropyle<br />
o<strong>der</strong> Funikulus<br />
Chelidonium majus, Corydalis cava. Euphorbia amygdaloides,<br />
Helkborus foetidus, Leucojum vemum,<br />
Luzula pilosa, Moehringia trinervia, Polygala vulgaris.<br />
Primula vulgaris, Veronica he<strong>der</strong>ifolia, Viola odorata<br />
Früchtchen Basis des Perikarps Anemone nemorosa. Hepática nobilis, Potentilla alba<br />
Teilfrucht<br />
(Klause)<br />
Oberster Teil <strong>der</strong> Blütenachse<br />
Ajuga reptans, Glechoma he<strong>der</strong>acea, Lamium maculatum,<br />
Nonea lutea. Pulmonaria officinalis<br />
Frucht Basis des Perikarps Centaurea montana. Fumaria officinalis<br />
Griffelbasis<br />
Basis des Perigons<br />
Oberster Teil des Blütenstiels<br />
Basis eines Hochblattes<br />
Carduus nutans, Cirsium acaule<br />
Parietaria officinalis<br />
Thesium alpinum<br />
Carex montana (Schlauch), Knautia arvensis (Vorblatt)<br />
(Teil-)Fruchtstand Teil <strong>der</strong> Fruchtstandsachse Danthonia decumbens. Mélica nutans<br />
Waldbewohner, doch gehören auch einige Akker-<br />
und Wiesenpflanzen dazu (vgl. Tab. 8).<br />
Epizoochorie<br />
Im Gegensatz zu den bisher behandelten Formen<br />
<strong>der</strong> Zoochorie ist die Mitnahme <strong>der</strong> Diasporen<br />
hier, vom Tier her gesehen, rein zufällig.<br />
Von <strong>der</strong> Diaspore her gesehen kann die Anheftung<br />
an das Tier ebenfalls zufällig, unangepaßt,<br />
o<strong>der</strong> aber durch spezielle Anpassungen bedingt<br />
sein.<br />
Unangepaßte Epizoochorie liegt vor, wenn<br />
Diasporen am Tier befestigt werden durch<br />
Sehr kleine Diasporen vor allem von Wasserpflanzen,<br />
die an <strong>der</strong> Oberfläche schwimmen<br />
(z. B. Früchtchen von Alismaplantago, aber auch<br />
vegetative LmwÄ-Exemplare), können durch<br />
Adhäsion mit benetzendem Wasser an Tieren<br />
• mechanisches Hängenbleiben<br />
• Adhäsion mit Wasser<br />
• Ankleben mit Bodensubstanz.<br />
Durch Hängenbleiben größerer vegetativer<br />
Zweigfragmente im Gefie<strong>der</strong> von Wasservögeln<br />
werden viele größere untergetauchte und<br />
schwimmende Wasserpflanzen verbreitet. Zwar<br />
sind die Transportweiten meist gering, für die<br />
Verfrachtung von einem Gewässer zum nächsten<br />
reichen sie aber aus. Beobachtet wurde das<br />
u. a. für Potamogetón, Ceratophyllum und Elodea<br />
canadensis', die sehr rasche Ausbreitung <strong>der</strong> letzteren,<br />
in Europa nur in weiblichen Exemplaren<br />
vorhandenen Art, ist im vorigen Jahrhun<strong>der</strong>t<br />
vielleicht großenteils auf diese Transportart zurückzuführen.<br />
Abb. 9: Splachnum luteum, ganze Pflanze und geöffnete<br />
Kapsel.<br />
Infolge Schrumpfung <strong>der</strong> Kapselwand ragt die Columella<br />
heraus; Näheres im Text. - Aus E ngler 1924f
24 Verbreitungsökologie<br />
Tab. 9: Epizoochore Diasporen.<br />
= Kleb-Diasporen; + = vornehmlich Trampelkletten.<br />
Diaspore Haftmittel Beispiele<br />
Same * Schleim Colchicum autumnale, Juncus effusus<br />
Borstenhaare<br />
Tillandsia spec.<br />
Früchtchen Griffel Geum urbanum. Ranunculus uncinatus<br />
Hakenemergenzen<br />
Ranunculus arvensis<br />
Teilfrucht Borstenhaare Osmorhiza chilensis<br />
Hakenhaare und -emergenzen Caucalis microcarpa, Cynoglossum officinale, Galium<br />
triflorum, Hackelia diffusa, Pavonia communis,<br />
Sanicula europaea<br />
Frucht Klebrige Drüsenhaare Adenocaulon bicolor, Salvia glutinosa (Kelch)<br />
Griffel<br />
Astragalus curvirostris, Rhynchospora alba<br />
Hakenhaare<br />
Circaea alpina. Myosotis arvensis (Kelch)<br />
Hakige und dornige Emergenzen Acaena lechleriana. Agrimonia eupatoria. Astragalus<br />
epiglottis, Eidens frondosa, Harpagophytum procumbens,<br />
Medicago polymorpha, + Tribuías terrestris<br />
Verdornte Kelch- o<strong>der</strong> Perigonblätter<br />
Verdornte Teile des Mesokarps<br />
+ Acicarpha tribuloides, + Bassia muricata, + Calycera<br />
spec.<br />
Proboscidea lutea<br />
Fmcht mit * Klebrige Drüsenhaare auf Linnaea borealis<br />
Zusatzorganen Hochblättern<br />
Schnabel am Schlauch<br />
Carex muricata, C. rostrata<br />
Hakige Rhachilla<br />
Uncinia lechleriana<br />
Fruchtstand Verdornte Hochblätter Arctium lappa, + Cenchrus longispinus, Rhagadiolus<br />
bzw. Schein-<br />
stellatus, -t Xanthium strumarium<br />
frucht Granne an Grasährchen Stipa setacea<br />
Tote Pflanzen Klebrige Drüsenhaare Cerastium glutinosum, Saxifraga tridactylites<br />
o<strong>der</strong> Teile Hakenhaare<br />
Galium aparine<br />
davon<br />
haften. Das wirkt zwar nur kurze Zeit bis zum<br />
Verdunsten des Wassers, kann aber bei Wasservögeln<br />
ebenfalls für den Transport zum nächsten<br />
Gewässer genügen.<br />
Weitaus größere, ja weltweite Transportleistungen<br />
sind aber durch das Ankleben kleiner,<br />
körnerartiger Diasporen zusammen mit<br />
Schlamm, feuchter Erde u. dgl. an Tieren möglich.<br />
Sie können lange haften bleiben, zuweilen<br />
monatelang. So wurden in Erde, die man von<br />
Vogelfüßen ablöste, Samen und Früchte zahlreicher<br />
Sumpfpflanzen gefunden (z. B. Glyceria<br />
fluitansjuncus bufonius, Lythrum salicaria, Rorippa<br />
amphibia, Verónica anagallis-aquatica), aber auch<br />
Diasporen von Ackerpflanzen traten auf Entsprechendes<br />
gilt natürlich auch für die Füße von<br />
Säugern. Näheres zur Wirksamkeit am Ende des<br />
nächsten Abschnittes.<br />
Bei angepaßter Epizoochorie unterscheidet<br />
man je nachdem, wie das Anhaften <strong>der</strong> Diasporen<br />
am Tier bewirkt wird, 3 Diasporentypen:<br />
• Kleb-Diasporen<br />
• Fellkletten<br />
• Trampelkletten.<br />
Die Kleb-Diasporen sind meist ziemlich kleine<br />
Samen o<strong>der</strong> Früchte, die mit Hilfe klebriger<br />
Substanzen haften. Die Klebsubstanz findet sich<br />
gelegentlich als Schleim an Samen (<strong>der</strong> sich oft<br />
erst bei Befeuchtung entwickelt und dann eher<br />
<strong>der</strong> Befestigung am Substrat dient); häufiger sind<br />
klebrige Drüsenhaare, die an verschiedenen<br />
Teilen <strong>der</strong> fruchtenden Pflanze auftreten können<br />
(Tab. 9). Die Bereitstellung erfolgt gewöhnlich<br />
an <strong>der</strong> Pflanze; die Diasporen müssen sich<br />
durch die Tiere - meist Vögel o<strong>der</strong> Säuger -
Transport <strong>der</strong> Diasporen 25<br />
leicht ablösen lassen. Die Dauer des Verbleibens<br />
am Tier ist je nach Art <strong>der</strong> Klebsubstanz unterschiedlich.<br />
Zugleich <strong>der</strong> Befestigung am Tier (Vogel) und am Zielort<br />
(Baum) dienen Klebsubstanzen bei manchen<br />
epiphytisch lebenden Pflanzen. Bei <strong>der</strong> Beere <strong>der</strong> an<br />
sich aufEndozoochorie ausgerichteten Mistel (Viscum)<br />
ist <strong>der</strong> innere Teil <strong>der</strong> Fruchtwand eine Klebmasse, die<br />
selbst die Passage des Vogeldarms übersteht; <strong>der</strong> Kern<br />
kann daher sowohl vor als auch nach dem Fressen an<br />
Aste angeklebt werden, kann aber auch außen auf dem<br />
Vogel transportiert werden. Ähnliches gilt für die<br />
epiphytische Kakteengattung Rhipsalis, bei <strong>der</strong>en äußerlich<br />
<strong>der</strong> Mistelfrucht ähnelnden Beeren zahlreiche<br />
Samen in einer extrem klebrigen Pulpa liegen (Rhipsalis<br />
ist die einzige auch außerhalb Amerikas vorkommende<br />
Kakteengattung).<br />
Als Merkwürdigkeit sei noch die Laubmoosgattung<br />
Splachnum erwähnt. Normalerweise werden Moossporen<br />
durch den Wind verbreitet. Die Splachnum-<br />
Arten haben jedoch eine spezielle Ökologie: sie wachsen<br />
auf verrottendem Kuhmist u. ä. Tierexkrementen.<br />
Da solche Standorte ephemer sind, ist es zweckmäßig,<br />
daß die Sporen gezielt übertragen werden. Sie sind<br />
klebrig und haften daher nach Vertrocknen <strong>der</strong> Kapselwand<br />
zunächst an <strong>der</strong> Columella (Abb. 9, S. 23). Zusätzlich<br />
strömen sie einen kotartigen Geruch aus und<br />
locken dadurch Mistfliegen an, an denen sie kleben<br />
bleiben und so leicht auf den nächsten, frischen Kuhfladen<br />
gelangen.<br />
Bei den Fellkletten, die den Hauptanteil <strong>der</strong><br />
epizoochoren Diasporen ausmachen, wird die<br />
Befestigung am Fell von Säugetieren bzw. Gefie<strong>der</strong><br />
von Vögeln durch haken-, seltener auch<br />
V|<br />
w<br />
1 A f c :<br />
Abb 10: Epizoochore Diasporen.<br />
Borstenhaare: 1 Omorhiza chilensis\ Hakenhaare: 2 Circaea alpina, 3 Galium triflorum’, Griffel als Haken (Früchtchen):<br />
4 Ranunculus uncinatus, 5 Geum urbanum', Rhachilla als Haken: 6 Uncinia lechkriana (Frucht mit Zusatzorgan);<br />
Einzelne Emergenzen als Wi<strong>der</strong>haken: 7 Bickns frondosa, 8 Pavonia communis (Teilfrucht), 9 Acaena<br />
lechkriana-. Zahlreiche, hakige o<strong>der</strong> dornige Emergenzen: 10 Ranunculus arvensis (Früchtchen), 11 Hackelia diffusa<br />
(Klause), \2 Medicagopolymorpha, 13 Caucalis microcarpa, 14 Agrimoniaeupatoria, \5 Harpagophytumprocumbens-,<br />
Dornen aus Hochblättern (Scheinfrucht): 16 Cenchrus longispinus, 17 Xanthium strumarium. - Früchte, soweit<br />
nicht an<strong>der</strong>s angegeben. - Quellen: 14, 7, 10, 11, 13, 16, 17 Hitchcock etc. 1955f; 5 Troll 1954f; 6, 9, 12<br />
Correa 1969L; 8, 14 Tachtad2ian 1980f; 15 Engler 1910f
26 Verbreitungsökologie<br />
1<br />
ü<br />
-■<br />
nadelartige Fortsätze erreicht. Hier gibt es eine<br />
große Vielfalt von konvergenten Anpassungen<br />
auf unterschiedlichster morphologischer Grundlage:<br />
die Diasporen können Samen, Früchte o<strong>der</strong><br />
Scheinfrüchte sein, die Verbreitungsmittel sind<br />
z. B. Trichome, Emergenzen, metamorphosierte<br />
Blätter o<strong>der</strong> nach <strong>der</strong> Anthese umfunktionierte<br />
Griffel (Abb. 10, Tab. 9). Die Bereitstellung<br />
erfolgt an <strong>der</strong> Mutterpflanze, und zwar oberhalb<br />
des Erdbodens (bei Krautigen oft an <strong>der</strong><br />
Spitze o<strong>der</strong> entlang des nach <strong>der</strong> Anthese verlängerten<br />
Sprosses, wo sie von den Tieren abgestreift<br />
werden).<br />
Die sog. Trampelkletten sind zwar relativ selten,<br />
aber dafür umso auffälliger. Es handelt sich<br />
meist um ziemlich große Diasporen, die auf dem<br />
Boden liegen (durch Herabfallen, o<strong>der</strong> meist als<br />
Früchte kriechen<strong>der</strong> Bodenpflanzen bereits auf<br />
dem Boden erzeugt), eine sehr feste, verholzte<br />
Schale haben und mit harten, spitzen Dornen<br />
o<strong>der</strong> W i<strong>der</strong>haken bewehrt sind (Abb. 10,<br />
Tab. 9). Mit <strong>der</strong>en Hilfe werden sie in die Füße<br />
von Säugetieren eingetreten und können dort<br />
wochenlang haften bleiben, wobei die Tiere erhebliche<br />
Verletzungen und Entzündungen erleiden<br />
können. Sie kommen hauptsächlich in<br />
Graslän<strong>der</strong>n und Halbwüsten vor.<br />
Für die Wirksamkeit <strong>der</strong> Epizoochorie ist es<br />
ein großer Vorteil gegenüber <strong>der</strong> Endozoochorie,<br />
daß die Diasporen nicht die Tiere nach<br />
einer bestimmten Zeit automatisch wie<strong>der</strong> verlassen.<br />
So können Diasporen im Fell wan<strong>der</strong>n<strong>der</strong><br />
Großsäuger über weite Strecken verfrachtet<br />
werden. Die weitesten Transportdistanzen werden<br />
aber mit Hilfe von Zugvögeln erreicht.<br />
Bei Zugvögeln wurden Zuggeschwindigkeiten von 60-<br />
80 km/h nachgewiesen; dabei kommt es in manchen<br />
Fällen zu ununterbrochenen Flügen von bis zu 10<br />
Tagen, d. h. es ist ein Flug ohne Landung von <strong>der</strong><br />
gemäßigten Zone <strong>der</strong> Nord- bis in die <strong>der</strong> Südhalbkugel<br />
möglich (Luftlinien-Entfernung von 45°N<br />
bis 45°S ca. 10000 km). Beson<strong>der</strong>s günstig sind die<br />
Bedingungen bei Sumpfvögeln: da diese am Zielort<br />
ebenso wie bei Zwischenlandungen wie<strong>der</strong> Sümpfe<br />
aufsuchen, gelangen die Diasporen leicht an die geeigneten<br />
Standorte. Dementsprechend haben eine<br />
ganze Reihe von holarktischen Sumpf- und Wasserpflanzen<br />
disjunkte Arealteile in den Zielgebieten <strong>der</strong><br />
Zugvögel auf <strong>der</strong> Südhalbkugel (z. B. Lythrum salicaria,<br />
Ranunculus aquatilis). Entsprechendes gibt es aber auch<br />
bei Pflanzen an<strong>der</strong>er Standorte. Ein beson<strong>der</strong>s gut<br />
bekanntes Beispiel ist die Arealdisjunktion vieler Arten<br />
o<strong>der</strong> nahe verwandter Artenpaare zwischen den<br />
Westküsten Nord- und Südamerikas (British Columbia<br />
- Kalifornien / Chile - Patagonien; Abb. 11). Die<br />
nähere Untersuchung von 106 <strong>der</strong>artigen Sippen ergab,<br />
daß 53 epizoochor sind mit Klett-Diasporen, 21<br />
dsgl. mit kleinen Kleb-Diasporen, und 20 wahrscheinlich<br />
unangepaßt epizoochor (Diasporen sehr klein,<br />
meist Sumpfpflanzen); nur für 12 scheinen eher an<strong>der</strong>e<br />
Verbreitungsweisen (Endozoochorie?) in Frage zu<br />
kommen. In allen Fällen mußte man mit direktem<br />
Ferntransport rechnen, da eine etappenweise Ausbreitung<br />
mit Zwischenstationen („Hüpfen“ über Berggipfel)<br />
aus standörtlichen Gründen unwahrscheinlich war<br />
(CoNSTANCE 1963, Raven 1963).<br />
Anemochorie<br />
Abb. 11: Verbreitung von Osmorhiza chilensis.<br />
Nach Hitchcock etc. 1955f, Brown etc. 1983.<br />
Neben den verschiedenen Formen <strong>der</strong> Zoochorie<br />
ist die Anemochorie die zweite Transportart<br />
von sehr großer Bedeutung.<br />
Zunächst einige Bemerkungen zum Transportagens.<br />
Hier ist zu unterscheiden zwischen horizontalen<br />
und vertikalen Strömungen; für den<br />
Transport sind beide Komponenten wichtig.<br />
Die Stärke des Horizontalwindes nimmt mit<br />
<strong>der</strong> Höhe über dem Boden zu. So beträgt die<br />
mittlere Windgeschwindigkeit im Jahresdurchschnitt<br />
in Mitteleuropa in offenem Gelände in<br />
2 m Höhe etwa 3 m/s, in 100 m Höhe ist sie<br />
doppelt, in 500 m schon etwa 3mal so hoch.<br />
Die Höchstgeschwindigkeit bei Orkanen liegt<br />
im Bereich von 40-55 m/s, in einzelnen Böen<br />
kann sie sogar über 70 m/s erreichen.<br />
Die vertikal gerichteten Aufwinde können<br />
unterschiedliche Ursachen haben. Thermische
Transport <strong>der</strong> Diasporen 27<br />
Aufwinde werden durch die Erwärmung <strong>der</strong> bodennahen<br />
Luftschichten bei Strahlungswetter<br />
erzeugt. Ihre Geschwindigkeit ist am Boden gering<br />
(meist unter 1 m/s), kann aber in <strong>der</strong> Höhe<br />
bis auf 15 m/s anwachsen; unter Cumulus- und<br />
Cumulonimbus-Wolken kann <strong>der</strong> aufsteigende<br />
Luftstrom bis über 6000 m Höhe hinauf reichen.<br />
Dynamische Aufwinde entstehen bei stärkerem<br />
Horizontalwind durch Turbulenzen. Ihre Geschwindigkeit<br />
kann auch am Boden - hier oft<br />
durch Hin<strong>der</strong>nisse verstärkt - erheblich sein und<br />
etwa <strong>der</strong> des Horizontalwindes entsprechen.<br />
Bei Orkanen und Wirbelstürmen ist durch<br />
die Kombination extrem starker Horizontal- und<br />
Aufwinde <strong>der</strong> Transport von Diasporen ± je<strong>der</strong><br />
Art und Größe möglich. Man hat beobachtet,<br />
daß Erde und Steine bis zu 80 km weit verfrachtet<br />
wurden. Natürlich werden bei solchen singulären<br />
Ereignissen zahlenmäßig nur wenige<br />
Diasporen erfaßt; doch kann es für manche Sippen<br />
die einzige Chance zur Fernausbreitung<br />
sein.<br />
Von solchen Extremfällen abgesehen, kann<br />
<strong>der</strong> Windtransport in zwei Formen unterglie<strong>der</strong>t<br />
werden.<br />
Chamäanemochorie<br />
Hierbei treibt <strong>der</strong> Wind die Diasporen auf <strong>der</strong><br />
Bodenoberfläche entlang. Das ist in effektiver<br />
Weise nur in offenem Gelände möglich (also<br />
nicht im Wald). Zusätzlich muß das offene<br />
Gelände den Diasporen einen möglichst geringen<br />
Wi<strong>der</strong>stand bieten; das kann entwe<strong>der</strong><br />
durch eine glatte Bodenoberfläche ermöglicht<br />
werden, o<strong>der</strong> dadurch, daß die Diasporen sehr<br />
groß sind, größer als die hemmenden Unebenheiten<br />
des Bodens.<br />
Eine glatte Bodenoberfläche kann durch das<br />
Fehlen von Vegetation bedingt sein; sie kann<br />
aber auch temporär durch eine geschlossene<br />
Schneedecke erzeugt werden. In beiden Fällen<br />
können bei größeren Windstärken die verschiedensten<br />
Diasporen verfrachtet werden. Schneedecken<br />
sind beson<strong>der</strong>s günstig; aus Tundren und<br />
alpinen Gebieten gibt es hierzu eine Reihe genauer<br />
Beobachtungen.<br />
Auffälliger und daher allgemeiner bekannt ist<br />
die zweite Möglichkeit. Als Diasporen, sogenannte<br />
Steppenläufer (auch Steppenhexen genannt),<br />
fungieren hier ganze Fruchtstände o<strong>der</strong><br />
größere abgestorbene Pflanzenteile bzw. ganze<br />
Pflanzen, die mit Früchten besetzt sind. Sie haben<br />
eine ± rundliche Form und sind bei großem<br />
Volumen doch relativ leicht. So können<br />
sie von stärkeren Winden losgerissen und über<br />
weite Strecken auf dem Boden entlang gerollt<br />
werden, wobei sie nach und nach ihre Früchte<br />
bzw. Samen ausstreuen. Solche Steppenläufer<br />
sind in Grasland- und Halbwüstengebieten in<br />
aller Welt beobachtet worden, so z. B. in O-Europa<br />
Centaurea diffusa, Eryngium campestre, Goniolimon<br />
tataricum, Phiomis herba-venti, Rapistrum<br />
perenne, Seseli tortuosum.<br />
M eteoranemochorie<br />
Für die „normale“ Form <strong>der</strong> Anemochorie, den<br />
Transport durch die Luft, ist es notwendig, daß<br />
die Diasporen in den Luftraum gelangen, um<br />
dort vom Horizontalwind erfaßt zu werden. Am<br />
leichtesten geschieht das bei Baumdiasporen<br />
durch einfaches Abfallen; bei am Boden entstandenen<br />
Diasporen ist hingegen die Mitwirkung<br />
von Aufwinden notwendig. Diese sind aber<br />
für alle Diasporen wichtig, weil sie sie in höhere<br />
Luftschichten mit größeren Windgeschwindigkeiten<br />
beför<strong>der</strong>n können.<br />
Da die Schwerkraft den Aufwinden entgegenwirkt,<br />
ist die Grundvoraussetzung für den Transport<br />
eine möglichst geringe Sinkgeschwindigkeit.<br />
Um ihre Herabsetzung zu erreichen,<br />
haben sich zahlreiche, oft sehr auffallende Anpassungen<br />
entwickelt. Danach unterteilt man die<br />
meteoranemochoren Diasporen traditionell in<br />
5 Typen, die sich nicht nur in ihrem Aussehen,<br />
son<strong>der</strong>n auch in ihrer Wirkungsweise und Effektivität<br />
unterscheiden:<br />
Staubflieger<br />
Ballonflieger<br />
Schirmflieger<br />
Gleitflieger<br />
Schraubenflieger.<br />
Staubflieger sind Diasporen, die sehr klein und<br />
leicht sind und daher ohne beson<strong>der</strong>e Anpassungen<br />
schon von den leichtesten Aufwinden<br />
hochgehoben werden können. Hierher gehören<br />
die Sporen <strong>der</strong> Luft-Kryptogamen (Farne, Moose,<br />
Pilze). Sie gelangen leicht in große Höhen<br />
(mehrere 1000 m) und werden dort von Höhenströmungen<br />
verbreitet. Dementsprechend gibt<br />
es unter ihnen einen hohen Anteil an Kosmopoliten<br />
(vgl. S. 102, 104); begrenzen<strong>der</strong> Faktor<br />
für die Ausbreitung ist hier - abgesehen von den<br />
Standortsansprüchen - weniger die Flugweite als
28 Verbreitungsökologie<br />
Abb. 12: Staubflieger-Samen.<br />
Orchidaceac. 1 Gymnadenia campea, 2 Coeloglossum<br />
viride\ Droseraceae\ 3 Drosera rotundifolia\ Pyrolaceae:<br />
4 Morieses uniflora. - Quellen: 1, 2, 4 Salisbury 1942;<br />
3 Müller-Schnei<strong>der</strong> 1977.<br />
die Lebensdauer und Austrocknungsresistenz<br />
<strong>der</strong> Sporen, die häufig nicht ausreicht, um die<br />
gegebenen Transportmöglichkeiten voll ausnutzen<br />
zu können.<br />
Daneben gibt es aber auch Blütenpflanzen, <strong>der</strong>en<br />
Diasporen - hier Samen - so klein sind, daß<br />
sie auf diese Weise verbreitet werden können.<br />
Ihre Kleinheit ist Folge starker Reduktion aller<br />
Teile (Testa, Endosperm, meist auch Embryo;<br />
Abb. 12). Am weitesten geht die Reduktion bei<br />
den Orchideen: hier besteht <strong>der</strong> Embryo nur<br />
aus wenigen Zellen und enthält keinerlei Reservestoffe,<br />
so daß er für die Keimung auf die<br />
Mithilfe von Mykorrhizapilzen angewiesen ist.<br />
Solche Staubsamen wiegen meist nur zwischen<br />
1 und 10 pg, ihre Sinkgeschwindigkeit beträgt<br />
2-5 cm/s. Ihre Bereitstellung erfolgt oft in Kapseln<br />
mit seitlichen Spalten, die meist xerochas<br />
sind, d. h. sich nur bei trockenem Wetter öffnen;<br />
außerdem sind die frischen Samen oft<br />
unbenetzbar und haften daher nicht aneinan<strong>der</strong>.<br />
Außer bei den Orchideen gibt es solche<br />
Staubsamen auch bei an<strong>der</strong>en Gruppen mit<br />
obligater Mykorrhiza (Pyrolaceen, Ericaceen),<br />
ferner bei solchen mit spezieller Ernährungsweise,<br />
z. B. parasitischen Scrophulariaceen, Orobanchaceen,<br />
auch bei Droseraceen (hier begünstigt<br />
das Auftreten einer großen Zahl kleiner,<br />
leicht zu verbreiten<strong>der</strong> Samen wohl das Auffmden<br />
<strong>der</strong> wenig ausgedehnten geeigneten Standorte).<br />
Ein aktuelles Beispiel für den Ferntransport<br />
solcher Staubsamen ist das Auftreten mancher<br />
Pyrolaceen und Orchideen (z. B. Goodyera<br />
repens) aus <strong>der</strong> borealen Nadelwaldzone in künstlichen<br />
Kiefernforsten in Nordwestdeutschland,<br />
wo sie früher nicht vorkamen.<br />
Bei den vier übrigen Typen handelt es sich<br />
um größere Diasporen mit speziellen Anpassungen.<br />
Bei den Ballonfliegern bestehen diese darin,<br />
daß durch lufterfüllte Hohlräume das spezifische<br />
Gewicht herabgesetzt wird. Off sind es<br />
blasig aufgetriebene Früchte (z. B. Colutea,<br />
Physocarpus\ Anthyllis mit blasigem Kelch), die<br />
im Innern große einheitliche Lufträume enthalten,<br />
o<strong>der</strong> es kann <strong>der</strong> Kern <strong>der</strong> Diaspore rings<br />
herum von einem Haarkleid umhüllt sein (Samen<br />
von Gossypium, Ceiba pentandrd), in dem<br />
sich natürlich viel Luft befindet (solche Haarballen<br />
können auch entstehen, wenn mehrere<br />
Diasporen des folgenden Typs miteinan<strong>der</strong> verklumpen).<br />
Die Wirksamkeit dieser Eigenschaften<br />
ist recht unspezifisch und meist wenig erfolgreich;<br />
beson<strong>der</strong>s die in <strong>der</strong> Literatur oft genannten<br />
großen „aufgeblasenen“ Früchte, etwa<br />
von Colutea, werden womöglich eher im Sinne<br />
<strong>der</strong> Chamäanemochorie transportiert.<br />
Sehr viel effektiver sind die Schirmflieger,<br />
zahlenmäßig weitaus die größte Gruppe <strong>der</strong><br />
Anemochoren. Solche Diasporen bestehen aus<br />
einem ziemlich kleinen, festen, den Schwerpunkt<br />
enthaltenden Kern und einem sehr viel<br />
größeren ± einseitigen, haarigen Anhängsel.<br />
Durch diese Konstruktion erhalten sie eine definierte<br />
Lage in <strong>der</strong> Luft und bieten den Aufwinden<br />
gute Angriffspunkte. Nach seiner Form<br />
wird das Anhängsel als Fe<strong>der</strong>schweif (längliche<br />
Achse mit abstehenden Haaren), Haarschopf<br />
(einseitiges, dichtes, pinselartiges Haarbüschel)<br />
o<strong>der</strong> Fallschirm (wie Haarschopf, aber Haare<br />
schirmartig ausgebreitet, bei höchstspezialisierten<br />
mit stielartigem Schnabel) bezeichnet<br />
(Abb. 13). Alle drei Ausbildungen treten bei Sippen<br />
aus zahlreichen Familien und auf unterschiedlicher<br />
morphologischer Grundlage auf<br />
(Tab. 10).<br />
Beson<strong>der</strong>s häufig ist dieser Diasporentyp bei<br />
Pflanzen offener (oft Pionier-) Vegetation, sowohl<br />
krautiger als auch baumförmiger. Die Bereitstellung<br />
erfolgt oft in nach oben offenen<br />
Behältern (Kapseln, Compositen-Körbchen), in<br />
denen die Diasporen leicht vom Aufwind erfaßt<br />
werden können. Bei krautigen Arten wer-
Transport <strong>der</strong> Diasporen 29<br />
11 12 13<br />
Abb. 13: Schirmflieger.<br />
Fe<strong>der</strong>schweif: 1 Pulsatilla patens, 2 Cercocarpus ledifolius, 3 Stipa joannis\ Haarschopf: 4 Epilobium parviflorum,<br />
5 Sdixhumboldtiana, 6 Asckpias curassavica, 1 Arundo donax\ Fallschirm: 8 Valeriana officinalis, 9 Senecio vulgaris,<br />
10 Tillandsia utriculata, 11 Strophanthus hispidas, 12 Taraxacum officinale, 13 Tragopogón pratensis. -4 -6 , 10, 11<br />
Samen; 1 Früchtchen; 2, 8, 9, 12. 13 Früchte; 3, 7 Teilfruchtstände. - Quellen: 1 Hitchcock etc. 1955f ;<br />
2T achtadzian 1980f; 3 M üller-Schnei<strong>der</strong> 1977; 4, 7, 8, 9,11 U lbrich 1928; 5 ,1 2 ,1 3 C orrea 1969f; 6 M orí<br />
etc. 1994; 10 Rauh 1970E
30 Verbreitungsökologie<br />
Tab. 10: Anemochore Diasporen: Schirm-, Gleit- und Schraubenflieger.<br />
Diaspore V erbreitungsmittel Beispiele<br />
Same Haarschopf Asckpias, Epilobium, Populus, Salix, Tamarix,<br />
Tillandsia spp.<br />
Fallschirm<br />
Leucadendron, Strophanthus, Tillandsia utriculata<br />
2 ± seitliche Flügel Catalpa, Tanaecium, Zanonia<br />
± kreisförmiger Flügel Aspidosperma, Gentiana lutea, Lilium giganteum<br />
1 unsymmetrischer Flügel Abies, Picea, Pinus, Prionostemma, Pterygota,<br />
Swietenia<br />
Früchtchen Fe<strong>der</strong>schweif aus Griffel Clematis, Dry as, Geum montanum, Pulsatilla<br />
± kreisförmiger Flügel Anemone narcissiflora<br />
1 unsymmetrischer Flügel Liriodendron<br />
Teilfrucht Fallschirm aus Griffelanteil Pelargonium spp.<br />
± kreisförmiger Flügel Heracleum<br />
1 unsymmetrischer Flügel Acer, Securidaca<br />
unsymmetrisch-zweiflügelig<br />
Ailanthus<br />
Frucht Fe<strong>der</strong>schweif aus Griffel Cercocarpus<br />
Haarschopf aus Kelch (Pappus) Cirsium palustre<br />
- aus Perigon Eriopborum<br />
Fallschirm aus Kelch (Pappus) Senecio spp.. Taraxacum, Tragopogón, Valeriana<br />
2 seitliche Flügel Ainus, Betula, Terminalia<br />
± kreisförmiger Flügel Cbaunochiton, Ptelea, Pterocarpus, Ulmus<br />
1 unsymmetrischer Flügel<br />
Centrolobium, Fraxinus, Myroxylon<br />
als Auswuchs <strong>der</strong> Fmchtwand<br />
- aus Hochblättern Carpinus<br />
Mehrere unsymmetrische Flügel<br />
aus Kelchblättern<br />
Dipterocarpus<br />
Fruchtstand<br />
Fe<strong>der</strong>schweif aus Granne<br />
an Grasährchen<br />
Haarbüschel an Grasährchen<br />
1 unsymmetrischer Flügel aus<br />
Hochblatt<br />
Stipa joannis<br />
Arundo, Corta<strong>der</strong>ia spp.. Mélica ciliata, Phragmites<br />
Tilia<br />
den die Behälter meist durch postflorale Verlängerung<br />
des Stieles in die Höhe gehoben (z. B.<br />
Taraxacum, Tussilago). Da die Behälter meist<br />
xerochas sind und sich die Haare des Flugapparates<br />
bei Feuchtigkeit aneinan<strong>der</strong> legen,<br />
erfolgt <strong>der</strong> Transport nur bei trockenem Wetter.<br />
Die Sinkgeschwindigkeit <strong>der</strong> Diasporen liegt<br />
im Bereich von 10-40 cm /s, so daß sie schon<br />
von leichten Horizontalwinden gut verfrachtet<br />
werden können. Über die tatsächlich erreichten<br />
Flugweiten ist wenig bekannt; sie dürften<br />
aber beträchtlich sein. Ein näher untersuchtes<br />
Beispiel ist Senecio tubicaulis, <strong>der</strong> um 1960 auf<br />
dem trockengelegten Nordostpol<strong>der</strong> im Isselmeer<br />
(Nie<strong>der</strong>lande) Massenbestände ausbildete,<br />
von denen die Diasporen bis nach Mitteldeutschland<br />
flogen, also ca. 400 km weit (vgl.<br />
Runge 1987).<br />
Zu den Gleitfliegern gehören Diasporen unterschiedlicher<br />
Größe (Abb. 14). Sie sind flach<br />
(eben) und symmetrisch gebaut. Der im Vergleich<br />
zum Gesamtumfang kleine Kern, zugleich<br />
Schwerpunkt, liegt auf einer Linie, die die Diaspore<br />
in zwei gleiche Hälften teilt. Meist sind 2<br />
seitliche Flügel vorhanden, o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Kern ist<br />
rings von einem ± kreisförmigen Flügel umgeben<br />
(Tab. 10). Dadurch wird eine gleitende<br />
Abwärtsbewegung hervorgemfen, wie bei einem<br />
Segelflugzeug; wie bei diesem können Aufwinde<br />
auch zum Aufsteigen führen. Die Sinkgeschwindigkeit<br />
liegt bei 20-70 cm /s; wichtig ist<br />
I
Transport <strong>der</strong> Diasporen 31<br />
Abb. 14: Gleit- und Schraubenflieger.<br />
Gleitflieger: 1 Zanoniajavanica, 2 Tanaecium noctumum, 3 Terminaliaguyanensis, 4 Aspidosperma sandwithianum,<br />
5 Chamochiton kappleri, 6 Ulmus glabra, 7 Pterocarpus erinaceus\ Schraubenflieger: 8 Ailanthus altissima, 9 Picea<br />
abies, Prionoslemma aspera, 11 Pterygotaroxburghii, \Z Acerpseudoplatanus, 13 Securidaca uniflora, Myroxylon<br />
bakamum, 15 Centrolobium robustum, \6 Dipterocarpusretusus, 17 Carpinusbetulus, 18 Tiliaplatyphyllos.- 1 ,2 ,4 , 9,<br />
10, 11 Samen; 8, 12, 13 Teilfrüchte; 3, 5, 6, 7, 14, 15, 16 Früchte, 17 Frucht mit Hochblättern, 18 Fruchtstand<br />
mit Hochblatt. - Quellen: 1 Strasburger etc. 1991; 2, 3,4 , 5 ,1 0 ,1 3 M orí etc. 1994; 6, 8, 9 ,1 2 ,1 7 ,1 8 M üller-<br />
Schnei<strong>der</strong> 1977; 7, 15, 16 Tachtad2ian 1980f.; 11, 14 Ulbrich 1928.
32 Verbreitungsökologie<br />
^ i ^ r-<br />
V ’- H . '. .<br />
aber, daß das Absinken (und ebenso das Aufsteigen)<br />
auch bei fehlendem Horizontalwind zu<br />
einer horizontalen Entfernung von <strong>der</strong> Mutterpflanze<br />
fuhrt. Bei hochwüchsigen Pflanzen kann<br />
diese im Nahbereich beträchtlich sein; tatsächlich<br />
findet sich dieser Diasporentyp hauptsächlich<br />
bei Bäumen und hochwüchsigen Lianen.<br />
Die Bereitstellung erfolgt an <strong>der</strong> Pflanze; zum<br />
Ablösen ist keine große Kraft erfor<strong>der</strong>lich. Diasporen<br />
mit kreisförmigem Flügel sind aerodynamisch<br />
ungünstiger, sie geraten leicht ins Tmdeln<br />
und leiten damit zum letzten Typ über.<br />
Bei diesem, den Schraubenfliegern, handelt<br />
es sich meist um recht schwere Diasporen (von<br />
den angegebenen Beispielen sind nur die meisten<br />
Koniferensamen relativ leicht). Sie sind<br />
unsymmetrisch gebaut mit einem exzentrischen<br />
Kern und einem o<strong>der</strong> mehreren Flügeln, die oft<br />
nicht in einer Ebene liegen bzw. in sich gedreht<br />
sind (Abb. 14, Tab. 10). Dieser Bau führt dazu,<br />
daß beim Herabfallen einfache o<strong>der</strong> komplexe<br />
drehende Bewegungen entstehen, die den Fall<br />
verlangsamen. Das wird aber erst bei größerer<br />
Fallhöhe wirksam (z. B. bei Acer-Arten nach etwa<br />
40 cm, Fraxinus etwa 1 m). Dementsprechend<br />
kommt dieser Typ vorwiegend bei Bäumen vor.<br />
Die Sinkgeschwindigkeit ist trotz <strong>der</strong> Verlangsamung<br />
mit 1 0 0 - 2 0 0 cm /s recht hoch (geringer<br />
nur bei Koniferensamen). Zu einer nennenswerten<br />
horizontalen Verfrachtung (und erst recht<br />
zur Aufwärtsbewegung) kommt es daher erst bei<br />
stärkerem Wind. Dem entspricht die Bereitstellung:<br />
Schraubenflieger-Diasporen haften meistens<br />
ziemlich fest an <strong>der</strong> Mutterpflanze, so daß<br />
sie erst bei höheren Windstärken abgerissen werden,<br />
wenn die Chancen für einen weiteren<br />
Transport günstig sind. Die wenigen direkten<br />
Beobachtungen über erzielte Flugweiten liegen<br />
allerdings nur im Bereich von wenigen km.<br />
c<br />
Hydrochorie<br />
Neben Zoo- und Anemochorie ist die Hydrochorie<br />
die einzige weitere Transportart, mit <strong>der</strong>en<br />
Hilfe wirklicher Ferntransport möglich ist.<br />
Ihre Bedeutung ist aber weitaus geringer, da sie<br />
nur relativ wenige Sippen, bzw. Ausnahmesituationen<br />
betrifft.<br />
Der Wassertransport von Diasporen kann sowohl<br />
in fließenden als auch in stehenden Gewässern<br />
erfolgen, wozwischen aber kein prinzipieller<br />
Unterschied besteht. In <strong>der</strong> Literatur wird<br />
als beson<strong>der</strong>e Form oft <strong>der</strong> Transport durch Regen<br />
als „Ombrohydrochorie“ herausgestellt,<br />
doch handelt es sich dabei letztlich nur um die<br />
Wirkung temporärer Fließgewässer. Eine Unterteilung<br />
erfolgt daher am besten in angepaßte<br />
und unangepaßte Hydrochorie.<br />
Rheohydrochorie<br />
Hier handelt es sich um den Transport von nicht<br />
an das Schwimmen angepaßten Landpflanzen-<br />
Diasporen durch fließendes Süßwasser. Sowohl<br />
Bäche und Flüsse als auch temporäre, durch<br />
Starkregen verursachte Rinnsale und Schichtfluten<br />
können solche Diasporen mit sich führen.<br />
Ein kurzzeitiger Transport im Süßwasser<br />
schadet den meisten nicht.<br />
Bei abfließendem Regenwasser werden die<br />
Diasporen überall da, wo eine Verlangsamung<br />
eintritt, abgesetzt und können nach Versiegen<br />
des Rinnsals keimen. In ebenen Halbwüstengebieten,<br />
wo die ersten Regenfälle nach <strong>der</strong>Trokkenzeit<br />
zu Schichtfluten führen, werden an <strong>der</strong>en<br />
Oberfläche oft zahlreiche kleine Ballon-<br />
Diasporen (in Vor<strong>der</strong>asien z. B. von Astragalus-<br />
A rten) mitgeführt; möglicherweise ist dieser<br />
Diasporentyp in solchen Fällen ebenso stark auf<br />
Wasser- wie auf Lufttransport ausgerichtet.<br />
Nichtangepaßte Diasporen, die in permanente<br />
Gewässer gelangen, gehen dagegen meist zugrunde,<br />
da sie schließlich auf den Boden des<br />
Gewässers sinken. Eine erfolgreiche Verfrachtung<br />
in großem Ausmaße kann aber bei Flußhochwässern<br />
eintreten. Der Schlamm, <strong>der</strong> in den<br />
vorübergehend überschwemmten Bereichen<br />
abgesetzt wird, ist meist sehr diasporenreich.<br />
Viele Arten <strong>der</strong> Flußufer und -auen können sich<br />
auf diese Weise rasch über weite Entfernungen<br />
ausbreiten („Stromtalpflanzen“). In diesen Zusammenhang<br />
gehören auch die „vom Gebirge<br />
herabgeschwemmten“ Alpenpflanzen (z. B.<br />
Linaria alpina) auf den Kiesbänken <strong>der</strong> Voralpenflüsse.<br />
Nautohydrochorie<br />
Hierher gehört zunächst <strong>der</strong> Transport ganzer<br />
vegetativer Schwimmpflanzen durch Flüsse o<strong>der</strong><br />
Meeresströmungen. Auf tropischen Strömen,<br />
z. B. dem Amazonas, finden sich oft riesige Mengen<br />
solcher Schwimmpflanzen, die langsam<br />
flußabwärts treiben (vgl. S. 383^ Durch Meeresströmungen<br />
werden vor allem schwimmen
Transport <strong>der</strong> Diasporen 33<br />
de Algen (Tange) über weite Strecken verfrachtet.<br />
Während hier die vegetative Pflanze selbst<br />
Diaspore ist, werden natürlich auch ihre eigentlichen<br />
Vermehrungseinheiten (Sporen, Früchte,<br />
Samen, Brutknospen) im Wasser verbreitet.<br />
Im vorstehenden Fall lag die Anpassung an<br />
das Schwimmen bereits bei <strong>der</strong> vegetativen<br />
Pflanze vor. Es gibt aber auch Landpflanzen<br />
(und festsitzende Wasserpflanzen) mit speziellen<br />
Diasporen, die an <strong>der</strong> Wasseroberfläche<br />
schwimmen können. Am einfachsten wird das<br />
ermöglicht bei den sogenannten Leichtgewicht-<br />
Schwimmern. Es sind meist sehr kleine, leichte<br />
Diasporen, die unbenetzbar sind und auf <strong>der</strong><br />
Wasseroberfläche bleiben, weil die Oberflächenspannung<br />
das Einsinken verhin<strong>der</strong>t (z. B. Früchtchen<br />
von Ranunculusßamtnula, Teilfrüchte von<br />
Myosotispalustris-, Achänen von Cirsiumpalustre,<br />
wobei <strong>der</strong> Pappus eine Oberflächenvergrößemng<br />
bewirkt). Diese Methode ist aber wenig effektiv,<br />
da schon eine stärkere Bewegung <strong>der</strong> Wasseroberfläche<br />
zum Sinken führt.<br />
Wirkliche Anpassungen finden sich bei den<br />
Lufthöhlen-Schwimmern. Es sind kleine bis<br />
sehr große Diasporen, <strong>der</strong>en spezifisches Gewicht<br />
durch innere lufterfüllte Hohlräume herabgesetzt<br />
wird. Dabei handelt es sich entwe<strong>der</strong><br />
um einen einheitlichen großen Hohlraum<br />
(„Schwimmblase“, z. B. Same von Nymphaea,<br />
Früchtchen von Nuphar, Fruchtschlauch von<br />
Carex vesicaria), o<strong>der</strong> um ein Schwimmgewebe<br />
mit zahlreichen Interzellularen (z. B. in <strong>der</strong> Testa<br />
von Menyanthes-, im Perikarp von Cicuta, Sparganium).<br />
Meistens sind es Diasporen von krautigen<br />
Sumpf- o<strong>der</strong> auch wurzelnden Wasserpflanzen;<br />
es gehören aber auch in Ufernähe<br />
wachsende Gehölze hierher. Beson<strong>der</strong>e Wi<strong>der</strong>standsfähigkeit<br />
benötigen Diasporen, die durch<br />
Meeresströmungen verbreitet werden; hier muß<br />
nicht nur die Schwimmfähigkeit sehr lange erhalten<br />
bleiben, son<strong>der</strong>n auch das Eindringen des<br />
schädlichen Salzwassers verhin<strong>der</strong>t werden. Musterbeispiel<br />
hierfür ist die Kokosnuß (Abb. 15.1);<br />
wieweit die Kokospalme ihre weite pantropische<br />
Endosperm<br />
flüssig<br />
Embryo<br />
Stielansatz<br />
1<br />
Abb. 15: Auffällige hydrochore Diasporen.<br />
1 Kokosnuß {Cocos nuciferä), Längsschnitt: das le<strong>der</strong>ige, wasserdichte Exokarp umschließt das faserige (Kokosfasern),<br />
lufthaltige Mesokarp und das verholzte Endokarp. 2 Rhizophora mangle, Frucht (links) und Embryo als<br />
Diaspore (rechts). - Nach W. T roll 1959.
34 Verbreitungsökologie<br />
Verbreitung <strong>der</strong> Hydrochorie verdankt und wieweit<br />
<strong>der</strong> Mithilfe des Menschen, ist allerdings<br />
nicht mehr feststellbar. Aber auch kleine, unscheinbare<br />
Diasporen können sehr wi<strong>der</strong>standsfähig<br />
sein: so bleiben die Bruchfrüchtchen des<br />
Meersenfs {Cakile, vgl. Abb. 18.3) im Meerwasserschwimmend<br />
mindestens 10 Wochen lebensfähig.<br />
Daß es auch <strong>der</strong>artige „Anpassungen“ gibt,<br />
die für die Pflanze keinerlei Sinn haben, zeigt<br />
das Beispiel von Entada gigas: die Früchte bzw.<br />
Samen dieser an Flußufem Mittelamerikas wachsenden<br />
tropischen Liane gelangen ins Meer und<br />
werden vom Golfstrom bis an die arktischen<br />
Küsten von Nord-Norwegen und Novaja Zemlja<br />
transportiert, und sie sind dann .sogar z. T. noch<br />
keimfähig!<br />
Als Merkwürdigkeit seien noch die Diasporen<br />
mancher Mangrovearten (z. B. Rhizophora mangle,<br />
Abb. 15.2) erwähnt. Ihre Embryonen entwikkeln<br />
schon an <strong>der</strong> Mutterpflanze eine lange, aus<br />
<strong>der</strong> einsamigen Frucht herausragende Pfahlwurzel.<br />
Bei <strong>der</strong> Reife fallen sie unter Zurücklassung<br />
<strong>der</strong> Keimblätter ab und können, da sie salzresistent<br />
sind, völlig ungeschützt an <strong>der</strong> Wasseroberfläche<br />
schwimmen. Allerdings ist ihre<br />
Lebensdauer doch begrenzt, sie reichte z. B. für<br />
eine natürliche Besiedlung <strong>der</strong> Hawaii-Inseln<br />
nicht aus (erst nach künstlicher Einführung haben<br />
sich Rh. mangle und Rh. mucronata an den<br />
dortigen Küsten sehr schnell eingebürgert).<br />
An die Mangroven-Embryonen erinnert etwas<br />
das Verhalten von Bachuferpflanzen aus <strong>der</strong><br />
Gattung M imulus, bei denen die Samen im<br />
Wasser keimen und die schwimmenden Keimlinge<br />
vom Wasser mitgeführt und schließlich<br />
an geeigneten Uferstellen abgesetzt werden kön-<br />
Ballochorie<br />
Im Gegensatz zu den bisher besprochenen<br />
Transportarten kommt es bei dieser und <strong>der</strong><br />
folgenden allein zur Ausbreitung in <strong>der</strong> nächsten<br />
Umgebung <strong>der</strong> Mutterpflanze. Den verschiedenen<br />
Formen <strong>der</strong> Ballochorie ist gemeinsam,<br />
daß die Diasporen durch einen einmaligen<br />
Impuls vom Entstehungsort weggeschleu<strong>der</strong>t<br />
werden. Um hierbei möglichst große Entfernungen<br />
zu überbrücken, sind Eigenschaften<br />
notwendig, die den bei <strong>der</strong> Anemochorie nötigen<br />
genau entgegengesetzt sind: die Diasporen<br />
müssen klein und kompakt sein und möglichst<br />
wenig Luftwi<strong>der</strong>stand bieten. Solche, oft „feilspanförmigen“<br />
Diasporen können trotz ihrer<br />
Kleinheit eine Sinkgeschwindigkeit von über<br />
500 cm/s haben.<br />
Die ersten drei zugehörigen Formen werden<br />
hier nur erwähnt, weil sie in <strong>der</strong> Literatur traditionell<br />
behandelt werden; das Auffallendste an<br />
ihnen sind die dafür erfundenen Fachtermini,<br />
während ihre tatsächliche Spezifizität bzw. Effektivität<br />
minimal ist.<br />
Zooballochorie<br />
Hier handelt es sich darum, daß auf elastischen<br />
Stielen stehende Diasporenbehälter krautiger<br />
Pflanzen von vorbeigehenden Tieren ein Stück<br />
mitgezogen werden, dann zurückschnellen und<br />
dabei die Diasporen ausschleu<strong>der</strong>n. Beson<strong>der</strong>s<br />
leicht geschieht das, wenn die Behälter Stacheln<br />
o<strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>haken haben; hierfür wurde die Bezeichnung<br />
„Schüttelkletten“ geprägt, als Beispiel<br />
wird Dipsacus angegeben.<br />
Anemoballochorie<br />
Dieser Fall ähnelt dem vorigen, nur daß das<br />
Abbiegen <strong>der</strong> Behälter aus <strong>der</strong> Gleichgewichtslage<br />
vom Wind besorgt wird. Als Anpassung bei<br />
solchen „Schüttelfrüchten“ wird die oft durch<br />
postflorale Verlängerung bewirkte beson<strong>der</strong>e<br />
Länge <strong>der</strong> steif-aufrechten Stiele angesehen (z. B.<br />
Papaver). Die Streuweite bei <strong>der</strong> tier- o<strong>der</strong> windbedingten<br />
Ausschleu<strong>der</strong>ung mag in günstigen<br />
Fällen einige Meter betragen; doch kann man<br />
bei unvoreingenommener Betrachtung davon.<br />
ausgehen, daß es sich für die betreffenden Diasporen<br />
nur um eine, und sicherlich nicht die<br />
wichtigste, von mehreren Verbreitungsweisen<br />
handelt.<br />
Hydroballochorie<br />
Die hierher gehörenden Pflanzen, die auch als<br />
„Regenballisten“ bezeichnet werden, haben'<br />
meist kleine, an waagerechten, elastischen Stielen<br />
stehende Früchte, die sich bei <strong>der</strong> Reife so<br />
öffnen, daß die Samen lose auf einer löffelförmigen<br />
Fläche liegen. Trifft ein Regentropfen<br />
den Löffel, so biegt sich <strong>der</strong> Stiel nach unten<br />
und schnellt wie<strong>der</strong> zurück, wobei die Samen<br />
ausgeschleu<strong>der</strong>t werden. Als Beispiele werden<br />
Thlaspi perfoliatum und an<strong>der</strong>e Cruciferen genannt;<br />
die Streuweite soll bis zu 80 cm (!) betra-
Transport <strong>der</strong> Diasporen 35<br />
Abb. 16; Beispiele für Autoballochorie<br />
(Früchte).<br />
Saftdruckstreuer: 1 Impatiens<br />
parviflora, 2 EcbalEum ekterium,<br />
3 Arceuthobium vaginatum\ Austrocknungsstreuer:<br />
4 Geranium<br />
syhaücum (Frucht in 5 Klausen<br />
aufspaltend, dabei plötzliche<br />
Zusammenrollung <strong>der</strong> Griffel-<br />
Anteile), 5 Lotus comiculatus. -<br />
Quellen: 1, 2 Ulbrich 1928;<br />
3 Hawksworth 1961; 4,5 Müller-Schnh<strong>der</strong>1977.<br />
gen. Hier liegt also eine reine Kuriosität ohne<br />
jede praktische Bedeutung vor.<br />
Autoballochorie<br />
Diese Transportart hat wegen ihrer spektakulären,<br />
auch dem Laien auffallenden Erscheinungen<br />
beson<strong>der</strong>s viel Beachtung gefunden. Die<br />
Energie für das Fortschleu<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Diasporen<br />
wird hier gewöhnlich durch Spannungen im lebenden<br />
(„Saftdruckstreuer“) o<strong>der</strong> toten („Austrocknungsstreuer“)<br />
Gewebe <strong>der</strong> Behälter geliefert,<br />
die schließlich zu explosionsartigem Zerfall<br />
fuhren (Abb. 16).<br />
Bei den Saftdruckstreuern kommen die<br />
Spannungen durch den Turgor zustande. Meist<br />
handelt es sich um Früchte, bei denen mit fortschreiten<strong>der</strong><br />
Reife in bestimmten Geweben ein<br />
Überdruck aufgebaut wird, bis schließlich die<br />
leiseste Erschüttemng zur Explosion fuhrt. Gewöhnlich<br />
zerplatzen die Früchte infolge von<br />
Spannungen in <strong>der</strong> Fruchtwand entsprechend<br />
ihrem morphologischen Bau, z. B. als lokulizide<br />
Kapseln {Impatiens) o<strong>der</strong> Schoten {Cardam ine<br />
impatiens, Corydalis sibirica). Eine an<strong>der</strong>e, beson<strong>der</strong>s<br />
wirksame Konstruktion liegt bei <strong>der</strong> Spritzgurke<br />
{Ecballium elaterium) vor: ein <strong>der</strong>bes, elastisches<br />
Perikarp umschließt eine innere schleimige<br />
Masse, die die zahlreichen Samen enthält.<br />
In dieser entsteht ein Überdruck bis zu 2,5 bar,<br />
<strong>der</strong> zuletzt den Stiel <strong>der</strong> hängenden Frucht aus<br />
seiner Mündung stößt, so daß die Frucht abfällt<br />
und im gleichen Augenblick <strong>der</strong> Inhalt einschließlich<br />
<strong>der</strong> Samen hinausgespritzt wird.<br />
Nach dem gleichen Prinzip arbeiten die Früchte<br />
nordamerikanischer Mistel-Arten {Arceuthobium<br />
spp., z. B. auf Pinus und Pseudotsuga), die<br />
ihre klebrigen Samen so direkt von einem Baurti<br />
zum nächsten schießen können.<br />
Stärker abweichend verhält sich <strong>der</strong> Sauerklee<br />
{Oxalis acetosella u. a. spp.), bei dem die Samen<br />
mit Hilfe <strong>der</strong> Samenschale fortgeschleu<strong>der</strong>t
36 Verbreitungsökologie<br />
werden. Diese ist zweischichtig: einer inneren,<br />
harten Schicht liegt eine stark turgeszente Epi<strong>der</strong>mis<br />
auf, die durch eine feste, elastische Kutikula<br />
zusammengepreßt wird. Durch zunehmenden<br />
Überdruck in <strong>der</strong> Epi<strong>der</strong>mis (angeblich bis<br />
18 bar) wird dann plötzlich <strong>der</strong> innere Teil des<br />
Samen herausgequetscht und durch die Spalten<br />
<strong>der</strong> geöffneten Kapsel ins Freie geschossen.<br />
Hierher gehört übrigens auch die Ausschleu<strong>der</strong>ung<br />
<strong>der</strong> Sporen aus den Farnsporangien<br />
durch den bekannten Kohäsionsmechanismus.<br />
Da die ausgeschleu<strong>der</strong>ten Samen oft klebrig<br />
sind, können sie leicht an Tieren, die die Explosion<br />
ausgelöst haben, hängenbleiben und von<br />
diesen weitertransportiert werden; in solchen<br />
Fällen wäre das Abschießen eigentlich eine beson<strong>der</strong>e<br />
Form <strong>der</strong> Bereitstellung von epizoochoren<br />
Kleb-Diasporen.<br />
Die Spannungen in den Früchten <strong>der</strong> Austrocknungsstreuer<br />
beruhen meist auf einer ungleichen<br />
Verformung verschiedener Gewebeschichten<br />
(z. B. infolge von Faserschicht-Kreu-<br />
Zungen) bei <strong>der</strong> Austrocknung <strong>der</strong> abgestorbenen<br />
Fruchtwand. Oft wird eine rasche Austrocknung<br />
bei Sonnenschein durch die dunlde Färbung<br />
<strong>der</strong> Frucht begünstigt. Es können hauptsächlich<br />
2 Mechanismen unterschieden werden,<br />
die man als „Rollschleu<strong>der</strong>“ und „Quetschschleu<strong>der</strong>“<br />
bezeichnen kann. Im ersten Fall rollen<br />
sich Teile <strong>der</strong> Fruchtwand blitzschnell zusammen,<br />
wodurch die daran sitzenden Samen<br />
fortgeschleu<strong>der</strong>t werden (z. B. Genista, Lotus,<br />
Sarothamnus, Vicia u. a. Leguminosen, Geranium)-,<br />
die Frucht selbst wird dabei oft völlig<br />
zerlegt (beson<strong>der</strong>s auffällig bei dem tropischen<br />
Euphorbiaceen-Baum H ura crepitans, dessen<br />
etwa faustgroße Kapsel mit lautem Knall in zahlreiche<br />
Teile zerspringt). Im zweiten Fall werden<br />
die meist sehr harten, glatten Samen durch ein<br />
eher langsames Zusammenpressen bestimmter<br />
Perikarpteile plötzlich aus <strong>der</strong> Frucht herausgequetscht<br />
(z. B. Viola, Buxus, Hamamelis).<br />
Zu den bei <strong>der</strong> Autoballochorie erreichten<br />
Schußweiten vgl. Tab. 11.<br />
Tab. 11; Maximale „Schußweiten“ autoballochorer<br />
Diasporen.<br />
Nach Hawksworth 1961 und Müller-Schnei<strong>der</strong> 1977.<br />
Art<br />
Cardamine parvijlora f 2<br />
Geranium columbinum 1,5<br />
Pika spruceana 1,7<br />
Cardamine impatiens 2,0<br />
Montia fontana 2,0<br />
Euphorbia helioscopia 2,0<br />
Corydalis sibirica 2,2<br />
Oxalis acetosella 2,3<br />
Viola arvensis 2,4<br />
Geranium sylvaticum 2,7<br />
Cyclanthera explodens 3,0<br />
Impatiens parvijlora 3,4<br />
Lathraea clandestina 4,0<br />
Mercurialis perennis 4,0<br />
Alstroemeria psittacina 4,0<br />
Viola riviniana 4,6<br />
Dorstenia contrayerva 5,0<br />
Geranium robertianum 6,0<br />
Impatiens glandulifera 6,3<br />
Lupinus digitatus 7,0<br />
Wisteria sinensis 9,0<br />
Acanthus mollis 9,5<br />
Arceuthobium vaginatum 12,6<br />
Ecballium elaterium 12,7<br />
Hura crepitans 14,0<br />
Baubinia purpurea 15,0<br />
Weite in m<br />
Autochorie<br />
Die eben besprochene Autoballochorie wird oft<br />
mit zur Autochorie gerechnet. Doch gibt hierbei<br />
die Pflanze selbst nur den Anstoß zum Transport;<br />
bei echter Autochorie fuhrt sie ihn auch<br />
durch. In <strong>der</strong> Literatur werden 2 Formen <strong>der</strong><br />
Autochorie unterschieden, <strong>der</strong>en erste jedoch<br />
wie<strong>der</strong> nur eine Kuriosität ist, die für die Ausbreitung<br />
<strong>der</strong> Diasporen keine praktische Bedeutung<br />
hat.<br />
Herpautochorie<br />
Hier bewegen sich die auf dem Boden liegenden<br />
Diasporen mit Hilfe hygroskopischer Grannen<br />
o<strong>der</strong> Haare, die meist noch mit einseitig<br />
ausgerichteten Wi<strong>der</strong>haken besetzt sind. Meist<br />
legen diese Organe sich bei Feuchtigkeit dicht<br />
an, beim Austrocknen spreizen sie ab o<strong>der</strong> biegen<br />
sich knieartig um. Bei häufigem Feuchtigkeitswechsel<br />
(durch allnächtlichen Tau) kann<br />
eine ständige Fortbewegung <strong>der</strong> Diaspore in einer<br />
Richtung resultieren. Die zurückgelegten<br />
Distanzen sind minimal; ein Nutzen für die<br />
Pflanze kann zuweilen darin bestehen, daß die<br />
Diasporen in eine für die Keimung günstige Lage<br />
gebracht werden (bei Erodium werden sie sogar<br />
durch den Fruchtschnabel in den Boden einge-
Transport <strong>der</strong> Diasporen 37<br />
Abb. 17: Blastautochorie durch Ausläufer<br />
bei Ranunculus repens (schematisch).<br />
Eine Mutterpflanze (bei <strong>der</strong> Koordinate<br />
0/0) erzeugte in einer Vegetationsperiode<br />
34 Tochterpflanzen, von denen 22 (*)<br />
zugleich noch zur Blüte kamen. - Aus<br />
Sausbury 1942, verän<strong>der</strong>t.<br />
bohrt; an<strong>der</strong>e Beispiele: viele Grasfrüchte bewegen<br />
sich mit Hilfe ihrer Grannen, die von<br />
Trifolium stdlatum mit Hilfe <strong>der</strong> Kelchzipfel).<br />
Blastautochorie<br />
Bei Pflanzen mit nie<strong>der</strong>liegenden Stengeln werden<br />
Früchte und Samen an Stellen erzeugt, die<br />
vom Keimort <strong>der</strong> Mutterpflanze eine gewisse<br />
horizontale Strecke entfernt sind; doch handelt<br />
es sich hierbei um das normale vegetative<br />
Längenwachstum, das nicht speziell dem Diasporentransport<br />
dient. Eine spezielle Anpassung,<br />
die die Verbringung <strong>der</strong> Diasporen an einen<br />
günstigen Keimort bewirkt, liegt allerdings bei<br />
Tab. 12: Ausläufer, in einer Vegetationsperiode erzeugte<br />
Längen (Beispiele aus Mitteleuropa).<br />
Aus Müller-Schnei<strong>der</strong> 1977.<br />
Art<br />
Viola odorata 0,13<br />
Ajuga reptam 0,2<br />
Hieracium pilosella 0,3<br />
Geum reptans 0,5<br />
Lithospermum purpureo-coerukum 0,56<br />
PotentiUa amerina 1,1<br />
Ranunculus repens 1,3<br />
Rubus saxatilis 1,4<br />
PotentiUa reptans 1,5<br />
Vinca major 2,0<br />
Fragaria vesca 2,6<br />
Rubus caesius 3,2<br />
Rubus bifrons 6,5<br />
Phragmites australis 20,0<br />
Länge in m<br />
<strong>der</strong> Fels- und Mauerpflanze Cymbalaria muralis<br />
vor: hier wachsen die Fruchtstiele postfloral<br />
negativ phototropisch und beför<strong>der</strong>n dadurch<br />
die Kapseln in Fels- und Mauerritzen.<br />
Eindeutig von Transport kann man aber bei<br />
Pflanzen mit vegetativer Vermehrung durch<br />
Ausläufer sprechen. Hier sind die Diasporen<br />
Sproßvegetationspunkte, die mit Hilfe spezieller<br />
Transportorgane an den Bestimmungsort<br />
gebracht werden. Die Ausläufer haben allerdings<br />
nicht allein die Transportfunktion, son<strong>der</strong>n zugleich<br />
die Aufgabe, die an ihnen befindlichen<br />
Diasporen mit Nährstoffen zu versorgen. Deren<br />
Etablierung wird so sehr erleichtert, und es<br />
ist verständlich, daß Pflanzen mit Ausläufern<br />
oft eine sehr rasche Nahausbreitung zeigen<br />
(Abb. 17, Tab. 12).<br />
f<br />
Atelechorie<br />
Neben den vielen Anpassungen, die den Transport<br />
<strong>der</strong> Diasporen vom Entstehungsort hinweg<br />
begünstigen, gibt es zuweilen auch solche, die<br />
das Gegenteil bewirken. Das erscheint zunächst<br />
wi<strong>der</strong>sinnig: denn jede Pflanzensippe braucht<br />
die Fähigkeit sich auszubreiten. Selbst wenn sie<br />
in einem standörtlich zusagenden Gebiet lebt<br />
und deshalb im Augenblick eine Ausbreitung<br />
nicht nötig hat, so kann es doch je<strong>der</strong>zeit zu<br />
Klimaän<strong>der</strong>ungen kommen, die das potentielle<br />
Areal verschieben; kann die Sippe dann ihre Verbreitung<br />
den verän<strong>der</strong>ten Verhältnissen nicht<br />
anpassen, so ist sie vom Aussterben bedroht.
38 Verbreitungsökologie<br />
I<br />
Dementsprechend betrifft das Phänomen <strong>der</strong><br />
Atelechorie, <strong>der</strong> Verhin<strong>der</strong>ung des Diasporen-<br />
Transports, stets nur einen Teil <strong>der</strong> Diasporen<br />
<strong>der</strong> betreffenden Sippe. Es tritt vorwiegend bei<br />
Pflanzen auf, die unter sehr ungünstigen Klimabedingungen<br />
wachsen, vor allem in Halbwüstengebieten<br />
(vgl. ZoHARY 1937). Dort gibt es viele<br />
Einjährige, die den größten Teil des Jahres (o<strong>der</strong><br />
auch mehrere Jahre) als Diasporen verbringen<br />
und nur während einer kurzen Regenzeit vegetativ<br />
vorhanden sind. Sie wachsen an lokal günstigen<br />
Stellen, wo <strong>der</strong> Regen zusammenläuft. Ein<br />
Teil ihrer Früchte o<strong>der</strong> Samen wird an Ort und<br />
Stelle fixiert, so daß <strong>der</strong> einmal gefundene günstige<br />
Standort von <strong>der</strong> Art besetzt bleibt. Sie erreichen<br />
dadurch eine Art von Perennität, aber<br />
mit geringerem Stoffaufwand - vor allem<br />
Wasserverlust - als echte Perenne.<br />
Die Fixierung <strong>der</strong> Diasporen erfolgt meist<br />
durch Geokarpie, d. h. die Früchte werden in<br />
den Boden verlagert, entwe<strong>der</strong> durch kleistogame<br />
unterirdische Blüten, o<strong>der</strong> durch positiv<br />
geotropes Wachstum <strong>der</strong> Fruchtstiele nach <strong>der</strong><br />
Bestäubung. Das geschieht aber nur mit einem<br />
Teil <strong>der</strong> Früchte, es liegt also Heterokarpie vor.<br />
Meist sind die Erdfrüchte einsamig und bleiben<br />
geschlossen, die an<strong>der</strong>en, an <strong>der</strong> Luft erzeugten<br />
Früchte dagegen sind mehrsamig und<br />
öffnen sich normal (Abb. 18.1,2), so bei manchen<br />
Leguminosen (z. B. Lathyrus amphicarpus,<br />
Pisum amphicarpum, Mittelmeergebiet) und Cmciferen<br />
{C ardam ine chenopodiifolia, Anden).<br />
(Nicht in allen Fällen dient die Geokarpie <strong>der</strong><br />
Atelechorie: bei Vro/it-Arten ist sie z. B. eine<br />
Form <strong>der</strong> Bereitstellung myrmekochorer Diasporen,<br />
ähnlich bei Arachis hypogaea für Dyszoochorie<br />
seitens erdbewohnen<strong>der</strong> Nager.)<br />
Neben Geokarpie gibt es noch an<strong>der</strong>e Methoden<br />
<strong>der</strong> Transportverhin<strong>der</strong>ung, z. B. sehr<br />
festes Haften an <strong>der</strong> Mutterpflanze, Verankerung<br />
im Boden mit Haken, u. a. Als Beispiel,<br />
bei dem sich die beiden Hälften <strong>der</strong>selben<br />
Frucht unterschiedlich verhalten (Heteromerikarpie),<br />
sei noch <strong>der</strong> Meersenf {Cakile maritima)<br />
genannt: die Früchte sind 2samige Bmchschoten<br />
(Abb. 18.3), <strong>der</strong>en oberer Teil abbricht und verbreitet<br />
wird, während <strong>der</strong> untere an <strong>der</strong> toten<br />
Mutterpflanze verbleibt, mit dieser oft im Sand<br />
vergraben wird und so den bisherigen Wuchsort<br />
behaupten kann.<br />
3 Etablierung am Zielort<br />
Mit <strong>der</strong> Entfernung <strong>der</strong> Diaspore vom Wuchsort<br />
<strong>der</strong> Mutterpflanze ist die erste Voraussetzung<br />
für eine Ausbreitung erfüllt. Bis zur tatsächlichen,<br />
dauerhaften Eroberung eines neuen<br />
Wuchsortes ist es aber noch ein weiter Weg, auf<br />
dem die weiteren oben genannten Schritte zu<br />
durchlaufen sind.<br />
Die vielen Anpassungen, die den Transport bewirken,<br />
dürfen natürlich nicht ewig wirksam<br />
sein: irgendwann müssen die Keime zur Ruhe
Etablierung am Zielort 39<br />
kommen und sich am Bestimmungsort festsetzen.<br />
Die Beendigung des Transports kann bewirkt<br />
werden durch;<br />
(1) Verlust o<strong>der</strong> Unwirksamwerden <strong>der</strong> Verbreitungsmittel.<br />
Bei Endo- und Synzoochorie wirkt das<br />
Verbreitungsmittel nur einmal: mit dem<br />
Ausscheiden bzw. Wegwerfen des Kernes ist<br />
<strong>der</strong> Verbreitungsvorgang beendet. Epizoochore<br />
Diasporen können an Vegetation<br />
o<strong>der</strong> am Boden wie<strong>der</strong> abgestreift, o<strong>der</strong> vom<br />
Tier absichtlich beseitigt werden. Bei<br />
Anemochorie kann einfach die Windgeschwindigkeit<br />
zu gering werden; o<strong>der</strong> z. B.<br />
Staubflieger werden durch Regentropfen zu<br />
Boden beför<strong>der</strong>t, bei größeren Diasporen<br />
wird <strong>der</strong> Flugapparat zerstört o<strong>der</strong> abgeworfen<br />
o<strong>der</strong> legt sich bei Feuchtigkeit zusammen.<br />
Beim Wassertransport werden die<br />
Diasporen am Ufer abgesetzt, o<strong>der</strong> die Um <br />
hüllung des Schwimmapparates wird undicht,<br />
so daß Wasser eindringen kann und<br />
die Diasporen absinken.<br />
(2) Das Verbreitungsmittel dient zugleich <strong>der</strong><br />
Verankerung im Boden.<br />
Der perfekteste Fall dieser Art ist die vegetative<br />
Verbreitung durch Ausläufer. Von<br />
den generativen Diasporen betrifft es vor<br />
allem Epizoochore mit Haken, Borsten<br />
u. dgl., die nach dem Abstreifen vom Tier<br />
dazu führen, daß die Diaspore auf dem<br />
Boden bald eine feste Lage einnimmt (beson<strong>der</strong>s<br />
bei Trampelkletten kann die Verankerungsfunktion<br />
<strong>der</strong> Anhängsel <strong>der</strong> Transportfunktion<br />
gleichwertig sein). Auch bei<br />
Kleb-Diasporen kann die Klebsubstanz zur<br />
Befestigung am Substrat fuhren (vgl. die Mistel,<br />
S. 25). Daß die „Verbreitungsmittel“<br />
<strong>der</strong> Herpautochoren wohl überwiegend <strong>der</strong><br />
Verankerung dienen, wurde bereits erwähnt.<br />
(3) Entwicklung beson<strong>der</strong>er Verankerungsmittel.<br />
Viele kleine Diasporen, hauptsächlich Samen,<br />
entwickeln bei Befeuchtung einen zähen,<br />
klebrigen Schleim, <strong>der</strong> sie an <strong>der</strong> Unterlage<br />
festklebt (Myxospermie). Das ist beson<strong>der</strong>s<br />
in Trockengebieten häufig und bewirkt<br />
hier, daß die Samen bei beginnenden<br />
Regenfällen sofort fixiert werden; doch ist<br />
es auch in Mitteleuropa nicht selten (z. B.<br />
Plantago, Linum, Salvia).<br />
b<br />
Keimung und Keimungsökologie<br />
Während bei manchen vegetativen Diasporen,<br />
so bei <strong>der</strong> Ausläuferverbreitung, gleich eine voll<br />
ausgebildete Jungpflanze auftritt, liegt bei den<br />
generativen Diasporen <strong>der</strong> Samenpflanzen ein<br />
Embryo vor, <strong>der</strong> zunächst als Keimling die<br />
schützende Umhüllung verlassen muß. Das Stadium<br />
des Keimlings ist ein beson<strong>der</strong>s gefährdeter<br />
Abschnitt im Lebenszyklus <strong>der</strong> Pflanze. Es<br />
gibt daher viele Anpassungen, die dafür sorgen,<br />
daß es nur unter günstigen Außenbedingungen<br />
zur Keimung kommt. Manche Anpassungen<br />
laufen sogar darauf hinaus, eine Keimung nur<br />
dann zu ermöglichen, wenn auch die Voraussetzungen<br />
für das Aufwachsen <strong>der</strong> Jungpflanzen<br />
günstig sind (vgl. F enner 1985).<br />
Ein wichtiges Phänomen ist die Keimruhe,<br />
d. h. das Verhalten vieler Samen (bzw. samenhaltiger<br />
Diasporen), nach dem Verlassen <strong>der</strong><br />
Mutterpflanze eine Ruhepause durchzumachen,<br />
in <strong>der</strong> eine Keimung nicht erfolgt. Die Ursachen<br />
hierfür lassen sich in 4 Gruppen unterteilen,<br />
von denen man die beiden ersten als exogene,<br />
die beiden letzten als endogene zusammenfassen<br />
kann:<br />
(1) Physiko-chemische: Die für die Keimung<br />
notwendigen Werte <strong>der</strong> Außenbedingungen<br />
sind nicht gegeben. So ist <strong>der</strong> Temperaturbereich,<br />
in dem eine Keimung erfolgt,<br />
oft recht eng (z. B. eine Amplitude von<br />
10 °C); solange die Temperatur darunter<br />
o<strong>der</strong> darüber liegt, erfolgt keine Keimung.<br />
Ähnliches kann für den pH-Wert des Bodens<br />
gelten; auch hier gibt es manchmal<br />
recht enge Amplituden (kann bestimmend<br />
sein für das Vorkommen <strong>der</strong> betr. Sippe).<br />
Grundvoraussetzung ist natürlich ein genügen<strong>der</strong><br />
Wassergehalt des Bodens, <strong>der</strong> die für<br />
die Keimung nötige Quellung des Embryos<br />
ermöglicht. In Son<strong>der</strong>fällen sind noch weitere<br />
Faktoren entscheidend, z. B. auch biologische:<br />
so bei Orchideensamen die Anwesenheit<br />
eines geigneten Mykorrhizapilzes.<br />
(2) Mechanische; Die Schale <strong>der</strong> Diaspore ist<br />
wassemndurchlässig und verhin<strong>der</strong>t so die<br />
Quellung; zuweilen kann sie auch 0 2 -undurchlässig<br />
sein und dadurch die Atmung<br />
behin<strong>der</strong>n (diese ist bei keimenden Samen<br />
meist sehr stark, in Notfällen kommt auch<br />
anaerobe Energiegewinnung vor); in seltenen<br />
Fällen wird die Quellung trotz Wasserdurchlässigkeit<br />
durch zu große Härte <strong>der</strong>
40 Verbreitungsökologie<br />
Schale unmöglich gemacht. Diese Eigenschaften<br />
<strong>der</strong> Schale können auf mechanischem,<br />
physikalischem o<strong>der</strong> chemischem<br />
Wege beseitigt werden, z. B. durch<br />
• Dyszoochorie: Tier öffnet Schale und<br />
verliert Keim<br />
• Endozoochorie: Teüverdauung <strong>der</strong> Schale<br />
• „Überliegen“ im Boden: Beschädigung<br />
<strong>der</strong> Schale durch Frostwirkung im Winter,<br />
im folgenden Sommer dann Fortsetzung<br />
<strong>der</strong> Korrosion durch mikrobiellen<br />
Abbau.<br />
Letzteres trifft für viele Körner- und Nuß-<br />
Diasporen zu. Beson<strong>der</strong>s wi<strong>der</strong>standsfähig<br />
sind die Schalen mancher Leguminosen-Samen;<br />
hier beschleunigt man die Korrosion<br />
in <strong>der</strong> Praxis zuweilen durch Einlegen in<br />
H2SO4.<br />
(3) Ontogenetische: Der Embryo ist bei <strong>der</strong><br />
(scheinbaren) Samenreife noch ungenügend<br />
entwickelt und muß nach dem Abfallen erst<br />
nachwachsen (auf Kosten des Endosperms).<br />
Dieser Fall ist nicht selten (mitteleuropäische<br />
Beispiele: Pinus, Fraxinus excelsior, Ilex<br />
aquifolium, Eranthis u. a. Ranunculaceen,<br />
Corydalis cava).<br />
(4) Physiologische: Die Keimung erfolgt für<br />
eine gewisse Zeit auch dann nicht, wenn<br />
Hin<strong>der</strong>nisse nach (l)-(3) nicht vorliegen.<br />
Dieses als Keimhemmung bezeichnete Verhalten<br />
ist durch die Keimung hin<strong>der</strong>nde Inhaltsstoffe<br />
(häufig Abscisinsäure, auch Zimtsäure<strong>der</strong>ivate<br />
u. a.) bedingt; erst nach <strong>der</strong>en<br />
Abbau (o<strong>der</strong> auch Blockierung) ist die<br />
Diaspore „keimbereit“. Solche Substanzen<br />
können auch in den äußeren Teilen von<br />
Saft-Diasporen enthalten sein (so wurden<br />
im Fruchtfleisch von Perseagratissima bis zu<br />
10 mg/kg Abscisinsäure nachgewiesen). Im<br />
eigentlichen Samenbereich können sie im<br />
Laufe <strong>der</strong> Zeit von selbst degenerieren (selten<br />
ist einfache Auswaschung). Meist wird<br />
<strong>der</strong> Abbau aber durch die Wirkung exogener<br />
Reize beschleunigt, d. h. durch bestim<br />
m te Schwellenwerte von Um w eltfaktoren,<br />
die entwe<strong>der</strong> einmalig (kurz- o<strong>der</strong><br />
langzeitig) o<strong>der</strong> mehrfach im Wechsel auftreten.<br />
Zu nennen sind:<br />
• Temperaturen: tiefe (in Mitteleuropa oft<br />
0 bis 4-5 °C, sog. „Frostkeimer“); hohe;<br />
Wechsel<br />
• Licht: Belichtung hemmend („Dunkelkeimer“);<br />
för<strong>der</strong>nd („Lichtkeimer“); bestimmte<br />
Photoperiode nötig<br />
• Feuchtigkeit: mehrfacher Wechsel zwischen<br />
Anfeuchtung und Austrocknung<br />
• Chemismus: Wechsel zwischen Salzwasser<br />
und Regenwasser (bei Meerstrandpflanzen,<br />
z. B. Cakile).<br />
Zuweilen wird die Keimhemmung nur für<br />
eine bestimmte Zeit aufgehoben, danach ist<br />
die Keimung erneut gehemmt (periodische<br />
Keimbereitschaft). Manche Parasiten (z. B.<br />
Orobanche spp.) keimen nur in <strong>der</strong> Nähe ihrer<br />
Wirtspflanze; hier sind für die Aufhebung<br />
<strong>der</strong> Hemmung also wohl vom Wirt abgegebene<br />
Substanzen notwendig. Experimentell<br />
kann man die Keimhemmung bei vielen<br />
Pflanzen durch Zugabe von Gibberellinen beenden.<br />
Die tatsächliche Dauer <strong>der</strong> Keimruhe resultiert<br />
gewöhnlich aus <strong>der</strong> Kombination mehrerer <strong>der</strong><br />
genannten Ursachen. Sie ist sehr unterschiedlich<br />
und zeigt enge Beziehungen zu den ökologischen<br />
Bedingungen, unter denen die Sippe<br />
lebt. So keimen die Diasporen vieler mitteleuropäischer<br />
Pflanzen frühestens im nächsten<br />
Frühjahr, überdauern also den Winter im Ruhezustand.<br />
Entsprechendes gilt auch für an<strong>der</strong>e<br />
Gebiete mit Wechsel zwischen günstiger und ungünstiger<br />
Jahreszeit. Im Tropischen Regenwald<br />
hat man festgestellt, daß viele <strong>der</strong> dortigen<br />
Schatthölzer (Klimaxarten) keine Keimruhe haben.<br />
Ihre Diasporen keimen bald nach <strong>der</strong> Reife<br />
aus (so waren von 180 Schatthölzern aus dem<br />
malesischen Regenwald, die daraufhin untersucht<br />
wurden, 118 nach weniger als 3 Monaten<br />
gekeimt). Die Jungpflanzen sind sehr schattenfest<br />
und werden oft lange Zeit aus großen<br />
Reservestoffspeichern im Samen versorgt (z. B.<br />
Persea gratissima)-, sie können daher lange Zeit<br />
ohne stärkeres Wachstum abwarten, bis günstigere<br />
Bedingungen für sie eintreten. Samen von<br />
Lichthölzern, die den Sekundärwald bilden,<br />
haben dagegen Keimhemmung, die nur durch<br />
den Einfall von direktem Sonnenlicht aufgehoben<br />
wird, d. h. wenn die Voraussetzungen für<br />
erfolgreiches Aufwachsen gegeben sind.<br />
Pflanzensippen, die in einer Umwelt wachsen,<br />
in <strong>der</strong> günstige Bedingungen nur sehr unregelmäßig<br />
bzw. episodisch auffreten, zeigen beson<strong>der</strong>s<br />
ausgeprägt eine Eigenschaft, die auch<br />
sonst nicht selten ist: nämlich eine große Streuung<br />
in <strong>der</strong> Dauer <strong>der</strong> Keimruhe. Beson<strong>der</strong>s Ein
Etablierung am Zielort 41<br />
jährige müssen, um ihr Überleben zu sichern,<br />
dafür sorgen, daß nicht alle ihre Diasporen zugleich<br />
keimen. Das trifft etwa in Halbwüstengebieten<br />
zu, wo es häufig Jahre gibt, in denen<br />
die Regenmenge nicht ausreicht, um die gekeimten<br />
Exemplare zum Fruchten kommen zu lassen:<br />
es bleiben noch genügend ungekeimte für<br />
bessere Jahre übrig. Ähnliches gilt für Ackerunkräuter,<br />
die so die Auswirkungen <strong>der</strong> Fruchtfolge<br />
(und in Grenzen auch <strong>der</strong> Herbizidanwendung)<br />
überstehen können.<br />
Die einzelnen Diasporen <strong>der</strong>selben Sippe verhalten<br />
sich hier also sehr unterschiedlich, d. h.<br />
es liegt eine Art von Heterospermie bzw. Heterokarpie<br />
vor. Diese kann auch morphologisch erkennbar<br />
sein: so sind bei manchen Compositen<br />
die äußeren Achänen des Körbchens wesentlich<br />
dickschaliger als die inneren und haben infolgedessen<br />
auch eine längere Keimruhe. Meist<br />
handelt es sich aber um eine äußerlich nicht<br />
sichtbare „physiologische Heterospermie“. Über<br />
<strong>der</strong>en Zustandekommen ist wenig bekannt; anscheinend<br />
können die Umweltbedingungen zur<br />
Zeit <strong>der</strong> Samenentwicklung einen Einfluß haben.<br />
So zeigten bei Stellaria media und Lactuca<br />
sativa Diasporen, die bei kühler Witterung und<br />
geringer Tageslänge heranwuchsen, eine langdauernde<br />
Keimruhe, solche bei hohen Temperaturen<br />
und langen Tagen hingegen eine nur<br />
kurzzeitige. Die sinnvolle ökologische Konsequenz<br />
besteht darin, daß im Hochsommer entstandene<br />
Diasporen rasch keimen und noch eine<br />
zweite Generation hervorbringen können, während<br />
im Herbst entstandene bis zum nächsten<br />
Frühjahr überliegen.<br />
Allein exogen bedingt ist die Streuung <strong>der</strong><br />
Keimruhe bei Pyrophyten: hier werden die Diasporen<br />
erst frei, wenn zuvor ein Waldbrand stattgefunden<br />
hat, d.h. wenn <strong>der</strong> für das Aufkommen<br />
<strong>der</strong> bei solchen Arten sehr konkurrenzschwachen<br />
Jungpflanzen notwendige offene<br />
Boden zur Verfügung steht.<br />
Wird so die Keimung zuweilen über längere<br />
Zeit verzögert, so ist das doch nicht unbegrenzt<br />
möglich. In diesem Zusammenhang ist ein Blick<br />
auf die Lebensdauer <strong>der</strong> Samen (bzw. samenhaltiger<br />
Diasporen) überhaupt von Interesse.<br />
Manche Samen leben nur wenige Tage (z. B.<br />
Sfl/fx-Arten); doch ist das eine extreme Ausnahme.<br />
Normalerweise ist die Lebenserwartung <strong>der</strong><br />
Samen erheblich länger, vorausgesetzt daß sie<br />
nicht durch äußere Einflüsse geschädigt werden<br />
(neben Tierfraß ist hier die Gefahr <strong>der</strong> Austrocknung<br />
zu nennen, die bei vielen relativ wenig<br />
entwässerten Samen gegeben ist); gewöhnlich<br />
beträgt sie mehrere Monate bis mehrere Jahre,<br />
nicht selten auch Jahrzehnte.<br />
Uber einige, meist auch in Mitteleuropa vorkommende<br />
Arten gibt das inzwischen berühmte, 1879 von Beal<br />
begonnene Experiment an <strong>der</strong> Universität von Michigan<br />
Auskunft (Kivilaan etc. 1981). Diasporen dieser<br />
20 Arten wurden mit Sand vermischt und in nach<br />
Tab. 13: Lebensdauer <strong>der</strong> Diasporen von 14 Pflanzenarten nach dem Versuch von Beal.<br />
? = Bestimmung von Verbascum blattaria bis 1920 unsicher, da anfangs noch an<strong>der</strong>e Verbascum-Knm beteiligt.<br />
Bei V. blattaria keimten 1980 noch 21 von 50 wie<strong>der</strong>gefundenen Samen. - Aus Kivilaan etc. 1981, gekürzt.<br />
1879 vergrabene Arten<br />
Agrostemma gthago<br />
Bromus secalinus<br />
Polygonum hydropiper<br />
Anthemis cotula<br />
Setaria glauca<br />
CapseUa bursa-pastoris<br />
Stellaria media<br />
Portulaca okracea<br />
Amaranthus retrojlexus<br />
Lepidium virginicum<br />
Brassica nigra<br />
Oenothera biennis<br />
Rumex crispus<br />
Verbascum blattaria<br />
1889 99<br />
- f - 1 -<br />
- 1 - - 1 -<br />
- 1 - -1 -<br />
+ - 1 - +<br />
+ - 1 - +<br />
+ +<br />
+ + +<br />
-1 - -1 - +<br />
+ -1 - +<br />
+ -H +<br />
+ + +<br />
-> > ><br />
Gekeimte Diasporen in den Jahren<br />
1909 20 30 40 50 60 70 80<br />
+<br />
+<br />
+<br />
+<br />
+<br />
+<br />
5<br />
+ + + -1-<br />
-1- + -t- +<br />
-1- + 4- -(-
42 Verbreitungsökologie<br />
r , , . . r.y A * .<br />
V' r .V '^~-<br />
Vife--K -?,•.<br />
f<br />
unten offenen Flaschen im Boden vergraben. Jeweils<br />
alle 5, später alle 10 Jahre wurde je eine Flasche ausgegraben<br />
und die Keimfähigkeit geprüft (Tab. 13). Noch<br />
über die hier festgestellten 100 Jahre hinaus weisen<br />
einige Zufallsfunde subfossiler Diasporen. So wurden<br />
aus mindestens 400 Jahre alten Torfen in <strong>der</strong> Mandschurei<br />
Früchtchen von Nelumbo nucifera isoliert, die<br />
noch keimfähig waren; bestätigt wurde dieser Befund<br />
durch die erfolgreiche Aussaat aus 237Jahre altem Herbarmaterial<br />
<strong>der</strong>selben Art. Noch etwas älter waren<br />
keimfähige Samen von Canna compacta aus einer auf<br />
etwa 600 Jahre vor heute datierten archäologischen<br />
Fundstätte in Argentinien. Den Rekord, <strong>der</strong> allerdings<br />
auf ungewöhnlichen Umständen (Kühltruheneffekt)<br />
beruht, halten etwa 10000 Jahre alte Samen von<br />
Lupinus, Chenopodium und Spergularia aus dem Dauerfrostboden<br />
in Nord-Alaska.<br />
Insgesamt fuhrt die Fähigkeit vieler Diasporen,<br />
mehrere bis viele Jahre am Leben zu bleiben<br />
ohne zu keimen, zu einer Ansammlung leben<strong>der</strong><br />
Diasporen auf dem und vor allem im Boden.<br />
Diese Vorräte werden als Samenbank (o<strong>der</strong><br />
Samenpotential; exakter wäre Diasporenbank)<br />
bezeichnet. Die hier befindlichen Mengen, beson<strong>der</strong>s<br />
an kleinen Diasporen, die leicht in den<br />
Boden gelangen, sind erheblich; so werden aus<br />
England für 1 m^ Waldboden 100-1000 lebende<br />
Diasporen angegeben, für 1 m^ Boden unter<br />
Grasland und Acker sogar 1000 bis > 100000.<br />
Vielen von ihnen fehlen im Boden günstige<br />
Keimbedingungen (z. B. bezüglich Licht, Temperatur);<br />
werden sie durch Bodenverletzung an<br />
die Oberfläche gebracht, so können sie keimen.<br />
Die ökologische Bedeutung <strong>der</strong> Samenbank<br />
zeigt sich vor allem bei plötzlichen Verän<strong>der</strong>ungen<br />
<strong>der</strong> Vegetation: viele <strong>der</strong> durch die verän<strong>der</strong>ten<br />
Umweltbedingungen begünstigten<br />
Arten sind dann als Diasporen schon vorhanden.<br />
Auch die nach Aufhören langjähriger<br />
Herbizidbehandlung wie<strong>der</strong> auftretenden Ackerunkräuter<br />
stammen meist aus <strong>der</strong> Samenbank.<br />
Etablierung <strong>der</strong> Einzelpflanze und<br />
<strong>der</strong> Sippe<br />
Die soeben besprochene Keimung leitet das vegetative<br />
Wachstum am neuen Wuchsort ein, das<br />
weiterhin zur erfolgreichen Ansiedlung <strong>der</strong><br />
Einzelpflanze und schließlich <strong>der</strong> ganzen<br />
Pflanzensippe führen soll. Damit dieses Ziel erreicht<br />
werden kann, müssen folgende Vorbedingungen<br />
gegeben sein:<br />
( 1)<br />
(2)<br />
(3)<br />
Das Klima muß den Ansprüchen <strong>der</strong> Sippe<br />
entsprechen, d. h. <strong>der</strong> neue Wuchsort muß<br />
in ihrem potentiellen Areal liegen.<br />
Ist das nicht <strong>der</strong> Fall, so kann es zwar ausnahmsweise<br />
zum Heranwachsen einer<br />
Einzelpflanze kommen, eine dauernde Ansiedlung<br />
ist aber nicht möglich (z. B. weil<br />
die Frosthärte nicht ausreicht o<strong>der</strong> die für<br />
die Fruchtreife notwendige Sommerwärme<br />
nicht gegeben ist).<br />
Die edaphischen Standortsansprüche <strong>der</strong><br />
Sippe müssen erfüllt sein.<br />
Trifft das nicht zu, so geht gewöhnlich schon<br />
<strong>der</strong> Keimling zugrunde.<br />
Ebenso müssen auch die biotischen Umweltbedingungen<br />
ausreichend sein (z. B. bezüglich<br />
Konkurrenten, Feinde, Symbionten,<br />
Bestäubet).<br />
Im ungünstigen Fall wird auch hier schon<br />
<strong>der</strong> Keimling zerstört, o<strong>der</strong> es kommt zumindest<br />
nicht zur Fortpflanzung.<br />
Selbst wenn die Bedingungen (l)-(3) zutreffen,<br />
genügt das Ankommen einzelner Diasporen<br />
meist nicht zur Etablierung <strong>der</strong> Sippe. Einerseits<br />
ist immer mit ungünstigen Zufällen zu rechnen<br />
(z. B. schlechte Witterung im Keimungsjahr),<br />
an<strong>der</strong>erseits sind zum Aufbau einer stabilen<br />
Population off mehrere Ausgangsindividuen<br />
nötig, so bei den vielen Selbststerilen. Weitere<br />
notwendige Voraussetzung ist daher off:<br />
(4) Das regelmäßige Ankommen von Diasporen<br />
in größerer Zahl und über längere Zeit<br />
hinweg („Diasporenregen“).<br />
Beson<strong>der</strong>s wichtig ist das, wenn die Standortsbedingungen<br />
für die Sippe am Zielort<br />
nicht optimal sind, z. B. in <strong>der</strong> Nähe ihrer<br />
klimatischen Arealgrenze.<br />
Sind alle diese Voraussetzungen erfüllt, so kann<br />
es zur dauerhaften Ansiedlung kommen: ein<br />
neuer Wuchsort ist erobert, ein Ausbreitungsschritt<br />
vollzogen.<br />
4 Arealbildung<br />
Durch die Summierung zahlreicher einzelner<br />
Ausbreitungsschritte kom m t es zur Arealbildung.<br />
Hierfür ist noch einmal zu unterscheiden<br />
zwischen Fern- und Nahausbreitung. Wie<br />
schon angedeutet, wird erstere in <strong>der</strong> Hauptsache<br />
durch Anemochorie, Epi- und Endozoochorie,<br />
in geringerem Ausmaße auch durch<br />
“ ' • * ' J
Arealbildung 43<br />
Dyszoochorie sowie Hydrochorie besorgt (Abb.<br />
19), während Synzoochorie, Ballochorie und<br />
Autochorie nur <strong>der</strong> Nahausbreitung dienen. Bei<br />
<strong>der</strong> Arealbildung wirkt beides zusammen: Die<br />
Schritte <strong>der</strong> Fernausbreitung fuhren zur Eroberung<br />
des Raumes und erzeugen schließlich den<br />
geographischen Umriß des Areals, die Arealgestalt;<br />
die Nahausbreitung bewirkt die Besetzung<br />
möglichst aller potentiellen Wuchsorte<br />
darin, die Arealausflillung.<br />
Wie schnell die Arealbildung erfolgt, hängt<br />
von <strong>der</strong> Ausbreitungsgeschwindigkeit ab. Diese<br />
ist durch 4 Faktoren bedingt:<br />
• Diasporenmenge<br />
• Transportart<br />
• Edaphisch-biotische Standortsamplitude<br />
• Blühreifealter.<br />
Die ersten beiden (und ebenso <strong>der</strong> vierte) sind<br />
verbreitungsökologische Kriterien. Die Menge<br />
<strong>der</strong> erzeugten Diasporen und die Transportart<br />
bestimmen Ausmaß und Reichweite des Diasporenregens.<br />
Das dritte, synökologische Kriterium<br />
ist maßgebend für dessen Erfolgsquote: je<br />
weiter die Standortsamplitude, um so größer ist<br />
die Zahl <strong>der</strong> besiedelbaren Wuchsorte. Nach<br />
erfolgreicher Ansiedlung entscheidet schließlich<br />
das Blühreifealter, in dem die neue Generation<br />
erstmalig Diasporen erzeugt, darüber, wann <strong>der</strong><br />
nächste Ausbreitungsschritt erfolgen kann.<br />
Die tatsächliche Ausbreitungsgeschwindigkeit<br />
einer Pflanzensippe ist schwer festzustellen.<br />
Eine Möglichkeit hierfür bietet die Wie<strong>der</strong>besiedlung<br />
Mitteleuropas nach <strong>der</strong> Eiszeit, <strong>der</strong>en<br />
Ablauf für die Baumarten gut bekannt ist<br />
(vgl. S. 398). Aus <strong>der</strong> Entfernung <strong>der</strong> Refugien<br />
und <strong>der</strong> Zeit bis zum Eintreffen in Mitteleuropa<br />
läßt sich eine durchschnittliche Wan<strong>der</strong>geschwindigkeit<br />
errechnen, aus <strong>der</strong> sich durch<br />
Multiplikation mit dem Blühreifealter die notwendige<br />
Länge <strong>der</strong> einzelnen Verbreitungssprünge<br />
ergibt (Tab. 14). Diese stimmt mit tatsächlichen<br />
aktuellen Beobachtungen gut überein.<br />
Schwieriger ist die Beurteilung von krautigen<br />
Pflanzen, da die Zeit ihres ersten Auftretens<br />
in Mitteldeutschland nicht bekannt ist. Ver-<br />
San Clemente<br />
Revillagigedo<br />
Desventuradas<br />
Abb. 19: Besiedlung pazifischer<br />
Inselgruppen durch Ferntransport.<br />
Vermutliche prozentuale Beteiligung<br />
<strong>der</strong> wichtigsten Transportarten<br />
bei <strong>der</strong> Einwan<strong>der</strong>ung <strong>der</strong>jenigen<br />
Spermatophyten-Sippen, die<br />
die Vorfahren <strong>der</strong> heutigen idiochoren<br />
Floren bildeten. - Nach<br />
Carlquist aus Fenner 1985.<br />
Marquesas<br />
□ Epizoochorie<br />
(Vögel)<br />
Anemochorie<br />
Rapa<br />
Oeno<br />
Endozoochorie<br />
(Vögel)<br />
Hydrochorie<br />
60%<br />
40%<br />
20%<br />
0
44 Verbreitungsökologie<br />
Tab. 14: Wan<strong>der</strong>geschwindigkeiten einiger Baumarten bei <strong>der</strong> postglazialen Wie<strong>der</strong>bewaldung Mitteleuropas.<br />
WG = Wan<strong>der</strong>geschwindigkeit, BRA = Blühreifealter. - Nach Lang 1994.<br />
■flTvi ■■<br />
Gattung/Art<br />
WG<br />
km/Jahr<br />
BRA<br />
Jahre<br />
Verhreitungssprung km<br />
berechnet<br />
beobachtet<br />
Abies alba 0,04-0,3 30 1,2-9 8<br />
Fagas syhatka 0,175-0,35 40 7-14 -<br />
Quercus robur/petraea 0,005-0,5 30 2,2-15 10-30<br />
i ilia cordata/platypbylíos 0,05-0,5 10 0,5-5 -<br />
Picea a bies 0,06-0,5 30 1,8-15 -<br />
Fraxinus excelsior 0,2-0,5 25 5-12,5 -<br />
Carpirías betulas 0,05-1 20 1-20 -<br />
Ulmas spp. 0,1-1 30 3-30 10<br />
Acer spp. 0,5-1 20 10-20 4<br />
Corylus avellana 0,5-l,5 10 5-15 10<br />
Pinas sylvestris 1,5 10 15 2<br />
Betula pendula/pubescens 0,25-2 10 2,5-20 3<br />
Alnas glutinosa/incana 0,5-2 15 7,5-30 -<br />
de das etwa 0 , 2 km/Jahr bedeuten, o<strong>der</strong> bei einem<br />
Blühreifealter von 3 Jahren Ausbreitungssprünge<br />
von etwa 600 m (myrmekochorer Transport:<br />
bis 15, ausnahmsweise 70 m beobachtet).
Arealbildung 45<br />
Hier dürften demnach die „normalen“ Transportmittel<br />
allein nicht ausgereicht haben, son<strong>der</strong>n<br />
durch „untypische Verbreitungsfälle“ ergänzt<br />
worden sein.<br />
Die äußerste Grenze für die Ausbreitung ist<br />
durch die großldimatisch bedingten Grenzen des<br />
potentiellen Areals (pA) gegeben (Abb. 20). Um<br />
diese zu erreichen, muß genügend Zeit zur Verfügung<br />
stehen. Auch wenn das <strong>der</strong> Fall ist, wird<br />
die Pflanze meist nicht in alle Teile ihres pA<br />
gelangen: sie stößt an Verbreitungsschranken.<br />
Diese sind entwe<strong>der</strong> klimatischer (Bereiche mit<br />
ungeeignetem Klima) o<strong>der</strong> geomorphologischer<br />
Natur (Meere). Solche unbesiedelbaren Zonen<br />
müssen räumlich so groß sein, daß sie mit den<br />
für die Sippe normalen Ausbreitungschritten<br />
nicht übersprungen werden können: das pA besteht<br />
dann aus mehreren getrennten Teilen, es<br />
ist „disjunkt“ (vgl. S. 49).<br />
Aber auch in den Teilen des pA, die erreichbar<br />
sind, wird die Pflanze sich nicht überall ansiedeln<br />
können, nämlich an Stellen, wo ihre<br />
übrigen Standortsansprüche nicht erfüllt sind:<br />
hier liegen Ansiedlungshin<strong>der</strong>nisse vor. Diese<br />
können edaphisch (ungeeignete Bodenverhältnisse)<br />
o<strong>der</strong> biotisch (z. B. Vorhandensein übermächtiger<br />
Konkurrenten o<strong>der</strong> Feinde; Fehlen<br />
schützen<strong>der</strong> Vegetation, von Symbionten, Wirten,<br />
Bestäubern) bedingt sein. Während die<br />
edaphischen Hin<strong>der</strong>nisse meist eher die Arealausfüllung<br />
beeinträchtigen, können die biotischen<br />
ebenso wie die Verbreitungsschranken<br />
auch Einfluß auf die Arealgestalt haben. Diese<br />
kann außerdem durch noch nicht abgeschlossene<br />
Ausbreitung infolge Zeitmangels beeinflußt<br />
sein.<br />
So entsteht ein reales Areal (rA), das im Normalfalle<br />
kleiner ist als das pA. Seine Grenze kann<br />
Abb. 21: Die Arealgrenze <strong>der</strong> europäischen Buche {Fagus sylvaticä) hat in verschiedenen Teilen ihres Verlaufes<br />
verschiedene Ursachen.<br />
Im Mittelmeergebiet kommt die Buche nur etageal vor, es handelt sich also um eine Untergrenze. - Zugleich<br />
Beispiel für eine Punktkarte auf Rastergrundlage. - Arealbild ausjALAS etc.l972f
46 Verbreitungsökologie<br />
in ihrem Verlauf abwechselnd durch unterschiedliche<br />
Faktoren bedingt sein:<br />
• klimatische<br />
• geomorphologische<br />
• biotische<br />
• edaphische<br />
• temporäre.<br />
Auch die klimatisch bedingten Grenzen, die den<br />
Grundrahmen für die Gesamtverbreitung bilden,<br />
sind noch in sich differenziert (Abb. 21).<br />
Zwar wirkt das Klima im Prinzip als Ganzes auf<br />
die Pflanze ein, aber im Grenzbereich ist meist<br />
ein bestimmter Faktor ausschlaggebend, dessen<br />
Verän<strong>der</strong>ung zum Ungünstigen hin dann das<br />
Vorkommen unmöglich macht. In verschiedenen<br />
Teilen <strong>der</strong> Grenze sind das jedoch verschiedene<br />
Faktoren.<br />
Zusammengefaßt: Der große Umriß (Arealgestalt)<br />
<strong>der</strong> realen Areale ist gewöhnlich klimatisch<br />
und geomorphologisch bedingt, gelegentlich<br />
auch biotisch o<strong>der</strong> temporär; <strong>der</strong> Einzelverlauf<br />
<strong>der</strong> Grenze wird hingegen vorwiegend<br />
durch edaphische und biotische Faktoren bestimmt,<br />
ebenso <strong>der</strong> Grad <strong>der</strong> Arealausfüllung.<br />
5 Verän<strong>der</strong>ung des Areals infolge<br />
Än<strong>der</strong>ung von Umweltfaktoren<br />
Bei <strong>der</strong> Besprechung <strong>der</strong> Arealbildung sind wir<br />
bisher stillschweigend von konstanten Außenbedingungen<br />
ausgegangen. Tatsächlich sind diese<br />
aber in ständigem Wandel begriffen, was auch<br />
eine Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Pflanzenareale bedingt.<br />
Än<strong>der</strong>n können sich alle genannten Faktoren.<br />
Die edaphischen können hier aber außer<br />
Betracht bleiben, da vor allem die Beeinflussung<br />
<strong>der</strong> Arealgestalt interessiert. Von den übrigen<br />
sind die klimatischen Än<strong>der</strong>ungen diejenigen,<br />
die, geologisch gesehen, in relativ kurzer Zeit<br />
vor sich gehen. Sie veranlassen die Pflanzensippen<br />
zu aktiven Reaktionen, d. h. zu Wan<strong>der</strong>ungen.<br />
Mit dem Klima än<strong>der</strong>t sich das potentielle<br />
Areal. Nehmen wir <strong>der</strong> Einfachheit halber an,<br />
bei einer Pflanzensippe seien pA und rA identisch<br />
(pA„ = rA J. Bei Eintreten einer Klimaän<strong>der</strong>ung<br />
gibt es 3 verschiedene Möglichkeiten<br />
(Abb. 22):<br />
(1) Das Klima wird für die Sippe allgemein ungünstiger.<br />
Folge ist eine Verkleinerung des<br />
pA, im Extremfalle Zerschlagung und Aussterben.<br />
(2) Das Klima wird allgemein günstiger. Es resultiert<br />
eine Ausweitung des pA.<br />
(3) Das für die Sippe günstige Klimagebiet verschiebt<br />
sich auf <strong>der</strong> Erdoberfläche horizontal.<br />
Entsprechend verschiebt sich dann auch<br />
das pA.<br />
Nicht in jedem dieser Fälle stimmt die Än<strong>der</strong>ung<br />
des rÄ automatisch mit <strong>der</strong> des pÄ überein.<br />
Zwar trifft das im Fall (1) zu: die Sippe wird<br />
an allen Orten eliminiert, die außerhalb des<br />
neuen pÄ, liegen. Dadurch sind rÄ und pÄ dauernd<br />
identisch.<br />
An<strong>der</strong>s in den Fällen (2) und (3). Hier kommen<br />
neue Arealteile hinzu, die die Pflanze erst<br />
besiedeln muß. Dazu braucht sie eine bestimmte<br />
Zeit, die von <strong>der</strong> Ausbreitungsgeschwindigkeit<br />
abhängt. Im Fall (2) ist das unproblematisch:<br />
irgendwann wird die Grenze des neuen pA2 erreicht<br />
werden, sofern dem keine Verbreitungsschranken<br />
entgegenstehen. Im Fall (3) kann es<br />
aber zu Schwierigkeiten kommen. Ist die Geschwindigkeit<br />
<strong>der</strong> Klimaverschiebung größer als<br />
die <strong>der</strong> Ausbreitung, so wird das rA vorübergehend<br />
verkleinert, auch wenn die Größe des PA3<br />
gleich bleibt. Hält diese Situation länger an, so<br />
besteht die Gefahr, daß die Pflanzensippe ausstirbt,<br />
obwohl ihr pA nach wie vor vorhanden<br />
ist. Sie wird sozusagen von <strong>der</strong> Klimaverschiebung<br />
überrollt.<br />
Das klingt zunächst sehr theoretisch. Es hat<br />
aber in <strong>der</strong> Eiszeit in Mitteleuropa große Bedeutung<br />
gehabt. Mindestens 3mal ist unsere<br />
gesamte Flora auf diese Weise von N nach S<br />
getrieben worden, und viele zu langsam wan<strong>der</strong>nde<br />
Sippen sind dabei auf <strong>der</strong> Strecke geblieben.<br />
Der Spezialfall <strong>der</strong> Reduktion des rA auf 0,<br />
d. h. das Äussterben einer Sippe, kann also zweierlei<br />
Gründe klimatischer Ärt haben (neben<br />
nichtklimatischen): völliges Verschwinden des<br />
pA, o<strong>der</strong> seine rasche Verschiebung bei zu geringer<br />
Ausbreitungsgeschwindigkeit.<br />
Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Geom orphologie haben<br />
ebenfalls zu umfangreichen Verän<strong>der</strong>ungen von<br />
Arealen geführt. Sie erfor<strong>der</strong>n aber viel längere<br />
Zeiträume, die die „Lebensdauer“ von Pflanzenarten<br />
meist überschreiten. Daher sind ihre Folgen<br />
eher an den Arealen von Sippen höheren<br />
Ranges, von <strong>der</strong> Gattung aufwärts, zu erkennen.<br />
Ein Faktor ist z. B. die Gebirgsbildung, die für
Verän<strong>der</strong>ung des Areals infolge Än<strong>der</strong>ung von Umweltfaktoren 47<br />
Geschwindigkeit <strong>der</strong> Klimaverschiebung<br />
pA^<br />
pAo : Ausgangszustand (rA = pA)<br />
pAj : vergrößertes pA bei Klimaverbesserung<br />
pAi : verkleinertes pA bei Klimaverschlechterung<br />
pAa : verschobenes pA bei Klimaverschiebung<br />
Abb. 22: Än<strong>der</strong>ungen des potentiellen und des realen Areals infolge von Klimaän<strong>der</strong>ungen.<br />
viele Sippen neue Ausbreitungswege geschaffen<br />
hat; außerdem bewirkte sie oft Klimaän<strong>der</strong>ungen<br />
in den umliegenden Gebieten (ein Musterbeispiel<br />
hierfür sind die amerikanischen Anden).<br />
Viel wichtiger sind aber die Auswirkungen <strong>der</strong><br />
Kontinentverschiebung.<br />
Die geomorphologischen Wandlungen (in<br />
geringerem Ausmaße auch die klimatischen,<br />
z. B. die Eiszeit) haben aber nicht nur die Form<br />
<strong>der</strong> Areale beeinflußt, son<strong>der</strong>n auch die Bildung<br />
neuer Arten bewirkt. Hierbei spielte einerseits<br />
die Entwicklung neuer Extremstandorte eine<br />
Rolle, an<strong>der</strong>erseits die Möglichkeit <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>entwicklung<br />
vorher einheitlicher Sippen<br />
infolge <strong>der</strong> Aufspaltung ihrer Areale in voneinan<strong>der</strong><br />
isolierte Teilstücke. So entstandene biotische<br />
Än<strong>der</strong>ungen haben aber kaum zur Verän<strong>der</strong>ung<br />
<strong>der</strong> Areale <strong>der</strong> übrigen Sippen geführt;<br />
sie waren nicht Ursache, son<strong>der</strong>n Folge o<strong>der</strong> Begleiterscheinung<br />
<strong>der</strong> Verdrängung älterer Arten<br />
von ihren Wuchsorten. An<strong>der</strong>s ist das bei Sippen<br />
höheren Ranges. Hier hat die Entstehung<br />
neuer, effektiverer Baupläne die Verbreitung älterer,<br />
weniger konkurrenzfähiger Typen stark<br />
eingeschränkt: so wurden die bis zum Beginn<br />
<strong>der</strong> Kreidezeit in <strong>der</strong> Vegetation <strong>der</strong> Erde herrschenden<br />
Koniferen durch die Entwicklung <strong>der</strong><br />
Angiospermen auf marginale Standorte abgedrängt<br />
(vgl. Abb. 58, S. 139).
t e -<br />
C Areale und Floren<br />
Während die Verbreitungsökologie die dynamischen<br />
Vorgänge <strong>der</strong> Ausbreitung und Arealbildung<br />
untersucht, beschäftigt sich die Arealkunde<br />
mit <strong>der</strong>en Ergebnissen. Grundlage ist die<br />
Inventarisierung <strong>der</strong> Vorkommen <strong>der</strong> verschiedenen<br />
Pflanzensippen, die es dann erlaubt, sowohl<br />
die Summe aller Wuchsorte <strong>der</strong> einzelnen<br />
Sippe, also ihr Areal, als auch die aller Sippen<br />
in einem bestimmten Gebiet, eine Gebietsflora,<br />
zu beschreiben. Durch Vergleich von Arealen<br />
kann man Arealtypen, durch Vergleich von<br />
Gebietsfloren natürliche Florengebiete etablieren.<br />
Die Ursachen für die Beschaffenheit von<br />
Arealen und Florengebieten liegen letztlich in<br />
<strong>der</strong> Standorts- und verbreitungsökologischen<br />
Konstitution <strong>der</strong> Einzelsippen; maßgebende<br />
Triebkraft bei <strong>der</strong> Entstehung ihrer aktuellen<br />
Gestalt war aber die historische Entwicklung.<br />
1 Methoden <strong>der</strong> Inventarisierung<br />
und Darstellung<br />
Sowohl die Erstellung von Gebietsfloren als<br />
auch die Ermittlung von Arealen basiert gewöhnlich<br />
auf <strong>der</strong> Auswertung zufällig bekannt<br />
gewordener Fundorte.<br />
Für eine Gebietsflora stellt man alle Sippen<br />
zusammen, die im betreffenden Gebiet wildwachsend<br />
gefunden worden sind, und nach <strong>der</strong><br />
Zahl <strong>der</strong> Fundorte kann man dann ihre ungefähre<br />
Häufigkeit angeben. Natürlich führt das<br />
zu Ungenauigkeiten: von auffälligen und leicht<br />
erkennbaren Sippen werden relativ mehr Fundorte<br />
bekannt sein als von solchen, die unauffällig<br />
o<strong>der</strong> schwer zu bestimmen sind.<br />
Entsprechendes gilt für die Areale. Um die<br />
Arealgestalt darzustellen, trägt man alle Fundorte<br />
<strong>der</strong> Sippe auf einer topographischen Karte<br />
ein. So entsteht eine Punktkarte (vgl. Abb. 21,<br />
S. 45). Kennt man die Standortsbeziehungen <strong>der</strong><br />
Sippe einigermaßen gut, so kann man vermuten,<br />
daß sie auch in Bereichen zwischen den bekannten<br />
Wuchsorten vorkommt, soweit ihre Ansprüche<br />
dort erfüllt sind. Man umrahmt dann<br />
das durch die Punkte angedeutete Gebiet durch<br />
eine Linie, die vermutliche Arealgrenze, und<br />
erhält so eine Umrißkarte.<br />
Beide Darstellungsweisen haben ihr Für und Wi<strong>der</strong>.<br />
Die Punktkarte erscheint insofern exakter, als sie nur<br />
Punkte angibt, an denen die Sippe tatsächlich vorkommt,<br />
während die Umrißkarte vielleicht auch Gebiete<br />
umfaßt, in denen sie fälschlicherweise vermutet<br />
wird. Aber in wenig erforschten Gebieten o<strong>der</strong> bei<br />
schwer erkennbaren Sippen können auch Punktkarten<br />
ein irreführendes Bild geben; sie zeigen oft Häufungen<br />
in bestimmten Arealteilen, die nicht durch beson<strong>der</strong>s<br />
gehäuftes Vorkommen gegenüber an<strong>der</strong>en<br />
Teilen bedingt sind, son<strong>der</strong>n durch dazwischen liegende<br />
Beobachtungslücken (so sind die Arealkarten<br />
mancher Pilzarten in Wirklichkeit Verbreitungskarten<br />
<strong>der</strong> Mykologen bzw. ihrer Arbeitsgebiete).<br />
Bei gut bekannten Arealgestalten kombiniert man<br />
oft beide Methoden, indem das dicht mit Fundorten<br />
besetzte Kerngebiet durch eine Umrißlinie o<strong>der</strong> durch<br />
Flächenfärbung gekennzeichnet wird und außerhalb<br />
davon gelegene Fundpunkte einzeln erscheinen; natürlich<br />
hängt die Form <strong>der</strong> Darstellung auch vom<br />
Maßstab <strong>der</strong> Karte ab.<br />
Das Unbefriedigende, das in <strong>der</strong> ausschließlichen<br />
Verwendung von Zufallsfunden liegt, hat<br />
in den letzten Jahrzehnten dazu geführt, daß<br />
man in vielen Län<strong>der</strong>n zu einer systematischen<br />
Inventarisierung aller Pflanzenarten übergegangen<br />
ist. Ein wichtiger Anlaß hierfür war auch<br />
die tatsächliche o<strong>der</strong> vermutete Gefährdung <strong>der</strong><br />
Verbreitung vieler Sippen durch den Einfluß des<br />
Menschen. Am weitesten fortgeschritten ist die<br />
planmäßige floristische Kartierung in Teilen<br />
Europas (in Großbritannien wurde sie schon in<br />
den 50er Jahren begonnen). Anfangs wurden nur<br />
die Gefäßpflanzen erfaßt, inzwischen sind aber<br />
auch bereits Kartierungen von Moosen, Flechten<br />
und Pilzen im Gange. Da man hierbei nach<br />
politisch o<strong>der</strong> geographisch umgrenzten Gebieten<br />
vorgeht, erhält man zunächst detaillierte<br />
Gebietsfloren. Vom Areal je<strong>der</strong> Art werden gewöhnlich<br />
nur Teile erfaßt, denn die Areale <strong>der</strong><br />
meisten europäischen Pflanzenarten sind wesentlich<br />
größer als durchschnittliche europäische<br />
Staaten.<br />
Für die Kartierung teilt man das betreffende<br />
Gebiet in kleine, meist normierte Teilflächen ein,<br />
die sog. Grundfel<strong>der</strong>. Es wird dann für jedes<br />
davon das Vorkommen o<strong>der</strong> Fehlen je<strong>der</strong> Art<br />
ermittelt, d. h. für jedes Grundfeld wird eine<br />
vollständige Gebietsflora erstellt. Diese Datensammlung<br />
ist Grundlage für die Zeichnung von<br />
Verbreitungskarten, auf denen das Vorkommen<br />
je Gmndfeld als Punkt erscheint (vgl. Abb. 21);<br />
diese werden meist zu Florenatlanten zusammengefaßt.
Analyse und Verknüpfung 49<br />
Florenatlanten <strong>der</strong> Gefäßpflanzen gibt es in Europa<br />
schon länger für Großbritannien und Belgien (Perring<br />
etc. 1962, Rompaey etc. 1972). In West-Mitteleuropa,<br />
umfassend Deutschland, Österreich, die<br />
Schweiz, die Tschechei, Slowenien sowie Teile von<br />
Westungarn und Norditalien, wurde ein gemeinsames<br />
Kartierungsprojekt 1967 begonnen (vgl. Haeupler<br />
1970, Niklfeld 1971). Gmndfel<strong>der</strong> sind hier die Meßtischblätter<br />
(deutsche Topographische Karte 1 :25000),<br />
außer in <strong>der</strong> Schweiz, wo naturräumliche Einheiten<br />
zugmndegelegt wurden. Für die praktische Erfassung<br />
<strong>der</strong> Pflanzenarten, die zum größten Teil durch zahlreiche<br />
ehrenamtliche Helfer erfolgt(e), wurden sog.<br />
Geländelisten ausgegeben, in denen alle im betreffenden<br />
Teilbereich (z. B. Norddeutschland, Alpenlän<strong>der</strong>)<br />
möglicherweise vorkommenden Arten in abgekürzter<br />
Form aufgeführt sind und ggf angekreuzt werden können.<br />
Der heutige Stand <strong>der</strong> Kartierung ist in den beteiligten<br />
Län<strong>der</strong>n unterschiedlich: für die Schweiz,<br />
Westdeutschland und Ostdeutschland liegen bereits<br />
Florenatlanten vor (Welten etc. 1982, Haeupler etc.<br />
1988, Benkert etc. 1996); hingegen steckt die Kartiemng<br />
z. B. in Norditalien noch in den Anfängen. Auch<br />
in den Gebieten, in denen die Grundkartierung abgeschlossen<br />
ist, geht die Kartierungsarbeit jedoch noch<br />
weiter: so sind in mehreren deutschen Län<strong>der</strong>n Detailkartierungen<br />
im Gange, bei denen für bestimmte, beson<strong>der</strong>s<br />
gefährdete Arten die genaue Verbreitung im<br />
einzelnen, bis hin zur Populationsgröße, ermittelt wird.<br />
Im Gegensatz zu den sehr detaillierten Informationen<br />
über die Pflanzenverbreitung, die wir<br />
V<br />
jetzt in Europa bekommen, sind an<strong>der</strong>e Teile<br />
<strong>der</strong> Erde in dieser Hinsicht noch so gut wie<br />
unerforscht. Das gilt vor allem für große Teile<br />
<strong>der</strong> Tropen, in denen eine genauere Kenntnis<br />
angesichts <strong>der</strong> dort im Gange befindlichen dramatischen<br />
Umweltverän<strong>der</strong>ungen gerade beson<strong>der</strong>s<br />
nötig wäre.<br />
2 Analyse und Verknüpfung<br />
a<br />
Größe und Gestalt von Arealen<br />
Die Größe <strong>der</strong> Areale ist sehr unterschiedlich.<br />
Im Durchschnitt sind sie natürlich um so größer,<br />
je höher <strong>der</strong> Rang <strong>der</strong> Sippe ist: Gattungen<br />
sind weiter verbreitet als Arten, Familien weiter<br />
als Gattungen.<br />
Die kleinsten Art-Areale umfassen zuweilen<br />
nur wenige km^, sie sind z. B. auf ein einzelnes<br />
Gebirge o<strong>der</strong> sogar nur einen Berg beschränkt<br />
(„Endemiten“, vgl. weiter unten); ausnahmsweise<br />
kommt so etwas auch bei monotypischen<br />
Familien vor (z. B. Lacistemonaceae nur auf den<br />
185 km^ großen chilenischen Juan-Fernändez-<br />
Inseln). Das an<strong>der</strong>e Extrem sind die K osm o<br />
politen, Sippen, die auf allen Kontinenten verbreitet<br />
sind. Hierher gehören zahlreiche Familien<br />
und relativ viele Gattungen, jedoch nur<br />
recht wenige Gefäßpflanzen-Arten.<br />
Auf die Gestalt <strong>der</strong> Areale bezieht sich eine<br />
Reihe spezieller Begriffe, die im folgenden näher<br />
zu erläutern sind.<br />
Nach seinem flächigen Zusammenhang ist<br />
ein Areal geschlossen o<strong>der</strong> disjunkt. Genau genommen<br />
ist zwar kein Areal völlig geschlossen:<br />
in jedem gibt es z. B. edaphisch bedingte Lükken.<br />
Definitionsgemäß heißt ein Areal geschlossen,<br />
wenn die Lücken zwischen den Wuchsorten<br />
so klein sind, daß sie mit den für die Sippe normalen<br />
Verbreitungssprüngen überbrückt werden<br />
können (für Sippen nie<strong>der</strong>en Ranges von <strong>der</strong><br />
Art abwärts gilt zuweilen auch als Kriterium, daß<br />
die Populationen miteinan<strong>der</strong> im Genaustausch<br />
stehen).<br />
Disjunkt (Abb. 23) ist ein Areal, bei dem diese<br />
Bedingungen nicht zutreffen: es besteht aus<br />
mehreren Teilen, die keine Verbindung miteinan<strong>der</strong><br />
haben. Dabei stellt sich die Frage, wie so<br />
etwas zustande kommen kann. Folgende Ursachen<br />
sind möglich:<br />
(1) Polyphyletische Entstehung: die Sippe ist<br />
an mehreren Orten unabhängig voneinan<strong>der</strong><br />
mehrmals entstanden. Dieser Fall ist unwahrscheinlich,<br />
außer wenn es sich um Mutationen<br />
handelt,die nur ein einziges Allel<br />
betreffen (als Beispiele werden Chelidonium<br />
majus var. laciniatum und Fagus sylvatica var.<br />
tortuosa genannt), o<strong>der</strong> um Allopolyploide.<br />
(2) Säkulares Auftreten anomal großer Ausbreitungssprünge.<br />
Dies kann gelegentlich durch<br />
Zugvögel geschehen (z. B. Osmorhiza chilensis,<br />
vgl. Abb. 11, S. 26).<br />
(3) Zerschlagung eines ehemals geschlossenen<br />
Areals infolge Andemng <strong>der</strong> Umweltbedingungen<br />
(vgl. S. 46). Dies ist <strong>der</strong> bei weitem<br />
häufigste Fall.<br />
Ein Spezialfall, <strong>der</strong> bei Disjunktionen des Typs<br />
(3) oft auftritt, sind Reliktareale. Hierbei handelt<br />
es sich um Areale o<strong>der</strong> Arealteile, die räumlich<br />
sehr Idein sind gegenüber früherer Verbreitung,<br />
meist auch im Vergleich zum potentiellen<br />
Areal. Sippen mit solcher Verbreitung, die dann<br />
auch Relikte heißen, sind in Europa z. B.<br />
Aesculus hippocastanum und Picea om orika, in<br />
Nordamerika Sequoiadendron giganteum.
50 Areale und Floren<br />
i f p “<br />
Abies<br />
1 alba<br />
2 pinsapo s.l.<br />
3 numidica<br />
4 nebrodensis<br />
5 cephalonica<br />
5a borisii-regis<br />
6 cilicica s.l.<br />
7 nordmanniana s.l.<br />
: r r<br />
V<br />
' /<br />
ttC3=< cC^ /o- 6<br />
Abb. 23; Verbreitung <strong>der</strong> Tannen {Abies) in Mitteleuropa und im Mittelmeergebiet.<br />
Das im Tertiär wahrscheinlich zusammenhängende Gattungsareal wurde im Pleistozän in zahlreiche disjunkte<br />
Reliktvorkommen in verschiedenen mediterranen Gebirgen zersplittert. Die so voneinan<strong>der</strong> isolierten Populationen<br />
haben sich in <strong>der</strong> Zwischenzeit auseinan<strong>der</strong> entwickelt, so daß mehrere vikariierende neue Arten<br />
(Neoendemiten) entstanden sind. Diese haben jedoch keine genetischen Barrieren; kommen sie wie<strong>der</strong> in<br />
Kontakt, so kommt es zu Kreuzungen (auf diese Weise dürfte die bulgarische A. borisii-regis aus A. alba und<br />
A. cephalonica entstanden sein). - Arealbil<strong>der</strong> nach M eusel etc. 1965f. und Walter 1962f.<br />
Ebenfalls mit Disjunktionen des Typs (3) hängt<br />
das Auftreten von vikariierenden Sippen<br />
(Vikarianten) zusammen. Dies sind nahe verwandte<br />
Sippen, die in verschiedenen Gebieten<br />
Vorkommen (also vikariierende Areale haben)<br />
und dort jeweils vergleichbare ökologisch-soziologische<br />
Positionen einnehmen. Sie sind nach<br />
<strong>der</strong> Zerschlagung des Gesamtareals einer einheitlichen<br />
Sippe durch unterschiedliche weitere<br />
Evolution in den isolierten Teilarealen entstan^^^<br />
den (z. B. die verschiedenen A bies-hrttn des<br />
Mittelmeergebietes, Abb. 23, o<strong>der</strong> Platanus<br />
orientalis in Europa und P. occidentalis in Nordamerika,<br />
die trotz 40 Millionen Jahren Isolation<br />
noch so nahe verwandt sind, daß sie sich<br />
fruchtbar kreuzen lassen).<br />
Neben diesen geographischen Vikarianten wird <strong>der</strong><br />
gleiche Begriff auch für die sog. ökologischen<br />
Vikarianten benutzt. Es bandelt sich um Sippen, die<br />
im selben Gebiet verkommen, dort aber infolge verschiedener<br />
synökologischer Ansprüche verschiedene<br />
Standortstypen besetzen (bekannte Beispiele aus den<br />
Alpen: Gentiana clusii / G. kochiana und Rhododendron<br />
hirsutum / R. ferrugineum, jeweils auf Kalk- bzw. saurem<br />
Gesteinsuntergmnd).<br />
Ein weiteres Phänomen, das sich hier anschließt,<br />
ist das des Endemismus (dieses Wort bezeichnet<br />
nur das Verhalten; eine konkrete Sippe, die<br />
endemisch ist, ist ein Endemit).<br />
Diese Begriffe haben eine weitere und eine<br />
engere Bedeutung. Endemisch i. w. S. heißt,<br />
daß eine Sippe ausschließlich in einem bestimmten<br />
geographisch definierten Gebiet vorkommt,<br />
ungeachtet seiner Größe: so ist Fagus sylvatica<br />
in Europa endemisch, die Gattung Fagus auf <strong>der</strong><br />
Nordhalbkugel.<br />
Demgegenüber ist ein Endemit i. e. S. (das<br />
Substantiv wird meist mit dieser Bedeutung gebraucht)<br />
eine Sippe mit einem räumlich sehr<br />
kleinen Areal (zuweilen auch „Mikroarealophyt“<br />
genannt, vgl. H aeupler 1983); neuerdings wurde<br />
hierfür, d. h. für Sippen mit einem Areal von
F<br />
1<br />
Analyse und Verknüpfung 51<br />
Alpen<br />
- Pícea abies ' Fagus sylvatica . Abies a l b a --------------- He<strong>der</strong>á helix<br />
Abb. 24: Zonale und etageale Areale bzw. Arealteile einiger Gehölze entlang eines N-S-Transektes durch<br />
Europa.<br />
Fichte: zonales Areal in Nordeuropa, etageale Auslieger in Mittelgebirgen und Alpen, Buche: zonales Areal in<br />
Mitteleuropa, am S-Rand <strong>der</strong> Alpen etageal werdend. Tanne: rein etageales Areal. Efeu: zonales Areal von S-<br />
Skandinavien bis S-ltalien,<br />
weniger als 75000 km^ Größe, auch die Bezeichnung<br />
Lokalendem it vorgeschlagen (Gentry<br />
1986). Grund für die begrenzte Verbreitung kann<br />
sein:<br />
(1)<br />
(2)<br />
Die Sippe ist ein Relikt (siehe oben), sie<br />
heißt dann auch Reliktendemit o<strong>der</strong> Paläoendemit.<br />
Es handelt sich um eine neu entstandene<br />
Sippe, die (noch) keine Gelegenheit zur Ausbreitung<br />
hatte: ein progressiver Endemit<br />
o<strong>der</strong> Neoendemit.<br />
Beide Sorten von Endemiten (i. e. S.) sind beson<strong>der</strong>s<br />
häufig in Insel-Situationen, d. h. auf<br />
vom Festland weit entfernten Inseln sowie auf<br />
isolierten Gebirgsstöcken, im Fall (1) vor allem<br />
wegen Konkurrenzmangels, im Fall (2) auch<br />
wegen fehlen<strong>der</strong> Ausbreitungsmöglichkeiten.<br />
Eine Unterscheidung an<strong>der</strong>er Art, die sich<br />
auf die Lage im dreidimensionalen Raum bezieht,<br />
ist die zwischen zonalen und etagealen<br />
Arealen. Ein zonales Areal hat alle seine Grenzen<br />
im Tiefland (N-, O-, S-, W-Grenze). Etageale<br />
Areale (bzw. Arealteile) hingegen befinden<br />
sich in höheren Lagen von Gebirgen und haben<br />
eine Untergrenze (eine Obergrenze kann<br />
in beiden Fällen auftreten und ist für die Unterscheidung<br />
unwesentlich). Zwischen beiden Situationen<br />
sind alle Übergänge möglich (Abb. 24).<br />
Schließlich ist noch zwischen natürlichen<br />
und anthropogenen Arealen zu unterscheiden.<br />
Bei letzteren handelt es sich allerdings gewöhnlich<br />
nur um Arealteile bzw. um verschobene<br />
Arealgrenzen (Näheres S. 74). Sofern nicht aus<br />
drücklich etwas an<strong>der</strong>es gesagt wird, sind im<br />
folgenden gewöhnlich natürliche Areale gemeint.<br />
b<br />
Natürliche Florengebiete<br />
Die oben besprochenen Gebietsfloren, ob sie<br />
nun auf <strong>der</strong> Sammlung von Zufallsfünden o<strong>der</strong><br />
auf systematischer Kartierung beruhen, beziehen<br />
sich gewöhnlich auf politisch o<strong>der</strong> geographisch<br />
begrenzte Gebiete. Ihre Grenzen sind<br />
daher, von <strong>der</strong> Pflanzenverbreitung her gesehen,<br />
künstlich.<br />
Das wurde natürlich von Anbeginn <strong>der</strong> floristischen<br />
Erforschung <strong>der</strong> Erde erkannt, und man<br />
versuchte schon seit Beginn des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts,<br />
durch Vergleich <strong>der</strong> verschiedenen Gebietsfloren<br />
die Erde in natürliche Florengebiete<br />
einzuteilen (vgl. S. 89). Hierfür ist seither eine<br />
hierarchische Glie<strong>der</strong>ung in mindestens 3 Kategorien<br />
üblich geworden: den höchsten Rang haben<br />
die Florenreiche, diese bestehen aus Florenregionen,<br />
die wie<strong>der</strong>um in Florenprovinzen<br />
(o<strong>der</strong> -bezirke) unterteilt werden; weitere<br />
Unterglie<strong>der</strong>ungen gibt es nur in Teilbereichen.<br />
Für die Abgrenzung <strong>der</strong> natürlichen Florengebiete<br />
können 3 Kriterien herangezogen werden:<br />
• rein empirische: optischer Vergleich von<br />
Arealgestalten, beson<strong>der</strong>s solcher von als<br />
„typisch“ angesehenen Sippen<br />
• florenstatistische: quantitativer Vergleich<br />
von Floreninventaren
52 Areale und Floren<br />
3 • ■<br />
, J-<br />
... . .j,, l ^ .<br />
-<br />
‘J •.<br />
• vegetationskundliche: qualitative Wertung<br />
<strong>der</strong> in den Floren enthaltenen Sippen nach<br />
ihrer Bedeutung in <strong>der</strong> Vegetation.<br />
Die älteste und auch heute noch wichtigste<br />
Abgrenzungsmethode für die floristische Glie<strong>der</strong>ung<br />
im großen ist die empirische. Sie liefert<br />
zwar in vielen Fällen klare Grenzen, doch gibt<br />
es auch Bereiche auf <strong>der</strong> Erde, wo die Abgrenzung<br />
schwierig ist. In solchen Fällen kann man<br />
florenstatistische Untersuchungen hinzuziehen.<br />
Hierfür wird <strong>der</strong> zahlenmäßige Unterschied in <strong>der</strong><br />
Sippengarnitur berechnet: Zum Vergleich zweier Florengebiete<br />
A und B ermittelt man die Zahl a <strong>der</strong> Sippen,<br />
die in A vorhanden sind aber in B fehlen, und<br />
die Zahl b <strong>der</strong> Sippen in B die in A fehlen, a + b ist<br />
dann <strong>der</strong> Florenkontrast (es ist zugleich die Zahl <strong>der</strong><br />
zwischen A und B liegenden Arealgrenzen).<br />
Man kann den Florenkontrast auch für größere<br />
Teile <strong>der</strong> Erdoberfläche in regelmäßigen Abständen<br />
(in Form von Transekten) ermitteln, z. B. alle 100 km;<br />
dies ergibt das sog. Florengefalle. Auch hier wird wie<strong>der</strong><br />
die Zahl <strong>der</strong> durchgehenden Arealgrenzen gemessen.<br />
Diese kann auf weite Entfernungen sehr niedrig<br />
sein, um dann plötzlich einen starken Anstieg zu zeigen.<br />
Solche Häufungsgebiete sind gewöhnlich durch<br />
Schwellenwerte eines wichtigen ökologischen (meist<br />
klimatischen) Faktors bedingt; hier liegt dann eine natürliche<br />
Florengrenze.<br />
Durch die Florenkontrast- und -gefällemethode<br />
konnte man die Abgrenzung empirisch aufgestellter<br />
Florengebiete mancherorts präzisieren.<br />
Doch blieb das nicht selten unbefriedigend, da<br />
es sich eben um eine rein formale Methode handelt,<br />
für die sämtliche Pflanzensippen gleichgeachtet<br />
und nur als Zahlen berücksichtigt werden,<br />
ungeachtet ihrer tatsächlichen Menge und<br />
synökologischen Position. Um diese stärker zu<br />
gewichten, ist es zweckmäßig, vegetationskundliche<br />
Kriterien mit einzusetzen, was aber<br />
bisher noch in ungenügendem Ausmaße geschehen<br />
ist.<br />
c<br />
Arealtypen und Florenelemente<br />
Die Arealgestalten zeigen eine ungeheure Vielfalt.<br />
Doch entspricht diese keineswegs einer statistischen<br />
Verteilung; vielmehr sind bestimmte<br />
Arealbil<strong>der</strong> und Formelemente überrepräsentiert<br />
und treten immer wie<strong>der</strong> auf Diese Diskontinuität<br />
legt die Aufstellung von Typen nahe.<br />
Solche „Arealtypen“ (i. w. S.) kann man am<br />
einfachsten nach den Erdteilen benennen, für<br />
die sie charakteristisch sind. Da sie aber selbstverständlich<br />
Ausdmck von Umweltverhältnissen<br />
sind, werden sie sinnvollerweise mit diesen verknüpft,<br />
wobei man entwe<strong>der</strong> die Standortsbedingungen<br />
als solche zugrundelegen kann,<br />
o<strong>der</strong> die durch sie bewirkte Gliedemng <strong>der</strong> Pflanzendecke.<br />
Dementsprechend gibt es 3 verschiedene<br />
Gmppen von Arealtypen; sie beziehen sich<br />
auf<br />
• physiogeographische Gebiete<br />
• biogeographische Einheiten<br />
• ökologische Merkmale.<br />
Die physiogeographisch definierten Typen seien<br />
hier als Geographische Arealtypen bezeichnet;<br />
die zugehörigen Sippen sind die Geoelemente<br />
(dieser Begriff hat in <strong>der</strong> Literatur allerdings<br />
wechselnde Bedeutungen). Ihre Benennungen<br />
sprechen für sich selbst.<br />
Biogeographisch definiert sind die Floristischen<br />
Arealtypen. Wie <strong>der</strong> Name andeutet, sind<br />
sie auf natürliche Florengebiete bezogen. Man<br />
kann den Begriff aber dahingehend erweitern,<br />
daß man als biogeographische Bezugseinheiten<br />
Vegetationsgebiete mit einbezieht, vor allem als<br />
Untereinheiten. Die zugehörigen Sippen heißen<br />
Florenelemente.<br />
Das Wort „Florenelement“ wird in <strong>der</strong> Literatur allerdings<br />
mit zwei verschiedenen Bedeutungsinhalten<br />
benutzt: es kann sich entwe<strong>der</strong> auf die einzelne Sippe<br />
beziehen, o<strong>der</strong> es dient als Kollektivbegriff, d. h. als<br />
Synonym für den gesamten Areal typ. Der Unterschied<br />
läßt sich leicht an folgendem Satzpaar klarmachen:<br />
„Fagus sylvatica ist ein holarktisches Florenelement“<br />
gegenüber „Fagus sylvatica g eh ö rt zum Holarktischen<br />
Florenelement“. Im zweiten Falle ist das „Florenelement“<br />
also die Gesamtmenge aller holarktischen<br />
Sippen. Diese Version steht aber im Wi<strong>der</strong>spruch zur<br />
Bedeutung des Wortes Element sowohl in <strong>der</strong> allgemeinen<br />
Umgangssprache als auch in <strong>der</strong> wissenschaftlichen<br />
Mengenlehre und sollte daher vermieden werden.<br />
Florenelemente ähneln in vieler Hinsicht den<br />
Charakterarten in <strong>der</strong> Pflanzensoziologie (vgl. S. 59).<br />
Wie diese haben sie unterschiedliche „Treuegrade“,<br />
d. h. eine verschieden enge Bindung an die betr.<br />
biogeographische Einheit. Hiernach kann man die<br />
in einem bestimmten Florengebiet (FG) vorkommenden<br />
Sippen 6 verschiedenen Kategorien zuordnen<br />
(Abb. 25):<br />
1. Enge Charakterelemente (auf 1 FG beschränkt),<br />
und zwar:<br />
la. Gutes Charakterelement (Arealgrenzen mit denen<br />
des FG ± übereinstimmend)
Analyse und Verknüpfung 53<br />
Florengebiet A<br />
Florengebiet B<br />
Abb. 25: Je nach dem Grad ihrer Bindung an Florengebiete (FG) lassen sich 6 Kategorien von Florenelementen<br />
unterscheiden (schematisch). - Näheres im Text.<br />
lb. Charakterelement einer Untereinheit (diese<br />
gewöhnlich klimaökologisch charakterisiert)<br />
lc. Endemitisches Element (Areal sehr klein,<br />
meist nicht klimaökologisch deutbar)<br />
2. Weites Charakterelement (auf bestimmte, klimaökologisch<br />
charakterisierte Teile an<strong>der</strong>er FG übergreifend)<br />
3. Differential-Element (im Sinne von 2 aus an<strong>der</strong>em<br />
FG übergreifend)<br />
4. Extrazonales Element (Auslieger von 1, sporadisch<br />
an Son<strong>der</strong>standorten in an<strong>der</strong>em FG auftretend)<br />
5. Plurizonales Element (über mehrere FG verbreitet)<br />
6. Azonales Element (nicht erkennbar an FG gebunden).<br />
Großräumige, nach Florenreichen bzw. Vegetationszonen<br />
benannte Arealtypen lassen sich weltweit unterscheiden<br />
(vgl. S. 101); ihre Elemente sind meist Familien<br />
o<strong>der</strong> Gattungen. Detailliertere, auf begrenzte<br />
Untereinheiten bezogene Typisierungen (meist Arten<br />
betreffend) liegen dagegen nur aus Teilen <strong>der</strong> Erde vor.<br />
Für praktische Zwecke werden die Einheiten solcher<br />
Glie<strong>der</strong>ungen auch in Form von Abkürzungen dargestellt<br />
(Arealformeln, vgl. z. B. <strong>Schroe<strong>der</strong></strong> 1994).<br />
Typisierungen auf rein ökologischer Grundlage<br />
gibt es nur in Teilbereichen. Eine weltweite Geltung<br />
beanspruchende Glie<strong>der</strong>ung, die auf einem<br />
Gemisch aus ökologischen und biogeographischen<br />
Kriterien beruht, sind die sog. Arealtypen<br />
nach M eusel. (Der unerweiterte Begriff Arealtypen,<br />
<strong>der</strong> im Prinzip jede Typisierung von Arealen<br />
bezeichnet, wird im deutschen Sprachraum<br />
meist in diesem speziellen Sinne gebraucht.) Da<br />
dieses System in Mitteleuropa viel benutzt wird,<br />
sei es hier kurz erläutert (vgl. M eusel 1943,<br />
M eusel etc. 1965f).<br />
Der MEUSELschen Typisierung liegen 3 Merkmale zugrunde,<br />
die als Zonalität, Ozeanität und Höhenstufenbindung<br />
bezeichnet werden.<br />
Die Zonalität, ein überwiegend biogeograpbisches<br />
Kriterium, bildet die Grundlage <strong>der</strong> Klassifizierung.<br />
Die Arealgestalt wird hierfür in Bezug gesetzt zu 10 ±<br />
breitenparallelen Florenzonen (Abb. 26). Deren<br />
Umgrenzungen entsprechen in großen Teilen denen<br />
<strong>der</strong> thermischen Vegetationszonen (S. 109; Abb. 43,<br />
S. 110; näherer Vergleich bei<strong>der</strong> Systeme siehe dort).<br />
Das zweite Kriterium, die Ozeanität, ist überwiegend<br />
ökologisch definiert, nämlich durch die Humidität<br />
und/o<strong>der</strong> die Temperaturamplitude des Klimas.<br />
Hiernach wurden 4 Ozeanitätsgrade aufgestellt (Abb.<br />
26). Je nach ihrer engeren o<strong>der</strong> weiteren Bindung an<br />
einen o<strong>der</strong> mehrere davon werden für die Areale insgesamt<br />
10 Ozeanitätsstufen unterschieden.
54 Areale und Floren<br />
lii<br />
b<br />
115 '•<br />
Abb. 26: Florenzonen und Ozeanitätsglie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Erde im Sinne von Meusel.<br />
Ozeanitäts- bzw. Kontinentalitätsabstufung; oz, sehr ozeanisch, k, sehr kontinental, übrige Zwischenstufen. -<br />
Aus Meusel etc. 1965f.<br />
N L.<br />
X<br />
Die Beschreibung <strong>der</strong> Höhenstufenbindung erfolgt<br />
mit Hilfe <strong>der</strong> ökologisch definierten (aber oft vegetationskundlich<br />
mißinterpretierten) Begriffe kollin,<br />
montan, subalpin, alpin (vgl. S. 116).<br />
Für die praktische Anwendung <strong>der</strong> so gewonnenen<br />
typisierten Arealbeschreibungen auf die Einzelelemente<br />
wurde eine formelhafte Abkürzung, die<br />
Arealdiagnose, entwickelt. Sie besteht aus normierten<br />
Abkürzungen für die drei Kriterien und einer weiteren<br />
für den jeweiligen Erdteil. Sie lautet z. B. für<br />
Fagus sylvatica m/mo-temp.oz EUR (meridional/montan<br />
- temperar. ozeanisch Europa), für Adonis vemalis<br />
sm-temp.(k) EUR-WSIB (submeridional - temperar.<br />
weit kontinental Europa-Westsibirien).<br />
Die Arealtypen nach Meusel haben sich im weiteren<br />
mitteleuropäischen Raum sehr bewährt und daher<br />
eine weite Verbreitung gefunden. Das darf aber<br />
nicht über ihre Mängel hinwegtäuschen. Diese bestehen<br />
darin, daß in beiden Hauptkriterien <strong>der</strong> Abgrenzung<br />
<strong>der</strong> jeweiligen Einheiten eine rein europäische<br />
Sichtweise zugrundeliegt. So entspricht die Grenze<br />
zwischen „temperater“ und „submeridionaler“ Florenzone<br />
in Europa <strong>der</strong> Grenze zwischen humiden mitteleuropäischen<br />
und trockenbeeinflußten submediterran-pontischen<br />
Vegetationstypen. In den nemoralen<br />
Waldgebieten O-Nordamerikas und Ostasiens hingegen<br />
ist sie eine rein formal gezogene, durch keine floristischen<br />
o<strong>der</strong> vegetationskundlichen Grenzen gestützte<br />
Linie.<br />
Noch stärker europazentrisch geprägt ist das Begriffssystem<br />
<strong>der</strong> „Ozeanität“, bzw. die Termini „ozeanisch“<br />
und „kontinental“. Ihre Verwendung hat zwar<br />
gerade in <strong>der</strong> deutschen pflanzengeographischen Literatur<br />
eine lange Tradition (vgl. z. B. schon bei Brockmann-Jerosch<br />
& Rubel 1912), doch ist das noch kein<br />
Beweis für ihre weltweite Brauchbarkeit. Es sind eigentlich<br />
relative, nicht quantifizierbare Begriffe. Sie<br />
beruhen auf <strong>der</strong> Kombination mehrerer voneinan<strong>der</strong><br />
unabhängiger Klimamerkmale; <strong>der</strong> Temperaturamplitude<br />
zwischen wärmstem und kältestem Monat, <strong>der</strong><br />
Nie<strong>der</strong>schlagsmenge und <strong>der</strong> jahreszeitlichen Nie<strong>der</strong>schlagsverteilung<br />
(die lapidare Angabe, das Klima sei<br />
irgendwo „kontinental“, ist also eher eine Verschleiemng<br />
<strong>der</strong> tatsächlich einwirkenden Klimafaktoren). In<br />
Europa zeigen diese drei Variablen parallele Gradienten<br />
von WNW nach O SO , so daß ein klares „Kontinentalitätsgefalle“<br />
entsteht. Ganz an<strong>der</strong>s ist das z. B.<br />
in O-Nordamerika: hier verlaufen <strong>der</strong> thermische und
Analyse und Verknüpfung 55<br />
die hygrischen Gradienten im rechten Winkel zueinan<strong>der</strong>;<br />
eine <strong>der</strong> europäischen entsprechende Abstufung<br />
ist daher nicht auffindbar. In den Tropen, wo<br />
thermische Unterschiede entfallen, reduziert sich die<br />
„Ozeanität“ ohnehin auf die Humidität (die peraride<br />
peruanische Küstenwüste als „extrem kontinental“ zu<br />
bezeichnen, erscheint etwas abwegig). Insgesamt ist zu<br />
konstatieren, daß die Charakterisierung von Arealtypen<br />
im Sinne von M eusel außerhalb Europas wenig<br />
brauchbar ist.
D Vegetation<br />
Wie besprochen, bezieht sich <strong>der</strong> Begriff Vegetation<br />
auf das durch die integrierte Wirkung <strong>der</strong><br />
Umweltfaktoren geordnete Zusammenleben <strong>der</strong><br />
Pflanzensippen am Wuchsort. Die Unterschiede<br />
<strong>der</strong> Umweltbedingungen ebenso wie die <strong>der</strong><br />
Flora bedingen eine große Vielfalt in <strong>der</strong> Struktur<br />
<strong>der</strong> Pflanzendecke. Um diese in adäquater<br />
Weise zu beschreiben, muß man sie in abgrenzbare<br />
Einheiten, in Vegetationstypen, aufglie<strong>der</strong>n.<br />
Wie die einzelnen Pflanzensippen, so sind<br />
auch die Vegetationstypen in gesetzmäßiger<br />
Weise im Raum angeordnet; außerdem zeigen<br />
sie häufig auch eine zeitliche Abwandlung, die<br />
durch äußere Einflüsse bedingt sein kann, teils<br />
aber auch in ihrer Struktur selbst begründet ist.<br />
1 Vegetationstypen und ihre<br />
Kiassifizierung<br />
Grundlage <strong>der</strong> Vegetationsanalyse sind Untersuchung<br />
und Vergleich konkreter Pflanzenbestände.<br />
Aus gleichartigen Beständen abstrahiert<br />
man dann Vegetationstypen (auch Vegetationseinheiten<br />
genannt, wenn sie in einem<br />
Klassifizierungssystem eingestuft sind). Je nach<br />
den zugrundegelegten Eigenschaften gibt es zwei<br />
Sorten von Vegetationstypen: die physiognomische<br />
Untersuchung (nach Lebensformen) ergibt<br />
Pflanzenform ationen, die floristische (nach<br />
Pflanzensippen) Pflanzengesellschaften. Naturgemäß<br />
ist die physiognomische Klassifizierung<br />
sehr viel gröber und steht daher bei <strong>der</strong> globalen<br />
Vegetationsgliedemng im Vor<strong>der</strong>gmnd, während<br />
die floristische ihre Hauptbedeutung mehr<br />
im regionalen und lokalen Bereich hat.<br />
a<br />
Pflanzenformationen<br />
Ähnlich wie die Namen <strong>der</strong> ihnen zugrundeliegenden<br />
Lebensform en stam m en auch die<br />
Grundbegriffe <strong>der</strong> Formationstypologie (z. B.<br />
Wald, Heide, Wüste) aus dem allgemeinen<br />
Sprachgebrauch und damit aus vorwissenschaftlicher<br />
Zeit. Ihre wissenschaftliche Adaptation<br />
erfolgte im letzten Drittel des vorigen Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />
(vgl. S. 8 6 , 108); in den letzten Jahrzehnten<br />
wurden sehr detaillierte Glie<strong>der</strong>ungen entworfen<br />
(ScHMiTHüSEN 1968, Ellenberg etc. 1967a).<br />
Hierfür wurde eine Hierarchie entwickelt,<br />
<strong>der</strong>en höchste Kategorie meist als Formationsklasse<br />
bezeichnet wird; nächstfolgende Untereinheiten<br />
sind Formationsgruppe, Formation<br />
i. e. S. und Subformation. Eine solche hierarchische<br />
Glie<strong>der</strong>ung ist allerdings nicht unproblematisch:<br />
einerseits zeigen die hierfür verwendbaren<br />
Kriterien vielfache Überschneidungen,<br />
so daß oft schwer zu entscheiden ist, welchem<br />
<strong>der</strong> jeweils höhere o<strong>der</strong> nie<strong>der</strong>e Rang zukommt;<br />
an<strong>der</strong>erseits entsteht bei voller Ausnutzung<br />
eine Unzahl von Zwergkategorien, die die<br />
Übersichtlichkeit beeinträchtigt (vgl. E llenberg<br />
etc. 1967a). Die hier vorgeführte Klassifikation<br />
(Tab. 15) beschränkt sich daher zunächst auf<br />
die Definition von 11 Formationsklassen <strong>der</strong><br />
Landvegetation und die Angabe einiger wichtiger<br />
Unterteilungsmöglichkeiten.<br />
Grundkriterien <strong>der</strong> rein physiognomischen<br />
Ordnung sind erstens die Wuchs- und Lebensformen,<br />
zweitens die Dichte <strong>der</strong> Vegetationsdecke.<br />
Bei den stärker differenzierten Glie<strong>der</strong>angen<br />
werden jedoch stets ökologische Kriterien<br />
mit benutzt, und zwar um so mehr, je niedriger<br />
das Glie<strong>der</strong>ungsniveau ist; es handelt sich dann<br />
in Wirklichkeit um physiognomisch-ökologische<br />
Klassifizierungen.<br />
Natürlich sind auch die beschriebenen Formationsklassen<br />
ökologisch bedingt. Es gibt verschiedene<br />
Qualitäten dieser ökologischen Bedingtheit:<br />
klimatische, biotische, edaphische,<br />
temporäre und anthropogene. Je nachdem, welche<br />
vorherrscht, ist die Bedeutung <strong>der</strong> Formationen<br />
in <strong>der</strong> Vegetation <strong>der</strong> Erde unterschiedlich.<br />
Hierauf werden wir nach <strong>der</strong> Besprechung<br />
<strong>der</strong> Vegetationszonen zurückkommen (S. 120).<br />
b<br />
Pflanzengesellschaften<br />
Wie schon erwähnt, sind die unteren Einheiten<br />
<strong>der</strong> Formationssysteme meist ökologisch definiert.<br />
Auf diesem niedrigen, mehr regionalen<br />
Niveau ist aber, zumindest in Gebieten mit gut<br />
bekannter Flora, auch eine floristische Glie<strong>der</strong>ung<br />
in Pflanzengesellschaften möglich und<br />
kann dann als adäquatere Ordnung an die Stelle<br />
<strong>der</strong> formationstypologischen treten bzw. diese<br />
präzisieren.<br />
Solche regionalen floristischen Gliedemngen<br />
gibt es für mehrere Teile <strong>der</strong> Erde. Ihre Regionalität<br />
hat allerdings eine nachteilige Nebenerscheinung:<br />
Für die Erarbeitung floristisch defi-
Vegetationstypen und ihre lOassifizierung 57<br />
Tab. 15: Formationsklassen <strong>der</strong> Landvegetation.<br />
(I.) Phanerophyten-Formationen<br />
A. Wald<br />
Geschlossene Bestände aus Bäumen, also mindestens 5-10 m hoch, Kronendach mindestens 50 % <strong>der</strong> Fläche<br />
überdeckend und den Unterwuchs stark durch Beschattung beeinflussend.<br />
B. Offenwald (Baumflur)<br />
Physiognomisch von Bäumen beherrscht, Bestand aber nicht geschlossen, Kronendach meist weit < 30 %<br />
<strong>der</strong> Fläche überdeckend. Unterwuchs daher von den Bäumen kaum beeinflußt.<br />
C. Gebüsch (Busch, Strauchflur)<br />
Von Sträuchern (i. w. S.) beherrschte Bestände, also etwa 2-5 m hoch (selten höher); Strauchschicht geschlossen<br />
o<strong>der</strong> offen (dementsprechend mit schwachem bis starkem Unterwuchs).<br />
Unterteilungskriterien für A-C:<br />
(1) nach <strong>der</strong> Physiognomie <strong>der</strong> Phanerophyten; 1. Laubwald (bzw. -offenwald usw.), 1.1. von normaler<br />
Gestalt, 1.2. aus Schopfbäumen; 2. Nadelwald usw.; 3. Sukkulentenwald usw.<br />
(2) nach dem Verhalten <strong>der</strong> Blätter: a. immergrün; b. wechselgrün (sommer-, regengrün); c. blattlos.<br />
(II.) Nicht von Phanerophyten beherrschte Formationen mit ± geschlossener Vegetationsdecke (meist<br />
weit > 50 % deckend). D-F können auch als Grasland i. w. S. zusammengefaßt werden.<br />
D. Heide<br />
Geschlossene Bestände aus Zwergsträuchern (i. w. S.), in denen die stets vorhandenen an<strong>der</strong>en Wuchsformen<br />
kaum hervortreten.<br />
Unterteilungskriterien:<br />
(1) nach <strong>der</strong> Physiognomie <strong>der</strong> Zwergsträucher: 1. Strauchheide (aufrecht); 2. Teppichheide (nie<strong>der</strong>liegend);<br />
3. Polsterheide; 4. Sukkulentenheide.<br />
(2) nach dem Verhalten <strong>der</strong> Blätter: wie bei A-C.<br />
E. Grasflur<br />
Physiognomie durch ausdauernde Grasartige bestimmt, an<strong>der</strong>e Wuchsformen zwar beigemischt, aber höchstens<br />
zeitweise (z.B. zur Blütezeit) aspektbestimmend.<br />
Unterteilungskriterien:<br />
(1) nach <strong>der</strong> Wuchsform: 1. Rasengrasflur; 2. Büschelgrasflur.<br />
(2) nach dem Verhalten <strong>der</strong> Blätter: a. immergrün; b. tropophytisch.<br />
F. Staudenflur<br />
Überwiegend aus nicht grasartigen, nicht verholzten Ausdauernden (Stauden i. e. S.) bestehend.<br />
Unterteilung: nach dem Verhalten <strong>der</strong> Blätter wie bei E.<br />
G. Annuellenflur<br />
Kurzlebige Bestände aus kraut- o<strong>der</strong> grasartigen Hapaxanthen (Therophyten o<strong>der</strong> Winterannuellen).<br />
H. Moos- und Flechtendecken<br />
Niedrige, aus ausdauernden Moosen und/o<strong>der</strong> Flechten bestehende Bodenüberzüge mit höchstens sporadischer<br />
Beimischung höherer Pflanzen.<br />
I. Süßwasservegetation<br />
Unter Wasser wurzelnde o<strong>der</strong> wurzellose, untergetaucht (submers) o<strong>der</strong> an <strong>der</strong> Oberfläche von Binnengewässern<br />
lebende Pflanzenbestände (verschiedene Unterteilungen möglich).<br />
(III.) Nicht geschlossene Formationen, meist weit < 30 % <strong>der</strong> Fläche deckend: Wüste i. w. S.<br />
J. Halbwüste<br />
Pflanzen ± gleichmäßig über die Fläche verteilt, oberirdisch voneinan<strong>der</strong> isoliert, sich aber unterirdisch (so<br />
weit es die Bodenstruktur erlaubt) mit den Wurzelsystemen berührend („diffuse Vegetation“).<br />
Unterteilung nach Wuchsformen möglich entsprechend D-H, o<strong>der</strong> nach Bodenart.<br />
K. Vollwüste<br />
Normalstandorte pflanzenleer, nur an lokal günstigeren Stellen Pflanzenwuchs („kontrahierte Vegetation“).<br />
Unterteilung nicht nach Wuchsformen, son<strong>der</strong>n nach Bodenart.
58 Vegetation<br />
i<br />
nierter Vegetationstypen wurden in verschiedenen<br />
Län<strong>der</strong>n verschiedene Methoden benutzt.<br />
Sie beruhten auf unterschiedlichen praktischen<br />
Zielsetzungen und wissenschaftlichen Philosophien<br />
und entwickelten sich nach und nach (in<br />
Form sog. „Schulen“) immer mehr auseinan<strong>der</strong>;<br />
infolgedessen sind die Ergebnisse selbst für Gebiete<br />
mit sehr ähnlicher Flora und Vegetation<br />
oft schwer vergleichbar. Erst in jüngster Zeit<br />
beginnen diese Unterschiede wie<strong>der</strong> abzunehmen,<br />
hauptsächlich dadurch, daß die bei weitem<br />
wichtigste <strong>der</strong> Schulen, die von B raun-<br />
B lanquet, zunehmende Akzeptanz gewinnt,<br />
und zwar auch in Län<strong>der</strong>n, in denen sie bisher<br />
+ strikt abgelehnt wurde.<br />
Die Methodik <strong>der</strong> BRAUN-BtANQUET-Schule (auch<br />
Schule von Zürich-Montpellier genannt) wurde in<br />
Mitteleuropa entwickelt und ist hier unter <strong>der</strong> Bezeichnung<br />
Pflanzensoziologie bekannt (i. e. S., eigentlich<br />
ist dies ein allgemeinerer Begriff; vgl. Braun-Blanquet<br />
1964, Dierschke 1994). Sie ist eine typologische Methode<br />
par excellence. Ihre wichtigsten Prinzipien bei<br />
<strong>der</strong> Ermittlung von Vegetationstypen sind (1) die Festlegung<br />
<strong>der</strong> Untersuchungsflächen nach qualitativer Beurteilung<br />
durch den Augenschein, nicht nach statistisch-formalen<br />
Gesichtspunkten; (2) die gleichmäßige<br />
Berücksichtigung aller vorhandenen Pflanzensippen<br />
(im Normalfalle -arten), ungeachtet ob sie eine dominierende<br />
o<strong>der</strong> (anscheinend) untergeordnete Rolle<br />
spielen; (3) die ausschließliche Verwendung floristischer<br />
Kriterien, d. h. <strong>der</strong> Anwesenheit und Menge <strong>der</strong><br />
einzelnen Arten (ökologische werden nicht für die Abgrenzungen<br />
selbst herangezogen, son<strong>der</strong>n nur zu <strong>der</strong>en<br />
Erklärung); (4) die hierarchische Glie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />
Vegetationstypen nach <strong>der</strong> abgestuffen Ähnlichkeit<br />
ihrer Artenkombination.<br />
Um ein Gebiet pflanzensoziologisch zu untersuchen,<br />
nimmt man als erstes eine erschöpfende Rekognoszierung<br />
<strong>der</strong> gesamten Vegetationsdecke vor. Aufgmnd<br />
des so gewonnenen Überblicks lassen sich dann<br />
Aufnahmeflächen auswählen, die für eine adäquate<br />
Glie<strong>der</strong>ung homogen genug erscheinen. Diese werden<br />
nach erprobter Methodik aufgenommen, indem <strong>der</strong><br />
Deckungsgrad aller vorhandenen Arten geschätzt<br />
wird. Gewöhnlich unterscheidet man mindestens<br />
6 Stufen <strong>der</strong> „Artmächtigkeit“: -t- unter 1 % deckend,<br />
1 1-5 %, 2 5-25 %, 3 25-50 %, 4 50-75 %, 5 75-100 %<br />
(zu den vielen, aber im Prinzip wenig wichtigen Abweichungen<br />
dieser Methode vgl. D ierschke 1994). Die<br />
so erstellten Präsenzlisten (Aufnahmen) werden in<br />
eine Tabelle zusammengefaßt, womit die typologische<br />
Analyse beginnen kann. Zunächst werden die vorhandenen<br />
Arten nach ihrer Frequenz (Stetigkeit) sortiert.<br />
Hieraus kann dann auf ihre diagnostische Wertigkeit<br />
geschlossen werden: Arten, die gleichmäßig über alle<br />
Aufnahmen verteilt sind, haben dabei ebenso wenig<br />
Bedeutung wie solche, die nur vereinzelt als Raritäten<br />
Vorkommen; wichtig sind hingegen solche, die in einem<br />
wesentlichen Teil <strong>der</strong> Aufnahmen vorhanden sind<br />
und in einem an<strong>der</strong>en fehlen. Durch Verschieben <strong>der</strong><br />
einzelnen Arten und deir einzelnen Aufnahmen in <strong>der</strong><br />
Tabelle gegeneinan<strong>der</strong> wird dann versucht, Arten mit<br />
ähnlicher Verteilung bzw. Aufnahmen mit ähnlicher<br />
Artengarnitur zusammenzubringen. Diese „Tabellenarbeit“,<br />
früher ein mühseliges Unternehmen, wird<br />
heute durch adäquate Computerprogramme (z. B.<br />
Peppler 1988) sehr erleichtert. Ergebnis ist eine Tabelle,<br />
in <strong>der</strong> die Aufnahmen auf bestimmte Vegetationseinheiten<br />
verteilt sind, die sich durch das Vorhandensein<br />
o<strong>der</strong> Fehlen bestimmter Artengruppen<br />
(Differentialarten i. w. S.) unterscheiden. So ergibt sich<br />
eine hierarchische Glie<strong>der</strong>ung in zunächst ranglose<br />
Pflanzengesellschaften. Will man diese mit früher beschriebenen<br />
vergleichen, so wandelt man die Gesamttabelle<br />
in eine Stetigkeitstabelle um, in <strong>der</strong> die<br />
Stetigkeit je<strong>der</strong> Art in den einzelnen Gesellschaften<br />
ebenfalls in etwa 6 Stufen (-t-, TV) angegeben wird.<br />
Untersucht man die gesamte Vegetation eines<br />
größeren Gebietes (z. B. einer Vegetationsregion,<br />
vgl. S. 145) auf diese Weise, so kommt man zu<br />
einer vielfältigen hierarchischen Glie<strong>der</strong>ung, die<br />
die Anwendung von definierten Rangstufen<br />
zuläßt. Diese sind denen <strong>der</strong> Sippensystematik<br />
nachgebildet, und ebenso wie die Sippen (Taxa)<br />
werden auch die eingestuften PflanzengeselT<br />
schaften (Syntaxa) mit lateinischen Namen belegt,<br />
die nach festgelegten Nomenklaturregeln<br />
gebildet werden. Sie leiten sich von den Namen<br />
von jeweils 1-2 in <strong>der</strong> Gesellschaft wichtigen<br />
Arten ab, wobei an den Gattungsnamen bestimmte<br />
Endungen angehängt werden und das<br />
Artepithet in den Genitiv gesetzt wird.<br />
Als Basiseinheit, analog <strong>der</strong> Art, gilt die Assoziation<br />
(Endung -etum, z. B. Alnetum incanae). Mehrere Assoziationen<br />
bilden einen Verband {-iorv, hier Alno-Ulmion<br />
minoris), mehrere Verbände eine Ordnung {-etalia;<br />
hier Fagetalia sylvaticae), mehrere Ordnungen eine<br />
Klasse {-etea; hier Querco-Fagetea sylvaticae). Verband,<br />
Ordnung und Klasse können nach Bedarf noch in<br />
Unterverbände, -Ordnungen, -klassen unterteilt werden<br />
(Endungen -enion, -enalia, -ened). Die Klassen, als<br />
höchste Syntaxa innerhalb einer Vegetationsregion,<br />
unterscheiden sich neben ihrer floristischen Zusammensetzung<br />
oft auch dadurch, daß sie verschiedenen<br />
physiognomischen Formationen angehören (z. B. in<br />
Europa Querco-Fagetea sylvaticae sommergrüne Laubwäl<strong>der</strong>,<br />
Molinio-Arrhenatheretea Grasfluren, Calluno-<br />
Ulicetea Zwergstrauchheiden); allerdings umfaßt eine<br />
Formation in <strong>der</strong>selben Region meist mehrere Klassen.<br />
Oberhalb <strong>der</strong> Klasse gibt es noch die bisher wenig<br />
benutzte Klassengruppe (Endung -ea), in <strong>der</strong> homologe<br />
Klassen verschiedener Vegetationsregionen zu-
Vegetationstypen und ihre Klassifizierung 59<br />
sammengefaßt werden können (mit Gattungen statt<br />
Arten als Differentialsippen).<br />
Diagnostische Merkmale <strong>der</strong> Syntaxa sind die<br />
beteiligten Arten. Diejenigen von ihnen, die sich<br />
für Abgrenzungen verwenden lassen, kann man,<br />
wenn man einen Gesamtüberblick über die<br />
Pflanzengesellschaften <strong>der</strong> Region hat, noch<br />
unterteilen in Charakterarten (= Kennarten),<br />
die ± auf bestimmte Vegetationseinheiten beschränkt<br />
sind, und Differentialarten (i. e. S.,<br />
= Trerinarten), die in mehreren Einheiten höherer<br />
Ordnung auftreten und dort jeweils Einheiten<br />
nie<strong>der</strong>er Ordnung abgrenzen. Insgesamt<br />
setzt sich die Artengarnitur einer Pflanzengesellschaft<br />
also aus 3 Gruppen von Arten zusammen;<br />
aus Charakterarten, Differentialarten,<br />
und solchen, die keine Bedeutung für die Abgrenzung<br />
haben, den Begleitern. Zu beachten<br />
ist dabei, daß die Zugehörigkeit einer Art zu einer<br />
<strong>der</strong> drei Gruppen nicht absolut zu sehen,<br />
son<strong>der</strong>n in weitem Bereich relativ ist.<br />
Charakterarten werden gewöhnlich für die 4 Haupt-<br />
Rangstufen von <strong>der</strong> Assoziation aufwärts unterschieden;<br />
Assoziations-, Verbands-, Ordnungs-, Klassencharakterarten.<br />
Dabei gilt das Prinzip <strong>der</strong> Verschachtelung;<br />
die Charakterart einer Einheit ist zugleich auch<br />
eine solche für die übergeordneten Rangstufen. Je nach<br />
<strong>der</strong> Enge <strong>der</strong> Bindung unterscheidet man verschiedene<br />
Treuegrade; enge Charakterarten sind ± vollständig<br />
auf eine Gesellschaft bechränkt, weite können<br />
darüber hinaus z. B. in einer an<strong>der</strong>en gleichen Ranges<br />
als Differentialarten für Untereinheiten auftreten.<br />
Das Prinzip <strong>der</strong> Charakterarten ist in <strong>der</strong> Pflanzensoziologie<br />
zeitweise überstrapaziert worden, indem<br />
man for<strong>der</strong>te, daß jedes Syntaxon mindestens eine<br />
Charakterart haben müsse. Im Bereich <strong>der</strong> höheren<br />
Rangstufen ist diese Bedingung im Normalfalle erfüllt.<br />
Auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Assoziation kann es jedoch schwierig<br />
sein, Arten zu finden, die eine genügend enge<br />
synökologische Amplitude haben, und diejenigen, auf<br />
die das zutrifft, sind off Spezialisten, die auch in „ihrer“<br />
Assoziation nur als Raritäten auftreten. Extreme<br />
Vertreter einer „reinen Lehre“ haben demgemäß Gesellschaften,<br />
für die keine Charakterarten ermittelt<br />
werden konnten, nicht als Assoziationen anerkannt,<br />
was <strong>der</strong> Pflanzensoziologie berechtigte Kritik eingebracht<br />
hat. Heute spielen <strong>der</strong>artige Probleme keine<br />
Rolle mehr; einerseits erkennt man auch Gesellschaften<br />
mit einer genügend deutlichen Ausstattung mit<br />
Differentialarten und Charakterarten höherer Ordnung<br />
(nach <strong>der</strong> gesamten „charakteristischen Artenkombination“)<br />
als Assoziationen an, und an<strong>der</strong>erseits<br />
ist man von <strong>der</strong> zeitweise üblichen Aufsplitterung in<br />
zahlreiche sehr kleine Assoziationen wie<strong>der</strong> abgekom-<br />
Die Assoziationen, die heute als solche gewöhnlich<br />
relativ weit gefaßt werden, unterteilt man entsprechend<br />
dem Auftreten von Differentialarten weiter in<br />
Subassoziationen, Varianten und Fazies (es gibt noch<br />
weitere Zwischenkategorien). Die hierarchische Gliedemng<br />
macht auf diesem Niveau aber grundsätzliche<br />
Schwierigkeiten; die Abwandlung <strong>der</strong> Standortsverhältnisse,<br />
die das Auftreten <strong>der</strong> Differentialarten steuert,<br />
ist durch Gradienten verschiedener Faktoren bedingt,<br />
die sich überkreuzen und ein mehrdimensionales<br />
Netz bilden; eine eindimensionale Rangstufung<br />
dieser Faktoren untereinan<strong>der</strong> ist objektiv nicht möglich.<br />
Neuerdings wird daher vorgeschlagen, für die<br />
Assoziation die Aufstellung mehrerer, unabhängig<br />
nebeneinan<strong>der</strong> bestehen<strong>der</strong> Unterglie<strong>der</strong>ungen nach<br />
verschiedenen Kriterien zuzulassen. Deren wichtigste<br />
sind die geographisch-horizontale (großklimatisch bedingte),<br />
die geographisch-vertikale, die lokal-edaphische<br />
(vor allem nach Bodenwasser- und nach Bodennährstoffgehalten),<br />
die lokal-dynamische (vgl. S. 62)<br />
und die nutzungsbedingte (vgl. S. 68) Variabilität<br />
(Dierschke 1994, Peppler 1992).<br />
Die Pflanzensoziologie im Sinne von B raun-<br />
B lanquet ist in Mitteleuropa und den angrenzenden<br />
Teilen West-, Süd- und Südosteuropas<br />
mit großem Erfolg angewandt worden. Seit den<br />
30er Jahren hat die Auswertung von vielen Tausenden<br />
von Aufnahmen aus sämtlichen natürlichen<br />
und anthropogenen Vegetationstypen dazu<br />
geführt, daß dieser Raum heute <strong>der</strong> vegetationskundlich<br />
bestbekannte Teil <strong>der</strong> Erde ist.<br />
Inzwischen liegen auch aus vielen an<strong>der</strong>en Teilen<br />
<strong>der</strong> Erde pflanzensoziologische Untersuchungen<br />
vor, so vor allem aus Japan, ferner z. B.<br />
aus Vor<strong>der</strong>asien, dem Himalaja, Ostkanada<br />
(Québec), Chile und an<strong>der</strong>en südamerikanischen<br />
Län<strong>der</strong>n.<br />
Im Prinzip ist (entgegen manchen früheren Annahmen)<br />
die BRAUN-BtANQUET-Methode überall auf <strong>der</strong><br />
Erde anwendbar. Schwierigkeiten gibt es allerdings in<br />
den Tropen, vor allem im Bereich des Tropischen<br />
Regenwaldes. Hier ist meist die Artenzahl so groß und<br />
vor allem das Erkennen <strong>der</strong> Arten im Gelände so<br />
schwierig, daß jede Methode, die die Berücksichtigung<br />
sämtlicher Arten anstrebt, einen kaum zu bewältigenden<br />
Arbeitsaufwand bedingt. Dort ist es daher sinnvoller,<br />
als Kriterien die Präsenz bzw. Dominanz von<br />
Wuchsformen (vgl. Hallé etc. 1978) o<strong>der</strong> bestimmten<br />
auffälligen, leicht erkennbaren Einzelsippen (Indikatorsippen)<br />
zu benutzen (d. h. überwiegend physiognomisch<br />
zu klassifizieren).<br />
Auf die übrigen floristischen Methoden <strong>der</strong> Vegetationsglie<strong>der</strong>ung<br />
braucht hier nicht näher eingegangen<br />
zu werden (vgl. M ueller-D ombois etc. 1974,<br />
D ierschke 1994). Erwähnt sei die in Nordeuropa (und
60 Vegetation 1<br />
•%'¥. 3 =<br />
in ähnlicher Form in Rußland) lange Zeit führende<br />
„Waldtypenlehre“ (Cajan<strong>der</strong> 1909, 1930; vgl. S. 310).<br />
Im sehr artenarmen Gebiet <strong>der</strong> borealen Nadelwaldzone<br />
erwies es sich (vor allem für forstliche Zielsetzungen)<br />
als zweckmäßig, die Glie<strong>der</strong>ung weniger nach<br />
<strong>der</strong> Präsenz <strong>der</strong> (meist ubiquitär verbreiteten) Arten,<br />
son<strong>der</strong>n nach ihrer Dominanz vorzunehmen. Die<br />
nordischen „Waldtypen“ lassen sich aber leicht in<br />
Einheiten des Braun-Blanquet-Systems überführen.<br />
Auffallend ist, daß aus den englischsprachigen Län<strong>der</strong>n<br />
bisher kaum pflanzensoziologische Untersuchungen<br />
vorliegen. Das hat mehrere Ursachen. Erstens sind<br />
alle grundlegenden frühen Arbeiten, die den Siegeszug<br />
<strong>der</strong> Pflanzensoziologie in Kontinentaleuropa einleiteten,<br />
in deutscher o<strong>der</strong> französischer Sprache geschrieben<br />
(Symbol ist <strong>der</strong> Name des „Altmeisters“<br />
Braun-Blanquet). Bei <strong>der</strong> bekannten Abneigung <strong>der</strong><br />
Anglophonen gegen die Benutzung frem<strong>der</strong> Sprachen<br />
bedeutete das eine Sprachbarriere, die den Informationsfluß<br />
sehr einschränkte. Zum zweiten steht die typologische<br />
und sehr auf Anschauung basierende Methodik<br />
in starkem Gegensatz zur angelsächsischen wissenschaftlichen<br />
Philosophie, in <strong>der</strong> statistisch-mathematisches<br />
Denken im Vor<strong>der</strong>gmnd steht. Dementsprechend<br />
wurde die Pflanzensoziologie von anglophonen<br />
Autoren meist als „subjektiv“ o<strong>der</strong> gar „unwissenschaftlich“<br />
abgelehnt. Zwar ist richtig, daß bei <strong>der</strong> Auswahl<br />
<strong>der</strong> einzelnen Aufnahmefläche eine starke subjektive<br />
Komponente beteiligt ist; diese ist aber längst kompensiert<br />
durch die gewaltige Zahl <strong>der</strong> inzwischen ausgewerteten<br />
Aufnahmen. Und zum dritten wurde die<br />
anglo-amerikanische Vegetationskunde lange Zeit von<br />
<strong>der</strong> sog. Monoklimaxtheorie beherrscht (vgl. S. 65),<br />
nach <strong>der</strong> nur die leicht formationstypologisch erfaßbare<br />
klimatische Klimax als wichtig, alle übrigen Vegetationstypen<br />
aber einer näheren Untersuchung nicht<br />
würdig angesehen wurden. Ergebnis <strong>der</strong> angelsächsischen<br />
Abneigung ist, daß die Vegetation Nordamerikas,<br />
die vor allem im Osten mit <strong>der</strong> mitteleuropäischen<br />
in physiognomischer und floristischer Hinsicht<br />
eng verwandt ist, bisher nur sehr ungleichmäßig untersucht<br />
ist: neben den großräumigen, mehr praktisch<br />
ausgerichteten Glie<strong>der</strong>ungen („Forest Cover Types“)<br />
gibt es nur einzelne punktuelle und dann extrem exakte<br />
(und entsprechend arbeitsaufwendige) Detailuntersuchungen,<br />
<strong>der</strong>en Bedeutung über das Lokale<br />
nicht hinausgeht (neuerdings leisten Japaner „Entwicklungshilfe“,<br />
vgl. Miyawaki etc. 1994).<br />
Räumliche Ordnung <strong>der</strong><br />
Vegetation; Vegetationsmosaik<br />
Vegetationstypen sind standortsbedingt. Für die<br />
Determination des an einem Wuchsort vorhandenen<br />
Vegetationstyps liegt die Bedeutung <strong>der</strong><br />
einzelnen Standortsfaktoren auf verschiedenem<br />
Niveau. Wie bei <strong>der</strong> Arealbildung, so nimmt<br />
auch hier das Großklima den höchsten Rang<br />
ein: es entscheidet darüber, welche Lebewesen<br />
am Ort zur Verfügung stehen. Es bestimmt also<br />
die biotische Ausstattung und damit auch die<br />
für Wald zu trocken<br />
(Pinus) Vitle LicM hoUorten und Sträucher (Pinus)<br />
QUERCUS PETRAEA, ROBUR od.r PUBESCENS<br />
oooooooooooooooooo<br />
Ouercus-Arten, Sorbus- Arten, T itia -A rte n<br />
A cer- Arten<br />
Fraxinus excelsior<br />
D icra n o -<br />
(C o rynephorio n ) ( X e ro bro m io n )<br />
" " m i t Pinus sjflvestris<br />
P in io n<br />
Ouercion pubescenti-petroeoe "<br />
) 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0^0 OOO0 OO0<br />
Carpinion_<br />
^ Cepholanthero-Fagion<br />
s °<br />
0 Luzulo-<br />
O 0 0 Fagion<br />
Fagion<br />
O<br />
C<br />
O O Eu- Fagion<br />
0) >00000 000 000 ooooooo OOOOOO<br />
o<br />
Carpinion<br />
m it M o/inia<br />
___— Alno-Ulmion<br />
Betulion pubescentis<br />
Alnion glutinosoe<br />
( S p h o g n io n ) ( M a g n o c o ric io n )<br />
Abb. 27: Edaphische Glie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> natürlichen Vegetation in tieferen (submontanen) Lagen West-Mitteleuropas.<br />
A: Wichtigste Waldbäume (die Schriftgröße entspricht etwa <strong>der</strong> Bedeutung in <strong>der</strong> Baumschicht).<br />
B: Waldgesellschaften (Verbände, vgl. auch S. 411).<br />
- Aus Ellenberg 1963, verän<strong>der</strong>t.
Räumliche Ordnung <strong>der</strong> Vegetation; Vegetationsmosaik 61<br />
VG I (Klima feucht) Ökoton VG H (Klima trocken)<br />
AzonalerVT (z.B. Felsflur) Azonaler VT Azonaler VT<br />
Extrazonal: VT von VG II<br />
Zonaler VT<br />
(Klimax,<br />
edaph. Varianten)<br />
VT von VG H<br />
VT von VG r<br />
Zonaler VT<br />
(Klimax,<br />
edaph. Varianten)<br />
Extrazonal: VT von VG I<br />
AzonalerVT (Wasserveget.) Azonaler VT Azonaler VT<br />
Abb. 28: Verteilung <strong>der</strong> edaphisch bedingten Vegetationstypen (VT) in zwei benachbarten Vegetationsgebieten<br />
(VG) mit unterschiedlicher Klimaxvegetation und in ihrem Übergangsbereich (Ökoton), schematisch.<br />
Pllanzenformationen, die hieraus gebildet werden<br />
können. Derjenige dieser potentiellen<br />
Vegetationstypen, <strong>der</strong> am wenigsten durch an<strong>der</strong>e<br />
Standortsfaktoren beeinflußt ist, ist <strong>der</strong><br />
zonale Vegetationstyp o<strong>der</strong> die klimatische<br />
Klimax (Näheres S. 65).<br />
Durch die edaphischen Faktoren wird <strong>der</strong><br />
zonale Vegetationstyp abgewandelt. Im Rahmen<br />
<strong>der</strong> klimatisch bedingten Pflanzenformation<br />
entstehen verschiedene Ausbildungen (Vegetationseinheiten<br />
nie<strong>der</strong>en Ranges), die ein edaphisch<br />
bedingtes Vegetationsmosaik bilden; im<br />
Extremfall kann die klimatische Klimax dabei<br />
auch durch an<strong>der</strong>e Formationen ersetzt werden.<br />
Diese sind entwe<strong>der</strong> extrazonale Vegetationstypen,<br />
die ihre zonale Verbreitung in an<strong>der</strong>en<br />
Klimagebieten haben (<strong>der</strong>en Charakteristika<br />
durch die edaphischen Bedingungen in gewisser<br />
Weise kopiert werden, im Sinne <strong>der</strong> „relativen<br />
Standortskonstanz“, W alter etc. 1953); o<strong>der</strong><br />
es sind azonale Vegetationstypen ohne zonales<br />
Verbreitungsgebiet auf <strong>der</strong> Erde.<br />
Das edaphische Vegetationsmosaik läßt sich für jeden<br />
Klimatyp schematisch darstellen durch die sog.<br />
Okogramme nach Ellenberg. Hierfür beschränkt man<br />
sich allerdings auf die Darstellung <strong>der</strong> Gradienten <strong>der</strong><br />
beiden wichtigsten Faktoren, Bodenfeuchte und Nährstoffgehalt,<br />
auf „Normalstandorten“ (also ohne Berücksichtigung<br />
von Son<strong>der</strong>faktoren wie z. B. periodische<br />
Überschwemmung o<strong>der</strong> Bodenversalzung). Als<br />
konkretes Beispiel sei die natürliche Vegetation <strong>der</strong><br />
Tieflagen Mitteleuropas gewählt (Abb. 27). Die mitteleuropäische<br />
Klimaxformation, <strong>der</strong> sommergrüne<br />
Laubwald, ist in mehrere edaphisch bedingte Gesellschaften<br />
differenziert (vgl. auch S. 411): reicher Buchenwald<br />
{Eu-Fagion = Fagion sylvaticae), ärmerer Buchenwald<br />
{Luzulo-Fagion), trocken-reicher Eichenwald<br />
(Quercion pubescenti-petraeae), armer Eichenwald<br />
(Quercion robori-petraeae), feuchter Eichen-Hainbuchen-Mischwald<br />
{Carpinion betult), Erlenbruchwald<br />
{Alnion glutinosae), Birkenbruchwald (Betulion pubescentis).<br />
Der auf sehr trocken-arm-sauren Böden auftretende<br />
Kiefernwald (Dicrano-Pinion) ist ein extrazonaler<br />
Auslieger des borealen Nadelwaldes. Als azonale<br />
Formationen kommen schließlich die Vegetation für<br />
Wald zu flachgründiger Felsstandorte sowie die des<br />
Süßwassers hinzu.<br />
Durch solche Ökogramme läßt sich auch die komplizierte<br />
Vegetationsgliedemng in Übergangsbereichen<br />
(Ökotonen) zwischen den Gebieten verschiedener<br />
Klimaxformationen in sinnvoller Weise darstellen.<br />
Hierfür seien zwei angenommene Vegetationsgebiete<br />
einan<strong>der</strong> gegenübergestellt, <strong>der</strong>en eines (VG I) z. B.<br />
ein (semi)humides Waldklima, das an<strong>der</strong>e (VG II) ein<br />
semiarides Steppenklima besitze (Abb. 28). In <strong>der</strong><br />
Nähe des Grenzbereiches werden in VG I die edaphisch<br />
trockensten Stellen bereits vom Vegetationstyp<br />
des VG II (Steppe) besetzt sein, ebenso in VG II<br />
die edaphisch feuchtesten Bereiche von dem des VG I<br />
(Wald). Im eigentlichen Übergangsbereich nehmen<br />
beide zonalen Vegetationstypen im Ökogramm etwa<br />
den gleichen Raum ein.
Zeitliche Ordnung <strong>der</strong><br />
Vegetation: Sukzession und<br />
Klimax<br />
Die Beschreibung von Vegetationsmosaiken, so<br />
wie sie eben skizziert wurde, entspricht einer<br />
statischen Betrachtungsweise. In Wirklichkeit ist<br />
die Vegetationsdecke aber oft in ± starker Verän<strong>der</strong>ung<br />
begriffen; das im Gelände auffindbare<br />
Vegetationsmosaik ist dann nur eine Art Momentaufnahme,<br />
und es kann neben edaphisch<br />
bedingten Modifikationen auch solche mit zeitlicher<br />
Ursache enthalten. Die Dynamik <strong>der</strong> Vegetation<br />
zeigt sich gewöhnlich in Form einer<br />
gesetzmäßigen Aufeinan<strong>der</strong>folge bestirnmter<br />
Zustände: auf eine Initialphase folgen Übergangsphasen,<br />
die in mehr o<strong>der</strong> weniger vielen<br />
Schritten einem Endstadium zustreben; diese<br />
Abfolge heißt Sukzession, <strong>der</strong> Endzustand Klimax<br />
(griechische Bedeutung eigentlich „Leiter“<br />
bzw. im übertragenen Sinne „oberste Sprosse<br />
<strong>der</strong> Leiter“).<br />
Je nach dem Zustand, <strong>der</strong> vor Beginn <strong>der</strong> Entwicklung<br />
am Wuchsort herrschte, unterscheidet<br />
man zwischen primärer Sukzession auf Stellen,<br />
die vorher ± vegetationsfrei waren, und sekundärer<br />
Sukzession als Folge <strong>der</strong> Zerstörung<br />
vorher vorhandener Vegetation. Eine an<strong>der</strong>e<br />
Unterscheidung bezieht sich auf die Entwicklung<br />
<strong>der</strong> Bestandesstruktur. Im Normalfall geht<br />
diese von einfachen, wenig stmkturierten Beständen<br />
in Richtung auf kompliziertere, stärker differenzierte<br />
(im Sinne <strong>der</strong> sog. soziologischen<br />
Progression); solche Abläufe heißen aufsteigende<br />
(progressive) Sukzession. Es gibt aber auch<br />
den umgekehrten Fall <strong>der</strong> absteigenden (regressiven)<br />
Sukzession von höher zu niedriger organisierten<br />
Vegetationstypen.<br />
Unter natürlichen Verhältnissen hängen Sukzessionen,<br />
so wie sie hier definiert werden, häufig<br />
mit <strong>der</strong> Verjüngung <strong>der</strong> Vegetationseinheit<br />
zusammen. Daneben gibt es aber auch Fälle, in<br />
denen sie durch Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> edaphischen<br />
Umweltbedingungen hervorgerufen werden.<br />
a<br />
Verjüngung und Verjüngungssukzession<br />
Im Mikrobereich setzt sich je<strong>der</strong> Pflanzenbestand<br />
aus Individuen verschiedener Arten zusammen,<br />
<strong>der</strong>en jede einerseits eine begrenzte<br />
Lebensdauer hat (wenn auch von unterschiedlicher<br />
Länge), an<strong>der</strong>erseits Diasporen erzeugt, die<br />
eine kontinuierliche Ersetzung absterben<strong>der</strong><br />
Exemplare durch Jungpflanzen, die Verjüngung,<br />
ermöglichen. Folge davon ist die zeitliche Verschiebung<br />
<strong>der</strong> Wüchsplätze <strong>der</strong> einzelnen Arten<br />
innerhalb des Bestandesmosaiks. Da dieses<br />
durch <strong>der</strong>artige „Lücken-“ o<strong>der</strong> „Mosaikdynamik“<br />
in seiner Grundstruktur nicht wesentlich<br />
verän<strong>der</strong>t wird, spricht man in diesem Falle nicht<br />
von Sukzession.<br />
Bei niedrigen (Nichtwald-) Formationen ist<br />
eine solche permanente Verjüngung weit verbreitet.<br />
Sie kommt auch bei Wäl<strong>der</strong>n vor, doch<br />
tritt hier ebenso häufig die sog. katastrophische<br />
Verjüngung auf (Abb. 29). Diese beruht auf einer<br />
plötzlichen Zerstörung <strong>der</strong> Baumschicht<br />
(ähnlich dem forstlichen Kahlschlag) durch äußere<br />
Ereignisse, vor allem Windwurf o<strong>der</strong> Waldbrand<br />
(zuweilen auch epidemieartiges Auftreten<br />
parasitischer Pilze o<strong>der</strong> Tiere). Hierdurch<br />
wird eine sekundäre Sukzession ausgelöst. Der<br />
Wegfall <strong>der</strong> Bäume setzt die unteren Schichten<br />
des Bestandes <strong>der</strong> vollen Belichtung aus, so daß<br />
sich stark lichtbedürftige Arten ansiedeln können.<br />
Sie bilden zunächst eine krautige Kahlschlagflur,<br />
die aber ziemlich rasch durch Pioniergebüsch<br />
aus ebenfalls lichtbedürftigen, aber<br />
den Krautigen konkurrenzüberlegenen Sträuchern<br />
ersetzt wird. Diese werden ihrerseits von<br />
einem Pionierwald aus schnellwüchsigen, kurzlebigen<br />
Baumarten überwachsen. In diesem<br />
nimmt allmählich <strong>der</strong> Anteil mehr langlebiger,<br />
aber ebenfalls noch ziemlich lichtbedürftiger<br />
Baumarten zu (Übergangswald). Schließlich<br />
werden auch diese lichtliebenden Arten durch<br />
stark schattenertragende ersetzt, die zwar unter<br />
ersteren auflcommen können, selbst aber <strong>der</strong>en<br />
Verjüngung verhin<strong>der</strong>n; damit ist das Endstadium,<br />
<strong>der</strong> Klimaxwald, erreicht. Es wird also in<br />
gesetzmäßig aufeinan<strong>der</strong>folgenden Schritten <strong>der</strong><br />
Ausgangszustand wie<strong>der</strong>hergestellt: es liegt eine<br />
zyklische Sukzession vor.<br />
Der Ablauf einer zyklischen Sukzession ist umso komplizierter,<br />
je größer die Zahl <strong>der</strong> potentiell beteiligten<br />
Pflanzenarten ist (so können im Tropischen Regenwald<br />
mehrere bis viele Pionier- und Ubergangsstadien<br />
aufeinan<strong>der</strong> folgen, vgl. Hallé etc. 1978). Dabei ist<br />
die tatsächliche Abfolge im Einzelfall stark vom Zufall<br />
abhängig: diejenigen <strong>der</strong> Pionierarten, die zufällig<br />
in <strong>der</strong> Nähe wachsen, haben die größte Chance, sich<br />
anzusiedeln (so kann z. B. bei starker Präsenz von<br />
Pionierbaumarten das Gebüschstadium übersprungen<br />
werden). An<strong>der</strong>erseits kann, vor allem wenn die Zahl<br />
<strong>der</strong> Baumarten sehr gering ist, eine einmalige kata-
Zeitliche Ordnung <strong>der</strong> Vegetation: Sukzession und Klimax 63<br />
Verjüngung<br />
permanent<br />
katastrophisch<br />
Pionierwald<br />
z .B . Belula<br />
imUnlerwuchs<br />
z .B . Epilobium, Digitalis<br />
Abb. 29: Permanente und katastrophische Verjüngung am Beispiel des mitteleuropäischen Buchenwaldes,<br />
schematisch vereinfacht.<br />
strophische Verjüngung dazu fuhren, daß dieses Ereignis<br />
sich im selben Bestand mehrfach wie<strong>der</strong>holt:<br />
da die Baumindividuen des Klimaxwaldes alle ± gleich<br />
alt sind, erreichen alle etwa zur gleichen Zeit ihre Altersgrenze,<br />
wodurch die Wahrscheinlichkeit einer neuen<br />
Katastrophe groß wird.<br />
Die in <strong>der</strong> Verjüngungssukzession nacheinan<strong>der</strong><br />
auftretenden Vegetationstypen sind ein integrieren<strong>der</strong><br />
Bestandteil des durch die Klimaxgesellschaft als höchstentwickelte<br />
Stufe gekennzeichneten Ökosystems; die<br />
sie aufbauenden Arten sind im Wuchsbereich <strong>der</strong> Klimax<br />
stets irgendwo vorhanden, auch dann, wenn die<br />
katastrophische Verjüngung nur seltener Ausnahmefall<br />
ist.<br />
Zuweilen kommt es vor, daß bereits vor Abschluß<br />
<strong>der</strong> Verjüngungssukzession neue katastrophische<br />
Ereignisse eintreten, so daß die Entwicklung<br />
aufgehalten bzw. auf frühere Stadien<br />
zurückgeworfen wird. Geschieht das sehr oft, so<br />
kann die Abfolge schließlich über bestimmte<br />
Sukzessionsstadien nicht mehr hinauskommen,<br />
und die Ausbildung <strong>der</strong> Klimaxgesellschaft wird<br />
permanent verhin<strong>der</strong>t. Diese Erscheinung findet<br />
man oft in Gebieten mit häufigen Bränden;<br />
<strong>der</strong> Vegetationstyp, bei dem die Sukzession dann<br />
stehen bleibt, heißt Feuerklimax. Seltener ist<br />
die biotische Klimax, die dadurch bedingt ist,<br />
daß nicht-pflanzliche Lebewesen, d. h. gewöhnlich<br />
weidende herdenbildende Großsäuger, die<br />
Sukzession aufhalten. Solche länger erhalten<br />
bleibenden, aber nicht <strong>der</strong> echten Klimax entsprechenden<br />
Vegetationstypen heißen auch<br />
Dauergesellschaften.<br />
b<br />
Sukzession als Folge edaphischer<br />
Standortsän<strong>der</strong>ungen<br />
Im Gegensatz zur zyklischen Sukzession kann<br />
es sich hier um die Entstehung von etwas Neuem<br />
handeln, das vorher am Wuchsort so nicht<br />
vorhanden war, also um eine primäre Sukzession.<br />
Die Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> edaphischen Bedingungen<br />
ist dabei aber nicht nur Auslöser <strong>der</strong><br />
Sukzession, son<strong>der</strong>n wird pieistens umgekehrt<br />
auch durch diese gesteuert, d. h. es besteht eine<br />
Wechselwirkung zwischen <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong><br />
Vegetation und <strong>der</strong> <strong>der</strong> abiotischen Faktoren.<br />
Das klassische Beispiel einer solchen nichtzyklischen<br />
Sukzession ist die Verlandung stehen<strong>der</strong><br />
Gewässer. Der Faktor, <strong>der</strong> sich hierbei<br />
irreversibel än<strong>der</strong>t, ist letztlich das Niveauverhältnis<br />
zwischen Bodenoberfläche und Wasserspiegel;<br />
diese Än<strong>der</strong>ung kann zum großen<br />
Teil durch die Vegetation selbst hervorgerufen<br />
werden. Indem <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Wasservegetation<br />
erzeugte Detritus den Boden des Gewässers all-
64 Vegetation<br />
________________ 1____ J E »<br />
\<br />
Abb. 30: Vegetationszonierung am Rande eines eutrophen Sees (Beispiel aus Mitteleuropa) als momentanes<br />
Stadium <strong>der</strong> Verlandungssukzession.<br />
Spl = Supralitoral, Eul = Eulitoral, Sbl = Sublitoral (vgl. S. 381). Die durch Zahlen bezeichneten Vegetationstypen<br />
(vgl. auch S. 383,421) folgen in <strong>der</strong> Sukzession aufeinan<strong>der</strong>; 1 und 2 Unterseewiesen (1 aus Charophyceen,<br />
2 aus submersen Kormophyten), 3 Schwimmblattpflanzenflur, 4 Röhricht, 5 Sumpfpflanzenflur (von 4 und 6<br />
schwer zu trennen), 6 Erlenbruchwald. Durch Ablagerung <strong>der</strong> zugehörigen, überwiegend organischen Substrate<br />
(1, 2, 3 Mudde; 4, 5 Schilf- und Seggentorf; 6 Bruchwaldtorf) wird <strong>der</strong> ursprüngliche Gewässergrund<br />
(F Felsuntergrund, M Mineralboden) laufend erhöht, so daß die Sukzession nach links fortschreitet. - Aus<br />
Strasburger etc. 1991, verän<strong>der</strong>t.<br />
mählich erhöht, können die das Gewässer in<br />
Form einer Zonierung umgebenden Vegetationstypen<br />
kontinuierlich nach innen vorrükken,<br />
wobei die jeweils innersten nacheinan<strong>der</strong><br />
verschwinden (Abb. 30). In dem dargestellten<br />
mitteleuropäischen Beispiel ist die Schlußgesellschaft<br />
(Klimax) <strong>der</strong> Erlenbruchwald.<br />
An<strong>der</strong>e, gut bekannte primäre Sukzessionen<br />
sind die Anlandung an <strong>der</strong> Küste des Wattenmeeres<br />
sowie die Besiedlung des beim Rückzug<br />
von Gletschern frei werdenden o<strong>der</strong> bei Vulkanausbrüchen<br />
neu entstehenden Rohbodens.<br />
Der Beitrag <strong>der</strong> Vegetation zur Standortsän<strong>der</strong>ung<br />
besteht im ersten Fall in <strong>der</strong> Begünstigung<br />
<strong>der</strong> Schlicksedimentation, im zweiten<br />
in <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> (sowohl physikochemisch<br />
als auch biologisch bedingten) Bodenreifung.<br />
Eine Mischung zwischen katastrophischer<br />
Verjüngung und primärer Sukzession findet sich<br />
bei <strong>der</strong> Vegetationsdynamik in Flußauen. Durch<br />
die Tätigkeit des Wassers kommt es zur Zerstörung<br />
von Teilen <strong>der</strong> vorhandenen Vegetation,
Zeitliche Ordnung <strong>der</strong> Vegetation: Sukzession und Klimax 65<br />
wobei nicht nur die Pflanzendecke selbst bzw.<br />
<strong>der</strong>en oberste Schicht beseitigt wird, son<strong>der</strong>n<br />
auch ihre edaphische Unterlage. Der als Folge<br />
davon entstehende Rohboden ist ein völlig verän<strong>der</strong>ter<br />
Standort, auf dem eine neue, quasi-primäre<br />
Sukzession beginnen kann.<br />
Endstadium <strong>der</strong> Auensukzession ist in den Waldregionen<br />
<strong>der</strong> Hartholzauenwald, <strong>der</strong> <strong>der</strong> Klimax <strong>der</strong><br />
Normalstandorte sehr ähnlich ist und sich von ihr nur<br />
durch die Wirkungen <strong>der</strong> gelegentlichen Überschwemmungeh<br />
unterscheidet. In den flußnahen Teilen <strong>der</strong><br />
Aue wird diese Schlußgesellschaft aber gewöhnlich<br />
nicht erreicht, da die Entwicklung schon vorher durch<br />
neue Hochwasserschäden unterbrochen wird. Sie<br />
kommt daher über die aus raschwüchsigen Sträuchern<br />
und Bäumen bestehenden Pionierstadien nicht hinaus,<br />
die die Dauergesellschaft des Weichholzauenwaldes<br />
bilden.<br />
Die bisher besprochenen Sukzessionen (einschließlich<br />
<strong>der</strong> <strong>der</strong> Verjüngung) sind sämtlich<br />
von aufsteigendem Typ. Es gibt aber auch natürliche<br />
absteigende Sukzessionen. So kann z. B.<br />
nach Abschluß <strong>der</strong> oben skizzierten Verlandung<br />
unter speziellen, sehr humid-oligotrophen Verhältnissen<br />
eine neue, ganz an<strong>der</strong>e Entwicklung<br />
einsetzen: Im Erlenbruchwald siedeln sich Torfmoose<br />
{Sphagna) an, die dichte, das Regenwasser<br />
festhaltende Polster bilden und dadurch die<br />
Bäume allmählich zum Absterben bringen. Aus<br />
dem hoch organisierten Bruchwald entsteht so<br />
schließlich ein wesentlich einfacher strukturiertes<br />
Hochmoor.<br />
c<br />
Sukzessionstheorien und<br />
Klimaxbegriff<br />
Im vorliegenden Text wird <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> Sukzession<br />
auf Vegetationsän<strong>der</strong>ungen bei konstantem<br />
Klima beschränkt, was m. E. die sinnvollste<br />
Definition ist. Früher wurden aber auch historische<br />
pflanzengeographische Abläufe oft hier<br />
mit einbezogen: so wurde (und wird noch) von<br />
vielen Autoren die Wie<strong>der</strong>bewaldung Mitteleuropas<br />
in <strong>der</strong> Nacheiszeit (ebenso entsprechende<br />
Vorgänge in den Interglazialen) häufig als<br />
„säkulare Sukzession“ bezeichnet.<br />
Säkulare Sukzessionen an<strong>der</strong>er Art spielten<br />
lange Zeit in <strong>der</strong> englischsprachigen Literatur<br />
eine große Rolle, und zwar im Zusammenhang<br />
mit <strong>der</strong> sog. M onoklimaxtheorie (C lements<br />
1928).<br />
Diese Theorie sah alle erkennbaren Vegetationseinheiten<br />
nur als Glie<strong>der</strong> von Sukzessionsserien, die einem<br />
einzigen Schlußstadium, <strong>der</strong> klimatischen Klimax,<br />
zustreben. So betrachtete man Gewässer als Ausgangspunkte<br />
einer „Hydroserie“, die nach Ende <strong>der</strong><br />
eigentlichen Verlandung infolge weiterer Auffüllung<br />
<strong>der</strong> noch vorhandenen Depression durch aus <strong>der</strong> Umgebung<br />
eingetragene Sedimente schließlich mit dem<br />
Auftreten <strong>der</strong> klimatischen Klimax ende. Ebenso galten<br />
Felsstandorte als Beginn einer „Xeroserie“, die infolge<br />
Abtragung <strong>der</strong> Felsen allmählich ebenfalls zur<br />
klimatischen Klimax fuhren würde. (An beiden, diametral<br />
verschiedenen Standorten würde demnach in<br />
Mitteleuropa am Ende <strong>der</strong> Sukzession als klimatische<br />
Klimax ein Buchenwald wachsen.) Die Monoklimaxtheorie<br />
hat sich zwar dadurch selbst ad absurdum geführt,<br />
daß in ihr eine wichtige Tatsache nicht beachtet<br />
wurde, nämlich daß Klimaändemngen in viel kürzeren<br />
Zeitspannen ablaufen als die von ihr gefor<strong>der</strong>ten<br />
geologischen Einebnungsvorgänge (die klimatische<br />
Klimax könnte also am Ende des geologischen Vorganges<br />
ganz an<strong>der</strong>s aussehen als zu dessen Beginn);<br />
sie ist daher heute nicht mehr aktuell. Sie hat aber<br />
dazu geführt, daß viele anglophone Vegetationskundler<br />
allein die klimatische Klimax als wirkliche<br />
„Vegetation“ und alles übrige nur als unwichtige Sukzessionsstadien<br />
ansahen; in Nordamerika ist diese Einstellung<br />
noch heute weit verbreitet.<br />
Durch die offensichtliche Unstimmigkeit <strong>der</strong><br />
Monoklimaxtheorie wurde auch <strong>der</strong> Klimaxhegriff<br />
selbst zeitweise in Mißkredit gebracht,<br />
und manche Autoren versuchten ihn ganz zu<br />
eliminieren. Das ist jedoch unnötig und wird<br />
jetzt auch nicht mehr befürwortet. Die klimatische<br />
Klimax wird heute ganz ohne hypothetisches<br />
Beiwerk als <strong>der</strong> Vegetationstyp definiert,<br />
<strong>der</strong> essentiell durch das Großklima bestimmt<br />
wird, ohne edaphisch o<strong>der</strong> durch Sukzession<br />
bedingte Modifikationen. Sie ist damit ein Maß<br />
für die aus den vorhandenen pflanzlichen Bausteinen<br />
und den Klimabedingungen resultierende<br />
ökologische Potenz des jeweiligen Wuchsraumes.<br />
Eine noch stärkere begriffliche Abstraktion<br />
liegt bei <strong>der</strong> therm ischen Klimax vor, die<br />
den Klimaxtyp bezeichnet, <strong>der</strong> allein dem Wärmeklima<br />
entspricht bei theoretischer Ausschaltung<br />
von Beeinträchtigungen durch klimatischen<br />
Wassermangel (vgl. S. 108). Die durch<br />
nicht-klimatische Einflüsse definierten Bezeichnungen<br />
biotische Klim ax und Feuerklim ax<br />
wurden schon besprochen.<br />
Daß <strong>der</strong> Klimaxbegriff heute meist in einem<br />
solchen allgemeinen, regional-globalen Sinne<br />
verwendet wird, ist sicher eine Nachwirkung <strong>der</strong><br />
Monoklimaxtheörie. Will man sich auf das End-
66 Vegetation<br />
Stadium konkreter lokaler Sukzessionen beziehen,<br />
so spricht man meist eher von Schlußgesellschaft<br />
o<strong>der</strong> allenfalls Klimaxgesellschaft. Das<br />
einfache Wort „Klimax“ ist dagegen meist eine<br />
Abkürzung für klimatische Klimax, beson<strong>der</strong>s<br />
in häufig benutzten biogeographischen Termini<br />
wie Klimaxdomäne, vgl. im Folgenden.<br />
Verbreitung von Vegetationseinheiten<br />
(Synchoroiogie)<br />
Ähnlich wie die geographische Verteilung <strong>der</strong><br />
Einzelsippen kann man auch die von Vegetationseinheiten<br />
sowohl im Hinblick auf das Areal<br />
<strong>der</strong> einzelnen Einheit als auch auf das Inventar<br />
eines Gebietes hin analysieren. Die Ermittlung<br />
und Darstellung von Vegetationstyp-Arealen<br />
folgt den gleichen Prinzipien wie bei Sippen<br />
(auch eine systematische Kartierung von<br />
Pflanzengesellschaften ähnlich <strong>der</strong> floristischen<br />
ist in manchen Teilen Mitteleuropas schon im<br />
Gange). Den Gebietsfloren entsprechen vegetationskundliche<br />
Monographien, die sämtliche<br />
im Gebiet vorkommenden Vegetationseinheiten<br />
auflisten und beschreiben.<br />
Für die Abgrenzung natürlicher Vegetationsgebiete,<br />
analog den natürlichen Florengebieten<br />
und mit diesen z. T. ineinan<strong>der</strong>fließend (vgl.<br />
S. 89), werden als Kriterien die eben besprochenen<br />
Klimaxphasen herangezogen. Den höchsten<br />
Rang nimmt dabei die thermische Klimax ein,<br />
mit <strong>der</strong>en Hilfe sich (in Verbindung mit <strong>der</strong> Lage<br />
auf <strong>der</strong> Erde und daher nicht rein vegetationskundlich<br />
bestimmt) die thermischen Vegetationszonen<br />
definieren lassen. Innerhalb je<strong>der</strong><br />
dieser Zonen kann die klimatische Klimax je<br />
nach den hygrischen Verhältnissen unterschiedlich<br />
sein; alle Gebiete mit <strong>der</strong>selben klimatischen<br />
Klimax bilden eine Klimaxdomäne o<strong>der</strong> Vegetationsdomäne<br />
(diese umfaßt in einigen Fällen<br />
Abschnitte mehrerer Zonen).
E Einfluß des Menschen auf Flora und Vegetation<br />
Daß <strong>der</strong> Mensch die Pflanzenwelt <strong>der</strong> Erde stark<br />
beeinflußt, weiß heute je<strong>der</strong>. In <strong>der</strong> Allgemeinheit<br />
beschränkt sich dieses Wissen allerdings<br />
weitgehend auf kleine Teilaspekte, und zwar in<br />
erster Linie auf die nachteiligen Wirkungen <strong>der</strong><br />
Milieuverunreinigung. Solche Verunreinigungen<br />
sind nichts Neues: so gibt es schon seit einigenjahrhun<strong>der</strong>ten<br />
Nachrichten über „Rauchschäden“<br />
in Wäl<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> Nähe von Hüttenwerken<br />
u. ä. Anlagen, und auch die Verschmutzung<br />
von Gewässern (vgl. S. 385) hat schon im<br />
vorigen Jahrhun<strong>der</strong>t die Proteste von Fischern<br />
hervorgerufen. Im heutigen großräumigen, über<br />
lokale Störungen hinausgehenden Ausmaße<br />
sind sie aber eine sehr junge Erscheinung, die<br />
erst infolge <strong>der</strong> Uberindustrialisierung in den<br />
letzten Jahrzehnten gravierend geworden ist;<br />
ihre Auswirkung auf Flora und Vegetation <strong>der</strong><br />
Erde ist daher noch gering.<br />
Um so größer sind die Folgen <strong>der</strong>jenigen<br />
menschlichen Aktivitäten, die man als mechanische<br />
EingrifFe im weitesten Sinne zusammenfassen<br />
kann. Diese sind bereits seit vielen Jahrhun<strong>der</strong>ten,<br />
teils seit Jahrtausenden im Gange<br />
und haben dazu geführt, daß heute <strong>der</strong> größte<br />
Teil <strong>der</strong> Vegetationsdecke <strong>der</strong> Erde nicht mehr<br />
natürlich ist und daß auch <strong>der</strong> Florenbestand<br />
vieler Gebiete und die Areale vieler Sippen stark<br />
anthropogen verän<strong>der</strong>t sind. Beide Aspekte, die<br />
Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Flora und die <strong>der</strong> Vegetation,<br />
werden im Folgenden näher analysiert, dies<br />
auch unter dem Gesichtspunkt <strong>der</strong> Korrektur<br />
einiger nicht nur unter Laien verbreiteter Fehleinschätzungen<br />
und Vorurteile.<br />
Die Hauptwirkung <strong>der</strong> mechanischen Eingriffe<br />
besteht in <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> natürlichen<br />
Standortsbedingungen. Von den drei Faktorengmppen,<br />
den klimatischen, edaphischen und<br />
biotischen, sind die Idimatischen hier unbedeutend:<br />
auf das Großldima hat <strong>der</strong> Mensch, zumindest<br />
bisher, keinen wesentlichen Einfluß.<br />
Lediglich mesoklimatische, lokale Abän<strong>der</strong>ungen sind<br />
erkennbar: so ist das Lokalklima z. B. im Zentrum<br />
von Großstädten meist etwas wärmer und trockener<br />
als im Umland, was mancherorts auch eine Zunahme<br />
von Sippen mit entsprechenden Ansprüchen bewirkt<br />
hat.<br />
Die nach häufiger Annahme bereits erfolgten anthropogenen<br />
Än<strong>der</strong>ungen des Großklimas sind hingegen<br />
nicht beweisbar; ihre angeblichen Auswirkungen<br />
lassen sich meist leicht durch an<strong>der</strong>e Ursachen<br />
erklären. So ist z. B. das bekannte Vordringen <strong>der</strong><br />
Wüste in <strong>der</strong> Sahelzone zwar anthropogen bedingt,<br />
aber nicht über eine Beeinflussung des Klimas (vgl.<br />
S. 71).<br />
Mit großer Skepsis sind übrigens auch die Prophezeiungen<br />
über zukünftige anthropogene Klimaän<strong>der</strong>ungen<br />
zu betrachten. Zumindest <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Tagespresse<br />
schon fast als Selbstverständlichkeit gehandelte<br />
Begriff <strong>der</strong> „Klimakatastrophe“ hält einer seriösen<br />
Überprüfung nicht stand. Selbst wenn <strong>der</strong> vorausgesagte<br />
Temperaturanstieg wirklich in <strong>der</strong> vermuteten<br />
Höhe eintreten sollte, ist keineswegs vorherzusehen,<br />
ob seine Folgen negativ o<strong>der</strong> positiv sein werden: es<br />
ist z. B. auch eine Wie<strong>der</strong>annäherung an die im frühen<br />
Tertiär herrschenden weltweit optimalen Klimabedingungen<br />
(vgl. S. 137, 141) denkbar.<br />
Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> edaphischen Bedingungen<br />
sind demgegenüber sehr verbreitet. Hierzu gehören<br />
Bodenverletzungen durch Ackerbau, Torfstich,<br />
Steinbrüche und sonstige A b b au <br />
maßnahmen, durch starke Nutzung bedingte<br />
Bodenverdichtung, Erosion und Sedimentation,<br />
Verän<strong>der</strong>ungen des Grundwasserstandes, aber<br />
auch Beeinflussung des Bodenchemismus durch<br />
Exploitation, Düngung o<strong>der</strong> Anreicherung von<br />
Giftstoffen. Alle diese Einflüsse können die Vegetation<br />
und damit auch die Populationsdichte<br />
vieler Sippen stark verän<strong>der</strong>n; da sie aber meist<br />
lokal begrenzt sind, ist ihre Wirkung im großräumigen<br />
Maßstab vergleichsweise gering (außerdem<br />
sind sie häufig nur Folgeerscheinungen<br />
biotischer Än<strong>der</strong>ungen).<br />
Den stärksten Einfluß haben die anthropogenen<br />
Eingriffe in die biotische Umwelt. Vor<br />
allem handelt es sich dabei um den Zugriff auf<br />
die Pflanzenwelt selbst durch differenzierte Nutzung,<br />
För<strong>der</strong>ung, Änbau, Bekämpfung o<strong>der</strong> Beseitigung;<br />
aber auch die positive o<strong>der</strong> negative<br />
Einwirkung auf für die Pflanzen nützliche o<strong>der</strong><br />
schädliche Tiere (zuweilen auch an<strong>der</strong>e Organismen)<br />
kann von Bedeutung sein. Diese Aktivitäten<br />
haben zu großräumiger Modifizierung<br />
und Zerstörung <strong>der</strong> natürlichen Vegetation geführt,<br />
und in <strong>der</strong>en Gefolge kam es dann auch<br />
zu zahlreichen und z. T. sehr umfangreichen Än<strong>der</strong>ungen<br />
von Arealen und Floren.<br />
Zuweilen wurde diskutiert, ob <strong>der</strong> Mensch<br />
selbst zu den biotischen Standortsfaktoren zu<br />
rechnen sei. Diese Frage läßt sich nur differenziert<br />
beantworten. Solange er nur Pflanzen-
68 Einfluß des Menschen auf Flora und Vegetation<br />
material zu seiner Ernährung entnimmt o<strong>der</strong><br />
Diasporen an seinem Körper transportiert, handelt<br />
er nicht an<strong>der</strong>s als an<strong>der</strong>e tierische Lebewesen.<br />
Sowie er aber die Natur mit Hilfe vorgeplanter<br />
Handlungen verän<strong>der</strong>t (z. B. Waldrodung<br />
zum Zwecke des Ackerbaues, Beweidung<br />
von Wäl<strong>der</strong>n mit Herden gezähmter Haustiere,<br />
Transport von Diasporen mit Schiffen über<br />
Ozeane hinweg), hat sein Einfluß eine neue Dimension,<br />
und er ist als ein Agens sui generis<br />
außerhalb <strong>der</strong> natürlichen Standortsfaktoren<br />
anzusehen (vgl. S. 6 ).<br />
1 Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Vegetation<br />
In den meisten heute dichter besiedelten Teilen<br />
<strong>der</strong> Erde ist die natürliche Klimaxformation<br />
Wald. Da dieser zugleich <strong>der</strong> höchstdifferen-zierte<br />
Vegetationstyp ist, gehen wir bei <strong>der</strong> Darstellung<br />
<strong>der</strong> anthropogenen Verän<strong>der</strong>ungen zunächst<br />
vom Walde aus.<br />
Die Beeinflussung des Waldes geschieht auf<br />
zweierlei Weise. Durch Rodung wird er direkt<br />
beseitigt und durch Kulturpflanzen-Bestände,<br />
daneben auch durch Siedlungen, Wege u. ä. ±<br />
vegetationslose Flächen ersetzt. Nicht gerodete<br />
Waldbestände werden durch Waldnutzung verän<strong>der</strong>t.<br />
Historisch und weltweit gesehen handelt<br />
es sich dabei um vielseitige Nutzungen:<br />
neben dem H olzhau spielt vor allem die<br />
Beweidung durch Vieh eine große Rolle, daneben<br />
auch die Entnahme von Viehfutter, von<br />
Bodensubstanz u. a.; hinzu kommen an<strong>der</strong>e<br />
schädliche Einwirkungen, wie fahrlässig o<strong>der</strong><br />
absichtlich verursachte Brände. Neben <strong>der</strong> direkten<br />
Schädigung behin<strong>der</strong>n alle diese Einflüsse<br />
vor allem die Verjüngung. Dauern sie längere<br />
Zeit an, so führen sie zur Verschlechterung des<br />
Waldzustandes und schließlich zur W aldverwüstung,<br />
die gewöhnlich in folgen<strong>der</strong> Form<br />
als absteigende Sukzession vor sich geht:<br />
Schattholzwald (Klimax)<br />
Lichtholzwald (Subklimax)<br />
nL<br />
Offenwald,Gebüsch<br />
Nichtphanerophyten-Vegetation<br />
nL<br />
Vegetationsloser Mineralboden.<br />
Wie weit diese Sukzession im Einzelfall fortschreitet,<br />
hängt einerseits von Art, Intensität und<br />
Dauer <strong>der</strong> Nutzungen ab, an<strong>der</strong>erseits von <strong>der</strong><br />
standortsbedingten Stabilität des Ökosystems.<br />
Das Zusammenwirken bei<strong>der</strong> Eingriffsformen,<br />
Rodung und Waldnutzung, hat dazu geführt,<br />
daß in vielen Erdgegenden, die von Natur<br />
aus bewaldet sind, <strong>der</strong> Wald heute nur noch<br />
einen kleineren Teil <strong>der</strong> Gesamtfläche bedeckt.<br />
Das bedeutet zugleich eine starke Diversifiziemng<br />
(und damit Bereicherung) <strong>der</strong> Vegetationsdecke.<br />
Vor Beginn wirksamer menschlicher<br />
Eingriffe, in <strong>der</strong> Naturlandschaft, gab es (abgesehen<br />
von Extrem- und Son<strong>der</strong>standorten) nur<br />
die Klimax-Waldgesellschaft und Stadien ihrer<br />
Verjüngungssukzession. Nachher, in <strong>der</strong> Kulturlandschaft,<br />
finden sich dann nebeneinan<strong>der</strong><br />
• die Klimaxgesellschaft (räumlich und qualitativ<br />
eingeschränkt)<br />
• Sukzessionsstadien (vermehrt und ausgeweitet)<br />
• neue, anthropogene Vegetationstypen<br />
• vegetationsfreie Flächen (= anthropogene<br />
Wüsten).<br />
Es existieren also im gleichen Wuchsraum Flächen<br />
mit Vegetation von sehr unterschiedlicher<br />
„Naturnähe“ Seite an Seite; dabei zeigen auch<br />
die als anthropogen zusammengefaßten Vegetationstypen<br />
(Ersatzgesellschaften) untereinan<strong>der</strong><br />
noch große Unterschiede bezüglich ihrer Verwandtschaft<br />
mit <strong>der</strong> Klimaxvegetation. Es hat<br />
daher nicht an Versuchen gefehlt, den Grad <strong>der</strong><br />
Natürlichkeit <strong>der</strong> Vegetation (bzw. allgemein des<br />
Standortes) zu klassifizieren. Die bekannteste<br />
<strong>der</strong>artige Klassifikation arbeitet mit dem Begriff<br />
<strong>der</strong> Hemerobie, worunter die integrierte Wirkung<br />
aller direkten und indirekten menschlichen<br />
Einflüsse verstanden wird. Gewöhnlich unterscheidet<br />
man 6 H em erobiegrade (Tab. 16).<br />
Dieses System wurde in Europa entwickelt und<br />
bisher auch nur hier benutzt; es läßt sich aber<br />
problemlos auch weltweit anwenden.<br />
Während oligohemerobe Standorte nur leichte<br />
quantitative Verän<strong>der</strong>ungen im Rahmen <strong>der</strong><br />
Klimaxvegetation zeigen, liegen bei den höheren<br />
Hemerobiegraden meist Vegetationstypen<br />
vor, die ganz an<strong>der</strong>en Formationen angehören.<br />
Die stark verän<strong>der</strong>ten Standortsbedingungen<br />
(z. B. fehlende Beschattung) im meso- und euhemeroben<br />
Bereich führen zu einer Auslese im<br />
Pflanzenbestand <strong>der</strong> natürlichen Vegetation:<br />
empfindlichere Sippen, die Hemerophoben,
Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Vegetation 69<br />
Tab. 16: System <strong>der</strong> Hemerobiegrade.<br />
Erläutert nach mitteleuropäischen Kriterien. - Nach J alas 1955 und Sukopp etc. 1976.<br />
Hemerobiegrad Menschlicher Einfluß Pflanzendecke<br />
0 Ahemerob fehlend natürlich<br />
I Oligohemerob schwach, episodisch nur quantitativ verän<strong>der</strong>t<br />
(z. B. erhöhter Anteil von<br />
Nichtklimaxstadien <strong>der</strong><br />
natürliche zyklischen<br />
Sukzession)<br />
Natürliche<br />
Vegetation<br />
2 Mesohemerob stärker,<br />
- entwe<strong>der</strong>:<br />
regelmäßig, indirekt<br />
- o<strong>der</strong>:<br />
episodisch, direkt<br />
3 Euhemerob stark, regelmäßig, direkt<br />
- Aussaat, Düngung, Ernte<br />
- mehrfache Mahd,<br />
Düngung<br />
- intensive Beweidung<br />
„Halbkuhurgesellschaften“<br />
- z. B. Magerrasen<br />
(Wiesen, Weiden),<br />
Heiden<br />
- z. B. Nadelholzforsten<br />
im natürlichen<br />
Laubholzgebiet<br />
„Vollkulturgesellschaften"<br />
- Äcker<br />
- rationell genutzte Wiesen<br />
- rationell genutzte Weiden<br />
Anthropogene<br />
Vegetation<br />
4 Polyhemerob sehr stark und permanent<br />
- Ru<strong>der</strong>alisierung<br />
- überhöhte Düngung,<br />
Herbizidanwendung<br />
5 Metahemerob total und letal<br />
(Boden versiegelt/vergiftet)<br />
- Ru<strong>der</strong>algesellschaften<br />
- Kulturpflanzen-Reinbestände<br />
fehlend<br />
Anthropogene<br />
Wüste<br />
verschwinden, und nur robustere mit weiterer<br />
Standortsamplitude, die Hemerophilen, bleiben<br />
erhalten. Solche Hemerophilen, die auch<br />
auf anthropogenen, von ihrem natürlichen Habitat<br />
stark abweichenden Standorten noch wachsen<br />
können und dort u. U. sogar geför<strong>der</strong>t werden,<br />
heißen auch Apophyten. Neben den Apophyten<br />
enthält die anthropogene Vegetation, vor<br />
allem unter euhemeroben Bedingungen, meist<br />
einen ± großen Anteil an Arten von Extremstandorten<br />
sowie an Anthropochoren, d. h. Sippen,<br />
die aus an<strong>der</strong>en Florengebieten zugewan<strong>der</strong>t<br />
sind (vgl. S. 74). Im polyhemeroben Bereich,<br />
wo infolge <strong>der</strong> extremen Bedingungen die<br />
Gesamtartenzahl stark vermin<strong>der</strong>t ist, ist <strong>der</strong> Anteil<br />
<strong>der</strong> beiden letztgenannten Gmppen prozentual<br />
(nicht absolut) beson<strong>der</strong>s hoch, während<br />
Apophyten kaum noch auftreten.<br />
Die Formationen, zu denen die anthropogenen<br />
Ersatzgesellschaften gehören, sind meist<br />
solche, die unter an<strong>der</strong>en, extremeren Bedingungen<br />
auch in <strong>der</strong> Natur Vorkommen. Dabei haben<br />
vor allem mesohemerobe Bestände oft große<br />
Ähnlichkeit mit solchen <strong>der</strong> natürlichen Formation,<br />
was in <strong>der</strong> Vergangenheit dazu geführt<br />
hat, daß manche anthropogenen Vegetationstypen<br />
lange Zeit nicht als solche erkannt, son<strong>der</strong>n<br />
für natürlich gehalten wurden (auch heute<br />
gibt es in dieser Hinsicht noch ungeklärte Fälle).<br />
Mit zunehmendem Hemerobiegrad werden<br />
die Übereinstimmungen geringer, so daß euhemerobe<br />
Bestände oft nur noch formal und<br />
polyhemerobe z. T. gar nicht mehr zugeordnet<br />
werden können.<br />
Abweichungen vom Naturzustand gibt es aber auch<br />
schon bei den Resten des Klimaxwaldes, die in <strong>der</strong>
70 Einfluß des Menschen auf Flora und Vegetation<br />
Kulturlandschaft noch vorhanden sind. Auch wenn<br />
solche Wäl<strong>der</strong> nur <strong>der</strong> Holznutzung dienen und nach<br />
dem Prinzip <strong>der</strong> Nachhaltigkeit bewirtschaftet werden<br />
(was weltweit gesehen nur sehr kleinflächig <strong>der</strong> Fall<br />
ist), werden sie meist in <strong>der</strong> Baumschicht modifiziert,<br />
indem bestimmte, wirtschaftlich erwünschte Baumarten<br />
in ihrem Anteil an <strong>der</strong> Bestockung erhöht o<strong>der</strong><br />
auch aus an<strong>der</strong>en Beständen, Wuchsräumen o<strong>der</strong> Florengebieten<br />
neu eingebracht werden. Wäl<strong>der</strong>, die dadurch<br />
in <strong>der</strong> Zusammensetzung ihrer Baumschicht<br />
essentiell verän<strong>der</strong>t sind, bezeichnet man als Forsten;<br />
sie entsprechen meist, vor allem wenn zusätzlich eine<br />
Än<strong>der</strong>ung des Formationstyps erfolgt ist (z. B. durch<br />
Einbringung von Nadelhölzern in Laubwäl<strong>der</strong>), dem<br />
Hemerobiegrad 2. Forsten, die überwiegend aus am<br />
Wuchsorte nicht einheimischen Baumarten bestehen,<br />
werden oft nicht als „Vegetation“ akzeptiert, son<strong>der</strong>n<br />
als etwas grundsätzlich Verschiedenes („Holzplantagen“)<br />
deklariert. Das ist insofern unlogisch, als die<br />
Pflanzenbestände auf den insgesamt viel naturferneren<br />
Äckern durchaus als Vegetationstypen klassifiziert<br />
werden. Ursache dieser Ungleichbehandlung ist wohl,<br />
daß z. B. die in Mitteleuropa häufigen künstlichen<br />
Fichten-Reinbestände wegen zu kurzer Umtriebszeiten<br />
nur selten das Alter einer „ausgereiften“ Waldgesellschaft<br />
erreichen, son<strong>der</strong>n oft schon eingeschlagen werden,<br />
wenn das Bestandesinnere noch so dunkel ist,<br />
daß kaum ein Unterwuchs aufkommen kann. Läßt<br />
man sie alt genug - und damit lichtreicher - werden,<br />
so entwickeln sie eine charakteristische Krautschicht,<br />
die sich von <strong>der</strong> natürlicher Fichtenwäl<strong>der</strong> kaum unterscheidet.<br />
ln den Tropen kann die Bezeichnung<br />
Holzplantage allerdings angemessen sein, wenn<br />
schnellwüchsige Baumarten (z. B. Eucalyptus) mit Umtriebszeiten<br />
von 10 Jahren und weniger bewirtschaftet<br />
werden.<br />
Die Formation des Graslandes i. w. S. ist in <strong>der</strong><br />
anthropogenen Vegetation durch Savannen (in den<br />
Tropen) sowie Heiden, Weiden und Wiesen (in den<br />
gemäßigten Zonen) vertreten. Zumindest die mesohemeroben<br />
unter ihnen können als anthropogene<br />
Spontanvegetation gelten: sie sind infolge <strong>der</strong> Beseitigung<br />
<strong>der</strong> Baumschicht (durch Holzhau, Beweidung,<br />
Brand) von selbst entstanden, und sie werden durch<br />
regelmäßige, aber relativ extensive Nutzung (Beweidung<br />
und z. T. gezielt angelegte Brände; Mahd nur in<br />
Gebieten mit ungünstiger Jahreszeit) erhalten. Als<br />
Spontanvegetation zeigen sie oft eine große biologische<br />
Vielfalt, die heute häufig durch Intensivierungsmaßnahmen<br />
gefährdet ist: entwe<strong>der</strong> werden sie in eubis<br />
polyhemerobe Intensivkulturen umgewandelt, o<strong>der</strong><br />
die Nutzung wird ganz aufgegeben, so daß eine Wie<strong>der</strong>bewaldung<br />
eintritt. Die Erhaltung solcher Halbkulturgesellschaften,<br />
sowohl aus Gründen des Artenschutzes<br />
als auch <strong>der</strong> Landschaftsdiversität, ist heute<br />
eine wichtige, aber oft schwer zu lösende Aufgabe für<br />
den Naturschutz.<br />
ln <strong>der</strong> anthropogenen Vegetation gibt es schließlich<br />
auch Vegetationstypen, die <strong>der</strong> Formation <strong>der</strong><br />
Halbwüsten ähneln. Hierher gehören vor allem die<br />
traditionell bewirtschafteten, euhemeroben Getreidefel<strong>der</strong><br />
<strong>der</strong> gemäßigten Zonen. Die hier angebauten<br />
Kulturpflanzen entstammen einer speziellen Ausbildung<br />
<strong>der</strong> Halbwüste, den in Vor<strong>der</strong>- und Mittelasien<br />
verbreiteten Löß-Halbwüsten (vgl. S. 295). ln die künstlich<br />
angesäten Bestände dieser einjährigen Kulturgräser<br />
haben sieb als Unkräuter viele an<strong>der</strong>e Annuelle<br />
eingeglie<strong>der</strong>t, die zu einem erheblichen Teil aus demselben<br />
natürlichen Vegetationstyp stammen. Auch hier<br />
besteht heute eine starke Gefährdung durch die Intensiviemng<br />
<strong>der</strong> Landwirtschaft. Floristische Verwandtschaft<br />
mit Halbwüsten-Vegetation zeigen übrigens<br />
auch polyhemerobe Ru<strong>der</strong>albestände, die aber im<br />
Bereich von Waldklimaten sehr viel dichter sind als<br />
in einer echten, natürlichen Halbwüste.<br />
H ört irgendwo in <strong>der</strong> Kulturlandschaft <strong>der</strong><br />
menschliche Einfluß auf, so beginnt sofort die<br />
Rückentwicklung (aufsteigende Sukzession) in<br />
Richtung auf die natürliche Klimaxgesellschaft.<br />
Diese entspricht, zumindest auf Formationsrang,<br />
normalerweise <strong>der</strong> vor dem Eingreifen des Menschen<br />
vorhanden gewesenen ursprünglichen<br />
Vegetation. Doch ist sie damit im Detail oft<br />
nicht ganz identisch, und zwar dann, wenn die<br />
menschliche Tätigkeit irreversible Verändemngen<br />
<strong>der</strong> natürlichen Umweltbedingungen hervorgerufen<br />
hat. Diese können z. B. bestehen in<br />
• Bodenerosion, -abtrag o<strong>der</strong> -aufschüttung<br />
• Än<strong>der</strong>ung des Grundwasserspiegels<br />
• Verschwinden o<strong>der</strong> Neuauftreten von Pflanzensippen.<br />
Man nennt daher den Vegetationstyp, <strong>der</strong> sich<br />
an einem gegebenen Ort als Endstadium <strong>der</strong><br />
Sukzession voraussichtlich entwickeln würde,<br />
wenn alle menschlichen Tätigkeiten vollständig<br />
und endgültig aufhörten, die potentielle natürliche<br />
Vegetation (Tüxen 1956). Die potentielle<br />
natürliche Vegetation kann als Maß für die aktuelle<br />
Kapazität des Wuchsortes angesehen werden;<br />
da eine reale natürliche Vegetation vielerorts<br />
nicht mehr existiert, ist sie das eigentliche<br />
Kartierungsobjekt auf Karten, die die natürliche<br />
Vegetation darstellen sollen.<br />
Bisher wurden die anthropogenen Einflüsse<br />
vor allem im Hinblick auf natürliche Waldgebiete<br />
diskutiert. Es bleibt noch zu überlegen,<br />
wie sie sich auf natürliche Nichtwald-Vegetation<br />
auswirken. Gmnd für natürliche, klimatisch<br />
bedingte Waldfreiheit ist eine zu geringe Nettoproduktion<br />
infolge Wärme- o<strong>der</strong> Wasserman-
Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Pflanzenverbreitung 71<br />
gels. Es ist leicht einzusehen, daß unter solchen<br />
Bedingungen eine menschliche Nutzung, die ja<br />
mit <strong>der</strong> Entnahme von Biomasse verbunden ist,<br />
nur bei größter Vorsicht unschädlich sein kann.<br />
Jede Übernutzung bringt die Gefahr einer<br />
Degradation in Richtung Wüste mit sich. Ein<br />
bekanntes Beispiel hierfür ist die Sahelzone. Hier<br />
ist die Wüste seit langem in Ausbreitung begriffen,<br />
weil permanent mehr Biomasse entnommen<br />
wird als unter den herrschenden Klimabedingungen<br />
nachwachsen kann.<br />
durch direkte Mithilfe bei <strong>der</strong> Ausbreitung<br />
(Abb. 31).<br />
Während <strong>der</strong> zweite Faktor naturgemäß nur<br />
positiv wirkt (s. unter 2 b), ist <strong>der</strong> erste ambivalent;<br />
dieselbe Än<strong>der</strong>ung kann für manche Sippen<br />
nachteilig, für an<strong>der</strong>e günstig sein. Der zunächst<br />
nur die lokale Populationsdichte beeinflussende<br />
Unterschied zwischen hemerophobem<br />
und hemerophilem Verhalten (vgl. S. 6 8 )<br />
kann schließlich auch zu entsprechen<strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung<br />
<strong>der</strong> Arealgestalt führen.<br />
2 Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong><br />
Pflanzenverbreitung<br />
a<br />
Verkleinerung von Arealen,<br />
Gefährdung<br />
Auf die Pflanzenverbreitung kann sich <strong>der</strong><br />
menschliche Einfluß gleichermaßen negativ<br />
o<strong>der</strong> positiv auswirken, d. h. es sind sowohl Verkleinerungen<br />
- bis hin zum Aussterben - als<br />
auch Ausweitungen von Arealen bekannt. Die<br />
Einwirkung erfolgt auf zwei unterschiedlichen<br />
Wegen: einerseits synökologisch durch die besprochene<br />
Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Standortsbedingungen,<br />
an<strong>der</strong>erseits verbreitungsökologisch<br />
Der anthropogene Rückgang einer Pflanzensippe<br />
vollzieht sich in mehreren Schritten<br />
(Abb. 31). Erste Folge negativer Einwirkungen<br />
ist eine Abnahme <strong>der</strong> Populationsdichte. Nimmt<br />
diese Verdünnung stärkere Ausmaße an, so kann<br />
es in den Randbereichen des Areals, wo die<br />
Dichte meist ohnehin geringer ist, zum völligen<br />
Verschwinden kommen, d. h. zu einem Zurückweichen<br />
<strong>der</strong> Arealgrenze; zugleich können<br />
Einfluss des Menschen auf die Pflanzenverbreitung<br />
/<br />
\<br />
Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Standortbedingungen Mithilfe bei <strong>der</strong><br />
Ausbreitung<br />
/<br />
negativ<br />
/<br />
Arealverdünnung<br />
i<br />
Arealverkleinerung<br />
i<br />
Gefährdung<br />
i<br />
Aussterben<br />
\<br />
positiv<br />
\<br />
Arealverdichtung<br />
(Standorts-)<br />
Arealausweitung, =<br />
Anthropochohe<br />
(Transport-)<br />
Verarmung <strong>der</strong> Flora<br />
Bereicherung <strong>der</strong> Flora<br />
Abb. 31: Die Wirkung <strong>der</strong> menschlichen Tätigkeit auf die Verbreitung von Pflanzensippen ist ambivalent.
72 Einfluß des Menschen auf Flora und Vegetation<br />
M<br />
im Inneren so große Lücken entstehen, daß <strong>der</strong><br />
Genaustausch eingeschränkt wird (innere Disjunktion).<br />
Weitere Fortsetzung des Rückganges<br />
fuhrt zur Zerschlagung des Areals in disjunkte<br />
Reliktvorkommen, womit eine akute Gefährdung<br />
gegeben ist; <strong>der</strong> letzte Schritt bis zum<br />
Aussterben ist dann nicht mehr weit.<br />
Bei <strong>der</strong> großen Mehrzahl <strong>der</strong> Pflanzenarten<br />
ist diese Entwicklung bisher höchstens bis zur<br />
2. Stufe gegangen: also eine Vermindemng <strong>der</strong><br />
Siedlungsdichte im Innern und eine gewisse<br />
Schrumpfung des Areals an den Rän<strong>der</strong>n. Diese<br />
marginale Schrumpfung ist zwar im Vergleich<br />
zum Gesamtareal meist unbedeutend, sie kann<br />
aber im regionalen Bereich doch recht auffällig<br />
sein und, wenn sie in einem Florengebiet bei<br />
vielen Sippen zugleich stattfmdet, zu einer erheblichen<br />
Verarmung <strong>der</strong> Flora führen. Eine<br />
solche tatsächliche o<strong>der</strong> zu befürchtende Verarmung<br />
wird heute für viele Teile <strong>der</strong> Erde durch<br />
die sog. Roten Listen dokumentiert.<br />
Solche Listen liegen vor allem aus floristisch gut erforschten<br />
Gebieten Europas und Nordamerikas, aber<br />
auch aus manchen Teilen <strong>der</strong> Südhalbkugel vor. Sie<br />
führen alle Arten auf, für die ein Rückgang gegenüber<br />
früher nachgewiesen (durch Vergleich früherer Fundortsangaben<br />
aus Literatur und Herbarien mit dem<br />
heutigen Vorkommen) o<strong>der</strong> für die Zukunft wahrscheinlich<br />
ist (z. B. weil die Sippe beson<strong>der</strong>s gefährdete<br />
Standortstypen besiedelt o<strong>der</strong> schon von Natur<br />
aus beson<strong>der</strong>s selten ist). Gewöhnlich wird <strong>der</strong> Grad<br />
<strong>der</strong> Gefährdung in einer meist Sstufigen Skala angegeben<br />
(Tab. 17). Die Definition <strong>der</strong> Skalenstufen wird<br />
allerdings regional etwas unterschiedlich gehandhabt,<br />
beson<strong>der</strong>s bei dem untersten (potentiellen) Gefahrdungsgrad,<br />
<strong>der</strong> je nach den subjektiven Meinungen<br />
<strong>der</strong> Bearbeiter sehr eng o<strong>der</strong> sehr weit gefaßt sein kann.<br />
Infolgedessen ist ein direkter Vergleich von Roten<br />
Listen verschiedener Gebiete oft problematisch; vor<br />
allem gilt das für die Angaben über den Prozentsatz<br />
<strong>der</strong> Gefährdung <strong>der</strong> Gesamtflora, wenn dieser aus <strong>der</strong><br />
Zahl aller in <strong>der</strong> Liste genannten Arten berechnet wird.<br />
Für den <strong>der</strong>zeitigen Rückgang <strong>der</strong> Artenvielfalt<br />
in vielen Florengebieten können zwei Hauptursachen<br />
verantwortlich gemacht werden. In den<br />
dichtbesiedelten alten Kulturlän<strong>der</strong>n ist es die<br />
Intensivierung (bis hin zur Industrialisiemng)<br />
<strong>der</strong> Landwirtschaft, durch die viele hemerophile<br />
Sippen zurückgedrängt werden. In Gebieten, wo<br />
unbeeinflußte natürliche Vegetation (insbeson<strong>der</strong>e<br />
natürlicher Wald) bisher noch in größerem<br />
Ausmaße vorhanden war, führt <strong>der</strong>en rapide<br />
zunehmende Zerstörung vor allem zur Abnahme<br />
von Hemerophoben; hier kann es dann<br />
u. U. zur essentiellen Gefährdung mancher Sippen<br />
kommen.<br />
Insgesamt ist die akute Gefährdung einer<br />
Pflanzenart als solcher bisher aber noch eine<br />
relativ seltene Ausnahme. Zu betonen ist <strong>der</strong><br />
große Unterschied, <strong>der</strong> in dieser Hinsicht zwischen<br />
Pflanzen und Tieren besteht: bei vielen<br />
Tiergruppen (z. B. Säugetiere und Vögel) ist<br />
Tab. 17: Beispiele für Rote Listen für Gefäßpflanzen in Mitteleuropa.<br />
Anteile <strong>der</strong> Gefährdungsgrade in % <strong>der</strong> Gesamtflora. Nisa Nie<strong>der</strong>sachsen (Garve 1993), D Deutschland (D.A.<br />
1996), GH Schweiz (Landolt 1991). Definition <strong>der</strong> Gefährdungsgrade entsprechend Garve (in <strong>der</strong> Schweiz<br />
etwas abweichend).<br />
• -JA^<br />
' J.\<br />
Gefährdungsgrad Nisa D CH<br />
0 Ausgestorben o<strong>der</strong> Verschollen 5,5 1,6 2,9<br />
1 Vom Aussterben bedroht<br />
(nur noch in geringen, kaum überlebensfähigen<br />
Restpopulationen vorhanden)<br />
10,1 4,1<br />
2 Stark gefährdet<br />
(in starkem Rückgang begriffen, vielerorts schon 12,9 9,7<br />
verschwunden)<br />
\ 12,2<br />
3 Gefährdet<br />
(allgemein zurückgehend) 13,6 13,7 9,2<br />
0-3 zusammen: „Aktuell gefährdet“ 42,1 29,1 24,3<br />
4 Potentiell gefährdet<br />
(infolge genereller Seltenheit; aktuell aber nicht bedroht) 3,6 3,9 8,2<br />
Gesamt-Artenzahl im Florengebiet 1704 2747 2696
Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Pflanzenverbreitung 73<br />
heute ein großer Teil <strong>der</strong> Arten akut gefährdet.<br />
Der Grund für die unterschiedliche Gefährdung<br />
von Tieren und Pflanzen ist leicht einzusehen:<br />
die Gesamt-Individuenzahl einer Art ist bei Säugern<br />
und Vögeln im Durchschnitt um Zehnerpotenzen<br />
kleiner, das zum Überleben notwendige<br />
„Revier“ um Zehnerpotenzen größer als bei<br />
höheren Pflanzen. (Die benötigte Grundfläche<br />
pro Individuum liegt selbst bei einem 100 m<br />
hohen Mammutbaum in <strong>der</strong> Größenordnung<br />
von m’^, bei Großsäugern und Vögeln hingegen<br />
von ha, ja km^.) Theoretisch läßt sich leicht Vorhersagen,<br />
welcherart Pflanzensippen in beson<strong>der</strong>em<br />
Maße gefährdet sein dürften: es sind solche<br />
mit extrem kleinem Areal, und solche mit<br />
zwar größerem Areal, aber sehr geringer Arealausfüllung.<br />
Also einerseits konkurrenzschwache<br />
„Endemiten“, an<strong>der</strong>erseits ökologische Spezialisten<br />
mit sehr enger Standortsamplitude (beide<br />
Gmppen sind übrigens auch bei natürlichen<br />
Umweltverän<strong>der</strong>ungen stark gefährdet). Dementsprechend<br />
ist <strong>der</strong> Anteil gefährdeter Arten<br />
in endemitenreichen Gebieten beson<strong>der</strong>s hoch:<br />
für die Hawaii-Inseln werden 50 % angegeben<br />
(SuKOPP etc. 1976), für Südafrika 20 % (Hall etc.<br />
1984, D avis etc. 1986). Demgegenüber ist <strong>der</strong><br />
Prozentsatz in Mitteleuropa praktisch Null.<br />
Die letzte Aussage steht nur scheinbar im Wi<strong>der</strong>spruch<br />
zu den Angaben in den Roten Listen. Diese beziehen<br />
sich allein auf den Status <strong>der</strong> darin genannten Arten<br />
im jeweiligen Florengebiet. Bei vielen Laien haben sie<br />
jedoch zu Mißverständnissen geführt, indem die Gefährdungskategorien<br />
als absolut verstanden wurden;<br />
das gilt beson<strong>der</strong>s für den den Anschein <strong>der</strong> Endgültigkeit<br />
erweckenden Begriff des „Aussterbens“. Wenn<br />
in Nie<strong>der</strong>sachsen (Tab. 17) 10,1 % <strong>der</strong> Arten „vom<br />
Aussterben bedroht“ sind, dann drückt das die Befürchtung<br />
aus, daß diese Arten wohl aus <strong>der</strong> Flora<br />
Nie<strong>der</strong>sachsens verschwinden werden; vom tatsächlichen<br />
Aussterben als Art ist jedoch keine von ihnen<br />
bedroht. Sachlich wäre es wohl adäquater, statt von<br />
Aussterben von Verschwinden zu sprechen; die Beibehaltung<br />
des emotionsträchtigen Wortes Aussterben<br />
hat allein politische Gründe. Näheres zu <strong>der</strong> durch<br />
die Roten Listen dokumentierten Florenverarmung in<br />
Mitteleuropa vgl. S. 405.<br />
Wie viele Pflanzenarten weltweit tatsächlich<br />
existenzgefährdet sind, läßt sich schwer schätzen.<br />
Die Internationale Union für Naturschutz<br />
rechnet mit etwa 10 % <strong>der</strong> Gefäßpflanzen, d. h.<br />
ca. 25000 Arten (Sukopp etc. 1976). Nachweisbar<br />
sind solche Zahlen nicht: sie können in<br />
Wirklichkeit viel niedriger, aber auch erheblich<br />
höher sein. In <strong>der</strong> endemitenarmen und zugleich<br />
floristisch gut erforschten Holarktis kommen nur<br />
einige 100 deutlich vom Aussterben bedrohte<br />
Arten zusammen; in <strong>der</strong> südlichen gemäßigten<br />
Zone liegt die Zahl wahrscheinlich höher. Ganz<br />
unübersichtlich ist die Situation aber in den<br />
Tropen, denn viele tropische Gebiete sind<br />
taxonomisch noch sehr ungenügend erforscht.<br />
Man kennt hier noch nicht einmal die Arten<br />
richtig - umso weniger kann man Aussagen<br />
machen über ihre Areale o<strong>der</strong> eine eventuelle<br />
Gefährdung. Nur indirekt legt die Zerstörung<br />
immer größerer Teile <strong>der</strong> tropischen Wäl<strong>der</strong> die<br />
Befürchtung nahe, daß dadurch auch viele Arten<br />
verloren gehen dürften.<br />
Abschließend seien hier noch einige Beispiele<br />
von tatsächlich erfolgtem bzw. kurz bevorstehendem<br />
Aussterben besprochen.<br />
Santalum fernandezianum. Chilenischer Sandelholzbaum.<br />
Endemit <strong>der</strong> nur 185 km^ großen Juan-Fernändez-Inseln,<br />
spielte dort früher in <strong>der</strong> Waldvegetation<br />
eine wichtige Rolle. Wegen seines wertvollen Holzes<br />
wurde er im 17. und 18. Jahrhun<strong>der</strong>t vollständig<br />
exploitiert und gilt seit über 100 Jahren als ausgestorben.<br />
Abies nebrodensis, Sizilianische Tanne. Endemit <strong>der</strong><br />
Gebirgshochlagen in Nordsizilien westlich des Ätna.<br />
Durch die seit vielen Jahrhun<strong>der</strong>ten andauernde Waldverwüstung<br />
extrem dezimiert, so daß heute nur noch<br />
wenige Einzelexemplare vorhanden sind. Neuerdings<br />
forstliche Versuche zur Rettung, aber bisher wenig erfolgreich.<br />
Saxifraga oppositifolia ssp. amphibia, Bodensee-Steinbrech.<br />
Dieser morphologisch etwas abweichende Ökotyp<br />
<strong>der</strong> arktisch-alpin weit verbreiteten Art hat sich<br />
wohl im Umkreis <strong>der</strong> Eiszeit entwickelt. Früher an<br />
flachen, steinigen Ufern des Bodensees und einiger<br />
benachbarter Seen vorkommend, wurde er durch Eutrophierung<br />
und mechanische Beschädigung weitgehend<br />
vernichtet; heute nur noch 1 Fundort bekannt<br />
(eines <strong>der</strong> wenigen Beispiele für das wirkliche Aussterben<br />
einer Sippe in Mitteleuropa).<br />
Castanea dentata. Amerikanische Edelkastanie. Im<br />
Gegensatz zu den bisher genannten, typisch „endemitischen“<br />
Sippen handelt es sich hier um den seltenen<br />
Fall, daß eine Art mit weiter Verbreitung und teils<br />
dominieren<strong>der</strong> Stellung in <strong>der</strong> Vegetation so gut wie<br />
ausgerottet wurde. Castanea dentata war eine <strong>der</strong><br />
Hauptbaumarten auf ärmeren Böden in einem großen<br />
Teil <strong>der</strong> ost-nordamerikanischen Sommerwaldregion<br />
(vgl. S. 264). Mit Jungpflanzen <strong>der</strong> verwandten<br />
japanischen Art C. crenata, die um 1900 in den botanischen<br />
Garten New York gelangten, wurde <strong>der</strong> parasitische<br />
Pilz Endothia parasitica nach Amerika eingeschleppt,<br />
gegen den C. crenata zwar resistent ist, nicht<br />
aber C. dentata. Von New York ausgehend, breitete<br />
Endothia sich epidemisch aus, und schon gegen Ende
74 Einfluß des Menschen auf Flora und Vegetation<br />
><br />
<strong>der</strong> 40er Jahre waren auch die südlichsten Teile des<br />
Kastanienareals in Georgia befallen. Durch Verstopfung<br />
<strong>der</strong> Leitungsbahnen bringt <strong>der</strong> Pilz die Bäume<br />
zum Absterben; da Castanea sehr regenerationsfähig<br />
ist, entstanden anfangs häufig noch Stockausschläge,<br />
doch wurden diese bald erneut befallen, so daß von<br />
<strong>der</strong> Art heute nur noch geringe Reste <strong>der</strong> Population<br />
vorhanden sind und ihr Überleben zweifelhaft ist (vgl,<br />
W oods etc. 1959).<br />
b<br />
Vergrößerung von Arealen:<br />
Anthropochorie<br />
Insgesamt ist festzustellen, daß die Vergrößening<br />
von Arealen durch menschliche Tätigkeit his-A<br />
her zumindest räumlich viel bedeuten<strong>der</strong> ist als<br />
die Verkleinerung. Vielen Sippen ist durch den<br />
Menschen eine gewaltige Ausweitung ihres Areals<br />
ermöglicht worden, wodurch zugleich die<br />
Artenzahl in vielen Florengebieten stark vermehrt<br />
wurde. Diese Erscheinungen werden als<br />
Anthropochorie zusammengefaßt.<br />
Nicht unter diesen Begriff fallt es, wenn <strong>der</strong> Mensch<br />
sich z. B. im Sinne <strong>der</strong> Endo- o<strong>der</strong> Epizoochorie betätigt.<br />
Er bezieht sich vielmehr nur auf solche Ausbreitungshilfen,<br />
die aus einer spezifisch menschlichen<br />
Tätigkeit resultieren. Manche Autoren sprechen stattdessen<br />
auch von Hemerochorie; besser (so auch hier)<br />
wird dieses Wort aber auf die Fälle absichtlicher Einführung<br />
(d. h. auf Ergasiophyten -I- Ergasiophygophyten,<br />
vgl. Tab. 18) beschränkt, was sprachlich richtiger<br />
ist (griech. hemeros = zahm). Auch das Wort<br />
Synanthropie wird oft im Sinne von Anthropochorie<br />
benutzt; dies ist aber eigentlich ein Begriff mit weiterer<br />
Bedeutung, <strong>der</strong> auch die Apophyten mit umfaßt.<br />
Anthropochor sind also alle Pflanzensippen,<br />
die ein bestimmtes Florengebiet nur infolge<br />
menschlicher Tätigkeit erreicht haben. Sippen,<br />
die ohne menschliches Zutun anwesend sind,<br />
heißen demgegenüber idiochor. Im Gegensatz<br />
zu Begriffen wie endozoochor, anemochor usw.,<br />
die mit ± festliegenden Anpassungen <strong>der</strong> Pflanzen<br />
verbunden sind, sind diese beiden Termini<br />
relativ: sie beziehen sich jeweils allein auf das<br />
Verhalten einer Sippe in einem bestimmten,<br />
definierten Gebiet. Irgendwo auf <strong>der</strong> Erde ist<br />
jede Sippe idiochor (es sei denn, sie ist selbst<br />
anthropogen, vgl. S. 79).<br />
Vorgang <strong>der</strong> Ausbreitung<br />
Grundlage für die Möglichkeit <strong>der</strong> Anthropochorie<br />
ist die Tatsache, daß die meisten Sippen<br />
ihr potentielles Areal nicht voll besiedeln konnten,<br />
weil sie daran durch Ansiedlungshin<strong>der</strong>nisse<br />
o<strong>der</strong> Verbreitungsschranken gehin<strong>der</strong>t wurden<br />
(vgl. S. 45; Abb. 20, S, 44); in dem tatsächlich<br />
besiedelten realen natürlichen Areal sind sie<br />
idiochor. Vielen hat <strong>der</strong> Mensch nun geholfen,<br />
sich in bisher unbesiedelte Teile ihres potentiellen<br />
Areals auszubreiten; es kommen also anthropogene<br />
Arealteile hinzu. Demzufolge kann<br />
man die Flora in jedem Florengebiet in idiochore<br />
(alteinheimische) und anthropochore (adventive)<br />
Florenelemente einteilen; die letzteren lassen<br />
sich noch nach verschiedenen Gesichtspunkten<br />
weiter differenzieren.<br />
Die Hilfe des Menschen bei <strong>der</strong> Arealvergrößerung<br />
kann auf dreierlei Weise vor sich gehen<br />
(Abb. 32):<br />
(1) Die menschlichen Einwirkungen sind dieselben<br />
wie bei <strong>der</strong> Arealverkleinerung; Verän<strong>der</strong>ung<br />
<strong>der</strong> edaphischen und vor allem<br />
<strong>der</strong> biotischen Standortsfaktoren. Wie erwähnt,<br />
ist <strong>der</strong>en Wirkung ambivalent: so<br />
nimmt z. B. die Zerstörung von Wäl<strong>der</strong>n<br />
hemerophoben Schattenpflanzen die Existenzmöglichkeit,<br />
beseitigt dagegen ein Ansiedlungshin<strong>der</strong>nis<br />
für hemerophile Lichtpflanzen.<br />
Die Beseitigung von Ansiedlungshin<strong>der</strong>nissen<br />
bewirkt zunächst die Erhöhung<br />
<strong>der</strong> Siedlungsdichte im bestehenden<br />
Areal, kann aber auch zur Arealvergrößerung<br />
führen. In einem so besiedelten neuen<br />
Arealteil ist die Sippe allerdings darauf<br />
angewiesen, daß <strong>der</strong> Mensch die biotischen<br />
Ansiedlungshin<strong>der</strong>nisse dauernd fernhält;<br />
tut er das nicht, so wird sie auf die Dauer<br />
wie<strong>der</strong> verschwinden. Sie ist also auch nach<br />
<strong>der</strong> Ansiedlung im neuen Arealteil weiterhin<br />
vom Menschen abhängig und hält sich<br />
nur in anthropogener Vegetation. Die Hilfe<br />
des Menschen ist hier also indirekt und<br />
andauernd, die Ansiedlung reversibel; dieser<br />
Modus <strong>der</strong> Hilfeleistung sei hier als<br />
S tandorts-A nthropochorie bezeichnet.<br />
Florenelemente, die in dieser Weise vom<br />
Menschen abhängen, heißen Epökophyten<br />
(Kulturabhängige).
Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Pflanzenverbreitung 75<br />
X<br />
(T) Standorts-Anthropochorie<br />
(I)j(3) Transport-Anthropochorie<br />
Abb. 32: Mithilfe des M enschen hei <strong>der</strong> Ausbreitung und Status einer Pflanzensippe in verschiedenen<br />
Arealteilen (vgl. Abb. 20, S. 44).<br />
(2) Der Mensch hilft beim Überspringen von<br />
Verbreitungsschranken. Durch den Weltverkehr<br />
werden heute Diasporen absichtlich<br />
o<strong>der</strong> zufällig über weite Entfernungen transportiert;<br />
so haben viele Sippen die Möglichkeit,<br />
ihnen bisher unzugängliche Teile<br />
ihres potentiellen Areals zu erreichen. Diese<br />
Transport-Anthropochorie hat zu starken<br />
Arealausweitungen geführt, konnten<br />
doch ganze Kontinente neu besiedelt werden.<br />
Kommt eine Sippe dabei in ein Gebiet,<br />
in dem keine natürlichen synökologischen<br />
Ansiedlungshin<strong>der</strong>nisse bestehen,<br />
so kann sie sich nicht nur ansiedeln, son<strong>der</strong>n<br />
sich auch in die natürliche Vegetation<br />
einglie<strong>der</strong>n und sich hier auf Dauer halten.<br />
Florenelemente dieser Art heißen Agriophyten;<br />
die menschliche Hilfe ist hier direkt<br />
und einmalig, die Ansiedlung irreversibel.<br />
(Natürlich gibt es auch den Fall, daß<br />
eine Sippe auf diese Weise in ein Gebiet<br />
gelangt, in dem sie nur als Epökophyt leben<br />
kann; und umgekehrt kann auch infolge<br />
einer Ausbreitung im Sinne <strong>der</strong> Standorts-Anthropochorie<br />
wie<strong>der</strong> ein Arealteil<br />
ohne natürliche Ansiedlungshin<strong>der</strong>nisse erreicht<br />
werden, wo eine Einbürgerung als<br />
Agriophyt möglich ist).<br />
(3) Schließlich gibt es bei <strong>der</strong> Transport-Anthropochorie<br />
auch die Möglichkeit, daß<br />
Diasporen in Gebiete gelangen, die außerhalb<br />
des potentiellen Areals liegen. Das gilt<br />
u. a. für viele Kulturpflanzen (Ergasiophyten).<br />
Das Klima erlaubt es solchen Sippen<br />
dann nicht, ihren vollständigen Lebenszyklus<br />
ablaufen zu lassen. Sie können aber<br />
trotzdem vorübergehend wildwachsend<br />
auftreten (so in Mitteleuropa Kartoffel- und<br />
Tomatenjungpflanzen häufig auf Müllplätzen).<br />
Solche wildwachsenden Pflanzen, die<br />
meist nach kurzer Zeit wie<strong>der</strong> verschwinden,<br />
heißen Ephemerophyten. Um regelmäßig<br />
in einem Florengebiet aufzutreten,<br />
müssen sie immer wie<strong>der</strong> neu eingebracht<br />
werden, d. h. sie brauchen eine dauernde,<br />
direkte Hilfe des Menschen, da sie zu einer<br />
echten Ansiedlung nicht fähig sind.
76 Einfluß des Menschen auf Flora und Vegetation<br />
Klassifizierung <strong>der</strong> Anthropochoren<br />
Die Dynamik <strong>der</strong> Ausbreitungsvorgänge hat die<br />
Floristen seit langem angeregt, sich intensiv mit<br />
<strong>der</strong> Anthropochorie zu befassen, schon lange<br />
bevor die negativen Wirkungen des menschlichen<br />
Einflusses stärker beachtet wurden. So hat<br />
man auch schon früh versucht, die Anthropochoren<br />
jedes Florengebietes in Gruppen einzuteilen,<br />
die man <strong>der</strong> alteinheimischen Flora gegenüberstellte<br />
(Thellung 1915; vgl. auch Schroe-<br />
DER 1969). Für eine solche Klassifizierung <strong>der</strong><br />
Anthropochoren gibt es unterschiedliche Kriterien,<br />
die je nach dem Einzelfall von verschiedener<br />
Wichtigkeit sind (Tab. 18; in dieser werden<br />
zugleich einige weitere in diesen Zusammenhang<br />
gehörige Begriffe genauer definiert).<br />
Die drei wichtigsten Einteilungsprinzipien sind:<br />
(1) <strong>der</strong> Einbürgerungsgrad, d. h. <strong>der</strong> Grad <strong>der</strong><br />
Verselbständigung <strong>der</strong> Sippe gegenüber <strong>der</strong><br />
menschlichen Tätigkeit im neuen Arealteil.<br />
Hierher gehören die eben besprochenen 3<br />
Kategorien, die sich nicht nur nach <strong>der</strong> Art<br />
und Weise <strong>der</strong> menschlichen Hilfe, son<strong>der</strong>n<br />
auch nach vegetationskundlichen Kriterien<br />
definieren lassen (so in Tab. 18).<br />
(2) die Einwan<strong>der</strong>ungszeit, d. h. die Zeit des<br />
ersten wildwachsenden Auftretens. Die für<br />
die Abgrenzung <strong>der</strong> beiden vielbenutzten<br />
Kategorien Archäophyten und Neophyten<br />
verwendeten Begriffe prähistorisch und historisch<br />
bedürfen einer näheren Erläuterung:<br />
als „historisch“ bezeichnet man hier<br />
Zeitpunkte, die direkt belegbar o<strong>der</strong> aus<br />
sachlichen Gründen indirekt eingegrenzt<br />
sind (in Europa können z. B. alle Sippen<br />
amerikanischer Herkunft erst nach 1496 aufgetreten<br />
sein); „prähistorische“ (also archäophytische)<br />
Einbürgerungen lassen sich hingegen<br />
nur durch Indizien (z. B. Fehlen potentieller<br />
Standorte in <strong>der</strong> Naturlandschaft)<br />
bzw. durch paläo-ethnobotanische Befunde<br />
wahrscheinlich machen (vgl. Abb. 191,<br />
S. 406).<br />
(3) die Einwan<strong>der</strong>ungsweise, d. h. auf welche<br />
Weise die Diasporen in den neuen, anthropogenen<br />
Arealteil gelangt sind.<br />
Die so definierten Kategorien werden auch als<br />
floristischer Status <strong>der</strong> zugehörigen Sippen bezeichnet.<br />
Einige Beispiele für Anthropochoren<br />
mit verschiedenem Status in Mitteleuropa zeigt<br />
Tab. 19.<br />
Tab. 18: Klassifizierung von Florenbestandteilen nach Gesichtspunkten <strong>der</strong> Anthropochorie (Floristischer
Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Pflanzenverbreitung 77<br />
Tab. 19: Verschiedene Typen von Anthropochoren, Beispiele aus dem nordwestdeutschen Tiefland.<br />
Abkürzungen: Ag(riophyt), E(p)ö(kophyt), E(p)h(emerophyt), Ar(chäophyt), Ne(ophyt), Ak(olutophyt),<br />
Xe(nophyt), Er(gasiophygophyt). ? = Zuordnung nicht sicher.<br />
Gruppe<br />
Nr.<br />
Beispiel<br />
Einbürgerungsgrad<br />
Ag Eö Eh<br />
Einwan<strong>der</strong>ungszeit<br />
Ar Ne<br />
Einfuhmngsweise<br />
Ak Xe Er<br />
1 Vinca minor -1- -E -E<br />
2 Goodyera repens + + -E<br />
3 Bidens frondosa + +<br />
p<br />
4 Impatiens parviflora + -E -E<br />
5 Sonchus oleraceus -1- -E<br />
?<br />
6 Agrostemma githago -h -E<br />
?<br />
7 Isatis tinctoria + -E -E<br />
8 Senecio vernalis -t- -E -E<br />
9 Conyza canadensis + -E<br />
><br />
10 Oenothera biennis -1- -E -E<br />
11 Harpagophytum sp. -E -E -E<br />
12 Solanum tuberosum + + -E<br />
Weitere Beispiele:<br />
Gr. 1: Acorus calamus, Helleborus viridis.<br />
Gr. 4: Acer negundo, Amelanchier lamarckii, Aster div. sp., Cornus alba, Elodea canadensis, Impatiensglandulifera,<br />
Mahonia aquifolium, Mimulus guttatus. Polygonum cuspidatum u. sachalinense, Solidago canadensis u. gigantea.<br />
Spiraea salicifolia, Vaccinium macrocarpum.<br />
Gr. 5/6: Adonis aestivalis. Avena fatua, Bromus erectas, Capsella bursa-pastoris. Consolida regalis. Euphorbia<br />
peplus. Fumaria officinalis, Papaver rhoeas. Ranunculus arvensis, Scandix pecten-aieneris, Thlaspi arvense. Vicia<br />
hirsuta u. tetrasperma.<br />
Gr. 7: Myrrhis odorata, Nigella sativa.<br />
Gr. 9/10: Galinsoga ciliata u. parviflora,Juncus tenuis, Matricaria suaveolens. Senecio inaequidens, Veronica<br />
ftliformis u. pérsica.<br />
Gr. 12: Helianthus annuus, Phalaris canariensis, Solanum lycopersicum.<br />
Sippenspezifische Ausbreitungsfähigkeit<br />
Grundsätzlich können die besprochenen äußeren<br />
Voraussetzungen <strong>der</strong> Anthropochorie jede<br />
Pflanzensippe begünstigen; ob und wie schnell<br />
es tatsächlich zu einer erfolgreichen anthropochoren<br />
Ausbreitung (d. h. Einbürgerung)<br />
kommt, hängt aber auch von den Eigenschaften<br />
je<strong>der</strong> Sippe im einzelnen ab (vgl. auch JA<br />
G E R 1988). Die große Mehrzahl <strong>der</strong> heute in aller<br />
Welt bekannten Anthropochoren zeichnet<br />
sich durch die Kombination einer Reihe charakteristischer<br />
Merkmale bzw. Verhaltensweisen<br />
aus, die man als „Anthropochoren-Syndrom“<br />
bezeichnen könnte. Hierzu gehören<br />
• hohe Diasporenproduktion<br />
• Diasporen leicht, wenig spezialisiert (auf<br />
verschiedene Weise verbreitbar)<br />
• Dauer <strong>der</strong> Keimruhe bei Diasporen <strong>der</strong>selben<br />
Art sehr variabel<br />
• rasche Generationenfolge<br />
• starke vegetative Ausbreitungsfähigkeit<br />
• weite edaphische Standortsamplitude.<br />
Alle diese Eigenschaften ermöglichen ein schnelles<br />
Besetzen und Erobern geeigneter Standorte.<br />
Pflanzen solcher Konstitution, in <strong>der</strong> Ökologie<br />
auch „r-Strategen“ genannt, sind meist Bewohner<br />
offener Pionier- und Extremstandort-Vegetation,<br />
bzw. (in Gebieten mit Waldvegetation<br />
als Klimax) Vertreter früher bis mittlerer Stadien<br />
<strong>der</strong> Verjüngungssukzession. In entsprechenden<br />
Vegetationstypen sind denn auch Anthropochoren<br />
beson<strong>der</strong>s häufig.<br />
Diese Verhältnisse haben oft den Eindruck<br />
erweckt, als seien Klimax-Arten, beson<strong>der</strong>s die<br />
Konstituenten <strong>der</strong> Klimaxwäl<strong>der</strong>, zu antbropochorer<br />
Ausbreitung unfähig; ja es wurde umgekehrt<br />
sogar ernsthaft die Vermutung geäußert,<br />
natürliche, ungestörte Klimaxgesellschaften seien<br />
gegen das Eindringen von Anthropochoren<br />
„immun“. Solche Behauptungen gehören in den<br />
Bereich <strong>der</strong> Mystik. In Wirklichkeit beeinflus-
78 Einfluß des Menschen auf Flora und Vegetation<br />
sen sippenspezifische Eigenschaften hauptsächlich<br />
die Geschwindigkeit <strong>der</strong> anthropogenen<br />
Ausbreitung, aber kaum die Ausbreitungsfähigkeit<br />
als solche. Daß bisher vergleichsweise wenige<br />
Klimaxarten als Anthropochoren auftreten,<br />
liegt daran, daß diese im Normalfalle, als „K-<br />
Strategen", nur eine geringe Ausbreitungsgeschwindigkeit<br />
haben. Bis zum Beginn des 16.<br />
Jahrhun<strong>der</strong>ts waren die vom Menschen gegebenen<br />
Ausbreitungshilfen überwiegend solche<br />
vom Typ <strong>der</strong> Standorts-Anthropochorie, d. h.<br />
Beseitigung von Ansiedlungshin<strong>der</strong>nissen, wodurch<br />
im wesentlichen r-Strategen begünstigt<br />
wurden. Erst im Zuge <strong>der</strong> Entschleierung <strong>der</strong><br />
Erde bot sich die Möglichkeit, in Form <strong>der</strong><br />
Transport-Anthropochorie in größerem Ausmaße<br />
auch Arten aus Klimaxwäl<strong>der</strong>n auf an<strong>der</strong>e<br />
Kontinente zu verfrachten; für eine erfolgreiche<br />
Etablierung solcher Arten als Anthropochoren<br />
war die Zeit bisher aher meistens viel zu<br />
kurz.<br />
Von dieser Regel gibt es einige Ausnahmen, die zeigen,<br />
daß die Einbürgerung von Arten aus Klimaxwäl<strong>der</strong>n<br />
in Klimaxwäl<strong>der</strong> durchaus möglich ist. So ist<br />
Castanea sativa, von Natur aus eine wichtige Komponente<br />
<strong>der</strong> Laubmischwäl<strong>der</strong> auf sauren Böden in Nordanatolien<br />
und Kaukasien, heute in großen Teilen W-<br />
und SW-Europas in Wäl<strong>der</strong>n entsprechen<strong>der</strong> Standorte<br />
voll eingebürgert und kann mit Sicherheit auch<br />
als Bestandteil <strong>der</strong> potentiellen natürlichen Vegetation<br />
gelten. Ermöglicht wurde das dadurch, daß sie bereits<br />
von den Römern in <strong>der</strong>en gesamtem Reich als<br />
Kulturpflanze verbreitet wurde und so in Teile ihres<br />
potentiellen Areals gelangte, die sie auf natürlichem<br />
Wege (wohl wegen ihrer zu schweren Früchte) nach<br />
<strong>der</strong> Eiszeit nicht wie<strong>der</strong> besiedeln konnte; die seither<br />
vergangenen 2000 Jahre waren für eine vollständige<br />
Etablierung als Agriophyt ausreichend.<br />
Ein Beispiel aus <strong>der</strong> Waldbodenflora sind die<br />
Impatiens-Antn\ neben <strong>der</strong> alteinheimischen /. nolitangere<br />
sind in naturnahen Wäl<strong>der</strong>n Mitteleuropas<br />
heute zwei weitere eingebürgert. I. parvißora aus relativ<br />
trockenen Laubwäl<strong>der</strong>n Mittelasiens ist weit verbreitet<br />
auf Standorten, die meist trockener sind als die<br />
von 7. noli-tangere (vgl. Abb. 33, S. 83); I. glandulifera<br />
aus bachbegleitenden Wäl<strong>der</strong>n im Himalaja wächst<br />
heute auch bei uns an entsprechenden Standorten. Ursache<br />
<strong>der</strong> raschen Einbürgerung bei<strong>der</strong> Arten ist, daß<br />
sie, im Gegensatz zur Mehrzahl <strong>der</strong> Waldbodenpflanzen,<br />
Therophyten mit sehr hoher Samenproduktion<br />
sind.<br />
Beson<strong>der</strong>heiten <strong>der</strong> Transport-<br />
Anthropochorie<br />
Die Ausbreitung nach dem Muster <strong>der</strong> Standorts-Anthropochorie<br />
unterscheidet sich als Vorgang<br />
im Prinzip nicht von einer natürlichen<br />
Wan<strong>der</strong>ung. An<strong>der</strong>s ist das bei <strong>der</strong> Transport-<br />
Anthropochorie: hier kommt die anthropochore<br />
Sippe plötzlich in ein ganz neues Umfeld (gleiches<br />
gilt i. ü. auch für die Fälle natürlicher untypischer<br />
Fernverbreitung, vgl. S. 17). Damit<br />
sind einige ökologische Beson<strong>der</strong>heiten verknüpft,<br />
die Konsequenzen <strong>der</strong> beiden folgenden<br />
Umstände sind:<br />
(1) Es gelangen gewöhnlich nur wenige Diasporen<br />
(im Extremfalle eine einzige) in den<br />
neuen Arealteil.<br />
(2) Es hat keine Koevolution <strong>der</strong> anthropochoren<br />
Sippe mit den im neu besiedelten<br />
Ökosystem vorhandenen an<strong>der</strong>en Lebewesen,<br />
insbeson<strong>der</strong>e Tieren, stattgefunden_^<br />
Zu (1). Das Genreservoir <strong>der</strong> neu entstehenden<br />
Population ist zunächst sehr eingeschränkt, und<br />
damit auch ihre ökologische Anpassungsfähigkeit.<br />
Erst nach und nach kann sich die genetische<br />
Diversität infolge neu auftreten<strong>der</strong> Mutationen<br />
wie<strong>der</strong> erhöhen. Wie schnell das geht,<br />
hängt natürlich von <strong>der</strong> Generationenfolge ah,<br />
d. h. Annuelle sind hier bei weitem im Vorteil,<br />
So hat z. B. Im patiens glan dulifera im Bereich <strong>der</strong><br />
vormaligen Sowjetunion bereits zahlreiche Ökotypen,<br />
insbeson<strong>der</strong>e solche phänologischer Natur,<br />
entwickelt, so daß sie Teilgehiete mit sehr<br />
unterschiedlichem Klima besiedeln konnte. Die<br />
auch in Mitteleuropa zu beobachtende Erscheinung,<br />
daß Neophyten, die schon seit langem<br />
sporadisch verwil<strong>der</strong>t auftraten, sich in den letzten<br />
Jahrzehnten plötzlich explosionsartig ausbreiten,<br />
wird oft durch diesen populationsökologischen<br />
Effekt zu erklären versucht. Doch<br />
dürfte das bei Ausdauernden, die sich großenteils<br />
vegetativ vermehren, kaum zutreffen (z. B.<br />
bei Polygonum cuspidatum wirkt wohl eher die<br />
großflächige Verbrachung von feuchtem Grünland<br />
för<strong>der</strong>nd, vgl. S. 82).<br />
Zu (2). Von den Tieren, mit denen die Pflanzen<br />
in Beziehung stehen, sind neben Bestäubern<br />
und Diasporen-Verbreitern vor allem die Freßfeinde<br />
wichtig; allein auf diese sei hier eingegangen.<br />
Das Verhältnis zwischen <strong>der</strong> Pflanze<br />
und einem (potentiellen) Freßfeind wird vor al-
Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Pflanzenverbreitung 79<br />
lern durch chemische Eigenschaften geregelt. Im<br />
neuen Arealteil kann nun die „Chemie“ in zweierlei<br />
Hinsicht nicht stimmen:<br />
(a) Der Pflanze fehlen die notwendigen chemischen<br />
Abwehrstoffe gegen bestimmte<br />
hier vorhandene Freßfeinde.<br />
(b) Der Pflanze fehlen Substanzen, an denen<br />
vorhandene potentielle Freßfeinde sie als<br />
freßbar erkennen, also Erkennungsmarken.<br />
Im ersten Falle kann die Ansiedlung von vornherein<br />
vollständig verhin<strong>der</strong>t werden (je<strong>der</strong><br />
Gartenbesitzer kennt die Gefahr <strong>der</strong> totalen<br />
Vernichtung bestimmter exotischer Zierpflanzen<br />
z. B. durch Schnecken). Das ist mit Sicherheit<br />
sehr häufig <strong>der</strong> Fall und wahrscheinlich einer<br />
<strong>der</strong> Gründe dafür, daß z. B. in Mitteleuropa nur<br />
kaum mehr als 5 % <strong>der</strong> absichtlich o<strong>der</strong> unabsichtlich<br />
eingeführten außereuropäischen<br />
Freilandpflanzen als Neophyten auftreten. Indem<br />
es gar nicht erst zum Aufbau von Populationen<br />
kommt, ist hier auch keine genetisch<br />
bedingte Anpassung zu erwarten.<br />
Der zweite Fall kann für die betreffende<br />
Pflanzensippe ein großer ökologischer Vorteil<br />
sein und eine Massenausbreitung ermöglichen.<br />
Allerdings ist dieser Vorteil nur als temporär<br />
anzusehen. Je stärker die Population des Neophyten<br />
anwächst, um so häufiger werden die<br />
Berühmngen mit den potentiellen Freßfeinden<br />
und um so größer die Wahrscheinlichkeit, daß<br />
dabei auch Kontakte mit mutierten Individuen<br />
auftreten, die die Pflanze als freßbar erkennen.<br />
Damit wird dann die Eindämmung <strong>der</strong> Massenvermehrung<br />
eingeleitet.<br />
Ein gutes Beispiel in dieser Hinsicht ist Elodea canadensis,<br />
die in <strong>der</strong> Anfangsphase ihrer europäischen<br />
Ausbreitung im vorigen Jahrhun<strong>der</strong>t in solchen Mengen<br />
auftrat, daß sie Schiffahrtswege verstopfte und so<br />
ihren deutschen Namen „Wasserpest“ bekam. Schon<br />
nach wenigen Jahrzehnten jedoch begann ihr Rückgang,<br />
hauptsächlich infolge des Befalls mit Nematoden<br />
(man findet heute kaum ein Exemplar, dessen<br />
Vegetationspunkte nicht von Nematoden befressen<br />
werden), so daß sie bis heute ein zwar regelmäßiges,<br />
aber unauffälliges Mitglied <strong>der</strong> submersen Süßwasserflora<br />
geworden ist.<br />
Anthropogene Sippen<br />
Wie schon im vorigen Abschnitt angedeutet,<br />
führt die Anthropochorie nicht nur zu Arealausweitungen,<br />
son<strong>der</strong>n u. U. auch zur Verän<strong>der</strong>ung<br />
<strong>der</strong> Pflanzensippe selbst. Im Extremfall<br />
kann es zur Bildung ganz neuer, anthropogener<br />
Sippen kommen. Das ist auf zwei verschiedenen<br />
Wegen möglich.<br />
Am häufigsten ist die allmähliche selektive<br />
Verän<strong>der</strong>ung. Sie setzt automatisch ein, wenn<br />
eine Population unter verän<strong>der</strong>te Standortsbedingungen<br />
gerät, sei es durch Verbringung in<br />
ein nicht ganz identisches Klima, sei es durch<br />
Eindringen in anthropogene Vegetationstypen,<br />
die so in <strong>der</strong> Natur nicht Vorkommen. Beide<br />
Einflüsse treffen z. B. auf die Unkräuter <strong>der</strong><br />
mitteleuropäischen Getreidefel<strong>der</strong> zu. Wie erwähnt,<br />
stammen viele von diesen ebenso wie<br />
die Getreidearten selbst aus vor<strong>der</strong>- bis mittelasiatischen<br />
Lößhalbwüsten. Aus einem Halbwüstenklima<br />
kamen sie in ein Waldklima, und<br />
außerdem wurden sie <strong>der</strong> Prozedur <strong>der</strong> künstlichen<br />
Aussaat und Ernte unterworfen. Durch<br />
diese neuen Bedingungen wurden sie in entsprechen<strong>der</strong><br />
Richtung selektiert. So zeigen selbst die<br />
in Mitteleuropa einheimischen Arten L ap san a<br />
com m unis, A ethusa cynapium und Veronica he<strong>der</strong>ifo<br />
lia schon deutliche morphologische und entwicklungsbiologische<br />
Unterschiede zwischen<br />
Populationen aus naturnahen Wäl<strong>der</strong>n und solchen<br />
aus Äckern. Bei Sippen, die sehr lange als<br />
Unkräuter etabliert und dabei zugleich in sehr<br />
abweichende Klimagebiete gelangt waren, konnten<br />
diese Unterschiede taxonomisch faßbar<br />
werden und neue Varietäten, Subspezies o<strong>der</strong><br />
sogar Arten begründen.<br />
Ein gut belegtes Beispiel dieser Art bieten einige Sippen<br />
<strong>der</strong> Cmciferen-Gattung Camelina (Bertsch 1947).<br />
Die Ausgangsart, C. microcarpa, fand sich (bzw. findet<br />
sich heute noch) idiochor in natürlichen Lößhalbwüsten<br />
unter Klimabedingungen, die die Keimung im<br />
Herbst und Blühen und Fmchten im Frühjahr bedingen,<br />
also ein winterannuelles Verhalten. Als Unkraut<br />
in die ökologisch ähnlichen Wintergetreide-Äcker eingedrungen,<br />
wan<strong>der</strong>te sie als Epökophyt mit dem Getreidebau<br />
nach Mitteleuropa. Im Gegensatz zu dem<br />
ihrer Heimat erlaubt das mitteleuropäische Klima auch<br />
Sommerkulturen, die erst im Frühjahr ausgesät werden.<br />
Gelegentlich auftretende, im Frühjahr keimende<br />
Mutanten von C. microcarpa, die in <strong>der</strong> Heimat <strong>der</strong><br />
Sommerdürre zum Opfer gefallen wären, konnten sich<br />
in diese Sommerkulturen einfugen und dort Populationen<br />
aufbauen, die sich von <strong>der</strong> winterannuellen<br />
Muttersippe allmählich isolierten. Beson<strong>der</strong>s günstig<br />
entwickelten sich diese in Leinäckern, da ihr Entwicklungszyklus<br />
etwa dem des Leins entspricht. Nachdem<br />
nun <strong>der</strong> Lein nicht nur als Faser-, son<strong>der</strong>n auch<br />
als Ölpflanze genutzt wurde, selektierte man diesen<br />
auf das Geschlossenbleiben <strong>der</strong> Kapseln, um die Samen<br />
besser ernten zu können. Mit den Kapseln des
80 Einfluß des Menschen auf Flora und Vegetation<br />
!•<br />
■<br />
Ölleins wurden dann auch Schoten von Camelina-<br />
Pflanzen mitgeerntet, die länger geschlossen blieben<br />
als normal, d. h. aus <strong>der</strong> sommerannuellen Population<br />
von C. microcarpa wurde unabsichtlich eine neue<br />
Teilpopulation herausselektiert, <strong>der</strong>en Samen nicht<br />
nur zusammen mit dem Lein geerntet, son<strong>der</strong>n auch<br />
(da es noch keine Saatgutreinigung gab) wie<strong>der</strong> ausgesät<br />
wurden. Das bedeutete eine sehr enge Bindung an<br />
den Leinanbau und eine noch stärkere Isolierung von<br />
den älteren Populationen, die schließlich dazu führte,<br />
daß eine auch morphologisch abweichende neue<br />
Kleinart, C. alyssum, entstand. Damit war die Entwicklung<br />
aber noch nicht zu Ende. Wie viele an<strong>der</strong>e<br />
Craciferen enthält auch Camelina für die menschliche<br />
Ernährung verwertbare Öle. Als man das entdeckte,<br />
nahm man C. alyssum selbst als Ölpflanze in Kultur.<br />
Die neue Kulturpflanze wurde nun planmäßig in<br />
Richtung auf höhere Erträge, d. h. auf möglichst große<br />
Samen, selektiert; das brachte noch weitere morphologische<br />
Verän<strong>der</strong>ungen mit sich, so daß eine weitere<br />
neue Kleinart, C. saliva, entstand. So gab es<br />
schließlich in Mitteleuropa 3 Camdina-KiX.tVi\ die<br />
anthropochore C. microcarpa, den anthropogenen<br />
Epökophyten C. alyssum und die reine Kulturpflanze<br />
C. saliva. Heute sind alle drei Arten in Mitteleuropa<br />
wie<strong>der</strong> im Verschwinden: C. saliva wird als nicht lohnend<br />
nicht mehr angebaut, C. alyssum hat infolge Aufgabe<br />
des Leinanbaues keine Existenzmöglichkeit mehr,<br />
und C microcarpa wird durch die allgemeine Unkrautbekämpfung<br />
dezimiert. Die beiden ersten werden<br />
wahrscheinlich vollständig aussterben, während<br />
die Ursprungsart C. microcarpa zumindest in ihrer Heimat<br />
erhalten bleiben dürfte.<br />
Der Mensch hat also zusammen mit seinen<br />
Kulturpflanzen unabsichtlich auch Unkräuter<br />
mit herangezüchtet (unter diesem Aspekt erscheint<br />
es unsinnig, wenn heute zuweilen versucht<br />
wird, aus ideologischen Gründen das Wort<br />
Unkraut durch „Wildkraut“ zu ersetzen). Wie<br />
groß die Zahl <strong>der</strong>artiger anthropogener, in natürlicher<br />
Vegetation prinzipiell nicht vorkommen<strong>der</strong><br />
(und auch nie vorgekommener) Sippen<br />
ist, ist unbekannt. Wenn manche Autoren (z. B.<br />
Scholz 1996, Sukopp etc. 1997) vermuten, die<br />
meisten mitteleuropäischen Segetal-Archäophyten<br />
seien solche „obligatorischen Unkräuter“<br />
(„Anökophyten“), so ist das zumindest kaum<br />
nachweisbar; wichtig für die Beurteilung ist dabei<br />
natürlich auch, ob man von einem engen<br />
o<strong>der</strong> weiten Artbegriff ausgeht.<br />
Während die Entstehung anthropogener Sippen<br />
auf dem Wege selektiver Anpassung doch<br />
relativ lange Zeit erfor<strong>der</strong>t und nur aus Indizien<br />
rückblickend erschlossen werden kann, läßt sich<br />
die zweite Möglichkeit praktisch direkt beobachten:<br />
nämlich die Bildung neuer Arten durch<br />
Allopolyploidie. Durch die Überwindung von<br />
Verbreitungsschranken kommen oft verwandte<br />
Arten wie<strong>der</strong> zusammen, die sich dann kreuzen<br />
können. Sind sie sehr nahe verwandt und die<br />
Kreuzungsprodukte fértil, so kann es u. U., genügend<br />
Zeit vorausgesetzt, zu einer vollständigen<br />
Vermischung und damit Aufhebung <strong>der</strong><br />
Artunterschiede kommen (also ein anthropogenes<br />
Verschwinden von Arten ohne Aussterben).<br />
Haben die Arten jedoch unterschiedliche Chromosomenzahlen,<br />
so sind die Bastarde oft steril,<br />
bedingt durch die Behin<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Reduktionsteilung.<br />
In solchen Fällen können aber zuweilen<br />
unreduzierte, also diploide Geschlechtszellen<br />
gebildet werden, durch <strong>der</strong>en Verschmelzung<br />
dann eine neue tetraploide, wie<strong>der</strong> voll<br />
fertile Sippe entsteht, die die Chromosomensätze<br />
bei<strong>der</strong> Elternarten doppelt enthält und eine<br />
neue Art darstellt, die sich von beiden Eltern<br />
wesentlich unterscheiden kann. Solche als Folge<br />
von Anthropochorie entstandenen neuen Arten<br />
nennt man auch „neogene Endemiten“ (die<br />
Artneubildung durch Allopolyploidie ist aber<br />
auch unter natürlichen Bedingungen nicht selten).<br />
Hierfür sei die im Schlick von Meeresküsten verbreitete<br />
Gramineen-Gattung Sparlina als Beispiel genannt.<br />
Von dieser gibt es eine alteinheimische Art, S. maritima<br />
mit <strong>der</strong> Chromosomenzahl 2n = 60, an den Küsten<br />
Westeuropas. Im vorigen Jahrhun<strong>der</strong>t wurde S. allerniflora<br />
(2n = 62) aus Ost-Nordamerika nach England<br />
eingeführt und vielerorts an den Küsten zur Landgewinnung<br />
angepflanzt, da sie den Schlick besser Festhalten<br />
sollte als S. maritima. Wo beide Arten zusammentrafen,<br />
kam es häufig zur Kreuzung; <strong>der</strong> Bastard,<br />
als S. X lownsendii beschrieben, war mit 2n = 61 steril.<br />
Durch Allopolyploidie entstand hieraus dann aber die<br />
neue Art S. anglica mit 2n = 122, die sich inzwischen<br />
an den Küsten West- und Mitteleuropas weit ausgebreitet<br />
hat.<br />
Anthropochoren als Florenbestandteile<br />
Über den Anteil <strong>der</strong> Anthropochoren an <strong>der</strong><br />
Gesamtflora gibt es Angaben aus mehreren Florengebieten.<br />
Ihre Zuverlässigkeit ist unterschiedlich:<br />
für abgeschlossene Gebiete wie z. B. landferne<br />
Inseln, für die nur Transport-Anthropochorie<br />
in Frage kommt, ist die Beurteilung leichter<br />
als für Teile größerer Kontinente, in denen<br />
die Standorts-Anthropochorie eine große Rolle<br />
spielen kann, wobei dann die Grenzen zwischen<br />
natürlicher und anthropogener Ausbreitung<br />
schwer zu ziehen sind. Für manche Gebiete wird
Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Pflanzenverbreitung 81<br />
daher in <strong>der</strong> Literatur nur die - eindeutig bestimmbare<br />
- Zahl <strong>der</strong> Neophyten angegeben.<br />
In europäischen Län<strong>der</strong>n liegt <strong>der</strong> Prozentsatz <strong>der</strong><br />
Arten, die als Anthropochoren gelten, meist zwischen<br />
15 und 20 % (so Deutschland und Großbritannien je<br />
16 %, Finnland 18 %; nach Sukopp etc. 1976).<br />
Auffällig ist die hohe Zahl <strong>der</strong> Anthropochoren<br />
auf landfernen Inseln. Auf Neukaledonien (Näheres<br />
vgl. S. 98) finden sich neben 2437 einheimischen etwa<br />
500 neophytische Arten, d. h. 16 % <strong>der</strong> Gesamtflora,<br />
auf Hawaii neben 1440 einheimischen 460 neophytische,<br />
d. h. 24 % (Saint-John 1973). Weit über 50 %<br />
dürfte <strong>der</strong> Neophytenanteil auf Neuseeland liegen: die<br />
Flora von Allan etc. (1961f) listet neben 1450 Einheimischen<br />
bereits 1400 „Adventive“ auf, wobei aber<br />
die vielen eingebürgerten Gramineen noch nicht erfaßt<br />
sind (zur Vegetationszerstömng auf dieser Inselgmppe<br />
vgl. S. 226). Trotz <strong>der</strong> hohen Zahl einheimischer<br />
Arten macht die Flora solcher Gebiete einen „ungesättigten“<br />
Eindruck, d. h. sie scheint keine einheimischen<br />
Arten zu enthalten, die als Apophyten zur<br />
Besiedlung neuer, durch den Menschen geschaffener<br />
Standorte fähig sind. Vielleicht spielt dabei mit, daß<br />
die meisten Neophyten aus Gebieten mit schon alter,<br />
dichter Besiedlung kommen, wo sie sich bereits über<br />
lange Zeit an ein „Unkrautdasein“ anpassen konnten.<br />
Interessant sind auch Vergleiche zwischen <strong>der</strong> Zahl<br />
<strong>der</strong> eingebürgerten Neophyten und <strong>der</strong> <strong>der</strong> Arten,<br />
<strong>der</strong>en Diasporen vom Menschen insgesamt absichtlich<br />
o<strong>der</strong> unabsichtlich ins Land gebracht wurden. So<br />
stehen in Mitteleuropa einer Zahl von etwa 3800 eingefuhrten<br />
Arten nur etwa 200 gegenüber, die sich tatsächlich<br />
etablieren konnten (Sukopp etc. 1976).<br />
Beeinflussung <strong>der</strong> Idiochoren<br />
Wichtig ist in diesem Zusammenhang schließlich<br />
die Frage <strong>der</strong> Auswirkung <strong>der</strong> Anthropochoren<br />
auf die idiochore Flora und Vegetation.<br />
Befurchtet wird oft eine Gefährdung von einheimischen<br />
Sippen. Diese Frage läßt sich jedoch<br />
nicht generell beantworten; vielmehr ist die Situation<br />
je nach dem betrachteten Florengebiet<br />
sehr verschieden. Grundsätzlich gilt, daß das<br />
Hinzukommen neuer Arten den Lebensraum<br />
<strong>der</strong> bisher vorhandenen einschränkt. Im Normalfall<br />
sind solche Einschränkungen aber unbedeutend.<br />
Eine Gefahr sind sie nur für solche<br />
Idiochoren, die eine sehr enge Standortsamplitude<br />
bzw. ein sehr kleines Areal haben,<br />
und auch dann nur, wenn eine sehr konkurrenzstarke<br />
Anthropochore auftritt, die genau denselben<br />
Standortstyp besetzt. Demnach ist eine<br />
ernsthafte Bedrohung <strong>der</strong> idiochoren Flora<br />
durch Anthropochoren vor allem dort zu erwarten,<br />
wo es viele endemitische „Mikroarealophyten“<br />
gibt. Wie die folgenden Beispiele zeigen,<br />
ist das auch wirklich <strong>der</strong> Fall.<br />
Ein beson<strong>der</strong>s bekanntes Beispiel für die Gefährdung<br />
vieler einheimischer Sippen durch sich aggressiv ausbreitende<br />
Anthropochoren ist Südafrika, insbeson<strong>der</strong>e<br />
das Gebiet des Kapländischen Florenreiches. Hier gibt<br />
es eine extrem hohe Zahl sehr kleinräumig verbreiteter<br />
Endemiten (vgl. Tab. 33, S. 242). Viele von ihnen,<br />
meist Klein- o<strong>der</strong> Zwergsträucher, sind Glie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Fynbos-Vegetation<br />
(vgl. S. 241), die durch regelmäßige<br />
Brände beeinflußt wird (Feuerklimax), also eines Vegetationstyps,<br />
in dem eine Neuansiedlung viel schneller<br />
geht als z. B. in Wäl<strong>der</strong>n. Hier sind nun einige Neophyten<br />
australischer Herkunft in starker Ausbreitung<br />
begriffen; am aggressivsten sind einige Acacia-Kx\.t’a..<br />
Diese Arten, Großsträucher bis Kleinbäume, wurden<br />
im vorigen Jahrhun<strong>der</strong>t als Zierpflanzen eingefuhrt<br />
und später auch zur Dünenbefestigung im Gelände<br />
angepflanzt. Sie zeichnen sich nicht nur durch sehr<br />
hohe Samenproduktion aus, son<strong>der</strong>n auch durch ein<br />
unbegrenztes Stockausschlagvermögen nach Beschädigung<br />
durch Brände. Sie dringen in Fynbos-Bestände<br />
ein und schädigen die meist niedrigeren Einheimischen<br />
durch Beschattung. Die weitverbreiteten Fynbos-Arten<br />
finden zwar trotzdem noch genügend Platz;<br />
die vielen Lokalendemiten kommen aber rasch so in<br />
Bedrängnis, daß die Gefahr des Aussterbens besteht.<br />
Die Naturschutzorganisationen betreiben deshalb<br />
schon seit Jahrzehnten eine intensive mechanische Bekämpfung<br />
von Acacia, doch sind die Erfolge in dem<br />
großen, dünn besiedelten Land bisher begrenzt. Neuerdings<br />
versucht man daher, durch die Einführung von<br />
Freßfeinden aus Australien, die auf den Verzehr <strong>der</strong><br />
Samen spezialisiert sind, die Erzeugung keimfähiger<br />
Acacia-Szmtn einzuschränken.<br />
Ein an<strong>der</strong>es Gebiet, in dem viele idiochore Arten<br />
gefährdet sind, sind die Hawaii-Inseln. Im Unterschied<br />
zu Südafrika ist die einheimische Flora hier sehr jung:<br />
die Inseln sind vulkanischen Ursprungs und hatten<br />
nie Verbindung mit den Kontinenten; alle hier wachsenden<br />
Pflanzensippen sind durch episodische, oft<br />
untypische Femverbreitung auf die Inseln gekommen.<br />
Die Zahl <strong>der</strong> idiochoren Einwan<strong>der</strong>er war dabei relativ<br />
gering; manche von ihnen haben dann durch<br />
adaptative Radiation neue Arten gebildet, wodurch die<br />
hohe Endemitenzahl zustandekommt; trotzdem ist die<br />
Flora aber extrem ungesättigt. Das betrifft auch die<br />
Klimaxvegetation. So gibt es auf <strong>der</strong> sehr vielseitigen<br />
Hauptinsel Hawaii Klimagebiete mit Tropischem<br />
Regenwald (vgl. S. 353). Dieser enthält neben zahlreichen<br />
kleineren Gehölzen und Epiphyten nur 3 Hauptbaumarten<br />
{Metrosi<strong>der</strong>os collina, Bobea elatior. Acacia<br />
koa). Nachdem inzwischen zahlreiche Regenwaldbäume<br />
aus aller Welt als Zier- o<strong>der</strong> Nutzpflanzen eingeführt<br />
worden sind, konnten sich einige davon einbürgern<br />
(z. B. Akurites moluccana, Psidiumguajavä) und<br />
bedrohen nun mancherorts die relativ konkurrenzschwachen<br />
Einheimischen. (Daneben gibt es auch in
82 Einfluß des Menschen auf Flora und Vegetation<br />
an<strong>der</strong>en Vegetationstypen Gefährdungen; vgl. Knapp<br />
1965.)<br />
Ganz an<strong>der</strong>s liegen die Dinge hingegen in Mitteleuropa.<br />
Wenn auch hier in Naturschutzkreisen<br />
oft vermutet o<strong>der</strong> gar als Tatsache hingestellt<br />
wird, bestimmte Anthropochoren seien<br />
eine Gefahr für die einheimische Flora und Vegetation,<br />
so sind das Behauptungen ohne sachliche<br />
Grundlage. Sie haben teils emotionale<br />
Ursachen („Auslän<strong>der</strong>feindlichkeit“), teils beruhen<br />
sie auf mangeln<strong>der</strong> Sachkenntnis (insbeson<strong>der</strong>e<br />
bezüglich <strong>der</strong> „Natürlichkeit“ anthropogener<br />
Vegetationstypen), auf unzulässiger Verallgemeinerung<br />
von Beispielen aus an<strong>der</strong>en Florengebieten<br />
o<strong>der</strong> auch auf unbewußter Einbeziehung<br />
ökonomischer Gesichtspunkte. Wie<br />
unsachlich hier zuweilen argumentiert wird,<br />
zeigt sich darin, daß oft einerseits <strong>der</strong> Rückgang<br />
alter, archäophytischer Anthropochoren (z. B.<br />
Ackerunkräuter) beklagt und an<strong>der</strong>erseits zugleich<br />
die Bekämpfung sich neu einbürgern<strong>der</strong><br />
Arten gefor<strong>der</strong>t wird. Da die von nichteinheimischen<br />
Pflanzenarten angeblich drohenden<br />
Gefahren in Deutschland sogar schon zu Bestrebungen<br />
geführt haben, das Anpflanzen ausländischer<br />
Zierpflanzen in Gärten zu verbieten<br />
(!), erscheint die nähere Diskussion einiger oft<br />
zitierter Beispiele notwendig.<br />
Beson<strong>der</strong>s auffallend ist die <strong>der</strong>zeitige Ausbreitung<br />
mancher Ausläufer- und Polykormpflanzen in <strong>der</strong><br />
Vegetation, wie Polygonum cuspidatum aus Japan und<br />
Solidago canademis/gigantea aus Nordamerika. Beide<br />
Sippen sind seit langem eingebürgert; eine beson<strong>der</strong>s<br />
starke Zunahme zeigen sie aber in den letzten Jahrzehnten.<br />
Grund dafür ist u. a. die zunehmende Verbrachung<br />
von Grünland, wodurch Arten dieses Ausbreitungstyps<br />
begünstigt werden: auch die einheimische<br />
Urtica dioica bildet nicht selten große Reinbestände,<br />
ebenso auf geeigneten Böden Calamagrostis epigejos.<br />
Natürlich werden durch solche aggressiven Arten -<br />
ob einheimisch o<strong>der</strong> neophytisch - an<strong>der</strong>e zurückgedrängt,<br />
allerdings werden sie nur selten ganz eliminiert.<br />
Und da es sich um anthropogene Vegetation<br />
handelt, sind die jetzt beeinträchtigten Arten meist<br />
solche, die früher durch den Menschen wirtschaftsbedingt<br />
geför<strong>der</strong>t wurden. Die Ausbreitung von<br />
Polykormstauden ist nichts weiter als ein Stadium <strong>der</strong><br />
in Richtung auf die potentielle natürliche Vegetation<br />
(d. h. den Wald) verlaufenden Verbrachungssukzession.<br />
Zwar können starkwüchsige Polykormpflanzen<br />
das Aufkommen von Gehölzen verzögern (die<br />
einheimische Calamagrostis epigejos ist bei den Forstleuten<br />
als Verjüngungshin<strong>der</strong>nis berüchtigt), auf die<br />
Dauer würde aber <strong>der</strong> Wald doch die Oberhand gewinnen.<br />
Und wenn Arten wie Polygonum cuspidatum<br />
gelegentlich in naturnahen Wäl<strong>der</strong>n auftreten, werden<br />
sie durch die Beschattung so reduziert, daß sie die<br />
an<strong>der</strong>en Waldarten kaum beeinträchtigen.<br />
Eine an<strong>der</strong>e Art, die off als nachteilig für die mitteleuropäische<br />
Vegetation hingestellt wird, ist <strong>der</strong> nordamerikanische<br />
Helianthus tuberosus. Er neigt zur Ausbreitung<br />
in Flußauen, oft in Konkurrenz mit Urtica<br />
dioica. Höherwüchsig als diese, kann er die Brennessel<br />
überwachsen und zurückdrängen (vgl. Lohmeyer<br />
1971). Im Gegensatz zu den Rhizomen von Urticasmd<br />
seine zahlreichen Ausläufer kurzlebig und verrotten<br />
im Herbst, nur die Uberwinterungsknollen bleiben erhalten.<br />
Während t/rftc
Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Pflanzenverbreitung 83<br />
^ « t -■ «k ^ ^ ^<br />
Abb. 33 : Bestand von Impatiens noütangere<br />
in einer feuchten Waldmulde,<br />
vor (A) und nach (B) <strong>der</strong> Einwan<strong>der</strong>ung<br />
von I. parvißora, schematisch.<br />
Schließlich ist noch eine Gehölzart zu erwähnen, die<br />
sich in Norddeutschland mancherorts massenhaft eingebürgert<br />
hat und zum „Forstunkraut“ geworden ist,<br />
nämlich die nordamerikanische Prunus serótina. In ihrer<br />
Heimat kann sie in Sommerwäl<strong>der</strong>n auf reichen<br />
Böden als langlebige Pionierholzart ein großer Baum<br />
werden. Sie wurde zu Anfang des Jahrhun<strong>der</strong>ts als<br />
Unterbau in Kiefernforsten auf armen Sandböden eingebracht,<br />
teils als Wildfutter, teils zur „Bodenverbesserung“.<br />
Auf solchen Standorten erreicht sie keine<br />
großen Höhen, beginnt aber sehr früh reichlich zu<br />
fruchten und kann sich mit Hilfe <strong>der</strong> Vögel rasch ausbreiten.<br />
Sie bildet heute vielfach Unterholz-Dickichte,<br />
die die Verjüngung <strong>der</strong> Kiefern vollständig unmöglich<br />
machen. Forstlich gesehen ist sie daher äußert<br />
unerwünscht und muß bekämpft werden. In ökologischer<br />
Hinsicht ist ihr Verhalten insofern interessant,<br />
als hier die Verjüngungssukzession des mitteleuropäischen<br />
Waldes durch das Hinzutreten einer neuen Art<br />
stark modifiziert worden ist. Prunus serótina baut das<br />
erste, von <strong>der</strong> Kiefer gebildete Pionierstadium (das die<br />
Forstwirtschaft aus wirtschaftlichen Gründen dauernd<br />
zu erhalten sucht) ab und leitet so die Sukzession zum<br />
potentiellen natürlichen Laubwald ein, in dem sie<br />
wahrscheinlich auch auf die Dauer einen festen Platz<br />
(als Agriophyt) haben dürfte. Eine Gefährdung alteinheimischer<br />
Arten ist damit jedoch nicht verbunden.<br />
Um noch einmal zu resümieren: in Mitteleuropa<br />
gibt es keine Gefährdung idiochorer Pflanzenarten<br />
durch Anthropochoren. Die nicht nur<br />
endemitenfreie, son<strong>der</strong>n auch insgesamt relativ<br />
arme einheimische Flora besteht aus Sippen, die<br />
ihre Konkurrenzstärke in <strong>der</strong> Vergangenheit<br />
dadurch bewiesen haben, daß sie nach mindestens<br />
Smaliger Eliminierung aus Mitteleuropa<br />
während <strong>der</strong> Eiszeiten immer wie<strong>der</strong> die Wie<strong>der</strong>besiedlung<br />
bewerkstelligt haben (viele konkurrenzschwache<br />
Sippen waren hierzu nicht fähig).<br />
Die heutige Einbürgerung bzw. Ausbreitung<br />
mancher Neophyten ist nur einer von vielen<br />
Schritten im Zuge <strong>der</strong> anthropogenen Fluktuation<br />
von Flora und Vegetation (Näheres hierzu<br />
vgl. S. 404).
II Pflanzengeographische Einteilung<br />
<strong>der</strong> Erde<br />
Wie ganz zu Anfang betont, ist die Vielfalt des<br />
Pflanzenkleides <strong>der</strong> Erde Ergebnis <strong>der</strong> Kombination<br />
zweier Variablen: <strong>der</strong> Umwelteinflüsse<br />
und <strong>der</strong> vorhandenen pflanzlichen Bausteine.<br />
Dementsprechend lassen sich im globalen Maßstab<br />
drei unterschiedliche Glie<strong>der</strong>ungen aufstellen:<br />
eine ökologische (d. h. großklimatische),<br />
eine floristische sowie die aus Komponenten<br />
bei<strong>der</strong> resultierende, insgesamt komplexere vegetationskundliche.<br />
Bei <strong>der</strong> Diskussion <strong>der</strong> globalen<br />
Glie<strong>der</strong>ungen beschränken wir uns hier auf<br />
Flora und Vegetation <strong>der</strong> Landoberfläche; zur<br />
Pflanzenwelt des Meeres vgl. S. 385.<br />
Die großklimatische Glie<strong>der</strong>ung ist nicht<br />
selbst Gegenstand <strong>der</strong> <strong>Pflanzengeographie</strong>; sie<br />
bildet vielmehr den Hintergrund für die kausale<br />
Erklärung <strong>der</strong> beiden pflanzengeographischen<br />
Klassifikationen. Die floristische Einteilung, mit<br />
ihrer höchsten Kategorie <strong>der</strong> Florenreiche, ist<br />
wenig problematisch und hat sich daher seit langem,<br />
von unwesentlichen Einzelheiten abgesehen,<br />
kaum verän<strong>der</strong>t.<br />
Kontroverser sind die Ansichten über die<br />
Vegetationsglie<strong>der</strong>ung. Das ist nicht verwun<strong>der</strong>lich:<br />
im Gegensatz zur Floristik, in <strong>der</strong> es um<br />
die räumliche Verteilung klar umrissener Pflanzensippen<br />
geht, lassen sich die Vegetationstypen<br />
bzw. -phasen, die Subjekte und Kriterien <strong>der</strong><br />
Gliedemng sein sollen, sehr unterschiedlich definieren.<br />
Geht man vom aktuellen Zustand <strong>der</strong> Vegetationsdecke<br />
<strong>der</strong> Erde aus, so kann man vier<br />
verschiedene Ebenen mit zunehmendem Abstraktionsgrad<br />
etablieren (vgl. auch S. 65, 70):<br />
(1) die aktuelle Vegetation<br />
(2) die potentielle natürliche Vegetation (abstrahiert<br />
von den Einflüssen des Menschen)<br />
(3) die klimatische Klimax (abstrahiert von <strong>der</strong><br />
Wirkung edaphischer Unterschiede)<br />
(4) das Klima als <strong>der</strong>en Grundlage (abstrahiert<br />
von <strong>der</strong> Vegetation selbst).<br />
Alle vier Abstraktionsniveaus sind schon für die<br />
Darstellung <strong>der</strong> Vegetationsglie<strong>der</strong>ung benutzt<br />
worden, z. T. auch in vermischter Form. So zeigen<br />
rein geographische Werke (z. B. Schulatlanten)<br />
nicht selten eine Mischung von (1) und (2)<br />
o<strong>der</strong> (3); lokale und regionale Vegetationsmonographien<br />
wenden sinnvollerweise das Niveau<br />
(2) an. Das vierte Niveau, bei dem die Vegetation<br />
selbst eliminiert ist, begründet eine<br />
nicht mehr pflanzengeographische, son<strong>der</strong>n rein<br />
ökologische Einteilung (siehe oben). Für die globale<br />
Vegetationsglie<strong>der</strong>ung vom botanischen<br />
Standpunkt her ist allein die klimatische Klimax<br />
(3) die angemessene Grundlage.<br />
Auch wenn man diesem Grundsatz folgt, wie<br />
es im vorliegenden Text <strong>der</strong> Fall ist, sind noch<br />
recht unterschiedliche Interpretationen möglich.<br />
Im Gegensatz zur floristischen Einteilung, die<br />
nur referiert zu werden braucht, erscheint es<br />
daher sinnvoll, die hier zugrundegelegte Vegetationsglie<strong>der</strong>ung<br />
im einzelnen zu entwickeln<br />
und zu begründen.<br />
Von den beiden Komponenten, die die globale<br />
Diversität <strong>der</strong> Pflanzendecke bedingen, resultiert<br />
die erste, die ökologische, aus den aktuellen<br />
Bedingungen abiotischer Natur. Hingegen<br />
ist die floristische Komponente nicht allein aktuell<br />
zu erklären, son<strong>der</strong>n nur als Ergebnis <strong>der</strong><br />
erdgeschichtlichen Entwicklung, d. h. <strong>der</strong> Evolution<br />
und Ausbreitung <strong>der</strong> Landpflanzen im<br />
Zusammenhang <strong>der</strong> geologischen Verän<strong>der</strong>ungen<br />
von Landoberfläche und Klima. Nach <strong>der</strong><br />
Vorstellung <strong>der</strong> aktuellen Floren- und Vegetationsglie<strong>der</strong>ung<br />
wird deshalb in einem abschließenden<br />
Kapitel ein kurzer Abriß dieser paläökologischen<br />
Hintergründe gegeben.<br />
Daß in verschiedenen Erdgegenden unterschiedliche<br />
Pflanzensippen und Vegetationstypen<br />
Vorkommen, ist <strong>der</strong> Menschheit schon<br />
von Anbeginn bekannt. Eine wissenschaftliche<br />
Analyse dieser Unterschiede im globalen Rahmen<br />
wurde aber erst durch die Entwicklung <strong>der</strong><br />
mo<strong>der</strong>nen Taxonomie und die Entschleierung<br />
immer größerer Teile <strong>der</strong> Erde möglich. So begann<br />
die historische Entwicklung <strong>der</strong> wissenschaftlichen<br />
<strong>Pflanzengeographie</strong> gegen Anfang
86 Pflanzengeographische Einteilung <strong>der</strong> Erde<br />
Tab. 20: Beispiele für pflanzengeographisehe Glie<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Erde seit 1800.<br />
K = Mit Kartendarstellung.<br />
Autor Florengebiete Formationen V egetationsgebiete K<br />
T reviranus 1803 8 Hauptfloren -<br />
A.P. Decandolle 1821 20 Kégions botaniques -<br />
ScHOuw 1823 22 pflanzengeogr. Keiche ■f<br />
A. D ecandolle 1835 45 Régions botaniques -<br />
Meyen 1836<br />
8 pflanzengeogr. Zonen<br />
je Hemisphäre<br />
Martius 1838/53 51 Florae Imperia +<br />
Grisebach 1872 24 Natürliche Floren 24 Vegetations-<br />
Gebiete<br />
Engler 1882 4 Florenreiche (ebenso 14 physiologische +<br />
noch bis 1936)<br />
Pflanzengruppen<br />
D rude 1884/87/90<br />
4 Florenreichsgruppen<br />
mit 14 Florenreichen<br />
Drude 1886/90 6 Vegetationszonen +<br />
SCHIMPER 1898<br />
13 Formationstypen<br />
+<br />
D elpino 1898 21 Florengebiete -<br />
Drude 1906<br />
Brockmann-Jerosch<br />
& Kübel 1912<br />
14 Formationsklassen -<br />
Drude 1913 11 Vegetationstypen -<br />
Kiku 1913 6 Florenreiche 6 Vegetationszonen -<br />
D iels 1918 6 Florenreiche +<br />
Brockmann-Jerosch<br />
1919<br />
9 Formationsgruppen +<br />
Kübel 1930 9 Formationsklassen +<br />
G ood 1953 6 Floristic Kingdoms 8 Vegetation Zones +<br />
mit 37 Floristic Regions<br />
je Hemisphäre<br />
Mattick 1954<br />
Meusel etc. 1965<br />
Ellen BERG &<br />
Müller-Dombois 1966<br />
6 Florenreiche mit<br />
43 Florengebieten<br />
-I-<br />
6 Florenreiche und,<br />
-1-<br />
davon unabhängig,<br />
10 Florenzonen -1<br />
7 Formationsklassen<br />
SCHMITHÜSEN 1968 8 Formationsklassen 9 Vegetationsgürtel -<br />
W alter 1968 11 Vegetationstypen (z. T. auch Zonen<br />
genannt)<br />
Laubenfels 1975 4 Florenreiche -1-<br />
Walter 1976 9 Zonobiome +<br />
-<br />
+<br />
+<br />
-<br />
25 Pflanzenformationen<br />
+
Pflanzengeographische Einteilung <strong>der</strong> Erde 87<br />
des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts. Dahei mußte man sich erst<br />
nach und nach über die Unterschiede zwischen<br />
Flora und Vegetation, zwischen biologischen<br />
(Vegetationstypen) und hiogeographischen Einheiten<br />
(Floren- bzw. Vegetationsgebieten), sowie<br />
über die erwähnten Abstraktionsniveaus klar<br />
werden.<br />
Gemeinhin gilt Alexan<strong>der</strong> von H umboldt<br />
als „Vater <strong>der</strong> <strong>Pflanzengeographie</strong>“. Aus <strong>der</strong> Verknüpfung<br />
<strong>der</strong> vielen zu Anfang des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />
bereits bekannten Einzeltatsachen (vgl.<br />
ScHMiTHüSEN 1985) mit den Erfahrungen seiner<br />
5jährigen Tropenreise entstanden seine<br />
grundlegenden Schriften (1805, 1806, 1807), in<br />
denen viele wichtige Aspekte des Zusammenhanges<br />
zwischen Klima, Geomorphologie, Flora<br />
und Vegetation erstmals in logischer Klarheit<br />
formuliert sind. Allerdings hat H umboldt nicht<br />
versucht, selbst eine weltweite Glie<strong>der</strong>ung zu<br />
entwerfen.<br />
Wie die anliegende Zusammenstellung (Tab.<br />
20) zeigt, erschienen aber bereits im ersten Drittel<br />
des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts mehrere solche Einteilungen.<br />
Diese ersten Versuche waren naturgemäß<br />
vorwiegend floristischer Art. Die Erarbeitung<br />
echt vegetationskundlicher Glie<strong>der</strong>ungen<br />
konnte erst wesentlich später beginnen, da als<br />
notwendige Voraussetzung hierfür zunächst<br />
kartierbare Vegetationstypen definiert werden<br />
mußten. Obwohl schon H umboldt durch seine<br />
Liste physiognomischer Lebensformen (1806)<br />
eine Grundlage hierfür geliefert und G risebach<br />
1838 den Begriff <strong>der</strong> „pflanzengeographischen<br />
Formation“ geschaffen hatte, -wurde ein umfassendes<br />
System von Pflanzenformationen erst im<br />
letzten Drittel des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts entwickelt.<br />
Möglicherweise erschien eine solche, auf Gestaltbegriffen<br />
aus dem allgemeinen Sprachgebrauch<br />
bemhende Klassifikation vielen vorwiegend taxonomisch<br />
orientierten Botanikern <strong>der</strong> damaligen<br />
Zeit zu wenig wissenschaftlich. Ihr Erscheinen<br />
brachte dann aber sehr rasch den Durchbmch<br />
zur Aufstellung natürlicher Vegetationsgebiete.<br />
Schon einige Jahre vor H umboldt hatte T reviranus<br />
einen umfangreichen Aufsatz (1803: 44-<br />
136) über die „Geographische Verbreitung <strong>der</strong><br />
Pflanzen“ veröffentlicht. Hierin unterteilt er die<br />
Erde in 8 „Hauptfloren“, d. h. geographische<br />
Gebiete, die durch ihre mutmaßlich wichtigsten<br />
Pflanzengattungen und -familien charakterisiert<br />
werden. Diese älteste Einteilung zeigt bereits erstaunliche<br />
Ähnlichkeiten mit heute üblichen floristischen<br />
und vegetationskundlichen Gliedemngen.<br />
Ihre Einheiten heißen (in Klammern <strong>der</strong><br />
ungefähre Umfang):<br />
1.<br />
2.<br />
3.<br />
Nordische Flor (alle Län<strong>der</strong> <strong>der</strong> Alten und<br />
Neuen Welt nördlich von etwa 50°N)<br />
Morgenländische Flor, noch unterteilt in:<br />
Levantische (etwa Mittelmeergebiet)<br />
Tatarische (S-Sibirien, Turkestan, Tibet)<br />
Japanische (Japan, N-China)<br />
Virginische Flor (N-Amerika etwa von 50°N<br />
bis 35°N)<br />
Abb. 34: SCHOUWS Karte <strong>der</strong> Pflanzengeographischen Reiche von 1823.
88 Pflanzengeographische Einteilung <strong>der</strong> Erde<br />
4. Afrikanische Flor (Afrika südlich des Atlas)<br />
5. Ostindische Flor (Indien, Indochina, S-China,<br />
Indonesien)<br />
6 . Westindische Flor (Wärmeres Amerika, etwa<br />
zwischen 35°N und 35°S)<br />
7. Austrasische Flor (Australien und Südseeinseln)<br />
8 . Antarktische Flor (Chile, Paraguay (?), Feuerland,<br />
Neuseeland).<br />
Gegenüber dieser recht übersichtlichen Glie<strong>der</strong>ung<br />
zeigen die nächstfolgenden eine rasche<br />
Zunahme <strong>der</strong> Zahl <strong>der</strong> Einheiten. So unterscheidet<br />
A. P. Decandolle 1821 20 geographisch benannte<br />
„Régions botaniques“, und Schouw<br />
1823 22 „pflanzengeographische Reiche“. Diese<br />
benennt er großenteils nach für charakteristisch<br />
gehaltenen Pflanzensippen und bildet sie<br />
auf <strong>der</strong> ersten pflanzengeographischen Weltkarte<br />
ab (Abb. 34). Bei A. D ecandolle (1835) hat sich<br />
die Zahl <strong>der</strong> Régions botaniques bereits auf 45<br />
vermehrt, und bei Martius (1838/53) sind es<br />
51 „Florae Imperia“.<br />
Kritik an den bisherigen floristischen Gliedemngen<br />
übt 1836 Meyen. Er meint, eine richtige<br />
„pflanzenstatistische“ Einteilung <strong>der</strong> Erde<br />
würde erst möglich sein, „wenn die größte Anzahl<br />
<strong>der</strong> Pflanzen für alle Län<strong>der</strong> bekannt sein<br />
wird“; hingegen könne man auf Grund physiognomischer<br />
Kriterien leicht eine geographische<br />
Einteilung <strong>der</strong> Pflanzendecke vornehmen. Er<br />
präsentiert dann 17 „pflanzengeographische Zonen“,<br />
die durch die Vegetation charakterisiert<br />
seien; in Wirklichkeit sind sie aber allein durch<br />
Breitengrade und mittlere Jahrestemperaturen<br />
definiert, es handelt sich also um eine rein ökologische<br />
(z. T. sogar nur mathematisch-geographische)<br />
Klassifikation. Von ähnlichem, rein<br />
abiotisch definiertem Charakter sind auch die 9<br />
„Zones“ von B entham (1832/36) und die 11<br />
„Divisions“ von Pickering (1856/76), auf die diese<br />
Autoren ihre inzwischen bereits 61 bzw. 150<br />
„Floristic Regions“ verteilen.<br />
Der Übergang zu mo<strong>der</strong>nen Sichtweisen beginnt<br />
dann mit Grisebachs Werk „Die Vegetation<br />
<strong>der</strong> Erde nach ihrer klimatischen Anordnung“<br />
(1872). In etwa auf die alten Einheiten<br />
von Schouw und A. P. Decandolle zurückgreifend,<br />
unterscheidet er 24 „Natürliche Floren“,<br />
die aber auf <strong>der</strong> beigegebenen, schon 1866 erstmals<br />
veröffentlichten Karte „Vegetations-Gebiete“<br />
heißen. Tatsächlich kennt er noch keine Trennung<br />
zwischen den Begriffen Flora und Vegetation<br />
im heutigen Sinne. Seine Einheiten werden<br />
jedoch gekennzeichnet als Gebiete, „in <strong>der</strong>en<br />
Bereich die Pflanzenformen und ihre Anordnung<br />
einen gewissen Grad von Gleichartigkeit<br />
erkennen lassen... Jede natürliche Flora ist<br />
so darzustellen, daß zuerst die Vegetationsformen<br />
und ihre Anordnung zu Formationen<br />
als vom Klima abhängig nachgewiesen... werden“.<br />
Damit sind sie eindeutig vegetationskundlich<br />
definiert, und zugleich wird das Klima<br />
hier, an<strong>der</strong>s als bei Meyen usw., nicht selbst<br />
als Einteilungsprinzip, son<strong>der</strong>n als kausaler Hintergrund<br />
<strong>der</strong> Vegetationsglie<strong>der</strong>ung betrachtet,<br />
wie es auch nach heutiger Auffassung adäquat<br />
ist. Jedoch hat er noch keine prononcierte Liste<br />
solcher Formationen zusammengestellt, und infolgedessen<br />
kann er Hinweise auf die Verbreitung<br />
<strong>der</strong>selben Formation in verschiedenen Vegetationsgebieten<br />
nur andeutungsweise geben<br />
(z. B. durch Verwendung jeweils <strong>der</strong>selben Farben<br />
für die Vegetationsgebiete 2 und 12, 3 und<br />
14 sowie 4 und 13 auf <strong>der</strong> Karte).<br />
Die in G risebachs Werk noch sichtbaren<br />
Unvollkommenheiten wurden schon bald von<br />
seinen wissenschaftlichen Nachfolgern, Engler<br />
und Drude, beseitigt. Ihr Verdienst ist zunächst<br />
die klare begriffliche Unterscheidung zwischen<br />
„Flora“ und „Vegetation“ und ebenso zwischen<br />
Vegetationstypen und Vegetationsgebieten. So<br />
konnten von nun an die floristische und die<br />
vegetationskundliche Glie<strong>der</strong>ung unabhängig<br />
voneinan<strong>der</strong> weiterentwickelt werden.
A Floristische Glie<strong>der</strong>ung<br />
Ausgangspunkt für die heute übliche floristische<br />
Einteilung <strong>der</strong> Erde ist die Arbeit von Engler<br />
(1882). Aufgrund einer umfassenden Analyse <strong>der</strong><br />
Weltflora, unter Einbeziehung <strong>der</strong> damals schon<br />
in recht großer Menge bekannten Tertiär-Fossilien,<br />
beseitigte er die überkommene Inflation<br />
<strong>der</strong> floristischen Einheiten und reduzierte ihre<br />
Zahl auf etwa 30 „Florengebiete“. Diese faßte er<br />
zu 4 „Florenreichen“ zusammen; in beiden<br />
Rangstufen sind die Abgrenzungen rein floristisch<br />
definiert. Trotzdem entsprechen die Florenreiche<br />
recht gut <strong>der</strong> großklimatischen Differenzierung<br />
<strong>der</strong> Erde: je ein gürtelförmiges, die<br />
ganze Erde umspannendes Reich umfaßt die<br />
nördliche und die südliche extratropische Zone;<br />
nur die tropische Zone ist in 2 Reiche, ein altund<br />
ein neuweltliches, unterteilt.<br />
Auf dieser Grundlage hat es in <strong>der</strong> Folgezeit<br />
nur relativ wenige Än<strong>der</strong>ungen gegeben (Tab.<br />
21). Die einzige wirklich wichtige war die von<br />
Rikli (1913), <strong>der</strong> von dem südlich-extratropischen<br />
Florenreich zwei Teile, Australien und das<br />
Kapland, als eigene Reiche abtrennte, so daß<br />
seither 6 Florenreiche unterschieden werden.<br />
Ansonsten gibt es nur geringe Meinungsverschiedenheiten,<br />
z. B. bezüglich <strong>der</strong> Zahl <strong>der</strong><br />
Florenregionen (in deutscher Literatur oft mit<br />
dem unspezifischen Begriff Florengebiete benannt)<br />
und -provinzen (letztere werden aber<br />
nicht in allen globalen Darstellungen mit aufgeführt,<br />
vgl. Tab. 2 1 ). Umstritten ist an einigen<br />
Stellen die Abgrenzung <strong>der</strong> Florenreiche; Näheres<br />
hierzu in <strong>der</strong> folgenden Einzeldarstellung.<br />
In dieser werden zunächst die Einheiten näher<br />
Umrissen; es folgt dann eine Analyse <strong>der</strong> Weltflora<br />
im Hinblick auf charakteristische Verbreitungsmuster<br />
bezüglich <strong>der</strong> Florenreiche.<br />
'I<br />
Die Florenreiche und<br />
Florenregionen<br />
Wenn es um die weltweite Florenglie<strong>der</strong>ung<br />
geht, wird im deutschen Sprachraum gewöhnlich<br />
die Klassifikation von Mattick (1964) angewendet,<br />
von <strong>der</strong> wir auch hier ausgehen. Wichtige<br />
Detailän<strong>der</strong>ungen hierzu haben in jün-gerer<br />
Zeit Tachtadzian (1969, 1978) sowie Meu-Sel<br />
etc. (1965,1992) vorgeschlagen. Dabei neigt ersterer<br />
zu einer Verringerung <strong>der</strong> Zahl <strong>der</strong> Florenregionen,<br />
während letztere, die allerdings nur<br />
den eurasiatischen Teil <strong>der</strong> Holarktis bearbeitet<br />
haben, eher eine starke Aufsplitterung vertreten.<br />
In <strong>der</strong> hier vorgeführten Glie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Landflora<br />
(Abb. 35, Tab. 22) ist versucht worden, die<br />
zwischen den drei Konzepten bestehenden Differenzen<br />
in möglichst sinnvoller Weise auszugleichen.<br />
Die genannten Autoren M eusel etc. haben übrigens<br />
außer ihren Vorschlägen zur Än<strong>der</strong>ung traditioneller<br />
Florenregionen durch die Aufstellung <strong>der</strong> schon erwähnten<br />
„Florenzonen“ (S. 53) ein neues Element in<br />
die floristische <strong>Pflanzengeographie</strong> eingebracht. Von<br />
<strong>der</strong> Absicht her floristisch angelegt, sind diese Zonen<br />
doch in Wirklichkeit ebenso stark vegetationskundlich<br />
bestimmt und werden deshalb im Zusammenhang mit<br />
den Vegetationszonen noch einmal diskutiert (S. 112).<br />
Hier zeigt sich eine gewisse, nicht unberechtigte Wie<strong>der</strong>annäherung<br />
zwischen beiden Betrachtungsweisen,<br />
die sich seit <strong>der</strong> ENGLERschen Trennung manchmal<br />
etwas zu stark voneinan<strong>der</strong> entfernt hatten.<br />
Bei <strong>der</strong> Besprechung <strong>der</strong> einzelnen floristischen<br />
Einheiten werden im folgenden vielfach vegetationskundliche<br />
Fakten zur Charakterisierung<br />
mit herangezogen. Man könnte sich dabei die<br />
Frage stellen, ob die Unterscheidung zwischen<br />
Floren- und Vegetations-Glie<strong>der</strong>ung überhaupt<br />
notwendig sei, denn floristische und vegetationskundliche<br />
Grenzen sind tatsächlich oft<br />
identisch. Doch ist das keineswegs immer <strong>der</strong><br />
Fall, denn es besteht doch ein grundsätzlicher<br />
Unterschied. Vegetationsgrenzen beziehen sich<br />
stets auf die klimatische Klimaxvegetation, floristische<br />
hingegen auf die gesamte Flora, d. h.<br />
auch auf diejenige, die die Nichtklimax-Vegetationstypen<br />
aufbaut. Grenzt etwa ein Waldgebiet<br />
an ein Steppengebiet (vgl. Abb. 28, S. 61),<br />
so kann an trockenen Son<strong>der</strong>standorten im Bereich<br />
des Waldes extrazonal die lichtliebende<br />
Steppenflora Vorkommen, während umgekehrt<br />
an feuchten Standorten in <strong>der</strong> Steppe die Waldflora<br />
auftritt; azonale Standortstypen (Felsen,<br />
Gewässer) unterscheiden sich in beiden Gebieten<br />
möglicherweise überhaupt nicht. So kann<br />
in summa die Flora zweier Gebiete mit ganz unterschiedlicher<br />
Klimaxvegetation weitgehend<br />
identisch sein. Dementsprechend umfassen viele<br />
Florenregionen Klimaxgebiete verschiedener<br />
Vegetationstypen.<br />
I. Holarktisches Florenreich. In früherer Zeit<br />
(zuletzt noch bei Good 1953) auch als Boreales<br />
Florenreich bezeichnet, danach z. T. noch heute<br />
bei manchen Geographen (<strong>der</strong> Terminus
90 Floristische Glie<strong>der</strong>ung<br />
Tab. 21: Floristische Großglie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Erde seit Engler 1882.<br />
Abkürzungen: FR = Florenreich, FRg = Florenregion, FPr = Florenprovinz<br />
Engler 1882(11)<br />
32 FRg („Gebiete“)<br />
Engler 1904<br />
27 FRg („Gebiete“)<br />
Riku 1913 Good 1953<br />
36 FRg („Regions“)<br />
1. Nördliches Extratropisches<br />
FR<br />
9 FRg, 41 FPr<br />
I. Nördliches Extratropisches<br />
o<strong>der</strong><br />
Boreales FR<br />
9 FRg, 45 FPr<br />
I. Holarktisches FR<br />
= Holarktis<br />
Boreal Kingdom<br />
8 FRg, 45 FPr<br />
3. Südamerikanisches<br />
FR<br />
5 FRg, 13 FPr<br />
III. Zentral- und<br />
südamerikanisches<br />
FR<br />
5 FRg, 15 FPr<br />
III. Neotropisches<br />
FR<br />
= Neotropis<br />
Neotropical K.<br />
7 FRg, 18 FPr<br />
2. Paläotropisches FR<br />
o<strong>der</strong> Tropisches FR<br />
<strong>der</strong> Alten Welt<br />
10 FRg, 19 FPr<br />
II. Paläotropisches FR<br />
8 FRg, 26 FPr<br />
II. Paläotropisches FR<br />
= Paläotropis<br />
Palaeotropical K.<br />
(3 Subkingdoms)<br />
15 FRg, 46 FPr<br />
4. Altoceanisches FR<br />
8 FRg, 12 FPr<br />
' IV. Australes (Altozeanisches)<br />
FR<br />
5 FRg, 10 FPr<br />
IV. Kapländisches FR<br />
= Capensis<br />
South African K.<br />
1 FRg, 1 FPr<br />
V. Australisches FR<br />
= Australis<br />
Australian K.<br />
3 FRg, 8 FPr<br />
VI. Antarktisches FR<br />
= Antarktis<br />
Antarctic K.<br />
3 FRg, 10 FPr<br />
Boreal sollte aber zur Vermeidung von Mißverständnissen<br />
jetzt auf die entsprechende Vegetationszone<br />
bzw. Florenregion, s. unten, beschränkt<br />
werden). Als nördlich-extratropisches<br />
Gürtelreich reicht die Holarktis nach S etwa bis<br />
an die ökologische Tropengrenze, d. h. ihre<br />
Grenze ist ± identisch mit <strong>der</strong> zwischen <strong>der</strong><br />
Meridionalen und <strong>der</strong> Tropischen Vegetationszone<br />
(S. 111). Diese Grenze ist in den humiden<br />
Gebieten an den Ostseiten <strong>der</strong> Kontinente (O-<br />
Nordamerika, China) klar definiert, ebenso in<br />
Gebieten, wo das Temperaturgefälle durch Gebirge<br />
verstärkt wird (Mexiko, Himalaja). Schwierigkeiten<br />
bietet ihre Plazierung aber in den großen<br />
altweltlichen Trockengebieten (Näheres hierzu<br />
bei <strong>der</strong> Florenregion 9).<br />
Während die Holarktis bisher nur in Florenregionen<br />
(FRg) unterteilt wurde, schlägt T achtad2ian (1969)<br />
oberhalb dieser Ebene eine Glie<strong>der</strong>ung in 3 Unterreiche<br />
vor. Danach bilden die FRg 1-3, 5, 6 und 11<br />
das „Boreale“ (zu diesem Namen s. oben), die FRg 4<br />
das „Madrische“ und die FRg 7-10 das „Tethys“- o<strong>der</strong><br />
„Mesogäische“ Unterreich, d. h. das erste enthält im<br />
wesentlichen die humiden, die beiden an<strong>der</strong>en die<br />
nicht-humiden Teile <strong>der</strong> Holarktis.<br />
Holarktis und Paläotropis sind die vielgestaltigsten<br />
Florenreiche. Während das bei letzterer<br />
durch die starke geomorphologische Zersplitterung<br />
bedingt ist, ist es bei <strong>der</strong> Holarktis Folge<br />
<strong>der</strong> ökologischen Differenzierung: umfaßt sie<br />
doch 4 thermische Vegetationszonen (Arktisch<br />
bis Meridional). Diese sind zugleich eine zweite
Die Florenreiche und Florenregionen 91<br />
Fortsetzung Tab. 21: Floristische Großglie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Erde seit Engler 1882.<br />
Mattick 1964<br />
Tachtadzian 1969<br />
Tachtadzian 1978<br />
Laubenfels 1975<br />
43 FRg<br />
(„Florengebiete“)<br />
37 FRg<br />
(„Regions“)<br />
34 FRg<br />
(„Obiasti“)<br />
1. Holarktisches FR<br />
11 FRg<br />
I. Holarctic Kingdom<br />
(3 Subkingdoms)<br />
9 FRg<br />
I. Golarkticeskoe<br />
Carstvo<br />
= Holarctis<br />
(3 Podcarstva)<br />
9 FRg, 63 FPr<br />
Holarctic Realm<br />
(3 Subrealms)<br />
III. Neotropisches FR<br />
7 FRg<br />
III. Neotropical K.<br />
7 FRg<br />
111. Neotropiceskoe C.<br />
= Neotropis<br />
5 FRg, 13 FPr<br />
Neotropical R.<br />
(2 Subrealms)<br />
II. Paläotropisches FR<br />
(3 Unterreiche)<br />
17 FRg<br />
11. Paleotropical K.<br />
(5 Subkingdoms)<br />
14 FRg<br />
11. Paleotropiceskoe C.<br />
= Palaeotropis<br />
(5 Podcarstva)<br />
12 FRg, 48 FPr<br />
Paleotropical R.<br />
(nur Afrika)<br />
(2 Subrealms)<br />
Austromalesian R.<br />
(Humid Austromalesian<br />
Subrealm)<br />
IV. Kapländisches FR<br />
1 FRg<br />
III. Cape K.<br />
IFRg<br />
IV. Kapskoe C.<br />
= Capensis<br />
1 FRg, 1 FPr<br />
(Cape Subrealm)<br />
V. Australisches FR<br />
3 FRg<br />
V. Australian K.<br />
3 FRg<br />
V. Avstralijskoe C.<br />
= Australis<br />
3 FRg, 6 FPr<br />
(Australian Subrealm)<br />
VI. Antarktisches FR<br />
(2 Unterreiche)<br />
4 FRg<br />
VI. Antarctic K.<br />
3 FRg<br />
VI. Golantarkticeskoe C.<br />
= Holantarctis<br />
4 FRg, 16 FPr<br />
(Antarctic Subrealm)<br />
Ebene oberhalb <strong>der</strong> FRg, auf die sich die Verbreitung<br />
vieler holarktischer Florenelemente<br />
beziehen läßt; bei <strong>der</strong> Besprechung <strong>der</strong> zugehörigen<br />
Klimaxdomänen und Vegetationsregionen<br />
wird auf die entsprechenden Arealtypen eingegangen.<br />
Die Unterteilung <strong>der</strong> Holarktis in FRg wurde<br />
gerade in jüngerer Zeit etwas unterschiedlich gehandhabt.<br />
In Tab. 23 (S. 94) ist deshalb die hier<br />
benutzte Glie<strong>der</strong>ung den Meinungen einiger an<strong>der</strong>er<br />
Autoren vergleichend gegenübergestellt.<br />
1. Arktische Florenregion. Umfaßt die gesamte<br />
arktische Tundrenzone, <strong>der</strong>en Flora rings um<br />
den Nordpol auch auf Artniveau sehr einheitlich<br />
ist. Mit einzubeziehen sind Island und Südgrönland,<br />
die zwar noch zur Borealen Vegetationszone<br />
gehören, <strong>der</strong>en Flora aber von arktischen<br />
Sippen dominiert wird. Diese FRg wird<br />
schon seit Engler (1882) permanent in etwa gleichem<br />
Umfange unterschieden. Nur Tachta-<br />
DziAN glie<strong>der</strong>t sie 1978 in seine sehr weit gefaßte<br />
„Zirkumboreale“ FRg ein.<br />
2. Zirkum boreale Florenregion. Entspricht<br />
etwa <strong>der</strong> Borealen Vegetationszone ohne ihre<br />
sich nach S erstreckenden Ausläufer in den Gebirgen<br />
W-Nordamerikas und Ostasiens. Im<br />
Grundstock <strong>der</strong> Flora recht artenarm und einheitlich<br />
mit einer Reihe gemeinsamer Arten,<br />
Artaggregate o<strong>der</strong> Untergattungen. Angereichert,<br />
wird dieser Gmndbestand durch Sippen, die aus
92 Floristische Glie<strong>der</strong>ung<br />
den südlich angrenzenden FRg 5 , 6 und 11 übergreifen;<br />
danach erscheint eine Unterglie<strong>der</strong>ung<br />
in 3 Unterregionen angemessen: a. Kanadische,<br />
b. Skandisch-Westsibirische und c. Ostsibirische<br />
Unterregion; die Grenze zwischen b und<br />
c verläuft etwa von <strong>der</strong> Jenissej-Mündung zum<br />
Baikalsee.<br />
Diese FRg wurde schon von Engler seit 1882 in ähnlichem<br />
Umfange etabliert. Spätere Autoren wichen<br />
aber davon ab und teilten sie auf, wobei <strong>der</strong> nordamerikanische<br />
Teil meist auf die FRg 3 und 5 verteilt,<br />
<strong>der</strong> eurasiatische mit FRg 6 zu einer großen „eurosibirischen“<br />
FRg vereinigt wurde (vgl. Tab. 23). Mit<br />
<strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>herstellung <strong>der</strong> zirkumborealen FRg schließen<br />
wir uns M eusel etc. (1965/92) an.<br />
3. Oregonische Florenregion. Diese Region, im<br />
wesentlichen das Gebiet <strong>der</strong> nemoralen und<br />
borealen Nadelwäl<strong>der</strong> <strong>der</strong> W-nordamerikanischen<br />
Gebirge, wird auch als „Rocky Mountain<br />
Region“, „Cordilleran Forest Region“, „Boreopazifisch“<br />
u. a. bezeichnet. Der hier benutzte<br />
Name lehnt sich an die alte Bedeutung des<br />
Landesnamen Oregon an, <strong>der</strong> ungefähr diesen<br />
ganzen Raum umfaßte, also weit über den heutigen<br />
Staat Oregon hinausging. Entsprechend<br />
<strong>der</strong> Glie<strong>der</strong>ung von Gleason etc. (1964) wurde<br />
<strong>der</strong> zeitweise dieser Region zugeschlagene W-<br />
Teil <strong>der</strong> FRg 2a von Tachtadzian wie<strong>der</strong> abgetrennt.<br />
4. Madrische Florenregion. Umfang und Benennung<br />
dieser Region entsprechen Tachtadzian<br />
1969. Sie umfaßt einen Komplex sehr unterschiedlicher<br />
Vegetationstypen: stark trockenbeeinflußte<br />
méridionale und nemorale (im Gebirge)<br />
Wäl<strong>der</strong> sowie nemorale (im Great Basin)<br />
und méridionale (im sonorisch-mexikanischen<br />
Bereich) Wüsten. Im Gegensatz zur Alten Welt,<br />
wo die klare räumliche Trennung <strong>der</strong> entsprechenden<br />
Vegetationstypen zur Aufstellung von<br />
3 eigenen FRg (8 , 9, 10) geführt hat, ist das hier<br />
wegen ihrer starken mosaikartigen Verzahnung<br />
nicht möglich. Die Südgrenze, zugleich Grenze<br />
gegen die Neotropis, schließt das mexikanische<br />
Hochland mit ein und greift dadurch weit nach<br />
S aus. Im Bereich <strong>der</strong> W-Küste kommen zahlreiche<br />
Reliktendemiten vor.
Die Florenreiche und Florenregionen 93<br />
5. Ostnordamerikanische Florenregion. In <strong>der</strong><br />
Umgrenzung von Tachtad2ian 1978 ist dieses<br />
Gebiet trotz seiner verschiedenen Klim axregionen<br />
(Sommerwald, Lorbeerwald, Prärie)<br />
eine organisch zusammenhängende Einheit; frühere<br />
Versuche <strong>der</strong> Aufteilung (Good, Mattick)<br />
hatten kaum sachliche Berechtigung. (Näheres<br />
zur klimatisch-vegetationskundlich-floristischen<br />
Differenzierung dieses Raumes vgl. bei <strong>der</strong> Besprechung<br />
<strong>der</strong> Nemoralen Zone, S. 261.) Die<br />
Südgrenze gegen die Neotropis auf <strong>der</strong> Halbinsel<br />
Florida ist sehr scharf<br />
6 . Südeurosibirische Florenregion. Wie erwähnt,<br />
wurde dieses Gebiet früher häufig mit<br />
dem eurasiatischen Teil <strong>der</strong> FRg 2 zur „Eurosibirischen<br />
FRg“ zusammengefaßt (vgl. Good,<br />
Tachtad2ian 1969). Die (Wie<strong>der</strong>-) Aufteilung<br />
dieses sehr großen Gebietes begann mit <strong>der</strong> Spaltung<br />
in eine (rein boreale) „Ostsibirische“ und<br />
eine „Euro-Westsibirische“ FRg durch Mattick.<br />
Letztere wurde nun durch die Wie<strong>der</strong>herstellung<br />
<strong>der</strong> Zirkumborealen FRg auf ihren nicht-borealen<br />
Südteil reduziert. Da dieser bisher keinen<br />
adäquaten Namen hatte und an<strong>der</strong>erseits die<br />
Florengebietsbezeichnung „eurosibirisch“ sehr<br />
geläufig ist, wird hier <strong>der</strong> Name „Südeurosibirische<br />
FRg“ vorgeschlagen. In ihrem immer noch<br />
recht großen Umfang von W-Europa bis SW-<br />
Sibirien und N-Iran umfaßt sie die Klimaxregionen<br />
des europäisch-vor<strong>der</strong>asiatischen Sommerwaldes<br />
und <strong>der</strong> Steppe und ist damit ein<br />
Pendant zur ostamerikanischen FRg 5.<br />
Meusel etc., auf die die Abspaltung des borealen Teils<br />
zurückgeht, haben die Südeurosibirische FRg nicht als<br />
solche erhalten, son<strong>der</strong>n noch weiter aufgeteilt, und<br />
zwar in einer Form, durch die auch ihre Südgrenze<br />
gegen die Mediterrane FRg, über die sonst bei den<br />
meisten Autoren (Good, Mattick, Tachtadzian) Einigkeit<br />
herrscht, stark verän<strong>der</strong>t wird. Dieser Gliedemng<br />
wird hier nicht gefolgt. Näheres zur Unterteilung<br />
<strong>der</strong> FRg 6 in Florenprovinzen vgl. Abb. 193,<br />
S. 408.<br />
7. Makaronesische Florenregion. Diese Region,<br />
die schon von Engler 1882 im heute noch<br />
üblichen Umfang aufgestellt wurde, besteht aus<br />
den vier atlantischen Inselgruppen Azoren,<br />
Madeira, Kanaren und Kapverden. Wichtigste<br />
floristische Beson<strong>der</strong>heit ist das Vorkommen <strong>der</strong><br />
reliktären europäischen Lorbeerwaldflora auf<br />
den drei nördlichen Gruppen. Als zweites Element<br />
tritt auf Madeira und (hier in bester Entfaltung)<br />
auf den Kanaren eine maritim getönte.<br />
Tab. 22: Florenreiche und Florenregionen (FRg) des<br />
Landes.<br />
I. Holarktisches Florenreich<br />
1. Arktische FRg<br />
2. Zirkumboreale FRg<br />
a. Kanadische URg<br />
b. Skandisch-Westsibirische URg<br />
c. Ostsibirische URg<br />
3. Oregonische FRg<br />
4. Madrische FRg<br />
5. Ostnordamerikanische FRg<br />
6. Südeurosibirische FRg<br />
7. Makaronesische FRg<br />
8. Mediterrane FRg<br />
9. Saharo-Arabische FRg<br />
10. Irano-Turanische FRg<br />
a. Orientalisch-Kasachische URg<br />
b. Tibetisch-Mongolische URg<br />
11. Sino-Japanische FRg<br />
II. Neotropisches Florenreich<br />
12. Karibische FRg<br />
13. Venezolanisch-Guajanische FRg<br />
14. Andisch-Pazifische FRg<br />
15. Amazonische FRg<br />
16. Brasilianische FRg<br />
17. Laplata-FRg<br />
III. Paläotropisches Florenreich<br />
A. Afrikanisches "Unterreich<br />
18. Sudano-Sindische FRg<br />
a. Sahelo-Sudanische URg<br />
b. Nubo-Sindische URg<br />
19. Guinea-Kongo-FRg<br />
20. St.-Helena-Ascension-FRg<br />
21. Sambesische FRg<br />
22. Karru-Namib-FRg<br />
23. Madagassische FRg<br />
B. Indo-Pazifisches Unterreich<br />
24. Vor<strong>der</strong>indische FRg<br />
25. Indochinesische FRg<br />
26. Malesische FRg<br />
27. Papuasische FRg<br />
28. Neukaledonische FRg<br />
29. Polynesische FRg<br />
30. Hawaiische FRg<br />
IV. Kapländisches Florenreich<br />
31. Kapländische FRg<br />
V. Australisches Florenreich<br />
32. Südwestaustralische FRg<br />
33. Zentralaustralische FRg<br />
34. Nordaustralische FRg<br />
35. Südostaustralische FRg<br />
VI. Holantarktisches Florenreich<br />
36. Chilenisch-Patagonische FRg<br />
37. Neuseeländische FRg<br />
38. Antarktische FRg
Die Florenreiche und Florenregionen 95<br />
von <strong>der</strong> <strong>der</strong> angrenzenden Sahara ziemlich verschiedene<br />
Trockenflora hinzu. Die Flora <strong>der</strong> sehr<br />
trockenen Kapverden ist demgegenüber stark<br />
verarmt. Sie wird wegen des Ubergreifens einiger<br />
typischer Sippen traditionell hier angeschlossen;<br />
doch könnte man sie mit gleicher Berechtigung<br />
auch zur FRg 9 o<strong>der</strong> sogar, wie es Meusel<br />
etc. tun, zur Paläotropis stellen.<br />
8 . Mediterrane Florenregion. Über Benennung<br />
und Umgrenzung dieser Region, die im wesentlichen<br />
das Klimaxgebiet des mediterranen Hartlaubwaldes<br />
umfaßt, herrscht bei fast allen neueren<br />
Autoren Einigkeit. Nur M eusel etc. vergrößern<br />
den Umfang durch Hinzufügung von Teilen<br />
<strong>der</strong> Submediterranen und Euxinisch-Hyrkanischen<br />
Provinzen von FRg 6 , was aber wenig<br />
einsichtig ist.<br />
9. Saharo-Arabische Florenregion. Das große<br />
nordafrikanisch-südwestasiatische Trockengebiet<br />
wurde traditionell meist als „Saharo-Sindische“<br />
FRg zur Paläotropis gestellt (so noch bei<br />
Good, M A T n C K u n d T A C H T A D iiA N 1969). Schon<br />
Engler hatte allerdings auf seiner Karte von 1882<br />
das nördliche Drittel <strong>der</strong> Sahara und <strong>der</strong> arabischen<br />
Wüste an sein „Mittelmeergebiet" angeglie<strong>der</strong>t,<br />
und auch die spätere Saharo-Sindische FRg<br />
wird oft als Mischgebiet mit mediterranen und<br />
paläotropischen Elementen bezeichnet (z. B.<br />
Engler 1904, 1936). Die Arbeiten von Eig<br />
(1931), Ozenda (1958), Q u fiZ E L (1965) und Zo-<br />
HARY (1963, 1973) haben dann gezeigt, daß in<br />
<strong>der</strong> Mischflora <strong>der</strong> Sahara und <strong>der</strong> arabischen<br />
Wüste nur im ganz frostfreien S das paläotropische<br />
Element dominiert, während sonst das<br />
holarktische mindestens gleichstark vertreten ist.<br />
Das führte zur Abtrennung <strong>der</strong> Saharo-Arabischen<br />
FRg von <strong>der</strong> Saharo-Sindischen, <strong>der</strong>en<br />
Rest dann mit FRg 18 vereinigt wurde (Zohary<br />
1963, 1973). Diese neue Glie<strong>der</strong>ung, durch die<br />
die Grenze <strong>der</strong> Holarktis wesentlich nach S verschoben<br />
wird, wurde im globalen Rahmen erstmals<br />
von Tachtadzian (1978) übernommen.<br />
10. Irano-Turanische Florenregion. Umfaßt die<br />
gesamten winterkalten (nemoralen) Trockengebiete<br />
West- und Zentralasiens. Die extremen Üimatischen<br />
Bedingungen bewirken eine ziemliche<br />
Gleichförmigkeit. Eine gewisse klimatische<br />
und floristische Grenze wird allerdings durch<br />
die mittelasiatische Gebirgsbarriere (Pamir -<br />
Tienschan - Altai) gebildet, auf <strong>der</strong>en W-Seite<br />
die Einstrahlungen aus den FRg 6 , 8 und 9 wesentlich<br />
stärker sind als östlich davon. Sie rechtfertigt<br />
die Aufteilung in 2 Unterregionen (vgl.<br />
Zohary 1973), die hier als Orientalisch-Kasachische<br />
(a) und Tibetisch-Mongolische (b) bezeichnet<br />
seien (O zenda 1982 sowie M eusel etc.<br />
1992 erheben sie sogar in den Rang eigener Regionen).<br />
11. Sino-Japanische Florenregion. Zu dieser<br />
Region, <strong>der</strong> am wenigsten umstrittenen <strong>der</strong><br />
Holarktis, gehört das gesamte Lorbeerwald- und<br />
Sommerwaldgebiet Ostasiens einschließlich des<br />
westlich angrenzenden Steppensaumes. Sie ist<br />
das ostasiatische Gegenstück zu den FRg 5 und<br />
6 . Sie zeichnet sich durch eine große Zahl von<br />
Reliktendemiten (u. a. eine Reihe von ursprünglichen<br />
Angiospermen und Koniferen) aus, beson<strong>der</strong>s<br />
in den gebirgigen Teilen des SW (vgl.<br />
Tab. 35, S. 272).<br />
II. Neotropisches Florenreich. Während die<br />
Holarktis in <strong>der</strong> <strong>Pflanzengeographie</strong> (im Gegensatz<br />
zur Tiergeographie) immer als einheitliches,<br />
den Globus umspannendes Reich angesehen<br />
wurde, hat man die Flora <strong>der</strong> tropischen Vegetationszone<br />
von Anfang an in 2 Reiche aufgeteilt.<br />
Die floristischen Unterschiede zwischen<br />
Alter und Neuer Welt erscheinen hierfür groß<br />
genug, obwohl es an<strong>der</strong>erseits auch viele floristische<br />
(pantropische, vgl. S. 104) Gemeinsamkeiten<br />
gibt. Die Grenzen gegen die Paläotropis<br />
sind durch die Meere gegeben. Dabei wird <strong>der</strong><br />
Atlantik etwa in <strong>der</strong> Mitte durchquert; im Pazifik<br />
gehören dagegen nur einige kontinentnahe<br />
Inselgruppen (z. B. die Galápagos) zur Neotropis.<br />
Schwierigkeiten bietet die Abgrenzung<br />
im S gegen die Holantarktis. Infolge <strong>der</strong> geringen<br />
Landmasse ist das Temperaturgefälle auf <strong>der</strong><br />
Südhalbkugel sehr gering, und es findet sich ein<br />
breiter Übergangsgürtel, dessen Zuordnung umstritten<br />
ist. Während M attick allein den südlichen<br />
Teil des chilenischen Waldgebietes (etwa<br />
ab 40°S) zur Holantarktis stellt, zieht T achtadzian<br />
1978 die Grenze im Bereich zwischen 33<br />
und 35°S quer durch Südamerika. Die FRg 17<br />
(vgl. S. 96), die dadurch zur Holantarktis käme,<br />
ist aber trotz ihres ± extratropischen Klimas<br />
noch überwiegend von Florenelementen tropischer<br />
Verwandtschaft beherrscht; deshalb wird<br />
diese Zuordnung hier nicht übernommen. Von<br />
dieser Meinungsverschiedenheit abgesehen, un-
96 Floristische Glie<strong>der</strong>ung<br />
terteilen die meisten Autoren die Neotropis recht<br />
gleichmäßig.<br />
12. Karibische Florenregion. Durch Meeresteile,<br />
Inseln und Gebirge sehr stark geglie<strong>der</strong>t,<br />
beherbergt diese Region alle Abstufungen tropischer<br />
Vegetation vom Tropischen Regenwald<br />
bis zur Wüste. Die charakteristischen Florenelemente<br />
aller dieser Vegetationstypen sind oft<br />
recht weit über den ganzen Raum verbreitet;<br />
daneben gibt es wegen <strong>der</strong> kleinräumigen Glie<strong>der</strong>ung<br />
zahlreiche Lokalendemiten nie<strong>der</strong>en<br />
Ranges. In den höheren Gebirgen Mittelamerikas<br />
treten Einstrahlungen extratropischer Elemente<br />
hinzu, sowohl aus <strong>der</strong> Holarktis als auch<br />
aus <strong>der</strong> Holantarktis (vgl. S. 206, 209).<br />
13. Venezolanisch-Guajanische Florenregion.<br />
Der vorigen Region nahestehend, jedoch davon<br />
abgehoben durch die Florenelemente <strong>der</strong> ausgedehnten,<br />
meist edaphisch bedingten Savannen<br />
(Llanos) und vor allem durch die einzigartige,<br />
viele Reliktendemiten enthaltende Flora des<br />
guajanischen Berglandes.<br />
14. Andisch-Pazifische Florenregion. Auch<br />
diese Region, die neben dem breiten Andenmassiv<br />
das pazifische Küstentiefland umfaßt, ist<br />
ökologisch sehr vielseitig mit ihrem Feuchtegradienten<br />
von <strong>der</strong> extrem ariden Küstenwüste<br />
bis zu den perhumiden Gebirgswäl<strong>der</strong>n an den<br />
Osthängen. In den Andenhochlagen sind <strong>der</strong><br />
genuinen tropischen Gebirgsflora viele extratropische<br />
(beson<strong>der</strong>s holantarktische) Elemente<br />
beigemischt (vgl. S. 209), die allerdings keine<br />
Herauslösung <strong>der</strong> Region aus dem tropischen<br />
Zusammenhang rechtfertigen würden.<br />
15. Amazonische Florenregion (Hyläa). Um <br />
faßt das Gebiet des amazonischen Regenwaldes,<br />
das trotz ökologischer Gleichförmigkeit infolge<br />
langer ungestörter Entwicklung eine äußerst<br />
reichhaltige Flora aufweist. Neben <strong>der</strong> dominierenden<br />
Waldflora sind auch Pflanzen <strong>der</strong> Gewässer<br />
und Überschwemmungsbereiche sowie<br />
solche offener Vegetation auf extrem armen<br />
Böden charakteristisch.<br />
16. Brasilianische Florenregion. Hier, südlich<br />
des Amazonasgebietes, herrscht wie<strong>der</strong> hygrische<br />
Vielfalt, die vom Regenwald bis zu semiariden<br />
Offenwäl<strong>der</strong>n reicht. Insofern ähnelt dieser<br />
Bereich <strong>der</strong> FRg 12, doch ist die geomor-<br />
phologische Glie<strong>der</strong>ung (und damit auch die<br />
Zahl <strong>der</strong> Lokalendemiten) viel geringer. Holantarktische<br />
Einstrahlungen finden sich auf dem<br />
Altiplano Südbrasiliens.<br />
17. Laplata-Florenregion. Wie angedeutet, handelt<br />
es sich hier um ein Ubergangsgebiet. Früher<br />
oft als Pampa-Region bezeichnet (<strong>der</strong> hier<br />
benutzte Name stam mt von S chmithüsen<br />
1968), wurde diese Region meist ziemlich weit<br />
gefaßt. Hier beschränken wir sie auf den Bereich<br />
<strong>der</strong> Pampa und <strong>der</strong> südlichen Domgehölze (etwa<br />
die Pampa- und die Monte-Provinz im Sinne<br />
von C abrera 1953/1971). Die Mischung von<br />
tropischen und extratropischen Elementen ist<br />
beson<strong>der</strong>s bei den Gräsern und Kräutern <strong>der</strong><br />
Pampa auffällig, während im Monte die neotropische<br />
Flora noch weit überwiegt. An<strong>der</strong>erseits<br />
ist die im SW angrenzende Patagonische<br />
Provinz C abreras stark holantarktisch dominiert<br />
und wird daher zur FRg 36 gestellt.<br />
III. Paläotropisches Florenreich. Verglichen mit<br />
<strong>der</strong> Neotropis ist dieses Florenreich nicht nur<br />
viel größer, son<strong>der</strong>n auch viel stärker geglie<strong>der</strong>t.<br />
Analysiert man die Verbreitung <strong>der</strong> tropischen<br />
Vegetationstypen par excellence, <strong>der</strong> immerfeuchten<br />
und wechselfeuchten Wäl<strong>der</strong>, und ihrer<br />
Flora, so stellt man fest, daß die Paläotropis<br />
zwei Mannigfaltigkeitszentren aufweist: das<br />
m ittlere Afrika und den südostasiatischpapuasischen<br />
Raum. Beide stehen dem neotropischen<br />
Zentrum an Eigenständigkeit nicht<br />
nach, und man könnte durchaus dafür plädieren,<br />
sie als separate Florenreiche anzusehen. Einer<br />
solchen Aufteilung (die bisher nur Laubenfels<br />
durchgeführt hat, allerdings mit weiteren<br />
Abweichungen, vgl. Tab. 21) steht aber u. a. die<br />
Tatsache entgegen, daß zwei FRg, nämlich Madagaskar<br />
und Vor<strong>der</strong>indien, eine starke Vermischung<br />
von Elementen bei<strong>der</strong> Bereiche zeigen.<br />
Entsprechend <strong>der</strong> allgemeinen Auffassung werden<br />
daher hier nur 2 Unterreiche, das Afrikan<br />
isch e (A) m it den FRg 18-23, und das<br />
Indopazifische (B) mit den FRg 24-30, unterschieden<br />
(Tachtadzian favorisiert eine Aufteilung<br />
in 5 Unterreiche). Bezüglich <strong>der</strong> Untergliedemng<br />
in FRg sind die Differenzen (außer bei<br />
FRg 18) nicht sehr groß.<br />
Über die Abgrenzung gegen die Holarktis in Afrika<br />
vgl. bei FRg 9; weiter östlich ist diese kaum umstritten.<br />
Gleiches gilt für die Südgrenze gegen die Kapensis.
Die Florenreiche und Florenregionen 97<br />
Weniger einig ist man sich im SO: hier wurde Neuseeland<br />
früher z. T. noch zur Paläotropis gerechnet,<br />
und neuerdings gibt es Tendenzen zur Anglie<strong>der</strong>ung<br />
N-Australiens an diese (vgl. bei FRg 34 und 37).<br />
18. Sudano-Sindische Florenregion. Verglichen<br />
mit älteren Darstellungen, etwa bei M attick,<br />
setzt sich diese Region aus drei Teilen zusammen:<br />
aus M atticks „Senegambisch-Sudanischer“<br />
und „Nordostafrikanischer" sowie dem<br />
S- und ,0-Teil <strong>der</strong> ehemaligen Saharo-Sindischen<br />
Region (vgl. bei FRg 9). Sie umfaßt damit den<br />
gesamten Bereich <strong>der</strong> nordafrikanischen nichthumiden<br />
Tropenvegetation (vom semihumiden<br />
Wald bis zur Wüste) und erstreckt sich im<br />
semiariden und ariden Bereich bis nach Indien<br />
(die indischen semihumiden Monsunwäl<strong>der</strong><br />
sind hingegen floristisch abweichend).<br />
Die frühere Abgrenzung einer N ordostafrikanischen<br />
FRg wurde mit dem Auftreten<br />
„afromontaner“ Flora auf dem äthiopischen<br />
Hochland begründet (obwohl etageal verbreitete<br />
Florenelemente im allgemeinen nicht zur Abgrenzung<br />
von FRg verwendet werden sollten).<br />
Wie ZoHARY (1973) gezeigt hat, verläuft aber am<br />
Westrande dieses Bereiches und weiter bis nach<br />
0-Agypten eine floristische Grenzlinie, die eine<br />
Aufteilung <strong>der</strong> Region in 2 Unterregionen nahelegt:<br />
eine Sahelo-Sudanische (a) im W und<br />
eine Nubo-Sindische (b) im O.<br />
19. Guinea-Kongo-Florenregion. Als Klimaxgebiet<br />
des Tropischen Regenwaldes ist diese<br />
Region das Gegenstück zur amazonischen FRg<br />
15. Verglichen mit dieser ist ihre Flora aber wesentlich<br />
ärmer. Ganz allgemein ist festzustellen,<br />
daß die Flora Afrikas (beson<strong>der</strong>s die <strong>der</strong> humi<strong>der</strong>en<br />