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Schroeder - 1998 - Lehrbuch der Pflanzengeographie

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E-G. <strong>Schroe<strong>der</strong></strong><br />

<strong>Lehrbuch</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Pflanzengeographie</strong><br />

Quelle & Meyer Verlag Wiesbaden


¡Io. 0^6 ■'l'!.. .<br />

J , L / ■<br />

^ 6 5<br />

<strong>1998</strong>, by Quelle & Meyer Verlag GmbH & Co., Wiesbaden<br />

ISBN 3-494-02235-6<br />

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb <strong>der</strong> engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes<br />

ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbeson<strong>der</strong>e für Vervielfältigungen auf<br />

fotomechanischem Wege (Fotokopie/Mikrokopie), Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung<br />

und Verarbeitung in elektronischen Systemen.


Gewidmet den Botanikern und Geographen, die die <strong>Pflanzengeographie</strong> in den letzten zwei Jahrhun<strong>der</strong>ten<br />

begründet und weiterentwickelt haben, insbeson<strong>der</strong>e:<br />

Alexan<strong>der</strong> von Humboldt, 1769-1859<br />

August Grisebach, 1814-1879<br />

Adolf Engler, 1844-1930<br />

O skar D rude, 1852-1933<br />

Andreas Franz W ilhelm Schimper, 1856-1901<br />

Martin Rikli, 1868-1951<br />

E duard Rubel, 1876-1960<br />

Heinrich Brockmann-Jerosch, 1879-1939<br />

JosiAS Braun-Blanquet, 1884-1980<br />

Heinrich W alter, 1898-1989<br />

C arl T roll, 1899-1975<br />

Reinhold T üxen, 1899-1980<br />

J osef Schmithüsen, 1909-1984<br />

Hermann M eusel, 1909-1997<br />

Heinz Ellenberg, 1913-1997


^ “3<br />

r' A<br />

Vorwort<br />

Die <strong>Pflanzengeographie</strong> ist eine Disziplin mit<br />

einer langen, zweihun<strong>der</strong>tjährigen Geschichte<br />

und einer Tradition, in <strong>der</strong> die deskriptiv-vergleichende<br />

Betrachtung die Grundlage bildet.<br />

Wie auch die umstehende Personenliste zeigt,<br />

steht ihre Entwicklung in engem Zusammenhang<br />

mit <strong>der</strong> deutschen Geistesgeschichte und<br />

wissenschaftlichen Philosophie des 19. und frühen<br />

20. Jahrhun<strong>der</strong>ts. Manche mo<strong>der</strong>nen Autoren<br />

ziehen es heute vor, von Geobotanik o<strong>der</strong><br />

Vegetationsgeographie zu sprechen, doch dekken<br />

sich beide Begriffe nicht ganz mit dem klassischen<br />

Inhalt. Indem ich mich <strong>der</strong> klassischen<br />

Tradition verbunden fühle, habe ich für das<br />

vorliegende Werk bewußt den Titel „<strong>Pflanzengeographie</strong>“<br />

gewählt.<br />

Es richtet sich sowohl an Studenten und Dozenten<br />

<strong>der</strong> Biologie und Geographie als auch<br />

an interessierte Laien. Der Text geht ursprünglich<br />

auf Vorlesungen zurück, die ich in den letzten<br />

Zwanzigjahren gehalten habe. Im Laufe dieses<br />

Zeitraumes hat sich die Darstellung, auch in<br />

Interaktion mit Hörern und Kollegen, ständig<br />

gewandelt und angepaßt. Ein wichtiges Anliegen<br />

war es mir dabei stets, die grundsätzlich<br />

wichtigen Tatsachen (die „roten Fäden“) in möglichst<br />

einfacher, leicht verständlicher Form aufscheinen<br />

zu lassen. Das gilt auch für die jetzige,<br />

zu einem Konzentrat aus den wichtigsten einschlägigen<br />

Bearbeitungen ausgebaute Fassung.<br />

Im einleitenden, allgemeinen Teil konnten<br />

die meisten Grundlagen kurz gefaßt werden, da<br />

es genügend gute Spezialdarstellungen (z. B. <strong>der</strong><br />

Ökologie) gibt. Etwas ausführlicher wurde jedoch<br />

die Verbreitungsökologie behandelt, die<br />

in den meisten gängigen Lehrbüchern - wenn<br />

überhaupt - nur ganz am Rande erwähnt wird.<br />

Vorausgesetzt wird eine gewisse Grundkenntnis<br />

<strong>der</strong> Flora Mitteleuropas.<br />

Der Hauptteil ist <strong>der</strong> Schil<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Flora<br />

und Vegetation <strong>der</strong> Erde in globaler und regionaler<br />

Sicht gewidmet. Bei einem solchen Vorhaben<br />

sollte ein Grundsatz im Vor<strong>der</strong>grund stehen:<br />

nämlich alle Zonen und Regionen möglichst<br />

gleichgewichtig zu erfassen. Dem stehen<br />

jedoch zwei Hin<strong>der</strong>nisse entgegen. Erstens zeigen<br />

Flora und Vegetation <strong>der</strong> einzelnen Regionen<br />

eine recht unterschiedliche Diversität und<br />

sind auch in sehr verschiedenem Ausmaße untersucht,<br />

d. h. es gibt über manche einfach mehr<br />

zu berichten als über an<strong>der</strong>e. Und zweitens ist<br />

das Buch von einem mitteleuropäischen Autor<br />

für mitteleuropäische Leser geschrieben. Das<br />

bedeutet nicht nur, daß die dem Leser geläufigen<br />

Verhältnisse unserer Heimat oft als Ausgangspunkt<br />

genommen werden; vielmehr ist<br />

zugleich ein wesentliches Ziel, die Stellung <strong>der</strong><br />

mitteleuropäischen Pflanzenwelt im globalen<br />

Rahmen, insbeson<strong>der</strong>e als (keineswegs zentralen)<br />

Teil <strong>der</strong> Holarktis, bewußt zu machen. Zwar<br />

leben wir heute in einer Zeit weltweiter Verbindungen<br />

- sei es in virtueller Hinsicht durch das<br />

Fernsehen, o<strong>der</strong> in realer durch die fast unbegrenzten<br />

Reisemöglichkeiten - , aber wenn es um<br />

Tatsachenwissen biologischer, geographischer<br />

o<strong>der</strong> historischer Art geht, so zeigt sich auch<br />

bei gebildeten Menschen oft eine erstaunliche,<br />

ja fast erschreckende Eingeengtheit des räumlichen<br />

und zeitlichen Horizontes: dieser reicht<br />

meist kaum über die Grenzen Mitteleuropas<br />

sowie über die letzten 50-100 Jahre hinaus.<br />

Ich hoffe, daß die Darstellung trotz <strong>der</strong> genannten<br />

Einschränkungen (und vielleicht noch einiger<br />

subjektiver Präferenzen des Autors) doch einigermaßen<br />

ausgewogen geworden ist. Daß sie<br />

unendlich viele Lücken enthält, ist allerdings unvermeidlich.<br />

Jedem Hinweis auf solche, die unbedingt<br />

gefüllt werden müßten, werde ich dankbar<br />

nachgehen.<br />

Die Verwandlung von Vorlesungskonzepten<br />

in ein dmckfertiges Manuskript ist ein arbeitsaufwendiges<br />

Unternehmen, das viel mehr Zeit beanspmcht<br />

als man anfänglich erwartet hat. Für<br />

die Geduld, die mir während dieser langen Zeit<br />

entgegengebracht wurde, danke ich allen Institutskollegen<br />

und ganz beson<strong>der</strong>s meiner Frau. Spezieller<br />

Dank gebührt Frau S. H ourticolon und<br />

Herrn B. Raufeisen für die tatkräftige Mithilfe bei<br />

<strong>der</strong> Anfertigung <strong>der</strong> Abbildungen. Zu meinem<br />

großen Bedauern wurde allerdings auf die Beigabe<br />

<strong>der</strong> ursprünglich vorgesehenen zahlreichen Fotos<br />

aus Kostengründen verzichtet.<br />

Göttingen, 7. September 1997<br />

Fred-Günter <strong>Schroe<strong>der</strong></strong>


Inhalt<br />

V orw ort..................................................................................................................................................................... VI<br />

I ' Allgemeine <strong>Pflanzengeographie</strong> ............................................................................................................. 1<br />

A Pflanzliche Bausteine und Umwelteinflüsse ....................................................................................2<br />

1 Die Pflanze und ihre Klassifizierung ....................................................................................... 2<br />

a Pflanzensippen und Pflanzenreich .................................................................................2<br />

b W uchs-und Lebensformen ..............................................................................................2<br />

2 Standortsökologie ........................................................................................................................... 6<br />

" a Physiologische Ansprüche und Standort ..................................................................... 6<br />

ö b Wirkung <strong>der</strong> global differenzierenden Faktoren ........................................................7<br />

c Maßgebliche Klimawerte und ihre Darstellung ....................................................... 12<br />

B Verbreitungsökologie .............................................................................................................................14<br />

1 Die Diasporen und ihre Bereitstellung ..................................................................................15<br />

2 Transport <strong>der</strong> Diasporen ............................................................................................................ 16<br />

a Zoochorie ..............................................................................................................................18<br />

b Anemochorie ....................................................................................................................... 26<br />

c Hydrochorie .........................................................................................................................32<br />

d Ballochorie ...........................................................................................................................34<br />

e Autochorie ............................................................................................................................ 36<br />

f Atelechorie ........................................................................................................................... 37<br />

3 Etablierung am Zielort ............................................................................................................... 38<br />

a Festsetzung <strong>der</strong> Diasporen .............................................................................................. 38<br />

b Keimung und Keimungsökologie ................................................................................. 39<br />

c Etablierung <strong>der</strong> Einzelpflanze und <strong>der</strong> Sippe .......................................................... 42<br />

4 Arealbildung.....................................................................................................................................42<br />

5 Verän<strong>der</strong>ung des Areals infolge Än<strong>der</strong>ung von Umweltfaktoren ................................ 46<br />

■¡l C Areale und Floren .................................................................................................................................. 48<br />

1 Methoden <strong>der</strong> Inventarisierung und Darstellung .............................................................. 48<br />

2 Analyse und Verknüpfung ........................................................................................................ 49<br />

a Größe und Gestalt von Arealen .....................................................................................49<br />

b Natürliche Florengebiete ..................................................................................................51<br />

c Arealtypen und Florenelemente ................................................................................... 52<br />

D Vegetation .................................................................................................................................................56<br />

o 1 Vegetationstypen und ihre Klassifizierung ............................................................................56<br />

« a Pflanzenformationen .........................................................................................................56<br />

" b Pflanzengesellschaften .......................................................................................................56<br />

o 2 Räumliche Ordnung <strong>der</strong> Vegetation; Vegetationsmosaik ............................................... 60<br />

“ 3 Zeitliche Ordnung <strong>der</strong> Vegetation: Sukzession und Klimax ........................................62<br />

a Verjüngung und Verjüngungssukzession ...................................................................62<br />

b Sukzession als Folge edaphischer Standortsän<strong>der</strong>ungen ......................................63<br />

c Sukzessionstheorien und Klimaxbegriff ..................................................................... 65<br />

• 4 Verbreitung von Vegetationseinheiten (Synchorologie) ...................................................66<br />

E Einfluß des Menschen auf Flora und Vegetation ........................................................................ 67<br />

1 Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Vegetation ......................................................................................................68<br />

2 Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Pflanzenverbreitung ....................................................................................71<br />

a Verkleinerung von Arealen, Gefährdung .................................................................. 71<br />

» b Vergrößerung von Arealen: Anthropochorie ........................................................... 74


VIII Inhalt<br />

II Pflanzengeographische Einteilung <strong>der</strong> Erde ....................................................................................... 85<br />

A A Floristische Glie<strong>der</strong>ung .......................................................................................................................<br />

1 Die Florenreiche und Florenregionen ................................................................................. 89<br />

2 Florenreiche und Sippenverbreitung ........................................... 101<br />

X B Vegetationsglie<strong>der</strong>ung .......................................................................................................................108<br />

1 Die thermischen Vegetationszonen ..................................................................................... 109<br />

2 Hygrische Unterglie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> thermischen Zonen .....................................................112<br />

a Tropische Zone ............................................................................................................. 113<br />

b Méridionale und Australe Zone .............................................................................. 114<br />

c Nemorale Zone ............................................................................................................. 115<br />

d Boreale Zone .................................................................................................................. H 5<br />

3 Vegetation <strong>der</strong> Gebirge ............................................................................................................. 115<br />

a Alpine Stufe .................................................................................................................... H 8<br />

b Waldstufen in den Extratropen ............................................................................... 118<br />

c Oreotropische Stufe ..................................................................................................... 119<br />

4 Synopse <strong>der</strong> Wimax-Formationen ........................................................................................120<br />

5 Azonale Vegetation ................................................................................................................... 121<br />

C Kurzer Abriß <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Landvegetation (Paläökologie) ....................................122<br />

1 Von den ersten Landpflanzen bis zum Steinkohlenwald .............................................. 123<br />

2 Die Zeit <strong>der</strong> Gymnospermen ..................................................................................................127<br />

3 Entstehung und Diversifizierung <strong>der</strong> Angiospermen ........................... 135<br />

4 Die Herausbildung <strong>der</strong> heutigen Verteilung von Flora und Vegetation .................. 141<br />

III Die Pflanzendecke in regionaler Betrachtung ..................................................................................145<br />

A Die Tropische Zone (Formationen 1-5) .......................................................................................147<br />

1 Tropischer Regenwald ...............................................................................................................148<br />

1.1 Neotropische Region ................................................................................................... 172<br />

1.2 Afrikanische Region ........................................................................................................174<br />

1.3 Indopazifische Region ...................................................................................................174<br />

Anhang: Die Mangrove ............................................................................................................ 176<br />

2 Regengrüner Wald und Savanne .......................................................................................... 178<br />

2.1 Neotropische Region .....................................................................................................186<br />

2.2 Afrikanische Region ....................................................................................................... 186<br />

2.3 Indopazifische Region ...................................................................................................186<br />

3 Eurytropische Trockengehölze ..............................................................................................187<br />

3.1 Amerikanische Region ...................................................................................................192<br />

3.2 Afrikanisch-Indische Region ........................................................................................193<br />

3.3 Australische Region .........................................................................................................194<br />

4 Eurytropische Wüste .................................................................................................................194<br />

4.1 Sonora-Region .................................................................................................................. 199<br />

4.2 Peruanisch-Patagonische Region ............................................................................... 199<br />

4.3 Saharo-Sindische Region ............................................................................................. 201<br />

4.4 Namib-Karru-Region ......................................................................................................202<br />

4.5 Australische Region ........................................................................................................ 203<br />

5 Oreotropischer Wald ................................................................................................................ 203<br />

5.1 Neotropische Region .....................................................................................................209<br />

5.2 Afrikanische Region ......................................................................................................209<br />

5.3 Indopazifische Region .................................................................................................. 210<br />

B Die Méridionale und die Australe Zone (Formationen 6-8) ................................................212<br />

o 6 Lorbeerwald ....................................................................................................................................212<br />

6.1 Sinojapanische Region .................................................................................................. 220<br />

6.2 Südost-Nordamerikanische Region ............................................................................ 221<br />

o 6.3 Makaronesische Region ................................................................................................. 222


Inhalt<br />

IX<br />

6.4 Ostaustralische Region .................................................................................................. 222<br />

6.5 Neuseeländische Region .............................................................................................. 225<br />

6.6 Südamerikanische Region ............................................................................................ 227<br />

6.7 Südafrikanische Region .................................................................................................230<br />

(^oS| 7 Hartlaubwald ..............................................................................................................................231<br />

7.1 Kalifornisch-Mexikanische Region ........................................................................... 234<br />

7.2 Mediterrane Region ........................................................................................................ 237<br />

7.3 Chilenische Region ........................................................................................................240<br />

7.4 Kapländische Region .................................................................................................... 241<br />

7.5 Australische Region ........................................................................................................ 244<br />

8 Pampa ............................................................................................................................................. 246<br />

8.1 Argentinische Region .................................................................................................... 248<br />

8.2 Südafrikanische Region .................................................................................................249<br />

C Die Nemorale Zone (Formationen 9-13) .................................................................................. 251<br />

9 Sommergrüner Laubwald ........................................................................................................251<br />

9.1 Ost-Nordamerikanische Region ................................................................................261<br />

9.2 Europäische Region .......................................................................................................268<br />

9.3 Sinojapanische Region ...................................................................................................270<br />

10 Nemoraler Nadelwald ................................................................................................................274<br />

10.1 West-Nordamerikanische Region .............................................................................. 279<br />

10.2 Mediterrane Region ........................................................................................................282<br />

11 Nemorale Trockengehölze ......................................................................................................283<br />

11.1 West-Nordamerikanische Region ..............................................................................284<br />

11.2 Westasiatische Region ................................................................................................... 285<br />

12 Steppe ............................................................................................................................................. 286<br />

12.1 Nordamerikanische Region ........................................................................................ 290<br />

12.2 Eurasiatische Region ......................................................................................................290<br />

13 Nemorale Wüste .........................................................................................................................291<br />

13.1 Nordamerikanische Region ........................................................................................ 293<br />

13.2 Eurasiatische Region ......................................................................................................294<br />

D Die Boreale Zone (Formationen 14-15) .....................................................................................297<br />

14 Dunkle Taiga ................................................................................................................................ 298<br />

14.1 Nordamerikanische Region .........................................................................................307<br />

14.2 Westeurasiatische Region ............................................................................................ 310<br />

14.3 Ostasiatische Region ......................................................................................................311<br />

15 Helle Taiga ....................................................................................................................................313<br />

= 15.1 Ostsibirische Region .................................................................................................. 313<br />

E Die Polarzonen und Alpinen Stufen .......................................................................................<br />

= 16 Tundra .........................................................................................................................................315<br />

16.1 Arktische Region .............................................................................................................335<br />

16.2 Holarktisch-Alpine Region ..........................................................................................337<br />

16.3 Tropisch-Alpine Region ................................................................................................340<br />

16.4 Austral-Antarktische Region ....................................................................................... 342<br />

F Vegetationsglie<strong>der</strong>ung ausgewählter Gebirge .......................................................................... 344<br />

Tropische Zone (ohne nördliche Randtropen) ............................................................... 345<br />

Australe Zone ...............................................................................................................................354<br />

Nördliche Randtropen .................................. 358<br />

0 Méridionale Zone .......................................................................................................................364<br />

Nemorale Zone ........................................................................................................................... 369<br />

Boreale Zone .................................................................................................................................379<br />

G Die Pflanzenwelt <strong>der</strong> Gewässer ....................................................................................................381<br />

1 Die Binnengewässer ...................................................................................................................382<br />

2 Das Meer ....................................................................................................................................... 385<br />

?


X<br />

Inhalt<br />

H Zur <strong>Pflanzengeographie</strong> Mitteleuropas ....................................................................................... 394<br />

1 Die Wie<strong>der</strong>bewaldung nach <strong>der</strong> letzten Eiszeit ............................................................. 394<br />

2 Die Entstehung <strong>der</strong> heutigen Pflanzendecke unter dem Einfluß des Menschen 400<br />

3 Die aktuelle Flora und Vegetation ....................................................................................... 405<br />

a Floristische Einordnung und Florenelemente ...................................................... 408<br />

b Vegetation ...........................................................................................................................411<br />

Literaturverzeichnis ............................................................................................................................................. 424<br />

1 Regionalliteratur zu Teil III ............................................................................................................424<br />

2 Gesamtliste aller zitierten Schriften ............................................................................................. 425<br />

Register .................................................................................................................................................................... 438<br />

Vegetationskarte (Einstecktasche auf dritter Umschlagseite)<br />

Praktische Anmerkungen<br />

Pflanzennamen sind gewöhnlich in <strong>der</strong> lateinischen Form angegeben, deutsche werden nur in Ausnahmefällen<br />

benutzt. Die Familienzugehörigkeit sämtlicher erwähnten Gattungen ist im Register<br />

vermerkt.<br />

Ortsnamen werden in <strong>der</strong> im Deutschen üblichen Form angewendet, auch für Orte außerhalb des<br />

deutschen Sprachraumes. Die Wie<strong>der</strong>gabe russischer Orts- und Personennamen erfolgt in <strong>der</strong> wissenschaftlichen<br />

(slawistischen) Transkription, so weit keine gängige deutsche Form existiert.<br />

Bei Literaturangaben im Text werden nur Name und Jahreszahl genannt, bei mehreren Autoren<br />

folgt nach dem ersten Namen „etc.“<br />

Bei Angaben <strong>der</strong> Meereshöhe entfällt <strong>der</strong> oft übliche Zusatz „ü. M.“ o<strong>der</strong> „ü. N N “.<br />

Abkürzungen:<br />

N, O, S, W = Nord, Ost, Süd, W est; auch in Zusammensetzungen;<br />

M- = Mittel-.<br />

Jvh = Jahre vor heute.<br />

i. w. S., i. e. S. = im weiteren / engeren Sinne.<br />

Bei lateinischen Pflanzennamen: sp. = (irgendeine) Art, ssp. = Subspezies,<br />

sect. = Sektion, subg. = Untergattung, s. 1. = sensu latiore = i. w. S., s. str. =<br />

sensu strictiore = i. e. S.


I<br />

Allgemeine <strong>Pflanzengeographie</strong><br />

Gegenstand <strong>der</strong> <strong>Pflanzengeographie</strong> ist das vielfältige<br />

Pflanzenkleid <strong>der</strong> Erde, insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong><br />

Landgebiete, in seiner aktuellen Glie<strong>der</strong>ung und<br />

seiner ökologischen und historischen Bedingtheit.<br />

Bevor dieses im einzelnen geschil<strong>der</strong>t wird,<br />

sind einige allgemeine Überlegungen notwendig.<br />

Die aktuelle Vielfalt beruht darauf, daß an<br />

jedem Ort <strong>der</strong> Erde eine ganz bestimmte Kombination<br />

von zwei Variablen vorliegt: <strong>der</strong> dort<br />

vorhandenen pflanzlichen Bausteine und <strong>der</strong> auf<br />

sie wirkenden Umwelteinflüsse. Die Untersuchung<br />

dieser Komponenten ist zwar Aufgabe <strong>der</strong><br />

Morphologie, Systematik und Ökologie; doch<br />

müssen einige Aspekte aus diesen Disziplinen<br />

vorweg hier kurz vorgeführt werden.<br />

Eine erste wichtige pflanzengeographische<br />

Frage ist, auf welche Weise die differenzierte<br />

räumliche Verteilung <strong>der</strong> Bausteine, d. h. <strong>der</strong><br />

Pflanzensippen, zustande kommt. Vorgang und<br />

Bedingungen <strong>der</strong> Ausbreitung (o<strong>der</strong> Verbreitung;<br />

dieses Wort bezeichnet sowohl den Vorgang<br />

als auch das Areal als sein Ergebnis) von<br />

Pflanzen untersucht die Teildisziplin, die als<br />

Verbreitungsökologie bezeichnet wird.<br />

Ergebnisse <strong>der</strong> Ausbreitung sind einerseits das<br />

Areal, d. h. die Summe aller Wuchsorte einer<br />

Sippe, an<strong>der</strong>erseits die Flora, d. h. die Gesamtzahl<br />

aller Sippen in einem definierten geographischen<br />

Raum. Mit <strong>der</strong> Methodik <strong>der</strong> Feststellung<br />

und mit <strong>der</strong> theoretischen Analyse von<br />

Arealen und Floren beschäftigt sich die allgemeine<br />

Arealkunde (auch Floristik o<strong>der</strong> Chorologie<br />

genannt).<br />

Gegenüber <strong>der</strong> rein statistisch definierten Flora<br />

bezeichnet man als Vegetation das geordnete,<br />

ökologisch kontrollierte Zusammenleben verschiedener<br />

Sippen am Wuchsort (quasi das „Integral“<br />

<strong>der</strong> dort anwesenden Flora). Die Erfassung<br />

und Klassifizierung von Vegetationseinheiten<br />

und die Untersuchung ihrer räumlichen<br />

und zeitlichen Ordnung sind Aufgaben <strong>der</strong> allgemeinen<br />

Vegetationskunde.<br />

Ein beson<strong>der</strong>er Faktor, dessen Bedeutung in<br />

den letzten Jahrhun<strong>der</strong>ten ständig zunimmt, ist<br />

<strong>der</strong> Einfluß des Menschen. Er hat sowohl die<br />

Flora als auch die Vegetation in großen Teilen<br />

<strong>der</strong> Erde nachhaltig verän<strong>der</strong>t und bedarf daher<br />

einer detaillierten Darstellung.


A Pflanzliche Bausteine und Umwelteinflüsse<br />

\i<br />

Die Pflanze und ihre<br />

Klassifizierung<br />

Für die Klassifizierung <strong>der</strong> Pflanzen gibt es zwei<br />

grundverschiedene Einteilungsprinzipien. Rein<br />

nach dem äußeren Habitus, <strong>der</strong> Physiognomie,<br />

kann man sogenannte Wuchs- o<strong>der</strong> Lebensformen<br />

unterscheiden. Exakte Analyse <strong>der</strong> Morphologie<br />

im weitesten Sinne, d. h. Feststellung<br />

und Vergleich aller erkennbaren Merkmale, fuhrt<br />

über die Kriterien <strong>der</strong> abgestuften Ähnlichkeit<br />

zum Natürlichen System des Pflanzenreiches als<br />

Ausdruck <strong>der</strong> durch die Evolution gegebenen<br />

Verwandtschaft.<br />

Pflanzensippen und Pflanzenreich<br />

Die botanische Systematik, ihre Methoden und<br />

Probleme sind nicht Thema dieser Darstellung.<br />

Definiert sei das häufig benutzte Wort Pflanzensippe<br />

(bzw. kurz Sippe): es ist eine allgemeine<br />

Bezeichnung für eine Einheit des Pflanzensystems<br />

ohne Berücksichtigung ihres Ranges in<br />

<strong>der</strong> taxonomischen Hierarchie. Die hier am häufigsten<br />

erwähnten Sippen sind Arten, Gattungen<br />

und Familien.<br />

Eine vereinfachte Übersicht über die Hauptgruppen<br />

des Pflanzenreiches gibt Tab. 1 (Näheres<br />

z. B. bei M elchior 1964, C ronquist 1981,<br />

Heywood 1982, Stewart 1983, Forr 1971, Hoek<br />

etc. 1993; vgl. auch Abb. 46, S. 124). Von ihnen<br />

sind in <strong>der</strong> Flora und Vegetation <strong>der</strong> Landoberfläche<br />

die Kormophyten dominierend,<br />

wobei die Physiognomie überwiegend von Samenpflanzen<br />

bestimmt wird. Die übrigen Gruppen<br />

können zwar physiologisch-ökologisch große<br />

Bedeutung haben (so Bakterien und Pilze),<br />

physiognomisch treten aber nur noch Moose<br />

und Flechten in Ausnahmefällen stärker in Erscheinung.<br />

Die Pflanzenwelt des Meeres wird<br />

hingegen von Algen beherrscht.<br />

Wuchs- und Lebensformen<br />

Gegenüber <strong>der</strong> Sippensystematik, die erst mit<br />

<strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Entwicklung <strong>der</strong> wissenschaftlichen<br />

Botanik seit dem 18. Jahrhun<strong>der</strong>t möglich<br />

wurde, ist die physiognomische Einteilung <strong>der</strong><br />

Pflanzen viel älter: schon seit Anbeginn <strong>der</strong><br />

sprachlichen Entwicklung <strong>der</strong> Menschheit entstanden<br />

physiognomische Bezeichnungen wie<br />

Baum, Strauch, Kraut. Die mo<strong>der</strong>ne Morphologie<br />

bzw. Ökologie hat solche Begriffe übernommen,<br />

neu definiert bzw. präzisiert, vermehrt<br />

und in Systeme gebracht (vgl. z. B. Rietz 1931,<br />

Rauh 1940, Schmithüsen 1968, Barkman 1988).<br />

Hierfür sind unterschiedliche Kriterien verwendbar,<br />

die entsprechend zu verschiedenen Glie<strong>der</strong>ungen<br />

führen. Zuweilen hat man versucht, alle<br />

Kriterien in einem Globalsystem zu vereinigen,<br />

doch fuhrt das zu extremer Unübersichtlichkeit,<br />

so daß es zweckmäßiger ist, mehrere Glie<strong>der</strong>ungen<br />

nebeneinan<strong>der</strong> bestehen zu lassen.<br />

Morphologisch begründete Kriterien für die<br />

Definition von Wuchsformen (Tab. 2) sind z. B.<br />

die Orientierung und Verteilung des Sproßsystems<br />

im Raume, die Gesamt-Lebensdauer, die<br />

Blühhäufigkeit o<strong>der</strong> die Verholzung <strong>der</strong> Achsen.<br />

Eine spezieller ökologisch definierte Glie<strong>der</strong>ung<br />

sind die sogenannten Lebensformen nach<br />

Raunkiaer (Abb. 1, Tab. 2.D). Dieses System,<br />

das seit seiner ersten Aufstellung (Raun-kiaer<br />

1904) viel benutzt und nach und nach erweitert<br />

wurde, basiert auf <strong>der</strong> ökologisch wichtigen Position<br />

<strong>der</strong> Überdauerungsknospen. Das ist zugleich<br />

sein Nachteil: es ist damit auf die Verhältnisse<br />

in <strong>der</strong> nördlichen gemäßigten Zone (d.<br />

h. einem Gebiet mit periodischem Klima) bezogen<br />

und daher in Gebieten ohne Klimaperiodizität<br />

(so in den feuchten Tropen) nur<br />

bedingt brauchbar.<br />

In einer sehr detaillierten Neubearbeitung haben<br />

Ellenberg & MOller-Dombois (1967b) versucht, tropische<br />

Lebensformen besser mit zu erfassen; für die<br />

Wuchsformen tropischer Gehölze ist außerdem die<br />

Klassifizierung von Hallé etc. (1978) grundlegend<br />

wichtig.


Die Pflanze und ihre Klassifizierung 3<br />

Tab. 1: Übersicht über das Pflanzenreich.<br />

Von den Nie<strong>der</strong>en Pflanzen sind nur die wichtigsten Gruppen angegeben.<br />

A = Abteilung, U.-A. = Unterabteilung, K = Klasse, U.-K. = Unterklasse; f = ausgestorben;<br />

[ 1= keine taxonomische, nur konventionelle Einheit.<br />

Taxonomische Einheit Deutscher Name bzw. Kurzbezeichnung Ungefähre Artenzahl<br />

Reich Procaryola<br />

Prokaryonten<br />

A Bacteria Bakterien 1600<br />

A Cyanophyceae Blaualgen 2000<br />

Reich Eucaryota<br />

Eukaryonten<br />

[Fungt\<br />

Pilze<br />

A Myxomycota Schleimpilze 700<br />

A Eumycota Echte Pilze 112000<br />

\Lichmes\<br />

Flechten (Symbiose Pilz/Alge)<br />

\Algae\<br />

Algen<br />

A Rhodophyta<br />

Rotalgen 4000<br />

A Chrysophyta<br />

K Ehaeophyceae Braunalgen 2000<br />

A Chlorophyta Grünalgen 8000<br />

A Bryophyta<br />

Moose<br />

K Anthocerotopsida Hornmoose 100<br />

K Hepaticae Lebermoose 5000<br />

K Musci Laubmoose 8000<br />

[Cormophyta]<br />

Kormophyten, Gefäßpflanzen<br />

A Pteridophyta<br />

Farnpflanzen<br />

K Psilophytopsida Urfarne (Psilophyten) t<br />

K Lycopodiopsida Bärlappartige (Lykophyten) 1000<br />

K Equisetopsida Schachtelhalmartige (Sphenophyten) 30<br />

K Etlicopsida<br />

Echte Farne (Pterophyten;<br />

inkl. Progymnospermen) 9000<br />

A Spermatophyta<br />

Samenpflanzen<br />

[U.-A. (Jymnospermae\ Nacktsamer<br />

K Pteridospermae Samenfarne t<br />

K Cycadopsida Cycadeen 120<br />

K Bennettitopsida Bennettiteen t<br />

K Pentoxylopüda Pentoxyleen t<br />

K Caytomopstda Caytonieen t<br />

K (Jlossoptendopsida Glossopterideen t<br />

K (Jzekanowskiopsida Czekanowskieen t<br />

K (Jmkgoopstda Ginkgoartige 1<br />

K Comjeropsida<br />

Koniferenartige<br />

U.-K. Lordaüidae Cordaiten t<br />

U.-K. Coniferae Koniferen, Nadelhölzer 600<br />

K Gnetopsida Gnetumartige 80<br />

U.-A. Angiospermae Blütenpflanzen 240000<br />

K Dicotyiedoneae<br />

Dikotylen<br />

K Monocotyledoneae Monokotylen


4 Pflanzliche Bausteine und Umwelteinflüsse<br />

Phanerophyt<br />

Therophyt<br />

9<br />

Helophyt<br />

Hydrophyten<br />

(Hemi-) (Eu-)<br />

Chamäphyten<br />

Abb. 1: Lebensformen nach Raunkiaer, modifiziert.<br />

Überdauernde Teile schwarz (vgl. Tab. 2.D). - Nach Raunkiaer 1904, Strasburger etc. 1991, Larcher 1994.<br />

Tab. 2: W uchsformen von Kormophyten.<br />

Nach diversen Quellen; zur Terminologie vgl. auch W agenitz 1996.<br />

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Die Pflanze und ihre Klassifizierung 5<br />

Forts. Tab. 2: Wuchsformen von Kormophyten.<br />

C<br />

Nach Orientierung und Verteilung des Sproßsystems im Raum<br />

Terrestrische: Im Boden wurzelnd, Blätter im Luftraum befindlich.<br />

Aufrechte: Hauptachse(n) negativ geotropisch wachsend, fest, freitragend; wenn mehrere, dann sich<br />

nicht gegenseitig stützend.<br />

Lianen: Achsen negativ geotropisch wachsend, aber nicht freitragend, son<strong>der</strong>n sich an ± vertikalen<br />

Unterlagen festhaltend.<br />

Schlinger: Die Hauptachse windet sich um die Unterlage.<br />

Rankenkletterer: Seitliche Organe winden sich um die Unterlage.<br />

Haftkletterer: Seitliche Organe befestigen sich mit ihrer rauhen Oberfläche an <strong>der</strong> Unterlage.<br />

Spreizkletterer: Die Pflanze stützt sich mit Wi<strong>der</strong>haken u.dgl. ab.<br />

Kriechende: Achsen nicht freitragend, dem Boden aufliegend, meist mit sproßbürtigen Wurzeln.<br />

Polsterpflanzen: Sprosse zahlreich, alle ± gleichartig, bodennahe, dicht aneinan<strong>der</strong>schließend und sich<br />

gegenseitig stützend.<br />

Rosettenpflanzen: Achse stark gestaucht, in o<strong>der</strong> unter Bodenniveau liegend, meist nur die Blätter<br />

sichtbar, die oft dem Boden aufliegen.<br />

Epiphyten: Nicht im Boden wurzelnd, son<strong>der</strong>n an<strong>der</strong>e Pflanzen u. dgl. als Unterlage benutzend (noch<br />

weiter unterteilbar wie die Terrestrischen).<br />

Aquatische (Wasserpflanzen): Photosyntheseorgane im Wasser (submers) o<strong>der</strong> an <strong>der</strong> Wasseroberfläche<br />

befindlich, Achsen vom Wasser getragen.<br />

Benthische: Auf dem Boden des Gewässers wurzelnd.<br />

Pelagische: Freischwimmend.<br />

D<br />

Nach Lage <strong>der</strong> (ggf.) ungünstige Jahreszeiten überdauernden Meristeme (Lebensformen nach<br />

R aunkiaer, modifiziert; Abb. 1)<br />

Phanerophyten: Oberirdischer Sproßzuwachs sich von Jahr zu Jahr addierend (vgl. B); Meristeme höher<br />

als 50 cm im freien Luftraum. Die Sproßachsen sind im Normalfall verholzt (= Bäume bzw. Sträucher),<br />

können aber auch krautig sein (Krautige Phanerophyten).<br />

Chamäphyten: Wie Phanerophyten, aber Meristeme höchstens 50 cm über dem Boden. Sproßachsen<br />

verholzt (= Zwergsträucher) o<strong>der</strong> krautig (Krautige Chamäphyten).<br />

Hemikryptophyten: Nur basale Sproßteile ausdauernd, oberirdische kurzlebig; Meristeme etwa in<br />

Bodenniveau.<br />

Geophyten: Meristeme nur an unterirdischen Organen. Nach diesen werden Rhizom-, Zwiebel-, Knollen-,<br />

Wurzelgeophyten unterschieden.<br />

Therophyten (= Sommerannuelle): Nur Samen bzw. Früchte überdauern.<br />

Helophyten: Sumpfpflanzen, photosynthetische Teile im Luftraum, überdauernde Meristeme unter<br />

Wasser.<br />

Hydrophyten: Wasserpflanzen, ± ganz im Wasser lebend, und zwar:<br />

Hemihydrophyten: Blätter an <strong>der</strong> Wasseroberfläche.<br />

Euhydrophyten: Völlig submers.<br />

Als Tropophyten faßt man nicht-annuelle Pflanzen in periodischen Klimaten zusammen, <strong>der</strong>en Aussehen<br />

sich im Laufe des Jahres wandelt, gewöhnlich durch den Verlust <strong>der</strong> Blätter o<strong>der</strong> weiterer oberirdischer<br />

Teile in <strong>der</strong> ungünstigen Jahreszeit (Sommergrüne/Regengrüne).


6 Pflanzliche Bausteine und Umwelteinflüsse<br />

2 Standortsökologie<br />

a<br />

Physiologische Ansprüche und<br />

Standort<br />

Das Verhalten <strong>der</strong> Pflanze in <strong>der</strong> Umwelt ist<br />

durch ihre physiologischen Ansprüche bedingt.<br />

Die autotrophe Landpflanze, mit <strong>der</strong> wir uns<br />

hier in erster Linie befassen, benötigt für ihre<br />

Existenz das Vorhandensein angemessener Mengen<br />

<strong>der</strong> folgenden Komponenten:<br />

Licht<br />

C O 2<br />

O 2<br />

Wärme<br />

Wasser<br />

Mineralstoffe.<br />

Diese „Lebensmittel“ sind ihr in verschiedener<br />

Form zugänglich: das Licht stammt aus <strong>der</strong> (direkten<br />

o<strong>der</strong> indirekten) Sonnenstrahlung, C O 2<br />

und O 2 entnimmt sie aus <strong>der</strong> Atmosphäre, Wärme<br />

teils ebenfalls aus dieser, teils direkt aus <strong>der</strong><br />

Strahlung, Wasser und Mineralstoffe im Normalfalle<br />

aus dem Boden. Näheres zu den<br />

ökophysiologischen Grundlagen vgl. bei Lar-<br />

CHER 1994 und Steubing etc. 1981.<br />

Wichtigstes Thema <strong>der</strong> <strong>Pflanzengeographie</strong><br />

ist die globale Differenzierung von Flora und<br />

Vegetation. Dementsprechend ist zu fragen, bei<br />

welchen <strong>der</strong> genannten Komponenten globale<br />

Unterschiede auftreten, die diese Differenzierung<br />

bewirken. Bei den Gasen C O j und O 2 ist<br />

das nicht <strong>der</strong> Fall: sie sind überall gleichmäßig<br />

verteilt. Der Gehalt an Mineralstoffen ist vom<br />

Boden abhängig und infolgedessen eher lokal<br />

als global verschieden. Beim Licht gibt es zwar<br />

große globale Unterschiede bezüglich <strong>der</strong> Tageslänge,<br />

die auch starken Einfluß auf das Verhalten<br />

<strong>der</strong> Einzelpflanze haben können (Kurz-,<br />

Langtagspflanzen); ein Einfluß auf die globale<br />

Floren- und Vegetationsglie<strong>der</strong>ung ist aber (zumindest<br />

rezent) nicht erkennbar. Es bleiben die<br />

Faktoren W ärm e und Wasser. Beide sind auf<br />

<strong>der</strong> Erde sehr ungleich verteilt; wieviel von ihnen<br />

an einem Ort verfügbar ist, hängt vom jeweiligen<br />

Klima ab. Die Großgliedemng <strong>der</strong> Flora<br />

und Vegetation <strong>der</strong> Erde ist also durch das Klima<br />

mit seinen beiden Komponenten Temperatur<br />

und Feuchtigkeit bedingt.<br />

Wieviel Licht, Wärme, Wasser und Mineralstoffe<br />

<strong>der</strong> Einzelpflanze bzw. dem Einzelbestand<br />

an ihrem Wuchsort zur Verfügung stehen, wird<br />

aber nicht nur durch das Klima, son<strong>der</strong>n durch<br />

weitere Faktoren anorganischer und organischer<br />

Natur bestimmt, die das Wachstum auch noch<br />

in an<strong>der</strong>er Hinsicht beeinflussen können. Alle<br />

diese Umwelteinflüsse bezeichnet man als<br />

Standortsfaktoren, die Gesamtheit ihrer Wirkungen<br />

auf die Pflanze bzw. den Bestand als<br />

Standort (zu unterscheiden von den Begriffen<br />

W uchsort und Fundort, mit denen allein <strong>der</strong><br />

geographische Punkt des Vorkommens gemeint<br />

ist). Die vielfältigen Standortsfaktoren lassen sich<br />

in drei Gmppen unterglie<strong>der</strong>n: klimatische, biotische<br />

und edaphische (Tab. 3).<br />

Tab. 3: Standortsfaktoren.<br />

Klimatische (Groß- und Mesoklima)<br />

Temperatur<br />

Nie<strong>der</strong>schlag<br />

Einstrahlung<br />

Biotische (an<strong>der</strong>e Lebewesen, z. B.:)<br />

Konkurrenten<br />

Feinde<br />

Parasiten<br />

Symbionten<br />

Beschützer, z. B. gegen<br />

Freßfeinde<br />

Austrocknung<br />

Bestäuber<br />

Diasporen-Verbreiter<br />

Edaphische (i. w. S., z. B.:)<br />

Boden:<br />

Struktur<br />

Chemismus (einschl. pH)<br />

Wasserhaushalt<br />

Geländesituation<br />

Mikroklima<br />

Weitere Einflüsse auf die Flora und Vegetation<br />

gehen vom Menschen aus. Die Einwirkung des<br />

Menschen zeigt drei verschiedene Dimensionen:<br />

er ist (1) selbst biotischer Standortsfaktor, (2)<br />

Beeinflusser <strong>der</strong> übrigen Faktoren, (3) Erzeuger<br />

neuer, in <strong>der</strong> Natur so nicht vorkommen<strong>der</strong><br />

Zustände.


Standortsökologie 7<br />

b<br />

Wirkung <strong>der</strong> global<br />

differenzierenden Faktoren<br />

Von den beiden maßgebenden Klimakomponenten,<br />

<strong>der</strong> thermischen und <strong>der</strong> hygrischen, ist<br />

die Wärme die übergeordnete: das großklimatisch<br />

bedingte Angebot an Wasser läßt sich leicht durch<br />

lokale, edaphische Einflüsse grundlegend verän<strong>der</strong>n,<br />

das an Wärme hingegen kaum.<br />

Wärme<br />

Die Wärme, bzw. ihre Meßgröße, die Temperatur,<br />

wirkt in zweierlei Weise auf das Leben <strong>der</strong><br />

Pflanzen ein: einerseits durch Beeinflussung <strong>der</strong><br />

wichtigsten Lebensvorgänge wie Photosynthese<br />

und Atmung, an<strong>der</strong>erseits durch Schädigung <strong>der</strong><br />

lebenden Substanz bei <strong>der</strong> Über- o<strong>der</strong> Unterschreitung<br />

bestimmter Extremwerte.<br />

Photosynthese und Atmung sind chemische<br />

Prozesse und damit temperaturabhängig. Beide<br />

kommen erst bei einer bestimmten Mindesttemperatur<br />

in Gang und steigen dann mit zunehmenden<br />

Temperaturen an. Während <strong>der</strong> Anstieg<br />

bei <strong>der</strong> Atmung in Form einer Exponentialkurve<br />

erfolgt, entspricht er bei <strong>der</strong> Photosynthese einer<br />

Sättigungskurve, da <strong>der</strong> COj-Gehalt <strong>der</strong> Luft<br />

als Minimumfaktor dämpfend wirkt. Die Nettophotosynthese<br />

o<strong>der</strong> Stoffbilanz, d. h. die Menge<br />

<strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Photosynthese erzeugten Substanz<br />

abzüglich <strong>der</strong> im gleichen Zeitraum durch Atmung<br />

verbrauchten, stellt sich demzufolge in<br />

Form einer Optimumskurve dar (Abb. 2). Für<br />

die Gesamtheit <strong>der</strong> höheren Landpflanzen liegt<br />

<strong>der</strong>en Optimumsbereich zwischen -t-10 und<br />

-1-35 °C und ist damit recht breit (bei den einzelnen<br />

Arten ist er schmäler, entsprechend den<br />

in ihrem Wuchsraum herrschenden Bedingungen).<br />

Liegt die Temperatur ober- o<strong>der</strong> unterhalb<br />

des Optimumsbereichs, so ist die Nettoproduktion<br />

herabgesetzt; ist das über längere Zeit<br />

<strong>der</strong> Fall, so kann das Wachstum zum Erliegen<br />

kommen und das Vorkommen <strong>der</strong> betr. Sippe<br />

auf die Dauer unmöglich werden.<br />

Niedriger liegt das Optimum bei manchen Kryptogamen<br />

extremer Standorte; so werden für Flechtenarten<br />

in <strong>der</strong> Antarktis Werte von 5 bis 8 °C angegeben, und<br />

eine positive Stoffbilanz ist hier sogar bei Temperaturen<br />

bis unter -10 °C möglich.<br />

Neben dem Optim um sbereich <strong>der</strong> N ettophotosynthese<br />

gibt es für jede Pflanzensippe<br />

einen wesentlich weiteren thermischen Toleranzbereich,<br />

in dem zumindest mittelfristiges<br />

Überleben möglich ist. Werden dessen Temperaturgrenzen<br />

überschritten, so kommt es zu<br />

Schädigungen, die meist auf Membrandegeneration<br />

in den Zellen und Störung des Eiweißstoffwechsels<br />

beruhen. Sie betreffen die einzelnen<br />

Zellsorten und Gewebe <strong>der</strong> Pflanze in<br />

unterschiedlichem Maße; doch kann schon das<br />

Absterben ein es wichtigen Gewebetyps für die<br />

ganze Pflanze letal wirken.<br />

Hitzeschäden können bei Temperaturen ab<br />

etwa 45 °C auftreten; 60 °C und mehr sind zumindest<br />

für die Blätter <strong>der</strong> meisten höheren<br />

Pflanzen letal. Solche Temperaturen treten in<br />

<strong>der</strong> Luft nur selten auf (in Libyen und Mexiko<br />

wurden bis zu 58 °C gemessen) und auch dann<br />

meist nur kurzzeitig. Allerdings kann infolge<br />

direkter Sonneneinstrahlung die Temperatur von<br />

Blättern bis zu 20 °C über die <strong>der</strong> Luft ansteigen.<br />

Als Anpassungen, die eine solche Überhitzung<br />

verhin<strong>der</strong>n können, werden angegeben:<br />

• Steilstellen <strong>der</strong> Blätter (z. B. Eucalyptus)<br />

• Glänzende, reflektierende Blattoberflächen<br />

Abb. 2: Temperaturbereich des<br />

Lebens höherer Pflanzen.


8 Pflanzliche Bausteine und Umwelteinflüsse<br />

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• Behaarung mit toten, lufterfüllten Haaren,<br />

die zugleich Reflexion und Isolation bewirken<br />

• Transpirationskühlung.<br />

Die letztgenannte, die in Lehrbüchern oft als wichtige<br />

Nebenwirkung <strong>der</strong> Transpiration angegeben wird, hat<br />

in Wirklichkeit nur geringe Bedeutung, da in Gebieten<br />

mit extrem hohen Temperaturen meist zugleich<br />

so starker Wasserstreß herrscht, daß eine uneingeschränkte<br />

Transpiration gar nicht möglich ist. Ausnahmen<br />

sind Fälle, in denen die Pflanze eine Verbindung<br />

zum Grundwasser hat.<br />

Insgesamt ist zu konstatieren, daß Schäden<br />

durch zu hohe Temperaturen keinen erkennbaren<br />

Einfluß auf die globale Floren- und Vegetationsglie<strong>der</strong>ung<br />

haben. Das Fehlen von Pflanzensippen<br />

in sehr heißen Gebieten beruht gewöhnlich<br />

auf <strong>der</strong> damit verbundenen Trockenheit.<br />

Umso größer ist die Wirkung von Kälteschäden.<br />

Die Amplitude <strong>der</strong> Temperaturen, die<br />

solche Schäden verursachen können, ist sehr<br />

groß: während manche Sippen tropischer Verbreitung<br />

schon bei etwa -F5 °C abzusterben beginnen,<br />

gibt es an<strong>der</strong>e, die selbst die am Kälte­<br />

pol <strong>der</strong> Nordhalbkugel auftretenden -7 0 °C<br />

ungeschädigt überstehen. Einen Überblick über<br />

das Auftreten von Frosttemperaturen auf <strong>der</strong><br />

Erde gibt Abb. 3.<br />

Nach <strong>der</strong> Art <strong>der</strong> Wirkung, die die Schädigung<br />

hervorruft, unterscheidet man Erkältungsschäden<br />

und Frostschäden. Erkältungsschäden<br />

entstehen bei Temperaturen über dem Gefrierpunkt<br />

bzw. bei geringen Frostgraden im Außenmilieu,<br />

ohne daß es in <strong>der</strong> Pflanze selbst zur<br />

Bildung von Eis kommt (da das in <strong>der</strong> Pflanze<br />

vorhandene Wasser nicht chemisch rein und außerdem<br />

meist noch matrikal gebunden ist, liegt<br />

sein Gefrierpunkt in jedem Fall tiefer als 0 °C).<br />

Eigentliche Frostschäden werden durch Eisbildung<br />

im Innern <strong>der</strong> Pflanze hervorgerufen;<br />

diese kann sowohl innerhalb <strong>der</strong> lebenden Zellen<br />

als auch außerhalb <strong>der</strong>selben in wasserdurchtränkten<br />

Zellwänden und in Leitelementen erfolgen.<br />

Das in <strong>der</strong> Pflanze vorhandene Eis verstärkt<br />

die oben skizzierten Schädigungen durch<br />

Wasserentzug; in <strong>der</strong> lebenden Zelle selbst plötzlich<br />

entstehende Eiskristalle können außerdem<br />

die Feinstruktur <strong>der</strong> Zelle mechanisch schädigen.<br />

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Abb. 3: Auftreten von Frösten auf <strong>der</strong> Erde.<br />

1 frostfrei, 2 Fröste bis -10 °C, 3 mittlere Minima bis -<br />

1994, verän<strong>der</strong>t.<br />

°C, 4 dsgl. unter -40 °C, 5 Polareis. - Aus Larcher<br />

‘ „ * ■


Standortsökologie 9<br />

Wie auch bei an<strong>der</strong>en ökologischen Streßfaktoren,<br />

gibt es zwei Strategien zum Schutz<br />

gegen Schädigungen durch Kälte: die Kältevermeidung,<br />

und die Entwicklung einer wirklichen<br />

Kälteresistenz.<br />

Die Kältevermeidung besteht darin, daß die<br />

Pflanze dafür sorgt, daß sie bzw. zumindest ihre<br />

empfindlichsten Teile (im Normalfalle die physiologisch<br />

beson<strong>der</strong>s aktiven Blätter) den schädigenden<br />

Temperaturen gar nicht ausgesetzt<br />

wird. Typische Anpassungen dieser Art sind <strong>der</strong><br />

Abwurf <strong>der</strong> Blätter (sommergrüne Gehölze) o<strong>der</strong><br />

aller oberirdischen Teile (Geophyten), o<strong>der</strong> aber<br />

das völlige vegetative Absterben und die<br />

Überdauerung als im Zustand latenten Lebens<br />

befindliche Samen (Therophyten). Solche Verhaltensweisen<br />

sind allerdings auf Gebiete mit<br />

periodischem Klima beschränkt, in dem die zu<br />

tiefen Temperaturen zwar längere Zeit andauern<br />

können, aber nur einen bestimmten Teil des<br />

Jahres betreffen. Treten kritische Temperaturen<br />

stets nur kurzzeitig auf (z. B. als Nachtfröste in<br />

tropischen Gebirgslagen), so kann bereits eine<br />

Isolierung durch starke Behaarung ausreichen,<br />

um das Eindringen <strong>der</strong> Kälte in das lebende<br />

Gewebe zu verhin<strong>der</strong>n.<br />

Von echter Kälteresistenz spricht man, wenn<br />

Anpassungen vorliegen, die das Überleben <strong>der</strong><br />

tatsächlich auf die Zellen einwirkenden Tieftemperaturen<br />

erlauben. Es handelt sich hierbei<br />

um äußerlich nicht erkennbare, konstitutionelle<br />

physiologische Eigenschaften, die von den<br />

einzelnen Sippen in unterschiedlichem Ausmaße<br />

erworben o<strong>der</strong> nicht erworben wurden. Entsprechend<br />

<strong>der</strong> Unterteilung <strong>der</strong> Kälteschäden<br />

läßt sich auch hier zwischen Erkältungs- und<br />

Frostresistenz differenzieren.<br />

Erkältungsresistenz liegt vor, wenn alle Temperaturen<br />

bis direkt vor <strong>der</strong> beginnenden Eisbildung<br />

ohne Schaden ertragen werden. Diese<br />

Eigenschaft fehlt vielen tropischen Sippen, die<br />

eben deswegen auf die Tropen beschränkt sind.<br />

Viele Pflanzen nutzen die Erkältungsresistenz<br />

aus, um im Sinne einer Vermeidungsstrategie<br />

(„Eisvermeidung“) auch mäßige Fröste im<br />

Außenmilieu zu überstehen, ohne wirklich frostresistent<br />

zu sein. Das geschieht u. a. durch eine<br />

stärkere Gefrierpunktemiedrigung des Zellsaftes<br />

mit Hilfe einer aktiven Erhöhung seiner Konzentration,<br />

beson<strong>der</strong>s des Zuckergehaltes. Auf<br />

diese Weise können Fröste bis zu etwa -1 2 °C<br />

ohne Eisbildung in <strong>der</strong> Pflanze überstanden<br />

werden (bekanntes Beispiel ist Olea europaea, die<br />

bei beginnen<strong>der</strong> Eisbildung sofort geschädigt<br />

wird).<br />

Bei <strong>der</strong> wirklichen Frostresistenz (auch „Eisbeständigkeit“<br />

genannt) ist das Protoplasma befähigt,<br />

die Wirkungen <strong>der</strong> Eisbildung in <strong>der</strong><br />

Pflanze unbeschädigt zu überstehen; das jedoch<br />

nicht unbegrenzt, son<strong>der</strong>n nur bis zum Eintreten<br />

bestimmter, sehr unterschiedlicher Minimaltemperaturen.<br />

Wie schon angedeutet, sind die<br />

ohne Schaden ertragenen Temperaturen auch in<br />

den einzelnen Geweben und Organen <strong>der</strong>selben<br />

Pflanze recht unterschiedlich (Abb. 4). Außerdem<br />

wechseln sie im Laufe des Jahres: in<br />

Gebieten mit thermischen Jahreszeiten ist echte<br />

Frostresistenz nur im Winter vorhanden. Im<br />

Sommer sind die Pflanzen nur erkältungsresistent,<br />

was zur Folge hat, daß etwa im Mai<br />

auftretende Spätfröste von wenigen Minusgraden<br />

zu starken Schäden führen können. Zum<br />

Herbst hin erfolgt eine zunehmende „Abhärtung“,<br />

die anscheinend sowohl durch die sinkenden<br />

Temperaturen als auch durch die abnehmende<br />

Tageslänge induziert sein kann.<br />

Abb. 4: Differenzierte Frostresistenz in versehiedenen<br />

Teilen von Acer pseudoplatanus im Winter (abgehärtet)<br />

und in <strong>der</strong> Vegetationsperiode (nicht abgehärtet).<br />

Aus Larch ER 1994.


10 Pflanzliche Bausteine und Umwelteinflüsse<br />

Neben den bisher behandelten direkten<br />

Kälteschäden gibt es auch indirekte Schädigungen,<br />

nämlich durch die sogenannte Frosttrocknis.<br />

Sie besteht darin, daß an sich frostresistente<br />

Pflanzen bei anhaltendem Frost, vor allem in<br />

Verbindung mit intensiver Sonneneinstrahlung,<br />

Wasser verlieren, das infolge des gefrorenen<br />

Bodens nicht ersetzt werden kann: es kommt<br />

also zum Vertrocknen, beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong> Blätter<br />

(Schutzmaßnahmen hiergegen sind die gleichen<br />

wie bei Wasserstreß).<br />

Während die verschiedenen Formen kältebedingter<br />

Schäden theoretisch klar zu trennen<br />

sind, ist in <strong>der</strong> Praxis oft schwer zu ermitteln,<br />

welche Wirkungsweise im Einzelfall ausschlaggebend<br />

war. Ohne Differenzierung <strong>der</strong> Ursachen<br />

bezeichnet man als „Frosthärte“ gewöhnlich die<br />

Minustemperatur, die gerade noch ohne größere<br />

Schäden ertragen wird. Allgemein ist festzustellen,<br />

daß die Blätter <strong>der</strong> Angiospermen nur<br />

selten eine Frosthärte entwickelt haben, die wesentlich<br />

unter -1 5 °C geht (eine Ausnahme bilden<br />

viele Ericaceen). Sehr viel tiefere Frostgrade<br />

ertragen die xeromorphen Nadelblätter einiger<br />

Koniferen.<br />

Wasser<br />

Das Wasser ist für das Pflanzenleben von größter<br />

Bedeutung: es ist nicht nur <strong>der</strong> mengenmäßig<br />

wichtigste Baustoff <strong>der</strong> lebenden Substanz<br />

(Protoplasma 70-90 %, gesamte lebende Pflanzenzelle<br />

> 90 % HjO), son<strong>der</strong>n auch Nährstoff<br />

(bei <strong>der</strong> Photosynthese) und Transportmittel für<br />

gelöste Substanzen.<br />

Den wasserbewohnenden Vorfahren <strong>der</strong> höheren<br />

Pflanzen stand Wasser in unbegrenzter<br />

Menge zur Verfügung. An<strong>der</strong>s bei den Landpflanzen:<br />

sie leben im Luftraum, <strong>der</strong> fast immer<br />

ein starkes Wassersättigungsdefizit aufweist,<br />

und verlieren infolgedessen fast dauernd Wasser;<br />

dieser Wasserverlust ist die Transpiration.<br />

Die Bewältigung <strong>der</strong> durch die Transpiration<br />

drohenden Schäden war das größte Problem bei<br />

<strong>der</strong> Entstehung <strong>der</strong> Landpflanzen. Auch hierfür<br />

wurden die beiden unterschiedlichen Strategien<br />

<strong>der</strong> Vermeidung und <strong>der</strong> echten Resistenz<br />

angewandt. Dementsprechend sind zwei Typen<br />

des Wasserhaushaltes zu unterscheiden.<br />

Beim passiven Wasserhaushalt sind die Zellen<br />

resistent gegen Wasserverlust. Ihr Wassergehalt<br />

steht im Gleichgewicht mit dem <strong>der</strong> Umgebung,<br />

d. h. mit <strong>der</strong> relativen Luftfeuchte. Nur<br />

wenn diese sehr hoch ist (o<strong>der</strong> die Pflanze direkt<br />

mit flüssigem Wasser benetzt wird), ist aktives<br />

Leben möglich; bei Austrocknung gehen die<br />

Zellen in einen Zustand latenten Lebens über.<br />

Da eine genügend hohe Luftfeuchte fast überall<br />

nur ziemlich kurzzeitig eintritt, hat diese Strategie<br />

den Nachteil, daß nur schwache Wuchsleistungen<br />

möglich sind. Pflanzen mit solchem<br />

Verhalten, die auch poikilohydrisch heißen,<br />

erreichen daher nur geringe Größen und haben<br />

in <strong>der</strong> Vegetation nur eine geringe Bedeutung.<br />

Zu ihnen gehören neben einigen an <strong>der</strong> Luft<br />

lebenden Algen vor allem Moose und Flechten<br />

(von Kormophyten nur wenige, physiologisch<br />

aberrante Sippen).<br />

Die große Mehrzahl <strong>der</strong> Kormophyten, d. h.<br />

<strong>der</strong> typischen Landpflanzen, sind hingegen<br />

homoiohydrisch, sie haben einen aktiven Wasserhaushalt.<br />

Ihre Zellen vertragen keine stärkere<br />

Entwässerung. Um diese zu verhin<strong>der</strong>n, mußte<br />

eine Reihe von Schutzanpassungen entwikkelt<br />

werden, die den typischen anatomisch-physiologischen<br />

Merkmalskomplex <strong>der</strong> Kormophyten<br />

(Landpflanzen-Syndrom) bilden. Zunächst<br />

ist eine möglichst gute Abdichtung nach außen<br />

notwendig, <strong>der</strong> die im Prinzip lückenlose Epi<strong>der</strong>mis<br />

mit <strong>der</strong> Kutikula dient. Der Abschluß<br />

darf jedoch nicht vollständig sein: regelbare<br />

Durchlässe, die Spaltöffnungen (Stomata), sorgen<br />

dafür, daß das für die Photosynthese notwendige<br />

C O 2 (ebenso das O 2 für die Atmung)<br />

in die Pflanze gelangt. Das hierbei (durch „stomatäre<br />

Transpiration“) und ebenso durch die<br />

nicht völlig wasserdichte Kutikula („kutikuläre<br />

Transpiration“) zwangsläufig doch verlorengehende<br />

Wasser wird durch ein Wasserleitungssystem,<br />

das Xylem, ersetzt, dem es aus dem Boden<br />

mit Hilfe eines Aufnahmeorgans, <strong>der</strong> Wurzel,<br />

zugeführt wird. Auf diese Weise wird im Innern<br />

<strong>der</strong> Pflanze permanent ein bestimmter Wasserzustand<br />

(Hydratur) aufrechterhalten, <strong>der</strong> ein<br />

ununterbrochenes aktives Leben erlaubt und damit<br />

letztlich die Grundlage <strong>der</strong> erfolgreichen Erobemng<br />

des Landes durch die Kormophyten ist.<br />

Die ersten größeren Landpflanzen lebten<br />

unter Umweltbedingungen, die durch ein reiches<br />

Wasserangebot (sowohl in klimatischer als<br />

auch in edaphischer Hinsicht) die Aufrechterhaltung<br />

<strong>der</strong> Hydratur relativ leicht machten.<br />

Seither wurden jedoch immer trockenere Standorte<br />

besiedelt, so daß viele Pflanzensippen zeitweilig<br />

o<strong>der</strong> längerfristig unter Wasserstreß leiden.


Standortsökologie 11<br />

Von Wasserstreß kann man sprechen, wenn<br />

bei uneingeschränkter Transpiration (d. h. offenen<br />

Stomata) mehr Wasser verloren geht, als aus<br />

dem Boden nachgeleitet werden kann. Das Defizit<br />

in <strong>der</strong> Nachleitung kann zwei Ursachen<br />

haben: zu geringe Leitungskapazität, o<strong>der</strong> zu<br />

geringer Bodenwassergehalt.<br />

Die erste Ursache liegt meistens bei kurzzeitigem<br />

Wasserstreß vor, wie er oft täglich zur Zeit<br />

<strong>der</strong> höchsten Strahlungsintensität eintritt. Die<br />

Pflanze hilft sich hiergegen durch vorübergehenden<br />

Spaltenschluß; Folge ist die bekannte, bei<br />

<strong>der</strong> Messung von Transpirations-Tagesgängen<br />

häufig gefundene „Mittagsdepression“.<br />

Länger anhalten<strong>der</strong> Wasserstreß infolge Wassermangels<br />

im Boden tritt bei sehr trockenen<br />

Klima- o<strong>der</strong> Witterungsbedingungen auf (kann<br />

aber auch durch extreme Flachgründigkeit des<br />

Bodens bedingt sein, z. B. auf Felsuntergrund).<br />

Er führt im Prinzip zu langfristigem Spaltenschluß<br />

und damit letztlich zur Drosselung <strong>der</strong><br />

Photosynthese, d. h. <strong>der</strong> Produktion. Sind die<br />

ungünstigen Bedingungen jahreszeitlich begrenzt<br />

(Trockenzeit), so können ähnliche Vermeidungsstrategien<br />

wie beim Winter auftreten:<br />

Abwurf <strong>der</strong> Blätter, Zurückziehen in den Boden,<br />

Überdauern als Samen.<br />

Solche Maßnahmen sind jedoch unwirksam,<br />

wenn Wasserstreßperioden über das ganze Jahr<br />

verteilt sind o<strong>der</strong> (zumindest in <strong>der</strong> thermisch<br />

bedingten Vegetationsperiode) ununterbrochen<br />

andauern. Unter solchen Bedingungen lebende<br />

Pflanzen haben stärkere Anpassungen entwikkelt,<br />

die die Aufrechterhaltung nicht nur <strong>der</strong><br />

Hydratur, son<strong>der</strong>n auch einer gewissen Photosyntheseleistung<br />

gewährleisten. Nach den Anpassungsstrategien,<br />

die diese Dürreresistenz<br />

bewirken, unterscheidet man Xerophyten und<br />

Sukkulenten.<br />

Beide Gruppen benötigen eine effektive Abdichtung<br />

nach außen: sehr dichte Kutikula und<br />

gut schließende Spaltöffnungen. Bei den Sukkulenten,<br />

die unter Klimabedingungen mit zwar<br />

sehr kurzer, aber regelmäßig periodischer Regenzeit<br />

auftreten, wird das Überleben <strong>der</strong> Trockenzeit<br />

durch Wasserspeicherung gesichert. Sie erfolgt<br />

in großen Parenchymkomplexen, die zu<br />

einer Verdickung bzw. Abrundung <strong>der</strong> betroffenen<br />

Pflanzenteile führen (die resultierende Verkleinerung<br />

<strong>der</strong> Oberfläche im Verhältnis zum<br />

Volumen bewirkt zugleich eine relative Herabsetzung<br />

<strong>der</strong> kutikulären Transpiration). Entsprechend<br />

den O rganen , in denen das W asserspeichergewebe<br />

auftritt, gibt es Blatt- und<br />

Stammsukkulenten; die Ausbildung <strong>der</strong> Sukkulenz<br />

ist ein klassisches Beispiel für gleiche Physiognomie<br />

bei Sippen unterschiedlicher Verwandtschaft<br />

infolge konvergenter ökologischer<br />

Anpassung. Das Wurzelsystem größerer Sukkulenten<br />

ist meist differenziert in wenige tiefgehende,<br />

<strong>der</strong> Befestigung dienende Pfahlwurzeln<br />

und ein flaches, weit ausgedehntes Wurzelwerk<br />

dicht unter <strong>der</strong> Bodenoberfläche, das bei einsetzenden<br />

Regenfällen möglichst rasch viel Wasser<br />

aufhehmen kann. Bei den meisten Sukkulenten<br />

ist die Wasserspeicherung mit einer zweiten,<br />

spezielleren Anpassung verbunden: sie haben<br />

den Typ <strong>der</strong> CAM-Photosynthese. Hierbei<br />

müssen die Stomata zur C02-Aufnahme nur<br />

nachts geöffnet werden, so daß ein Stoffgewinn<br />

bei minimalem Wasserverlust möglich ist.<br />

Bei den Xerophyten (Xerom orphen) wird<br />

die Dürreresistenz ohne Wasserspeicherung erreicht.<br />

Mittel hierzu sind einerseits eine noch<br />

stärkere Verhin<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Transpiration, an<strong>der</strong>erseits<br />

eine sehr ausgeprägte Fähigkeit zur Wasseraufhahme<br />

aus dem Boden. Letztere wird erm<br />

öglicht durch ein umfangreiches, tiefreichendes<br />

Wurzelsystem, das um ein Vielfaches<br />

größer sein kann als <strong>der</strong> oberirdische Teil <strong>der</strong><br />

Pflanze. An letzterem, zumindest an seinen grünen<br />

Abschnitten, ist zumeist ähnlich wie bei den<br />

Sukkulenten das Verhältnis Oberfläche zu Volumen<br />

verkleinert: die Blätter sind relativ dick<br />

und durch starke Sklerenchymanteile hart („hartlaubig“,<br />

„sklerophyll“), so daß sie auch bei starkem<br />

Wasserentzug nicht welken, o<strong>der</strong> sie sind<br />

ganz reduziert und die Photosynthese erfolgt in<br />

<strong>der</strong> Sproßachse. Das Chlorenchym (photosynthetisch<br />

tätige Gewebe) besteht meist nicht<br />

nur aus einer Palisadenschicht, son<strong>der</strong>n aus<br />

mehreren übereinan<strong>der</strong> (infolge <strong>der</strong> in Trockengebieten<br />

intensiven Einstrahlung gelangt auch<br />

in die tieferen Schichten noch genügend Licht).<br />

Die Kutikula ist oft noch durch Wachsüberzüge<br />

verstärkt, o<strong>der</strong> ein dichtes, aus toten lufterfüllen<br />

Zellen bestehendes Haarkleid schirmt sie vom<br />

offenen Luftraum ab, so daß verdunstendes<br />

Wasser nicht so schnell abgeführt wird. Dem<br />

gleichen Ziel dient die häufig auftretende Einsenkung<br />

des Spaltöffnungen; diese sind meist in<br />

sehr großer Zahl vorhanden, so daß bei ausnahmsweise<br />

eintretenden günstigen Bedingungen rasch<br />

eine intensive Photosynthese möglich ist.<br />

Insgesamt ist die äußere Konsistenz <strong>der</strong> Pflanzen,<br />

beson<strong>der</strong>s ihrer photosynthetisch aktiven


12 Pflanzliche Bausteine und Umwelteinflüsse<br />

Teile, sehr stark durch den Wasserfaktor bestimmt.<br />

Man unterscheidet dementsprechend<br />

eine Reihe von „morphologischen Wasserhaushaltstypen“:<br />

neben den besprochenen Sukkulenten<br />

und Xeromorphen gibt es noch Mesomorphe,<br />

die zwar einen guten Verdunstungsschutz,<br />

aber wenig Festigungsgewebe haben und<br />

daher bei stärkerem Wasserstreß welken, und<br />

Hygromorphe mit kaum entwickeltem Verdunstungsschutz,<br />

die auf dauernd hohe Luftfeuchte<br />

angewiesen sind.<br />

c<br />

Maßgebliche Klimawerte und ihre<br />

Darstellung<br />

Wie ausgefuhrt, ist die ökologische Grundlage<br />

<strong>der</strong> Großglie<strong>der</strong>ung von Flora und Vegetation<br />

die globale Differenzierung des Klimas. Für diese<br />

haben Geographen und Klimatologen eine Reihe<br />

verschiedener Glie<strong>der</strong>ungen entworfen, die<br />

hier nicht erörtert werden sollen (manche von<br />

ihnen basieren ihrerseits großenteils auf <strong>der</strong><br />

Vegetationsglie<strong>der</strong>ung).<br />

Will man die Verbreitung und Abgrenzung<br />

von Florenelementen und Vegetationstypen im<br />

Detail auf ihre klimatischen Ursachen zurückführen,<br />

so muß man auf die von <strong>der</strong> Meteorologie<br />

gelieferten Klimawerte zurückgreifen. Wie<br />

später noch näher ausgeführt werden wird, sind<br />

hierfür vor allem die folgenden Daten von Bedeutung:<br />

• die Zeit mit Temperaturmitteln über<br />

-1-10 °C („Sommerlänge“)<br />

das absolute Minimum <strong>der</strong> Temperatur<br />

• die Humidität bzw. Aridität.<br />

Die beiden thermischen Komponenten, die die<br />

Dauer des für die Stoffproduktion optimal nutzbaren<br />

Zeitraums bzw. das Auftreten für bestimmte<br />

Sippen letaler Tieftemperaturen anzeigen,<br />

bieten dabei keine Probleme. Schwierig ist aber<br />

eine adäquate Ermittlung und Darstellung des<br />

hygrischen Faktors. Die „Humidität“ des Klimas,<br />

die für das <strong>der</strong> Pflanzenwelt zur Verfügung stehende<br />

Wasserangebot verantwortlich ist, hängt<br />

von drei verschiedenen Klimamerkmalen ab: <strong>der</strong><br />

Menge <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>schläge, ihrer jahreszeitlichen<br />

Verteilung und den zugleich herrschenden Temperaturen.<br />

Alle drei variieren un-abhängig voneinan<strong>der</strong>,<br />

so daß einerseits die verschiedensten<br />

Kombinationen möglich sind, an<strong>der</strong>erseits aber<br />

auch dieselbe Wirkung durch unterschiedliche<br />

Kombinationen erreicht werden kann. Diese<br />

Schwierigkeit hat man durch die Berechnung<br />

sogenannter Klimaindizes, in die alle drei Komponenten<br />

eingehen, zu meistern versucht. Doch<br />

sind die so ermittelten Zah-lenwerte insofern unbefriedigend,<br />

als sie erstens allgemein unanschaulich<br />

sind und zweitens die ihnen zugrundeliegenden<br />

konkreten Werte nicht mehr erkennen<br />

lassen.<br />

Beide genannten Nachteile lassen sich durch<br />

eine kombinierte grafische Darstellung vermeiden,<br />

wie sie in den auf Gaussen zurückgehenden,<br />

von W alter weltweit eingeführten (W alter<br />

etc. 1960f) Klimadiagrammen vorliegt. Diese<br />

eigens für ökologische Zwecke konzipierten,<br />

zahlreiche Informationen in übersichtlicher<br />

Form darbietenden Diagramme (Abb. 5) werden<br />

auch im vorliegenden Text verwendet. Speziell<br />

hervorgehoben sei dabei schon hier <strong>der</strong><br />

wichtige Begriff <strong>der</strong> „Dürrezeit“, <strong>der</strong> stets in dem<br />

von W alter definierten Sinne (m in Abb. 5)<br />

benutzt wird.


Standortsökologie 13<br />

ODESSA (7 0 m )<br />

DOUALA (13 m )<br />

MO)<br />


B Verbreitungsökologie<br />

Nehmen wir an, irgendwo auf <strong>der</strong> Erde sei eine<br />

neue Pflanzensippe entstanden. Sie hat eine<br />

Reihe genetisch fixierter Eigenschaften, von denen<br />

für uns zwei Gruppen von Interesse sind:<br />

die Standortsansprüche (klimatische, edaphische<br />

und hiotische; synökologische Konstitution)<br />

und die Ausbreitungsfähigkeit (verbreitungsökologische<br />

Konstitution).<br />

Grundlegend für die Ausbreitungsmöglichkeiten<br />

sind die klimatischen Ansprüche: unsere<br />

Pflanze wird nur da auf die Dauer wachsen können,<br />

wo die Klimaverhältnisse diesen entsprechen.<br />

Das Gebiet auf <strong>der</strong> Erde, in dem das zutrifft,<br />

ist ihr potentielles Areal.<br />

Die Pflanze wird nun beginnen, ihr potentielles<br />

Areal zu besiedeln. Wie weit sie das schafft,<br />

hängt von ihren übrigen Standortsansprüchen<br />

und ihrer Ausbreitungsfähigkeit ab. Aus verschiedenen<br />

Gründen ist das tatsächlich besiedelte,<br />

das reale Areal, gewöhnlich kleiner als das potentielle<br />

(Näheres S. 45).<br />

Die Form des potentiellen Areals ist durch<br />

die Klimabedingungen gegeben. An<strong>der</strong>n sich<br />

diese, so än<strong>der</strong>t sich auch das potentielle und in<br />

Folge davon auch das reale Areal.<br />

Die Ausbreitung wird durch die Diasporen<br />

(Verbreitungseinheiten) besorgt, das sind im<br />

Normalfalle beson<strong>der</strong>e, im Ruhezustand befindliche<br />

Teile des Pflanzenkörpers. Sie lösen sich<br />

von <strong>der</strong> Mutterpflanze, werden auf verschiedene<br />

Weise verfrachtet und schließlich irgendwo<br />

abgesetzt, wo die darin enthaltenen Keime (1<br />

bis viele) unter günstigen Umständen zu neuen<br />

Individuen heranwachsen können.<br />

Eine Ausbreitung hat stattgefunden, wenn<br />

eine Pflanzensippe einen Wuchsort, an dem sie<br />

bisher nicht vorkam, neu besetzt hat. Als wirklich<br />

erfolgreich und dauerhaft kann ein solcher<br />

Ausbreitungsschritt aber erst dann gelten, wenn<br />

die neu angesiedelten Exemplare fähig sind, sich<br />

selbst weiter fortzupflanzen. Den Gesamtvorgang<br />

kann man demnach in die folgenden<br />

Schritte aufglie<strong>der</strong>n:<br />

(1) Erzeugung <strong>der</strong> Diasporen<br />

(2) Bereitstellung für den Transport<br />

(3) Transport<br />

(4) Festsetzung am Zielort<br />

(5) Keimung<br />

(6) Etablierung als Einzelpflanze<br />

(7) Erzeugung neuer Diasporen<br />

[Die Trennung <strong>der</strong> Diasporen von <strong>der</strong> Mutterpflanze<br />

und <strong>der</strong> Keime voneinan<strong>der</strong> kann bei<br />

den Schritten (2), (3) o<strong>der</strong> (6) erfolgen].<br />

Tab. 4: Diasporen.<br />

Morphologie<br />

Generativ:<br />

Sporen<br />

Samen<br />

Keimlinge („Viviparie“)<br />

Früchte<br />

Früchtchen<br />

Teilfrüchte<br />

Früchte mit Zusatzorganen<br />

Scheinfrüchte<br />

Fmchtstände (normale)<br />

Tote Zweige o<strong>der</strong> ganze<br />

Pflanzen mit Früchten<br />

Vegetativ:<br />

Brutkörper<br />

Brutsprosse, -knospen.<br />

-zwiebeln, -knollen<br />

Ausläufer<br />

Fragmente vegetativer<br />

Zweige<br />

Ganze Pflanzen<br />

Beispiele<br />

Farne, Moose, Algen, Pilze<br />

Papaver, Orchidaceae, Evonymus, Aesculus<br />

Rhizophora (u. U. Mimulus guttatus)<br />

Corylus, Prunus, Helianthus, Triticum<br />

Ranunculus, Clematis, Potentilla, Geum<br />

Acer, Raphanus, Umbelliferae, Labiatae<br />

Carex, Carpinus<br />

Morus, Ficus<br />

Tilia, Cotinus<br />

Galium aparine, Saxifraga tridactylites, Seseli tortuosum<br />

Moose: Tetraphis, Marchantía<br />

Bryophyllum, Poa alpina, Hydrocharis, Dentaria bulbifera.<br />

Ranunculus ficaria<br />

Fragaria, Ranunculus repens, Epilobium<br />

Submerse Wasserpflanzen, Tillandsia usneoides<br />

Lemna, Azolla


Die Diasporen und ihre Bereitstellung 15<br />

Der erste und <strong>der</strong> letzte Schritt, die Erzeugung<br />

<strong>der</strong> Diasporen, gehören in die Morphologie bzw.<br />

Fortpflanzungsphysiologie und sind hier nicht<br />

weiter zu behandeln.<br />

Statt von Ausbreitung spricht man oft auch<br />

von Pflanzenwan<strong>der</strong>ung. Hierzu ist zu bemerken,<br />

daß die höheren Pflanzen, mit denen wir<br />

uns hier vorwiegend befassen, typischerweise<br />

ortsfest sind, im Gegensatz zum Tier, das sich<br />

als Individuum fortbewegen, also tatsächlich<br />

wan<strong>der</strong>n kann; <strong>der</strong> Begriff Wan<strong>der</strong>ung bezieht<br />

sich hier also nicht auf Individuen, son<strong>der</strong>n auf<br />

Sippen. Noch einen weiteren Unterschied zwischen<br />

den „Wan<strong>der</strong>ungen“ von Tier und Pflanze<br />

sollte man sich klarmachen: Ein Tier, also<br />

ein Individuum, kann zu einem Ort hin-, aber<br />

auch wie<strong>der</strong> wegwan<strong>der</strong>n. Eine Pflanzenwan<strong>der</strong>ung<br />

ist hingegen nur vorwärts möglich.<br />

Wenn eine Sippe an einem Wuchsort wie<strong>der</strong> verschwindet,<br />

dann nicht durch Wegwan<strong>der</strong>n, son<strong>der</strong>n<br />

durch Aussterben.<br />

1 Die Diasporen und ihre<br />

Bereitstellung<br />

Die Diasporen sind morphologisch von sehr<br />

verschiedener Wertigkeit (Tab. 4). Allerdings<br />

haben die generativen bei weitem die größte<br />

Bedeutung, d. h. vor allem Frucht und Same<br />

<strong>der</strong> Angiospermen. Im Folgenden wird sich zeigen,<br />

daß bei ihnen die gleichen Anpassungen<br />

an bestimmte Transportarten usw. auf ganz unterschiedlicher<br />

morphologischer Grundlage entstehen<br />

können. Deshalb sind einige Grundbegriffe<br />

<strong>der</strong> Frucht- und Samenmorphologie hier<br />

schematisch zusammengestellt (Abb. 6).<br />

Die Bereitstellung <strong>der</strong> Diasporen ist stark von<br />

<strong>der</strong> Transportart abhängig; viele Einzelheiten<br />

sind im Zusammenhang mit dem Transport zu<br />

behandeln. Sie muß so erfolgen, daß das transportierende<br />

Agens die Diasporen in optimaler<br />

Weise erfassen kann. Grundsätzlich gibt es folgende<br />

Möglichkeiten:<br />

(1) Die Diaspore löst sich selbst vor dem Transport<br />

von <strong>der</strong> Mutterpflanze.<br />

(2) Die Diaspore bleibt an <strong>der</strong> Mutterpflanze,<br />

bis sie vom Transportmittel erfaßt und abgelöst<br />

wird.<br />

j (Griffel-Rest)<br />

Abb. 6: Einige Begriffe <strong>der</strong><br />

Frucht- und Samenmorphologie,<br />

erläutert anhand eines<br />

schematischen Schnittes<br />

durch die Frucht.


16 Verbreitungsökologie<br />

(3) Die Diaspore löst sich we<strong>der</strong> vor noch während<br />

des Transportes von <strong>der</strong> Mutterpflanze.<br />

Zu (1). Hier kann man noch unterscheiden:<br />

(a )<br />

(b)<br />

Abfallen: die Diaspore löst sich direkt von<br />

<strong>der</strong> Mutterpflanze ab, z. B. von einem Stiel<br />

mit Hilfe von Trennungsgewebe.<br />

Ausfallen: Die Diasporen fallen aus einem<br />

Behälter aus (z. B. Kapsel, Compositen-<br />

Körbchen, Koniferenzapfen).<br />

Das einfache, schwerkraftbedingte Herabfallen<br />

von Diasporen (a) hat man auch schon als beson<strong>der</strong>e<br />

Transportart bezeichnet, als „Barochorie“.<br />

Doch ist das unsinnig, da <strong>der</strong> Begriff<br />

des Transportes das horizontale Entferntwerden<br />

<strong>der</strong> Diaspore von <strong>der</strong> Mutterpflanze mit einschließt.<br />

Bei (b) greift oft schon das Transportmittel<br />

mit ein, z. B. durch Schütteln, also Übergang<br />

zu (2). Im übrigen haben solche Behälter oft<br />

spezielle Öffnungsmechanismen, die auf bestimmte<br />

Umweltbedingungen reagieren (meist<br />

mittels Hygroskopie), z. B.:<br />

Hygrochasie: Öffnung nur bei Feuchtigkeit<br />

Xerochasie: Öffnung nur bei Trockenheit<br />

(z. B. viele Koniferenzapfen).<br />

Extreme Fälle von Xerochasie treten bei sog.<br />

Pyrophyten auf: die Behälter öffnen sich nur<br />

bei sehr großer Hitze, wie sie etwa durch Waldbrände<br />

hervorgerufen wird (z. B. manche Pinus-<br />

Arten in Kalifornien, ähnlich Banksia-K ritn in<br />

Australien; beides Pioniergehölze mit stark verholzten<br />

Zapfen).<br />

Zu (2). Hier handelt es sich z. B. um das Abreißen<br />

<strong>der</strong> Diasporen von <strong>der</strong> Mutterpflanze durch<br />

Tiere o<strong>der</strong> Wind, Ausschütteln von Behältern<br />

durch Wind u. dgl.<br />

Zu (3). Dies erscheint zunächst wi<strong>der</strong>sinnig,<br />

kommt aber vor, nämlich:<br />

(a )<br />

(b)<br />

Die Mutterpflanze besorgt den Transport<br />

selbst (z. B. durch Ausläufer), die Trennung<br />

erfolgt erst nach Etablierung <strong>der</strong> Tochterpflanze.<br />

Der Transport soll überhaupt verhin<strong>der</strong>t<br />

werden (Atelechorie, vgl. später).<br />

Mit dieser Ausnahme erfolgt also die Trennung<br />

<strong>der</strong> Diasporen von <strong>der</strong> Mutterpflanze vor o<strong>der</strong><br />

beim Transport. Da aber die Diasporen oft<br />

vielkeimig sind, ist dann außerdem noch die<br />

Trennung <strong>der</strong> Keime voneinan<strong>der</strong> nötig (mehrere<br />

Individuen am selben Bestimmungsort<br />

würden sich unnötigerweise gegenseitig Konkurrenz<br />

machen). Die Vereinzelung <strong>der</strong> Keime erfolgt<br />

auf verschiedene Weise im Zusammenhang<br />

mit dem Transport. An<strong>der</strong>erseits kommt es auch<br />

vor, daß mehrere Keime (bzw. Samen) fest miteinan<strong>der</strong>verbunden<br />

bleiben (Synaptospermie);<br />

dies kann z. B. bei Zweihäusigen und Selbststerilen<br />

ökologisch sinnvoll sein.<br />

Bemerkt sei schließlich noch, daß bei vielen<br />

Pflanzen verschiedene Formen von Diasporen<br />

nebeneinan<strong>der</strong> auftreten, die dann auch unterschiedlich<br />

transportiert werden: H eterodiasporie.<br />

Oft treten Früchte/Samen und Ausläufer<br />

nebeneinan<strong>der</strong> auf (z. B. Fragaria, Epilobiuni).<br />

Es können aber auch die Früchte selbst unterschiedlich<br />

sein (Heterokarpie), o<strong>der</strong> sehr selten<br />

die Samen (Heterospermie).<br />

2 Transport <strong>der</strong> Diasporen<br />

Als Transportmittel <strong>der</strong> Diasporen fungieren<br />

Tiere, Wind, Wasser, ballistische Kräfte sowie<br />

die Pflanze selbst. Entsprechend unterscheidet<br />

man 5 Verbreitungsweisen (Tab. 5): Zoochorie,<br />

Anemochorie, Hydrochorie, Ballochorie und<br />

Autochorie („Transportklassen“; Näheres hierzu<br />

mit zahlreichen weiteren Beispielen vgl. bei<br />

M üller-S chnei<strong>der</strong> 1977, Pijl 1969, U lbrich<br />

1928, Ridley 1930). Ihre praktische Bedeutung<br />

ist sehr unterschiedlich (manche <strong>der</strong> traditionell<br />

unterschiedenen Formen sind eher als Kuriositäten<br />

anzusehen); weitaus am wichtigsten sind<br />

die beiden ersten. Dabei ist die Anemochorie<br />

die normale Verbreitungsweise <strong>der</strong> Kryptogamen.<br />

Bei den Samenpflanzen ist die Vielfalt sehr<br />

groß; hier ist aber die Zoochorie als die ursprünglichere<br />

anzunehm en (ursprüngliche<br />

Gruppen haben oft recht große, für W indtransport<br />

ungeeignete Samen).<br />

Die oft sehr auffälligen Anpassungen an die<br />

verschiedenen Verbreitungsweisen werden als<br />

Verbreitungsmittel bezeichnet. Sie finden sich<br />

nicht nur an den Diasporen selbst, son<strong>der</strong>n auch<br />

an an<strong>der</strong>en Teilen <strong>der</strong> Pflanze, wo sie z. B. bei<br />

<strong>der</strong> Bereitstellung Bedeutung haben können.<br />

Allerdings ist bei <strong>der</strong> Deutung auffälliger Strukturen<br />

stets Vorsicht geboten: sie könnten auch<br />

schon bei <strong>der</strong> Anthese wichtig gewesen sein,<br />

o<strong>der</strong> gar keine erkennbare Funktion haben. An-


Transport <strong>der</strong> Diasporen 17<br />

Tab. 5: Klassifizierung <strong>der</strong> Verbreitungsweisen.<br />

Zoochorie = Verbreitung durch Tiere. Formen;<br />

Diasporen<br />

dienen als<br />

Nahrung<br />

Keime selbst<br />

sind Nahrung<br />

an<strong>der</strong>e Teile <strong>der</strong><br />

Diaspore sind Nahrung<br />

'Keime nicht mitgefressen<br />

''Keime mitgefressen, im<br />

' Kot wie<strong>der</strong> ausgeschieden<br />

Dyszoochorie<br />

Synzoochorie<br />

Endozoochorie<br />

Diasporen<br />

dienen nicht ■<br />

als Nahrung<br />

/ zufällig mitgefressen<br />

außen anhaftend<br />

Epizoochorie<br />

Anemochorie = Verbreitung durch Wind. Formen:<br />

Transport über den Boden<br />

Transport durch die Luft<br />

Hydrochorie = Verbreitung durch Wasser. Formen:<br />

In fließendem Süßwasser ± zufällig mitgefuhrt<br />

An Schwimmen an <strong>der</strong> Wasseroberfläche angepaßt<br />

Ballochorie = Wegschleu<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Diasporen durch<br />

einmaligen Anstoß. Die Energie hierfür liefern:<br />

Tiere<br />

Wind<br />

Regentropfen<br />

die Pflanze selbst<br />

Autochorie = Selbsttransport. Formen;<br />

Die Mutterpflanze besorgt den Transport<br />

Die Diasporen bewegen sich selbst<br />

Chamäanemochorie<br />

Meteoranemochorie<br />

Rheohydrochorie<br />

Nautohydrochorie<br />

Zooballochorie<br />

Anemoballochorie<br />

Hydroballochorie<br />

Autoballochorie<br />

Blastautocborie<br />

Herpautochorie<br />

Atelechorie = Verhindemng des Transportes<br />

[Anthropochorie = Verbreitung durch den Menschen; Hier nicht einzuordnen, da von grundsätzlich<br />

an<strong>der</strong>er Dimension - nicht korreliert mit Diasporen-Eigenschaften.]<br />

<strong>der</strong>erseits gibt es auch viele Fälle erfolgreichen<br />

Transportes ohne sichtbare spezielle Anpassungen.<br />

Von daher lassen sich 3 Formen des Transportes<br />

unterscheiden:<br />

• angepaßt<br />

• unangepaßt, regelmäßig<br />

• zufällig.<br />

In <strong>der</strong> Praxis werden die meisten Diasporen<br />

ohnehin auf unterschiedliche Weise transportiert<br />

(„Polychorie“). Beson<strong>der</strong>s zwischen Nahund<br />

Ferntransport gibt es in dieser Hinsicht oft<br />

große Unterschiede (auch wenn man von<br />

Heterodiasporie absieht): So wirken viele <strong>der</strong><br />

beson<strong>der</strong>s auffallenden Anpassungen oft nur<br />

über geringe o<strong>der</strong> mittlere Distanzen, und ein<br />

wirklicher Ferntransport wird dann nur zufällig<br />

durch singuläre Ereignisse erreicht (untypische<br />

Verbreitungsfälle).


18 Verbreitungsökologie<br />

Zoochorie<br />

Die Verbindung zwischen Diaspore und Tier<br />

kann grundsätzlich auf zweierlei Weise Zustandekommen:<br />

entwe<strong>der</strong> werden die Diasporen<br />

absichtlich als Nahrung aufgesucht, o<strong>der</strong> sie sind<br />

für das Tier ohne Interesse und werden von diesem<br />

nur unabsichtlich mitgefuhrt. Letzteres trifft<br />

für die Epizoochorie zu; aber auch bei <strong>der</strong><br />

Endozoochorie sind Fälle, in denen Diasporen<br />

zusammen mit an<strong>der</strong>er Nahrung zufällig aufgenommen<br />

werden, nicht selten.<br />

Wichtigste beteiligte Tiergruppen sind Säugetiere,<br />

Vögel und Ameisen (neben <strong>der</strong> hier benutzten<br />

funktionellen Einteilung werden danach<br />

auch die Kategorien M am m aliochorie, Ornithochorie<br />

und M yrmekochorie unterschieden);<br />

seltener spielen auch Fische, Reptilien,<br />

Mollusken o<strong>der</strong> verschiedene Insektengruppen<br />

bei <strong>der</strong> Diasporenverbreitung eine Rolle. Eine<br />

Spezialisierung bestimmter Tiere auf bestimmte<br />

Pflanzen im Sinne einer Koevolution ist wesentlich<br />

seltener als in <strong>der</strong> Bestäubungsökologie,<br />

sie kommt nur in den Tropen relativ häufig vor<br />

(so bei fruchtfressenden Vögeln und Fle<strong>der</strong>mäusen).<br />

Dyszoochorie<br />

Bei dieser Form <strong>der</strong> Zoochorie dienen die in<br />

den Diasporen befindlichen Keime selbst den<br />

Tieren als Nahrung. Da sie hierbei zerstört werden,<br />

erscheint eine solche Transportart für die<br />

Pflanze zunächst sinnlos. Sie ist aber trotzdem<br />

wirksam, da verschiedene Umstände dafür sorgen,<br />

daß nur ein Teil <strong>der</strong> von den Tieren transportierten<br />

Diasporen tatsächlich verzehrt bzw.<br />

verdaut wird.<br />

Dyszoochore Diasporen enthalten meist viel<br />

Stärke und an<strong>der</strong>e Reservestoffe (Fette, Proteine).<br />

Sie sind off stark entwässert und daher haltbar,<br />

so daß sie sich zur Anlegung von Vorräten<br />

eignen. Es können 2 Typen unterschieden werden:<br />

• Körner-Typ: Klein bis mittelgroß, ± hart,<br />

treten in Mengen auf und werden als Ganzes<br />

verzehrt; es sind Samen (z. B. Papaver,<br />

Plantago, Caryophyllaceae, viele Leguminosen)<br />

o<strong>der</strong> kleine Nußfrüchte (z. B. Gramineae,<br />

Polygonaceae).<br />

• Nuß-Typ (Abb. 7): Mittelgroß bis groß, mit<br />

harter Schale, die vor dem Fressen des weichen,<br />

den Keim enthaltenden Inneren zertrümmert<br />

werden muß. Meist Früchte (z. B.<br />

Corylus, Fagus\ Steinkerne bei Juglans und<br />

Amygdalus)', doch gehören auch die Samen<br />

von Pinus cemhra („Zirbelnüsse“) hierher.<br />

Konsumenten sind Vögel und Säuger (hier beson<strong>der</strong>s<br />

Nager). Die Diasporen werden gesammelt<br />

und zu Freßplätzen gebracht, o<strong>der</strong> es werden<br />

Vorräte angelegt.<br />

Die Bereitstellung <strong>der</strong> Diasporen erfolgt meist<br />

auf dem Boden; von Vögeln und Kleinsäugern<br />

werden sie aber auch von <strong>der</strong> Pflanze selbst abgeholt.<br />

Überlebenschancen für die Keime sind an<br />

mehreren Punkten des Vorganges Nahrungsbeschaffung<br />

gegeben:<br />

Nuss - Typ<br />

Beeren - Typ<br />

(einkernig)<br />

Arillus - Typ<br />

harte Schale<br />

Keim }■<br />

Fleisch<br />

(Pulpa)<br />

Kern<br />

(mehrkernig)<br />

Fragaria - Typ<br />

Abb. 7: Dyszoochore (Nuß-Typ) und endozoochore<br />

Diasporen, scbematisch.


Transport <strong>der</strong> Diasporen 19<br />

• Verlust beim Einsammeln und Transport<br />

• Verlust beim Fressen (z. B. beim Ofifhen <strong>der</strong><br />

Schale, beim Füttern aus dem Kropf)<br />

• Ungenügendes Kauen (bei Körner-Diasporen:<br />

Verdauung erfolgt nur nach Beschädigung<br />

<strong>der</strong> Schale im Mund bzw. Muskelmagen,<br />

unbeschädigte werden wie<strong>der</strong> ausgeschieden)<br />

• Nichtwie<strong>der</strong>fmden von Vorräten (beson<strong>der</strong>s<br />

günstig bei einzeln im Boden vergrabenen<br />

Nuß-Diasporen: Eichelhäher, Eichhörnchen).<br />

Als Anpassungen an - besser gesagt Prädispositionen<br />

für - die Dyszoochorie könnte man neben<br />

dem Nährwert bei den Körner-Diasporen<br />

die große Zahl (Überlebenschancen einzelner<br />

erhöht), bei den Nuß-Diasporen die harte Schale<br />

(Freßerschwerung) ansehen.<br />

Was die Wirksamkeit dieser Verbreitungsweise<br />

betrifft, so ist zu konstatieren, daß sie bei Sippen<br />

mit großen Nuß-Diasporen die einzige wesentliche<br />

Transportart ist; bei den mitteleuropäischen<br />

Quercus- und Fh^ai-Arten hat sie offensichtlich<br />

ausgereicht, um die Wie<strong>der</strong>einwan<strong>der</strong>ung<br />

nach <strong>der</strong> Eiszeit zu gewährleisten<br />

(aber anscheinend nicht bei A esculus und<br />

Castanea). Direkte Beobachtungen gibt es nur<br />

wenige (so sammelte ein Eichelhäher in einem<br />

Fferbst 4600 Eicheln ein und transportierte sie<br />

durchschnittlich 4 km weit).<br />

Dyszoochore Diasporen treten beson<strong>der</strong>s<br />

häufig in Gebieten mit ungünstiger Jahreszeit<br />

(Winter, Trockenzeit) auf; im Tropischen Regenwald<br />

sind sie eher selten. Viele von ihnen sind<br />

für die menschliche Ernährung von großer Bedeutung<br />

(z. B. Getreide, viele Leguminosen,<br />

Helianthus).<br />

Endozoochorie<br />

Hier werden die Keime zwar vom Tier mit in<br />

den Darmtrakt aufgenommen, passieren diesen<br />

jedoch ± unbeschädigt. Der Verzehr <strong>der</strong> Diasporen<br />

kann zufällig geschehen (unangepaßte<br />

Endozoochorie); meist ist er aber beabsichtigt,<br />

da Teile von ihnen als Nahrung dienen (angepaßte<br />

Endozoochorie).<br />

Die u nan gep aß te Endozoochorie ist zwar<br />

unauffällig, aber keineswegs selten. Es handelt<br />

sich darum, daß große pflanzenfressende Säugetiere<br />

Diasporen ihrer Nahrungspflanzen mit<br />

aufnehmen. Die Diasporen sind meist klein,<br />

vom Körner-Typ, mit fester Schale, und haften<br />

oft lange an <strong>der</strong> Pflanze (z. B. Trifolium repens).<br />

Große Mengen noch keimfähiger Diasporen verschiedener<br />

Pflanzenarten fand z. B. M üller-<br />

Schnei<strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Untersuchung von Kuhmist<br />

auf Schweizer Weiden (Tab. 6).<br />

Tab. 6: Unangepaßte Endozoochorie: Diasporen in<br />

Rin<strong>der</strong>kot.<br />

Die Diasporen wurden im Oktober 1944 aus 500 g<br />

Rin<strong>der</strong>kot von einer Weide in <strong>der</strong> Umgebung von<br />

Chur ausgewaschen und bis April 1945 auf ihre Keimfähigkeit<br />

geprüft. - Aus MOller-S chnei<strong>der</strong> 1945.<br />

Art<br />

Samenzahl<br />

Gekeimt<br />

Urtica dioica 219 143<br />

Plantago major 61 53<br />

Trifolium repens 42 40<br />

Helianthemum nummularium 29 22<br />

Agrostis tenuis 29 18<br />

Cynosurus cristatus 16 6<br />

Trifolium pratense 15 15<br />

Plantago lanceolata 14 3<br />

Linum catharticum 13 1<br />

Poa annua 12 2<br />

Veronica officinalis 11 9<br />

Festuca rubra 9 7<br />

Prunella vulgaris 7 3<br />

Cerastium caespitosum 5 5<br />

11 weitere Arten 25 15<br />

Für die Ausbreitung von Pflanzensippen über<br />

größere Entfernungen kann die unangepaßte<br />

Endozoochorie durchaus Bedeutung haben, so<br />

etwa bei den herdenbildenden Großsäugern <strong>der</strong><br />

Graslän<strong>der</strong>, die weite Wandemngen ausführen<br />

(übrigens wurden auch in Vogelkot keimfähige<br />

Diasporen dieses Typs gefunden).<br />

Die an gepaß te Endozoochorie ist ein klassischer<br />

und bezüglich seiner Anpassungen viel<br />

untersuchter Fall. Typische Verbreitungseinheiten<br />

sind die Saft-Diasporen. Sie bestehen aus<br />

einem meist wasserreichen, Kohlehydrate und<br />

Geschmacksstoffe, oft auch Vitamine (seltener<br />

Fette o<strong>der</strong> Proteine) enthaltenden Fleisch (Pulpa),<br />

das den Tieren zur Nahrung dient, und<br />

harten, unverdaulichen Kernen, die die Keime<br />

(in Ein- o<strong>der</strong> Mehrzahl) enthalten. Deren Schale<br />

ist off so resistent, daß sie die Keimung erschwert<br />

(so daß Kerne, die durch Passieren des


20 Verbreitungsökologie<br />

Tierdarmes außen schon etwas korrodiert sind,<br />

schneller keimen); außerdem besitzt sie zuweilen<br />

noch schleimige Außenschichten, die eine<br />

Beschädigung beim Kauen verhin<strong>der</strong>n (z. B. Tomate).<br />

Nach <strong>der</strong> Lage von Fleisch und Kernen zueinan<strong>der</strong><br />

lassen sich 3 Typen unterscheiden<br />

(Abb. 7):<br />

• Beeren-Typ: Kerne (1 o<strong>der</strong> mehrere) rings<br />

vom Fleisch umhüllt.<br />

• Arillus-Typ: ein einzelner Kern mit seitlich<br />

daran sitzendem o<strong>der</strong> ihn nur teilweise umhüllendem<br />

Fleisch.<br />

• Fragaria-Typ: mehrere Kerne, dem Fleisch<br />

außen aufsitzend.<br />

Die morphologische Wertigkeit <strong>der</strong> Diasporen ist unterschiedlich.<br />

Beim Arillus-Typ handelt es sich oft um<br />

Samen, wobei das Fleisch von einem echten Arillus<br />

gebildet wird (z. B. Taxm, Evonymus)', bei <strong>der</strong> Konifere<br />

Podocarpus ist die stielartige Samenschuppe fleischig.<br />

Ähnlich kann auch <strong>der</strong> Stiel einer Frucht als Pulpa<br />

ausgebildet sein (Sassafras, Anacardium). Der Fragaria-<br />

Typ ist am besten durch die Sammelfrucht <strong>der</strong> Erdbeere<br />

selbst repräsentiert, bei <strong>der</strong> das Fleisch vom<br />

Blütenboden geliefert wird; bei <strong>der</strong> Scheinfrucht von<br />

Laportea moroides sitzen die Nußfrüchte auf dem fleischigen<br />

Achsengerüst des Fruchtstandes. Zum Beeren-<br />

Typ vgl. Tab. 7.<br />

Konsumenten sind in <strong>der</strong> Hauptsache Säugetiere<br />

und Vögel. Im Gegensatz zu den dyszoochoren<br />

zeichnen sich endozoochore Diasporen<br />

durch spezielle Mittel <strong>der</strong> Anlockung aus, die je<br />

nach <strong>der</strong> Zielgruppe verschieden sind.<br />

Vögel sind bekanntlich Augentiere, <strong>der</strong>en<br />

Geruchssinn schlecht entwickelt ist (so wird für<br />

m anche Taubenarten angegeben, daß sie<br />

Amylazetat in <strong>der</strong> Luft erst in einer Konzentration<br />

wahrnehmen, die den in <strong>der</strong> chemischen<br />

Industrie zulässigen Maximalwert um ein Mehrfaches<br />

übersteigt). Dementsprechend sind an<br />

Vogelverbreitung angepaßte Diasporen meist<br />

geruchlos, zeichnen sich dafür aber durch auffallende<br />

Farben aus. Solche Lockfarben sind vor<br />

allem Rottöne, aber auch Gelb, Weiß, Blau;<br />

auch kann die Wirkung weniger intensiver Farben<br />

durch Kontraste verstärkt werden (z. B.<br />

Schwarz gegen rotes Herbstlaub).<br />

Tab, 7; An Endozoochorie angepaßte Diasporen, Beeren-Typ.<br />

Diaspore Fleisch Schale Keim Beispiele<br />

Same Sarkotesta Sklerotesta Samen-<br />

Inneres<br />

Beere<br />

- einkernig Perikarp Testa Samen-<br />

Inneres<br />

- mehrkernig Perikarp Testa Samen-<br />

Inneres<br />

Steinfrucht<br />

- einkernig (Exokarp -F)<br />

Mesokarp<br />

- mehrkemig (Exokarp ■+■)<br />

Mesokarp<br />

Blütenbecher<br />

Einzel-<br />

Exokarp<br />

Ginkgo, Magnolia, Paeonia<br />

Melocanna, Persea, Phoenix<br />

Actaea, AcHnidia, Carica, Convallaria,<br />

Cucumis, Ribes, Solanum, Vaccinium,<br />

Vitis<br />

Endokarp Same Mangifera, Prunus, Olea, Viburnum<br />

Einzel-<br />

Endokarpien<br />

Sammelfrucht<br />

- mit Nussfrüchtchen<br />

- mit Steinfrüchtchen<br />

Einzel-<br />

Perikarp<br />

Einzel-<br />

Endokarp<br />

Same<br />

Same<br />

Same<br />

Arctous, Comus, Empetrum, Ilex, He<strong>der</strong>á,<br />

Rhamnus, Sambucus<br />

Rosa, Cotoneaster, Mespilus<br />

Rubus<br />

Scheinfrucht<br />

- gymnosperm Zapfenschuppen<br />

Testa<br />

Samen- Ephedra, Juniperus<br />

Inneres<br />

- angiosperm Perigonien Perikarpien Samen Morus<br />

Fruchtstandsachse<br />

Perikarpien Samen Ficus<br />

(hohl)


Transport <strong>der</strong> Diasporen 21<br />

Die Bereitstellung <strong>der</strong> Vogel-Diasporen erfolgt<br />

gewöhnlich an <strong>der</strong> Pflanze. Ihre Größe ist<br />

in Mitteleuropa meist so begrenzt, daß sie von<br />

den Vögeln als ganzes geschluckt werden können.<br />

Dabei lassen sich jahreszeitliche Unterschiede<br />

<strong>der</strong> Konsistenz beobachten: im Sommer,<br />

zur Zeit größten Nahrungsangebotes reifende<br />

Früchte sind meist kurzlebig, weich, saftig<br />

und wohlschmeckend; im Herbst reifende<br />

sind dagegen oft weniger attraktiv, fest und geschmacklos,<br />

sie bleiben aber länger an <strong>der</strong> Pflanze<br />

und werden schließlich trotzdem gefressen<br />

(manche sog. „Wintersteher“ scheinen jedoch so<br />

schlecht zu schmecken, daß sie trotz auffallen<strong>der</strong><br />

Farbe nur im äußersten Notfall angenommen<br />

werden, z. B. Vihurnum opulus). In den<br />

Feuchttropen, wo Saft-Diasporen (vor allem<br />

Früchte) das ganze Jahr über zur Verfügung stehen,<br />

gibt es viele hierauf spezialisierte Vogelarten;<br />

hier sind auch große, vielkernige Früchte<br />

häufig, die von den Vögeln in Stücken verzehrt<br />

werden.<br />

Bei den Säugetieren spielt die Anlockung<br />

durch den Duft oft eine große Rolle, hingegen<br />

können die Farben eher unauffällig sein (beson<strong>der</strong>s<br />

für Nachttiere). Da Säuger kauende Mundwerkzeuge<br />

besitzen, ist die Größe <strong>der</strong> Diasporen<br />

unwesentlich; im Durchschnitt sind sie größer<br />

als bei Vögeln. Die Bereitstellung erfolgt in Mitteleuropa<br />

gewöhnlich durch einfaches Abfallen<br />

auf dem Boden, in den Tropen jedoch oft auch<br />

an <strong>der</strong> Pflanze: so in Baumkronen (Konsumenten<br />

z. B. Affen), am Grunde von Baumstämmen<br />

(kaulikarp, für Bodentiere) o<strong>der</strong> an langen<br />

Stielen herabhängend (für Fle<strong>der</strong>mäuse).<br />

Ein Spezialfall, <strong>der</strong> als Merkwürdigkeit erwähnt sei,<br />

ist die Endozoochorie durch Fische im tropischen<br />

Amazonasgebiet. Im dortigen Auenwald (Värzea),<br />

dessen Boden monatelang meterhoch überschwemmt<br />

ist, fruchten viele Bäume während <strong>der</strong> Hochwasserperiode.<br />

Ihre Saft-Diasporen schwimmen an <strong>der</strong> Wasseroberfläche<br />

und werden von Fischen verzehrt. Für<br />

etwa 50 Fischarten, die teils in ganzen Schwärmen<br />

auftreten, wurde festgestellt, daß sie regelmäßig Diasporen<br />

von ca. 100 Pflanzenarten fressen (z. B. wurden<br />

im Magen eines 25 kg schweren Welses 60 Palmenffüchte<br />

gefunden) und die Kerne wie<strong>der</strong> ausscheiden.<br />

Einige Fischarten aus <strong>der</strong> Piranha-Verwandtschaft betätigen<br />

sich allerdings auch im Sinne <strong>der</strong> Dyszoochorie<br />

(Goulding 1983).<br />

Im übrigen ist die skizzierte Differenzierung<br />

nach Tiergruppen keineswegs festgelegt: beson<strong>der</strong>s<br />

Diasporen, die nach ihren Merkmalen eindeutig<br />

als „vogelorientiert“ erscheinen, können<br />

genauso häufig von Säugern aufgenommen werden.<br />

Vielfach werden Saft-Diasporen auch von<br />

Tieren verzehrt, die an sich auf Fleischnahrung<br />

spezialisiert sind (Carnivora, Accipitridae)-. so<br />

nehmen Bären und Füchse viele Beeren als Zusatznahrung<br />

auf, und vor allem protein- o<strong>der</strong><br />

ölhaltige Früchte können auch einen größeren<br />

Nahrungsanteil ausmachen (z. B. Avocado bei<br />

Katzen und Jaguaren, Olpalme bei Geiern und<br />

Adlern).<br />

Wie erwähnt, wird durch die Mund- und<br />

Darmpassage die Schale <strong>der</strong> Kerne zumindest<br />

außen beschädigt, was einerseits eine Erleichterung<br />

<strong>der</strong> Keimung bedeuten kann; an<strong>der</strong>erseits<br />

führt es meist bei einem Teil <strong>der</strong> Diasporen zum<br />

Verlust <strong>der</strong> Keimfähigkeit.<br />

Die Wirksamkeit <strong>der</strong> Endozoochorie für die<br />

Nahausbreitung liegt auf <strong>der</strong> Hand. Ob es auch<br />

zum Transport über weitere Strecken kommt,<br />

hängt sowohl von <strong>der</strong> Beweglichkeit <strong>der</strong> Tiere<br />

als auch von <strong>der</strong> Zeit ab, die die Diaspore im<br />

Tier verbleibt. Bei Vögeln ist zwar die Beweglichkeit<br />

groß, aber die Verdauung erfolgt meist<br />

recht schnell, eine Darmpassage dauert oft nur<br />

Vj Stunde. Verlängert werden kann die Zeit<br />

durch Aufbewahrung <strong>der</strong> Diasporen im Kropf<br />

(zuweilen bis zu 2 Wochen). In Mitteleuropa ist<br />

die Transportweite jahreszeitlich verschieden: im<br />

Frühsommer, wenn die Vögel reviertreu sind,<br />

nur wenige 100 m; im Herbst zur Zeit des Vogelzuges<br />

können dagegen mehrere bis viele km<br />

überbrückt werden. Bei Säugetieren, vor allem<br />

größeren, kann die Darmpassage oft mehrere<br />

Tage dauern. Bei den wan<strong>der</strong>nden Herdentieren<br />

<strong>der</strong> Graslän<strong>der</strong> kann das zum Transport über<br />

viele km führen, nicht aber bei Waldbewohnern<br />

mit ihren meist begrenzten Revieren.<br />

In M itteleuropa gehören zu den Endozoochoren<br />

vor allem viele Sträucher und Kleinbäume;<br />

doch gibt es daneben auch eine Reihe<br />

von Waldbodenpflanzen.<br />

Synzoochorie<br />

Hier benutzen die Tiere die Diasporen zwar<br />

ebenfalls als Nahrung, aber die Keime selbst<br />

passieren nicht den Darm, son<strong>der</strong>n werden als<br />

wertlos weggeworfen; ein Transport findet statt,<br />

wenn die Diasporen zunächst zu einem Freßplatz<br />

gebracht werden. Für die Tiergruppen <strong>der</strong><br />

Vögel und Säugetiere läßt sich diese Transportart<br />

von <strong>der</strong> Endozoochorie kaum trennen:<br />

sie ist oft Begleiterscheinung, etwa wenn kleine


22 Verbreitungsökologie<br />

Tiere sich an Diasporen heranmachen, die eigentlich<br />

für größere „bestimmt“ sind. Vor allem<br />

gilt das für Saft-Diasporen mit einzelnem<br />

sehr großem Kern; solche sind beson<strong>der</strong>s in tropischen<br />

Bereichen verbreitet (z. B. Mango, Avocado).<br />

Die Anpassungen sind dieselben wie bei<br />

<strong>der</strong> Endozoochorie; die Wirksamkeit beschränkt<br />

sich jedoch auf geringe Entfernungen.<br />

Ein Spezialfall, <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>e Erwähnung<br />

verdient (und auch sehr detailliert untersucht<br />

ist), ist die M yrmekochorie, d. h. die Verbreitung<br />

durch Ameisen (vgl. S ernan<strong>der</strong> 1906,<br />

B resinsky 1963). Obwohl im Prinzip den bisher<br />

behandelten entsprechend, sind die Anpassungen<br />

hier doch sehr spezifisch. Die Anlockung<br />

<strong>der</strong> Ameisen erfolgt durch Duftstoffe, meist freie<br />

ungesättigte Fettsäuren (Ölsäuren, z. B. Rizinolsäure).<br />

Als Nahrung werden Zucker, Fette<br />

und Vitamine (z. B. Bi, C) angeboten. Die Diasporen,<br />

die verständlicherweise klein sind, sind<br />

zuweilen beerenartig gebaut. Meist entsprechen<br />

sie aber dem Arillus-typ, wobei einem glatten,<br />

harten, unverletzlichen Kern ein weicher, meist<br />

weißlicher „Ölkörper“, das Eläosom, ansitzt, das<br />

die Nährstoffe enthält (Abb. 8). Die morpholo­<br />

gische Wertigkeit des Eläosoms ist sehr unterschiedlich<br />

(Tab. 8). Die Bereitstellung erfolgt entsprechend<br />

dem Lebensraum <strong>der</strong> Ameisen: in<br />

Mitteleuropa meist auf dem Boden durch Auso<strong>der</strong><br />

Abfallen bzw. durch auf dem Boden liegende<br />

Behälter; in den Tropen, wo viele Epiphyten<br />

durch Baumameisen verbreitet werden,<br />

bleiben die Diasporen oft bis zur Abholung an<br />

<strong>der</strong> Mutterpflanze. Häufig transportieren die<br />

Ameisen die Diasporen zunächst als Ganzes in<br />

ihre Bauten, verwerten dort die Ölkörper und<br />

schaffen die Kerne als Abfall wie<strong>der</strong> hinaus;<br />

doch können diese auch schon unterwegs zurückgelassen<br />

werden.<br />

Die Wirksamkeit beschränkt sich naturgemäß<br />

auf den Nahbereich: Entfernungen von mehr<br />

als 15 m werden nur selten überschritten (für<br />

Formica rufa werden als Höchstwert 70 m angegeben).<br />

Günstig ist, daß die Keime oft ± im Boden<br />

deponiert werden, so daß die Aussichten<br />

für das Aufkommen des Keimlings beson<strong>der</strong>s<br />

gut sind; dem entspricht es, daß oft nur eine<br />

relativ geringe Diasporenzahl erzeugt wird.<br />

Die mitteleuropäischen Myrmekochoren sind<br />

meist krautige Pflanzen; viele von ihnen sind


Transport <strong>der</strong> Diasporen 23<br />

Tab. 8: Myrmekochore Diasporen (Beispiele aus Mitteleuropa).<br />

Diaspore Eläosom Beispiele<br />

Same<br />

Auswuchs an Mikropyle<br />

o<strong>der</strong> Funikulus<br />

Chelidonium majus, Corydalis cava. Euphorbia amygdaloides,<br />

Helkborus foetidus, Leucojum vemum,<br />

Luzula pilosa, Moehringia trinervia, Polygala vulgaris.<br />

Primula vulgaris, Veronica he<strong>der</strong>ifolia, Viola odorata<br />

Früchtchen Basis des Perikarps Anemone nemorosa. Hepática nobilis, Potentilla alba<br />

Teilfrucht<br />

(Klause)<br />

Oberster Teil <strong>der</strong> Blütenachse<br />

Ajuga reptans, Glechoma he<strong>der</strong>acea, Lamium maculatum,<br />

Nonea lutea. Pulmonaria officinalis<br />

Frucht Basis des Perikarps Centaurea montana. Fumaria officinalis<br />

Griffelbasis<br />

Basis des Perigons<br />

Oberster Teil des Blütenstiels<br />

Basis eines Hochblattes<br />

Carduus nutans, Cirsium acaule<br />

Parietaria officinalis<br />

Thesium alpinum<br />

Carex montana (Schlauch), Knautia arvensis (Vorblatt)<br />

(Teil-)Fruchtstand Teil <strong>der</strong> Fruchtstandsachse Danthonia decumbens. Mélica nutans<br />

Waldbewohner, doch gehören auch einige Akker-<br />

und Wiesenpflanzen dazu (vgl. Tab. 8).<br />

Epizoochorie<br />

Im Gegensatz zu den bisher behandelten Formen<br />

<strong>der</strong> Zoochorie ist die Mitnahme <strong>der</strong> Diasporen<br />

hier, vom Tier her gesehen, rein zufällig.<br />

Von <strong>der</strong> Diaspore her gesehen kann die Anheftung<br />

an das Tier ebenfalls zufällig, unangepaßt,<br />

o<strong>der</strong> aber durch spezielle Anpassungen bedingt<br />

sein.<br />

Unangepaßte Epizoochorie liegt vor, wenn<br />

Diasporen am Tier befestigt werden durch<br />

Sehr kleine Diasporen vor allem von Wasserpflanzen,<br />

die an <strong>der</strong> Oberfläche schwimmen<br />

(z. B. Früchtchen von Alismaplantago, aber auch<br />

vegetative LmwÄ-Exemplare), können durch<br />

Adhäsion mit benetzendem Wasser an Tieren<br />

• mechanisches Hängenbleiben<br />

• Adhäsion mit Wasser<br />

• Ankleben mit Bodensubstanz.<br />

Durch Hängenbleiben größerer vegetativer<br />

Zweigfragmente im Gefie<strong>der</strong> von Wasservögeln<br />

werden viele größere untergetauchte und<br />

schwimmende Wasserpflanzen verbreitet. Zwar<br />

sind die Transportweiten meist gering, für die<br />

Verfrachtung von einem Gewässer zum nächsten<br />

reichen sie aber aus. Beobachtet wurde das<br />

u. a. für Potamogetón, Ceratophyllum und Elodea<br />

canadensis', die sehr rasche Ausbreitung <strong>der</strong> letzteren,<br />

in Europa nur in weiblichen Exemplaren<br />

vorhandenen Art, ist im vorigen Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

vielleicht großenteils auf diese Transportart zurückzuführen.<br />

Abb. 9: Splachnum luteum, ganze Pflanze und geöffnete<br />

Kapsel.<br />

Infolge Schrumpfung <strong>der</strong> Kapselwand ragt die Columella<br />

heraus; Näheres im Text. - Aus E ngler 1924f


24 Verbreitungsökologie<br />

Tab. 9: Epizoochore Diasporen.<br />

= Kleb-Diasporen; + = vornehmlich Trampelkletten.<br />

Diaspore Haftmittel Beispiele<br />

Same * Schleim Colchicum autumnale, Juncus effusus<br />

Borstenhaare<br />

Tillandsia spec.<br />

Früchtchen Griffel Geum urbanum. Ranunculus uncinatus<br />

Hakenemergenzen<br />

Ranunculus arvensis<br />

Teilfrucht Borstenhaare Osmorhiza chilensis<br />

Hakenhaare und -emergenzen Caucalis microcarpa, Cynoglossum officinale, Galium<br />

triflorum, Hackelia diffusa, Pavonia communis,<br />

Sanicula europaea<br />

Frucht Klebrige Drüsenhaare Adenocaulon bicolor, Salvia glutinosa (Kelch)<br />

Griffel<br />

Astragalus curvirostris, Rhynchospora alba<br />

Hakenhaare<br />

Circaea alpina. Myosotis arvensis (Kelch)<br />

Hakige und dornige Emergenzen Acaena lechleriana. Agrimonia eupatoria. Astragalus<br />

epiglottis, Eidens frondosa, Harpagophytum procumbens,<br />

Medicago polymorpha, + Tribuías terrestris<br />

Verdornte Kelch- o<strong>der</strong> Perigonblätter<br />

Verdornte Teile des Mesokarps<br />

+ Acicarpha tribuloides, + Bassia muricata, + Calycera<br />

spec.<br />

Proboscidea lutea<br />

Fmcht mit * Klebrige Drüsenhaare auf Linnaea borealis<br />

Zusatzorganen Hochblättern<br />

Schnabel am Schlauch<br />

Carex muricata, C. rostrata<br />

Hakige Rhachilla<br />

Uncinia lechleriana<br />

Fruchtstand Verdornte Hochblätter Arctium lappa, + Cenchrus longispinus, Rhagadiolus<br />

bzw. Schein-<br />

stellatus, -t Xanthium strumarium<br />

frucht Granne an Grasährchen Stipa setacea<br />

Tote Pflanzen Klebrige Drüsenhaare Cerastium glutinosum, Saxifraga tridactylites<br />

o<strong>der</strong> Teile Hakenhaare<br />

Galium aparine<br />

davon<br />

haften. Das wirkt zwar nur kurze Zeit bis zum<br />

Verdunsten des Wassers, kann aber bei Wasservögeln<br />

ebenfalls für den Transport zum nächsten<br />

Gewässer genügen.<br />

Weitaus größere, ja weltweite Transportleistungen<br />

sind aber durch das Ankleben kleiner,<br />

körnerartiger Diasporen zusammen mit<br />

Schlamm, feuchter Erde u. dgl. an Tieren möglich.<br />

Sie können lange haften bleiben, zuweilen<br />

monatelang. So wurden in Erde, die man von<br />

Vogelfüßen ablöste, Samen und Früchte zahlreicher<br />

Sumpfpflanzen gefunden (z. B. Glyceria<br />

fluitansjuncus bufonius, Lythrum salicaria, Rorippa<br />

amphibia, Verónica anagallis-aquatica), aber auch<br />

Diasporen von Ackerpflanzen traten auf Entsprechendes<br />

gilt natürlich auch für die Füße von<br />

Säugern. Näheres zur Wirksamkeit am Ende des<br />

nächsten Abschnittes.<br />

Bei angepaßter Epizoochorie unterscheidet<br />

man je nachdem, wie das Anhaften <strong>der</strong> Diasporen<br />

am Tier bewirkt wird, 3 Diasporentypen:<br />

• Kleb-Diasporen<br />

• Fellkletten<br />

• Trampelkletten.<br />

Die Kleb-Diasporen sind meist ziemlich kleine<br />

Samen o<strong>der</strong> Früchte, die mit Hilfe klebriger<br />

Substanzen haften. Die Klebsubstanz findet sich<br />

gelegentlich als Schleim an Samen (<strong>der</strong> sich oft<br />

erst bei Befeuchtung entwickelt und dann eher<br />

<strong>der</strong> Befestigung am Substrat dient); häufiger sind<br />

klebrige Drüsenhaare, die an verschiedenen<br />

Teilen <strong>der</strong> fruchtenden Pflanze auftreten können<br />

(Tab. 9). Die Bereitstellung erfolgt gewöhnlich<br />

an <strong>der</strong> Pflanze; die Diasporen müssen sich<br />

durch die Tiere - meist Vögel o<strong>der</strong> Säuger -


Transport <strong>der</strong> Diasporen 25<br />

leicht ablösen lassen. Die Dauer des Verbleibens<br />

am Tier ist je nach Art <strong>der</strong> Klebsubstanz unterschiedlich.<br />

Zugleich <strong>der</strong> Befestigung am Tier (Vogel) und am Zielort<br />

(Baum) dienen Klebsubstanzen bei manchen<br />

epiphytisch lebenden Pflanzen. Bei <strong>der</strong> Beere <strong>der</strong> an<br />

sich aufEndozoochorie ausgerichteten Mistel (Viscum)<br />

ist <strong>der</strong> innere Teil <strong>der</strong> Fruchtwand eine Klebmasse, die<br />

selbst die Passage des Vogeldarms übersteht; <strong>der</strong> Kern<br />

kann daher sowohl vor als auch nach dem Fressen an<br />

Aste angeklebt werden, kann aber auch außen auf dem<br />

Vogel transportiert werden. Ähnliches gilt für die<br />

epiphytische Kakteengattung Rhipsalis, bei <strong>der</strong>en äußerlich<br />

<strong>der</strong> Mistelfrucht ähnelnden Beeren zahlreiche<br />

Samen in einer extrem klebrigen Pulpa liegen (Rhipsalis<br />

ist die einzige auch außerhalb Amerikas vorkommende<br />

Kakteengattung).<br />

Als Merkwürdigkeit sei noch die Laubmoosgattung<br />

Splachnum erwähnt. Normalerweise werden Moossporen<br />

durch den Wind verbreitet. Die Splachnum-<br />

Arten haben jedoch eine spezielle Ökologie: sie wachsen<br />

auf verrottendem Kuhmist u. ä. Tierexkrementen.<br />

Da solche Standorte ephemer sind, ist es zweckmäßig,<br />

daß die Sporen gezielt übertragen werden. Sie sind<br />

klebrig und haften daher nach Vertrocknen <strong>der</strong> Kapselwand<br />

zunächst an <strong>der</strong> Columella (Abb. 9, S. 23). Zusätzlich<br />

strömen sie einen kotartigen Geruch aus und<br />

locken dadurch Mistfliegen an, an denen sie kleben<br />

bleiben und so leicht auf den nächsten, frischen Kuhfladen<br />

gelangen.<br />

Bei den Fellkletten, die den Hauptanteil <strong>der</strong><br />

epizoochoren Diasporen ausmachen, wird die<br />

Befestigung am Fell von Säugetieren bzw. Gefie<strong>der</strong><br />

von Vögeln durch haken-, seltener auch<br />

V|<br />

w<br />

1 A f c :<br />

Abb 10: Epizoochore Diasporen.<br />

Borstenhaare: 1 Omorhiza chilensis\ Hakenhaare: 2 Circaea alpina, 3 Galium triflorum’, Griffel als Haken (Früchtchen):<br />

4 Ranunculus uncinatus, 5 Geum urbanum', Rhachilla als Haken: 6 Uncinia lechkriana (Frucht mit Zusatzorgan);<br />

Einzelne Emergenzen als Wi<strong>der</strong>haken: 7 Bickns frondosa, 8 Pavonia communis (Teilfrucht), 9 Acaena<br />

lechkriana-. Zahlreiche, hakige o<strong>der</strong> dornige Emergenzen: 10 Ranunculus arvensis (Früchtchen), 11 Hackelia diffusa<br />

(Klause), \2 Medicagopolymorpha, 13 Caucalis microcarpa, 14 Agrimoniaeupatoria, \5 Harpagophytumprocumbens-,<br />

Dornen aus Hochblättern (Scheinfrucht): 16 Cenchrus longispinus, 17 Xanthium strumarium. - Früchte, soweit<br />

nicht an<strong>der</strong>s angegeben. - Quellen: 14, 7, 10, 11, 13, 16, 17 Hitchcock etc. 1955f; 5 Troll 1954f; 6, 9, 12<br />

Correa 1969L; 8, 14 Tachtad2ian 1980f; 15 Engler 1910f


26 Verbreitungsökologie<br />

1<br />

ü<br />

-■<br />

nadelartige Fortsätze erreicht. Hier gibt es eine<br />

große Vielfalt von konvergenten Anpassungen<br />

auf unterschiedlichster morphologischer Grundlage:<br />

die Diasporen können Samen, Früchte o<strong>der</strong><br />

Scheinfrüchte sein, die Verbreitungsmittel sind<br />

z. B. Trichome, Emergenzen, metamorphosierte<br />

Blätter o<strong>der</strong> nach <strong>der</strong> Anthese umfunktionierte<br />

Griffel (Abb. 10, Tab. 9). Die Bereitstellung<br />

erfolgt an <strong>der</strong> Mutterpflanze, und zwar oberhalb<br />

des Erdbodens (bei Krautigen oft an <strong>der</strong><br />

Spitze o<strong>der</strong> entlang des nach <strong>der</strong> Anthese verlängerten<br />

Sprosses, wo sie von den Tieren abgestreift<br />

werden).<br />

Die sog. Trampelkletten sind zwar relativ selten,<br />

aber dafür umso auffälliger. Es handelt sich<br />

meist um ziemlich große Diasporen, die auf dem<br />

Boden liegen (durch Herabfallen, o<strong>der</strong> meist als<br />

Früchte kriechen<strong>der</strong> Bodenpflanzen bereits auf<br />

dem Boden erzeugt), eine sehr feste, verholzte<br />

Schale haben und mit harten, spitzen Dornen<br />

o<strong>der</strong> W i<strong>der</strong>haken bewehrt sind (Abb. 10,<br />

Tab. 9). Mit <strong>der</strong>en Hilfe werden sie in die Füße<br />

von Säugetieren eingetreten und können dort<br />

wochenlang haften bleiben, wobei die Tiere erhebliche<br />

Verletzungen und Entzündungen erleiden<br />

können. Sie kommen hauptsächlich in<br />

Graslän<strong>der</strong>n und Halbwüsten vor.<br />

Für die Wirksamkeit <strong>der</strong> Epizoochorie ist es<br />

ein großer Vorteil gegenüber <strong>der</strong> Endozoochorie,<br />

daß die Diasporen nicht die Tiere nach<br />

einer bestimmten Zeit automatisch wie<strong>der</strong> verlassen.<br />

So können Diasporen im Fell wan<strong>der</strong>n<strong>der</strong><br />

Großsäuger über weite Strecken verfrachtet<br />

werden. Die weitesten Transportdistanzen werden<br />

aber mit Hilfe von Zugvögeln erreicht.<br />

Bei Zugvögeln wurden Zuggeschwindigkeiten von 60-<br />

80 km/h nachgewiesen; dabei kommt es in manchen<br />

Fällen zu ununterbrochenen Flügen von bis zu 10<br />

Tagen, d. h. es ist ein Flug ohne Landung von <strong>der</strong><br />

gemäßigten Zone <strong>der</strong> Nord- bis in die <strong>der</strong> Südhalbkugel<br />

möglich (Luftlinien-Entfernung von 45°N<br />

bis 45°S ca. 10000 km). Beson<strong>der</strong>s günstig sind die<br />

Bedingungen bei Sumpfvögeln: da diese am Zielort<br />

ebenso wie bei Zwischenlandungen wie<strong>der</strong> Sümpfe<br />

aufsuchen, gelangen die Diasporen leicht an die geeigneten<br />

Standorte. Dementsprechend haben eine<br />

ganze Reihe von holarktischen Sumpf- und Wasserpflanzen<br />

disjunkte Arealteile in den Zielgebieten <strong>der</strong><br />

Zugvögel auf <strong>der</strong> Südhalbkugel (z. B. Lythrum salicaria,<br />

Ranunculus aquatilis). Entsprechendes gibt es aber auch<br />

bei Pflanzen an<strong>der</strong>er Standorte. Ein beson<strong>der</strong>s gut<br />

bekanntes Beispiel ist die Arealdisjunktion vieler Arten<br />

o<strong>der</strong> nahe verwandter Artenpaare zwischen den<br />

Westküsten Nord- und Südamerikas (British Columbia<br />

- Kalifornien / Chile - Patagonien; Abb. 11). Die<br />

nähere Untersuchung von 106 <strong>der</strong>artigen Sippen ergab,<br />

daß 53 epizoochor sind mit Klett-Diasporen, 21<br />

dsgl. mit kleinen Kleb-Diasporen, und 20 wahrscheinlich<br />

unangepaßt epizoochor (Diasporen sehr klein,<br />

meist Sumpfpflanzen); nur für 12 scheinen eher an<strong>der</strong>e<br />

Verbreitungsweisen (Endozoochorie?) in Frage zu<br />

kommen. In allen Fällen mußte man mit direktem<br />

Ferntransport rechnen, da eine etappenweise Ausbreitung<br />

mit Zwischenstationen („Hüpfen“ über Berggipfel)<br />

aus standörtlichen Gründen unwahrscheinlich war<br />

(CoNSTANCE 1963, Raven 1963).<br />

Anemochorie<br />

Abb. 11: Verbreitung von Osmorhiza chilensis.<br />

Nach Hitchcock etc. 1955f, Brown etc. 1983.<br />

Neben den verschiedenen Formen <strong>der</strong> Zoochorie<br />

ist die Anemochorie die zweite Transportart<br />

von sehr großer Bedeutung.<br />

Zunächst einige Bemerkungen zum Transportagens.<br />

Hier ist zu unterscheiden zwischen horizontalen<br />

und vertikalen Strömungen; für den<br />

Transport sind beide Komponenten wichtig.<br />

Die Stärke des Horizontalwindes nimmt mit<br />

<strong>der</strong> Höhe über dem Boden zu. So beträgt die<br />

mittlere Windgeschwindigkeit im Jahresdurchschnitt<br />

in Mitteleuropa in offenem Gelände in<br />

2 m Höhe etwa 3 m/s, in 100 m Höhe ist sie<br />

doppelt, in 500 m schon etwa 3mal so hoch.<br />

Die Höchstgeschwindigkeit bei Orkanen liegt<br />

im Bereich von 40-55 m/s, in einzelnen Böen<br />

kann sie sogar über 70 m/s erreichen.<br />

Die vertikal gerichteten Aufwinde können<br />

unterschiedliche Ursachen haben. Thermische


Transport <strong>der</strong> Diasporen 27<br />

Aufwinde werden durch die Erwärmung <strong>der</strong> bodennahen<br />

Luftschichten bei Strahlungswetter<br />

erzeugt. Ihre Geschwindigkeit ist am Boden gering<br />

(meist unter 1 m/s), kann aber in <strong>der</strong> Höhe<br />

bis auf 15 m/s anwachsen; unter Cumulus- und<br />

Cumulonimbus-Wolken kann <strong>der</strong> aufsteigende<br />

Luftstrom bis über 6000 m Höhe hinauf reichen.<br />

Dynamische Aufwinde entstehen bei stärkerem<br />

Horizontalwind durch Turbulenzen. Ihre Geschwindigkeit<br />

kann auch am Boden - hier oft<br />

durch Hin<strong>der</strong>nisse verstärkt - erheblich sein und<br />

etwa <strong>der</strong> des Horizontalwindes entsprechen.<br />

Bei Orkanen und Wirbelstürmen ist durch<br />

die Kombination extrem starker Horizontal- und<br />

Aufwinde <strong>der</strong> Transport von Diasporen ± je<strong>der</strong><br />

Art und Größe möglich. Man hat beobachtet,<br />

daß Erde und Steine bis zu 80 km weit verfrachtet<br />

wurden. Natürlich werden bei solchen singulären<br />

Ereignissen zahlenmäßig nur wenige<br />

Diasporen erfaßt; doch kann es für manche Sippen<br />

die einzige Chance zur Fernausbreitung<br />

sein.<br />

Von solchen Extremfällen abgesehen, kann<br />

<strong>der</strong> Windtransport in zwei Formen unterglie<strong>der</strong>t<br />

werden.<br />

Chamäanemochorie<br />

Hierbei treibt <strong>der</strong> Wind die Diasporen auf <strong>der</strong><br />

Bodenoberfläche entlang. Das ist in effektiver<br />

Weise nur in offenem Gelände möglich (also<br />

nicht im Wald). Zusätzlich muß das offene<br />

Gelände den Diasporen einen möglichst geringen<br />

Wi<strong>der</strong>stand bieten; das kann entwe<strong>der</strong><br />

durch eine glatte Bodenoberfläche ermöglicht<br />

werden, o<strong>der</strong> dadurch, daß die Diasporen sehr<br />

groß sind, größer als die hemmenden Unebenheiten<br />

des Bodens.<br />

Eine glatte Bodenoberfläche kann durch das<br />

Fehlen von Vegetation bedingt sein; sie kann<br />

aber auch temporär durch eine geschlossene<br />

Schneedecke erzeugt werden. In beiden Fällen<br />

können bei größeren Windstärken die verschiedensten<br />

Diasporen verfrachtet werden. Schneedecken<br />

sind beson<strong>der</strong>s günstig; aus Tundren und<br />

alpinen Gebieten gibt es hierzu eine Reihe genauer<br />

Beobachtungen.<br />

Auffälliger und daher allgemeiner bekannt ist<br />

die zweite Möglichkeit. Als Diasporen, sogenannte<br />

Steppenläufer (auch Steppenhexen genannt),<br />

fungieren hier ganze Fruchtstände o<strong>der</strong><br />

größere abgestorbene Pflanzenteile bzw. ganze<br />

Pflanzen, die mit Früchten besetzt sind. Sie haben<br />

eine ± rundliche Form und sind bei großem<br />

Volumen doch relativ leicht. So können<br />

sie von stärkeren Winden losgerissen und über<br />

weite Strecken auf dem Boden entlang gerollt<br />

werden, wobei sie nach und nach ihre Früchte<br />

bzw. Samen ausstreuen. Solche Steppenläufer<br />

sind in Grasland- und Halbwüstengebieten in<br />

aller Welt beobachtet worden, so z. B. in O-Europa<br />

Centaurea diffusa, Eryngium campestre, Goniolimon<br />

tataricum, Phiomis herba-venti, Rapistrum<br />

perenne, Seseli tortuosum.<br />

M eteoranemochorie<br />

Für die „normale“ Form <strong>der</strong> Anemochorie, den<br />

Transport durch die Luft, ist es notwendig, daß<br />

die Diasporen in den Luftraum gelangen, um<br />

dort vom Horizontalwind erfaßt zu werden. Am<br />

leichtesten geschieht das bei Baumdiasporen<br />

durch einfaches Abfallen; bei am Boden entstandenen<br />

Diasporen ist hingegen die Mitwirkung<br />

von Aufwinden notwendig. Diese sind aber<br />

für alle Diasporen wichtig, weil sie sie in höhere<br />

Luftschichten mit größeren Windgeschwindigkeiten<br />

beför<strong>der</strong>n können.<br />

Da die Schwerkraft den Aufwinden entgegenwirkt,<br />

ist die Grundvoraussetzung für den Transport<br />

eine möglichst geringe Sinkgeschwindigkeit.<br />

Um ihre Herabsetzung zu erreichen,<br />

haben sich zahlreiche, oft sehr auffallende Anpassungen<br />

entwickelt. Danach unterteilt man die<br />

meteoranemochoren Diasporen traditionell in<br />

5 Typen, die sich nicht nur in ihrem Aussehen,<br />

son<strong>der</strong>n auch in ihrer Wirkungsweise und Effektivität<br />

unterscheiden:<br />

Staubflieger<br />

Ballonflieger<br />

Schirmflieger<br />

Gleitflieger<br />

Schraubenflieger.<br />

Staubflieger sind Diasporen, die sehr klein und<br />

leicht sind und daher ohne beson<strong>der</strong>e Anpassungen<br />

schon von den leichtesten Aufwinden<br />

hochgehoben werden können. Hierher gehören<br />

die Sporen <strong>der</strong> Luft-Kryptogamen (Farne, Moose,<br />

Pilze). Sie gelangen leicht in große Höhen<br />

(mehrere 1000 m) und werden dort von Höhenströmungen<br />

verbreitet. Dementsprechend gibt<br />

es unter ihnen einen hohen Anteil an Kosmopoliten<br />

(vgl. S. 102, 104); begrenzen<strong>der</strong> Faktor<br />

für die Ausbreitung ist hier - abgesehen von den<br />

Standortsansprüchen - weniger die Flugweite als


28 Verbreitungsökologie<br />

Abb. 12: Staubflieger-Samen.<br />

Orchidaceac. 1 Gymnadenia campea, 2 Coeloglossum<br />

viride\ Droseraceae\ 3 Drosera rotundifolia\ Pyrolaceae:<br />

4 Morieses uniflora. - Quellen: 1, 2, 4 Salisbury 1942;<br />

3 Müller-Schnei<strong>der</strong> 1977.<br />

die Lebensdauer und Austrocknungsresistenz<br />

<strong>der</strong> Sporen, die häufig nicht ausreicht, um die<br />

gegebenen Transportmöglichkeiten voll ausnutzen<br />

zu können.<br />

Daneben gibt es aber auch Blütenpflanzen, <strong>der</strong>en<br />

Diasporen - hier Samen - so klein sind, daß<br />

sie auf diese Weise verbreitet werden können.<br />

Ihre Kleinheit ist Folge starker Reduktion aller<br />

Teile (Testa, Endosperm, meist auch Embryo;<br />

Abb. 12). Am weitesten geht die Reduktion bei<br />

den Orchideen: hier besteht <strong>der</strong> Embryo nur<br />

aus wenigen Zellen und enthält keinerlei Reservestoffe,<br />

so daß er für die Keimung auf die<br />

Mithilfe von Mykorrhizapilzen angewiesen ist.<br />

Solche Staubsamen wiegen meist nur zwischen<br />

1 und 10 pg, ihre Sinkgeschwindigkeit beträgt<br />

2-5 cm/s. Ihre Bereitstellung erfolgt oft in Kapseln<br />

mit seitlichen Spalten, die meist xerochas<br />

sind, d. h. sich nur bei trockenem Wetter öffnen;<br />

außerdem sind die frischen Samen oft<br />

unbenetzbar und haften daher nicht aneinan<strong>der</strong>.<br />

Außer bei den Orchideen gibt es solche<br />

Staubsamen auch bei an<strong>der</strong>en Gruppen mit<br />

obligater Mykorrhiza (Pyrolaceen, Ericaceen),<br />

ferner bei solchen mit spezieller Ernährungsweise,<br />

z. B. parasitischen Scrophulariaceen, Orobanchaceen,<br />

auch bei Droseraceen (hier begünstigt<br />

das Auftreten einer großen Zahl kleiner,<br />

leicht zu verbreiten<strong>der</strong> Samen wohl das Auffmden<br />

<strong>der</strong> wenig ausgedehnten geeigneten Standorte).<br />

Ein aktuelles Beispiel für den Ferntransport<br />

solcher Staubsamen ist das Auftreten mancher<br />

Pyrolaceen und Orchideen (z. B. Goodyera<br />

repens) aus <strong>der</strong> borealen Nadelwaldzone in künstlichen<br />

Kiefernforsten in Nordwestdeutschland,<br />

wo sie früher nicht vorkamen.<br />

Bei den vier übrigen Typen handelt es sich<br />

um größere Diasporen mit speziellen Anpassungen.<br />

Bei den Ballonfliegern bestehen diese darin,<br />

daß durch lufterfüllte Hohlräume das spezifische<br />

Gewicht herabgesetzt wird. Off sind es<br />

blasig aufgetriebene Früchte (z. B. Colutea,<br />

Physocarpus\ Anthyllis mit blasigem Kelch), die<br />

im Innern große einheitliche Lufträume enthalten,<br />

o<strong>der</strong> es kann <strong>der</strong> Kern <strong>der</strong> Diaspore rings<br />

herum von einem Haarkleid umhüllt sein (Samen<br />

von Gossypium, Ceiba pentandrd), in dem<br />

sich natürlich viel Luft befindet (solche Haarballen<br />

können auch entstehen, wenn mehrere<br />

Diasporen des folgenden Typs miteinan<strong>der</strong> verklumpen).<br />

Die Wirksamkeit dieser Eigenschaften<br />

ist recht unspezifisch und meist wenig erfolgreich;<br />

beson<strong>der</strong>s die in <strong>der</strong> Literatur oft genannten<br />

großen „aufgeblasenen“ Früchte, etwa<br />

von Colutea, werden womöglich eher im Sinne<br />

<strong>der</strong> Chamäanemochorie transportiert.<br />

Sehr viel effektiver sind die Schirmflieger,<br />

zahlenmäßig weitaus die größte Gruppe <strong>der</strong><br />

Anemochoren. Solche Diasporen bestehen aus<br />

einem ziemlich kleinen, festen, den Schwerpunkt<br />

enthaltenden Kern und einem sehr viel<br />

größeren ± einseitigen, haarigen Anhängsel.<br />

Durch diese Konstruktion erhalten sie eine definierte<br />

Lage in <strong>der</strong> Luft und bieten den Aufwinden<br />

gute Angriffspunkte. Nach seiner Form<br />

wird das Anhängsel als Fe<strong>der</strong>schweif (längliche<br />

Achse mit abstehenden Haaren), Haarschopf<br />

(einseitiges, dichtes, pinselartiges Haarbüschel)<br />

o<strong>der</strong> Fallschirm (wie Haarschopf, aber Haare<br />

schirmartig ausgebreitet, bei höchstspezialisierten<br />

mit stielartigem Schnabel) bezeichnet<br />

(Abb. 13). Alle drei Ausbildungen treten bei Sippen<br />

aus zahlreichen Familien und auf unterschiedlicher<br />

morphologischer Grundlage auf<br />

(Tab. 10).<br />

Beson<strong>der</strong>s häufig ist dieser Diasporentyp bei<br />

Pflanzen offener (oft Pionier-) Vegetation, sowohl<br />

krautiger als auch baumförmiger. Die Bereitstellung<br />

erfolgt oft in nach oben offenen<br />

Behältern (Kapseln, Compositen-Körbchen), in<br />

denen die Diasporen leicht vom Aufwind erfaßt<br />

werden können. Bei krautigen Arten wer-


Transport <strong>der</strong> Diasporen 29<br />

11 12 13<br />

Abb. 13: Schirmflieger.<br />

Fe<strong>der</strong>schweif: 1 Pulsatilla patens, 2 Cercocarpus ledifolius, 3 Stipa joannis\ Haarschopf: 4 Epilobium parviflorum,<br />

5 Sdixhumboldtiana, 6 Asckpias curassavica, 1 Arundo donax\ Fallschirm: 8 Valeriana officinalis, 9 Senecio vulgaris,<br />

10 Tillandsia utriculata, 11 Strophanthus hispidas, 12 Taraxacum officinale, 13 Tragopogón pratensis. -4 -6 , 10, 11<br />

Samen; 1 Früchtchen; 2, 8, 9, 12. 13 Früchte; 3, 7 Teilfruchtstände. - Quellen: 1 Hitchcock etc. 1955f ;<br />

2T achtadzian 1980f; 3 M üller-Schnei<strong>der</strong> 1977; 4, 7, 8, 9,11 U lbrich 1928; 5 ,1 2 ,1 3 C orrea 1969f; 6 M orí<br />

etc. 1994; 10 Rauh 1970E


30 Verbreitungsökologie<br />

Tab. 10: Anemochore Diasporen: Schirm-, Gleit- und Schraubenflieger.<br />

Diaspore V erbreitungsmittel Beispiele<br />

Same Haarschopf Asckpias, Epilobium, Populus, Salix, Tamarix,<br />

Tillandsia spp.<br />

Fallschirm<br />

Leucadendron, Strophanthus, Tillandsia utriculata<br />

2 ± seitliche Flügel Catalpa, Tanaecium, Zanonia<br />

± kreisförmiger Flügel Aspidosperma, Gentiana lutea, Lilium giganteum<br />

1 unsymmetrischer Flügel Abies, Picea, Pinus, Prionostemma, Pterygota,<br />

Swietenia<br />

Früchtchen Fe<strong>der</strong>schweif aus Griffel Clematis, Dry as, Geum montanum, Pulsatilla<br />

± kreisförmiger Flügel Anemone narcissiflora<br />

1 unsymmetrischer Flügel Liriodendron<br />

Teilfrucht Fallschirm aus Griffelanteil Pelargonium spp.<br />

± kreisförmiger Flügel Heracleum<br />

1 unsymmetrischer Flügel Acer, Securidaca<br />

unsymmetrisch-zweiflügelig<br />

Ailanthus<br />

Frucht Fe<strong>der</strong>schweif aus Griffel Cercocarpus<br />

Haarschopf aus Kelch (Pappus) Cirsium palustre<br />

- aus Perigon Eriopborum<br />

Fallschirm aus Kelch (Pappus) Senecio spp.. Taraxacum, Tragopogón, Valeriana<br />

2 seitliche Flügel Ainus, Betula, Terminalia<br />

± kreisförmiger Flügel Cbaunochiton, Ptelea, Pterocarpus, Ulmus<br />

1 unsymmetrischer Flügel<br />

Centrolobium, Fraxinus, Myroxylon<br />

als Auswuchs <strong>der</strong> Fmchtwand<br />

- aus Hochblättern Carpinus<br />

Mehrere unsymmetrische Flügel<br />

aus Kelchblättern<br />

Dipterocarpus<br />

Fruchtstand<br />

Fe<strong>der</strong>schweif aus Granne<br />

an Grasährchen<br />

Haarbüschel an Grasährchen<br />

1 unsymmetrischer Flügel aus<br />

Hochblatt<br />

Stipa joannis<br />

Arundo, Corta<strong>der</strong>ia spp.. Mélica ciliata, Phragmites<br />

Tilia<br />

den die Behälter meist durch postflorale Verlängerung<br />

des Stieles in die Höhe gehoben (z. B.<br />

Taraxacum, Tussilago). Da die Behälter meist<br />

xerochas sind und sich die Haare des Flugapparates<br />

bei Feuchtigkeit aneinan<strong>der</strong> legen,<br />

erfolgt <strong>der</strong> Transport nur bei trockenem Wetter.<br />

Die Sinkgeschwindigkeit <strong>der</strong> Diasporen liegt<br />

im Bereich von 10-40 cm /s, so daß sie schon<br />

von leichten Horizontalwinden gut verfrachtet<br />

werden können. Über die tatsächlich erreichten<br />

Flugweiten ist wenig bekannt; sie dürften<br />

aber beträchtlich sein. Ein näher untersuchtes<br />

Beispiel ist Senecio tubicaulis, <strong>der</strong> um 1960 auf<br />

dem trockengelegten Nordostpol<strong>der</strong> im Isselmeer<br />

(Nie<strong>der</strong>lande) Massenbestände ausbildete,<br />

von denen die Diasporen bis nach Mitteldeutschland<br />

flogen, also ca. 400 km weit (vgl.<br />

Runge 1987).<br />

Zu den Gleitfliegern gehören Diasporen unterschiedlicher<br />

Größe (Abb. 14). Sie sind flach<br />

(eben) und symmetrisch gebaut. Der im Vergleich<br />

zum Gesamtumfang kleine Kern, zugleich<br />

Schwerpunkt, liegt auf einer Linie, die die Diaspore<br />

in zwei gleiche Hälften teilt. Meist sind 2<br />

seitliche Flügel vorhanden, o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Kern ist<br />

rings von einem ± kreisförmigen Flügel umgeben<br />

(Tab. 10). Dadurch wird eine gleitende<br />

Abwärtsbewegung hervorgemfen, wie bei einem<br />

Segelflugzeug; wie bei diesem können Aufwinde<br />

auch zum Aufsteigen führen. Die Sinkgeschwindigkeit<br />

liegt bei 20-70 cm /s; wichtig ist<br />

I


Transport <strong>der</strong> Diasporen 31<br />

Abb. 14: Gleit- und Schraubenflieger.<br />

Gleitflieger: 1 Zanoniajavanica, 2 Tanaecium noctumum, 3 Terminaliaguyanensis, 4 Aspidosperma sandwithianum,<br />

5 Chamochiton kappleri, 6 Ulmus glabra, 7 Pterocarpus erinaceus\ Schraubenflieger: 8 Ailanthus altissima, 9 Picea<br />

abies, Prionoslemma aspera, 11 Pterygotaroxburghii, \Z Acerpseudoplatanus, 13 Securidaca uniflora, Myroxylon<br />

bakamum, 15 Centrolobium robustum, \6 Dipterocarpusretusus, 17 Carpinusbetulus, 18 Tiliaplatyphyllos.- 1 ,2 ,4 , 9,<br />

10, 11 Samen; 8, 12, 13 Teilfrüchte; 3, 5, 6, 7, 14, 15, 16 Früchte, 17 Frucht mit Hochblättern, 18 Fruchtstand<br />

mit Hochblatt. - Quellen: 1 Strasburger etc. 1991; 2, 3,4 , 5 ,1 0 ,1 3 M orí etc. 1994; 6, 8, 9 ,1 2 ,1 7 ,1 8 M üller-<br />

Schnei<strong>der</strong> 1977; 7, 15, 16 Tachtad2ian 1980f.; 11, 14 Ulbrich 1928.


32 Verbreitungsökologie<br />

^ i ^ r-<br />

V ’- H . '. .<br />

aber, daß das Absinken (und ebenso das Aufsteigen)<br />

auch bei fehlendem Horizontalwind zu<br />

einer horizontalen Entfernung von <strong>der</strong> Mutterpflanze<br />

fuhrt. Bei hochwüchsigen Pflanzen kann<br />

diese im Nahbereich beträchtlich sein; tatsächlich<br />

findet sich dieser Diasporentyp hauptsächlich<br />

bei Bäumen und hochwüchsigen Lianen.<br />

Die Bereitstellung erfolgt an <strong>der</strong> Pflanze; zum<br />

Ablösen ist keine große Kraft erfor<strong>der</strong>lich. Diasporen<br />

mit kreisförmigem Flügel sind aerodynamisch<br />

ungünstiger, sie geraten leicht ins Tmdeln<br />

und leiten damit zum letzten Typ über.<br />

Bei diesem, den Schraubenfliegern, handelt<br />

es sich meist um recht schwere Diasporen (von<br />

den angegebenen Beispielen sind nur die meisten<br />

Koniferensamen relativ leicht). Sie sind<br />

unsymmetrisch gebaut mit einem exzentrischen<br />

Kern und einem o<strong>der</strong> mehreren Flügeln, die oft<br />

nicht in einer Ebene liegen bzw. in sich gedreht<br />

sind (Abb. 14, Tab. 10). Dieser Bau führt dazu,<br />

daß beim Herabfallen einfache o<strong>der</strong> komplexe<br />

drehende Bewegungen entstehen, die den Fall<br />

verlangsamen. Das wird aber erst bei größerer<br />

Fallhöhe wirksam (z. B. bei Acer-Arten nach etwa<br />

40 cm, Fraxinus etwa 1 m). Dementsprechend<br />

kommt dieser Typ vorwiegend bei Bäumen vor.<br />

Die Sinkgeschwindigkeit ist trotz <strong>der</strong> Verlangsamung<br />

mit 1 0 0 - 2 0 0 cm /s recht hoch (geringer<br />

nur bei Koniferensamen). Zu einer nennenswerten<br />

horizontalen Verfrachtung (und erst recht<br />

zur Aufwärtsbewegung) kommt es daher erst bei<br />

stärkerem Wind. Dem entspricht die Bereitstellung:<br />

Schraubenflieger-Diasporen haften meistens<br />

ziemlich fest an <strong>der</strong> Mutterpflanze, so daß<br />

sie erst bei höheren Windstärken abgerissen werden,<br />

wenn die Chancen für einen weiteren<br />

Transport günstig sind. Die wenigen direkten<br />

Beobachtungen über erzielte Flugweiten liegen<br />

allerdings nur im Bereich von wenigen km.<br />

c<br />

Hydrochorie<br />

Neben Zoo- und Anemochorie ist die Hydrochorie<br />

die einzige weitere Transportart, mit <strong>der</strong>en<br />

Hilfe wirklicher Ferntransport möglich ist.<br />

Ihre Bedeutung ist aber weitaus geringer, da sie<br />

nur relativ wenige Sippen, bzw. Ausnahmesituationen<br />

betrifft.<br />

Der Wassertransport von Diasporen kann sowohl<br />

in fließenden als auch in stehenden Gewässern<br />

erfolgen, wozwischen aber kein prinzipieller<br />

Unterschied besteht. In <strong>der</strong> Literatur wird<br />

als beson<strong>der</strong>e Form oft <strong>der</strong> Transport durch Regen<br />

als „Ombrohydrochorie“ herausgestellt,<br />

doch handelt es sich dabei letztlich nur um die<br />

Wirkung temporärer Fließgewässer. Eine Unterteilung<br />

erfolgt daher am besten in angepaßte<br />

und unangepaßte Hydrochorie.<br />

Rheohydrochorie<br />

Hier handelt es sich um den Transport von nicht<br />

an das Schwimmen angepaßten Landpflanzen-<br />

Diasporen durch fließendes Süßwasser. Sowohl<br />

Bäche und Flüsse als auch temporäre, durch<br />

Starkregen verursachte Rinnsale und Schichtfluten<br />

können solche Diasporen mit sich führen.<br />

Ein kurzzeitiger Transport im Süßwasser<br />

schadet den meisten nicht.<br />

Bei abfließendem Regenwasser werden die<br />

Diasporen überall da, wo eine Verlangsamung<br />

eintritt, abgesetzt und können nach Versiegen<br />

des Rinnsals keimen. In ebenen Halbwüstengebieten,<br />

wo die ersten Regenfälle nach <strong>der</strong>Trokkenzeit<br />

zu Schichtfluten führen, werden an <strong>der</strong>en<br />

Oberfläche oft zahlreiche kleine Ballon-<br />

Diasporen (in Vor<strong>der</strong>asien z. B. von Astragalus-<br />

A rten) mitgeführt; möglicherweise ist dieser<br />

Diasporentyp in solchen Fällen ebenso stark auf<br />

Wasser- wie auf Lufttransport ausgerichtet.<br />

Nichtangepaßte Diasporen, die in permanente<br />

Gewässer gelangen, gehen dagegen meist zugrunde,<br />

da sie schließlich auf den Boden des<br />

Gewässers sinken. Eine erfolgreiche Verfrachtung<br />

in großem Ausmaße kann aber bei Flußhochwässern<br />

eintreten. Der Schlamm, <strong>der</strong> in den<br />

vorübergehend überschwemmten Bereichen<br />

abgesetzt wird, ist meist sehr diasporenreich.<br />

Viele Arten <strong>der</strong> Flußufer und -auen können sich<br />

auf diese Weise rasch über weite Entfernungen<br />

ausbreiten („Stromtalpflanzen“). In diesen Zusammenhang<br />

gehören auch die „vom Gebirge<br />

herabgeschwemmten“ Alpenpflanzen (z. B.<br />

Linaria alpina) auf den Kiesbänken <strong>der</strong> Voralpenflüsse.<br />

Nautohydrochorie<br />

Hierher gehört zunächst <strong>der</strong> Transport ganzer<br />

vegetativer Schwimmpflanzen durch Flüsse o<strong>der</strong><br />

Meeresströmungen. Auf tropischen Strömen,<br />

z. B. dem Amazonas, finden sich oft riesige Mengen<br />

solcher Schwimmpflanzen, die langsam<br />

flußabwärts treiben (vgl. S. 383^ Durch Meeresströmungen<br />

werden vor allem schwimmen­


Transport <strong>der</strong> Diasporen 33<br />

de Algen (Tange) über weite Strecken verfrachtet.<br />

Während hier die vegetative Pflanze selbst<br />

Diaspore ist, werden natürlich auch ihre eigentlichen<br />

Vermehrungseinheiten (Sporen, Früchte,<br />

Samen, Brutknospen) im Wasser verbreitet.<br />

Im vorstehenden Fall lag die Anpassung an<br />

das Schwimmen bereits bei <strong>der</strong> vegetativen<br />

Pflanze vor. Es gibt aber auch Landpflanzen<br />

(und festsitzende Wasserpflanzen) mit speziellen<br />

Diasporen, die an <strong>der</strong> Wasseroberfläche<br />

schwimmen können. Am einfachsten wird das<br />

ermöglicht bei den sogenannten Leichtgewicht-<br />

Schwimmern. Es sind meist sehr kleine, leichte<br />

Diasporen, die unbenetzbar sind und auf <strong>der</strong><br />

Wasseroberfläche bleiben, weil die Oberflächenspannung<br />

das Einsinken verhin<strong>der</strong>t (z. B. Früchtchen<br />

von Ranunculusßamtnula, Teilfrüchte von<br />

Myosotispalustris-, Achänen von Cirsiumpalustre,<br />

wobei <strong>der</strong> Pappus eine Oberflächenvergrößemng<br />

bewirkt). Diese Methode ist aber wenig effektiv,<br />

da schon eine stärkere Bewegung <strong>der</strong> Wasseroberfläche<br />

zum Sinken führt.<br />

Wirkliche Anpassungen finden sich bei den<br />

Lufthöhlen-Schwimmern. Es sind kleine bis<br />

sehr große Diasporen, <strong>der</strong>en spezifisches Gewicht<br />

durch innere lufterfüllte Hohlräume herabgesetzt<br />

wird. Dabei handelt es sich entwe<strong>der</strong><br />

um einen einheitlichen großen Hohlraum<br />

(„Schwimmblase“, z. B. Same von Nymphaea,<br />

Früchtchen von Nuphar, Fruchtschlauch von<br />

Carex vesicaria), o<strong>der</strong> um ein Schwimmgewebe<br />

mit zahlreichen Interzellularen (z. B. in <strong>der</strong> Testa<br />

von Menyanthes-, im Perikarp von Cicuta, Sparganium).<br />

Meistens sind es Diasporen von krautigen<br />

Sumpf- o<strong>der</strong> auch wurzelnden Wasserpflanzen;<br />

es gehören aber auch in Ufernähe<br />

wachsende Gehölze hierher. Beson<strong>der</strong>e Wi<strong>der</strong>standsfähigkeit<br />

benötigen Diasporen, die durch<br />

Meeresströmungen verbreitet werden; hier muß<br />

nicht nur die Schwimmfähigkeit sehr lange erhalten<br />

bleiben, son<strong>der</strong>n auch das Eindringen des<br />

schädlichen Salzwassers verhin<strong>der</strong>t werden. Musterbeispiel<br />

hierfür ist die Kokosnuß (Abb. 15.1);<br />

wieweit die Kokospalme ihre weite pantropische<br />

Endosperm<br />

flüssig<br />

Embryo<br />

Stielansatz<br />

1<br />

Abb. 15: Auffällige hydrochore Diasporen.<br />

1 Kokosnuß {Cocos nuciferä), Längsschnitt: das le<strong>der</strong>ige, wasserdichte Exokarp umschließt das faserige (Kokosfasern),<br />

lufthaltige Mesokarp und das verholzte Endokarp. 2 Rhizophora mangle, Frucht (links) und Embryo als<br />

Diaspore (rechts). - Nach W. T roll 1959.


34 Verbreitungsökologie<br />

Verbreitung <strong>der</strong> Hydrochorie verdankt und wieweit<br />

<strong>der</strong> Mithilfe des Menschen, ist allerdings<br />

nicht mehr feststellbar. Aber auch kleine, unscheinbare<br />

Diasporen können sehr wi<strong>der</strong>standsfähig<br />

sein: so bleiben die Bruchfrüchtchen des<br />

Meersenfs {Cakile, vgl. Abb. 18.3) im Meerwasserschwimmend<br />

mindestens 10 Wochen lebensfähig.<br />

Daß es auch <strong>der</strong>artige „Anpassungen“ gibt,<br />

die für die Pflanze keinerlei Sinn haben, zeigt<br />

das Beispiel von Entada gigas: die Früchte bzw.<br />

Samen dieser an Flußufem Mittelamerikas wachsenden<br />

tropischen Liane gelangen ins Meer und<br />

werden vom Golfstrom bis an die arktischen<br />

Küsten von Nord-Norwegen und Novaja Zemlja<br />

transportiert, und sie sind dann .sogar z. T. noch<br />

keimfähig!<br />

Als Merkwürdigkeit seien noch die Diasporen<br />

mancher Mangrovearten (z. B. Rhizophora mangle,<br />

Abb. 15.2) erwähnt. Ihre Embryonen entwikkeln<br />

schon an <strong>der</strong> Mutterpflanze eine lange, aus<br />

<strong>der</strong> einsamigen Frucht herausragende Pfahlwurzel.<br />

Bei <strong>der</strong> Reife fallen sie unter Zurücklassung<br />

<strong>der</strong> Keimblätter ab und können, da sie salzresistent<br />

sind, völlig ungeschützt an <strong>der</strong> Wasseroberfläche<br />

schwimmen. Allerdings ist ihre<br />

Lebensdauer doch begrenzt, sie reichte z. B. für<br />

eine natürliche Besiedlung <strong>der</strong> Hawaii-Inseln<br />

nicht aus (erst nach künstlicher Einführung haben<br />

sich Rh. mangle und Rh. mucronata an den<br />

dortigen Küsten sehr schnell eingebürgert).<br />

An die Mangroven-Embryonen erinnert etwas<br />

das Verhalten von Bachuferpflanzen aus <strong>der</strong><br />

Gattung M imulus, bei denen die Samen im<br />

Wasser keimen und die schwimmenden Keimlinge<br />

vom Wasser mitgeführt und schließlich<br />

an geeigneten Uferstellen abgesetzt werden kön-<br />

Ballochorie<br />

Im Gegensatz zu den bisher besprochenen<br />

Transportarten kommt es bei dieser und <strong>der</strong><br />

folgenden allein zur Ausbreitung in <strong>der</strong> nächsten<br />

Umgebung <strong>der</strong> Mutterpflanze. Den verschiedenen<br />

Formen <strong>der</strong> Ballochorie ist gemeinsam,<br />

daß die Diasporen durch einen einmaligen<br />

Impuls vom Entstehungsort weggeschleu<strong>der</strong>t<br />

werden. Um hierbei möglichst große Entfernungen<br />

zu überbrücken, sind Eigenschaften<br />

notwendig, die den bei <strong>der</strong> Anemochorie nötigen<br />

genau entgegengesetzt sind: die Diasporen<br />

müssen klein und kompakt sein und möglichst<br />

wenig Luftwi<strong>der</strong>stand bieten. Solche, oft „feilspanförmigen“<br />

Diasporen können trotz ihrer<br />

Kleinheit eine Sinkgeschwindigkeit von über<br />

500 cm/s haben.<br />

Die ersten drei zugehörigen Formen werden<br />

hier nur erwähnt, weil sie in <strong>der</strong> Literatur traditionell<br />

behandelt werden; das Auffallendste an<br />

ihnen sind die dafür erfundenen Fachtermini,<br />

während ihre tatsächliche Spezifizität bzw. Effektivität<br />

minimal ist.<br />

Zooballochorie<br />

Hier handelt es sich darum, daß auf elastischen<br />

Stielen stehende Diasporenbehälter krautiger<br />

Pflanzen von vorbeigehenden Tieren ein Stück<br />

mitgezogen werden, dann zurückschnellen und<br />

dabei die Diasporen ausschleu<strong>der</strong>n. Beson<strong>der</strong>s<br />

leicht geschieht das, wenn die Behälter Stacheln<br />

o<strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>haken haben; hierfür wurde die Bezeichnung<br />

„Schüttelkletten“ geprägt, als Beispiel<br />

wird Dipsacus angegeben.<br />

Anemoballochorie<br />

Dieser Fall ähnelt dem vorigen, nur daß das<br />

Abbiegen <strong>der</strong> Behälter aus <strong>der</strong> Gleichgewichtslage<br />

vom Wind besorgt wird. Als Anpassung bei<br />

solchen „Schüttelfrüchten“ wird die oft durch<br />

postflorale Verlängerung bewirkte beson<strong>der</strong>e<br />

Länge <strong>der</strong> steif-aufrechten Stiele angesehen (z. B.<br />

Papaver). Die Streuweite bei <strong>der</strong> tier- o<strong>der</strong> windbedingten<br />

Ausschleu<strong>der</strong>ung mag in günstigen<br />

Fällen einige Meter betragen; doch kann man<br />

bei unvoreingenommener Betrachtung davon.<br />

ausgehen, daß es sich für die betreffenden Diasporen<br />

nur um eine, und sicherlich nicht die<br />

wichtigste, von mehreren Verbreitungsweisen<br />

handelt.<br />

Hydroballochorie<br />

Die hierher gehörenden Pflanzen, die auch als<br />

„Regenballisten“ bezeichnet werden, haben'<br />

meist kleine, an waagerechten, elastischen Stielen<br />

stehende Früchte, die sich bei <strong>der</strong> Reife so<br />

öffnen, daß die Samen lose auf einer löffelförmigen<br />

Fläche liegen. Trifft ein Regentropfen<br />

den Löffel, so biegt sich <strong>der</strong> Stiel nach unten<br />

und schnellt wie<strong>der</strong> zurück, wobei die Samen<br />

ausgeschleu<strong>der</strong>t werden. Als Beispiele werden<br />

Thlaspi perfoliatum und an<strong>der</strong>e Cruciferen genannt;<br />

die Streuweite soll bis zu 80 cm (!) betra-


Transport <strong>der</strong> Diasporen 35<br />

Abb. 16; Beispiele für Autoballochorie<br />

(Früchte).<br />

Saftdruckstreuer: 1 Impatiens<br />

parviflora, 2 EcbalEum ekterium,<br />

3 Arceuthobium vaginatum\ Austrocknungsstreuer:<br />

4 Geranium<br />

syhaücum (Frucht in 5 Klausen<br />

aufspaltend, dabei plötzliche<br />

Zusammenrollung <strong>der</strong> Griffel-<br />

Anteile), 5 Lotus comiculatus. -<br />

Quellen: 1, 2 Ulbrich 1928;<br />

3 Hawksworth 1961; 4,5 Müller-Schnh<strong>der</strong>1977.<br />

gen. Hier liegt also eine reine Kuriosität ohne<br />

jede praktische Bedeutung vor.<br />

Autoballochorie<br />

Diese Transportart hat wegen ihrer spektakulären,<br />

auch dem Laien auffallenden Erscheinungen<br />

beson<strong>der</strong>s viel Beachtung gefunden. Die<br />

Energie für das Fortschleu<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Diasporen<br />

wird hier gewöhnlich durch Spannungen im lebenden<br />

(„Saftdruckstreuer“) o<strong>der</strong> toten („Austrocknungsstreuer“)<br />

Gewebe <strong>der</strong> Behälter geliefert,<br />

die schließlich zu explosionsartigem Zerfall<br />

fuhren (Abb. 16).<br />

Bei den Saftdruckstreuern kommen die<br />

Spannungen durch den Turgor zustande. Meist<br />

handelt es sich um Früchte, bei denen mit fortschreiten<strong>der</strong><br />

Reife in bestimmten Geweben ein<br />

Überdruck aufgebaut wird, bis schließlich die<br />

leiseste Erschüttemng zur Explosion fuhrt. Gewöhnlich<br />

zerplatzen die Früchte infolge von<br />

Spannungen in <strong>der</strong> Fruchtwand entsprechend<br />

ihrem morphologischen Bau, z. B. als lokulizide<br />

Kapseln {Impatiens) o<strong>der</strong> Schoten {Cardam ine<br />

impatiens, Corydalis sibirica). Eine an<strong>der</strong>e, beson<strong>der</strong>s<br />

wirksame Konstruktion liegt bei <strong>der</strong> Spritzgurke<br />

{Ecballium elaterium) vor: ein <strong>der</strong>bes, elastisches<br />

Perikarp umschließt eine innere schleimige<br />

Masse, die die zahlreichen Samen enthält.<br />

In dieser entsteht ein Überdruck bis zu 2,5 bar,<br />

<strong>der</strong> zuletzt den Stiel <strong>der</strong> hängenden Frucht aus<br />

seiner Mündung stößt, so daß die Frucht abfällt<br />

und im gleichen Augenblick <strong>der</strong> Inhalt einschließlich<br />

<strong>der</strong> Samen hinausgespritzt wird.<br />

Nach dem gleichen Prinzip arbeiten die Früchte<br />

nordamerikanischer Mistel-Arten {Arceuthobium<br />

spp., z. B. auf Pinus und Pseudotsuga), die<br />

ihre klebrigen Samen so direkt von einem Baurti<br />

zum nächsten schießen können.<br />

Stärker abweichend verhält sich <strong>der</strong> Sauerklee<br />

{Oxalis acetosella u. a. spp.), bei dem die Samen<br />

mit Hilfe <strong>der</strong> Samenschale fortgeschleu<strong>der</strong>t


36 Verbreitungsökologie<br />

werden. Diese ist zweischichtig: einer inneren,<br />

harten Schicht liegt eine stark turgeszente Epi<strong>der</strong>mis<br />

auf, die durch eine feste, elastische Kutikula<br />

zusammengepreßt wird. Durch zunehmenden<br />

Überdruck in <strong>der</strong> Epi<strong>der</strong>mis (angeblich bis<br />

18 bar) wird dann plötzlich <strong>der</strong> innere Teil des<br />

Samen herausgequetscht und durch die Spalten<br />

<strong>der</strong> geöffneten Kapsel ins Freie geschossen.<br />

Hierher gehört übrigens auch die Ausschleu<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Sporen aus den Farnsporangien<br />

durch den bekannten Kohäsionsmechanismus.<br />

Da die ausgeschleu<strong>der</strong>ten Samen oft klebrig<br />

sind, können sie leicht an Tieren, die die Explosion<br />

ausgelöst haben, hängenbleiben und von<br />

diesen weitertransportiert werden; in solchen<br />

Fällen wäre das Abschießen eigentlich eine beson<strong>der</strong>e<br />

Form <strong>der</strong> Bereitstellung von epizoochoren<br />

Kleb-Diasporen.<br />

Die Spannungen in den Früchten <strong>der</strong> Austrocknungsstreuer<br />

beruhen meist auf einer ungleichen<br />

Verformung verschiedener Gewebeschichten<br />

(z. B. infolge von Faserschicht-Kreu-<br />

Zungen) bei <strong>der</strong> Austrocknung <strong>der</strong> abgestorbenen<br />

Fruchtwand. Oft wird eine rasche Austrocknung<br />

bei Sonnenschein durch die dunlde Färbung<br />

<strong>der</strong> Frucht begünstigt. Es können hauptsächlich<br />

2 Mechanismen unterschieden werden,<br />

die man als „Rollschleu<strong>der</strong>“ und „Quetschschleu<strong>der</strong>“<br />

bezeichnen kann. Im ersten Fall rollen<br />

sich Teile <strong>der</strong> Fruchtwand blitzschnell zusammen,<br />

wodurch die daran sitzenden Samen<br />

fortgeschleu<strong>der</strong>t werden (z. B. Genista, Lotus,<br />

Sarothamnus, Vicia u. a. Leguminosen, Geranium)-,<br />

die Frucht selbst wird dabei oft völlig<br />

zerlegt (beson<strong>der</strong>s auffällig bei dem tropischen<br />

Euphorbiaceen-Baum H ura crepitans, dessen<br />

etwa faustgroße Kapsel mit lautem Knall in zahlreiche<br />

Teile zerspringt). Im zweiten Fall werden<br />

die meist sehr harten, glatten Samen durch ein<br />

eher langsames Zusammenpressen bestimmter<br />

Perikarpteile plötzlich aus <strong>der</strong> Frucht herausgequetscht<br />

(z. B. Viola, Buxus, Hamamelis).<br />

Zu den bei <strong>der</strong> Autoballochorie erreichten<br />

Schußweiten vgl. Tab. 11.<br />

Tab. 11; Maximale „Schußweiten“ autoballochorer<br />

Diasporen.<br />

Nach Hawksworth 1961 und Müller-Schnei<strong>der</strong> 1977.<br />

Art<br />

Cardamine parvijlora f 2<br />

Geranium columbinum 1,5<br />

Pika spruceana 1,7<br />

Cardamine impatiens 2,0<br />

Montia fontana 2,0<br />

Euphorbia helioscopia 2,0<br />

Corydalis sibirica 2,2<br />

Oxalis acetosella 2,3<br />

Viola arvensis 2,4<br />

Geranium sylvaticum 2,7<br />

Cyclanthera explodens 3,0<br />

Impatiens parvijlora 3,4<br />

Lathraea clandestina 4,0<br />

Mercurialis perennis 4,0<br />

Alstroemeria psittacina 4,0<br />

Viola riviniana 4,6<br />

Dorstenia contrayerva 5,0<br />

Geranium robertianum 6,0<br />

Impatiens glandulifera 6,3<br />

Lupinus digitatus 7,0<br />

Wisteria sinensis 9,0<br />

Acanthus mollis 9,5<br />

Arceuthobium vaginatum 12,6<br />

Ecballium elaterium 12,7<br />

Hura crepitans 14,0<br />

Baubinia purpurea 15,0<br />

Weite in m<br />

Autochorie<br />

Die eben besprochene Autoballochorie wird oft<br />

mit zur Autochorie gerechnet. Doch gibt hierbei<br />

die Pflanze selbst nur den Anstoß zum Transport;<br />

bei echter Autochorie fuhrt sie ihn auch<br />

durch. In <strong>der</strong> Literatur werden 2 Formen <strong>der</strong><br />

Autochorie unterschieden, <strong>der</strong>en erste jedoch<br />

wie<strong>der</strong> nur eine Kuriosität ist, die für die Ausbreitung<br />

<strong>der</strong> Diasporen keine praktische Bedeutung<br />

hat.<br />

Herpautochorie<br />

Hier bewegen sich die auf dem Boden liegenden<br />

Diasporen mit Hilfe hygroskopischer Grannen<br />

o<strong>der</strong> Haare, die meist noch mit einseitig<br />

ausgerichteten Wi<strong>der</strong>haken besetzt sind. Meist<br />

legen diese Organe sich bei Feuchtigkeit dicht<br />

an, beim Austrocknen spreizen sie ab o<strong>der</strong> biegen<br />

sich knieartig um. Bei häufigem Feuchtigkeitswechsel<br />

(durch allnächtlichen Tau) kann<br />

eine ständige Fortbewegung <strong>der</strong> Diaspore in einer<br />

Richtung resultieren. Die zurückgelegten<br />

Distanzen sind minimal; ein Nutzen für die<br />

Pflanze kann zuweilen darin bestehen, daß die<br />

Diasporen in eine für die Keimung günstige Lage<br />

gebracht werden (bei Erodium werden sie sogar<br />

durch den Fruchtschnabel in den Boden einge-


Transport <strong>der</strong> Diasporen 37<br />

Abb. 17: Blastautochorie durch Ausläufer<br />

bei Ranunculus repens (schematisch).<br />

Eine Mutterpflanze (bei <strong>der</strong> Koordinate<br />

0/0) erzeugte in einer Vegetationsperiode<br />

34 Tochterpflanzen, von denen 22 (*)<br />

zugleich noch zur Blüte kamen. - Aus<br />

Sausbury 1942, verän<strong>der</strong>t.<br />

bohrt; an<strong>der</strong>e Beispiele: viele Grasfrüchte bewegen<br />

sich mit Hilfe ihrer Grannen, die von<br />

Trifolium stdlatum mit Hilfe <strong>der</strong> Kelchzipfel).<br />

Blastautochorie<br />

Bei Pflanzen mit nie<strong>der</strong>liegenden Stengeln werden<br />

Früchte und Samen an Stellen erzeugt, die<br />

vom Keimort <strong>der</strong> Mutterpflanze eine gewisse<br />

horizontale Strecke entfernt sind; doch handelt<br />

es sich hierbei um das normale vegetative<br />

Längenwachstum, das nicht speziell dem Diasporentransport<br />

dient. Eine spezielle Anpassung,<br />

die die Verbringung <strong>der</strong> Diasporen an einen<br />

günstigen Keimort bewirkt, liegt allerdings bei<br />

Tab. 12: Ausläufer, in einer Vegetationsperiode erzeugte<br />

Längen (Beispiele aus Mitteleuropa).<br />

Aus Müller-Schnei<strong>der</strong> 1977.<br />

Art<br />

Viola odorata 0,13<br />

Ajuga reptam 0,2<br />

Hieracium pilosella 0,3<br />

Geum reptans 0,5<br />

Lithospermum purpureo-coerukum 0,56<br />

PotentiUa amerina 1,1<br />

Ranunculus repens 1,3<br />

Rubus saxatilis 1,4<br />

PotentiUa reptans 1,5<br />

Vinca major 2,0<br />

Fragaria vesca 2,6<br />

Rubus caesius 3,2<br />

Rubus bifrons 6,5<br />

Phragmites australis 20,0<br />

Länge in m<br />

<strong>der</strong> Fels- und Mauerpflanze Cymbalaria muralis<br />

vor: hier wachsen die Fruchtstiele postfloral<br />

negativ phototropisch und beför<strong>der</strong>n dadurch<br />

die Kapseln in Fels- und Mauerritzen.<br />

Eindeutig von Transport kann man aber bei<br />

Pflanzen mit vegetativer Vermehrung durch<br />

Ausläufer sprechen. Hier sind die Diasporen<br />

Sproßvegetationspunkte, die mit Hilfe spezieller<br />

Transportorgane an den Bestimmungsort<br />

gebracht werden. Die Ausläufer haben allerdings<br />

nicht allein die Transportfunktion, son<strong>der</strong>n zugleich<br />

die Aufgabe, die an ihnen befindlichen<br />

Diasporen mit Nährstoffen zu versorgen. Deren<br />

Etablierung wird so sehr erleichtert, und es<br />

ist verständlich, daß Pflanzen mit Ausläufern<br />

oft eine sehr rasche Nahausbreitung zeigen<br />

(Abb. 17, Tab. 12).<br />

f<br />

Atelechorie<br />

Neben den vielen Anpassungen, die den Transport<br />

<strong>der</strong> Diasporen vom Entstehungsort hinweg<br />

begünstigen, gibt es zuweilen auch solche, die<br />

das Gegenteil bewirken. Das erscheint zunächst<br />

wi<strong>der</strong>sinnig: denn jede Pflanzensippe braucht<br />

die Fähigkeit sich auszubreiten. Selbst wenn sie<br />

in einem standörtlich zusagenden Gebiet lebt<br />

und deshalb im Augenblick eine Ausbreitung<br />

nicht nötig hat, so kann es doch je<strong>der</strong>zeit zu<br />

Klimaän<strong>der</strong>ungen kommen, die das potentielle<br />

Areal verschieben; kann die Sippe dann ihre Verbreitung<br />

den verän<strong>der</strong>ten Verhältnissen nicht<br />

anpassen, so ist sie vom Aussterben bedroht.


38 Verbreitungsökologie<br />

I<br />

Dementsprechend betrifft das Phänomen <strong>der</strong><br />

Atelechorie, <strong>der</strong> Verhin<strong>der</strong>ung des Diasporen-<br />

Transports, stets nur einen Teil <strong>der</strong> Diasporen<br />

<strong>der</strong> betreffenden Sippe. Es tritt vorwiegend bei<br />

Pflanzen auf, die unter sehr ungünstigen Klimabedingungen<br />

wachsen, vor allem in Halbwüstengebieten<br />

(vgl. ZoHARY 1937). Dort gibt es viele<br />

Einjährige, die den größten Teil des Jahres (o<strong>der</strong><br />

auch mehrere Jahre) als Diasporen verbringen<br />

und nur während einer kurzen Regenzeit vegetativ<br />

vorhanden sind. Sie wachsen an lokal günstigen<br />

Stellen, wo <strong>der</strong> Regen zusammenläuft. Ein<br />

Teil ihrer Früchte o<strong>der</strong> Samen wird an Ort und<br />

Stelle fixiert, so daß <strong>der</strong> einmal gefundene günstige<br />

Standort von <strong>der</strong> Art besetzt bleibt. Sie erreichen<br />

dadurch eine Art von Perennität, aber<br />

mit geringerem Stoffaufwand - vor allem<br />

Wasserverlust - als echte Perenne.<br />

Die Fixierung <strong>der</strong> Diasporen erfolgt meist<br />

durch Geokarpie, d. h. die Früchte werden in<br />

den Boden verlagert, entwe<strong>der</strong> durch kleistogame<br />

unterirdische Blüten, o<strong>der</strong> durch positiv<br />

geotropes Wachstum <strong>der</strong> Fruchtstiele nach <strong>der</strong><br />

Bestäubung. Das geschieht aber nur mit einem<br />

Teil <strong>der</strong> Früchte, es liegt also Heterokarpie vor.<br />

Meist sind die Erdfrüchte einsamig und bleiben<br />

geschlossen, die an<strong>der</strong>en, an <strong>der</strong> Luft erzeugten<br />

Früchte dagegen sind mehrsamig und<br />

öffnen sich normal (Abb. 18.1,2), so bei manchen<br />

Leguminosen (z. B. Lathyrus amphicarpus,<br />

Pisum amphicarpum, Mittelmeergebiet) und Cmciferen<br />

{C ardam ine chenopodiifolia, Anden).<br />

(Nicht in allen Fällen dient die Geokarpie <strong>der</strong><br />

Atelechorie: bei Vro/it-Arten ist sie z. B. eine<br />

Form <strong>der</strong> Bereitstellung myrmekochorer Diasporen,<br />

ähnlich bei Arachis hypogaea für Dyszoochorie<br />

seitens erdbewohnen<strong>der</strong> Nager.)<br />

Neben Geokarpie gibt es noch an<strong>der</strong>e Methoden<br />

<strong>der</strong> Transportverhin<strong>der</strong>ung, z. B. sehr<br />

festes Haften an <strong>der</strong> Mutterpflanze, Verankerung<br />

im Boden mit Haken, u. a. Als Beispiel,<br />

bei dem sich die beiden Hälften <strong>der</strong>selben<br />

Frucht unterschiedlich verhalten (Heteromerikarpie),<br />

sei noch <strong>der</strong> Meersenf {Cakile maritima)<br />

genannt: die Früchte sind 2samige Bmchschoten<br />

(Abb. 18.3), <strong>der</strong>en oberer Teil abbricht und verbreitet<br />

wird, während <strong>der</strong> untere an <strong>der</strong> toten<br />

Mutterpflanze verbleibt, mit dieser oft im Sand<br />

vergraben wird und so den bisherigen Wuchsort<br />

behaupten kann.<br />

3 Etablierung am Zielort<br />

Mit <strong>der</strong> Entfernung <strong>der</strong> Diaspore vom Wuchsort<br />

<strong>der</strong> Mutterpflanze ist die erste Voraussetzung<br />

für eine Ausbreitung erfüllt. Bis zur tatsächlichen,<br />

dauerhaften Eroberung eines neuen<br />

Wuchsortes ist es aber noch ein weiter Weg, auf<br />

dem die weiteren oben genannten Schritte zu<br />

durchlaufen sind.<br />

Die vielen Anpassungen, die den Transport bewirken,<br />

dürfen natürlich nicht ewig wirksam<br />

sein: irgendwann müssen die Keime zur Ruhe


Etablierung am Zielort 39<br />

kommen und sich am Bestimmungsort festsetzen.<br />

Die Beendigung des Transports kann bewirkt<br />

werden durch;<br />

(1) Verlust o<strong>der</strong> Unwirksamwerden <strong>der</strong> Verbreitungsmittel.<br />

Bei Endo- und Synzoochorie wirkt das<br />

Verbreitungsmittel nur einmal: mit dem<br />

Ausscheiden bzw. Wegwerfen des Kernes ist<br />

<strong>der</strong> Verbreitungsvorgang beendet. Epizoochore<br />

Diasporen können an Vegetation<br />

o<strong>der</strong> am Boden wie<strong>der</strong> abgestreift, o<strong>der</strong> vom<br />

Tier absichtlich beseitigt werden. Bei<br />

Anemochorie kann einfach die Windgeschwindigkeit<br />

zu gering werden; o<strong>der</strong> z. B.<br />

Staubflieger werden durch Regentropfen zu<br />

Boden beför<strong>der</strong>t, bei größeren Diasporen<br />

wird <strong>der</strong> Flugapparat zerstört o<strong>der</strong> abgeworfen<br />

o<strong>der</strong> legt sich bei Feuchtigkeit zusammen.<br />

Beim Wassertransport werden die<br />

Diasporen am Ufer abgesetzt, o<strong>der</strong> die Um ­<br />

hüllung des Schwimmapparates wird undicht,<br />

so daß Wasser eindringen kann und<br />

die Diasporen absinken.<br />

(2) Das Verbreitungsmittel dient zugleich <strong>der</strong><br />

Verankerung im Boden.<br />

Der perfekteste Fall dieser Art ist die vegetative<br />

Verbreitung durch Ausläufer. Von<br />

den generativen Diasporen betrifft es vor<br />

allem Epizoochore mit Haken, Borsten<br />

u. dgl., die nach dem Abstreifen vom Tier<br />

dazu führen, daß die Diaspore auf dem<br />

Boden bald eine feste Lage einnimmt (beson<strong>der</strong>s<br />

bei Trampelkletten kann die Verankerungsfunktion<br />

<strong>der</strong> Anhängsel <strong>der</strong> Transportfunktion<br />

gleichwertig sein). Auch bei<br />

Kleb-Diasporen kann die Klebsubstanz zur<br />

Befestigung am Substrat fuhren (vgl. die Mistel,<br />

S. 25). Daß die „Verbreitungsmittel“<br />

<strong>der</strong> Herpautochoren wohl überwiegend <strong>der</strong><br />

Verankerung dienen, wurde bereits erwähnt.<br />

(3) Entwicklung beson<strong>der</strong>er Verankerungsmittel.<br />

Viele kleine Diasporen, hauptsächlich Samen,<br />

entwickeln bei Befeuchtung einen zähen,<br />

klebrigen Schleim, <strong>der</strong> sie an <strong>der</strong> Unterlage<br />

festklebt (Myxospermie). Das ist beson<strong>der</strong>s<br />

in Trockengebieten häufig und bewirkt<br />

hier, daß die Samen bei beginnenden<br />

Regenfällen sofort fixiert werden; doch ist<br />

es auch in Mitteleuropa nicht selten (z. B.<br />

Plantago, Linum, Salvia).<br />

b<br />

Keimung und Keimungsökologie<br />

Während bei manchen vegetativen Diasporen,<br />

so bei <strong>der</strong> Ausläuferverbreitung, gleich eine voll<br />

ausgebildete Jungpflanze auftritt, liegt bei den<br />

generativen Diasporen <strong>der</strong> Samenpflanzen ein<br />

Embryo vor, <strong>der</strong> zunächst als Keimling die<br />

schützende Umhüllung verlassen muß. Das Stadium<br />

des Keimlings ist ein beson<strong>der</strong>s gefährdeter<br />

Abschnitt im Lebenszyklus <strong>der</strong> Pflanze. Es<br />

gibt daher viele Anpassungen, die dafür sorgen,<br />

daß es nur unter günstigen Außenbedingungen<br />

zur Keimung kommt. Manche Anpassungen<br />

laufen sogar darauf hinaus, eine Keimung nur<br />

dann zu ermöglichen, wenn auch die Voraussetzungen<br />

für das Aufwachsen <strong>der</strong> Jungpflanzen<br />

günstig sind (vgl. F enner 1985).<br />

Ein wichtiges Phänomen ist die Keimruhe,<br />

d. h. das Verhalten vieler Samen (bzw. samenhaltiger<br />

Diasporen), nach dem Verlassen <strong>der</strong><br />

Mutterpflanze eine Ruhepause durchzumachen,<br />

in <strong>der</strong> eine Keimung nicht erfolgt. Die Ursachen<br />

hierfür lassen sich in 4 Gruppen unterteilen,<br />

von denen man die beiden ersten als exogene,<br />

die beiden letzten als endogene zusammenfassen<br />

kann:<br />

(1) Physiko-chemische: Die für die Keimung<br />

notwendigen Werte <strong>der</strong> Außenbedingungen<br />

sind nicht gegeben. So ist <strong>der</strong> Temperaturbereich,<br />

in dem eine Keimung erfolgt,<br />

oft recht eng (z. B. eine Amplitude von<br />

10 °C); solange die Temperatur darunter<br />

o<strong>der</strong> darüber liegt, erfolgt keine Keimung.<br />

Ähnliches kann für den pH-Wert des Bodens<br />

gelten; auch hier gibt es manchmal<br />

recht enge Amplituden (kann bestimmend<br />

sein für das Vorkommen <strong>der</strong> betr. Sippe).<br />

Grundvoraussetzung ist natürlich ein genügen<strong>der</strong><br />

Wassergehalt des Bodens, <strong>der</strong> die für<br />

die Keimung nötige Quellung des Embryos<br />

ermöglicht. In Son<strong>der</strong>fällen sind noch weitere<br />

Faktoren entscheidend, z. B. auch biologische:<br />

so bei Orchideensamen die Anwesenheit<br />

eines geigneten Mykorrhizapilzes.<br />

(2) Mechanische; Die Schale <strong>der</strong> Diaspore ist<br />

wassemndurchlässig und verhin<strong>der</strong>t so die<br />

Quellung; zuweilen kann sie auch 0 2 -undurchlässig<br />

sein und dadurch die Atmung<br />

behin<strong>der</strong>n (diese ist bei keimenden Samen<br />

meist sehr stark, in Notfällen kommt auch<br />

anaerobe Energiegewinnung vor); in seltenen<br />

Fällen wird die Quellung trotz Wasserdurchlässigkeit<br />

durch zu große Härte <strong>der</strong>


40 Verbreitungsökologie<br />

Schale unmöglich gemacht. Diese Eigenschaften<br />

<strong>der</strong> Schale können auf mechanischem,<br />

physikalischem o<strong>der</strong> chemischem<br />

Wege beseitigt werden, z. B. durch<br />

• Dyszoochorie: Tier öffnet Schale und<br />

verliert Keim<br />

• Endozoochorie: Teüverdauung <strong>der</strong> Schale<br />

• „Überliegen“ im Boden: Beschädigung<br />

<strong>der</strong> Schale durch Frostwirkung im Winter,<br />

im folgenden Sommer dann Fortsetzung<br />

<strong>der</strong> Korrosion durch mikrobiellen<br />

Abbau.<br />

Letzteres trifft für viele Körner- und Nuß-<br />

Diasporen zu. Beson<strong>der</strong>s wi<strong>der</strong>standsfähig<br />

sind die Schalen mancher Leguminosen-Samen;<br />

hier beschleunigt man die Korrosion<br />

in <strong>der</strong> Praxis zuweilen durch Einlegen in<br />

H2SO4.<br />

(3) Ontogenetische: Der Embryo ist bei <strong>der</strong><br />

(scheinbaren) Samenreife noch ungenügend<br />

entwickelt und muß nach dem Abfallen erst<br />

nachwachsen (auf Kosten des Endosperms).<br />

Dieser Fall ist nicht selten (mitteleuropäische<br />

Beispiele: Pinus, Fraxinus excelsior, Ilex<br />

aquifolium, Eranthis u. a. Ranunculaceen,<br />

Corydalis cava).<br />

(4) Physiologische: Die Keimung erfolgt für<br />

eine gewisse Zeit auch dann nicht, wenn<br />

Hin<strong>der</strong>nisse nach (l)-(3) nicht vorliegen.<br />

Dieses als Keimhemmung bezeichnete Verhalten<br />

ist durch die Keimung hin<strong>der</strong>nde Inhaltsstoffe<br />

(häufig Abscisinsäure, auch Zimtsäure<strong>der</strong>ivate<br />

u. a.) bedingt; erst nach <strong>der</strong>en<br />

Abbau (o<strong>der</strong> auch Blockierung) ist die<br />

Diaspore „keimbereit“. Solche Substanzen<br />

können auch in den äußeren Teilen von<br />

Saft-Diasporen enthalten sein (so wurden<br />

im Fruchtfleisch von Perseagratissima bis zu<br />

10 mg/kg Abscisinsäure nachgewiesen). Im<br />

eigentlichen Samenbereich können sie im<br />

Laufe <strong>der</strong> Zeit von selbst degenerieren (selten<br />

ist einfache Auswaschung). Meist wird<br />

<strong>der</strong> Abbau aber durch die Wirkung exogener<br />

Reize beschleunigt, d. h. durch bestim<br />

m te Schwellenwerte von Um w eltfaktoren,<br />

die entwe<strong>der</strong> einmalig (kurz- o<strong>der</strong><br />

langzeitig) o<strong>der</strong> mehrfach im Wechsel auftreten.<br />

Zu nennen sind:<br />

• Temperaturen: tiefe (in Mitteleuropa oft<br />

0 bis 4-5 °C, sog. „Frostkeimer“); hohe;<br />

Wechsel<br />

• Licht: Belichtung hemmend („Dunkelkeimer“);<br />

för<strong>der</strong>nd („Lichtkeimer“); bestimmte<br />

Photoperiode nötig<br />

• Feuchtigkeit: mehrfacher Wechsel zwischen<br />

Anfeuchtung und Austrocknung<br />

• Chemismus: Wechsel zwischen Salzwasser<br />

und Regenwasser (bei Meerstrandpflanzen,<br />

z. B. Cakile).<br />

Zuweilen wird die Keimhemmung nur für<br />

eine bestimmte Zeit aufgehoben, danach ist<br />

die Keimung erneut gehemmt (periodische<br />

Keimbereitschaft). Manche Parasiten (z. B.<br />

Orobanche spp.) keimen nur in <strong>der</strong> Nähe ihrer<br />

Wirtspflanze; hier sind für die Aufhebung<br />

<strong>der</strong> Hemmung also wohl vom Wirt abgegebene<br />

Substanzen notwendig. Experimentell<br />

kann man die Keimhemmung bei vielen<br />

Pflanzen durch Zugabe von Gibberellinen beenden.<br />

Die tatsächliche Dauer <strong>der</strong> Keimruhe resultiert<br />

gewöhnlich aus <strong>der</strong> Kombination mehrerer <strong>der</strong><br />

genannten Ursachen. Sie ist sehr unterschiedlich<br />

und zeigt enge Beziehungen zu den ökologischen<br />

Bedingungen, unter denen die Sippe<br />

lebt. So keimen die Diasporen vieler mitteleuropäischer<br />

Pflanzen frühestens im nächsten<br />

Frühjahr, überdauern also den Winter im Ruhezustand.<br />

Entsprechendes gilt auch für an<strong>der</strong>e<br />

Gebiete mit Wechsel zwischen günstiger und ungünstiger<br />

Jahreszeit. Im Tropischen Regenwald<br />

hat man festgestellt, daß viele <strong>der</strong> dortigen<br />

Schatthölzer (Klimaxarten) keine Keimruhe haben.<br />

Ihre Diasporen keimen bald nach <strong>der</strong> Reife<br />

aus (so waren von 180 Schatthölzern aus dem<br />

malesischen Regenwald, die daraufhin untersucht<br />

wurden, 118 nach weniger als 3 Monaten<br />

gekeimt). Die Jungpflanzen sind sehr schattenfest<br />

und werden oft lange Zeit aus großen<br />

Reservestoffspeichern im Samen versorgt (z. B.<br />

Persea gratissima)-, sie können daher lange Zeit<br />

ohne stärkeres Wachstum abwarten, bis günstigere<br />

Bedingungen für sie eintreten. Samen von<br />

Lichthölzern, die den Sekundärwald bilden,<br />

haben dagegen Keimhemmung, die nur durch<br />

den Einfall von direktem Sonnenlicht aufgehoben<br />

wird, d. h. wenn die Voraussetzungen für<br />

erfolgreiches Aufwachsen gegeben sind.<br />

Pflanzensippen, die in einer Umwelt wachsen,<br />

in <strong>der</strong> günstige Bedingungen nur sehr unregelmäßig<br />

bzw. episodisch auffreten, zeigen beson<strong>der</strong>s<br />

ausgeprägt eine Eigenschaft, die auch<br />

sonst nicht selten ist: nämlich eine große Streuung<br />

in <strong>der</strong> Dauer <strong>der</strong> Keimruhe. Beson<strong>der</strong>s Ein­


Etablierung am Zielort 41<br />

jährige müssen, um ihr Überleben zu sichern,<br />

dafür sorgen, daß nicht alle ihre Diasporen zugleich<br />

keimen. Das trifft etwa in Halbwüstengebieten<br />

zu, wo es häufig Jahre gibt, in denen<br />

die Regenmenge nicht ausreicht, um die gekeimten<br />

Exemplare zum Fruchten kommen zu lassen:<br />

es bleiben noch genügend ungekeimte für<br />

bessere Jahre übrig. Ähnliches gilt für Ackerunkräuter,<br />

die so die Auswirkungen <strong>der</strong> Fruchtfolge<br />

(und in Grenzen auch <strong>der</strong> Herbizidanwendung)<br />

überstehen können.<br />

Die einzelnen Diasporen <strong>der</strong>selben Sippe verhalten<br />

sich hier also sehr unterschiedlich, d. h.<br />

es liegt eine Art von Heterospermie bzw. Heterokarpie<br />

vor. Diese kann auch morphologisch erkennbar<br />

sein: so sind bei manchen Compositen<br />

die äußeren Achänen des Körbchens wesentlich<br />

dickschaliger als die inneren und haben infolgedessen<br />

auch eine längere Keimruhe. Meist<br />

handelt es sich aber um eine äußerlich nicht<br />

sichtbare „physiologische Heterospermie“. Über<br />

<strong>der</strong>en Zustandekommen ist wenig bekannt; anscheinend<br />

können die Umweltbedingungen zur<br />

Zeit <strong>der</strong> Samenentwicklung einen Einfluß haben.<br />

So zeigten bei Stellaria media und Lactuca<br />

sativa Diasporen, die bei kühler Witterung und<br />

geringer Tageslänge heranwuchsen, eine langdauernde<br />

Keimruhe, solche bei hohen Temperaturen<br />

und langen Tagen hingegen eine nur<br />

kurzzeitige. Die sinnvolle ökologische Konsequenz<br />

besteht darin, daß im Hochsommer entstandene<br />

Diasporen rasch keimen und noch eine<br />

zweite Generation hervorbringen können, während<br />

im Herbst entstandene bis zum nächsten<br />

Frühjahr überliegen.<br />

Allein exogen bedingt ist die Streuung <strong>der</strong><br />

Keimruhe bei Pyrophyten: hier werden die Diasporen<br />

erst frei, wenn zuvor ein Waldbrand stattgefunden<br />

hat, d.h. wenn <strong>der</strong> für das Aufkommen<br />

<strong>der</strong> bei solchen Arten sehr konkurrenzschwachen<br />

Jungpflanzen notwendige offene<br />

Boden zur Verfügung steht.<br />

Wird so die Keimung zuweilen über längere<br />

Zeit verzögert, so ist das doch nicht unbegrenzt<br />

möglich. In diesem Zusammenhang ist ein Blick<br />

auf die Lebensdauer <strong>der</strong> Samen (bzw. samenhaltiger<br />

Diasporen) überhaupt von Interesse.<br />

Manche Samen leben nur wenige Tage (z. B.<br />

Sfl/fx-Arten); doch ist das eine extreme Ausnahme.<br />

Normalerweise ist die Lebenserwartung <strong>der</strong><br />

Samen erheblich länger, vorausgesetzt daß sie<br />

nicht durch äußere Einflüsse geschädigt werden<br />

(neben Tierfraß ist hier die Gefahr <strong>der</strong> Austrocknung<br />

zu nennen, die bei vielen relativ wenig<br />

entwässerten Samen gegeben ist); gewöhnlich<br />

beträgt sie mehrere Monate bis mehrere Jahre,<br />

nicht selten auch Jahrzehnte.<br />

Uber einige, meist auch in Mitteleuropa vorkommende<br />

Arten gibt das inzwischen berühmte, 1879 von Beal<br />

begonnene Experiment an <strong>der</strong> Universität von Michigan<br />

Auskunft (Kivilaan etc. 1981). Diasporen dieser<br />

20 Arten wurden mit Sand vermischt und in nach<br />

Tab. 13: Lebensdauer <strong>der</strong> Diasporen von 14 Pflanzenarten nach dem Versuch von Beal.<br />

? = Bestimmung von Verbascum blattaria bis 1920 unsicher, da anfangs noch an<strong>der</strong>e Verbascum-Knm beteiligt.<br />

Bei V. blattaria keimten 1980 noch 21 von 50 wie<strong>der</strong>gefundenen Samen. - Aus Kivilaan etc. 1981, gekürzt.<br />

1879 vergrabene Arten<br />

Agrostemma gthago<br />

Bromus secalinus<br />

Polygonum hydropiper<br />

Anthemis cotula<br />

Setaria glauca<br />

CapseUa bursa-pastoris<br />

Stellaria media<br />

Portulaca okracea<br />

Amaranthus retrojlexus<br />

Lepidium virginicum<br />

Brassica nigra<br />

Oenothera biennis<br />

Rumex crispus<br />

Verbascum blattaria<br />

1889 99<br />

- f - 1 -<br />

- 1 - - 1 -<br />

- 1 - -1 -<br />

+ - 1 - +<br />

+ - 1 - +<br />

+ +<br />

+ + +<br />

-1 - -1 - +<br />

+ -1 - +<br />

+ -H +<br />

+ + +<br />

-> > ><br />

Gekeimte Diasporen in den Jahren<br />

1909 20 30 40 50 60 70 80<br />

+<br />

+<br />

+<br />

+<br />

+<br />

+<br />

5<br />

+ + + -1-<br />

-1- + -t- +<br />

-1- + 4- -(-


42 Verbreitungsökologie<br />

r , , . . r.y A * .<br />

V' r .V '^~-<br />

Vife--K -?,•.<br />

f<br />

unten offenen Flaschen im Boden vergraben. Jeweils<br />

alle 5, später alle 10 Jahre wurde je eine Flasche ausgegraben<br />

und die Keimfähigkeit geprüft (Tab. 13). Noch<br />

über die hier festgestellten 100 Jahre hinaus weisen<br />

einige Zufallsfunde subfossiler Diasporen. So wurden<br />

aus mindestens 400 Jahre alten Torfen in <strong>der</strong> Mandschurei<br />

Früchtchen von Nelumbo nucifera isoliert, die<br />

noch keimfähig waren; bestätigt wurde dieser Befund<br />

durch die erfolgreiche Aussaat aus 237Jahre altem Herbarmaterial<br />

<strong>der</strong>selben Art. Noch etwas älter waren<br />

keimfähige Samen von Canna compacta aus einer auf<br />

etwa 600 Jahre vor heute datierten archäologischen<br />

Fundstätte in Argentinien. Den Rekord, <strong>der</strong> allerdings<br />

auf ungewöhnlichen Umständen (Kühltruheneffekt)<br />

beruht, halten etwa 10000 Jahre alte Samen von<br />

Lupinus, Chenopodium und Spergularia aus dem Dauerfrostboden<br />

in Nord-Alaska.<br />

Insgesamt fuhrt die Fähigkeit vieler Diasporen,<br />

mehrere bis viele Jahre am Leben zu bleiben<br />

ohne zu keimen, zu einer Ansammlung leben<strong>der</strong><br />

Diasporen auf dem und vor allem im Boden.<br />

Diese Vorräte werden als Samenbank (o<strong>der</strong><br />

Samenpotential; exakter wäre Diasporenbank)<br />

bezeichnet. Die hier befindlichen Mengen, beson<strong>der</strong>s<br />

an kleinen Diasporen, die leicht in den<br />

Boden gelangen, sind erheblich; so werden aus<br />

England für 1 m^ Waldboden 100-1000 lebende<br />

Diasporen angegeben, für 1 m^ Boden unter<br />

Grasland und Acker sogar 1000 bis > 100000.<br />

Vielen von ihnen fehlen im Boden günstige<br />

Keimbedingungen (z. B. bezüglich Licht, Temperatur);<br />

werden sie durch Bodenverletzung an<br />

die Oberfläche gebracht, so können sie keimen.<br />

Die ökologische Bedeutung <strong>der</strong> Samenbank<br />

zeigt sich vor allem bei plötzlichen Verän<strong>der</strong>ungen<br />

<strong>der</strong> Vegetation: viele <strong>der</strong> durch die verän<strong>der</strong>ten<br />

Umweltbedingungen begünstigten<br />

Arten sind dann als Diasporen schon vorhanden.<br />

Auch die nach Aufhören langjähriger<br />

Herbizidbehandlung wie<strong>der</strong> auftretenden Ackerunkräuter<br />

stammen meist aus <strong>der</strong> Samenbank.<br />

Etablierung <strong>der</strong> Einzelpflanze und<br />

<strong>der</strong> Sippe<br />

Die soeben besprochene Keimung leitet das vegetative<br />

Wachstum am neuen Wuchsort ein, das<br />

weiterhin zur erfolgreichen Ansiedlung <strong>der</strong><br />

Einzelpflanze und schließlich <strong>der</strong> ganzen<br />

Pflanzensippe führen soll. Damit dieses Ziel erreicht<br />

werden kann, müssen folgende Vorbedingungen<br />

gegeben sein:<br />

( 1)<br />

(2)<br />

(3)<br />

Das Klima muß den Ansprüchen <strong>der</strong> Sippe<br />

entsprechen, d. h. <strong>der</strong> neue Wuchsort muß<br />

in ihrem potentiellen Areal liegen.<br />

Ist das nicht <strong>der</strong> Fall, so kann es zwar ausnahmsweise<br />

zum Heranwachsen einer<br />

Einzelpflanze kommen, eine dauernde Ansiedlung<br />

ist aber nicht möglich (z. B. weil<br />

die Frosthärte nicht ausreicht o<strong>der</strong> die für<br />

die Fruchtreife notwendige Sommerwärme<br />

nicht gegeben ist).<br />

Die edaphischen Standortsansprüche <strong>der</strong><br />

Sippe müssen erfüllt sein.<br />

Trifft das nicht zu, so geht gewöhnlich schon<br />

<strong>der</strong> Keimling zugrunde.<br />

Ebenso müssen auch die biotischen Umweltbedingungen<br />

ausreichend sein (z. B. bezüglich<br />

Konkurrenten, Feinde, Symbionten,<br />

Bestäubet).<br />

Im ungünstigen Fall wird auch hier schon<br />

<strong>der</strong> Keimling zerstört, o<strong>der</strong> es kommt zumindest<br />

nicht zur Fortpflanzung.<br />

Selbst wenn die Bedingungen (l)-(3) zutreffen,<br />

genügt das Ankommen einzelner Diasporen<br />

meist nicht zur Etablierung <strong>der</strong> Sippe. Einerseits<br />

ist immer mit ungünstigen Zufällen zu rechnen<br />

(z. B. schlechte Witterung im Keimungsjahr),<br />

an<strong>der</strong>erseits sind zum Aufbau einer stabilen<br />

Population off mehrere Ausgangsindividuen<br />

nötig, so bei den vielen Selbststerilen. Weitere<br />

notwendige Voraussetzung ist daher off:<br />

(4) Das regelmäßige Ankommen von Diasporen<br />

in größerer Zahl und über längere Zeit<br />

hinweg („Diasporenregen“).<br />

Beson<strong>der</strong>s wichtig ist das, wenn die Standortsbedingungen<br />

für die Sippe am Zielort<br />

nicht optimal sind, z. B. in <strong>der</strong> Nähe ihrer<br />

klimatischen Arealgrenze.<br />

Sind alle diese Voraussetzungen erfüllt, so kann<br />

es zur dauerhaften Ansiedlung kommen: ein<br />

neuer Wuchsort ist erobert, ein Ausbreitungsschritt<br />

vollzogen.<br />

4 Arealbildung<br />

Durch die Summierung zahlreicher einzelner<br />

Ausbreitungsschritte kom m t es zur Arealbildung.<br />

Hierfür ist noch einmal zu unterscheiden<br />

zwischen Fern- und Nahausbreitung. Wie<br />

schon angedeutet, wird erstere in <strong>der</strong> Hauptsache<br />

durch Anemochorie, Epi- und Endozoochorie,<br />

in geringerem Ausmaße auch durch<br />

“ ' • * ' J


Arealbildung 43<br />

Dyszoochorie sowie Hydrochorie besorgt (Abb.<br />

19), während Synzoochorie, Ballochorie und<br />

Autochorie nur <strong>der</strong> Nahausbreitung dienen. Bei<br />

<strong>der</strong> Arealbildung wirkt beides zusammen: Die<br />

Schritte <strong>der</strong> Fernausbreitung fuhren zur Eroberung<br />

des Raumes und erzeugen schließlich den<br />

geographischen Umriß des Areals, die Arealgestalt;<br />

die Nahausbreitung bewirkt die Besetzung<br />

möglichst aller potentiellen Wuchsorte<br />

darin, die Arealausflillung.<br />

Wie schnell die Arealbildung erfolgt, hängt<br />

von <strong>der</strong> Ausbreitungsgeschwindigkeit ab. Diese<br />

ist durch 4 Faktoren bedingt:<br />

• Diasporenmenge<br />

• Transportart<br />

• Edaphisch-biotische Standortsamplitude<br />

• Blühreifealter.<br />

Die ersten beiden (und ebenso <strong>der</strong> vierte) sind<br />

verbreitungsökologische Kriterien. Die Menge<br />

<strong>der</strong> erzeugten Diasporen und die Transportart<br />

bestimmen Ausmaß und Reichweite des Diasporenregens.<br />

Das dritte, synökologische Kriterium<br />

ist maßgebend für dessen Erfolgsquote: je<br />

weiter die Standortsamplitude, um so größer ist<br />

die Zahl <strong>der</strong> besiedelbaren Wuchsorte. Nach<br />

erfolgreicher Ansiedlung entscheidet schließlich<br />

das Blühreifealter, in dem die neue Generation<br />

erstmalig Diasporen erzeugt, darüber, wann <strong>der</strong><br />

nächste Ausbreitungsschritt erfolgen kann.<br />

Die tatsächliche Ausbreitungsgeschwindigkeit<br />

einer Pflanzensippe ist schwer festzustellen.<br />

Eine Möglichkeit hierfür bietet die Wie<strong>der</strong>besiedlung<br />

Mitteleuropas nach <strong>der</strong> Eiszeit, <strong>der</strong>en<br />

Ablauf für die Baumarten gut bekannt ist<br />

(vgl. S. 398). Aus <strong>der</strong> Entfernung <strong>der</strong> Refugien<br />

und <strong>der</strong> Zeit bis zum Eintreffen in Mitteleuropa<br />

läßt sich eine durchschnittliche Wan<strong>der</strong>geschwindigkeit<br />

errechnen, aus <strong>der</strong> sich durch<br />

Multiplikation mit dem Blühreifealter die notwendige<br />

Länge <strong>der</strong> einzelnen Verbreitungssprünge<br />

ergibt (Tab. 14). Diese stimmt mit tatsächlichen<br />

aktuellen Beobachtungen gut überein.<br />

Schwieriger ist die Beurteilung von krautigen<br />

Pflanzen, da die Zeit ihres ersten Auftretens<br />

in Mitteldeutschland nicht bekannt ist. Ver-<br />

San Clemente<br />

Revillagigedo<br />

Desventuradas<br />

Abb. 19: Besiedlung pazifischer<br />

Inselgruppen durch Ferntransport.<br />

Vermutliche prozentuale Beteiligung<br />

<strong>der</strong> wichtigsten Transportarten<br />

bei <strong>der</strong> Einwan<strong>der</strong>ung <strong>der</strong>jenigen<br />

Spermatophyten-Sippen, die<br />

die Vorfahren <strong>der</strong> heutigen idiochoren<br />

Floren bildeten. - Nach<br />

Carlquist aus Fenner 1985.<br />

Marquesas<br />

□ Epizoochorie<br />

(Vögel)<br />

Anemochorie<br />

Rapa<br />

Oeno<br />

Endozoochorie<br />

(Vögel)<br />

Hydrochorie<br />

60%<br />

40%<br />

20%<br />

0


44 Verbreitungsökologie<br />

Tab. 14: Wan<strong>der</strong>geschwindigkeiten einiger Baumarten bei <strong>der</strong> postglazialen Wie<strong>der</strong>bewaldung Mitteleuropas.<br />

WG = Wan<strong>der</strong>geschwindigkeit, BRA = Blühreifealter. - Nach Lang 1994.<br />

■flTvi ■■<br />

Gattung/Art<br />

WG<br />

km/Jahr<br />

BRA<br />

Jahre<br />

Verhreitungssprung km<br />

berechnet<br />

beobachtet<br />

Abies alba 0,04-0,3 30 1,2-9 8<br />

Fagas syhatka 0,175-0,35 40 7-14 -<br />

Quercus robur/petraea 0,005-0,5 30 2,2-15 10-30<br />

i ilia cordata/platypbylíos 0,05-0,5 10 0,5-5 -<br />

Picea a bies 0,06-0,5 30 1,8-15 -<br />

Fraxinus excelsior 0,2-0,5 25 5-12,5 -<br />

Carpirías betulas 0,05-1 20 1-20 -<br />

Ulmas spp. 0,1-1 30 3-30 10<br />

Acer spp. 0,5-1 20 10-20 4<br />

Corylus avellana 0,5-l,5 10 5-15 10<br />

Pinas sylvestris 1,5 10 15 2<br />

Betula pendula/pubescens 0,25-2 10 2,5-20 3<br />

Alnas glutinosa/incana 0,5-2 15 7,5-30 -<br />

de das etwa 0 , 2 km/Jahr bedeuten, o<strong>der</strong> bei einem<br />

Blühreifealter von 3 Jahren Ausbreitungssprünge<br />

von etwa 600 m (myrmekochorer Transport:<br />

bis 15, ausnahmsweise 70 m beobachtet).


Arealbildung 45<br />

Hier dürften demnach die „normalen“ Transportmittel<br />

allein nicht ausgereicht haben, son<strong>der</strong>n<br />

durch „untypische Verbreitungsfälle“ ergänzt<br />

worden sein.<br />

Die äußerste Grenze für die Ausbreitung ist<br />

durch die großldimatisch bedingten Grenzen des<br />

potentiellen Areals (pA) gegeben (Abb. 20). Um<br />

diese zu erreichen, muß genügend Zeit zur Verfügung<br />

stehen. Auch wenn das <strong>der</strong> Fall ist, wird<br />

die Pflanze meist nicht in alle Teile ihres pA<br />

gelangen: sie stößt an Verbreitungsschranken.<br />

Diese sind entwe<strong>der</strong> klimatischer (Bereiche mit<br />

ungeeignetem Klima) o<strong>der</strong> geomorphologischer<br />

Natur (Meere). Solche unbesiedelbaren Zonen<br />

müssen räumlich so groß sein, daß sie mit den<br />

für die Sippe normalen Ausbreitungschritten<br />

nicht übersprungen werden können: das pA besteht<br />

dann aus mehreren getrennten Teilen, es<br />

ist „disjunkt“ (vgl. S. 49).<br />

Aber auch in den Teilen des pA, die erreichbar<br />

sind, wird die Pflanze sich nicht überall ansiedeln<br />

können, nämlich an Stellen, wo ihre<br />

übrigen Standortsansprüche nicht erfüllt sind:<br />

hier liegen Ansiedlungshin<strong>der</strong>nisse vor. Diese<br />

können edaphisch (ungeeignete Bodenverhältnisse)<br />

o<strong>der</strong> biotisch (z. B. Vorhandensein übermächtiger<br />

Konkurrenten o<strong>der</strong> Feinde; Fehlen<br />

schützen<strong>der</strong> Vegetation, von Symbionten, Wirten,<br />

Bestäubern) bedingt sein. Während die<br />

edaphischen Hin<strong>der</strong>nisse meist eher die Arealausfüllung<br />

beeinträchtigen, können die biotischen<br />

ebenso wie die Verbreitungsschranken<br />

auch Einfluß auf die Arealgestalt haben. Diese<br />

kann außerdem durch noch nicht abgeschlossene<br />

Ausbreitung infolge Zeitmangels beeinflußt<br />

sein.<br />

So entsteht ein reales Areal (rA), das im Normalfalle<br />

kleiner ist als das pA. Seine Grenze kann<br />

Abb. 21: Die Arealgrenze <strong>der</strong> europäischen Buche {Fagus sylvaticä) hat in verschiedenen Teilen ihres Verlaufes<br />

verschiedene Ursachen.<br />

Im Mittelmeergebiet kommt die Buche nur etageal vor, es handelt sich also um eine Untergrenze. - Zugleich<br />

Beispiel für eine Punktkarte auf Rastergrundlage. - Arealbild ausjALAS etc.l972f


46 Verbreitungsökologie<br />

in ihrem Verlauf abwechselnd durch unterschiedliche<br />

Faktoren bedingt sein:<br />

• klimatische<br />

• geomorphologische<br />

• biotische<br />

• edaphische<br />

• temporäre.<br />

Auch die klimatisch bedingten Grenzen, die den<br />

Grundrahmen für die Gesamtverbreitung bilden,<br />

sind noch in sich differenziert (Abb. 21).<br />

Zwar wirkt das Klima im Prinzip als Ganzes auf<br />

die Pflanze ein, aber im Grenzbereich ist meist<br />

ein bestimmter Faktor ausschlaggebend, dessen<br />

Verän<strong>der</strong>ung zum Ungünstigen hin dann das<br />

Vorkommen unmöglich macht. In verschiedenen<br />

Teilen <strong>der</strong> Grenze sind das jedoch verschiedene<br />

Faktoren.<br />

Zusammengefaßt: Der große Umriß (Arealgestalt)<br />

<strong>der</strong> realen Areale ist gewöhnlich klimatisch<br />

und geomorphologisch bedingt, gelegentlich<br />

auch biotisch o<strong>der</strong> temporär; <strong>der</strong> Einzelverlauf<br />

<strong>der</strong> Grenze wird hingegen vorwiegend<br />

durch edaphische und biotische Faktoren bestimmt,<br />

ebenso <strong>der</strong> Grad <strong>der</strong> Arealausfüllung.<br />

5 Verän<strong>der</strong>ung des Areals infolge<br />

Än<strong>der</strong>ung von Umweltfaktoren<br />

Bei <strong>der</strong> Besprechung <strong>der</strong> Arealbildung sind wir<br />

bisher stillschweigend von konstanten Außenbedingungen<br />

ausgegangen. Tatsächlich sind diese<br />

aber in ständigem Wandel begriffen, was auch<br />

eine Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Pflanzenareale bedingt.<br />

Än<strong>der</strong>n können sich alle genannten Faktoren.<br />

Die edaphischen können hier aber außer<br />

Betracht bleiben, da vor allem die Beeinflussung<br />

<strong>der</strong> Arealgestalt interessiert. Von den übrigen<br />

sind die klimatischen Än<strong>der</strong>ungen diejenigen,<br />

die, geologisch gesehen, in relativ kurzer Zeit<br />

vor sich gehen. Sie veranlassen die Pflanzensippen<br />

zu aktiven Reaktionen, d. h. zu Wan<strong>der</strong>ungen.<br />

Mit dem Klima än<strong>der</strong>t sich das potentielle<br />

Areal. Nehmen wir <strong>der</strong> Einfachheit halber an,<br />

bei einer Pflanzensippe seien pA und rA identisch<br />

(pA„ = rA J. Bei Eintreten einer Klimaän<strong>der</strong>ung<br />

gibt es 3 verschiedene Möglichkeiten<br />

(Abb. 22):<br />

(1) Das Klima wird für die Sippe allgemein ungünstiger.<br />

Folge ist eine Verkleinerung des<br />

pA, im Extremfalle Zerschlagung und Aussterben.<br />

(2) Das Klima wird allgemein günstiger. Es resultiert<br />

eine Ausweitung des pA.<br />

(3) Das für die Sippe günstige Klimagebiet verschiebt<br />

sich auf <strong>der</strong> Erdoberfläche horizontal.<br />

Entsprechend verschiebt sich dann auch<br />

das pA.<br />

Nicht in jedem dieser Fälle stimmt die Än<strong>der</strong>ung<br />

des rÄ automatisch mit <strong>der</strong> des pÄ überein.<br />

Zwar trifft das im Fall (1) zu: die Sippe wird<br />

an allen Orten eliminiert, die außerhalb des<br />

neuen pÄ, liegen. Dadurch sind rÄ und pÄ dauernd<br />

identisch.<br />

An<strong>der</strong>s in den Fällen (2) und (3). Hier kommen<br />

neue Arealteile hinzu, die die Pflanze erst<br />

besiedeln muß. Dazu braucht sie eine bestimmte<br />

Zeit, die von <strong>der</strong> Ausbreitungsgeschwindigkeit<br />

abhängt. Im Fall (2) ist das unproblematisch:<br />

irgendwann wird die Grenze des neuen pA2 erreicht<br />

werden, sofern dem keine Verbreitungsschranken<br />

entgegenstehen. Im Fall (3) kann es<br />

aber zu Schwierigkeiten kommen. Ist die Geschwindigkeit<br />

<strong>der</strong> Klimaverschiebung größer als<br />

die <strong>der</strong> Ausbreitung, so wird das rA vorübergehend<br />

verkleinert, auch wenn die Größe des PA3<br />

gleich bleibt. Hält diese Situation länger an, so<br />

besteht die Gefahr, daß die Pflanzensippe ausstirbt,<br />

obwohl ihr pA nach wie vor vorhanden<br />

ist. Sie wird sozusagen von <strong>der</strong> Klimaverschiebung<br />

überrollt.<br />

Das klingt zunächst sehr theoretisch. Es hat<br />

aber in <strong>der</strong> Eiszeit in Mitteleuropa große Bedeutung<br />

gehabt. Mindestens 3mal ist unsere<br />

gesamte Flora auf diese Weise von N nach S<br />

getrieben worden, und viele zu langsam wan<strong>der</strong>nde<br />

Sippen sind dabei auf <strong>der</strong> Strecke geblieben.<br />

Der Spezialfall <strong>der</strong> Reduktion des rA auf 0,<br />

d. h. das Äussterben einer Sippe, kann also zweierlei<br />

Gründe klimatischer Ärt haben (neben<br />

nichtklimatischen): völliges Verschwinden des<br />

pA, o<strong>der</strong> seine rasche Verschiebung bei zu geringer<br />

Ausbreitungsgeschwindigkeit.<br />

Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Geom orphologie haben<br />

ebenfalls zu umfangreichen Verän<strong>der</strong>ungen von<br />

Arealen geführt. Sie erfor<strong>der</strong>n aber viel längere<br />

Zeiträume, die die „Lebensdauer“ von Pflanzenarten<br />

meist überschreiten. Daher sind ihre Folgen<br />

eher an den Arealen von Sippen höheren<br />

Ranges, von <strong>der</strong> Gattung aufwärts, zu erkennen.<br />

Ein Faktor ist z. B. die Gebirgsbildung, die für


Verän<strong>der</strong>ung des Areals infolge Än<strong>der</strong>ung von Umweltfaktoren 47<br />

Geschwindigkeit <strong>der</strong> Klimaverschiebung<br />

pA^<br />

pAo : Ausgangszustand (rA = pA)<br />

pAj : vergrößertes pA bei Klimaverbesserung<br />

pAi : verkleinertes pA bei Klimaverschlechterung<br />

pAa : verschobenes pA bei Klimaverschiebung<br />

Abb. 22: Än<strong>der</strong>ungen des potentiellen und des realen Areals infolge von Klimaän<strong>der</strong>ungen.<br />

viele Sippen neue Ausbreitungswege geschaffen<br />

hat; außerdem bewirkte sie oft Klimaän<strong>der</strong>ungen<br />

in den umliegenden Gebieten (ein Musterbeispiel<br />

hierfür sind die amerikanischen Anden).<br />

Viel wichtiger sind aber die Auswirkungen <strong>der</strong><br />

Kontinentverschiebung.<br />

Die geomorphologischen Wandlungen (in<br />

geringerem Ausmaße auch die klimatischen,<br />

z. B. die Eiszeit) haben aber nicht nur die Form<br />

<strong>der</strong> Areale beeinflußt, son<strong>der</strong>n auch die Bildung<br />

neuer Arten bewirkt. Hierbei spielte einerseits<br />

die Entwicklung neuer Extremstandorte eine<br />

Rolle, an<strong>der</strong>erseits die Möglichkeit <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>entwicklung<br />

vorher einheitlicher Sippen<br />

infolge <strong>der</strong> Aufspaltung ihrer Areale in voneinan<strong>der</strong><br />

isolierte Teilstücke. So entstandene biotische<br />

Än<strong>der</strong>ungen haben aber kaum zur Verän<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Areale <strong>der</strong> übrigen Sippen geführt;<br />

sie waren nicht Ursache, son<strong>der</strong>n Folge o<strong>der</strong> Begleiterscheinung<br />

<strong>der</strong> Verdrängung älterer Arten<br />

von ihren Wuchsorten. An<strong>der</strong>s ist das bei Sippen<br />

höheren Ranges. Hier hat die Entstehung<br />

neuer, effektiverer Baupläne die Verbreitung älterer,<br />

weniger konkurrenzfähiger Typen stark<br />

eingeschränkt: so wurden die bis zum Beginn<br />

<strong>der</strong> Kreidezeit in <strong>der</strong> Vegetation <strong>der</strong> Erde herrschenden<br />

Koniferen durch die Entwicklung <strong>der</strong><br />

Angiospermen auf marginale Standorte abgedrängt<br />

(vgl. Abb. 58, S. 139).


t e -<br />

C Areale und Floren<br />

Während die Verbreitungsökologie die dynamischen<br />

Vorgänge <strong>der</strong> Ausbreitung und Arealbildung<br />

untersucht, beschäftigt sich die Arealkunde<br />

mit <strong>der</strong>en Ergebnissen. Grundlage ist die<br />

Inventarisierung <strong>der</strong> Vorkommen <strong>der</strong> verschiedenen<br />

Pflanzensippen, die es dann erlaubt, sowohl<br />

die Summe aller Wuchsorte <strong>der</strong> einzelnen<br />

Sippe, also ihr Areal, als auch die aller Sippen<br />

in einem bestimmten Gebiet, eine Gebietsflora,<br />

zu beschreiben. Durch Vergleich von Arealen<br />

kann man Arealtypen, durch Vergleich von<br />

Gebietsfloren natürliche Florengebiete etablieren.<br />

Die Ursachen für die Beschaffenheit von<br />

Arealen und Florengebieten liegen letztlich in<br />

<strong>der</strong> Standorts- und verbreitungsökologischen<br />

Konstitution <strong>der</strong> Einzelsippen; maßgebende<br />

Triebkraft bei <strong>der</strong> Entstehung ihrer aktuellen<br />

Gestalt war aber die historische Entwicklung.<br />

1 Methoden <strong>der</strong> Inventarisierung<br />

und Darstellung<br />

Sowohl die Erstellung von Gebietsfloren als<br />

auch die Ermittlung von Arealen basiert gewöhnlich<br />

auf <strong>der</strong> Auswertung zufällig bekannt<br />

gewordener Fundorte.<br />

Für eine Gebietsflora stellt man alle Sippen<br />

zusammen, die im betreffenden Gebiet wildwachsend<br />

gefunden worden sind, und nach <strong>der</strong><br />

Zahl <strong>der</strong> Fundorte kann man dann ihre ungefähre<br />

Häufigkeit angeben. Natürlich führt das<br />

zu Ungenauigkeiten: von auffälligen und leicht<br />

erkennbaren Sippen werden relativ mehr Fundorte<br />

bekannt sein als von solchen, die unauffällig<br />

o<strong>der</strong> schwer zu bestimmen sind.<br />

Entsprechendes gilt für die Areale. Um die<br />

Arealgestalt darzustellen, trägt man alle Fundorte<br />

<strong>der</strong> Sippe auf einer topographischen Karte<br />

ein. So entsteht eine Punktkarte (vgl. Abb. 21,<br />

S. 45). Kennt man die Standortsbeziehungen <strong>der</strong><br />

Sippe einigermaßen gut, so kann man vermuten,<br />

daß sie auch in Bereichen zwischen den bekannten<br />

Wuchsorten vorkommt, soweit ihre Ansprüche<br />

dort erfüllt sind. Man umrahmt dann<br />

das durch die Punkte angedeutete Gebiet durch<br />

eine Linie, die vermutliche Arealgrenze, und<br />

erhält so eine Umrißkarte.<br />

Beide Darstellungsweisen haben ihr Für und Wi<strong>der</strong>.<br />

Die Punktkarte erscheint insofern exakter, als sie nur<br />

Punkte angibt, an denen die Sippe tatsächlich vorkommt,<br />

während die Umrißkarte vielleicht auch Gebiete<br />

umfaßt, in denen sie fälschlicherweise vermutet<br />

wird. Aber in wenig erforschten Gebieten o<strong>der</strong> bei<br />

schwer erkennbaren Sippen können auch Punktkarten<br />

ein irreführendes Bild geben; sie zeigen oft Häufungen<br />

in bestimmten Arealteilen, die nicht durch beson<strong>der</strong>s<br />

gehäuftes Vorkommen gegenüber an<strong>der</strong>en<br />

Teilen bedingt sind, son<strong>der</strong>n durch dazwischen liegende<br />

Beobachtungslücken (so sind die Arealkarten<br />

mancher Pilzarten in Wirklichkeit Verbreitungskarten<br />

<strong>der</strong> Mykologen bzw. ihrer Arbeitsgebiete).<br />

Bei gut bekannten Arealgestalten kombiniert man<br />

oft beide Methoden, indem das dicht mit Fundorten<br />

besetzte Kerngebiet durch eine Umrißlinie o<strong>der</strong> durch<br />

Flächenfärbung gekennzeichnet wird und außerhalb<br />

davon gelegene Fundpunkte einzeln erscheinen; natürlich<br />

hängt die Form <strong>der</strong> Darstellung auch vom<br />

Maßstab <strong>der</strong> Karte ab.<br />

Das Unbefriedigende, das in <strong>der</strong> ausschließlichen<br />

Verwendung von Zufallsfunden liegt, hat<br />

in den letzten Jahrzehnten dazu geführt, daß<br />

man in vielen Län<strong>der</strong>n zu einer systematischen<br />

Inventarisierung aller Pflanzenarten übergegangen<br />

ist. Ein wichtiger Anlaß hierfür war auch<br />

die tatsächliche o<strong>der</strong> vermutete Gefährdung <strong>der</strong><br />

Verbreitung vieler Sippen durch den Einfluß des<br />

Menschen. Am weitesten fortgeschritten ist die<br />

planmäßige floristische Kartierung in Teilen<br />

Europas (in Großbritannien wurde sie schon in<br />

den 50er Jahren begonnen). Anfangs wurden nur<br />

die Gefäßpflanzen erfaßt, inzwischen sind aber<br />

auch bereits Kartierungen von Moosen, Flechten<br />

und Pilzen im Gange. Da man hierbei nach<br />

politisch o<strong>der</strong> geographisch umgrenzten Gebieten<br />

vorgeht, erhält man zunächst detaillierte<br />

Gebietsfloren. Vom Areal je<strong>der</strong> Art werden gewöhnlich<br />

nur Teile erfaßt, denn die Areale <strong>der</strong><br />

meisten europäischen Pflanzenarten sind wesentlich<br />

größer als durchschnittliche europäische<br />

Staaten.<br />

Für die Kartierung teilt man das betreffende<br />

Gebiet in kleine, meist normierte Teilflächen ein,<br />

die sog. Grundfel<strong>der</strong>. Es wird dann für jedes<br />

davon das Vorkommen o<strong>der</strong> Fehlen je<strong>der</strong> Art<br />

ermittelt, d. h. für jedes Grundfeld wird eine<br />

vollständige Gebietsflora erstellt. Diese Datensammlung<br />

ist Grundlage für die Zeichnung von<br />

Verbreitungskarten, auf denen das Vorkommen<br />

je Gmndfeld als Punkt erscheint (vgl. Abb. 21);<br />

diese werden meist zu Florenatlanten zusammengefaßt.


Analyse und Verknüpfung 49<br />

Florenatlanten <strong>der</strong> Gefäßpflanzen gibt es in Europa<br />

schon länger für Großbritannien und Belgien (Perring<br />

etc. 1962, Rompaey etc. 1972). In West-Mitteleuropa,<br />

umfassend Deutschland, Österreich, die<br />

Schweiz, die Tschechei, Slowenien sowie Teile von<br />

Westungarn und Norditalien, wurde ein gemeinsames<br />

Kartierungsprojekt 1967 begonnen (vgl. Haeupler<br />

1970, Niklfeld 1971). Gmndfel<strong>der</strong> sind hier die Meßtischblätter<br />

(deutsche Topographische Karte 1 :25000),<br />

außer in <strong>der</strong> Schweiz, wo naturräumliche Einheiten<br />

zugmndegelegt wurden. Für die praktische Erfassung<br />

<strong>der</strong> Pflanzenarten, die zum größten Teil durch zahlreiche<br />

ehrenamtliche Helfer erfolgt(e), wurden sog.<br />

Geländelisten ausgegeben, in denen alle im betreffenden<br />

Teilbereich (z. B. Norddeutschland, Alpenlän<strong>der</strong>)<br />

möglicherweise vorkommenden Arten in abgekürzter<br />

Form aufgeführt sind und ggf angekreuzt werden können.<br />

Der heutige Stand <strong>der</strong> Kartierung ist in den beteiligten<br />

Län<strong>der</strong>n unterschiedlich: für die Schweiz,<br />

Westdeutschland und Ostdeutschland liegen bereits<br />

Florenatlanten vor (Welten etc. 1982, Haeupler etc.<br />

1988, Benkert etc. 1996); hingegen steckt die Kartiemng<br />

z. B. in Norditalien noch in den Anfängen. Auch<br />

in den Gebieten, in denen die Grundkartierung abgeschlossen<br />

ist, geht die Kartierungsarbeit jedoch noch<br />

weiter: so sind in mehreren deutschen Län<strong>der</strong>n Detailkartierungen<br />

im Gange, bei denen für bestimmte, beson<strong>der</strong>s<br />

gefährdete Arten die genaue Verbreitung im<br />

einzelnen, bis hin zur Populationsgröße, ermittelt wird.<br />

Im Gegensatz zu den sehr detaillierten Informationen<br />

über die Pflanzenverbreitung, die wir<br />

V<br />

jetzt in Europa bekommen, sind an<strong>der</strong>e Teile<br />

<strong>der</strong> Erde in dieser Hinsicht noch so gut wie<br />

unerforscht. Das gilt vor allem für große Teile<br />

<strong>der</strong> Tropen, in denen eine genauere Kenntnis<br />

angesichts <strong>der</strong> dort im Gange befindlichen dramatischen<br />

Umweltverän<strong>der</strong>ungen gerade beson<strong>der</strong>s<br />

nötig wäre.<br />

2 Analyse und Verknüpfung<br />

a<br />

Größe und Gestalt von Arealen<br />

Die Größe <strong>der</strong> Areale ist sehr unterschiedlich.<br />

Im Durchschnitt sind sie natürlich um so größer,<br />

je höher <strong>der</strong> Rang <strong>der</strong> Sippe ist: Gattungen<br />

sind weiter verbreitet als Arten, Familien weiter<br />

als Gattungen.<br />

Die kleinsten Art-Areale umfassen zuweilen<br />

nur wenige km^, sie sind z. B. auf ein einzelnes<br />

Gebirge o<strong>der</strong> sogar nur einen Berg beschränkt<br />

(„Endemiten“, vgl. weiter unten); ausnahmsweise<br />

kommt so etwas auch bei monotypischen<br />

Familien vor (z. B. Lacistemonaceae nur auf den<br />

185 km^ großen chilenischen Juan-Fernändez-<br />

Inseln). Das an<strong>der</strong>e Extrem sind die K osm o­<br />

politen, Sippen, die auf allen Kontinenten verbreitet<br />

sind. Hierher gehören zahlreiche Familien<br />

und relativ viele Gattungen, jedoch nur<br />

recht wenige Gefäßpflanzen-Arten.<br />

Auf die Gestalt <strong>der</strong> Areale bezieht sich eine<br />

Reihe spezieller Begriffe, die im folgenden näher<br />

zu erläutern sind.<br />

Nach seinem flächigen Zusammenhang ist<br />

ein Areal geschlossen o<strong>der</strong> disjunkt. Genau genommen<br />

ist zwar kein Areal völlig geschlossen:<br />

in jedem gibt es z. B. edaphisch bedingte Lükken.<br />

Definitionsgemäß heißt ein Areal geschlossen,<br />

wenn die Lücken zwischen den Wuchsorten<br />

so klein sind, daß sie mit den für die Sippe normalen<br />

Verbreitungssprüngen überbrückt werden<br />

können (für Sippen nie<strong>der</strong>en Ranges von <strong>der</strong><br />

Art abwärts gilt zuweilen auch als Kriterium, daß<br />

die Populationen miteinan<strong>der</strong> im Genaustausch<br />

stehen).<br />

Disjunkt (Abb. 23) ist ein Areal, bei dem diese<br />

Bedingungen nicht zutreffen: es besteht aus<br />

mehreren Teilen, die keine Verbindung miteinan<strong>der</strong><br />

haben. Dabei stellt sich die Frage, wie so<br />

etwas zustande kommen kann. Folgende Ursachen<br />

sind möglich:<br />

(1) Polyphyletische Entstehung: die Sippe ist<br />

an mehreren Orten unabhängig voneinan<strong>der</strong><br />

mehrmals entstanden. Dieser Fall ist unwahrscheinlich,<br />

außer wenn es sich um Mutationen<br />

handelt,die nur ein einziges Allel<br />

betreffen (als Beispiele werden Chelidonium<br />

majus var. laciniatum und Fagus sylvatica var.<br />

tortuosa genannt), o<strong>der</strong> um Allopolyploide.<br />

(2) Säkulares Auftreten anomal großer Ausbreitungssprünge.<br />

Dies kann gelegentlich durch<br />

Zugvögel geschehen (z. B. Osmorhiza chilensis,<br />

vgl. Abb. 11, S. 26).<br />

(3) Zerschlagung eines ehemals geschlossenen<br />

Areals infolge Andemng <strong>der</strong> Umweltbedingungen<br />

(vgl. S. 46). Dies ist <strong>der</strong> bei weitem<br />

häufigste Fall.<br />

Ein Spezialfall, <strong>der</strong> bei Disjunktionen des Typs<br />

(3) oft auftritt, sind Reliktareale. Hierbei handelt<br />

es sich um Areale o<strong>der</strong> Arealteile, die räumlich<br />

sehr Idein sind gegenüber früherer Verbreitung,<br />

meist auch im Vergleich zum potentiellen<br />

Areal. Sippen mit solcher Verbreitung, die dann<br />

auch Relikte heißen, sind in Europa z. B.<br />

Aesculus hippocastanum und Picea om orika, in<br />

Nordamerika Sequoiadendron giganteum.


50 Areale und Floren<br />

i f p “<br />

Abies<br />

1 alba<br />

2 pinsapo s.l.<br />

3 numidica<br />

4 nebrodensis<br />

5 cephalonica<br />

5a borisii-regis<br />

6 cilicica s.l.<br />

7 nordmanniana s.l.<br />

: r r<br />

V<br />

' /<br />

ttC3=< cC^ /o- 6<br />

Abb. 23; Verbreitung <strong>der</strong> Tannen {Abies) in Mitteleuropa und im Mittelmeergebiet.<br />

Das im Tertiär wahrscheinlich zusammenhängende Gattungsareal wurde im Pleistozän in zahlreiche disjunkte<br />

Reliktvorkommen in verschiedenen mediterranen Gebirgen zersplittert. Die so voneinan<strong>der</strong> isolierten Populationen<br />

haben sich in <strong>der</strong> Zwischenzeit auseinan<strong>der</strong> entwickelt, so daß mehrere vikariierende neue Arten<br />

(Neoendemiten) entstanden sind. Diese haben jedoch keine genetischen Barrieren; kommen sie wie<strong>der</strong> in<br />

Kontakt, so kommt es zu Kreuzungen (auf diese Weise dürfte die bulgarische A. borisii-regis aus A. alba und<br />

A. cephalonica entstanden sein). - Arealbil<strong>der</strong> nach M eusel etc. 1965f. und Walter 1962f.<br />

Ebenfalls mit Disjunktionen des Typs (3) hängt<br />

das Auftreten von vikariierenden Sippen<br />

(Vikarianten) zusammen. Dies sind nahe verwandte<br />

Sippen, die in verschiedenen Gebieten<br />

Vorkommen (also vikariierende Areale haben)<br />

und dort jeweils vergleichbare ökologisch-soziologische<br />

Positionen einnehmen. Sie sind nach<br />

<strong>der</strong> Zerschlagung des Gesamtareals einer einheitlichen<br />

Sippe durch unterschiedliche weitere<br />

Evolution in den isolierten Teilarealen entstan^^^<br />

den (z. B. die verschiedenen A bies-hrttn des<br />

Mittelmeergebietes, Abb. 23, o<strong>der</strong> Platanus<br />

orientalis in Europa und P. occidentalis in Nordamerika,<br />

die trotz 40 Millionen Jahren Isolation<br />

noch so nahe verwandt sind, daß sie sich<br />

fruchtbar kreuzen lassen).<br />

Neben diesen geographischen Vikarianten wird <strong>der</strong><br />

gleiche Begriff auch für die sog. ökologischen<br />

Vikarianten benutzt. Es bandelt sich um Sippen, die<br />

im selben Gebiet verkommen, dort aber infolge verschiedener<br />

synökologischer Ansprüche verschiedene<br />

Standortstypen besetzen (bekannte Beispiele aus den<br />

Alpen: Gentiana clusii / G. kochiana und Rhododendron<br />

hirsutum / R. ferrugineum, jeweils auf Kalk- bzw. saurem<br />

Gesteinsuntergmnd).<br />

Ein weiteres Phänomen, das sich hier anschließt,<br />

ist das des Endemismus (dieses Wort bezeichnet<br />

nur das Verhalten; eine konkrete Sippe, die<br />

endemisch ist, ist ein Endemit).<br />

Diese Begriffe haben eine weitere und eine<br />

engere Bedeutung. Endemisch i. w. S. heißt,<br />

daß eine Sippe ausschließlich in einem bestimmten<br />

geographisch definierten Gebiet vorkommt,<br />

ungeachtet seiner Größe: so ist Fagus sylvatica<br />

in Europa endemisch, die Gattung Fagus auf <strong>der</strong><br />

Nordhalbkugel.<br />

Demgegenüber ist ein Endemit i. e. S. (das<br />

Substantiv wird meist mit dieser Bedeutung gebraucht)<br />

eine Sippe mit einem räumlich sehr<br />

kleinen Areal (zuweilen auch „Mikroarealophyt“<br />

genannt, vgl. H aeupler 1983); neuerdings wurde<br />

hierfür, d. h. für Sippen mit einem Areal von


F<br />

1<br />

Analyse und Verknüpfung 51<br />

Alpen<br />

- Pícea abies ' Fagus sylvatica . Abies a l b a --------------- He<strong>der</strong>á helix<br />

Abb. 24: Zonale und etageale Areale bzw. Arealteile einiger Gehölze entlang eines N-S-Transektes durch<br />

Europa.<br />

Fichte: zonales Areal in Nordeuropa, etageale Auslieger in Mittelgebirgen und Alpen, Buche: zonales Areal in<br />

Mitteleuropa, am S-Rand <strong>der</strong> Alpen etageal werdend. Tanne: rein etageales Areal. Efeu: zonales Areal von S-<br />

Skandinavien bis S-ltalien,<br />

weniger als 75000 km^ Größe, auch die Bezeichnung<br />

Lokalendem it vorgeschlagen (Gentry<br />

1986). Grund für die begrenzte Verbreitung kann<br />

sein:<br />

(1)<br />

(2)<br />

Die Sippe ist ein Relikt (siehe oben), sie<br />

heißt dann auch Reliktendemit o<strong>der</strong> Paläoendemit.<br />

Es handelt sich um eine neu entstandene<br />

Sippe, die (noch) keine Gelegenheit zur Ausbreitung<br />

hatte: ein progressiver Endemit<br />

o<strong>der</strong> Neoendemit.<br />

Beide Sorten von Endemiten (i. e. S.) sind beson<strong>der</strong>s<br />

häufig in Insel-Situationen, d. h. auf<br />

vom Festland weit entfernten Inseln sowie auf<br />

isolierten Gebirgsstöcken, im Fall (1) vor allem<br />

wegen Konkurrenzmangels, im Fall (2) auch<br />

wegen fehlen<strong>der</strong> Ausbreitungsmöglichkeiten.<br />

Eine Unterscheidung an<strong>der</strong>er Art, die sich<br />

auf die Lage im dreidimensionalen Raum bezieht,<br />

ist die zwischen zonalen und etagealen<br />

Arealen. Ein zonales Areal hat alle seine Grenzen<br />

im Tiefland (N-, O-, S-, W-Grenze). Etageale<br />

Areale (bzw. Arealteile) hingegen befinden<br />

sich in höheren Lagen von Gebirgen und haben<br />

eine Untergrenze (eine Obergrenze kann<br />

in beiden Fällen auftreten und ist für die Unterscheidung<br />

unwesentlich). Zwischen beiden Situationen<br />

sind alle Übergänge möglich (Abb. 24).<br />

Schließlich ist noch zwischen natürlichen<br />

und anthropogenen Arealen zu unterscheiden.<br />

Bei letzteren handelt es sich allerdings gewöhnlich<br />

nur um Arealteile bzw. um verschobene<br />

Arealgrenzen (Näheres S. 74). Sofern nicht aus­<br />

drücklich etwas an<strong>der</strong>es gesagt wird, sind im<br />

folgenden gewöhnlich natürliche Areale gemeint.<br />

b<br />

Natürliche Florengebiete<br />

Die oben besprochenen Gebietsfloren, ob sie<br />

nun auf <strong>der</strong> Sammlung von Zufallsfünden o<strong>der</strong><br />

auf systematischer Kartierung beruhen, beziehen<br />

sich gewöhnlich auf politisch o<strong>der</strong> geographisch<br />

begrenzte Gebiete. Ihre Grenzen sind<br />

daher, von <strong>der</strong> Pflanzenverbreitung her gesehen,<br />

künstlich.<br />

Das wurde natürlich von Anbeginn <strong>der</strong> floristischen<br />

Erforschung <strong>der</strong> Erde erkannt, und man<br />

versuchte schon seit Beginn des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts,<br />

durch Vergleich <strong>der</strong> verschiedenen Gebietsfloren<br />

die Erde in natürliche Florengebiete<br />

einzuteilen (vgl. S. 89). Hierfür ist seither eine<br />

hierarchische Glie<strong>der</strong>ung in mindestens 3 Kategorien<br />

üblich geworden: den höchsten Rang haben<br />

die Florenreiche, diese bestehen aus Florenregionen,<br />

die wie<strong>der</strong>um in Florenprovinzen<br />

(o<strong>der</strong> -bezirke) unterteilt werden; weitere<br />

Unterglie<strong>der</strong>ungen gibt es nur in Teilbereichen.<br />

Für die Abgrenzung <strong>der</strong> natürlichen Florengebiete<br />

können 3 Kriterien herangezogen werden:<br />

• rein empirische: optischer Vergleich von<br />

Arealgestalten, beson<strong>der</strong>s solcher von als<br />

„typisch“ angesehenen Sippen<br />

• florenstatistische: quantitativer Vergleich<br />

von Floreninventaren


52 Areale und Floren<br />

3 • ■<br />

, J-<br />

... . .j,, l ^ .<br />

-<br />

‘J •.<br />

• vegetationskundliche: qualitative Wertung<br />

<strong>der</strong> in den Floren enthaltenen Sippen nach<br />

ihrer Bedeutung in <strong>der</strong> Vegetation.<br />

Die älteste und auch heute noch wichtigste<br />

Abgrenzungsmethode für die floristische Glie<strong>der</strong>ung<br />

im großen ist die empirische. Sie liefert<br />

zwar in vielen Fällen klare Grenzen, doch gibt<br />

es auch Bereiche auf <strong>der</strong> Erde, wo die Abgrenzung<br />

schwierig ist. In solchen Fällen kann man<br />

florenstatistische Untersuchungen hinzuziehen.<br />

Hierfür wird <strong>der</strong> zahlenmäßige Unterschied in <strong>der</strong><br />

Sippengarnitur berechnet: Zum Vergleich zweier Florengebiete<br />

A und B ermittelt man die Zahl a <strong>der</strong> Sippen,<br />

die in A vorhanden sind aber in B fehlen, und<br />

die Zahl b <strong>der</strong> Sippen in B die in A fehlen, a + b ist<br />

dann <strong>der</strong> Florenkontrast (es ist zugleich die Zahl <strong>der</strong><br />

zwischen A und B liegenden Arealgrenzen).<br />

Man kann den Florenkontrast auch für größere<br />

Teile <strong>der</strong> Erdoberfläche in regelmäßigen Abständen<br />

(in Form von Transekten) ermitteln, z. B. alle 100 km;<br />

dies ergibt das sog. Florengefalle. Auch hier wird wie<strong>der</strong><br />

die Zahl <strong>der</strong> durchgehenden Arealgrenzen gemessen.<br />

Diese kann auf weite Entfernungen sehr niedrig<br />

sein, um dann plötzlich einen starken Anstieg zu zeigen.<br />

Solche Häufungsgebiete sind gewöhnlich durch<br />

Schwellenwerte eines wichtigen ökologischen (meist<br />

klimatischen) Faktors bedingt; hier liegt dann eine natürliche<br />

Florengrenze.<br />

Durch die Florenkontrast- und -gefällemethode<br />

konnte man die Abgrenzung empirisch aufgestellter<br />

Florengebiete mancherorts präzisieren.<br />

Doch blieb das nicht selten unbefriedigend, da<br />

es sich eben um eine rein formale Methode handelt,<br />

für die sämtliche Pflanzensippen gleichgeachtet<br />

und nur als Zahlen berücksichtigt werden,<br />

ungeachtet ihrer tatsächlichen Menge und<br />

synökologischen Position. Um diese stärker zu<br />

gewichten, ist es zweckmäßig, vegetationskundliche<br />

Kriterien mit einzusetzen, was aber<br />

bisher noch in ungenügendem Ausmaße geschehen<br />

ist.<br />

c<br />

Arealtypen und Florenelemente<br />

Die Arealgestalten zeigen eine ungeheure Vielfalt.<br />

Doch entspricht diese keineswegs einer statistischen<br />

Verteilung; vielmehr sind bestimmte<br />

Arealbil<strong>der</strong> und Formelemente überrepräsentiert<br />

und treten immer wie<strong>der</strong> auf Diese Diskontinuität<br />

legt die Aufstellung von Typen nahe.<br />

Solche „Arealtypen“ (i. w. S.) kann man am<br />

einfachsten nach den Erdteilen benennen, für<br />

die sie charakteristisch sind. Da sie aber selbstverständlich<br />

Ausdmck von Umweltverhältnissen<br />

sind, werden sie sinnvollerweise mit diesen verknüpft,<br />

wobei man entwe<strong>der</strong> die Standortsbedingungen<br />

als solche zugrundelegen kann,<br />

o<strong>der</strong> die durch sie bewirkte Gliedemng <strong>der</strong> Pflanzendecke.<br />

Dementsprechend gibt es 3 verschiedene<br />

Gmppen von Arealtypen; sie beziehen sich<br />

auf<br />

• physiogeographische Gebiete<br />

• biogeographische Einheiten<br />

• ökologische Merkmale.<br />

Die physiogeographisch definierten Typen seien<br />

hier als Geographische Arealtypen bezeichnet;<br />

die zugehörigen Sippen sind die Geoelemente<br />

(dieser Begriff hat in <strong>der</strong> Literatur allerdings<br />

wechselnde Bedeutungen). Ihre Benennungen<br />

sprechen für sich selbst.<br />

Biogeographisch definiert sind die Floristischen<br />

Arealtypen. Wie <strong>der</strong> Name andeutet, sind<br />

sie auf natürliche Florengebiete bezogen. Man<br />

kann den Begriff aber dahingehend erweitern,<br />

daß man als biogeographische Bezugseinheiten<br />

Vegetationsgebiete mit einbezieht, vor allem als<br />

Untereinheiten. Die zugehörigen Sippen heißen<br />

Florenelemente.<br />

Das Wort „Florenelement“ wird in <strong>der</strong> Literatur allerdings<br />

mit zwei verschiedenen Bedeutungsinhalten<br />

benutzt: es kann sich entwe<strong>der</strong> auf die einzelne Sippe<br />

beziehen, o<strong>der</strong> es dient als Kollektivbegriff, d. h. als<br />

Synonym für den gesamten Areal typ. Der Unterschied<br />

läßt sich leicht an folgendem Satzpaar klarmachen:<br />

„Fagus sylvatica ist ein holarktisches Florenelement“<br />

gegenüber „Fagus sylvatica g eh ö rt zum Holarktischen<br />

Florenelement“. Im zweiten Falle ist das „Florenelement“<br />

also die Gesamtmenge aller holarktischen<br />

Sippen. Diese Version steht aber im Wi<strong>der</strong>spruch zur<br />

Bedeutung des Wortes Element sowohl in <strong>der</strong> allgemeinen<br />

Umgangssprache als auch in <strong>der</strong> wissenschaftlichen<br />

Mengenlehre und sollte daher vermieden werden.<br />

Florenelemente ähneln in vieler Hinsicht den<br />

Charakterarten in <strong>der</strong> Pflanzensoziologie (vgl. S. 59).<br />

Wie diese haben sie unterschiedliche „Treuegrade“,<br />

d. h. eine verschieden enge Bindung an die betr.<br />

biogeographische Einheit. Hiernach kann man die<br />

in einem bestimmten Florengebiet (FG) vorkommenden<br />

Sippen 6 verschiedenen Kategorien zuordnen<br />

(Abb. 25):<br />

1. Enge Charakterelemente (auf 1 FG beschränkt),<br />

und zwar:<br />

la. Gutes Charakterelement (Arealgrenzen mit denen<br />

des FG ± übereinstimmend)


Analyse und Verknüpfung 53<br />

Florengebiet A<br />

Florengebiet B<br />

Abb. 25: Je nach dem Grad ihrer Bindung an Florengebiete (FG) lassen sich 6 Kategorien von Florenelementen<br />

unterscheiden (schematisch). - Näheres im Text.<br />

lb. Charakterelement einer Untereinheit (diese<br />

gewöhnlich klimaökologisch charakterisiert)<br />

lc. Endemitisches Element (Areal sehr klein,<br />

meist nicht klimaökologisch deutbar)<br />

2. Weites Charakterelement (auf bestimmte, klimaökologisch<br />

charakterisierte Teile an<strong>der</strong>er FG übergreifend)<br />

3. Differential-Element (im Sinne von 2 aus an<strong>der</strong>em<br />

FG übergreifend)<br />

4. Extrazonales Element (Auslieger von 1, sporadisch<br />

an Son<strong>der</strong>standorten in an<strong>der</strong>em FG auftretend)<br />

5. Plurizonales Element (über mehrere FG verbreitet)<br />

6. Azonales Element (nicht erkennbar an FG gebunden).<br />

Großräumige, nach Florenreichen bzw. Vegetationszonen<br />

benannte Arealtypen lassen sich weltweit unterscheiden<br />

(vgl. S. 101); ihre Elemente sind meist Familien<br />

o<strong>der</strong> Gattungen. Detailliertere, auf begrenzte<br />

Untereinheiten bezogene Typisierungen (meist Arten<br />

betreffend) liegen dagegen nur aus Teilen <strong>der</strong> Erde vor.<br />

Für praktische Zwecke werden die Einheiten solcher<br />

Glie<strong>der</strong>ungen auch in Form von Abkürzungen dargestellt<br />

(Arealformeln, vgl. z. B. <strong>Schroe<strong>der</strong></strong> 1994).<br />

Typisierungen auf rein ökologischer Grundlage<br />

gibt es nur in Teilbereichen. Eine weltweite Geltung<br />

beanspruchende Glie<strong>der</strong>ung, die auf einem<br />

Gemisch aus ökologischen und biogeographischen<br />

Kriterien beruht, sind die sog. Arealtypen<br />

nach M eusel. (Der unerweiterte Begriff Arealtypen,<br />

<strong>der</strong> im Prinzip jede Typisierung von Arealen<br />

bezeichnet, wird im deutschen Sprachraum<br />

meist in diesem speziellen Sinne gebraucht.) Da<br />

dieses System in Mitteleuropa viel benutzt wird,<br />

sei es hier kurz erläutert (vgl. M eusel 1943,<br />

M eusel etc. 1965f).<br />

Der MEUSELschen Typisierung liegen 3 Merkmale zugrunde,<br />

die als Zonalität, Ozeanität und Höhenstufenbindung<br />

bezeichnet werden.<br />

Die Zonalität, ein überwiegend biogeograpbisches<br />

Kriterium, bildet die Grundlage <strong>der</strong> Klassifizierung.<br />

Die Arealgestalt wird hierfür in Bezug gesetzt zu 10 ±<br />

breitenparallelen Florenzonen (Abb. 26). Deren<br />

Umgrenzungen entsprechen in großen Teilen denen<br />

<strong>der</strong> thermischen Vegetationszonen (S. 109; Abb. 43,<br />

S. 110; näherer Vergleich bei<strong>der</strong> Systeme siehe dort).<br />

Das zweite Kriterium, die Ozeanität, ist überwiegend<br />

ökologisch definiert, nämlich durch die Humidität<br />

und/o<strong>der</strong> die Temperaturamplitude des Klimas.<br />

Hiernach wurden 4 Ozeanitätsgrade aufgestellt (Abb.<br />

26). Je nach ihrer engeren o<strong>der</strong> weiteren Bindung an<br />

einen o<strong>der</strong> mehrere davon werden für die Areale insgesamt<br />

10 Ozeanitätsstufen unterschieden.


54 Areale und Floren<br />

lii<br />

b<br />

115 '•<br />

Abb. 26: Florenzonen und Ozeanitätsglie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Erde im Sinne von Meusel.<br />

Ozeanitäts- bzw. Kontinentalitätsabstufung; oz, sehr ozeanisch, k, sehr kontinental, übrige Zwischenstufen. -<br />

Aus Meusel etc. 1965f.<br />

N L.<br />

X<br />

Die Beschreibung <strong>der</strong> Höhenstufenbindung erfolgt<br />

mit Hilfe <strong>der</strong> ökologisch definierten (aber oft vegetationskundlich<br />

mißinterpretierten) Begriffe kollin,<br />

montan, subalpin, alpin (vgl. S. 116).<br />

Für die praktische Anwendung <strong>der</strong> so gewonnenen<br />

typisierten Arealbeschreibungen auf die Einzelelemente<br />

wurde eine formelhafte Abkürzung, die<br />

Arealdiagnose, entwickelt. Sie besteht aus normierten<br />

Abkürzungen für die drei Kriterien und einer weiteren<br />

für den jeweiligen Erdteil. Sie lautet z. B. für<br />

Fagus sylvatica m/mo-temp.oz EUR (meridional/montan<br />

- temperar. ozeanisch Europa), für Adonis vemalis<br />

sm-temp.(k) EUR-WSIB (submeridional - temperar.<br />

weit kontinental Europa-Westsibirien).<br />

Die Arealtypen nach Meusel haben sich im weiteren<br />

mitteleuropäischen Raum sehr bewährt und daher<br />

eine weite Verbreitung gefunden. Das darf aber<br />

nicht über ihre Mängel hinwegtäuschen. Diese bestehen<br />

darin, daß in beiden Hauptkriterien <strong>der</strong> Abgrenzung<br />

<strong>der</strong> jeweiligen Einheiten eine rein europäische<br />

Sichtweise zugrundeliegt. So entspricht die Grenze<br />

zwischen „temperater“ und „submeridionaler“ Florenzone<br />

in Europa <strong>der</strong> Grenze zwischen humiden mitteleuropäischen<br />

und trockenbeeinflußten submediterran-pontischen<br />

Vegetationstypen. In den nemoralen<br />

Waldgebieten O-Nordamerikas und Ostasiens hingegen<br />

ist sie eine rein formal gezogene, durch keine floristischen<br />

o<strong>der</strong> vegetationskundlichen Grenzen gestützte<br />

Linie.<br />

Noch stärker europazentrisch geprägt ist das Begriffssystem<br />

<strong>der</strong> „Ozeanität“, bzw. die Termini „ozeanisch“<br />

und „kontinental“. Ihre Verwendung hat zwar<br />

gerade in <strong>der</strong> deutschen pflanzengeographischen Literatur<br />

eine lange Tradition (vgl. z. B. schon bei Brockmann-Jerosch<br />

& Rubel 1912), doch ist das noch kein<br />

Beweis für ihre weltweite Brauchbarkeit. Es sind eigentlich<br />

relative, nicht quantifizierbare Begriffe. Sie<br />

beruhen auf <strong>der</strong> Kombination mehrerer voneinan<strong>der</strong><br />

unabhängiger Klimamerkmale; <strong>der</strong> Temperaturamplitude<br />

zwischen wärmstem und kältestem Monat, <strong>der</strong><br />

Nie<strong>der</strong>schlagsmenge und <strong>der</strong> jahreszeitlichen Nie<strong>der</strong>schlagsverteilung<br />

(die lapidare Angabe, das Klima sei<br />

irgendwo „kontinental“, ist also eher eine Verschleiemng<br />

<strong>der</strong> tatsächlich einwirkenden Klimafaktoren). In<br />

Europa zeigen diese drei Variablen parallele Gradienten<br />

von WNW nach O SO , so daß ein klares „Kontinentalitätsgefalle“<br />

entsteht. Ganz an<strong>der</strong>s ist das z. B.<br />

in O-Nordamerika: hier verlaufen <strong>der</strong> thermische und


Analyse und Verknüpfung 55<br />

die hygrischen Gradienten im rechten Winkel zueinan<strong>der</strong>;<br />

eine <strong>der</strong> europäischen entsprechende Abstufung<br />

ist daher nicht auffindbar. In den Tropen, wo<br />

thermische Unterschiede entfallen, reduziert sich die<br />

„Ozeanität“ ohnehin auf die Humidität (die peraride<br />

peruanische Küstenwüste als „extrem kontinental“ zu<br />

bezeichnen, erscheint etwas abwegig). Insgesamt ist zu<br />

konstatieren, daß die Charakterisierung von Arealtypen<br />

im Sinne von M eusel außerhalb Europas wenig<br />

brauchbar ist.


D Vegetation<br />

Wie besprochen, bezieht sich <strong>der</strong> Begriff Vegetation<br />

auf das durch die integrierte Wirkung <strong>der</strong><br />

Umweltfaktoren geordnete Zusammenleben <strong>der</strong><br />

Pflanzensippen am Wuchsort. Die Unterschiede<br />

<strong>der</strong> Umweltbedingungen ebenso wie die <strong>der</strong><br />

Flora bedingen eine große Vielfalt in <strong>der</strong> Struktur<br />

<strong>der</strong> Pflanzendecke. Um diese in adäquater<br />

Weise zu beschreiben, muß man sie in abgrenzbare<br />

Einheiten, in Vegetationstypen, aufglie<strong>der</strong>n.<br />

Wie die einzelnen Pflanzensippen, so sind<br />

auch die Vegetationstypen in gesetzmäßiger<br />

Weise im Raum angeordnet; außerdem zeigen<br />

sie häufig auch eine zeitliche Abwandlung, die<br />

durch äußere Einflüsse bedingt sein kann, teils<br />

aber auch in ihrer Struktur selbst begründet ist.<br />

1 Vegetationstypen und ihre<br />

Kiassifizierung<br />

Grundlage <strong>der</strong> Vegetationsanalyse sind Untersuchung<br />

und Vergleich konkreter Pflanzenbestände.<br />

Aus gleichartigen Beständen abstrahiert<br />

man dann Vegetationstypen (auch Vegetationseinheiten<br />

genannt, wenn sie in einem<br />

Klassifizierungssystem eingestuft sind). Je nach<br />

den zugrundegelegten Eigenschaften gibt es zwei<br />

Sorten von Vegetationstypen: die physiognomische<br />

Untersuchung (nach Lebensformen) ergibt<br />

Pflanzenform ationen, die floristische (nach<br />

Pflanzensippen) Pflanzengesellschaften. Naturgemäß<br />

ist die physiognomische Klassifizierung<br />

sehr viel gröber und steht daher bei <strong>der</strong> globalen<br />

Vegetationsgliedemng im Vor<strong>der</strong>gmnd, während<br />

die floristische ihre Hauptbedeutung mehr<br />

im regionalen und lokalen Bereich hat.<br />

a<br />

Pflanzenformationen<br />

Ähnlich wie die Namen <strong>der</strong> ihnen zugrundeliegenden<br />

Lebensform en stam m en auch die<br />

Grundbegriffe <strong>der</strong> Formationstypologie (z. B.<br />

Wald, Heide, Wüste) aus dem allgemeinen<br />

Sprachgebrauch und damit aus vorwissenschaftlicher<br />

Zeit. Ihre wissenschaftliche Adaptation<br />

erfolgte im letzten Drittel des vorigen Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

(vgl. S. 8 6 , 108); in den letzten Jahrzehnten<br />

wurden sehr detaillierte Glie<strong>der</strong>ungen entworfen<br />

(ScHMiTHüSEN 1968, Ellenberg etc. 1967a).<br />

Hierfür wurde eine Hierarchie entwickelt,<br />

<strong>der</strong>en höchste Kategorie meist als Formationsklasse<br />

bezeichnet wird; nächstfolgende Untereinheiten<br />

sind Formationsgruppe, Formation<br />

i. e. S. und Subformation. Eine solche hierarchische<br />

Glie<strong>der</strong>ung ist allerdings nicht unproblematisch:<br />

einerseits zeigen die hierfür verwendbaren<br />

Kriterien vielfache Überschneidungen,<br />

so daß oft schwer zu entscheiden ist, welchem<br />

<strong>der</strong> jeweils höhere o<strong>der</strong> nie<strong>der</strong>e Rang zukommt;<br />

an<strong>der</strong>erseits entsteht bei voller Ausnutzung<br />

eine Unzahl von Zwergkategorien, die die<br />

Übersichtlichkeit beeinträchtigt (vgl. E llenberg<br />

etc. 1967a). Die hier vorgeführte Klassifikation<br />

(Tab. 15) beschränkt sich daher zunächst auf<br />

die Definition von 11 Formationsklassen <strong>der</strong><br />

Landvegetation und die Angabe einiger wichtiger<br />

Unterteilungsmöglichkeiten.<br />

Grundkriterien <strong>der</strong> rein physiognomischen<br />

Ordnung sind erstens die Wuchs- und Lebensformen,<br />

zweitens die Dichte <strong>der</strong> Vegetationsdecke.<br />

Bei den stärker differenzierten Glie<strong>der</strong>angen<br />

werden jedoch stets ökologische Kriterien<br />

mit benutzt, und zwar um so mehr, je niedriger<br />

das Glie<strong>der</strong>ungsniveau ist; es handelt sich dann<br />

in Wirklichkeit um physiognomisch-ökologische<br />

Klassifizierungen.<br />

Natürlich sind auch die beschriebenen Formationsklassen<br />

ökologisch bedingt. Es gibt verschiedene<br />

Qualitäten dieser ökologischen Bedingtheit:<br />

klimatische, biotische, edaphische,<br />

temporäre und anthropogene. Je nachdem, welche<br />

vorherrscht, ist die Bedeutung <strong>der</strong> Formationen<br />

in <strong>der</strong> Vegetation <strong>der</strong> Erde unterschiedlich.<br />

Hierauf werden wir nach <strong>der</strong> Besprechung<br />

<strong>der</strong> Vegetationszonen zurückkommen (S. 120).<br />

b<br />

Pflanzengesellschaften<br />

Wie schon erwähnt, sind die unteren Einheiten<br />

<strong>der</strong> Formationssysteme meist ökologisch definiert.<br />

Auf diesem niedrigen, mehr regionalen<br />

Niveau ist aber, zumindest in Gebieten mit gut<br />

bekannter Flora, auch eine floristische Glie<strong>der</strong>ung<br />

in Pflanzengesellschaften möglich und<br />

kann dann als adäquatere Ordnung an die Stelle<br />

<strong>der</strong> formationstypologischen treten bzw. diese<br />

präzisieren.<br />

Solche regionalen floristischen Gliedemngen<br />

gibt es für mehrere Teile <strong>der</strong> Erde. Ihre Regionalität<br />

hat allerdings eine nachteilige Nebenerscheinung:<br />

Für die Erarbeitung floristisch defi-


Vegetationstypen und ihre lOassifizierung 57<br />

Tab. 15: Formationsklassen <strong>der</strong> Landvegetation.<br />

(I.) Phanerophyten-Formationen<br />

A. Wald<br />

Geschlossene Bestände aus Bäumen, also mindestens 5-10 m hoch, Kronendach mindestens 50 % <strong>der</strong> Fläche<br />

überdeckend und den Unterwuchs stark durch Beschattung beeinflussend.<br />

B. Offenwald (Baumflur)<br />

Physiognomisch von Bäumen beherrscht, Bestand aber nicht geschlossen, Kronendach meist weit < 30 %<br />

<strong>der</strong> Fläche überdeckend. Unterwuchs daher von den Bäumen kaum beeinflußt.<br />

C. Gebüsch (Busch, Strauchflur)<br />

Von Sträuchern (i. w. S.) beherrschte Bestände, also etwa 2-5 m hoch (selten höher); Strauchschicht geschlossen<br />

o<strong>der</strong> offen (dementsprechend mit schwachem bis starkem Unterwuchs).<br />

Unterteilungskriterien für A-C:<br />

(1) nach <strong>der</strong> Physiognomie <strong>der</strong> Phanerophyten; 1. Laubwald (bzw. -offenwald usw.), 1.1. von normaler<br />

Gestalt, 1.2. aus Schopfbäumen; 2. Nadelwald usw.; 3. Sukkulentenwald usw.<br />

(2) nach dem Verhalten <strong>der</strong> Blätter: a. immergrün; b. wechselgrün (sommer-, regengrün); c. blattlos.<br />

(II.) Nicht von Phanerophyten beherrschte Formationen mit ± geschlossener Vegetationsdecke (meist<br />

weit > 50 % deckend). D-F können auch als Grasland i. w. S. zusammengefaßt werden.<br />

D. Heide<br />

Geschlossene Bestände aus Zwergsträuchern (i. w. S.), in denen die stets vorhandenen an<strong>der</strong>en Wuchsformen<br />

kaum hervortreten.<br />

Unterteilungskriterien:<br />

(1) nach <strong>der</strong> Physiognomie <strong>der</strong> Zwergsträucher: 1. Strauchheide (aufrecht); 2. Teppichheide (nie<strong>der</strong>liegend);<br />

3. Polsterheide; 4. Sukkulentenheide.<br />

(2) nach dem Verhalten <strong>der</strong> Blätter: wie bei A-C.<br />

E. Grasflur<br />

Physiognomie durch ausdauernde Grasartige bestimmt, an<strong>der</strong>e Wuchsformen zwar beigemischt, aber höchstens<br />

zeitweise (z.B. zur Blütezeit) aspektbestimmend.<br />

Unterteilungskriterien:<br />

(1) nach <strong>der</strong> Wuchsform: 1. Rasengrasflur; 2. Büschelgrasflur.<br />

(2) nach dem Verhalten <strong>der</strong> Blätter: a. immergrün; b. tropophytisch.<br />

F. Staudenflur<br />

Überwiegend aus nicht grasartigen, nicht verholzten Ausdauernden (Stauden i. e. S.) bestehend.<br />

Unterteilung: nach dem Verhalten <strong>der</strong> Blätter wie bei E.<br />

G. Annuellenflur<br />

Kurzlebige Bestände aus kraut- o<strong>der</strong> grasartigen Hapaxanthen (Therophyten o<strong>der</strong> Winterannuellen).<br />

H. Moos- und Flechtendecken<br />

Niedrige, aus ausdauernden Moosen und/o<strong>der</strong> Flechten bestehende Bodenüberzüge mit höchstens sporadischer<br />

Beimischung höherer Pflanzen.<br />

I. Süßwasservegetation<br />

Unter Wasser wurzelnde o<strong>der</strong> wurzellose, untergetaucht (submers) o<strong>der</strong> an <strong>der</strong> Oberfläche von Binnengewässern<br />

lebende Pflanzenbestände (verschiedene Unterteilungen möglich).<br />

(III.) Nicht geschlossene Formationen, meist weit < 30 % <strong>der</strong> Fläche deckend: Wüste i. w. S.<br />

J. Halbwüste<br />

Pflanzen ± gleichmäßig über die Fläche verteilt, oberirdisch voneinan<strong>der</strong> isoliert, sich aber unterirdisch (so<br />

weit es die Bodenstruktur erlaubt) mit den Wurzelsystemen berührend („diffuse Vegetation“).<br />

Unterteilung nach Wuchsformen möglich entsprechend D-H, o<strong>der</strong> nach Bodenart.<br />

K. Vollwüste<br />

Normalstandorte pflanzenleer, nur an lokal günstigeren Stellen Pflanzenwuchs („kontrahierte Vegetation“).<br />

Unterteilung nicht nach Wuchsformen, son<strong>der</strong>n nach Bodenart.


58 Vegetation<br />

i<br />

nierter Vegetationstypen wurden in verschiedenen<br />

Län<strong>der</strong>n verschiedene Methoden benutzt.<br />

Sie beruhten auf unterschiedlichen praktischen<br />

Zielsetzungen und wissenschaftlichen Philosophien<br />

und entwickelten sich nach und nach (in<br />

Form sog. „Schulen“) immer mehr auseinan<strong>der</strong>;<br />

infolgedessen sind die Ergebnisse selbst für Gebiete<br />

mit sehr ähnlicher Flora und Vegetation<br />

oft schwer vergleichbar. Erst in jüngster Zeit<br />

beginnen diese Unterschiede wie<strong>der</strong> abzunehmen,<br />

hauptsächlich dadurch, daß die bei weitem<br />

wichtigste <strong>der</strong> Schulen, die von B raun-<br />

B lanquet, zunehmende Akzeptanz gewinnt,<br />

und zwar auch in Län<strong>der</strong>n, in denen sie bisher<br />

+ strikt abgelehnt wurde.<br />

Die Methodik <strong>der</strong> BRAUN-BtANQUET-Schule (auch<br />

Schule von Zürich-Montpellier genannt) wurde in<br />

Mitteleuropa entwickelt und ist hier unter <strong>der</strong> Bezeichnung<br />

Pflanzensoziologie bekannt (i. e. S., eigentlich<br />

ist dies ein allgemeinerer Begriff; vgl. Braun-Blanquet<br />

1964, Dierschke 1994). Sie ist eine typologische Methode<br />

par excellence. Ihre wichtigsten Prinzipien bei<br />

<strong>der</strong> Ermittlung von Vegetationstypen sind (1) die Festlegung<br />

<strong>der</strong> Untersuchungsflächen nach qualitativer Beurteilung<br />

durch den Augenschein, nicht nach statistisch-formalen<br />

Gesichtspunkten; (2) die gleichmäßige<br />

Berücksichtigung aller vorhandenen Pflanzensippen<br />

(im Normalfalle -arten), ungeachtet ob sie eine dominierende<br />

o<strong>der</strong> (anscheinend) untergeordnete Rolle<br />

spielen; (3) die ausschließliche Verwendung floristischer<br />

Kriterien, d. h. <strong>der</strong> Anwesenheit und Menge <strong>der</strong><br />

einzelnen Arten (ökologische werden nicht für die Abgrenzungen<br />

selbst herangezogen, son<strong>der</strong>n nur zu <strong>der</strong>en<br />

Erklärung); (4) die hierarchische Glie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

Vegetationstypen nach <strong>der</strong> abgestuffen Ähnlichkeit<br />

ihrer Artenkombination.<br />

Um ein Gebiet pflanzensoziologisch zu untersuchen,<br />

nimmt man als erstes eine erschöpfende Rekognoszierung<br />

<strong>der</strong> gesamten Vegetationsdecke vor. Aufgmnd<br />

des so gewonnenen Überblicks lassen sich dann<br />

Aufnahmeflächen auswählen, die für eine adäquate<br />

Glie<strong>der</strong>ung homogen genug erscheinen. Diese werden<br />

nach erprobter Methodik aufgenommen, indem <strong>der</strong><br />

Deckungsgrad aller vorhandenen Arten geschätzt<br />

wird. Gewöhnlich unterscheidet man mindestens<br />

6 Stufen <strong>der</strong> „Artmächtigkeit“: -t- unter 1 % deckend,<br />

1 1-5 %, 2 5-25 %, 3 25-50 %, 4 50-75 %, 5 75-100 %<br />

(zu den vielen, aber im Prinzip wenig wichtigen Abweichungen<br />

dieser Methode vgl. D ierschke 1994). Die<br />

so erstellten Präsenzlisten (Aufnahmen) werden in<br />

eine Tabelle zusammengefaßt, womit die typologische<br />

Analyse beginnen kann. Zunächst werden die vorhandenen<br />

Arten nach ihrer Frequenz (Stetigkeit) sortiert.<br />

Hieraus kann dann auf ihre diagnostische Wertigkeit<br />

geschlossen werden: Arten, die gleichmäßig über alle<br />

Aufnahmen verteilt sind, haben dabei ebenso wenig<br />

Bedeutung wie solche, die nur vereinzelt als Raritäten<br />

Vorkommen; wichtig sind hingegen solche, die in einem<br />

wesentlichen Teil <strong>der</strong> Aufnahmen vorhanden sind<br />

und in einem an<strong>der</strong>en fehlen. Durch Verschieben <strong>der</strong><br />

einzelnen Arten und deir einzelnen Aufnahmen in <strong>der</strong><br />

Tabelle gegeneinan<strong>der</strong> wird dann versucht, Arten mit<br />

ähnlicher Verteilung bzw. Aufnahmen mit ähnlicher<br />

Artengarnitur zusammenzubringen. Diese „Tabellenarbeit“,<br />

früher ein mühseliges Unternehmen, wird<br />

heute durch adäquate Computerprogramme (z. B.<br />

Peppler 1988) sehr erleichtert. Ergebnis ist eine Tabelle,<br />

in <strong>der</strong> die Aufnahmen auf bestimmte Vegetationseinheiten<br />

verteilt sind, die sich durch das Vorhandensein<br />

o<strong>der</strong> Fehlen bestimmter Artengruppen<br />

(Differentialarten i. w. S.) unterscheiden. So ergibt sich<br />

eine hierarchische Glie<strong>der</strong>ung in zunächst ranglose<br />

Pflanzengesellschaften. Will man diese mit früher beschriebenen<br />

vergleichen, so wandelt man die Gesamttabelle<br />

in eine Stetigkeitstabelle um, in <strong>der</strong> die<br />

Stetigkeit je<strong>der</strong> Art in den einzelnen Gesellschaften<br />

ebenfalls in etwa 6 Stufen (-t-, TV) angegeben wird.<br />

Untersucht man die gesamte Vegetation eines<br />

größeren Gebietes (z. B. einer Vegetationsregion,<br />

vgl. S. 145) auf diese Weise, so kommt man zu<br />

einer vielfältigen hierarchischen Glie<strong>der</strong>ung, die<br />

die Anwendung von definierten Rangstufen<br />

zuläßt. Diese sind denen <strong>der</strong> Sippensystematik<br />

nachgebildet, und ebenso wie die Sippen (Taxa)<br />

werden auch die eingestuften PflanzengeselT<br />

schaften (Syntaxa) mit lateinischen Namen belegt,<br />

die nach festgelegten Nomenklaturregeln<br />

gebildet werden. Sie leiten sich von den Namen<br />

von jeweils 1-2 in <strong>der</strong> Gesellschaft wichtigen<br />

Arten ab, wobei an den Gattungsnamen bestimmte<br />

Endungen angehängt werden und das<br />

Artepithet in den Genitiv gesetzt wird.<br />

Als Basiseinheit, analog <strong>der</strong> Art, gilt die Assoziation<br />

(Endung -etum, z. B. Alnetum incanae). Mehrere Assoziationen<br />

bilden einen Verband {-iorv, hier Alno-Ulmion<br />

minoris), mehrere Verbände eine Ordnung {-etalia;<br />

hier Fagetalia sylvaticae), mehrere Ordnungen eine<br />

Klasse {-etea; hier Querco-Fagetea sylvaticae). Verband,<br />

Ordnung und Klasse können nach Bedarf noch in<br />

Unterverbände, -Ordnungen, -klassen unterteilt werden<br />

(Endungen -enion, -enalia, -ened). Die Klassen, als<br />

höchste Syntaxa innerhalb einer Vegetationsregion,<br />

unterscheiden sich neben ihrer floristischen Zusammensetzung<br />

oft auch dadurch, daß sie verschiedenen<br />

physiognomischen Formationen angehören (z. B. in<br />

Europa Querco-Fagetea sylvaticae sommergrüne Laubwäl<strong>der</strong>,<br />

Molinio-Arrhenatheretea Grasfluren, Calluno-<br />

Ulicetea Zwergstrauchheiden); allerdings umfaßt eine<br />

Formation in <strong>der</strong>selben Region meist mehrere Klassen.<br />

Oberhalb <strong>der</strong> Klasse gibt es noch die bisher wenig<br />

benutzte Klassengruppe (Endung -ea), in <strong>der</strong> homologe<br />

Klassen verschiedener Vegetationsregionen zu-


Vegetationstypen und ihre Klassifizierung 59<br />

sammengefaßt werden können (mit Gattungen statt<br />

Arten als Differentialsippen).<br />

Diagnostische Merkmale <strong>der</strong> Syntaxa sind die<br />

beteiligten Arten. Diejenigen von ihnen, die sich<br />

für Abgrenzungen verwenden lassen, kann man,<br />

wenn man einen Gesamtüberblick über die<br />

Pflanzengesellschaften <strong>der</strong> Region hat, noch<br />

unterteilen in Charakterarten (= Kennarten),<br />

die ± auf bestimmte Vegetationseinheiten beschränkt<br />

sind, und Differentialarten (i. e. S.,<br />

= Trerinarten), die in mehreren Einheiten höherer<br />

Ordnung auftreten und dort jeweils Einheiten<br />

nie<strong>der</strong>er Ordnung abgrenzen. Insgesamt<br />

setzt sich die Artengarnitur einer Pflanzengesellschaft<br />

also aus 3 Gruppen von Arten zusammen;<br />

aus Charakterarten, Differentialarten,<br />

und solchen, die keine Bedeutung für die Abgrenzung<br />

haben, den Begleitern. Zu beachten<br />

ist dabei, daß die Zugehörigkeit einer Art zu einer<br />

<strong>der</strong> drei Gruppen nicht absolut zu sehen,<br />

son<strong>der</strong>n in weitem Bereich relativ ist.<br />

Charakterarten werden gewöhnlich für die 4 Haupt-<br />

Rangstufen von <strong>der</strong> Assoziation aufwärts unterschieden;<br />

Assoziations-, Verbands-, Ordnungs-, Klassencharakterarten.<br />

Dabei gilt das Prinzip <strong>der</strong> Verschachtelung;<br />

die Charakterart einer Einheit ist zugleich auch<br />

eine solche für die übergeordneten Rangstufen. Je nach<br />

<strong>der</strong> Enge <strong>der</strong> Bindung unterscheidet man verschiedene<br />

Treuegrade; enge Charakterarten sind ± vollständig<br />

auf eine Gesellschaft bechränkt, weite können<br />

darüber hinaus z. B. in einer an<strong>der</strong>en gleichen Ranges<br />

als Differentialarten für Untereinheiten auftreten.<br />

Das Prinzip <strong>der</strong> Charakterarten ist in <strong>der</strong> Pflanzensoziologie<br />

zeitweise überstrapaziert worden, indem<br />

man for<strong>der</strong>te, daß jedes Syntaxon mindestens eine<br />

Charakterart haben müsse. Im Bereich <strong>der</strong> höheren<br />

Rangstufen ist diese Bedingung im Normalfalle erfüllt.<br />

Auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Assoziation kann es jedoch schwierig<br />

sein, Arten zu finden, die eine genügend enge<br />

synökologische Amplitude haben, und diejenigen, auf<br />

die das zutrifft, sind off Spezialisten, die auch in „ihrer“<br />

Assoziation nur als Raritäten auftreten. Extreme<br />

Vertreter einer „reinen Lehre“ haben demgemäß Gesellschaften,<br />

für die keine Charakterarten ermittelt<br />

werden konnten, nicht als Assoziationen anerkannt,<br />

was <strong>der</strong> Pflanzensoziologie berechtigte Kritik eingebracht<br />

hat. Heute spielen <strong>der</strong>artige Probleme keine<br />

Rolle mehr; einerseits erkennt man auch Gesellschaften<br />

mit einer genügend deutlichen Ausstattung mit<br />

Differentialarten und Charakterarten höherer Ordnung<br />

(nach <strong>der</strong> gesamten „charakteristischen Artenkombination“)<br />

als Assoziationen an, und an<strong>der</strong>erseits<br />

ist man von <strong>der</strong> zeitweise üblichen Aufsplitterung in<br />

zahlreiche sehr kleine Assoziationen wie<strong>der</strong> abgekom-<br />

Die Assoziationen, die heute als solche gewöhnlich<br />

relativ weit gefaßt werden, unterteilt man entsprechend<br />

dem Auftreten von Differentialarten weiter in<br />

Subassoziationen, Varianten und Fazies (es gibt noch<br />

weitere Zwischenkategorien). Die hierarchische Gliedemng<br />

macht auf diesem Niveau aber grundsätzliche<br />

Schwierigkeiten; die Abwandlung <strong>der</strong> Standortsverhältnisse,<br />

die das Auftreten <strong>der</strong> Differentialarten steuert,<br />

ist durch Gradienten verschiedener Faktoren bedingt,<br />

die sich überkreuzen und ein mehrdimensionales<br />

Netz bilden; eine eindimensionale Rangstufung<br />

dieser Faktoren untereinan<strong>der</strong> ist objektiv nicht möglich.<br />

Neuerdings wird daher vorgeschlagen, für die<br />

Assoziation die Aufstellung mehrerer, unabhängig<br />

nebeneinan<strong>der</strong> bestehen<strong>der</strong> Unterglie<strong>der</strong>ungen nach<br />

verschiedenen Kriterien zuzulassen. Deren wichtigste<br />

sind die geographisch-horizontale (großklimatisch bedingte),<br />

die geographisch-vertikale, die lokal-edaphische<br />

(vor allem nach Bodenwasser- und nach Bodennährstoffgehalten),<br />

die lokal-dynamische (vgl. S. 62)<br />

und die nutzungsbedingte (vgl. S. 68) Variabilität<br />

(Dierschke 1994, Peppler 1992).<br />

Die Pflanzensoziologie im Sinne von B raun-<br />

B lanquet ist in Mitteleuropa und den angrenzenden<br />

Teilen West-, Süd- und Südosteuropas<br />

mit großem Erfolg angewandt worden. Seit den<br />

30er Jahren hat die Auswertung von vielen Tausenden<br />

von Aufnahmen aus sämtlichen natürlichen<br />

und anthropogenen Vegetationstypen dazu<br />

geführt, daß dieser Raum heute <strong>der</strong> vegetationskundlich<br />

bestbekannte Teil <strong>der</strong> Erde ist.<br />

Inzwischen liegen auch aus vielen an<strong>der</strong>en Teilen<br />

<strong>der</strong> Erde pflanzensoziologische Untersuchungen<br />

vor, so vor allem aus Japan, ferner z. B.<br />

aus Vor<strong>der</strong>asien, dem Himalaja, Ostkanada<br />

(Québec), Chile und an<strong>der</strong>en südamerikanischen<br />

Län<strong>der</strong>n.<br />

Im Prinzip ist (entgegen manchen früheren Annahmen)<br />

die BRAUN-BtANQUET-Methode überall auf <strong>der</strong><br />

Erde anwendbar. Schwierigkeiten gibt es allerdings in<br />

den Tropen, vor allem im Bereich des Tropischen<br />

Regenwaldes. Hier ist meist die Artenzahl so groß und<br />

vor allem das Erkennen <strong>der</strong> Arten im Gelände so<br />

schwierig, daß jede Methode, die die Berücksichtigung<br />

sämtlicher Arten anstrebt, einen kaum zu bewältigenden<br />

Arbeitsaufwand bedingt. Dort ist es daher sinnvoller,<br />

als Kriterien die Präsenz bzw. Dominanz von<br />

Wuchsformen (vgl. Hallé etc. 1978) o<strong>der</strong> bestimmten<br />

auffälligen, leicht erkennbaren Einzelsippen (Indikatorsippen)<br />

zu benutzen (d. h. überwiegend physiognomisch<br />

zu klassifizieren).<br />

Auf die übrigen floristischen Methoden <strong>der</strong> Vegetationsglie<strong>der</strong>ung<br />

braucht hier nicht näher eingegangen<br />

zu werden (vgl. M ueller-D ombois etc. 1974,<br />

D ierschke 1994). Erwähnt sei die in Nordeuropa (und


60 Vegetation 1<br />

•%'¥. 3 =<br />

in ähnlicher Form in Rußland) lange Zeit führende<br />

„Waldtypenlehre“ (Cajan<strong>der</strong> 1909, 1930; vgl. S. 310).<br />

Im sehr artenarmen Gebiet <strong>der</strong> borealen Nadelwaldzone<br />

erwies es sich (vor allem für forstliche Zielsetzungen)<br />

als zweckmäßig, die Glie<strong>der</strong>ung weniger nach<br />

<strong>der</strong> Präsenz <strong>der</strong> (meist ubiquitär verbreiteten) Arten,<br />

son<strong>der</strong>n nach ihrer Dominanz vorzunehmen. Die<br />

nordischen „Waldtypen“ lassen sich aber leicht in<br />

Einheiten des Braun-Blanquet-Systems überführen.<br />

Auffallend ist, daß aus den englischsprachigen Län<strong>der</strong>n<br />

bisher kaum pflanzensoziologische Untersuchungen<br />

vorliegen. Das hat mehrere Ursachen. Erstens sind<br />

alle grundlegenden frühen Arbeiten, die den Siegeszug<br />

<strong>der</strong> Pflanzensoziologie in Kontinentaleuropa einleiteten,<br />

in deutscher o<strong>der</strong> französischer Sprache geschrieben<br />

(Symbol ist <strong>der</strong> Name des „Altmeisters“<br />

Braun-Blanquet). Bei <strong>der</strong> bekannten Abneigung <strong>der</strong><br />

Anglophonen gegen die Benutzung frem<strong>der</strong> Sprachen<br />

bedeutete das eine Sprachbarriere, die den Informationsfluß<br />

sehr einschränkte. Zum zweiten steht die typologische<br />

und sehr auf Anschauung basierende Methodik<br />

in starkem Gegensatz zur angelsächsischen wissenschaftlichen<br />

Philosophie, in <strong>der</strong> statistisch-mathematisches<br />

Denken im Vor<strong>der</strong>gmnd steht. Dementsprechend<br />

wurde die Pflanzensoziologie von anglophonen<br />

Autoren meist als „subjektiv“ o<strong>der</strong> gar „unwissenschaftlich“<br />

abgelehnt. Zwar ist richtig, daß bei <strong>der</strong> Auswahl<br />

<strong>der</strong> einzelnen Aufnahmefläche eine starke subjektive<br />

Komponente beteiligt ist; diese ist aber längst kompensiert<br />

durch die gewaltige Zahl <strong>der</strong> inzwischen ausgewerteten<br />

Aufnahmen. Und zum dritten wurde die<br />

anglo-amerikanische Vegetationskunde lange Zeit von<br />

<strong>der</strong> sog. Monoklimaxtheorie beherrscht (vgl. S. 65),<br />

nach <strong>der</strong> nur die leicht formationstypologisch erfaßbare<br />

klimatische Klimax als wichtig, alle übrigen Vegetationstypen<br />

aber einer näheren Untersuchung nicht<br />

würdig angesehen wurden. Ergebnis <strong>der</strong> angelsächsischen<br />

Abneigung ist, daß die Vegetation Nordamerikas,<br />

die vor allem im Osten mit <strong>der</strong> mitteleuropäischen<br />

in physiognomischer und floristischer Hinsicht<br />

eng verwandt ist, bisher nur sehr ungleichmäßig untersucht<br />

ist: neben den großräumigen, mehr praktisch<br />

ausgerichteten Glie<strong>der</strong>ungen („Forest Cover Types“)<br />

gibt es nur einzelne punktuelle und dann extrem exakte<br />

(und entsprechend arbeitsaufwendige) Detailuntersuchungen,<br />

<strong>der</strong>en Bedeutung über das Lokale<br />

nicht hinausgeht (neuerdings leisten Japaner „Entwicklungshilfe“,<br />

vgl. Miyawaki etc. 1994).<br />

Räumliche Ordnung <strong>der</strong><br />

Vegetation; Vegetationsmosaik<br />

Vegetationstypen sind standortsbedingt. Für die<br />

Determination des an einem Wuchsort vorhandenen<br />

Vegetationstyps liegt die Bedeutung <strong>der</strong><br />

einzelnen Standortsfaktoren auf verschiedenem<br />

Niveau. Wie bei <strong>der</strong> Arealbildung, so nimmt<br />

auch hier das Großklima den höchsten Rang<br />

ein: es entscheidet darüber, welche Lebewesen<br />

am Ort zur Verfügung stehen. Es bestimmt also<br />

die biotische Ausstattung und damit auch die<br />

für Wald zu trocken<br />

(Pinus) Vitle LicM hoUorten und Sträucher (Pinus)<br />

QUERCUS PETRAEA, ROBUR od.r PUBESCENS<br />

oooooooooooooooooo<br />

Ouercus-Arten, Sorbus- Arten, T itia -A rte n<br />

A cer- Arten<br />

Fraxinus excelsior<br />

D icra n o -<br />

(C o rynephorio n ) ( X e ro bro m io n )<br />

" " m i t Pinus sjflvestris<br />

P in io n<br />

Ouercion pubescenti-petroeoe "<br />

) 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0^0 OOO0 OO0<br />

Carpinion_<br />

^ Cepholanthero-Fagion<br />

s °<br />

0 Luzulo-<br />

O 0 0 Fagion<br />

Fagion<br />

O<br />

C<br />

O O Eu- Fagion<br />

0) >00000 000 000 ooooooo OOOOOO<br />

o<br />

Carpinion<br />

m it M o/inia<br />

___— Alno-Ulmion<br />

Betulion pubescentis<br />

Alnion glutinosoe<br />

( S p h o g n io n ) ( M a g n o c o ric io n )<br />

Abb. 27: Edaphische Glie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> natürlichen Vegetation in tieferen (submontanen) Lagen West-Mitteleuropas.<br />

A: Wichtigste Waldbäume (die Schriftgröße entspricht etwa <strong>der</strong> Bedeutung in <strong>der</strong> Baumschicht).<br />

B: Waldgesellschaften (Verbände, vgl. auch S. 411).<br />

- Aus Ellenberg 1963, verän<strong>der</strong>t.


Räumliche Ordnung <strong>der</strong> Vegetation; Vegetationsmosaik 61<br />

VG I (Klima feucht) Ökoton VG H (Klima trocken)<br />

AzonalerVT (z.B. Felsflur) Azonaler VT Azonaler VT<br />

Extrazonal: VT von VG II<br />

Zonaler VT<br />

(Klimax,<br />

edaph. Varianten)<br />

VT von VG H<br />

VT von VG r<br />

Zonaler VT<br />

(Klimax,<br />

edaph. Varianten)<br />

Extrazonal: VT von VG I<br />

AzonalerVT (Wasserveget.) Azonaler VT Azonaler VT<br />

Abb. 28: Verteilung <strong>der</strong> edaphisch bedingten Vegetationstypen (VT) in zwei benachbarten Vegetationsgebieten<br />

(VG) mit unterschiedlicher Klimaxvegetation und in ihrem Übergangsbereich (Ökoton), schematisch.<br />

Pllanzenformationen, die hieraus gebildet werden<br />

können. Derjenige dieser potentiellen<br />

Vegetationstypen, <strong>der</strong> am wenigsten durch an<strong>der</strong>e<br />

Standortsfaktoren beeinflußt ist, ist <strong>der</strong><br />

zonale Vegetationstyp o<strong>der</strong> die klimatische<br />

Klimax (Näheres S. 65).<br />

Durch die edaphischen Faktoren wird <strong>der</strong><br />

zonale Vegetationstyp abgewandelt. Im Rahmen<br />

<strong>der</strong> klimatisch bedingten Pflanzenformation<br />

entstehen verschiedene Ausbildungen (Vegetationseinheiten<br />

nie<strong>der</strong>en Ranges), die ein edaphisch<br />

bedingtes Vegetationsmosaik bilden; im<br />

Extremfall kann die klimatische Klimax dabei<br />

auch durch an<strong>der</strong>e Formationen ersetzt werden.<br />

Diese sind entwe<strong>der</strong> extrazonale Vegetationstypen,<br />

die ihre zonale Verbreitung in an<strong>der</strong>en<br />

Klimagebieten haben (<strong>der</strong>en Charakteristika<br />

durch die edaphischen Bedingungen in gewisser<br />

Weise kopiert werden, im Sinne <strong>der</strong> „relativen<br />

Standortskonstanz“, W alter etc. 1953); o<strong>der</strong><br />

es sind azonale Vegetationstypen ohne zonales<br />

Verbreitungsgebiet auf <strong>der</strong> Erde.<br />

Das edaphische Vegetationsmosaik läßt sich für jeden<br />

Klimatyp schematisch darstellen durch die sog.<br />

Okogramme nach Ellenberg. Hierfür beschränkt man<br />

sich allerdings auf die Darstellung <strong>der</strong> Gradienten <strong>der</strong><br />

beiden wichtigsten Faktoren, Bodenfeuchte und Nährstoffgehalt,<br />

auf „Normalstandorten“ (also ohne Berücksichtigung<br />

von Son<strong>der</strong>faktoren wie z. B. periodische<br />

Überschwemmung o<strong>der</strong> Bodenversalzung). Als<br />

konkretes Beispiel sei die natürliche Vegetation <strong>der</strong><br />

Tieflagen Mitteleuropas gewählt (Abb. 27). Die mitteleuropäische<br />

Klimaxformation, <strong>der</strong> sommergrüne<br />

Laubwald, ist in mehrere edaphisch bedingte Gesellschaften<br />

differenziert (vgl. auch S. 411): reicher Buchenwald<br />

{Eu-Fagion = Fagion sylvaticae), ärmerer Buchenwald<br />

{Luzulo-Fagion), trocken-reicher Eichenwald<br />

(Quercion pubescenti-petraeae), armer Eichenwald<br />

(Quercion robori-petraeae), feuchter Eichen-Hainbuchen-Mischwald<br />

{Carpinion betult), Erlenbruchwald<br />

{Alnion glutinosae), Birkenbruchwald (Betulion pubescentis).<br />

Der auf sehr trocken-arm-sauren Böden auftretende<br />

Kiefernwald (Dicrano-Pinion) ist ein extrazonaler<br />

Auslieger des borealen Nadelwaldes. Als azonale<br />

Formationen kommen schließlich die Vegetation für<br />

Wald zu flachgründiger Felsstandorte sowie die des<br />

Süßwassers hinzu.<br />

Durch solche Ökogramme läßt sich auch die komplizierte<br />

Vegetationsgliedemng in Übergangsbereichen<br />

(Ökotonen) zwischen den Gebieten verschiedener<br />

Klimaxformationen in sinnvoller Weise darstellen.<br />

Hierfür seien zwei angenommene Vegetationsgebiete<br />

einan<strong>der</strong> gegenübergestellt, <strong>der</strong>en eines (VG I) z. B.<br />

ein (semi)humides Waldklima, das an<strong>der</strong>e (VG II) ein<br />

semiarides Steppenklima besitze (Abb. 28). In <strong>der</strong><br />

Nähe des Grenzbereiches werden in VG I die edaphisch<br />

trockensten Stellen bereits vom Vegetationstyp<br />

des VG II (Steppe) besetzt sein, ebenso in VG II<br />

die edaphisch feuchtesten Bereiche von dem des VG I<br />

(Wald). Im eigentlichen Übergangsbereich nehmen<br />

beide zonalen Vegetationstypen im Ökogramm etwa<br />

den gleichen Raum ein.


Zeitliche Ordnung <strong>der</strong><br />

Vegetation: Sukzession und<br />

Klimax<br />

Die Beschreibung von Vegetationsmosaiken, so<br />

wie sie eben skizziert wurde, entspricht einer<br />

statischen Betrachtungsweise. In Wirklichkeit ist<br />

die Vegetationsdecke aber oft in ± starker Verän<strong>der</strong>ung<br />

begriffen; das im Gelände auffindbare<br />

Vegetationsmosaik ist dann nur eine Art Momentaufnahme,<br />

und es kann neben edaphisch<br />

bedingten Modifikationen auch solche mit zeitlicher<br />

Ursache enthalten. Die Dynamik <strong>der</strong> Vegetation<br />

zeigt sich gewöhnlich in Form einer<br />

gesetzmäßigen Aufeinan<strong>der</strong>folge bestirnmter<br />

Zustände: auf eine Initialphase folgen Übergangsphasen,<br />

die in mehr o<strong>der</strong> weniger vielen<br />

Schritten einem Endstadium zustreben; diese<br />

Abfolge heißt Sukzession, <strong>der</strong> Endzustand Klimax<br />

(griechische Bedeutung eigentlich „Leiter“<br />

bzw. im übertragenen Sinne „oberste Sprosse<br />

<strong>der</strong> Leiter“).<br />

Je nach dem Zustand, <strong>der</strong> vor Beginn <strong>der</strong> Entwicklung<br />

am Wuchsort herrschte, unterscheidet<br />

man zwischen primärer Sukzession auf Stellen,<br />

die vorher ± vegetationsfrei waren, und sekundärer<br />

Sukzession als Folge <strong>der</strong> Zerstörung<br />

vorher vorhandener Vegetation. Eine an<strong>der</strong>e<br />

Unterscheidung bezieht sich auf die Entwicklung<br />

<strong>der</strong> Bestandesstruktur. Im Normalfall geht<br />

diese von einfachen, wenig stmkturierten Beständen<br />

in Richtung auf kompliziertere, stärker differenzierte<br />

(im Sinne <strong>der</strong> sog. soziologischen<br />

Progression); solche Abläufe heißen aufsteigende<br />

(progressive) Sukzession. Es gibt aber auch<br />

den umgekehrten Fall <strong>der</strong> absteigenden (regressiven)<br />

Sukzession von höher zu niedriger organisierten<br />

Vegetationstypen.<br />

Unter natürlichen Verhältnissen hängen Sukzessionen,<br />

so wie sie hier definiert werden, häufig<br />

mit <strong>der</strong> Verjüngung <strong>der</strong> Vegetationseinheit<br />

zusammen. Daneben gibt es aber auch Fälle, in<br />

denen sie durch Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> edaphischen<br />

Umweltbedingungen hervorgerufen werden.<br />

a<br />

Verjüngung und Verjüngungssukzession<br />

Im Mikrobereich setzt sich je<strong>der</strong> Pflanzenbestand<br />

aus Individuen verschiedener Arten zusammen,<br />

<strong>der</strong>en jede einerseits eine begrenzte<br />

Lebensdauer hat (wenn auch von unterschiedlicher<br />

Länge), an<strong>der</strong>erseits Diasporen erzeugt, die<br />

eine kontinuierliche Ersetzung absterben<strong>der</strong><br />

Exemplare durch Jungpflanzen, die Verjüngung,<br />

ermöglichen. Folge davon ist die zeitliche Verschiebung<br />

<strong>der</strong> Wüchsplätze <strong>der</strong> einzelnen Arten<br />

innerhalb des Bestandesmosaiks. Da dieses<br />

durch <strong>der</strong>artige „Lücken-“ o<strong>der</strong> „Mosaikdynamik“<br />

in seiner Grundstruktur nicht wesentlich<br />

verän<strong>der</strong>t wird, spricht man in diesem Falle nicht<br />

von Sukzession.<br />

Bei niedrigen (Nichtwald-) Formationen ist<br />

eine solche permanente Verjüngung weit verbreitet.<br />

Sie kommt auch bei Wäl<strong>der</strong>n vor, doch<br />

tritt hier ebenso häufig die sog. katastrophische<br />

Verjüngung auf (Abb. 29). Diese beruht auf einer<br />

plötzlichen Zerstörung <strong>der</strong> Baumschicht<br />

(ähnlich dem forstlichen Kahlschlag) durch äußere<br />

Ereignisse, vor allem Windwurf o<strong>der</strong> Waldbrand<br />

(zuweilen auch epidemieartiges Auftreten<br />

parasitischer Pilze o<strong>der</strong> Tiere). Hierdurch<br />

wird eine sekundäre Sukzession ausgelöst. Der<br />

Wegfall <strong>der</strong> Bäume setzt die unteren Schichten<br />

des Bestandes <strong>der</strong> vollen Belichtung aus, so daß<br />

sich stark lichtbedürftige Arten ansiedeln können.<br />

Sie bilden zunächst eine krautige Kahlschlagflur,<br />

die aber ziemlich rasch durch Pioniergebüsch<br />

aus ebenfalls lichtbedürftigen, aber<br />

den Krautigen konkurrenzüberlegenen Sträuchern<br />

ersetzt wird. Diese werden ihrerseits von<br />

einem Pionierwald aus schnellwüchsigen, kurzlebigen<br />

Baumarten überwachsen. In diesem<br />

nimmt allmählich <strong>der</strong> Anteil mehr langlebiger,<br />

aber ebenfalls noch ziemlich lichtbedürftiger<br />

Baumarten zu (Übergangswald). Schließlich<br />

werden auch diese lichtliebenden Arten durch<br />

stark schattenertragende ersetzt, die zwar unter<br />

ersteren auflcommen können, selbst aber <strong>der</strong>en<br />

Verjüngung verhin<strong>der</strong>n; damit ist das Endstadium,<br />

<strong>der</strong> Klimaxwald, erreicht. Es wird also in<br />

gesetzmäßig aufeinan<strong>der</strong>folgenden Schritten <strong>der</strong><br />

Ausgangszustand wie<strong>der</strong>hergestellt: es liegt eine<br />

zyklische Sukzession vor.<br />

Der Ablauf einer zyklischen Sukzession ist umso komplizierter,<br />

je größer die Zahl <strong>der</strong> potentiell beteiligten<br />

Pflanzenarten ist (so können im Tropischen Regenwald<br />

mehrere bis viele Pionier- und Ubergangsstadien<br />

aufeinan<strong>der</strong> folgen, vgl. Hallé etc. 1978). Dabei ist<br />

die tatsächliche Abfolge im Einzelfall stark vom Zufall<br />

abhängig: diejenigen <strong>der</strong> Pionierarten, die zufällig<br />

in <strong>der</strong> Nähe wachsen, haben die größte Chance, sich<br />

anzusiedeln (so kann z. B. bei starker Präsenz von<br />

Pionierbaumarten das Gebüschstadium übersprungen<br />

werden). An<strong>der</strong>erseits kann, vor allem wenn die Zahl<br />

<strong>der</strong> Baumarten sehr gering ist, eine einmalige kata-


Zeitliche Ordnung <strong>der</strong> Vegetation: Sukzession und Klimax 63<br />

Verjüngung<br />

permanent<br />

katastrophisch<br />

Pionierwald<br />

z .B . Belula<br />

imUnlerwuchs<br />

z .B . Epilobium, Digitalis<br />

Abb. 29: Permanente und katastrophische Verjüngung am Beispiel des mitteleuropäischen Buchenwaldes,<br />

schematisch vereinfacht.<br />

strophische Verjüngung dazu fuhren, daß dieses Ereignis<br />

sich im selben Bestand mehrfach wie<strong>der</strong>holt:<br />

da die Baumindividuen des Klimaxwaldes alle ± gleich<br />

alt sind, erreichen alle etwa zur gleichen Zeit ihre Altersgrenze,<br />

wodurch die Wahrscheinlichkeit einer neuen<br />

Katastrophe groß wird.<br />

Die in <strong>der</strong> Verjüngungssukzession nacheinan<strong>der</strong><br />

auftretenden Vegetationstypen sind ein integrieren<strong>der</strong><br />

Bestandteil des durch die Klimaxgesellschaft als höchstentwickelte<br />

Stufe gekennzeichneten Ökosystems; die<br />

sie aufbauenden Arten sind im Wuchsbereich <strong>der</strong> Klimax<br />

stets irgendwo vorhanden, auch dann, wenn die<br />

katastrophische Verjüngung nur seltener Ausnahmefall<br />

ist.<br />

Zuweilen kommt es vor, daß bereits vor Abschluß<br />

<strong>der</strong> Verjüngungssukzession neue katastrophische<br />

Ereignisse eintreten, so daß die Entwicklung<br />

aufgehalten bzw. auf frühere Stadien<br />

zurückgeworfen wird. Geschieht das sehr oft, so<br />

kann die Abfolge schließlich über bestimmte<br />

Sukzessionsstadien nicht mehr hinauskommen,<br />

und die Ausbildung <strong>der</strong> Klimaxgesellschaft wird<br />

permanent verhin<strong>der</strong>t. Diese Erscheinung findet<br />

man oft in Gebieten mit häufigen Bränden;<br />

<strong>der</strong> Vegetationstyp, bei dem die Sukzession dann<br />

stehen bleibt, heißt Feuerklimax. Seltener ist<br />

die biotische Klimax, die dadurch bedingt ist,<br />

daß nicht-pflanzliche Lebewesen, d. h. gewöhnlich<br />

weidende herdenbildende Großsäuger, die<br />

Sukzession aufhalten. Solche länger erhalten<br />

bleibenden, aber nicht <strong>der</strong> echten Klimax entsprechenden<br />

Vegetationstypen heißen auch<br />

Dauergesellschaften.<br />

b<br />

Sukzession als Folge edaphischer<br />

Standortsän<strong>der</strong>ungen<br />

Im Gegensatz zur zyklischen Sukzession kann<br />

es sich hier um die Entstehung von etwas Neuem<br />

handeln, das vorher am Wuchsort so nicht<br />

vorhanden war, also um eine primäre Sukzession.<br />

Die Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> edaphischen Bedingungen<br />

ist dabei aber nicht nur Auslöser <strong>der</strong><br />

Sukzession, son<strong>der</strong>n wird pieistens umgekehrt<br />

auch durch diese gesteuert, d. h. es besteht eine<br />

Wechselwirkung zwischen <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong><br />

Vegetation und <strong>der</strong> <strong>der</strong> abiotischen Faktoren.<br />

Das klassische Beispiel einer solchen nichtzyklischen<br />

Sukzession ist die Verlandung stehen<strong>der</strong><br />

Gewässer. Der Faktor, <strong>der</strong> sich hierbei<br />

irreversibel än<strong>der</strong>t, ist letztlich das Niveauverhältnis<br />

zwischen Bodenoberfläche und Wasserspiegel;<br />

diese Än<strong>der</strong>ung kann zum großen<br />

Teil durch die Vegetation selbst hervorgerufen<br />

werden. Indem <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Wasservegetation<br />

erzeugte Detritus den Boden des Gewässers all-


64 Vegetation<br />

________________ 1____ J E »<br />

\<br />

Abb. 30: Vegetationszonierung am Rande eines eutrophen Sees (Beispiel aus Mitteleuropa) als momentanes<br />

Stadium <strong>der</strong> Verlandungssukzession.<br />

Spl = Supralitoral, Eul = Eulitoral, Sbl = Sublitoral (vgl. S. 381). Die durch Zahlen bezeichneten Vegetationstypen<br />

(vgl. auch S. 383,421) folgen in <strong>der</strong> Sukzession aufeinan<strong>der</strong>; 1 und 2 Unterseewiesen (1 aus Charophyceen,<br />

2 aus submersen Kormophyten), 3 Schwimmblattpflanzenflur, 4 Röhricht, 5 Sumpfpflanzenflur (von 4 und 6<br />

schwer zu trennen), 6 Erlenbruchwald. Durch Ablagerung <strong>der</strong> zugehörigen, überwiegend organischen Substrate<br />

(1, 2, 3 Mudde; 4, 5 Schilf- und Seggentorf; 6 Bruchwaldtorf) wird <strong>der</strong> ursprüngliche Gewässergrund<br />

(F Felsuntergrund, M Mineralboden) laufend erhöht, so daß die Sukzession nach links fortschreitet. - Aus<br />

Strasburger etc. 1991, verän<strong>der</strong>t.<br />

mählich erhöht, können die das Gewässer in<br />

Form einer Zonierung umgebenden Vegetationstypen<br />

kontinuierlich nach innen vorrükken,<br />

wobei die jeweils innersten nacheinan<strong>der</strong><br />

verschwinden (Abb. 30). In dem dargestellten<br />

mitteleuropäischen Beispiel ist die Schlußgesellschaft<br />

(Klimax) <strong>der</strong> Erlenbruchwald.<br />

An<strong>der</strong>e, gut bekannte primäre Sukzessionen<br />

sind die Anlandung an <strong>der</strong> Küste des Wattenmeeres<br />

sowie die Besiedlung des beim Rückzug<br />

von Gletschern frei werdenden o<strong>der</strong> bei Vulkanausbrüchen<br />

neu entstehenden Rohbodens.<br />

Der Beitrag <strong>der</strong> Vegetation zur Standortsän<strong>der</strong>ung<br />

besteht im ersten Fall in <strong>der</strong> Begünstigung<br />

<strong>der</strong> Schlicksedimentation, im zweiten<br />

in <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> (sowohl physikochemisch<br />

als auch biologisch bedingten) Bodenreifung.<br />

Eine Mischung zwischen katastrophischer<br />

Verjüngung und primärer Sukzession findet sich<br />

bei <strong>der</strong> Vegetationsdynamik in Flußauen. Durch<br />

die Tätigkeit des Wassers kommt es zur Zerstörung<br />

von Teilen <strong>der</strong> vorhandenen Vegetation,


Zeitliche Ordnung <strong>der</strong> Vegetation: Sukzession und Klimax 65<br />

wobei nicht nur die Pflanzendecke selbst bzw.<br />

<strong>der</strong>en oberste Schicht beseitigt wird, son<strong>der</strong>n<br />

auch ihre edaphische Unterlage. Der als Folge<br />

davon entstehende Rohboden ist ein völlig verän<strong>der</strong>ter<br />

Standort, auf dem eine neue, quasi-primäre<br />

Sukzession beginnen kann.<br />

Endstadium <strong>der</strong> Auensukzession ist in den Waldregionen<br />

<strong>der</strong> Hartholzauenwald, <strong>der</strong> <strong>der</strong> Klimax <strong>der</strong><br />

Normalstandorte sehr ähnlich ist und sich von ihr nur<br />

durch die Wirkungen <strong>der</strong> gelegentlichen Überschwemmungeh<br />

unterscheidet. In den flußnahen Teilen <strong>der</strong><br />

Aue wird diese Schlußgesellschaft aber gewöhnlich<br />

nicht erreicht, da die Entwicklung schon vorher durch<br />

neue Hochwasserschäden unterbrochen wird. Sie<br />

kommt daher über die aus raschwüchsigen Sträuchern<br />

und Bäumen bestehenden Pionierstadien nicht hinaus,<br />

die die Dauergesellschaft des Weichholzauenwaldes<br />

bilden.<br />

Die bisher besprochenen Sukzessionen (einschließlich<br />

<strong>der</strong> <strong>der</strong> Verjüngung) sind sämtlich<br />

von aufsteigendem Typ. Es gibt aber auch natürliche<br />

absteigende Sukzessionen. So kann z. B.<br />

nach Abschluß <strong>der</strong> oben skizzierten Verlandung<br />

unter speziellen, sehr humid-oligotrophen Verhältnissen<br />

eine neue, ganz an<strong>der</strong>e Entwicklung<br />

einsetzen: Im Erlenbruchwald siedeln sich Torfmoose<br />

{Sphagna) an, die dichte, das Regenwasser<br />

festhaltende Polster bilden und dadurch die<br />

Bäume allmählich zum Absterben bringen. Aus<br />

dem hoch organisierten Bruchwald entsteht so<br />

schließlich ein wesentlich einfacher strukturiertes<br />

Hochmoor.<br />

c<br />

Sukzessionstheorien und<br />

Klimaxbegriff<br />

Im vorliegenden Text wird <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> Sukzession<br />

auf Vegetationsän<strong>der</strong>ungen bei konstantem<br />

Klima beschränkt, was m. E. die sinnvollste<br />

Definition ist. Früher wurden aber auch historische<br />

pflanzengeographische Abläufe oft hier<br />

mit einbezogen: so wurde (und wird noch) von<br />

vielen Autoren die Wie<strong>der</strong>bewaldung Mitteleuropas<br />

in <strong>der</strong> Nacheiszeit (ebenso entsprechende<br />

Vorgänge in den Interglazialen) häufig als<br />

„säkulare Sukzession“ bezeichnet.<br />

Säkulare Sukzessionen an<strong>der</strong>er Art spielten<br />

lange Zeit in <strong>der</strong> englischsprachigen Literatur<br />

eine große Rolle, und zwar im Zusammenhang<br />

mit <strong>der</strong> sog. M onoklimaxtheorie (C lements<br />

1928).<br />

Diese Theorie sah alle erkennbaren Vegetationseinheiten<br />

nur als Glie<strong>der</strong> von Sukzessionsserien, die einem<br />

einzigen Schlußstadium, <strong>der</strong> klimatischen Klimax,<br />

zustreben. So betrachtete man Gewässer als Ausgangspunkte<br />

einer „Hydroserie“, die nach Ende <strong>der</strong><br />

eigentlichen Verlandung infolge weiterer Auffüllung<br />

<strong>der</strong> noch vorhandenen Depression durch aus <strong>der</strong> Umgebung<br />

eingetragene Sedimente schließlich mit dem<br />

Auftreten <strong>der</strong> klimatischen Klimax ende. Ebenso galten<br />

Felsstandorte als Beginn einer „Xeroserie“, die infolge<br />

Abtragung <strong>der</strong> Felsen allmählich ebenfalls zur<br />

klimatischen Klimax fuhren würde. (An beiden, diametral<br />

verschiedenen Standorten würde demnach in<br />

Mitteleuropa am Ende <strong>der</strong> Sukzession als klimatische<br />

Klimax ein Buchenwald wachsen.) Die Monoklimaxtheorie<br />

hat sich zwar dadurch selbst ad absurdum geführt,<br />

daß in ihr eine wichtige Tatsache nicht beachtet<br />

wurde, nämlich daß Klimaändemngen in viel kürzeren<br />

Zeitspannen ablaufen als die von ihr gefor<strong>der</strong>ten<br />

geologischen Einebnungsvorgänge (die klimatische<br />

Klimax könnte also am Ende des geologischen Vorganges<br />

ganz an<strong>der</strong>s aussehen als zu dessen Beginn);<br />

sie ist daher heute nicht mehr aktuell. Sie hat aber<br />

dazu geführt, daß viele anglophone Vegetationskundler<br />

allein die klimatische Klimax als wirkliche<br />

„Vegetation“ und alles übrige nur als unwichtige Sukzessionsstadien<br />

ansahen; in Nordamerika ist diese Einstellung<br />

noch heute weit verbreitet.<br />

Durch die offensichtliche Unstimmigkeit <strong>der</strong><br />

Monoklimaxtheorie wurde auch <strong>der</strong> Klimaxhegriff<br />

selbst zeitweise in Mißkredit gebracht,<br />

und manche Autoren versuchten ihn ganz zu<br />

eliminieren. Das ist jedoch unnötig und wird<br />

jetzt auch nicht mehr befürwortet. Die klimatische<br />

Klimax wird heute ganz ohne hypothetisches<br />

Beiwerk als <strong>der</strong> Vegetationstyp definiert,<br />

<strong>der</strong> essentiell durch das Großklima bestimmt<br />

wird, ohne edaphisch o<strong>der</strong> durch Sukzession<br />

bedingte Modifikationen. Sie ist damit ein Maß<br />

für die aus den vorhandenen pflanzlichen Bausteinen<br />

und den Klimabedingungen resultierende<br />

ökologische Potenz des jeweiligen Wuchsraumes.<br />

Eine noch stärkere begriffliche Abstraktion<br />

liegt bei <strong>der</strong> therm ischen Klimax vor, die<br />

den Klimaxtyp bezeichnet, <strong>der</strong> allein dem Wärmeklima<br />

entspricht bei theoretischer Ausschaltung<br />

von Beeinträchtigungen durch klimatischen<br />

Wassermangel (vgl. S. 108). Die durch<br />

nicht-klimatische Einflüsse definierten Bezeichnungen<br />

biotische Klim ax und Feuerklim ax<br />

wurden schon besprochen.<br />

Daß <strong>der</strong> Klimaxbegriff heute meist in einem<br />

solchen allgemeinen, regional-globalen Sinne<br />

verwendet wird, ist sicher eine Nachwirkung <strong>der</strong><br />

Monoklimaxtheörie. Will man sich auf das End-


66 Vegetation<br />

Stadium konkreter lokaler Sukzessionen beziehen,<br />

so spricht man meist eher von Schlußgesellschaft<br />

o<strong>der</strong> allenfalls Klimaxgesellschaft. Das<br />

einfache Wort „Klimax“ ist dagegen meist eine<br />

Abkürzung für klimatische Klimax, beson<strong>der</strong>s<br />

in häufig benutzten biogeographischen Termini<br />

wie Klimaxdomäne, vgl. im Folgenden.<br />

Verbreitung von Vegetationseinheiten<br />

(Synchoroiogie)<br />

Ähnlich wie die geographische Verteilung <strong>der</strong><br />

Einzelsippen kann man auch die von Vegetationseinheiten<br />

sowohl im Hinblick auf das Areal<br />

<strong>der</strong> einzelnen Einheit als auch auf das Inventar<br />

eines Gebietes hin analysieren. Die Ermittlung<br />

und Darstellung von Vegetationstyp-Arealen<br />

folgt den gleichen Prinzipien wie bei Sippen<br />

(auch eine systematische Kartierung von<br />

Pflanzengesellschaften ähnlich <strong>der</strong> floristischen<br />

ist in manchen Teilen Mitteleuropas schon im<br />

Gange). Den Gebietsfloren entsprechen vegetationskundliche<br />

Monographien, die sämtliche<br />

im Gebiet vorkommenden Vegetationseinheiten<br />

auflisten und beschreiben.<br />

Für die Abgrenzung natürlicher Vegetationsgebiete,<br />

analog den natürlichen Florengebieten<br />

und mit diesen z. T. ineinan<strong>der</strong>fließend (vgl.<br />

S. 89), werden als Kriterien die eben besprochenen<br />

Klimaxphasen herangezogen. Den höchsten<br />

Rang nimmt dabei die thermische Klimax ein,<br />

mit <strong>der</strong>en Hilfe sich (in Verbindung mit <strong>der</strong> Lage<br />

auf <strong>der</strong> Erde und daher nicht rein vegetationskundlich<br />

bestimmt) die thermischen Vegetationszonen<br />

definieren lassen. Innerhalb je<strong>der</strong><br />

dieser Zonen kann die klimatische Klimax je<br />

nach den hygrischen Verhältnissen unterschiedlich<br />

sein; alle Gebiete mit <strong>der</strong>selben klimatischen<br />

Klimax bilden eine Klimaxdomäne o<strong>der</strong> Vegetationsdomäne<br />

(diese umfaßt in einigen Fällen<br />

Abschnitte mehrerer Zonen).


E Einfluß des Menschen auf Flora und Vegetation<br />

Daß <strong>der</strong> Mensch die Pflanzenwelt <strong>der</strong> Erde stark<br />

beeinflußt, weiß heute je<strong>der</strong>. In <strong>der</strong> Allgemeinheit<br />

beschränkt sich dieses Wissen allerdings<br />

weitgehend auf kleine Teilaspekte, und zwar in<br />

erster Linie auf die nachteiligen Wirkungen <strong>der</strong><br />

Milieuverunreinigung. Solche Verunreinigungen<br />

sind nichts Neues: so gibt es schon seit einigenjahrhun<strong>der</strong>ten<br />

Nachrichten über „Rauchschäden“<br />

in Wäl<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> Nähe von Hüttenwerken<br />

u. ä. Anlagen, und auch die Verschmutzung<br />

von Gewässern (vgl. S. 385) hat schon im<br />

vorigen Jahrhun<strong>der</strong>t die Proteste von Fischern<br />

hervorgerufen. Im heutigen großräumigen, über<br />

lokale Störungen hinausgehenden Ausmaße<br />

sind sie aber eine sehr junge Erscheinung, die<br />

erst infolge <strong>der</strong> Uberindustrialisierung in den<br />

letzten Jahrzehnten gravierend geworden ist;<br />

ihre Auswirkung auf Flora und Vegetation <strong>der</strong><br />

Erde ist daher noch gering.<br />

Um so größer sind die Folgen <strong>der</strong>jenigen<br />

menschlichen Aktivitäten, die man als mechanische<br />

EingrifFe im weitesten Sinne zusammenfassen<br />

kann. Diese sind bereits seit vielen Jahrhun<strong>der</strong>ten,<br />

teils seit Jahrtausenden im Gange<br />

und haben dazu geführt, daß heute <strong>der</strong> größte<br />

Teil <strong>der</strong> Vegetationsdecke <strong>der</strong> Erde nicht mehr<br />

natürlich ist und daß auch <strong>der</strong> Florenbestand<br />

vieler Gebiete und die Areale vieler Sippen stark<br />

anthropogen verän<strong>der</strong>t sind. Beide Aspekte, die<br />

Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Flora und die <strong>der</strong> Vegetation,<br />

werden im Folgenden näher analysiert, dies<br />

auch unter dem Gesichtspunkt <strong>der</strong> Korrektur<br />

einiger nicht nur unter Laien verbreiteter Fehleinschätzungen<br />

und Vorurteile.<br />

Die Hauptwirkung <strong>der</strong> mechanischen Eingriffe<br />

besteht in <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> natürlichen<br />

Standortsbedingungen. Von den drei Faktorengmppen,<br />

den klimatischen, edaphischen und<br />

biotischen, sind die Idimatischen hier unbedeutend:<br />

auf das Großldima hat <strong>der</strong> Mensch, zumindest<br />

bisher, keinen wesentlichen Einfluß.<br />

Lediglich mesoklimatische, lokale Abän<strong>der</strong>ungen sind<br />

erkennbar: so ist das Lokalklima z. B. im Zentrum<br />

von Großstädten meist etwas wärmer und trockener<br />

als im Umland, was mancherorts auch eine Zunahme<br />

von Sippen mit entsprechenden Ansprüchen bewirkt<br />

hat.<br />

Die nach häufiger Annahme bereits erfolgten anthropogenen<br />

Än<strong>der</strong>ungen des Großklimas sind hingegen<br />

nicht beweisbar; ihre angeblichen Auswirkungen<br />

lassen sich meist leicht durch an<strong>der</strong>e Ursachen<br />

erklären. So ist z. B. das bekannte Vordringen <strong>der</strong><br />

Wüste in <strong>der</strong> Sahelzone zwar anthropogen bedingt,<br />

aber nicht über eine Beeinflussung des Klimas (vgl.<br />

S. 71).<br />

Mit großer Skepsis sind übrigens auch die Prophezeiungen<br />

über zukünftige anthropogene Klimaän<strong>der</strong>ungen<br />

zu betrachten. Zumindest <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Tagespresse<br />

schon fast als Selbstverständlichkeit gehandelte<br />

Begriff <strong>der</strong> „Klimakatastrophe“ hält einer seriösen<br />

Überprüfung nicht stand. Selbst wenn <strong>der</strong> vorausgesagte<br />

Temperaturanstieg wirklich in <strong>der</strong> vermuteten<br />

Höhe eintreten sollte, ist keineswegs vorherzusehen,<br />

ob seine Folgen negativ o<strong>der</strong> positiv sein werden: es<br />

ist z. B. auch eine Wie<strong>der</strong>annäherung an die im frühen<br />

Tertiär herrschenden weltweit optimalen Klimabedingungen<br />

(vgl. S. 137, 141) denkbar.<br />

Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> edaphischen Bedingungen<br />

sind demgegenüber sehr verbreitet. Hierzu gehören<br />

Bodenverletzungen durch Ackerbau, Torfstich,<br />

Steinbrüche und sonstige A b b au ­<br />

maßnahmen, durch starke Nutzung bedingte<br />

Bodenverdichtung, Erosion und Sedimentation,<br />

Verän<strong>der</strong>ungen des Grundwasserstandes, aber<br />

auch Beeinflussung des Bodenchemismus durch<br />

Exploitation, Düngung o<strong>der</strong> Anreicherung von<br />

Giftstoffen. Alle diese Einflüsse können die Vegetation<br />

und damit auch die Populationsdichte<br />

vieler Sippen stark verän<strong>der</strong>n; da sie aber meist<br />

lokal begrenzt sind, ist ihre Wirkung im großräumigen<br />

Maßstab vergleichsweise gering (außerdem<br />

sind sie häufig nur Folgeerscheinungen<br />

biotischer Än<strong>der</strong>ungen).<br />

Den stärksten Einfluß haben die anthropogenen<br />

Eingriffe in die biotische Umwelt. Vor<br />

allem handelt es sich dabei um den Zugriff auf<br />

die Pflanzenwelt selbst durch differenzierte Nutzung,<br />

För<strong>der</strong>ung, Änbau, Bekämpfung o<strong>der</strong> Beseitigung;<br />

aber auch die positive o<strong>der</strong> negative<br />

Einwirkung auf für die Pflanzen nützliche o<strong>der</strong><br />

schädliche Tiere (zuweilen auch an<strong>der</strong>e Organismen)<br />

kann von Bedeutung sein. Diese Aktivitäten<br />

haben zu großräumiger Modifizierung<br />

und Zerstörung <strong>der</strong> natürlichen Vegetation geführt,<br />

und in <strong>der</strong>en Gefolge kam es dann auch<br />

zu zahlreichen und z. T. sehr umfangreichen Än<strong>der</strong>ungen<br />

von Arealen und Floren.<br />

Zuweilen wurde diskutiert, ob <strong>der</strong> Mensch<br />

selbst zu den biotischen Standortsfaktoren zu<br />

rechnen sei. Diese Frage läßt sich nur differenziert<br />

beantworten. Solange er nur Pflanzen-


68 Einfluß des Menschen auf Flora und Vegetation<br />

material zu seiner Ernährung entnimmt o<strong>der</strong><br />

Diasporen an seinem Körper transportiert, handelt<br />

er nicht an<strong>der</strong>s als an<strong>der</strong>e tierische Lebewesen.<br />

Sowie er aber die Natur mit Hilfe vorgeplanter<br />

Handlungen verän<strong>der</strong>t (z. B. Waldrodung<br />

zum Zwecke des Ackerbaues, Beweidung<br />

von Wäl<strong>der</strong>n mit Herden gezähmter Haustiere,<br />

Transport von Diasporen mit Schiffen über<br />

Ozeane hinweg), hat sein Einfluß eine neue Dimension,<br />

und er ist als ein Agens sui generis<br />

außerhalb <strong>der</strong> natürlichen Standortsfaktoren<br />

anzusehen (vgl. S. 6 ).<br />

1 Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Vegetation<br />

In den meisten heute dichter besiedelten Teilen<br />

<strong>der</strong> Erde ist die natürliche Klimaxformation<br />

Wald. Da dieser zugleich <strong>der</strong> höchstdifferen-zierte<br />

Vegetationstyp ist, gehen wir bei <strong>der</strong> Darstellung<br />

<strong>der</strong> anthropogenen Verän<strong>der</strong>ungen zunächst<br />

vom Walde aus.<br />

Die Beeinflussung des Waldes geschieht auf<br />

zweierlei Weise. Durch Rodung wird er direkt<br />

beseitigt und durch Kulturpflanzen-Bestände,<br />

daneben auch durch Siedlungen, Wege u. ä. ±<br />

vegetationslose Flächen ersetzt. Nicht gerodete<br />

Waldbestände werden durch Waldnutzung verän<strong>der</strong>t.<br />

Historisch und weltweit gesehen handelt<br />

es sich dabei um vielseitige Nutzungen:<br />

neben dem H olzhau spielt vor allem die<br />

Beweidung durch Vieh eine große Rolle, daneben<br />

auch die Entnahme von Viehfutter, von<br />

Bodensubstanz u. a.; hinzu kommen an<strong>der</strong>e<br />

schädliche Einwirkungen, wie fahrlässig o<strong>der</strong><br />

absichtlich verursachte Brände. Neben <strong>der</strong> direkten<br />

Schädigung behin<strong>der</strong>n alle diese Einflüsse<br />

vor allem die Verjüngung. Dauern sie längere<br />

Zeit an, so führen sie zur Verschlechterung des<br />

Waldzustandes und schließlich zur W aldverwüstung,<br />

die gewöhnlich in folgen<strong>der</strong> Form<br />

als absteigende Sukzession vor sich geht:<br />

Schattholzwald (Klimax)<br />

Lichtholzwald (Subklimax)<br />

nL<br />

Offenwald,Gebüsch<br />

Nichtphanerophyten-Vegetation<br />

nL<br />

Vegetationsloser Mineralboden.<br />

Wie weit diese Sukzession im Einzelfall fortschreitet,<br />

hängt einerseits von Art, Intensität und<br />

Dauer <strong>der</strong> Nutzungen ab, an<strong>der</strong>erseits von <strong>der</strong><br />

standortsbedingten Stabilität des Ökosystems.<br />

Das Zusammenwirken bei<strong>der</strong> Eingriffsformen,<br />

Rodung und Waldnutzung, hat dazu geführt,<br />

daß in vielen Erdgegenden, die von Natur<br />

aus bewaldet sind, <strong>der</strong> Wald heute nur noch<br />

einen kleineren Teil <strong>der</strong> Gesamtfläche bedeckt.<br />

Das bedeutet zugleich eine starke Diversifiziemng<br />

(und damit Bereicherung) <strong>der</strong> Vegetationsdecke.<br />

Vor Beginn wirksamer menschlicher<br />

Eingriffe, in <strong>der</strong> Naturlandschaft, gab es (abgesehen<br />

von Extrem- und Son<strong>der</strong>standorten) nur<br />

die Klimax-Waldgesellschaft und Stadien ihrer<br />

Verjüngungssukzession. Nachher, in <strong>der</strong> Kulturlandschaft,<br />

finden sich dann nebeneinan<strong>der</strong><br />

• die Klimaxgesellschaft (räumlich und qualitativ<br />

eingeschränkt)<br />

• Sukzessionsstadien (vermehrt und ausgeweitet)<br />

• neue, anthropogene Vegetationstypen<br />

• vegetationsfreie Flächen (= anthropogene<br />

Wüsten).<br />

Es existieren also im gleichen Wuchsraum Flächen<br />

mit Vegetation von sehr unterschiedlicher<br />

„Naturnähe“ Seite an Seite; dabei zeigen auch<br />

die als anthropogen zusammengefaßten Vegetationstypen<br />

(Ersatzgesellschaften) untereinan<strong>der</strong><br />

noch große Unterschiede bezüglich ihrer Verwandtschaft<br />

mit <strong>der</strong> Klimaxvegetation. Es hat<br />

daher nicht an Versuchen gefehlt, den Grad <strong>der</strong><br />

Natürlichkeit <strong>der</strong> Vegetation (bzw. allgemein des<br />

Standortes) zu klassifizieren. Die bekannteste<br />

<strong>der</strong>artige Klassifikation arbeitet mit dem Begriff<br />

<strong>der</strong> Hemerobie, worunter die integrierte Wirkung<br />

aller direkten und indirekten menschlichen<br />

Einflüsse verstanden wird. Gewöhnlich unterscheidet<br />

man 6 H em erobiegrade (Tab. 16).<br />

Dieses System wurde in Europa entwickelt und<br />

bisher auch nur hier benutzt; es läßt sich aber<br />

problemlos auch weltweit anwenden.<br />

Während oligohemerobe Standorte nur leichte<br />

quantitative Verän<strong>der</strong>ungen im Rahmen <strong>der</strong><br />

Klimaxvegetation zeigen, liegen bei den höheren<br />

Hemerobiegraden meist Vegetationstypen<br />

vor, die ganz an<strong>der</strong>en Formationen angehören.<br />

Die stark verän<strong>der</strong>ten Standortsbedingungen<br />

(z. B. fehlende Beschattung) im meso- und euhemeroben<br />

Bereich führen zu einer Auslese im<br />

Pflanzenbestand <strong>der</strong> natürlichen Vegetation:<br />

empfindlichere Sippen, die Hemerophoben,


Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Vegetation 69<br />

Tab. 16: System <strong>der</strong> Hemerobiegrade.<br />

Erläutert nach mitteleuropäischen Kriterien. - Nach J alas 1955 und Sukopp etc. 1976.<br />

Hemerobiegrad Menschlicher Einfluß Pflanzendecke<br />

0 Ahemerob fehlend natürlich<br />

I Oligohemerob schwach, episodisch nur quantitativ verän<strong>der</strong>t<br />

(z. B. erhöhter Anteil von<br />

Nichtklimaxstadien <strong>der</strong><br />

natürliche zyklischen<br />

Sukzession)<br />

Natürliche<br />

Vegetation<br />

2 Mesohemerob stärker,<br />

- entwe<strong>der</strong>:<br />

regelmäßig, indirekt<br />

- o<strong>der</strong>:<br />

episodisch, direkt<br />

3 Euhemerob stark, regelmäßig, direkt<br />

- Aussaat, Düngung, Ernte<br />

- mehrfache Mahd,<br />

Düngung<br />

- intensive Beweidung<br />

„Halbkuhurgesellschaften“<br />

- z. B. Magerrasen<br />

(Wiesen, Weiden),<br />

Heiden<br />

- z. B. Nadelholzforsten<br />

im natürlichen<br />

Laubholzgebiet<br />

„Vollkulturgesellschaften"<br />

- Äcker<br />

- rationell genutzte Wiesen<br />

- rationell genutzte Weiden<br />

Anthropogene<br />

Vegetation<br />

4 Polyhemerob sehr stark und permanent<br />

- Ru<strong>der</strong>alisierung<br />

- überhöhte Düngung,<br />

Herbizidanwendung<br />

5 Metahemerob total und letal<br />

(Boden versiegelt/vergiftet)<br />

- Ru<strong>der</strong>algesellschaften<br />

- Kulturpflanzen-Reinbestände<br />

fehlend<br />

Anthropogene<br />

Wüste<br />

verschwinden, und nur robustere mit weiterer<br />

Standortsamplitude, die Hemerophilen, bleiben<br />

erhalten. Solche Hemerophilen, die auch<br />

auf anthropogenen, von ihrem natürlichen Habitat<br />

stark abweichenden Standorten noch wachsen<br />

können und dort u. U. sogar geför<strong>der</strong>t werden,<br />

heißen auch Apophyten. Neben den Apophyten<br />

enthält die anthropogene Vegetation, vor<br />

allem unter euhemeroben Bedingungen, meist<br />

einen ± großen Anteil an Arten von Extremstandorten<br />

sowie an Anthropochoren, d. h. Sippen,<br />

die aus an<strong>der</strong>en Florengebieten zugewan<strong>der</strong>t<br />

sind (vgl. S. 74). Im polyhemeroben Bereich,<br />

wo infolge <strong>der</strong> extremen Bedingungen die<br />

Gesamtartenzahl stark vermin<strong>der</strong>t ist, ist <strong>der</strong> Anteil<br />

<strong>der</strong> beiden letztgenannten Gmppen prozentual<br />

(nicht absolut) beson<strong>der</strong>s hoch, während<br />

Apophyten kaum noch auftreten.<br />

Die Formationen, zu denen die anthropogenen<br />

Ersatzgesellschaften gehören, sind meist<br />

solche, die unter an<strong>der</strong>en, extremeren Bedingungen<br />

auch in <strong>der</strong> Natur Vorkommen. Dabei haben<br />

vor allem mesohemerobe Bestände oft große<br />

Ähnlichkeit mit solchen <strong>der</strong> natürlichen Formation,<br />

was in <strong>der</strong> Vergangenheit dazu geführt<br />

hat, daß manche anthropogenen Vegetationstypen<br />

lange Zeit nicht als solche erkannt, son<strong>der</strong>n<br />

für natürlich gehalten wurden (auch heute<br />

gibt es in dieser Hinsicht noch ungeklärte Fälle).<br />

Mit zunehmendem Hemerobiegrad werden<br />

die Übereinstimmungen geringer, so daß euhemerobe<br />

Bestände oft nur noch formal und<br />

polyhemerobe z. T. gar nicht mehr zugeordnet<br />

werden können.<br />

Abweichungen vom Naturzustand gibt es aber auch<br />

schon bei den Resten des Klimaxwaldes, die in <strong>der</strong>


70 Einfluß des Menschen auf Flora und Vegetation<br />

Kulturlandschaft noch vorhanden sind. Auch wenn<br />

solche Wäl<strong>der</strong> nur <strong>der</strong> Holznutzung dienen und nach<br />

dem Prinzip <strong>der</strong> Nachhaltigkeit bewirtschaftet werden<br />

(was weltweit gesehen nur sehr kleinflächig <strong>der</strong> Fall<br />

ist), werden sie meist in <strong>der</strong> Baumschicht modifiziert,<br />

indem bestimmte, wirtschaftlich erwünschte Baumarten<br />

in ihrem Anteil an <strong>der</strong> Bestockung erhöht o<strong>der</strong><br />

auch aus an<strong>der</strong>en Beständen, Wuchsräumen o<strong>der</strong> Florengebieten<br />

neu eingebracht werden. Wäl<strong>der</strong>, die dadurch<br />

in <strong>der</strong> Zusammensetzung ihrer Baumschicht<br />

essentiell verän<strong>der</strong>t sind, bezeichnet man als Forsten;<br />

sie entsprechen meist, vor allem wenn zusätzlich eine<br />

Än<strong>der</strong>ung des Formationstyps erfolgt ist (z. B. durch<br />

Einbringung von Nadelhölzern in Laubwäl<strong>der</strong>), dem<br />

Hemerobiegrad 2. Forsten, die überwiegend aus am<br />

Wuchsorte nicht einheimischen Baumarten bestehen,<br />

werden oft nicht als „Vegetation“ akzeptiert, son<strong>der</strong>n<br />

als etwas grundsätzlich Verschiedenes („Holzplantagen“)<br />

deklariert. Das ist insofern unlogisch, als die<br />

Pflanzenbestände auf den insgesamt viel naturferneren<br />

Äckern durchaus als Vegetationstypen klassifiziert<br />

werden. Ursache dieser Ungleichbehandlung ist wohl,<br />

daß z. B. die in Mitteleuropa häufigen künstlichen<br />

Fichten-Reinbestände wegen zu kurzer Umtriebszeiten<br />

nur selten das Alter einer „ausgereiften“ Waldgesellschaft<br />

erreichen, son<strong>der</strong>n oft schon eingeschlagen werden,<br />

wenn das Bestandesinnere noch so dunkel ist,<br />

daß kaum ein Unterwuchs aufkommen kann. Läßt<br />

man sie alt genug - und damit lichtreicher - werden,<br />

so entwickeln sie eine charakteristische Krautschicht,<br />

die sich von <strong>der</strong> natürlicher Fichtenwäl<strong>der</strong> kaum unterscheidet.<br />

ln den Tropen kann die Bezeichnung<br />

Holzplantage allerdings angemessen sein, wenn<br />

schnellwüchsige Baumarten (z. B. Eucalyptus) mit Umtriebszeiten<br />

von 10 Jahren und weniger bewirtschaftet<br />

werden.<br />

Die Formation des Graslandes i. w. S. ist in <strong>der</strong><br />

anthropogenen Vegetation durch Savannen (in den<br />

Tropen) sowie Heiden, Weiden und Wiesen (in den<br />

gemäßigten Zonen) vertreten. Zumindest die mesohemeroben<br />

unter ihnen können als anthropogene<br />

Spontanvegetation gelten: sie sind infolge <strong>der</strong> Beseitigung<br />

<strong>der</strong> Baumschicht (durch Holzhau, Beweidung,<br />

Brand) von selbst entstanden, und sie werden durch<br />

regelmäßige, aber relativ extensive Nutzung (Beweidung<br />

und z. T. gezielt angelegte Brände; Mahd nur in<br />

Gebieten mit ungünstiger Jahreszeit) erhalten. Als<br />

Spontanvegetation zeigen sie oft eine große biologische<br />

Vielfalt, die heute häufig durch Intensivierungsmaßnahmen<br />

gefährdet ist: entwe<strong>der</strong> werden sie in eubis<br />

polyhemerobe Intensivkulturen umgewandelt, o<strong>der</strong><br />

die Nutzung wird ganz aufgegeben, so daß eine Wie<strong>der</strong>bewaldung<br />

eintritt. Die Erhaltung solcher Halbkulturgesellschaften,<br />

sowohl aus Gründen des Artenschutzes<br />

als auch <strong>der</strong> Landschaftsdiversität, ist heute<br />

eine wichtige, aber oft schwer zu lösende Aufgabe für<br />

den Naturschutz.<br />

ln <strong>der</strong> anthropogenen Vegetation gibt es schließlich<br />

auch Vegetationstypen, die <strong>der</strong> Formation <strong>der</strong><br />

Halbwüsten ähneln. Hierher gehören vor allem die<br />

traditionell bewirtschafteten, euhemeroben Getreidefel<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> gemäßigten Zonen. Die hier angebauten<br />

Kulturpflanzen entstammen einer speziellen Ausbildung<br />

<strong>der</strong> Halbwüste, den in Vor<strong>der</strong>- und Mittelasien<br />

verbreiteten Löß-Halbwüsten (vgl. S. 295). ln die künstlich<br />

angesäten Bestände dieser einjährigen Kulturgräser<br />

haben sieb als Unkräuter viele an<strong>der</strong>e Annuelle<br />

eingeglie<strong>der</strong>t, die zu einem erheblichen Teil aus demselben<br />

natürlichen Vegetationstyp stammen. Auch hier<br />

besteht heute eine starke Gefährdung durch die Intensiviemng<br />

<strong>der</strong> Landwirtschaft. Floristische Verwandtschaft<br />

mit Halbwüsten-Vegetation zeigen übrigens<br />

auch polyhemerobe Ru<strong>der</strong>albestände, die aber im<br />

Bereich von Waldklimaten sehr viel dichter sind als<br />

in einer echten, natürlichen Halbwüste.<br />

H ört irgendwo in <strong>der</strong> Kulturlandschaft <strong>der</strong><br />

menschliche Einfluß auf, so beginnt sofort die<br />

Rückentwicklung (aufsteigende Sukzession) in<br />

Richtung auf die natürliche Klimaxgesellschaft.<br />

Diese entspricht, zumindest auf Formationsrang,<br />

normalerweise <strong>der</strong> vor dem Eingreifen des Menschen<br />

vorhanden gewesenen ursprünglichen<br />

Vegetation. Doch ist sie damit im Detail oft<br />

nicht ganz identisch, und zwar dann, wenn die<br />

menschliche Tätigkeit irreversible Verändemngen<br />

<strong>der</strong> natürlichen Umweltbedingungen hervorgerufen<br />

hat. Diese können z. B. bestehen in<br />

• Bodenerosion, -abtrag o<strong>der</strong> -aufschüttung<br />

• Än<strong>der</strong>ung des Grundwasserspiegels<br />

• Verschwinden o<strong>der</strong> Neuauftreten von Pflanzensippen.<br />

Man nennt daher den Vegetationstyp, <strong>der</strong> sich<br />

an einem gegebenen Ort als Endstadium <strong>der</strong><br />

Sukzession voraussichtlich entwickeln würde,<br />

wenn alle menschlichen Tätigkeiten vollständig<br />

und endgültig aufhörten, die potentielle natürliche<br />

Vegetation (Tüxen 1956). Die potentielle<br />

natürliche Vegetation kann als Maß für die aktuelle<br />

Kapazität des Wuchsortes angesehen werden;<br />

da eine reale natürliche Vegetation vielerorts<br />

nicht mehr existiert, ist sie das eigentliche<br />

Kartierungsobjekt auf Karten, die die natürliche<br />

Vegetation darstellen sollen.<br />

Bisher wurden die anthropogenen Einflüsse<br />

vor allem im Hinblick auf natürliche Waldgebiete<br />

diskutiert. Es bleibt noch zu überlegen,<br />

wie sie sich auf natürliche Nichtwald-Vegetation<br />

auswirken. Gmnd für natürliche, klimatisch<br />

bedingte Waldfreiheit ist eine zu geringe Nettoproduktion<br />

infolge Wärme- o<strong>der</strong> Wasserman-


Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Pflanzenverbreitung 71<br />

gels. Es ist leicht einzusehen, daß unter solchen<br />

Bedingungen eine menschliche Nutzung, die ja<br />

mit <strong>der</strong> Entnahme von Biomasse verbunden ist,<br />

nur bei größter Vorsicht unschädlich sein kann.<br />

Jede Übernutzung bringt die Gefahr einer<br />

Degradation in Richtung Wüste mit sich. Ein<br />

bekanntes Beispiel hierfür ist die Sahelzone. Hier<br />

ist die Wüste seit langem in Ausbreitung begriffen,<br />

weil permanent mehr Biomasse entnommen<br />

wird als unter den herrschenden Klimabedingungen<br />

nachwachsen kann.<br />

durch direkte Mithilfe bei <strong>der</strong> Ausbreitung<br />

(Abb. 31).<br />

Während <strong>der</strong> zweite Faktor naturgemäß nur<br />

positiv wirkt (s. unter 2 b), ist <strong>der</strong> erste ambivalent;<br />

dieselbe Än<strong>der</strong>ung kann für manche Sippen<br />

nachteilig, für an<strong>der</strong>e günstig sein. Der zunächst<br />

nur die lokale Populationsdichte beeinflussende<br />

Unterschied zwischen hemerophobem<br />

und hemerophilem Verhalten (vgl. S. 6 8 )<br />

kann schließlich auch zu entsprechen<strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Arealgestalt führen.<br />

2 Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong><br />

Pflanzenverbreitung<br />

a<br />

Verkleinerung von Arealen,<br />

Gefährdung<br />

Auf die Pflanzenverbreitung kann sich <strong>der</strong><br />

menschliche Einfluß gleichermaßen negativ<br />

o<strong>der</strong> positiv auswirken, d. h. es sind sowohl Verkleinerungen<br />

- bis hin zum Aussterben - als<br />

auch Ausweitungen von Arealen bekannt. Die<br />

Einwirkung erfolgt auf zwei unterschiedlichen<br />

Wegen: einerseits synökologisch durch die besprochene<br />

Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Standortsbedingungen,<br />

an<strong>der</strong>erseits verbreitungsökologisch<br />

Der anthropogene Rückgang einer Pflanzensippe<br />

vollzieht sich in mehreren Schritten<br />

(Abb. 31). Erste Folge negativer Einwirkungen<br />

ist eine Abnahme <strong>der</strong> Populationsdichte. Nimmt<br />

diese Verdünnung stärkere Ausmaße an, so kann<br />

es in den Randbereichen des Areals, wo die<br />

Dichte meist ohnehin geringer ist, zum völligen<br />

Verschwinden kommen, d. h. zu einem Zurückweichen<br />

<strong>der</strong> Arealgrenze; zugleich können<br />

Einfluss des Menschen auf die Pflanzenverbreitung<br />

/<br />

\<br />

Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Standortbedingungen Mithilfe bei <strong>der</strong><br />

Ausbreitung<br />

/<br />

negativ<br />

/<br />

Arealverdünnung<br />

i<br />

Arealverkleinerung<br />

i<br />

Gefährdung<br />

i<br />

Aussterben<br />

\<br />

positiv<br />

\<br />

Arealverdichtung<br />

(Standorts-)<br />

Arealausweitung, =<br />

Anthropochohe<br />

(Transport-)<br />

Verarmung <strong>der</strong> Flora<br />

Bereicherung <strong>der</strong> Flora<br />

Abb. 31: Die Wirkung <strong>der</strong> menschlichen Tätigkeit auf die Verbreitung von Pflanzensippen ist ambivalent.


72 Einfluß des Menschen auf Flora und Vegetation<br />

M<br />

im Inneren so große Lücken entstehen, daß <strong>der</strong><br />

Genaustausch eingeschränkt wird (innere Disjunktion).<br />

Weitere Fortsetzung des Rückganges<br />

fuhrt zur Zerschlagung des Areals in disjunkte<br />

Reliktvorkommen, womit eine akute Gefährdung<br />

gegeben ist; <strong>der</strong> letzte Schritt bis zum<br />

Aussterben ist dann nicht mehr weit.<br />

Bei <strong>der</strong> großen Mehrzahl <strong>der</strong> Pflanzenarten<br />

ist diese Entwicklung bisher höchstens bis zur<br />

2. Stufe gegangen: also eine Vermindemng <strong>der</strong><br />

Siedlungsdichte im Innern und eine gewisse<br />

Schrumpfung des Areals an den Rän<strong>der</strong>n. Diese<br />

marginale Schrumpfung ist zwar im Vergleich<br />

zum Gesamtareal meist unbedeutend, sie kann<br />

aber im regionalen Bereich doch recht auffällig<br />

sein und, wenn sie in einem Florengebiet bei<br />

vielen Sippen zugleich stattfmdet, zu einer erheblichen<br />

Verarmung <strong>der</strong> Flora führen. Eine<br />

solche tatsächliche o<strong>der</strong> zu befürchtende Verarmung<br />

wird heute für viele Teile <strong>der</strong> Erde durch<br />

die sog. Roten Listen dokumentiert.<br />

Solche Listen liegen vor allem aus floristisch gut erforschten<br />

Gebieten Europas und Nordamerikas, aber<br />

auch aus manchen Teilen <strong>der</strong> Südhalbkugel vor. Sie<br />

führen alle Arten auf, für die ein Rückgang gegenüber<br />

früher nachgewiesen (durch Vergleich früherer Fundortsangaben<br />

aus Literatur und Herbarien mit dem<br />

heutigen Vorkommen) o<strong>der</strong> für die Zukunft wahrscheinlich<br />

ist (z. B. weil die Sippe beson<strong>der</strong>s gefährdete<br />

Standortstypen besiedelt o<strong>der</strong> schon von Natur<br />

aus beson<strong>der</strong>s selten ist). Gewöhnlich wird <strong>der</strong> Grad<br />

<strong>der</strong> Gefährdung in einer meist Sstufigen Skala angegeben<br />

(Tab. 17). Die Definition <strong>der</strong> Skalenstufen wird<br />

allerdings regional etwas unterschiedlich gehandhabt,<br />

beson<strong>der</strong>s bei dem untersten (potentiellen) Gefahrdungsgrad,<br />

<strong>der</strong> je nach den subjektiven Meinungen<br />

<strong>der</strong> Bearbeiter sehr eng o<strong>der</strong> sehr weit gefaßt sein kann.<br />

Infolgedessen ist ein direkter Vergleich von Roten<br />

Listen verschiedener Gebiete oft problematisch; vor<br />

allem gilt das für die Angaben über den Prozentsatz<br />

<strong>der</strong> Gefährdung <strong>der</strong> Gesamtflora, wenn dieser aus <strong>der</strong><br />

Zahl aller in <strong>der</strong> Liste genannten Arten berechnet wird.<br />

Für den <strong>der</strong>zeitigen Rückgang <strong>der</strong> Artenvielfalt<br />

in vielen Florengebieten können zwei Hauptursachen<br />

verantwortlich gemacht werden. In den<br />

dichtbesiedelten alten Kulturlän<strong>der</strong>n ist es die<br />

Intensivierung (bis hin zur Industrialisiemng)<br />

<strong>der</strong> Landwirtschaft, durch die viele hemerophile<br />

Sippen zurückgedrängt werden. In Gebieten, wo<br />

unbeeinflußte natürliche Vegetation (insbeson<strong>der</strong>e<br />

natürlicher Wald) bisher noch in größerem<br />

Ausmaße vorhanden war, führt <strong>der</strong>en rapide<br />

zunehmende Zerstörung vor allem zur Abnahme<br />

von Hemerophoben; hier kann es dann<br />

u. U. zur essentiellen Gefährdung mancher Sippen<br />

kommen.<br />

Insgesamt ist die akute Gefährdung einer<br />

Pflanzenart als solcher bisher aber noch eine<br />

relativ seltene Ausnahme. Zu betonen ist <strong>der</strong><br />

große Unterschied, <strong>der</strong> in dieser Hinsicht zwischen<br />

Pflanzen und Tieren besteht: bei vielen<br />

Tiergruppen (z. B. Säugetiere und Vögel) ist<br />

Tab. 17: Beispiele für Rote Listen für Gefäßpflanzen in Mitteleuropa.<br />

Anteile <strong>der</strong> Gefährdungsgrade in % <strong>der</strong> Gesamtflora. Nisa Nie<strong>der</strong>sachsen (Garve 1993), D Deutschland (D.A.<br />

1996), GH Schweiz (Landolt 1991). Definition <strong>der</strong> Gefährdungsgrade entsprechend Garve (in <strong>der</strong> Schweiz<br />

etwas abweichend).<br />

• -JA^<br />

' J.\<br />

Gefährdungsgrad Nisa D CH<br />

0 Ausgestorben o<strong>der</strong> Verschollen 5,5 1,6 2,9<br />

1 Vom Aussterben bedroht<br />

(nur noch in geringen, kaum überlebensfähigen<br />

Restpopulationen vorhanden)<br />

10,1 4,1<br />

2 Stark gefährdet<br />

(in starkem Rückgang begriffen, vielerorts schon 12,9 9,7<br />

verschwunden)<br />

\ 12,2<br />

3 Gefährdet<br />

(allgemein zurückgehend) 13,6 13,7 9,2<br />

0-3 zusammen: „Aktuell gefährdet“ 42,1 29,1 24,3<br />

4 Potentiell gefährdet<br />

(infolge genereller Seltenheit; aktuell aber nicht bedroht) 3,6 3,9 8,2<br />

Gesamt-Artenzahl im Florengebiet 1704 2747 2696


Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Pflanzenverbreitung 73<br />

heute ein großer Teil <strong>der</strong> Arten akut gefährdet.<br />

Der Grund für die unterschiedliche Gefährdung<br />

von Tieren und Pflanzen ist leicht einzusehen:<br />

die Gesamt-Individuenzahl einer Art ist bei Säugern<br />

und Vögeln im Durchschnitt um Zehnerpotenzen<br />

kleiner, das zum Überleben notwendige<br />

„Revier“ um Zehnerpotenzen größer als bei<br />

höheren Pflanzen. (Die benötigte Grundfläche<br />

pro Individuum liegt selbst bei einem 100 m<br />

hohen Mammutbaum in <strong>der</strong> Größenordnung<br />

von m’^, bei Großsäugern und Vögeln hingegen<br />

von ha, ja km^.) Theoretisch läßt sich leicht Vorhersagen,<br />

welcherart Pflanzensippen in beson<strong>der</strong>em<br />

Maße gefährdet sein dürften: es sind solche<br />

mit extrem kleinem Areal, und solche mit<br />

zwar größerem Areal, aber sehr geringer Arealausfüllung.<br />

Also einerseits konkurrenzschwache<br />

„Endemiten“, an<strong>der</strong>erseits ökologische Spezialisten<br />

mit sehr enger Standortsamplitude (beide<br />

Gmppen sind übrigens auch bei natürlichen<br />

Umweltverän<strong>der</strong>ungen stark gefährdet). Dementsprechend<br />

ist <strong>der</strong> Anteil gefährdeter Arten<br />

in endemitenreichen Gebieten beson<strong>der</strong>s hoch:<br />

für die Hawaii-Inseln werden 50 % angegeben<br />

(SuKOPP etc. 1976), für Südafrika 20 % (Hall etc.<br />

1984, D avis etc. 1986). Demgegenüber ist <strong>der</strong><br />

Prozentsatz in Mitteleuropa praktisch Null.<br />

Die letzte Aussage steht nur scheinbar im Wi<strong>der</strong>spruch<br />

zu den Angaben in den Roten Listen. Diese beziehen<br />

sich allein auf den Status <strong>der</strong> darin genannten Arten<br />

im jeweiligen Florengebiet. Bei vielen Laien haben sie<br />

jedoch zu Mißverständnissen geführt, indem die Gefährdungskategorien<br />

als absolut verstanden wurden;<br />

das gilt beson<strong>der</strong>s für den den Anschein <strong>der</strong> Endgültigkeit<br />

erweckenden Begriff des „Aussterbens“. Wenn<br />

in Nie<strong>der</strong>sachsen (Tab. 17) 10,1 % <strong>der</strong> Arten „vom<br />

Aussterben bedroht“ sind, dann drückt das die Befürchtung<br />

aus, daß diese Arten wohl aus <strong>der</strong> Flora<br />

Nie<strong>der</strong>sachsens verschwinden werden; vom tatsächlichen<br />

Aussterben als Art ist jedoch keine von ihnen<br />

bedroht. Sachlich wäre es wohl adäquater, statt von<br />

Aussterben von Verschwinden zu sprechen; die Beibehaltung<br />

des emotionsträchtigen Wortes Aussterben<br />

hat allein politische Gründe. Näheres zu <strong>der</strong> durch<br />

die Roten Listen dokumentierten Florenverarmung in<br />

Mitteleuropa vgl. S. 405.<br />

Wie viele Pflanzenarten weltweit tatsächlich<br />

existenzgefährdet sind, läßt sich schwer schätzen.<br />

Die Internationale Union für Naturschutz<br />

rechnet mit etwa 10 % <strong>der</strong> Gefäßpflanzen, d. h.<br />

ca. 25000 Arten (Sukopp etc. 1976). Nachweisbar<br />

sind solche Zahlen nicht: sie können in<br />

Wirklichkeit viel niedriger, aber auch erheblich<br />

höher sein. In <strong>der</strong> endemitenarmen und zugleich<br />

floristisch gut erforschten Holarktis kommen nur<br />

einige 100 deutlich vom Aussterben bedrohte<br />

Arten zusammen; in <strong>der</strong> südlichen gemäßigten<br />

Zone liegt die Zahl wahrscheinlich höher. Ganz<br />

unübersichtlich ist die Situation aber in den<br />

Tropen, denn viele tropische Gebiete sind<br />

taxonomisch noch sehr ungenügend erforscht.<br />

Man kennt hier noch nicht einmal die Arten<br />

richtig - umso weniger kann man Aussagen<br />

machen über ihre Areale o<strong>der</strong> eine eventuelle<br />

Gefährdung. Nur indirekt legt die Zerstörung<br />

immer größerer Teile <strong>der</strong> tropischen Wäl<strong>der</strong> die<br />

Befürchtung nahe, daß dadurch auch viele Arten<br />

verloren gehen dürften.<br />

Abschließend seien hier noch einige Beispiele<br />

von tatsächlich erfolgtem bzw. kurz bevorstehendem<br />

Aussterben besprochen.<br />

Santalum fernandezianum. Chilenischer Sandelholzbaum.<br />

Endemit <strong>der</strong> nur 185 km^ großen Juan-Fernändez-Inseln,<br />

spielte dort früher in <strong>der</strong> Waldvegetation<br />

eine wichtige Rolle. Wegen seines wertvollen Holzes<br />

wurde er im 17. und 18. Jahrhun<strong>der</strong>t vollständig<br />

exploitiert und gilt seit über 100 Jahren als ausgestorben.<br />

Abies nebrodensis, Sizilianische Tanne. Endemit <strong>der</strong><br />

Gebirgshochlagen in Nordsizilien westlich des Ätna.<br />

Durch die seit vielen Jahrhun<strong>der</strong>ten andauernde Waldverwüstung<br />

extrem dezimiert, so daß heute nur noch<br />

wenige Einzelexemplare vorhanden sind. Neuerdings<br />

forstliche Versuche zur Rettung, aber bisher wenig erfolgreich.<br />

Saxifraga oppositifolia ssp. amphibia, Bodensee-Steinbrech.<br />

Dieser morphologisch etwas abweichende Ökotyp<br />

<strong>der</strong> arktisch-alpin weit verbreiteten Art hat sich<br />

wohl im Umkreis <strong>der</strong> Eiszeit entwickelt. Früher an<br />

flachen, steinigen Ufern des Bodensees und einiger<br />

benachbarter Seen vorkommend, wurde er durch Eutrophierung<br />

und mechanische Beschädigung weitgehend<br />

vernichtet; heute nur noch 1 Fundort bekannt<br />

(eines <strong>der</strong> wenigen Beispiele für das wirkliche Aussterben<br />

einer Sippe in Mitteleuropa).<br />

Castanea dentata. Amerikanische Edelkastanie. Im<br />

Gegensatz zu den bisher genannten, typisch „endemitischen“<br />

Sippen handelt es sich hier um den seltenen<br />

Fall, daß eine Art mit weiter Verbreitung und teils<br />

dominieren<strong>der</strong> Stellung in <strong>der</strong> Vegetation so gut wie<br />

ausgerottet wurde. Castanea dentata war eine <strong>der</strong><br />

Hauptbaumarten auf ärmeren Böden in einem großen<br />

Teil <strong>der</strong> ost-nordamerikanischen Sommerwaldregion<br />

(vgl. S. 264). Mit Jungpflanzen <strong>der</strong> verwandten<br />

japanischen Art C. crenata, die um 1900 in den botanischen<br />

Garten New York gelangten, wurde <strong>der</strong> parasitische<br />

Pilz Endothia parasitica nach Amerika eingeschleppt,<br />

gegen den C. crenata zwar resistent ist, nicht<br />

aber C. dentata. Von New York ausgehend, breitete<br />

Endothia sich epidemisch aus, und schon gegen Ende


74 Einfluß des Menschen auf Flora und Vegetation<br />

><br />

<strong>der</strong> 40er Jahre waren auch die südlichsten Teile des<br />

Kastanienareals in Georgia befallen. Durch Verstopfung<br />

<strong>der</strong> Leitungsbahnen bringt <strong>der</strong> Pilz die Bäume<br />

zum Absterben; da Castanea sehr regenerationsfähig<br />

ist, entstanden anfangs häufig noch Stockausschläge,<br />

doch wurden diese bald erneut befallen, so daß von<br />

<strong>der</strong> Art heute nur noch geringe Reste <strong>der</strong> Population<br />

vorhanden sind und ihr Überleben zweifelhaft ist (vgl,<br />

W oods etc. 1959).<br />

b<br />

Vergrößerung von Arealen:<br />

Anthropochorie<br />

Insgesamt ist festzustellen, daß die Vergrößening<br />

von Arealen durch menschliche Tätigkeit his-A<br />

her zumindest räumlich viel bedeuten<strong>der</strong> ist als<br />

die Verkleinerung. Vielen Sippen ist durch den<br />

Menschen eine gewaltige Ausweitung ihres Areals<br />

ermöglicht worden, wodurch zugleich die<br />

Artenzahl in vielen Florengebieten stark vermehrt<br />

wurde. Diese Erscheinungen werden als<br />

Anthropochorie zusammengefaßt.<br />

Nicht unter diesen Begriff fallt es, wenn <strong>der</strong> Mensch<br />

sich z. B. im Sinne <strong>der</strong> Endo- o<strong>der</strong> Epizoochorie betätigt.<br />

Er bezieht sich vielmehr nur auf solche Ausbreitungshilfen,<br />

die aus einer spezifisch menschlichen<br />

Tätigkeit resultieren. Manche Autoren sprechen stattdessen<br />

auch von Hemerochorie; besser (so auch hier)<br />

wird dieses Wort aber auf die Fälle absichtlicher Einführung<br />

(d. h. auf Ergasiophyten -I- Ergasiophygophyten,<br />

vgl. Tab. 18) beschränkt, was sprachlich richtiger<br />

ist (griech. hemeros = zahm). Auch das Wort<br />

Synanthropie wird oft im Sinne von Anthropochorie<br />

benutzt; dies ist aber eigentlich ein Begriff mit weiterer<br />

Bedeutung, <strong>der</strong> auch die Apophyten mit umfaßt.<br />

Anthropochor sind also alle Pflanzensippen,<br />

die ein bestimmtes Florengebiet nur infolge<br />

menschlicher Tätigkeit erreicht haben. Sippen,<br />

die ohne menschliches Zutun anwesend sind,<br />

heißen demgegenüber idiochor. Im Gegensatz<br />

zu Begriffen wie endozoochor, anemochor usw.,<br />

die mit ± festliegenden Anpassungen <strong>der</strong> Pflanzen<br />

verbunden sind, sind diese beiden Termini<br />

relativ: sie beziehen sich jeweils allein auf das<br />

Verhalten einer Sippe in einem bestimmten,<br />

definierten Gebiet. Irgendwo auf <strong>der</strong> Erde ist<br />

jede Sippe idiochor (es sei denn, sie ist selbst<br />

anthropogen, vgl. S. 79).<br />

Vorgang <strong>der</strong> Ausbreitung<br />

Grundlage für die Möglichkeit <strong>der</strong> Anthropochorie<br />

ist die Tatsache, daß die meisten Sippen<br />

ihr potentielles Areal nicht voll besiedeln konnten,<br />

weil sie daran durch Ansiedlungshin<strong>der</strong>nisse<br />

o<strong>der</strong> Verbreitungsschranken gehin<strong>der</strong>t wurden<br />

(vgl. S. 45; Abb. 20, S, 44); in dem tatsächlich<br />

besiedelten realen natürlichen Areal sind sie<br />

idiochor. Vielen hat <strong>der</strong> Mensch nun geholfen,<br />

sich in bisher unbesiedelte Teile ihres potentiellen<br />

Areals auszubreiten; es kommen also anthropogene<br />

Arealteile hinzu. Demzufolge kann<br />

man die Flora in jedem Florengebiet in idiochore<br />

(alteinheimische) und anthropochore (adventive)<br />

Florenelemente einteilen; die letzteren lassen<br />

sich noch nach verschiedenen Gesichtspunkten<br />

weiter differenzieren.<br />

Die Hilfe des Menschen bei <strong>der</strong> Arealvergrößerung<br />

kann auf dreierlei Weise vor sich gehen<br />

(Abb. 32):<br />

(1) Die menschlichen Einwirkungen sind dieselben<br />

wie bei <strong>der</strong> Arealverkleinerung; Verän<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> edaphischen und vor allem<br />

<strong>der</strong> biotischen Standortsfaktoren. Wie erwähnt,<br />

ist <strong>der</strong>en Wirkung ambivalent: so<br />

nimmt z. B. die Zerstörung von Wäl<strong>der</strong>n<br />

hemerophoben Schattenpflanzen die Existenzmöglichkeit,<br />

beseitigt dagegen ein Ansiedlungshin<strong>der</strong>nis<br />

für hemerophile Lichtpflanzen.<br />

Die Beseitigung von Ansiedlungshin<strong>der</strong>nissen<br />

bewirkt zunächst die Erhöhung<br />

<strong>der</strong> Siedlungsdichte im bestehenden<br />

Areal, kann aber auch zur Arealvergrößerung<br />

führen. In einem so besiedelten neuen<br />

Arealteil ist die Sippe allerdings darauf<br />

angewiesen, daß <strong>der</strong> Mensch die biotischen<br />

Ansiedlungshin<strong>der</strong>nisse dauernd fernhält;<br />

tut er das nicht, so wird sie auf die Dauer<br />

wie<strong>der</strong> verschwinden. Sie ist also auch nach<br />

<strong>der</strong> Ansiedlung im neuen Arealteil weiterhin<br />

vom Menschen abhängig und hält sich<br />

nur in anthropogener Vegetation. Die Hilfe<br />

des Menschen ist hier also indirekt und<br />

andauernd, die Ansiedlung reversibel; dieser<br />

Modus <strong>der</strong> Hilfeleistung sei hier als<br />

S tandorts-A nthropochorie bezeichnet.<br />

Florenelemente, die in dieser Weise vom<br />

Menschen abhängen, heißen Epökophyten<br />

(Kulturabhängige).


Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Pflanzenverbreitung 75<br />

X<br />

(T) Standorts-Anthropochorie<br />

(I)j(3) Transport-Anthropochorie<br />

Abb. 32: Mithilfe des M enschen hei <strong>der</strong> Ausbreitung und Status einer Pflanzensippe in verschiedenen<br />

Arealteilen (vgl. Abb. 20, S. 44).<br />

(2) Der Mensch hilft beim Überspringen von<br />

Verbreitungsschranken. Durch den Weltverkehr<br />

werden heute Diasporen absichtlich<br />

o<strong>der</strong> zufällig über weite Entfernungen transportiert;<br />

so haben viele Sippen die Möglichkeit,<br />

ihnen bisher unzugängliche Teile<br />

ihres potentiellen Areals zu erreichen. Diese<br />

Transport-Anthropochorie hat zu starken<br />

Arealausweitungen geführt, konnten<br />

doch ganze Kontinente neu besiedelt werden.<br />

Kommt eine Sippe dabei in ein Gebiet,<br />

in dem keine natürlichen synökologischen<br />

Ansiedlungshin<strong>der</strong>nisse bestehen,<br />

so kann sie sich nicht nur ansiedeln, son<strong>der</strong>n<br />

sich auch in die natürliche Vegetation<br />

einglie<strong>der</strong>n und sich hier auf Dauer halten.<br />

Florenelemente dieser Art heißen Agriophyten;<br />

die menschliche Hilfe ist hier direkt<br />

und einmalig, die Ansiedlung irreversibel.<br />

(Natürlich gibt es auch den Fall, daß<br />

eine Sippe auf diese Weise in ein Gebiet<br />

gelangt, in dem sie nur als Epökophyt leben<br />

kann; und umgekehrt kann auch infolge<br />

einer Ausbreitung im Sinne <strong>der</strong> Standorts-Anthropochorie<br />

wie<strong>der</strong> ein Arealteil<br />

ohne natürliche Ansiedlungshin<strong>der</strong>nisse erreicht<br />

werden, wo eine Einbürgerung als<br />

Agriophyt möglich ist).<br />

(3) Schließlich gibt es bei <strong>der</strong> Transport-Anthropochorie<br />

auch die Möglichkeit, daß<br />

Diasporen in Gebiete gelangen, die außerhalb<br />

des potentiellen Areals liegen. Das gilt<br />

u. a. für viele Kulturpflanzen (Ergasiophyten).<br />

Das Klima erlaubt es solchen Sippen<br />

dann nicht, ihren vollständigen Lebenszyklus<br />

ablaufen zu lassen. Sie können aber<br />

trotzdem vorübergehend wildwachsend<br />

auftreten (so in Mitteleuropa Kartoffel- und<br />

Tomatenjungpflanzen häufig auf Müllplätzen).<br />

Solche wildwachsenden Pflanzen, die<br />

meist nach kurzer Zeit wie<strong>der</strong> verschwinden,<br />

heißen Ephemerophyten. Um regelmäßig<br />

in einem Florengebiet aufzutreten,<br />

müssen sie immer wie<strong>der</strong> neu eingebracht<br />

werden, d. h. sie brauchen eine dauernde,<br />

direkte Hilfe des Menschen, da sie zu einer<br />

echten Ansiedlung nicht fähig sind.


76 Einfluß des Menschen auf Flora und Vegetation<br />

Klassifizierung <strong>der</strong> Anthropochoren<br />

Die Dynamik <strong>der</strong> Ausbreitungsvorgänge hat die<br />

Floristen seit langem angeregt, sich intensiv mit<br />

<strong>der</strong> Anthropochorie zu befassen, schon lange<br />

bevor die negativen Wirkungen des menschlichen<br />

Einflusses stärker beachtet wurden. So hat<br />

man auch schon früh versucht, die Anthropochoren<br />

jedes Florengebietes in Gruppen einzuteilen,<br />

die man <strong>der</strong> alteinheimischen Flora gegenüberstellte<br />

(Thellung 1915; vgl. auch Schroe-<br />

DER 1969). Für eine solche Klassifizierung <strong>der</strong><br />

Anthropochoren gibt es unterschiedliche Kriterien,<br />

die je nach dem Einzelfall von verschiedener<br />

Wichtigkeit sind (Tab. 18; in dieser werden<br />

zugleich einige weitere in diesen Zusammenhang<br />

gehörige Begriffe genauer definiert).<br />

Die drei wichtigsten Einteilungsprinzipien sind:<br />

(1) <strong>der</strong> Einbürgerungsgrad, d. h. <strong>der</strong> Grad <strong>der</strong><br />

Verselbständigung <strong>der</strong> Sippe gegenüber <strong>der</strong><br />

menschlichen Tätigkeit im neuen Arealteil.<br />

Hierher gehören die eben besprochenen 3<br />

Kategorien, die sich nicht nur nach <strong>der</strong> Art<br />

und Weise <strong>der</strong> menschlichen Hilfe, son<strong>der</strong>n<br />

auch nach vegetationskundlichen Kriterien<br />

definieren lassen (so in Tab. 18).<br />

(2) die Einwan<strong>der</strong>ungszeit, d. h. die Zeit des<br />

ersten wildwachsenden Auftretens. Die für<br />

die Abgrenzung <strong>der</strong> beiden vielbenutzten<br />

Kategorien Archäophyten und Neophyten<br />

verwendeten Begriffe prähistorisch und historisch<br />

bedürfen einer näheren Erläuterung:<br />

als „historisch“ bezeichnet man hier<br />

Zeitpunkte, die direkt belegbar o<strong>der</strong> aus<br />

sachlichen Gründen indirekt eingegrenzt<br />

sind (in Europa können z. B. alle Sippen<br />

amerikanischer Herkunft erst nach 1496 aufgetreten<br />

sein); „prähistorische“ (also archäophytische)<br />

Einbürgerungen lassen sich hingegen<br />

nur durch Indizien (z. B. Fehlen potentieller<br />

Standorte in <strong>der</strong> Naturlandschaft)<br />

bzw. durch paläo-ethnobotanische Befunde<br />

wahrscheinlich machen (vgl. Abb. 191,<br />

S. 406).<br />

(3) die Einwan<strong>der</strong>ungsweise, d. h. auf welche<br />

Weise die Diasporen in den neuen, anthropogenen<br />

Arealteil gelangt sind.<br />

Die so definierten Kategorien werden auch als<br />

floristischer Status <strong>der</strong> zugehörigen Sippen bezeichnet.<br />

Einige Beispiele für Anthropochoren<br />

mit verschiedenem Status in Mitteleuropa zeigt<br />

Tab. 19.<br />

Tab. 18: Klassifizierung von Florenbestandteilen nach Gesichtspunkten <strong>der</strong> Anthropochorie (Floristischer


Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Pflanzenverbreitung 77<br />

Tab. 19: Verschiedene Typen von Anthropochoren, Beispiele aus dem nordwestdeutschen Tiefland.<br />

Abkürzungen: Ag(riophyt), E(p)ö(kophyt), E(p)h(emerophyt), Ar(chäophyt), Ne(ophyt), Ak(olutophyt),<br />

Xe(nophyt), Er(gasiophygophyt). ? = Zuordnung nicht sicher.<br />

Gruppe<br />

Nr.<br />

Beispiel<br />

Einbürgerungsgrad<br />

Ag Eö Eh<br />

Einwan<strong>der</strong>ungszeit<br />

Ar Ne<br />

Einfuhmngsweise<br />

Ak Xe Er<br />

1 Vinca minor -1- -E -E<br />

2 Goodyera repens + + -E<br />

3 Bidens frondosa + +<br />

p<br />

4 Impatiens parviflora + -E -E<br />

5 Sonchus oleraceus -1- -E<br />

?<br />

6 Agrostemma githago -h -E<br />

?<br />

7 Isatis tinctoria + -E -E<br />

8 Senecio vernalis -t- -E -E<br />

9 Conyza canadensis + -E<br />

><br />

10 Oenothera biennis -1- -E -E<br />

11 Harpagophytum sp. -E -E -E<br />

12 Solanum tuberosum + + -E<br />

Weitere Beispiele:<br />

Gr. 1: Acorus calamus, Helleborus viridis.<br />

Gr. 4: Acer negundo, Amelanchier lamarckii, Aster div. sp., Cornus alba, Elodea canadensis, Impatiensglandulifera,<br />

Mahonia aquifolium, Mimulus guttatus. Polygonum cuspidatum u. sachalinense, Solidago canadensis u. gigantea.<br />

Spiraea salicifolia, Vaccinium macrocarpum.<br />

Gr. 5/6: Adonis aestivalis. Avena fatua, Bromus erectas, Capsella bursa-pastoris. Consolida regalis. Euphorbia<br />

peplus. Fumaria officinalis, Papaver rhoeas. Ranunculus arvensis, Scandix pecten-aieneris, Thlaspi arvense. Vicia<br />

hirsuta u. tetrasperma.<br />

Gr. 7: Myrrhis odorata, Nigella sativa.<br />

Gr. 9/10: Galinsoga ciliata u. parviflora,Juncus tenuis, Matricaria suaveolens. Senecio inaequidens, Veronica<br />

ftliformis u. pérsica.<br />

Gr. 12: Helianthus annuus, Phalaris canariensis, Solanum lycopersicum.<br />

Sippenspezifische Ausbreitungsfähigkeit<br />

Grundsätzlich können die besprochenen äußeren<br />

Voraussetzungen <strong>der</strong> Anthropochorie jede<br />

Pflanzensippe begünstigen; ob und wie schnell<br />

es tatsächlich zu einer erfolgreichen anthropochoren<br />

Ausbreitung (d. h. Einbürgerung)<br />

kommt, hängt aber auch von den Eigenschaften<br />

je<strong>der</strong> Sippe im einzelnen ab (vgl. auch JA­<br />

G E R 1988). Die große Mehrzahl <strong>der</strong> heute in aller<br />

Welt bekannten Anthropochoren zeichnet<br />

sich durch die Kombination einer Reihe charakteristischer<br />

Merkmale bzw. Verhaltensweisen<br />

aus, die man als „Anthropochoren-Syndrom“<br />

bezeichnen könnte. Hierzu gehören<br />

• hohe Diasporenproduktion<br />

• Diasporen leicht, wenig spezialisiert (auf<br />

verschiedene Weise verbreitbar)<br />

• Dauer <strong>der</strong> Keimruhe bei Diasporen <strong>der</strong>selben<br />

Art sehr variabel<br />

• rasche Generationenfolge<br />

• starke vegetative Ausbreitungsfähigkeit<br />

• weite edaphische Standortsamplitude.<br />

Alle diese Eigenschaften ermöglichen ein schnelles<br />

Besetzen und Erobern geeigneter Standorte.<br />

Pflanzen solcher Konstitution, in <strong>der</strong> Ökologie<br />

auch „r-Strategen“ genannt, sind meist Bewohner<br />

offener Pionier- und Extremstandort-Vegetation,<br />

bzw. (in Gebieten mit Waldvegetation<br />

als Klimax) Vertreter früher bis mittlerer Stadien<br />

<strong>der</strong> Verjüngungssukzession. In entsprechenden<br />

Vegetationstypen sind denn auch Anthropochoren<br />

beson<strong>der</strong>s häufig.<br />

Diese Verhältnisse haben oft den Eindruck<br />

erweckt, als seien Klimax-Arten, beson<strong>der</strong>s die<br />

Konstituenten <strong>der</strong> Klimaxwäl<strong>der</strong>, zu antbropochorer<br />

Ausbreitung unfähig; ja es wurde umgekehrt<br />

sogar ernsthaft die Vermutung geäußert,<br />

natürliche, ungestörte Klimaxgesellschaften seien<br />

gegen das Eindringen von Anthropochoren<br />

„immun“. Solche Behauptungen gehören in den<br />

Bereich <strong>der</strong> Mystik. In Wirklichkeit beeinflus-


78 Einfluß des Menschen auf Flora und Vegetation<br />

sen sippenspezifische Eigenschaften hauptsächlich<br />

die Geschwindigkeit <strong>der</strong> anthropogenen<br />

Ausbreitung, aber kaum die Ausbreitungsfähigkeit<br />

als solche. Daß bisher vergleichsweise wenige<br />

Klimaxarten als Anthropochoren auftreten,<br />

liegt daran, daß diese im Normalfalle, als „K-<br />

Strategen", nur eine geringe Ausbreitungsgeschwindigkeit<br />

haben. Bis zum Beginn des 16.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts waren die vom Menschen gegebenen<br />

Ausbreitungshilfen überwiegend solche<br />

vom Typ <strong>der</strong> Standorts-Anthropochorie, d. h.<br />

Beseitigung von Ansiedlungshin<strong>der</strong>nissen, wodurch<br />

im wesentlichen r-Strategen begünstigt<br />

wurden. Erst im Zuge <strong>der</strong> Entschleierung <strong>der</strong><br />

Erde bot sich die Möglichkeit, in Form <strong>der</strong><br />

Transport-Anthropochorie in größerem Ausmaße<br />

auch Arten aus Klimaxwäl<strong>der</strong>n auf an<strong>der</strong>e<br />

Kontinente zu verfrachten; für eine erfolgreiche<br />

Etablierung solcher Arten als Anthropochoren<br />

war die Zeit bisher aher meistens viel zu<br />

kurz.<br />

Von dieser Regel gibt es einige Ausnahmen, die zeigen,<br />

daß die Einbürgerung von Arten aus Klimaxwäl<strong>der</strong>n<br />

in Klimaxwäl<strong>der</strong> durchaus möglich ist. So ist<br />

Castanea sativa, von Natur aus eine wichtige Komponente<br />

<strong>der</strong> Laubmischwäl<strong>der</strong> auf sauren Böden in Nordanatolien<br />

und Kaukasien, heute in großen Teilen W-<br />

und SW-Europas in Wäl<strong>der</strong>n entsprechen<strong>der</strong> Standorte<br />

voll eingebürgert und kann mit Sicherheit auch<br />

als Bestandteil <strong>der</strong> potentiellen natürlichen Vegetation<br />

gelten. Ermöglicht wurde das dadurch, daß sie bereits<br />

von den Römern in <strong>der</strong>en gesamtem Reich als<br />

Kulturpflanze verbreitet wurde und so in Teile ihres<br />

potentiellen Areals gelangte, die sie auf natürlichem<br />

Wege (wohl wegen ihrer zu schweren Früchte) nach<br />

<strong>der</strong> Eiszeit nicht wie<strong>der</strong> besiedeln konnte; die seither<br />

vergangenen 2000 Jahre waren für eine vollständige<br />

Etablierung als Agriophyt ausreichend.<br />

Ein Beispiel aus <strong>der</strong> Waldbodenflora sind die<br />

Impatiens-Antn\ neben <strong>der</strong> alteinheimischen /. nolitangere<br />

sind in naturnahen Wäl<strong>der</strong>n Mitteleuropas<br />

heute zwei weitere eingebürgert. I. parvißora aus relativ<br />

trockenen Laubwäl<strong>der</strong>n Mittelasiens ist weit verbreitet<br />

auf Standorten, die meist trockener sind als die<br />

von 7. noli-tangere (vgl. Abb. 33, S. 83); I. glandulifera<br />

aus bachbegleitenden Wäl<strong>der</strong>n im Himalaja wächst<br />

heute auch bei uns an entsprechenden Standorten. Ursache<br />

<strong>der</strong> raschen Einbürgerung bei<strong>der</strong> Arten ist, daß<br />

sie, im Gegensatz zur Mehrzahl <strong>der</strong> Waldbodenpflanzen,<br />

Therophyten mit sehr hoher Samenproduktion<br />

sind.<br />

Beson<strong>der</strong>heiten <strong>der</strong> Transport-<br />

Anthropochorie<br />

Die Ausbreitung nach dem Muster <strong>der</strong> Standorts-Anthropochorie<br />

unterscheidet sich als Vorgang<br />

im Prinzip nicht von einer natürlichen<br />

Wan<strong>der</strong>ung. An<strong>der</strong>s ist das bei <strong>der</strong> Transport-<br />

Anthropochorie: hier kommt die anthropochore<br />

Sippe plötzlich in ein ganz neues Umfeld (gleiches<br />

gilt i. ü. auch für die Fälle natürlicher untypischer<br />

Fernverbreitung, vgl. S. 17). Damit<br />

sind einige ökologische Beson<strong>der</strong>heiten verknüpft,<br />

die Konsequenzen <strong>der</strong> beiden folgenden<br />

Umstände sind:<br />

(1) Es gelangen gewöhnlich nur wenige Diasporen<br />

(im Extremfalle eine einzige) in den<br />

neuen Arealteil.<br />

(2) Es hat keine Koevolution <strong>der</strong> anthropochoren<br />

Sippe mit den im neu besiedelten<br />

Ökosystem vorhandenen an<strong>der</strong>en Lebewesen,<br />

insbeson<strong>der</strong>e Tieren, stattgefunden_^<br />

Zu (1). Das Genreservoir <strong>der</strong> neu entstehenden<br />

Population ist zunächst sehr eingeschränkt, und<br />

damit auch ihre ökologische Anpassungsfähigkeit.<br />

Erst nach und nach kann sich die genetische<br />

Diversität infolge neu auftreten<strong>der</strong> Mutationen<br />

wie<strong>der</strong> erhöhen. Wie schnell das geht,<br />

hängt natürlich von <strong>der</strong> Generationenfolge ah,<br />

d. h. Annuelle sind hier bei weitem im Vorteil,<br />

So hat z. B. Im patiens glan dulifera im Bereich <strong>der</strong><br />

vormaligen Sowjetunion bereits zahlreiche Ökotypen,<br />

insbeson<strong>der</strong>e solche phänologischer Natur,<br />

entwickelt, so daß sie Teilgehiete mit sehr<br />

unterschiedlichem Klima besiedeln konnte. Die<br />

auch in Mitteleuropa zu beobachtende Erscheinung,<br />

daß Neophyten, die schon seit langem<br />

sporadisch verwil<strong>der</strong>t auftraten, sich in den letzten<br />

Jahrzehnten plötzlich explosionsartig ausbreiten,<br />

wird oft durch diesen populationsökologischen<br />

Effekt zu erklären versucht. Doch<br />

dürfte das bei Ausdauernden, die sich großenteils<br />

vegetativ vermehren, kaum zutreffen (z. B.<br />

bei Polygonum cuspidatum wirkt wohl eher die<br />

großflächige Verbrachung von feuchtem Grünland<br />

för<strong>der</strong>nd, vgl. S. 82).<br />

Zu (2). Von den Tieren, mit denen die Pflanzen<br />

in Beziehung stehen, sind neben Bestäubern<br />

und Diasporen-Verbreitern vor allem die Freßfeinde<br />

wichtig; allein auf diese sei hier eingegangen.<br />

Das Verhältnis zwischen <strong>der</strong> Pflanze<br />

und einem (potentiellen) Freßfeind wird vor al-


Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Pflanzenverbreitung 79<br />

lern durch chemische Eigenschaften geregelt. Im<br />

neuen Arealteil kann nun die „Chemie“ in zweierlei<br />

Hinsicht nicht stimmen:<br />

(a) Der Pflanze fehlen die notwendigen chemischen<br />

Abwehrstoffe gegen bestimmte<br />

hier vorhandene Freßfeinde.<br />

(b) Der Pflanze fehlen Substanzen, an denen<br />

vorhandene potentielle Freßfeinde sie als<br />

freßbar erkennen, also Erkennungsmarken.<br />

Im ersten Falle kann die Ansiedlung von vornherein<br />

vollständig verhin<strong>der</strong>t werden (je<strong>der</strong><br />

Gartenbesitzer kennt die Gefahr <strong>der</strong> totalen<br />

Vernichtung bestimmter exotischer Zierpflanzen<br />

z. B. durch Schnecken). Das ist mit Sicherheit<br />

sehr häufig <strong>der</strong> Fall und wahrscheinlich einer<br />

<strong>der</strong> Gründe dafür, daß z. B. in Mitteleuropa nur<br />

kaum mehr als 5 % <strong>der</strong> absichtlich o<strong>der</strong> unabsichtlich<br />

eingeführten außereuropäischen<br />

Freilandpflanzen als Neophyten auftreten. Indem<br />

es gar nicht erst zum Aufbau von Populationen<br />

kommt, ist hier auch keine genetisch<br />

bedingte Anpassung zu erwarten.<br />

Der zweite Fall kann für die betreffende<br />

Pflanzensippe ein großer ökologischer Vorteil<br />

sein und eine Massenausbreitung ermöglichen.<br />

Allerdings ist dieser Vorteil nur als temporär<br />

anzusehen. Je stärker die Population des Neophyten<br />

anwächst, um so häufiger werden die<br />

Berühmngen mit den potentiellen Freßfeinden<br />

und um so größer die Wahrscheinlichkeit, daß<br />

dabei auch Kontakte mit mutierten Individuen<br />

auftreten, die die Pflanze als freßbar erkennen.<br />

Damit wird dann die Eindämmung <strong>der</strong> Massenvermehrung<br />

eingeleitet.<br />

Ein gutes Beispiel in dieser Hinsicht ist Elodea canadensis,<br />

die in <strong>der</strong> Anfangsphase ihrer europäischen<br />

Ausbreitung im vorigen Jahrhun<strong>der</strong>t in solchen Mengen<br />

auftrat, daß sie Schiffahrtswege verstopfte und so<br />

ihren deutschen Namen „Wasserpest“ bekam. Schon<br />

nach wenigen Jahrzehnten jedoch begann ihr Rückgang,<br />

hauptsächlich infolge des Befalls mit Nematoden<br />

(man findet heute kaum ein Exemplar, dessen<br />

Vegetationspunkte nicht von Nematoden befressen<br />

werden), so daß sie bis heute ein zwar regelmäßiges,<br />

aber unauffälliges Mitglied <strong>der</strong> submersen Süßwasserflora<br />

geworden ist.<br />

Anthropogene Sippen<br />

Wie schon im vorigen Abschnitt angedeutet,<br />

führt die Anthropochorie nicht nur zu Arealausweitungen,<br />

son<strong>der</strong>n u. U. auch zur Verän<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Pflanzensippe selbst. Im Extremfall<br />

kann es zur Bildung ganz neuer, anthropogener<br />

Sippen kommen. Das ist auf zwei verschiedenen<br />

Wegen möglich.<br />

Am häufigsten ist die allmähliche selektive<br />

Verän<strong>der</strong>ung. Sie setzt automatisch ein, wenn<br />

eine Population unter verän<strong>der</strong>te Standortsbedingungen<br />

gerät, sei es durch Verbringung in<br />

ein nicht ganz identisches Klima, sei es durch<br />

Eindringen in anthropogene Vegetationstypen,<br />

die so in <strong>der</strong> Natur nicht Vorkommen. Beide<br />

Einflüsse treffen z. B. auf die Unkräuter <strong>der</strong><br />

mitteleuropäischen Getreidefel<strong>der</strong> zu. Wie erwähnt,<br />

stammen viele von diesen ebenso wie<br />

die Getreidearten selbst aus vor<strong>der</strong>- bis mittelasiatischen<br />

Lößhalbwüsten. Aus einem Halbwüstenklima<br />

kamen sie in ein Waldklima, und<br />

außerdem wurden sie <strong>der</strong> Prozedur <strong>der</strong> künstlichen<br />

Aussaat und Ernte unterworfen. Durch<br />

diese neuen Bedingungen wurden sie in entsprechen<strong>der</strong><br />

Richtung selektiert. So zeigen selbst die<br />

in Mitteleuropa einheimischen Arten L ap san a<br />

com m unis, A ethusa cynapium und Veronica he<strong>der</strong>ifo<br />

lia schon deutliche morphologische und entwicklungsbiologische<br />

Unterschiede zwischen<br />

Populationen aus naturnahen Wäl<strong>der</strong>n und solchen<br />

aus Äckern. Bei Sippen, die sehr lange als<br />

Unkräuter etabliert und dabei zugleich in sehr<br />

abweichende Klimagebiete gelangt waren, konnten<br />

diese Unterschiede taxonomisch faßbar<br />

werden und neue Varietäten, Subspezies o<strong>der</strong><br />

sogar Arten begründen.<br />

Ein gut belegtes Beispiel dieser Art bieten einige Sippen<br />

<strong>der</strong> Cmciferen-Gattung Camelina (Bertsch 1947).<br />

Die Ausgangsart, C. microcarpa, fand sich (bzw. findet<br />

sich heute noch) idiochor in natürlichen Lößhalbwüsten<br />

unter Klimabedingungen, die die Keimung im<br />

Herbst und Blühen und Fmchten im Frühjahr bedingen,<br />

also ein winterannuelles Verhalten. Als Unkraut<br />

in die ökologisch ähnlichen Wintergetreide-Äcker eingedrungen,<br />

wan<strong>der</strong>te sie als Epökophyt mit dem Getreidebau<br />

nach Mitteleuropa. Im Gegensatz zu dem<br />

ihrer Heimat erlaubt das mitteleuropäische Klima auch<br />

Sommerkulturen, die erst im Frühjahr ausgesät werden.<br />

Gelegentlich auftretende, im Frühjahr keimende<br />

Mutanten von C. microcarpa, die in <strong>der</strong> Heimat <strong>der</strong><br />

Sommerdürre zum Opfer gefallen wären, konnten sich<br />

in diese Sommerkulturen einfugen und dort Populationen<br />

aufbauen, die sich von <strong>der</strong> winterannuellen<br />

Muttersippe allmählich isolierten. Beson<strong>der</strong>s günstig<br />

entwickelten sich diese in Leinäckern, da ihr Entwicklungszyklus<br />

etwa dem des Leins entspricht. Nachdem<br />

nun <strong>der</strong> Lein nicht nur als Faser-, son<strong>der</strong>n auch<br />

als Ölpflanze genutzt wurde, selektierte man diesen<br />

auf das Geschlossenbleiben <strong>der</strong> Kapseln, um die Samen<br />

besser ernten zu können. Mit den Kapseln des


80 Einfluß des Menschen auf Flora und Vegetation<br />

!•<br />

■<br />

Ölleins wurden dann auch Schoten von Camelina-<br />

Pflanzen mitgeerntet, die länger geschlossen blieben<br />

als normal, d. h. aus <strong>der</strong> sommerannuellen Population<br />

von C. microcarpa wurde unabsichtlich eine neue<br />

Teilpopulation herausselektiert, <strong>der</strong>en Samen nicht<br />

nur zusammen mit dem Lein geerntet, son<strong>der</strong>n auch<br />

(da es noch keine Saatgutreinigung gab) wie<strong>der</strong> ausgesät<br />

wurden. Das bedeutete eine sehr enge Bindung an<br />

den Leinanbau und eine noch stärkere Isolierung von<br />

den älteren Populationen, die schließlich dazu führte,<br />

daß eine auch morphologisch abweichende neue<br />

Kleinart, C. alyssum, entstand. Damit war die Entwicklung<br />

aber noch nicht zu Ende. Wie viele an<strong>der</strong>e<br />

Craciferen enthält auch Camelina für die menschliche<br />

Ernährung verwertbare Öle. Als man das entdeckte,<br />

nahm man C. alyssum selbst als Ölpflanze in Kultur.<br />

Die neue Kulturpflanze wurde nun planmäßig in<br />

Richtung auf höhere Erträge, d. h. auf möglichst große<br />

Samen, selektiert; das brachte noch weitere morphologische<br />

Verän<strong>der</strong>ungen mit sich, so daß eine weitere<br />

neue Kleinart, C. saliva, entstand. So gab es<br />

schließlich in Mitteleuropa 3 Camdina-KiX.tVi\ die<br />

anthropochore C. microcarpa, den anthropogenen<br />

Epökophyten C. alyssum und die reine Kulturpflanze<br />

C. saliva. Heute sind alle drei Arten in Mitteleuropa<br />

wie<strong>der</strong> im Verschwinden: C. saliva wird als nicht lohnend<br />

nicht mehr angebaut, C. alyssum hat infolge Aufgabe<br />

des Leinanbaues keine Existenzmöglichkeit mehr,<br />

und C microcarpa wird durch die allgemeine Unkrautbekämpfung<br />

dezimiert. Die beiden ersten werden<br />

wahrscheinlich vollständig aussterben, während<br />

die Ursprungsart C. microcarpa zumindest in ihrer Heimat<br />

erhalten bleiben dürfte.<br />

Der Mensch hat also zusammen mit seinen<br />

Kulturpflanzen unabsichtlich auch Unkräuter<br />

mit herangezüchtet (unter diesem Aspekt erscheint<br />

es unsinnig, wenn heute zuweilen versucht<br />

wird, aus ideologischen Gründen das Wort<br />

Unkraut durch „Wildkraut“ zu ersetzen). Wie<br />

groß die Zahl <strong>der</strong>artiger anthropogener, in natürlicher<br />

Vegetation prinzipiell nicht vorkommen<strong>der</strong><br />

(und auch nie vorgekommener) Sippen<br />

ist, ist unbekannt. Wenn manche Autoren (z. B.<br />

Scholz 1996, Sukopp etc. 1997) vermuten, die<br />

meisten mitteleuropäischen Segetal-Archäophyten<br />

seien solche „obligatorischen Unkräuter“<br />

(„Anökophyten“), so ist das zumindest kaum<br />

nachweisbar; wichtig für die Beurteilung ist dabei<br />

natürlich auch, ob man von einem engen<br />

o<strong>der</strong> weiten Artbegriff ausgeht.<br />

Während die Entstehung anthropogener Sippen<br />

auf dem Wege selektiver Anpassung doch<br />

relativ lange Zeit erfor<strong>der</strong>t und nur aus Indizien<br />

rückblickend erschlossen werden kann, läßt sich<br />

die zweite Möglichkeit praktisch direkt beobachten:<br />

nämlich die Bildung neuer Arten durch<br />

Allopolyploidie. Durch die Überwindung von<br />

Verbreitungsschranken kommen oft verwandte<br />

Arten wie<strong>der</strong> zusammen, die sich dann kreuzen<br />

können. Sind sie sehr nahe verwandt und die<br />

Kreuzungsprodukte fértil, so kann es u. U., genügend<br />

Zeit vorausgesetzt, zu einer vollständigen<br />

Vermischung und damit Aufhebung <strong>der</strong><br />

Artunterschiede kommen (also ein anthropogenes<br />

Verschwinden von Arten ohne Aussterben).<br />

Haben die Arten jedoch unterschiedliche Chromosomenzahlen,<br />

so sind die Bastarde oft steril,<br />

bedingt durch die Behin<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Reduktionsteilung.<br />

In solchen Fällen können aber zuweilen<br />

unreduzierte, also diploide Geschlechtszellen<br />

gebildet werden, durch <strong>der</strong>en Verschmelzung<br />

dann eine neue tetraploide, wie<strong>der</strong> voll<br />

fertile Sippe entsteht, die die Chromosomensätze<br />

bei<strong>der</strong> Elternarten doppelt enthält und eine<br />

neue Art darstellt, die sich von beiden Eltern<br />

wesentlich unterscheiden kann. Solche als Folge<br />

von Anthropochorie entstandenen neuen Arten<br />

nennt man auch „neogene Endemiten“ (die<br />

Artneubildung durch Allopolyploidie ist aber<br />

auch unter natürlichen Bedingungen nicht selten).<br />

Hierfür sei die im Schlick von Meeresküsten verbreitete<br />

Gramineen-Gattung Sparlina als Beispiel genannt.<br />

Von dieser gibt es eine alteinheimische Art, S. maritima<br />

mit <strong>der</strong> Chromosomenzahl 2n = 60, an den Küsten<br />

Westeuropas. Im vorigen Jahrhun<strong>der</strong>t wurde S. allerniflora<br />

(2n = 62) aus Ost-Nordamerika nach England<br />

eingeführt und vielerorts an den Küsten zur Landgewinnung<br />

angepflanzt, da sie den Schlick besser Festhalten<br />

sollte als S. maritima. Wo beide Arten zusammentrafen,<br />

kam es häufig zur Kreuzung; <strong>der</strong> Bastard,<br />

als S. X lownsendii beschrieben, war mit 2n = 61 steril.<br />

Durch Allopolyploidie entstand hieraus dann aber die<br />

neue Art S. anglica mit 2n = 122, die sich inzwischen<br />

an den Küsten West- und Mitteleuropas weit ausgebreitet<br />

hat.<br />

Anthropochoren als Florenbestandteile<br />

Über den Anteil <strong>der</strong> Anthropochoren an <strong>der</strong><br />

Gesamtflora gibt es Angaben aus mehreren Florengebieten.<br />

Ihre Zuverlässigkeit ist unterschiedlich:<br />

für abgeschlossene Gebiete wie z. B. landferne<br />

Inseln, für die nur Transport-Anthropochorie<br />

in Frage kommt, ist die Beurteilung leichter<br />

als für Teile größerer Kontinente, in denen<br />

die Standorts-Anthropochorie eine große Rolle<br />

spielen kann, wobei dann die Grenzen zwischen<br />

natürlicher und anthropogener Ausbreitung<br />

schwer zu ziehen sind. Für manche Gebiete wird


Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Pflanzenverbreitung 81<br />

daher in <strong>der</strong> Literatur nur die - eindeutig bestimmbare<br />

- Zahl <strong>der</strong> Neophyten angegeben.<br />

In europäischen Län<strong>der</strong>n liegt <strong>der</strong> Prozentsatz <strong>der</strong><br />

Arten, die als Anthropochoren gelten, meist zwischen<br />

15 und 20 % (so Deutschland und Großbritannien je<br />

16 %, Finnland 18 %; nach Sukopp etc. 1976).<br />

Auffällig ist die hohe Zahl <strong>der</strong> Anthropochoren<br />

auf landfernen Inseln. Auf Neukaledonien (Näheres<br />

vgl. S. 98) finden sich neben 2437 einheimischen etwa<br />

500 neophytische Arten, d. h. 16 % <strong>der</strong> Gesamtflora,<br />

auf Hawaii neben 1440 einheimischen 460 neophytische,<br />

d. h. 24 % (Saint-John 1973). Weit über 50 %<br />

dürfte <strong>der</strong> Neophytenanteil auf Neuseeland liegen: die<br />

Flora von Allan etc. (1961f) listet neben 1450 Einheimischen<br />

bereits 1400 „Adventive“ auf, wobei aber<br />

die vielen eingebürgerten Gramineen noch nicht erfaßt<br />

sind (zur Vegetationszerstömng auf dieser Inselgmppe<br />

vgl. S. 226). Trotz <strong>der</strong> hohen Zahl einheimischer<br />

Arten macht die Flora solcher Gebiete einen „ungesättigten“<br />

Eindruck, d. h. sie scheint keine einheimischen<br />

Arten zu enthalten, die als Apophyten zur<br />

Besiedlung neuer, durch den Menschen geschaffener<br />

Standorte fähig sind. Vielleicht spielt dabei mit, daß<br />

die meisten Neophyten aus Gebieten mit schon alter,<br />

dichter Besiedlung kommen, wo sie sich bereits über<br />

lange Zeit an ein „Unkrautdasein“ anpassen konnten.<br />

Interessant sind auch Vergleiche zwischen <strong>der</strong> Zahl<br />

<strong>der</strong> eingebürgerten Neophyten und <strong>der</strong> <strong>der</strong> Arten,<br />

<strong>der</strong>en Diasporen vom Menschen insgesamt absichtlich<br />

o<strong>der</strong> unabsichtlich ins Land gebracht wurden. So<br />

stehen in Mitteleuropa einer Zahl von etwa 3800 eingefuhrten<br />

Arten nur etwa 200 gegenüber, die sich tatsächlich<br />

etablieren konnten (Sukopp etc. 1976).<br />

Beeinflussung <strong>der</strong> Idiochoren<br />

Wichtig ist in diesem Zusammenhang schließlich<br />

die Frage <strong>der</strong> Auswirkung <strong>der</strong> Anthropochoren<br />

auf die idiochore Flora und Vegetation.<br />

Befurchtet wird oft eine Gefährdung von einheimischen<br />

Sippen. Diese Frage läßt sich jedoch<br />

nicht generell beantworten; vielmehr ist die Situation<br />

je nach dem betrachteten Florengebiet<br />

sehr verschieden. Grundsätzlich gilt, daß das<br />

Hinzukommen neuer Arten den Lebensraum<br />

<strong>der</strong> bisher vorhandenen einschränkt. Im Normalfall<br />

sind solche Einschränkungen aber unbedeutend.<br />

Eine Gefahr sind sie nur für solche<br />

Idiochoren, die eine sehr enge Standortsamplitude<br />

bzw. ein sehr kleines Areal haben,<br />

und auch dann nur, wenn eine sehr konkurrenzstarke<br />

Anthropochore auftritt, die genau denselben<br />

Standortstyp besetzt. Demnach ist eine<br />

ernsthafte Bedrohung <strong>der</strong> idiochoren Flora<br />

durch Anthropochoren vor allem dort zu erwarten,<br />

wo es viele endemitische „Mikroarealophyten“<br />

gibt. Wie die folgenden Beispiele zeigen,<br />

ist das auch wirklich <strong>der</strong> Fall.<br />

Ein beson<strong>der</strong>s bekanntes Beispiel für die Gefährdung<br />

vieler einheimischer Sippen durch sich aggressiv ausbreitende<br />

Anthropochoren ist Südafrika, insbeson<strong>der</strong>e<br />

das Gebiet des Kapländischen Florenreiches. Hier gibt<br />

es eine extrem hohe Zahl sehr kleinräumig verbreiteter<br />

Endemiten (vgl. Tab. 33, S. 242). Viele von ihnen,<br />

meist Klein- o<strong>der</strong> Zwergsträucher, sind Glie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Fynbos-Vegetation<br />

(vgl. S. 241), die durch regelmäßige<br />

Brände beeinflußt wird (Feuerklimax), also eines Vegetationstyps,<br />

in dem eine Neuansiedlung viel schneller<br />

geht als z. B. in Wäl<strong>der</strong>n. Hier sind nun einige Neophyten<br />

australischer Herkunft in starker Ausbreitung<br />

begriffen; am aggressivsten sind einige Acacia-Kx\.t’a..<br />

Diese Arten, Großsträucher bis Kleinbäume, wurden<br />

im vorigen Jahrhun<strong>der</strong>t als Zierpflanzen eingefuhrt<br />

und später auch zur Dünenbefestigung im Gelände<br />

angepflanzt. Sie zeichnen sich nicht nur durch sehr<br />

hohe Samenproduktion aus, son<strong>der</strong>n auch durch ein<br />

unbegrenztes Stockausschlagvermögen nach Beschädigung<br />

durch Brände. Sie dringen in Fynbos-Bestände<br />

ein und schädigen die meist niedrigeren Einheimischen<br />

durch Beschattung. Die weitverbreiteten Fynbos-Arten<br />

finden zwar trotzdem noch genügend Platz;<br />

die vielen Lokalendemiten kommen aber rasch so in<br />

Bedrängnis, daß die Gefahr des Aussterbens besteht.<br />

Die Naturschutzorganisationen betreiben deshalb<br />

schon seit Jahrzehnten eine intensive mechanische Bekämpfung<br />

von Acacia, doch sind die Erfolge in dem<br />

großen, dünn besiedelten Land bisher begrenzt. Neuerdings<br />

versucht man daher, durch die Einführung von<br />

Freßfeinden aus Australien, die auf den Verzehr <strong>der</strong><br />

Samen spezialisiert sind, die Erzeugung keimfähiger<br />

Acacia-Szmtn einzuschränken.<br />

Ein an<strong>der</strong>es Gebiet, in dem viele idiochore Arten<br />

gefährdet sind, sind die Hawaii-Inseln. Im Unterschied<br />

zu Südafrika ist die einheimische Flora hier sehr jung:<br />

die Inseln sind vulkanischen Ursprungs und hatten<br />

nie Verbindung mit den Kontinenten; alle hier wachsenden<br />

Pflanzensippen sind durch episodische, oft<br />

untypische Femverbreitung auf die Inseln gekommen.<br />

Die Zahl <strong>der</strong> idiochoren Einwan<strong>der</strong>er war dabei relativ<br />

gering; manche von ihnen haben dann durch<br />

adaptative Radiation neue Arten gebildet, wodurch die<br />

hohe Endemitenzahl zustandekommt; trotzdem ist die<br />

Flora aber extrem ungesättigt. Das betrifft auch die<br />

Klimaxvegetation. So gibt es auf <strong>der</strong> sehr vielseitigen<br />

Hauptinsel Hawaii Klimagebiete mit Tropischem<br />

Regenwald (vgl. S. 353). Dieser enthält neben zahlreichen<br />

kleineren Gehölzen und Epiphyten nur 3 Hauptbaumarten<br />

{Metrosi<strong>der</strong>os collina, Bobea elatior. Acacia<br />

koa). Nachdem inzwischen zahlreiche Regenwaldbäume<br />

aus aller Welt als Zier- o<strong>der</strong> Nutzpflanzen eingeführt<br />

worden sind, konnten sich einige davon einbürgern<br />

(z. B. Akurites moluccana, Psidiumguajavä) und<br />

bedrohen nun mancherorts die relativ konkurrenzschwachen<br />

Einheimischen. (Daneben gibt es auch in


82 Einfluß des Menschen auf Flora und Vegetation<br />

an<strong>der</strong>en Vegetationstypen Gefährdungen; vgl. Knapp<br />

1965.)<br />

Ganz an<strong>der</strong>s liegen die Dinge hingegen in Mitteleuropa.<br />

Wenn auch hier in Naturschutzkreisen<br />

oft vermutet o<strong>der</strong> gar als Tatsache hingestellt<br />

wird, bestimmte Anthropochoren seien<br />

eine Gefahr für die einheimische Flora und Vegetation,<br />

so sind das Behauptungen ohne sachliche<br />

Grundlage. Sie haben teils emotionale<br />

Ursachen („Auslän<strong>der</strong>feindlichkeit“), teils beruhen<br />

sie auf mangeln<strong>der</strong> Sachkenntnis (insbeson<strong>der</strong>e<br />

bezüglich <strong>der</strong> „Natürlichkeit“ anthropogener<br />

Vegetationstypen), auf unzulässiger Verallgemeinerung<br />

von Beispielen aus an<strong>der</strong>en Florengebieten<br />

o<strong>der</strong> auch auf unbewußter Einbeziehung<br />

ökonomischer Gesichtspunkte. Wie<br />

unsachlich hier zuweilen argumentiert wird,<br />

zeigt sich darin, daß oft einerseits <strong>der</strong> Rückgang<br />

alter, archäophytischer Anthropochoren (z. B.<br />

Ackerunkräuter) beklagt und an<strong>der</strong>erseits zugleich<br />

die Bekämpfung sich neu einbürgern<strong>der</strong><br />

Arten gefor<strong>der</strong>t wird. Da die von nichteinheimischen<br />

Pflanzenarten angeblich drohenden<br />

Gefahren in Deutschland sogar schon zu Bestrebungen<br />

geführt haben, das Anpflanzen ausländischer<br />

Zierpflanzen in Gärten zu verbieten<br />

(!), erscheint die nähere Diskussion einiger oft<br />

zitierter Beispiele notwendig.<br />

Beson<strong>der</strong>s auffallend ist die <strong>der</strong>zeitige Ausbreitung<br />

mancher Ausläufer- und Polykormpflanzen in <strong>der</strong><br />

Vegetation, wie Polygonum cuspidatum aus Japan und<br />

Solidago canademis/gigantea aus Nordamerika. Beide<br />

Sippen sind seit langem eingebürgert; eine beson<strong>der</strong>s<br />

starke Zunahme zeigen sie aber in den letzten Jahrzehnten.<br />

Grund dafür ist u. a. die zunehmende Verbrachung<br />

von Grünland, wodurch Arten dieses Ausbreitungstyps<br />

begünstigt werden: auch die einheimische<br />

Urtica dioica bildet nicht selten große Reinbestände,<br />

ebenso auf geeigneten Böden Calamagrostis epigejos.<br />

Natürlich werden durch solche aggressiven Arten -<br />

ob einheimisch o<strong>der</strong> neophytisch - an<strong>der</strong>e zurückgedrängt,<br />

allerdings werden sie nur selten ganz eliminiert.<br />

Und da es sich um anthropogene Vegetation<br />

handelt, sind die jetzt beeinträchtigten Arten meist<br />

solche, die früher durch den Menschen wirtschaftsbedingt<br />

geför<strong>der</strong>t wurden. Die Ausbreitung von<br />

Polykormstauden ist nichts weiter als ein Stadium <strong>der</strong><br />

in Richtung auf die potentielle natürliche Vegetation<br />

(d. h. den Wald) verlaufenden Verbrachungssukzession.<br />

Zwar können starkwüchsige Polykormpflanzen<br />

das Aufkommen von Gehölzen verzögern (die<br />

einheimische Calamagrostis epigejos ist bei den Forstleuten<br />

als Verjüngungshin<strong>der</strong>nis berüchtigt), auf die<br />

Dauer würde aber <strong>der</strong> Wald doch die Oberhand gewinnen.<br />

Und wenn Arten wie Polygonum cuspidatum<br />

gelegentlich in naturnahen Wäl<strong>der</strong>n auftreten, werden<br />

sie durch die Beschattung so reduziert, daß sie die<br />

an<strong>der</strong>en Waldarten kaum beeinträchtigen.<br />

Eine an<strong>der</strong>e Art, die off als nachteilig für die mitteleuropäische<br />

Vegetation hingestellt wird, ist <strong>der</strong> nordamerikanische<br />

Helianthus tuberosus. Er neigt zur Ausbreitung<br />

in Flußauen, oft in Konkurrenz mit Urtica<br />

dioica. Höherwüchsig als diese, kann er die Brennessel<br />

überwachsen und zurückdrängen (vgl. Lohmeyer<br />

1971). Im Gegensatz zu den Rhizomen von Urticasmd<br />

seine zahlreichen Ausläufer kurzlebig und verrotten<br />

im Herbst, nur die Uberwinterungsknollen bleiben erhalten.<br />

Während t/rftc


Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Pflanzenverbreitung 83<br />

^ « t -■ «k ^ ^ ^<br />

Abb. 33 : Bestand von Impatiens noütangere<br />

in einer feuchten Waldmulde,<br />

vor (A) und nach (B) <strong>der</strong> Einwan<strong>der</strong>ung<br />

von I. parvißora, schematisch.<br />

Schließlich ist noch eine Gehölzart zu erwähnen, die<br />

sich in Norddeutschland mancherorts massenhaft eingebürgert<br />

hat und zum „Forstunkraut“ geworden ist,<br />

nämlich die nordamerikanische Prunus serótina. In ihrer<br />

Heimat kann sie in Sommerwäl<strong>der</strong>n auf reichen<br />

Böden als langlebige Pionierholzart ein großer Baum<br />

werden. Sie wurde zu Anfang des Jahrhun<strong>der</strong>ts als<br />

Unterbau in Kiefernforsten auf armen Sandböden eingebracht,<br />

teils als Wildfutter, teils zur „Bodenverbesserung“.<br />

Auf solchen Standorten erreicht sie keine<br />

großen Höhen, beginnt aber sehr früh reichlich zu<br />

fruchten und kann sich mit Hilfe <strong>der</strong> Vögel rasch ausbreiten.<br />

Sie bildet heute vielfach Unterholz-Dickichte,<br />

die die Verjüngung <strong>der</strong> Kiefern vollständig unmöglich<br />

machen. Forstlich gesehen ist sie daher äußert<br />

unerwünscht und muß bekämpft werden. In ökologischer<br />

Hinsicht ist ihr Verhalten insofern interessant,<br />

als hier die Verjüngungssukzession des mitteleuropäischen<br />

Waldes durch das Hinzutreten einer neuen Art<br />

stark modifiziert worden ist. Prunus serótina baut das<br />

erste, von <strong>der</strong> Kiefer gebildete Pionierstadium (das die<br />

Forstwirtschaft aus wirtschaftlichen Gründen dauernd<br />

zu erhalten sucht) ab und leitet so die Sukzession zum<br />

potentiellen natürlichen Laubwald ein, in dem sie<br />

wahrscheinlich auch auf die Dauer einen festen Platz<br />

(als Agriophyt) haben dürfte. Eine Gefährdung alteinheimischer<br />

Arten ist damit jedoch nicht verbunden.<br />

Um noch einmal zu resümieren: in Mitteleuropa<br />

gibt es keine Gefährdung idiochorer Pflanzenarten<br />

durch Anthropochoren. Die nicht nur<br />

endemitenfreie, son<strong>der</strong>n auch insgesamt relativ<br />

arme einheimische Flora besteht aus Sippen, die<br />

ihre Konkurrenzstärke in <strong>der</strong> Vergangenheit<br />

dadurch bewiesen haben, daß sie nach mindestens<br />

Smaliger Eliminierung aus Mitteleuropa<br />

während <strong>der</strong> Eiszeiten immer wie<strong>der</strong> die Wie<strong>der</strong>besiedlung<br />

bewerkstelligt haben (viele konkurrenzschwache<br />

Sippen waren hierzu nicht fähig).<br />

Die heutige Einbürgerung bzw. Ausbreitung<br />

mancher Neophyten ist nur einer von vielen<br />

Schritten im Zuge <strong>der</strong> anthropogenen Fluktuation<br />

von Flora und Vegetation (Näheres hierzu<br />

vgl. S. 404).


II Pflanzengeographische Einteilung<br />

<strong>der</strong> Erde<br />

Wie ganz zu Anfang betont, ist die Vielfalt des<br />

Pflanzenkleides <strong>der</strong> Erde Ergebnis <strong>der</strong> Kombination<br />

zweier Variablen: <strong>der</strong> Umwelteinflüsse<br />

und <strong>der</strong> vorhandenen pflanzlichen Bausteine.<br />

Dementsprechend lassen sich im globalen Maßstab<br />

drei unterschiedliche Glie<strong>der</strong>ungen aufstellen:<br />

eine ökologische (d. h. großklimatische),<br />

eine floristische sowie die aus Komponenten<br />

bei<strong>der</strong> resultierende, insgesamt komplexere vegetationskundliche.<br />

Bei <strong>der</strong> Diskussion <strong>der</strong> globalen<br />

Glie<strong>der</strong>ungen beschränken wir uns hier auf<br />

Flora und Vegetation <strong>der</strong> Landoberfläche; zur<br />

Pflanzenwelt des Meeres vgl. S. 385.<br />

Die großklimatische Glie<strong>der</strong>ung ist nicht<br />

selbst Gegenstand <strong>der</strong> <strong>Pflanzengeographie</strong>; sie<br />

bildet vielmehr den Hintergrund für die kausale<br />

Erklärung <strong>der</strong> beiden pflanzengeographischen<br />

Klassifikationen. Die floristische Einteilung, mit<br />

ihrer höchsten Kategorie <strong>der</strong> Florenreiche, ist<br />

wenig problematisch und hat sich daher seit langem,<br />

von unwesentlichen Einzelheiten abgesehen,<br />

kaum verän<strong>der</strong>t.<br />

Kontroverser sind die Ansichten über die<br />

Vegetationsglie<strong>der</strong>ung. Das ist nicht verwun<strong>der</strong>lich:<br />

im Gegensatz zur Floristik, in <strong>der</strong> es um<br />

die räumliche Verteilung klar umrissener Pflanzensippen<br />

geht, lassen sich die Vegetationstypen<br />

bzw. -phasen, die Subjekte und Kriterien <strong>der</strong><br />

Gliedemng sein sollen, sehr unterschiedlich definieren.<br />

Geht man vom aktuellen Zustand <strong>der</strong> Vegetationsdecke<br />

<strong>der</strong> Erde aus, so kann man vier<br />

verschiedene Ebenen mit zunehmendem Abstraktionsgrad<br />

etablieren (vgl. auch S. 65, 70):<br />

(1) die aktuelle Vegetation<br />

(2) die potentielle natürliche Vegetation (abstrahiert<br />

von den Einflüssen des Menschen)<br />

(3) die klimatische Klimax (abstrahiert von <strong>der</strong><br />

Wirkung edaphischer Unterschiede)<br />

(4) das Klima als <strong>der</strong>en Grundlage (abstrahiert<br />

von <strong>der</strong> Vegetation selbst).<br />

Alle vier Abstraktionsniveaus sind schon für die<br />

Darstellung <strong>der</strong> Vegetationsglie<strong>der</strong>ung benutzt<br />

worden, z. T. auch in vermischter Form. So zeigen<br />

rein geographische Werke (z. B. Schulatlanten)<br />

nicht selten eine Mischung von (1) und (2)<br />

o<strong>der</strong> (3); lokale und regionale Vegetationsmonographien<br />

wenden sinnvollerweise das Niveau<br />

(2) an. Das vierte Niveau, bei dem die Vegetation<br />

selbst eliminiert ist, begründet eine<br />

nicht mehr pflanzengeographische, son<strong>der</strong>n rein<br />

ökologische Einteilung (siehe oben). Für die globale<br />

Vegetationsglie<strong>der</strong>ung vom botanischen<br />

Standpunkt her ist allein die klimatische Klimax<br />

(3) die angemessene Grundlage.<br />

Auch wenn man diesem Grundsatz folgt, wie<br />

es im vorliegenden Text <strong>der</strong> Fall ist, sind noch<br />

recht unterschiedliche Interpretationen möglich.<br />

Im Gegensatz zur floristischen Einteilung, die<br />

nur referiert zu werden braucht, erscheint es<br />

daher sinnvoll, die hier zugrundegelegte Vegetationsglie<strong>der</strong>ung<br />

im einzelnen zu entwickeln<br />

und zu begründen.<br />

Von den beiden Komponenten, die die globale<br />

Diversität <strong>der</strong> Pflanzendecke bedingen, resultiert<br />

die erste, die ökologische, aus den aktuellen<br />

Bedingungen abiotischer Natur. Hingegen<br />

ist die floristische Komponente nicht allein aktuell<br />

zu erklären, son<strong>der</strong>n nur als Ergebnis <strong>der</strong><br />

erdgeschichtlichen Entwicklung, d. h. <strong>der</strong> Evolution<br />

und Ausbreitung <strong>der</strong> Landpflanzen im<br />

Zusammenhang <strong>der</strong> geologischen Verän<strong>der</strong>ungen<br />

von Landoberfläche und Klima. Nach <strong>der</strong><br />

Vorstellung <strong>der</strong> aktuellen Floren- und Vegetationsglie<strong>der</strong>ung<br />

wird deshalb in einem abschließenden<br />

Kapitel ein kurzer Abriß dieser paläökologischen<br />

Hintergründe gegeben.<br />

Daß in verschiedenen Erdgegenden unterschiedliche<br />

Pflanzensippen und Vegetationstypen<br />

Vorkommen, ist <strong>der</strong> Menschheit schon<br />

von Anbeginn bekannt. Eine wissenschaftliche<br />

Analyse dieser Unterschiede im globalen Rahmen<br />

wurde aber erst durch die Entwicklung <strong>der</strong><br />

mo<strong>der</strong>nen Taxonomie und die Entschleierung<br />

immer größerer Teile <strong>der</strong> Erde möglich. So begann<br />

die historische Entwicklung <strong>der</strong> wissenschaftlichen<br />

<strong>Pflanzengeographie</strong> gegen Anfang


86 Pflanzengeographische Einteilung <strong>der</strong> Erde<br />

Tab. 20: Beispiele für pflanzengeographisehe Glie<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Erde seit 1800.<br />

K = Mit Kartendarstellung.<br />

Autor Florengebiete Formationen V egetationsgebiete K<br />

T reviranus 1803 8 Hauptfloren -<br />

A.P. Decandolle 1821 20 Kégions botaniques -<br />

ScHOuw 1823 22 pflanzengeogr. Keiche ■f<br />

A. D ecandolle 1835 45 Régions botaniques -<br />

Meyen 1836<br />

8 pflanzengeogr. Zonen<br />

je Hemisphäre<br />

Martius 1838/53 51 Florae Imperia +<br />

Grisebach 1872 24 Natürliche Floren 24 Vegetations-<br />

Gebiete<br />

Engler 1882 4 Florenreiche (ebenso 14 physiologische +<br />

noch bis 1936)<br />

Pflanzengruppen<br />

D rude 1884/87/90<br />

4 Florenreichsgruppen<br />

mit 14 Florenreichen<br />

Drude 1886/90 6 Vegetationszonen +<br />

SCHIMPER 1898<br />

13 Formationstypen<br />

+<br />

D elpino 1898 21 Florengebiete -<br />

Drude 1906<br />

Brockmann-Jerosch<br />

& Kübel 1912<br />

14 Formationsklassen -<br />

Drude 1913 11 Vegetationstypen -<br />

Kiku 1913 6 Florenreiche 6 Vegetationszonen -<br />

D iels 1918 6 Florenreiche +<br />

Brockmann-Jerosch<br />

1919<br />

9 Formationsgruppen +<br />

Kübel 1930 9 Formationsklassen +<br />

G ood 1953 6 Floristic Kingdoms 8 Vegetation Zones +<br />

mit 37 Floristic Regions<br />

je Hemisphäre<br />

Mattick 1954<br />

Meusel etc. 1965<br />

Ellen BERG &<br />

Müller-Dombois 1966<br />

6 Florenreiche mit<br />

43 Florengebieten<br />

-I-<br />

6 Florenreiche und,<br />

-1-<br />

davon unabhängig,<br />

10 Florenzonen -1<br />

7 Formationsklassen<br />

SCHMITHÜSEN 1968 8 Formationsklassen 9 Vegetationsgürtel -<br />

W alter 1968 11 Vegetationstypen (z. T. auch Zonen<br />

genannt)<br />

Laubenfels 1975 4 Florenreiche -1-<br />

Walter 1976 9 Zonobiome +<br />

-<br />

+<br />

+<br />

-<br />

25 Pflanzenformationen<br />

+


Pflanzengeographische Einteilung <strong>der</strong> Erde 87<br />

des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts. Dahei mußte man sich erst<br />

nach und nach über die Unterschiede zwischen<br />

Flora und Vegetation, zwischen biologischen<br />

(Vegetationstypen) und hiogeographischen Einheiten<br />

(Floren- bzw. Vegetationsgebieten), sowie<br />

über die erwähnten Abstraktionsniveaus klar<br />

werden.<br />

Gemeinhin gilt Alexan<strong>der</strong> von H umboldt<br />

als „Vater <strong>der</strong> <strong>Pflanzengeographie</strong>“. Aus <strong>der</strong> Verknüpfung<br />

<strong>der</strong> vielen zu Anfang des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

bereits bekannten Einzeltatsachen (vgl.<br />

ScHMiTHüSEN 1985) mit den Erfahrungen seiner<br />

5jährigen Tropenreise entstanden seine<br />

grundlegenden Schriften (1805, 1806, 1807), in<br />

denen viele wichtige Aspekte des Zusammenhanges<br />

zwischen Klima, Geomorphologie, Flora<br />

und Vegetation erstmals in logischer Klarheit<br />

formuliert sind. Allerdings hat H umboldt nicht<br />

versucht, selbst eine weltweite Glie<strong>der</strong>ung zu<br />

entwerfen.<br />

Wie die anliegende Zusammenstellung (Tab.<br />

20) zeigt, erschienen aber bereits im ersten Drittel<br />

des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts mehrere solche Einteilungen.<br />

Diese ersten Versuche waren naturgemäß<br />

vorwiegend floristischer Art. Die Erarbeitung<br />

echt vegetationskundlicher Glie<strong>der</strong>ungen<br />

konnte erst wesentlich später beginnen, da als<br />

notwendige Voraussetzung hierfür zunächst<br />

kartierbare Vegetationstypen definiert werden<br />

mußten. Obwohl schon H umboldt durch seine<br />

Liste physiognomischer Lebensformen (1806)<br />

eine Grundlage hierfür geliefert und G risebach<br />

1838 den Begriff <strong>der</strong> „pflanzengeographischen<br />

Formation“ geschaffen hatte, -wurde ein umfassendes<br />

System von Pflanzenformationen erst im<br />

letzten Drittel des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts entwickelt.<br />

Möglicherweise erschien eine solche, auf Gestaltbegriffen<br />

aus dem allgemeinen Sprachgebrauch<br />

bemhende Klassifikation vielen vorwiegend taxonomisch<br />

orientierten Botanikern <strong>der</strong> damaligen<br />

Zeit zu wenig wissenschaftlich. Ihr Erscheinen<br />

brachte dann aber sehr rasch den Durchbmch<br />

zur Aufstellung natürlicher Vegetationsgebiete.<br />

Schon einige Jahre vor H umboldt hatte T reviranus<br />

einen umfangreichen Aufsatz (1803: 44-<br />

136) über die „Geographische Verbreitung <strong>der</strong><br />

Pflanzen“ veröffentlicht. Hierin unterteilt er die<br />

Erde in 8 „Hauptfloren“, d. h. geographische<br />

Gebiete, die durch ihre mutmaßlich wichtigsten<br />

Pflanzengattungen und -familien charakterisiert<br />

werden. Diese älteste Einteilung zeigt bereits erstaunliche<br />

Ähnlichkeiten mit heute üblichen floristischen<br />

und vegetationskundlichen Gliedemngen.<br />

Ihre Einheiten heißen (in Klammern <strong>der</strong><br />

ungefähre Umfang):<br />

1.<br />

2.<br />

3.<br />

Nordische Flor (alle Län<strong>der</strong> <strong>der</strong> Alten und<br />

Neuen Welt nördlich von etwa 50°N)<br />

Morgenländische Flor, noch unterteilt in:<br />

Levantische (etwa Mittelmeergebiet)<br />

Tatarische (S-Sibirien, Turkestan, Tibet)<br />

Japanische (Japan, N-China)<br />

Virginische Flor (N-Amerika etwa von 50°N<br />

bis 35°N)<br />

Abb. 34: SCHOUWS Karte <strong>der</strong> Pflanzengeographischen Reiche von 1823.


88 Pflanzengeographische Einteilung <strong>der</strong> Erde<br />

4. Afrikanische Flor (Afrika südlich des Atlas)<br />

5. Ostindische Flor (Indien, Indochina, S-China,<br />

Indonesien)<br />

6 . Westindische Flor (Wärmeres Amerika, etwa<br />

zwischen 35°N und 35°S)<br />

7. Austrasische Flor (Australien und Südseeinseln)<br />

8 . Antarktische Flor (Chile, Paraguay (?), Feuerland,<br />

Neuseeland).<br />

Gegenüber dieser recht übersichtlichen Glie<strong>der</strong>ung<br />

zeigen die nächstfolgenden eine rasche<br />

Zunahme <strong>der</strong> Zahl <strong>der</strong> Einheiten. So unterscheidet<br />

A. P. Decandolle 1821 20 geographisch benannte<br />

„Régions botaniques“, und Schouw<br />

1823 22 „pflanzengeographische Reiche“. Diese<br />

benennt er großenteils nach für charakteristisch<br />

gehaltenen Pflanzensippen und bildet sie<br />

auf <strong>der</strong> ersten pflanzengeographischen Weltkarte<br />

ab (Abb. 34). Bei A. D ecandolle (1835) hat sich<br />

die Zahl <strong>der</strong> Régions botaniques bereits auf 45<br />

vermehrt, und bei Martius (1838/53) sind es<br />

51 „Florae Imperia“.<br />

Kritik an den bisherigen floristischen Gliedemngen<br />

übt 1836 Meyen. Er meint, eine richtige<br />

„pflanzenstatistische“ Einteilung <strong>der</strong> Erde<br />

würde erst möglich sein, „wenn die größte Anzahl<br />

<strong>der</strong> Pflanzen für alle Län<strong>der</strong> bekannt sein<br />

wird“; hingegen könne man auf Grund physiognomischer<br />

Kriterien leicht eine geographische<br />

Einteilung <strong>der</strong> Pflanzendecke vornehmen. Er<br />

präsentiert dann 17 „pflanzengeographische Zonen“,<br />

die durch die Vegetation charakterisiert<br />

seien; in Wirklichkeit sind sie aber allein durch<br />

Breitengrade und mittlere Jahrestemperaturen<br />

definiert, es handelt sich also um eine rein ökologische<br />

(z. T. sogar nur mathematisch-geographische)<br />

Klassifikation. Von ähnlichem, rein<br />

abiotisch definiertem Charakter sind auch die 9<br />

„Zones“ von B entham (1832/36) und die 11<br />

„Divisions“ von Pickering (1856/76), auf die diese<br />

Autoren ihre inzwischen bereits 61 bzw. 150<br />

„Floristic Regions“ verteilen.<br />

Der Übergang zu mo<strong>der</strong>nen Sichtweisen beginnt<br />

dann mit Grisebachs Werk „Die Vegetation<br />

<strong>der</strong> Erde nach ihrer klimatischen Anordnung“<br />

(1872). In etwa auf die alten Einheiten<br />

von Schouw und A. P. Decandolle zurückgreifend,<br />

unterscheidet er 24 „Natürliche Floren“,<br />

die aber auf <strong>der</strong> beigegebenen, schon 1866 erstmals<br />

veröffentlichten Karte „Vegetations-Gebiete“<br />

heißen. Tatsächlich kennt er noch keine Trennung<br />

zwischen den Begriffen Flora und Vegetation<br />

im heutigen Sinne. Seine Einheiten werden<br />

jedoch gekennzeichnet als Gebiete, „in <strong>der</strong>en<br />

Bereich die Pflanzenformen und ihre Anordnung<br />

einen gewissen Grad von Gleichartigkeit<br />

erkennen lassen... Jede natürliche Flora ist<br />

so darzustellen, daß zuerst die Vegetationsformen<br />

und ihre Anordnung zu Formationen<br />

als vom Klima abhängig nachgewiesen... werden“.<br />

Damit sind sie eindeutig vegetationskundlich<br />

definiert, und zugleich wird das Klima<br />

hier, an<strong>der</strong>s als bei Meyen usw., nicht selbst<br />

als Einteilungsprinzip, son<strong>der</strong>n als kausaler Hintergrund<br />

<strong>der</strong> Vegetationsglie<strong>der</strong>ung betrachtet,<br />

wie es auch nach heutiger Auffassung adäquat<br />

ist. Jedoch hat er noch keine prononcierte Liste<br />

solcher Formationen zusammengestellt, und infolgedessen<br />

kann er Hinweise auf die Verbreitung<br />

<strong>der</strong>selben Formation in verschiedenen Vegetationsgebieten<br />

nur andeutungsweise geben<br />

(z. B. durch Verwendung jeweils <strong>der</strong>selben Farben<br />

für die Vegetationsgebiete 2 und 12, 3 und<br />

14 sowie 4 und 13 auf <strong>der</strong> Karte).<br />

Die in G risebachs Werk noch sichtbaren<br />

Unvollkommenheiten wurden schon bald von<br />

seinen wissenschaftlichen Nachfolgern, Engler<br />

und Drude, beseitigt. Ihr Verdienst ist zunächst<br />

die klare begriffliche Unterscheidung zwischen<br />

„Flora“ und „Vegetation“ und ebenso zwischen<br />

Vegetationstypen und Vegetationsgebieten. So<br />

konnten von nun an die floristische und die<br />

vegetationskundliche Glie<strong>der</strong>ung unabhängig<br />

voneinan<strong>der</strong> weiterentwickelt werden.


A Floristische Glie<strong>der</strong>ung<br />

Ausgangspunkt für die heute übliche floristische<br />

Einteilung <strong>der</strong> Erde ist die Arbeit von Engler<br />

(1882). Aufgrund einer umfassenden Analyse <strong>der</strong><br />

Weltflora, unter Einbeziehung <strong>der</strong> damals schon<br />

in recht großer Menge bekannten Tertiär-Fossilien,<br />

beseitigte er die überkommene Inflation<br />

<strong>der</strong> floristischen Einheiten und reduzierte ihre<br />

Zahl auf etwa 30 „Florengebiete“. Diese faßte er<br />

zu 4 „Florenreichen“ zusammen; in beiden<br />

Rangstufen sind die Abgrenzungen rein floristisch<br />

definiert. Trotzdem entsprechen die Florenreiche<br />

recht gut <strong>der</strong> großklimatischen Differenzierung<br />

<strong>der</strong> Erde: je ein gürtelförmiges, die<br />

ganze Erde umspannendes Reich umfaßt die<br />

nördliche und die südliche extratropische Zone;<br />

nur die tropische Zone ist in 2 Reiche, ein altund<br />

ein neuweltliches, unterteilt.<br />

Auf dieser Grundlage hat es in <strong>der</strong> Folgezeit<br />

nur relativ wenige Än<strong>der</strong>ungen gegeben (Tab.<br />

21). Die einzige wirklich wichtige war die von<br />

Rikli (1913), <strong>der</strong> von dem südlich-extratropischen<br />

Florenreich zwei Teile, Australien und das<br />

Kapland, als eigene Reiche abtrennte, so daß<br />

seither 6 Florenreiche unterschieden werden.<br />

Ansonsten gibt es nur geringe Meinungsverschiedenheiten,<br />

z. B. bezüglich <strong>der</strong> Zahl <strong>der</strong><br />

Florenregionen (in deutscher Literatur oft mit<br />

dem unspezifischen Begriff Florengebiete benannt)<br />

und -provinzen (letztere werden aber<br />

nicht in allen globalen Darstellungen mit aufgeführt,<br />

vgl. Tab. 2 1 ). Umstritten ist an einigen<br />

Stellen die Abgrenzung <strong>der</strong> Florenreiche; Näheres<br />

hierzu in <strong>der</strong> folgenden Einzeldarstellung.<br />

In dieser werden zunächst die Einheiten näher<br />

Umrissen; es folgt dann eine Analyse <strong>der</strong> Weltflora<br />

im Hinblick auf charakteristische Verbreitungsmuster<br />

bezüglich <strong>der</strong> Florenreiche.<br />

'I<br />

Die Florenreiche und<br />

Florenregionen<br />

Wenn es um die weltweite Florenglie<strong>der</strong>ung<br />

geht, wird im deutschen Sprachraum gewöhnlich<br />

die Klassifikation von Mattick (1964) angewendet,<br />

von <strong>der</strong> wir auch hier ausgehen. Wichtige<br />

Detailän<strong>der</strong>ungen hierzu haben in jün-gerer<br />

Zeit Tachtadzian (1969, 1978) sowie Meu-Sel<br />

etc. (1965,1992) vorgeschlagen. Dabei neigt ersterer<br />

zu einer Verringerung <strong>der</strong> Zahl <strong>der</strong> Florenregionen,<br />

während letztere, die allerdings nur<br />

den eurasiatischen Teil <strong>der</strong> Holarktis bearbeitet<br />

haben, eher eine starke Aufsplitterung vertreten.<br />

In <strong>der</strong> hier vorgeführten Glie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Landflora<br />

(Abb. 35, Tab. 22) ist versucht worden, die<br />

zwischen den drei Konzepten bestehenden Differenzen<br />

in möglichst sinnvoller Weise auszugleichen.<br />

Die genannten Autoren M eusel etc. haben übrigens<br />

außer ihren Vorschlägen zur Än<strong>der</strong>ung traditioneller<br />

Florenregionen durch die Aufstellung <strong>der</strong> schon erwähnten<br />

„Florenzonen“ (S. 53) ein neues Element in<br />

die floristische <strong>Pflanzengeographie</strong> eingebracht. Von<br />

<strong>der</strong> Absicht her floristisch angelegt, sind diese Zonen<br />

doch in Wirklichkeit ebenso stark vegetationskundlich<br />

bestimmt und werden deshalb im Zusammenhang mit<br />

den Vegetationszonen noch einmal diskutiert (S. 112).<br />

Hier zeigt sich eine gewisse, nicht unberechtigte Wie<strong>der</strong>annäherung<br />

zwischen beiden Betrachtungsweisen,<br />

die sich seit <strong>der</strong> ENGLERschen Trennung manchmal<br />

etwas zu stark voneinan<strong>der</strong> entfernt hatten.<br />

Bei <strong>der</strong> Besprechung <strong>der</strong> einzelnen floristischen<br />

Einheiten werden im folgenden vielfach vegetationskundliche<br />

Fakten zur Charakterisierung<br />

mit herangezogen. Man könnte sich dabei die<br />

Frage stellen, ob die Unterscheidung zwischen<br />

Floren- und Vegetations-Glie<strong>der</strong>ung überhaupt<br />

notwendig sei, denn floristische und vegetationskundliche<br />

Grenzen sind tatsächlich oft<br />

identisch. Doch ist das keineswegs immer <strong>der</strong><br />

Fall, denn es besteht doch ein grundsätzlicher<br />

Unterschied. Vegetationsgrenzen beziehen sich<br />

stets auf die klimatische Klimaxvegetation, floristische<br />

hingegen auf die gesamte Flora, d. h.<br />

auch auf diejenige, die die Nichtklimax-Vegetationstypen<br />

aufbaut. Grenzt etwa ein Waldgebiet<br />

an ein Steppengebiet (vgl. Abb. 28, S. 61),<br />

so kann an trockenen Son<strong>der</strong>standorten im Bereich<br />

des Waldes extrazonal die lichtliebende<br />

Steppenflora Vorkommen, während umgekehrt<br />

an feuchten Standorten in <strong>der</strong> Steppe die Waldflora<br />

auftritt; azonale Standortstypen (Felsen,<br />

Gewässer) unterscheiden sich in beiden Gebieten<br />

möglicherweise überhaupt nicht. So kann<br />

in summa die Flora zweier Gebiete mit ganz unterschiedlicher<br />

Klimaxvegetation weitgehend<br />

identisch sein. Dementsprechend umfassen viele<br />

Florenregionen Klimaxgebiete verschiedener<br />

Vegetationstypen.<br />

I. Holarktisches Florenreich. In früherer Zeit<br />

(zuletzt noch bei Good 1953) auch als Boreales<br />

Florenreich bezeichnet, danach z. T. noch heute<br />

bei manchen Geographen (<strong>der</strong> Terminus


90 Floristische Glie<strong>der</strong>ung<br />

Tab. 21: Floristische Großglie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Erde seit Engler 1882.<br />

Abkürzungen: FR = Florenreich, FRg = Florenregion, FPr = Florenprovinz<br />

Engler 1882(11)<br />

32 FRg („Gebiete“)<br />

Engler 1904<br />

27 FRg („Gebiete“)<br />

Riku 1913 Good 1953<br />

36 FRg („Regions“)<br />

1. Nördliches Extratropisches<br />

FR<br />

9 FRg, 41 FPr<br />

I. Nördliches Extratropisches<br />

o<strong>der</strong><br />

Boreales FR<br />

9 FRg, 45 FPr<br />

I. Holarktisches FR<br />

= Holarktis<br />

Boreal Kingdom<br />

8 FRg, 45 FPr<br />

3. Südamerikanisches<br />

FR<br />

5 FRg, 13 FPr<br />

III. Zentral- und<br />

südamerikanisches<br />

FR<br />

5 FRg, 15 FPr<br />

III. Neotropisches<br />

FR<br />

= Neotropis<br />

Neotropical K.<br />

7 FRg, 18 FPr<br />

2. Paläotropisches FR<br />

o<strong>der</strong> Tropisches FR<br />

<strong>der</strong> Alten Welt<br />

10 FRg, 19 FPr<br />

II. Paläotropisches FR<br />

8 FRg, 26 FPr<br />

II. Paläotropisches FR<br />

= Paläotropis<br />

Palaeotropical K.<br />

(3 Subkingdoms)<br />

15 FRg, 46 FPr<br />

4. Altoceanisches FR<br />

8 FRg, 12 FPr<br />

' IV. Australes (Altozeanisches)<br />

FR<br />

5 FRg, 10 FPr<br />

IV. Kapländisches FR<br />

= Capensis<br />

South African K.<br />

1 FRg, 1 FPr<br />

V. Australisches FR<br />

= Australis<br />

Australian K.<br />

3 FRg, 8 FPr<br />

VI. Antarktisches FR<br />

= Antarktis<br />

Antarctic K.<br />

3 FRg, 10 FPr<br />

Boreal sollte aber zur Vermeidung von Mißverständnissen<br />

jetzt auf die entsprechende Vegetationszone<br />

bzw. Florenregion, s. unten, beschränkt<br />

werden). Als nördlich-extratropisches<br />

Gürtelreich reicht die Holarktis nach S etwa bis<br />

an die ökologische Tropengrenze, d. h. ihre<br />

Grenze ist ± identisch mit <strong>der</strong> zwischen <strong>der</strong><br />

Meridionalen und <strong>der</strong> Tropischen Vegetationszone<br />

(S. 111). Diese Grenze ist in den humiden<br />

Gebieten an den Ostseiten <strong>der</strong> Kontinente (O-<br />

Nordamerika, China) klar definiert, ebenso in<br />

Gebieten, wo das Temperaturgefälle durch Gebirge<br />

verstärkt wird (Mexiko, Himalaja). Schwierigkeiten<br />

bietet ihre Plazierung aber in den großen<br />

altweltlichen Trockengebieten (Näheres hierzu<br />

bei <strong>der</strong> Florenregion 9).<br />

Während die Holarktis bisher nur in Florenregionen<br />

(FRg) unterteilt wurde, schlägt T achtad2ian (1969)<br />

oberhalb dieser Ebene eine Glie<strong>der</strong>ung in 3 Unterreiche<br />

vor. Danach bilden die FRg 1-3, 5, 6 und 11<br />

das „Boreale“ (zu diesem Namen s. oben), die FRg 4<br />

das „Madrische“ und die FRg 7-10 das „Tethys“- o<strong>der</strong><br />

„Mesogäische“ Unterreich, d. h. das erste enthält im<br />

wesentlichen die humiden, die beiden an<strong>der</strong>en die<br />

nicht-humiden Teile <strong>der</strong> Holarktis.<br />

Holarktis und Paläotropis sind die vielgestaltigsten<br />

Florenreiche. Während das bei letzterer<br />

durch die starke geomorphologische Zersplitterung<br />

bedingt ist, ist es bei <strong>der</strong> Holarktis Folge<br />

<strong>der</strong> ökologischen Differenzierung: umfaßt sie<br />

doch 4 thermische Vegetationszonen (Arktisch<br />

bis Meridional). Diese sind zugleich eine zweite


Die Florenreiche und Florenregionen 91<br />

Fortsetzung Tab. 21: Floristische Großglie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Erde seit Engler 1882.<br />

Mattick 1964<br />

Tachtadzian 1969<br />

Tachtadzian 1978<br />

Laubenfels 1975<br />

43 FRg<br />

(„Florengebiete“)<br />

37 FRg<br />

(„Regions“)<br />

34 FRg<br />

(„Obiasti“)<br />

1. Holarktisches FR<br />

11 FRg<br />

I. Holarctic Kingdom<br />

(3 Subkingdoms)<br />

9 FRg<br />

I. Golarkticeskoe<br />

Carstvo<br />

= Holarctis<br />

(3 Podcarstva)<br />

9 FRg, 63 FPr<br />

Holarctic Realm<br />

(3 Subrealms)<br />

III. Neotropisches FR<br />

7 FRg<br />

III. Neotropical K.<br />

7 FRg<br />

111. Neotropiceskoe C.<br />

= Neotropis<br />

5 FRg, 13 FPr<br />

Neotropical R.<br />

(2 Subrealms)<br />

II. Paläotropisches FR<br />

(3 Unterreiche)<br />

17 FRg<br />

11. Paleotropical K.<br />

(5 Subkingdoms)<br />

14 FRg<br />

11. Paleotropiceskoe C.<br />

= Palaeotropis<br />

(5 Podcarstva)<br />

12 FRg, 48 FPr<br />

Paleotropical R.<br />

(nur Afrika)<br />

(2 Subrealms)<br />

Austromalesian R.<br />

(Humid Austromalesian<br />

Subrealm)<br />

IV. Kapländisches FR<br />

1 FRg<br />

III. Cape K.<br />

IFRg<br />

IV. Kapskoe C.<br />

= Capensis<br />

1 FRg, 1 FPr<br />

(Cape Subrealm)<br />

V. Australisches FR<br />

3 FRg<br />

V. Australian K.<br />

3 FRg<br />

V. Avstralijskoe C.<br />

= Australis<br />

3 FRg, 6 FPr<br />

(Australian Subrealm)<br />

VI. Antarktisches FR<br />

(2 Unterreiche)<br />

4 FRg<br />

VI. Antarctic K.<br />

3 FRg<br />

VI. Golantarkticeskoe C.<br />

= Holantarctis<br />

4 FRg, 16 FPr<br />

(Antarctic Subrealm)<br />

Ebene oberhalb <strong>der</strong> FRg, auf die sich die Verbreitung<br />

vieler holarktischer Florenelemente<br />

beziehen läßt; bei <strong>der</strong> Besprechung <strong>der</strong> zugehörigen<br />

Klimaxdomänen und Vegetationsregionen<br />

wird auf die entsprechenden Arealtypen eingegangen.<br />

Die Unterteilung <strong>der</strong> Holarktis in FRg wurde<br />

gerade in jüngerer Zeit etwas unterschiedlich gehandhabt.<br />

In Tab. 23 (S. 94) ist deshalb die hier<br />

benutzte Glie<strong>der</strong>ung den Meinungen einiger an<strong>der</strong>er<br />

Autoren vergleichend gegenübergestellt.<br />

1. Arktische Florenregion. Umfaßt die gesamte<br />

arktische Tundrenzone, <strong>der</strong>en Flora rings um<br />

den Nordpol auch auf Artniveau sehr einheitlich<br />

ist. Mit einzubeziehen sind Island und Südgrönland,<br />

die zwar noch zur Borealen Vegetationszone<br />

gehören, <strong>der</strong>en Flora aber von arktischen<br />

Sippen dominiert wird. Diese FRg wird<br />

schon seit Engler (1882) permanent in etwa gleichem<br />

Umfange unterschieden. Nur Tachta-<br />

DziAN glie<strong>der</strong>t sie 1978 in seine sehr weit gefaßte<br />

„Zirkumboreale“ FRg ein.<br />

2. Zirkum boreale Florenregion. Entspricht<br />

etwa <strong>der</strong> Borealen Vegetationszone ohne ihre<br />

sich nach S erstreckenden Ausläufer in den Gebirgen<br />

W-Nordamerikas und Ostasiens. Im<br />

Grundstock <strong>der</strong> Flora recht artenarm und einheitlich<br />

mit einer Reihe gemeinsamer Arten,<br />

Artaggregate o<strong>der</strong> Untergattungen. Angereichert,<br />

wird dieser Gmndbestand durch Sippen, die aus


92 Floristische Glie<strong>der</strong>ung<br />

den südlich angrenzenden FRg 5 , 6 und 11 übergreifen;<br />

danach erscheint eine Unterglie<strong>der</strong>ung<br />

in 3 Unterregionen angemessen: a. Kanadische,<br />

b. Skandisch-Westsibirische und c. Ostsibirische<br />

Unterregion; die Grenze zwischen b und<br />

c verläuft etwa von <strong>der</strong> Jenissej-Mündung zum<br />

Baikalsee.<br />

Diese FRg wurde schon von Engler seit 1882 in ähnlichem<br />

Umfange etabliert. Spätere Autoren wichen<br />

aber davon ab und teilten sie auf, wobei <strong>der</strong> nordamerikanische<br />

Teil meist auf die FRg 3 und 5 verteilt,<br />

<strong>der</strong> eurasiatische mit FRg 6 zu einer großen „eurosibirischen“<br />

FRg vereinigt wurde (vgl. Tab. 23). Mit<br />

<strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>herstellung <strong>der</strong> zirkumborealen FRg schließen<br />

wir uns M eusel etc. (1965/92) an.<br />

3. Oregonische Florenregion. Diese Region, im<br />

wesentlichen das Gebiet <strong>der</strong> nemoralen und<br />

borealen Nadelwäl<strong>der</strong> <strong>der</strong> W-nordamerikanischen<br />

Gebirge, wird auch als „Rocky Mountain<br />

Region“, „Cordilleran Forest Region“, „Boreopazifisch“<br />

u. a. bezeichnet. Der hier benutzte<br />

Name lehnt sich an die alte Bedeutung des<br />

Landesnamen Oregon an, <strong>der</strong> ungefähr diesen<br />

ganzen Raum umfaßte, also weit über den heutigen<br />

Staat Oregon hinausging. Entsprechend<br />

<strong>der</strong> Glie<strong>der</strong>ung von Gleason etc. (1964) wurde<br />

<strong>der</strong> zeitweise dieser Region zugeschlagene W-<br />

Teil <strong>der</strong> FRg 2a von Tachtadzian wie<strong>der</strong> abgetrennt.<br />

4. Madrische Florenregion. Umfang und Benennung<br />

dieser Region entsprechen Tachtadzian<br />

1969. Sie umfaßt einen Komplex sehr unterschiedlicher<br />

Vegetationstypen: stark trockenbeeinflußte<br />

méridionale und nemorale (im Gebirge)<br />

Wäl<strong>der</strong> sowie nemorale (im Great Basin)<br />

und méridionale (im sonorisch-mexikanischen<br />

Bereich) Wüsten. Im Gegensatz zur Alten Welt,<br />

wo die klare räumliche Trennung <strong>der</strong> entsprechenden<br />

Vegetationstypen zur Aufstellung von<br />

3 eigenen FRg (8 , 9, 10) geführt hat, ist das hier<br />

wegen ihrer starken mosaikartigen Verzahnung<br />

nicht möglich. Die Südgrenze, zugleich Grenze<br />

gegen die Neotropis, schließt das mexikanische<br />

Hochland mit ein und greift dadurch weit nach<br />

S aus. Im Bereich <strong>der</strong> W-Küste kommen zahlreiche<br />

Reliktendemiten vor.


Die Florenreiche und Florenregionen 93<br />

5. Ostnordamerikanische Florenregion. In <strong>der</strong><br />

Umgrenzung von Tachtad2ian 1978 ist dieses<br />

Gebiet trotz seiner verschiedenen Klim axregionen<br />

(Sommerwald, Lorbeerwald, Prärie)<br />

eine organisch zusammenhängende Einheit; frühere<br />

Versuche <strong>der</strong> Aufteilung (Good, Mattick)<br />

hatten kaum sachliche Berechtigung. (Näheres<br />

zur klimatisch-vegetationskundlich-floristischen<br />

Differenzierung dieses Raumes vgl. bei <strong>der</strong> Besprechung<br />

<strong>der</strong> Nemoralen Zone, S. 261.) Die<br />

Südgrenze gegen die Neotropis auf <strong>der</strong> Halbinsel<br />

Florida ist sehr scharf<br />

6 . Südeurosibirische Florenregion. Wie erwähnt,<br />

wurde dieses Gebiet früher häufig mit<br />

dem eurasiatischen Teil <strong>der</strong> FRg 2 zur „Eurosibirischen<br />

FRg“ zusammengefaßt (vgl. Good,<br />

Tachtad2ian 1969). Die (Wie<strong>der</strong>-) Aufteilung<br />

dieses sehr großen Gebietes begann mit <strong>der</strong> Spaltung<br />

in eine (rein boreale) „Ostsibirische“ und<br />

eine „Euro-Westsibirische“ FRg durch Mattick.<br />

Letztere wurde nun durch die Wie<strong>der</strong>herstellung<br />

<strong>der</strong> Zirkumborealen FRg auf ihren nicht-borealen<br />

Südteil reduziert. Da dieser bisher keinen<br />

adäquaten Namen hatte und an<strong>der</strong>erseits die<br />

Florengebietsbezeichnung „eurosibirisch“ sehr<br />

geläufig ist, wird hier <strong>der</strong> Name „Südeurosibirische<br />

FRg“ vorgeschlagen. In ihrem immer noch<br />

recht großen Umfang von W-Europa bis SW-<br />

Sibirien und N-Iran umfaßt sie die Klimaxregionen<br />

des europäisch-vor<strong>der</strong>asiatischen Sommerwaldes<br />

und <strong>der</strong> Steppe und ist damit ein<br />

Pendant zur ostamerikanischen FRg 5.<br />

Meusel etc., auf die die Abspaltung des borealen Teils<br />

zurückgeht, haben die Südeurosibirische FRg nicht als<br />

solche erhalten, son<strong>der</strong>n noch weiter aufgeteilt, und<br />

zwar in einer Form, durch die auch ihre Südgrenze<br />

gegen die Mediterrane FRg, über die sonst bei den<br />

meisten Autoren (Good, Mattick, Tachtadzian) Einigkeit<br />

herrscht, stark verän<strong>der</strong>t wird. Dieser Gliedemng<br />

wird hier nicht gefolgt. Näheres zur Unterteilung<br />

<strong>der</strong> FRg 6 in Florenprovinzen vgl. Abb. 193,<br />

S. 408.<br />

7. Makaronesische Florenregion. Diese Region,<br />

die schon von Engler 1882 im heute noch<br />

üblichen Umfang aufgestellt wurde, besteht aus<br />

den vier atlantischen Inselgruppen Azoren,<br />

Madeira, Kanaren und Kapverden. Wichtigste<br />

floristische Beson<strong>der</strong>heit ist das Vorkommen <strong>der</strong><br />

reliktären europäischen Lorbeerwaldflora auf<br />

den drei nördlichen Gruppen. Als zweites Element<br />

tritt auf Madeira und (hier in bester Entfaltung)<br />

auf den Kanaren eine maritim getönte.<br />

Tab. 22: Florenreiche und Florenregionen (FRg) des<br />

Landes.<br />

I. Holarktisches Florenreich<br />

1. Arktische FRg<br />

2. Zirkumboreale FRg<br />

a. Kanadische URg<br />

b. Skandisch-Westsibirische URg<br />

c. Ostsibirische URg<br />

3. Oregonische FRg<br />

4. Madrische FRg<br />

5. Ostnordamerikanische FRg<br />

6. Südeurosibirische FRg<br />

7. Makaronesische FRg<br />

8. Mediterrane FRg<br />

9. Saharo-Arabische FRg<br />

10. Irano-Turanische FRg<br />

a. Orientalisch-Kasachische URg<br />

b. Tibetisch-Mongolische URg<br />

11. Sino-Japanische FRg<br />

II. Neotropisches Florenreich<br />

12. Karibische FRg<br />

13. Venezolanisch-Guajanische FRg<br />

14. Andisch-Pazifische FRg<br />

15. Amazonische FRg<br />

16. Brasilianische FRg<br />

17. Laplata-FRg<br />

III. Paläotropisches Florenreich<br />

A. Afrikanisches "Unterreich<br />

18. Sudano-Sindische FRg<br />

a. Sahelo-Sudanische URg<br />

b. Nubo-Sindische URg<br />

19. Guinea-Kongo-FRg<br />

20. St.-Helena-Ascension-FRg<br />

21. Sambesische FRg<br />

22. Karru-Namib-FRg<br />

23. Madagassische FRg<br />

B. Indo-Pazifisches Unterreich<br />

24. Vor<strong>der</strong>indische FRg<br />

25. Indochinesische FRg<br />

26. Malesische FRg<br />

27. Papuasische FRg<br />

28. Neukaledonische FRg<br />

29. Polynesische FRg<br />

30. Hawaiische FRg<br />

IV. Kapländisches Florenreich<br />

31. Kapländische FRg<br />

V. Australisches Florenreich<br />

32. Südwestaustralische FRg<br />

33. Zentralaustralische FRg<br />

34. Nordaustralische FRg<br />

35. Südostaustralische FRg<br />

VI. Holantarktisches Florenreich<br />

36. Chilenisch-Patagonische FRg<br />

37. Neuseeländische FRg<br />

38. Antarktische FRg


Die Florenreiche und Florenregionen 95<br />

von <strong>der</strong> <strong>der</strong> angrenzenden Sahara ziemlich verschiedene<br />

Trockenflora hinzu. Die Flora <strong>der</strong> sehr<br />

trockenen Kapverden ist demgegenüber stark<br />

verarmt. Sie wird wegen des Ubergreifens einiger<br />

typischer Sippen traditionell hier angeschlossen;<br />

doch könnte man sie mit gleicher Berechtigung<br />

auch zur FRg 9 o<strong>der</strong> sogar, wie es Meusel<br />

etc. tun, zur Paläotropis stellen.<br />

8 . Mediterrane Florenregion. Über Benennung<br />

und Umgrenzung dieser Region, die im wesentlichen<br />

das Klimaxgebiet des mediterranen Hartlaubwaldes<br />

umfaßt, herrscht bei fast allen neueren<br />

Autoren Einigkeit. Nur M eusel etc. vergrößern<br />

den Umfang durch Hinzufügung von Teilen<br />

<strong>der</strong> Submediterranen und Euxinisch-Hyrkanischen<br />

Provinzen von FRg 6 , was aber wenig<br />

einsichtig ist.<br />

9. Saharo-Arabische Florenregion. Das große<br />

nordafrikanisch-südwestasiatische Trockengebiet<br />

wurde traditionell meist als „Saharo-Sindische“<br />

FRg zur Paläotropis gestellt (so noch bei<br />

Good, M A T n C K u n d T A C H T A D iiA N 1969). Schon<br />

Engler hatte allerdings auf seiner Karte von 1882<br />

das nördliche Drittel <strong>der</strong> Sahara und <strong>der</strong> arabischen<br />

Wüste an sein „Mittelmeergebiet" angeglie<strong>der</strong>t,<br />

und auch die spätere Saharo-Sindische FRg<br />

wird oft als Mischgebiet mit mediterranen und<br />

paläotropischen Elementen bezeichnet (z. B.<br />

Engler 1904, 1936). Die Arbeiten von Eig<br />

(1931), Ozenda (1958), Q u fiZ E L (1965) und Zo-<br />

HARY (1963, 1973) haben dann gezeigt, daß in<br />

<strong>der</strong> Mischflora <strong>der</strong> Sahara und <strong>der</strong> arabischen<br />

Wüste nur im ganz frostfreien S das paläotropische<br />

Element dominiert, während sonst das<br />

holarktische mindestens gleichstark vertreten ist.<br />

Das führte zur Abtrennung <strong>der</strong> Saharo-Arabischen<br />

FRg von <strong>der</strong> Saharo-Sindischen, <strong>der</strong>en<br />

Rest dann mit FRg 18 vereinigt wurde (Zohary<br />

1963, 1973). Diese neue Glie<strong>der</strong>ung, durch die<br />

die Grenze <strong>der</strong> Holarktis wesentlich nach S verschoben<br />

wird, wurde im globalen Rahmen erstmals<br />

von Tachtadzian (1978) übernommen.<br />

10. Irano-Turanische Florenregion. Umfaßt die<br />

gesamten winterkalten (nemoralen) Trockengebiete<br />

West- und Zentralasiens. Die extremen Üimatischen<br />

Bedingungen bewirken eine ziemliche<br />

Gleichförmigkeit. Eine gewisse klimatische<br />

und floristische Grenze wird allerdings durch<br />

die mittelasiatische Gebirgsbarriere (Pamir -<br />

Tienschan - Altai) gebildet, auf <strong>der</strong>en W-Seite<br />

die Einstrahlungen aus den FRg 6 , 8 und 9 wesentlich<br />

stärker sind als östlich davon. Sie rechtfertigt<br />

die Aufteilung in 2 Unterregionen (vgl.<br />

Zohary 1973), die hier als Orientalisch-Kasachische<br />

(a) und Tibetisch-Mongolische (b) bezeichnet<br />

seien (O zenda 1982 sowie M eusel etc.<br />

1992 erheben sie sogar in den Rang eigener Regionen).<br />

11. Sino-Japanische Florenregion. Zu dieser<br />

Region, <strong>der</strong> am wenigsten umstrittenen <strong>der</strong><br />

Holarktis, gehört das gesamte Lorbeerwald- und<br />

Sommerwaldgebiet Ostasiens einschließlich des<br />

westlich angrenzenden Steppensaumes. Sie ist<br />

das ostasiatische Gegenstück zu den FRg 5 und<br />

6 . Sie zeichnet sich durch eine große Zahl von<br />

Reliktendemiten (u. a. eine Reihe von ursprünglichen<br />

Angiospermen und Koniferen) aus, beson<strong>der</strong>s<br />

in den gebirgigen Teilen des SW (vgl.<br />

Tab. 35, S. 272).<br />

II. Neotropisches Florenreich. Während die<br />

Holarktis in <strong>der</strong> <strong>Pflanzengeographie</strong> (im Gegensatz<br />

zur Tiergeographie) immer als einheitliches,<br />

den Globus umspannendes Reich angesehen<br />

wurde, hat man die Flora <strong>der</strong> tropischen Vegetationszone<br />

von Anfang an in 2 Reiche aufgeteilt.<br />

Die floristischen Unterschiede zwischen<br />

Alter und Neuer Welt erscheinen hierfür groß<br />

genug, obwohl es an<strong>der</strong>erseits auch viele floristische<br />

(pantropische, vgl. S. 104) Gemeinsamkeiten<br />

gibt. Die Grenzen gegen die Paläotropis<br />

sind durch die Meere gegeben. Dabei wird <strong>der</strong><br />

Atlantik etwa in <strong>der</strong> Mitte durchquert; im Pazifik<br />

gehören dagegen nur einige kontinentnahe<br />

Inselgruppen (z. B. die Galápagos) zur Neotropis.<br />

Schwierigkeiten bietet die Abgrenzung<br />

im S gegen die Holantarktis. Infolge <strong>der</strong> geringen<br />

Landmasse ist das Temperaturgefälle auf <strong>der</strong><br />

Südhalbkugel sehr gering, und es findet sich ein<br />

breiter Übergangsgürtel, dessen Zuordnung umstritten<br />

ist. Während M attick allein den südlichen<br />

Teil des chilenischen Waldgebietes (etwa<br />

ab 40°S) zur Holantarktis stellt, zieht T achtadzian<br />

1978 die Grenze im Bereich zwischen 33<br />

und 35°S quer durch Südamerika. Die FRg 17<br />

(vgl. S. 96), die dadurch zur Holantarktis käme,<br />

ist aber trotz ihres ± extratropischen Klimas<br />

noch überwiegend von Florenelementen tropischer<br />

Verwandtschaft beherrscht; deshalb wird<br />

diese Zuordnung hier nicht übernommen. Von<br />

dieser Meinungsverschiedenheit abgesehen, un-


96 Floristische Glie<strong>der</strong>ung<br />

terteilen die meisten Autoren die Neotropis recht<br />

gleichmäßig.<br />

12. Karibische Florenregion. Durch Meeresteile,<br />

Inseln und Gebirge sehr stark geglie<strong>der</strong>t,<br />

beherbergt diese Region alle Abstufungen tropischer<br />

Vegetation vom Tropischen Regenwald<br />

bis zur Wüste. Die charakteristischen Florenelemente<br />

aller dieser Vegetationstypen sind oft<br />

recht weit über den ganzen Raum verbreitet;<br />

daneben gibt es wegen <strong>der</strong> kleinräumigen Glie<strong>der</strong>ung<br />

zahlreiche Lokalendemiten nie<strong>der</strong>en<br />

Ranges. In den höheren Gebirgen Mittelamerikas<br />

treten Einstrahlungen extratropischer Elemente<br />

hinzu, sowohl aus <strong>der</strong> Holarktis als auch<br />

aus <strong>der</strong> Holantarktis (vgl. S. 206, 209).<br />

13. Venezolanisch-Guajanische Florenregion.<br />

Der vorigen Region nahestehend, jedoch davon<br />

abgehoben durch die Florenelemente <strong>der</strong> ausgedehnten,<br />

meist edaphisch bedingten Savannen<br />

(Llanos) und vor allem durch die einzigartige,<br />

viele Reliktendemiten enthaltende Flora des<br />

guajanischen Berglandes.<br />

14. Andisch-Pazifische Florenregion. Auch<br />

diese Region, die neben dem breiten Andenmassiv<br />

das pazifische Küstentiefland umfaßt, ist<br />

ökologisch sehr vielseitig mit ihrem Feuchtegradienten<br />

von <strong>der</strong> extrem ariden Küstenwüste<br />

bis zu den perhumiden Gebirgswäl<strong>der</strong>n an den<br />

Osthängen. In den Andenhochlagen sind <strong>der</strong><br />

genuinen tropischen Gebirgsflora viele extratropische<br />

(beson<strong>der</strong>s holantarktische) Elemente<br />

beigemischt (vgl. S. 209), die allerdings keine<br />

Herauslösung <strong>der</strong> Region aus dem tropischen<br />

Zusammenhang rechtfertigen würden.<br />

15. Amazonische Florenregion (Hyläa). Um ­<br />

faßt das Gebiet des amazonischen Regenwaldes,<br />

das trotz ökologischer Gleichförmigkeit infolge<br />

langer ungestörter Entwicklung eine äußerst<br />

reichhaltige Flora aufweist. Neben <strong>der</strong> dominierenden<br />

Waldflora sind auch Pflanzen <strong>der</strong> Gewässer<br />

und Überschwemmungsbereiche sowie<br />

solche offener Vegetation auf extrem armen<br />

Böden charakteristisch.<br />

16. Brasilianische Florenregion. Hier, südlich<br />

des Amazonasgebietes, herrscht wie<strong>der</strong> hygrische<br />

Vielfalt, die vom Regenwald bis zu semiariden<br />

Offenwäl<strong>der</strong>n reicht. Insofern ähnelt dieser<br />

Bereich <strong>der</strong> FRg 12, doch ist die geomor-<br />

phologische Glie<strong>der</strong>ung (und damit auch die<br />

Zahl <strong>der</strong> Lokalendemiten) viel geringer. Holantarktische<br />

Einstrahlungen finden sich auf dem<br />

Altiplano Südbrasiliens.<br />

17. Laplata-Florenregion. Wie angedeutet, handelt<br />

es sich hier um ein Ubergangsgebiet. Früher<br />

oft als Pampa-Region bezeichnet (<strong>der</strong> hier<br />

benutzte Name stam mt von S chmithüsen<br />

1968), wurde diese Region meist ziemlich weit<br />

gefaßt. Hier beschränken wir sie auf den Bereich<br />

<strong>der</strong> Pampa und <strong>der</strong> südlichen Domgehölze (etwa<br />

die Pampa- und die Monte-Provinz im Sinne<br />

von C abrera 1953/1971). Die Mischung von<br />

tropischen und extratropischen Elementen ist<br />

beson<strong>der</strong>s bei den Gräsern und Kräutern <strong>der</strong><br />

Pampa auffällig, während im Monte die neotropische<br />

Flora noch weit überwiegt. An<strong>der</strong>erseits<br />

ist die im SW angrenzende Patagonische<br />

Provinz C abreras stark holantarktisch dominiert<br />

und wird daher zur FRg 36 gestellt.<br />

III. Paläotropisches Florenreich. Verglichen mit<br />

<strong>der</strong> Neotropis ist dieses Florenreich nicht nur<br />

viel größer, son<strong>der</strong>n auch viel stärker geglie<strong>der</strong>t.<br />

Analysiert man die Verbreitung <strong>der</strong> tropischen<br />

Vegetationstypen par excellence, <strong>der</strong> immerfeuchten<br />

und wechselfeuchten Wäl<strong>der</strong>, und ihrer<br />

Flora, so stellt man fest, daß die Paläotropis<br />

zwei Mannigfaltigkeitszentren aufweist: das<br />

m ittlere Afrika und den südostasiatischpapuasischen<br />

Raum. Beide stehen dem neotropischen<br />

Zentrum an Eigenständigkeit nicht<br />

nach, und man könnte durchaus dafür plädieren,<br />

sie als separate Florenreiche anzusehen. Einer<br />

solchen Aufteilung (die bisher nur Laubenfels<br />

durchgeführt hat, allerdings mit weiteren<br />

Abweichungen, vgl. Tab. 21) steht aber u. a. die<br />

Tatsache entgegen, daß zwei FRg, nämlich Madagaskar<br />

und Vor<strong>der</strong>indien, eine starke Vermischung<br />

von Elementen bei<strong>der</strong> Bereiche zeigen.<br />

Entsprechend <strong>der</strong> allgemeinen Auffassung werden<br />

daher hier nur 2 Unterreiche, das Afrikan<br />

isch e (A) m it den FRg 18-23, und das<br />

Indopazifische (B) mit den FRg 24-30, unterschieden<br />

(Tachtadzian favorisiert eine Aufteilung<br />

in 5 Unterreiche). Bezüglich <strong>der</strong> Untergliedemng<br />

in FRg sind die Differenzen (außer bei<br />

FRg 18) nicht sehr groß.<br />

Über die Abgrenzung gegen die Holarktis in Afrika<br />

vgl. bei FRg 9; weiter östlich ist diese kaum umstritten.<br />

Gleiches gilt für die Südgrenze gegen die Kapensis.


Die Florenreiche und Florenregionen 97<br />

Weniger einig ist man sich im SO: hier wurde Neuseeland<br />

früher z. T. noch zur Paläotropis gerechnet,<br />

und neuerdings gibt es Tendenzen zur Anglie<strong>der</strong>ung<br />

N-Australiens an diese (vgl. bei FRg 34 und 37).<br />

18. Sudano-Sindische Florenregion. Verglichen<br />

mit älteren Darstellungen, etwa bei M attick,<br />

setzt sich diese Region aus drei Teilen zusammen:<br />

aus M atticks „Senegambisch-Sudanischer“<br />

und „Nordostafrikanischer" sowie dem<br />

S- und ,0-Teil <strong>der</strong> ehemaligen Saharo-Sindischen<br />

Region (vgl. bei FRg 9). Sie umfaßt damit den<br />

gesamten Bereich <strong>der</strong> nordafrikanischen nichthumiden<br />

Tropenvegetation (vom semihumiden<br />

Wald bis zur Wüste) und erstreckt sich im<br />

semiariden und ariden Bereich bis nach Indien<br />

(die indischen semihumiden Monsunwäl<strong>der</strong><br />

sind hingegen floristisch abweichend).<br />

Die frühere Abgrenzung einer N ordostafrikanischen<br />

FRg wurde mit dem Auftreten<br />

„afromontaner“ Flora auf dem äthiopischen<br />

Hochland begründet (obwohl etageal verbreitete<br />

Florenelemente im allgemeinen nicht zur Abgrenzung<br />

von FRg verwendet werden sollten).<br />

Wie ZoHARY (1973) gezeigt hat, verläuft aber am<br />

Westrande dieses Bereiches und weiter bis nach<br />

0-Agypten eine floristische Grenzlinie, die eine<br />

Aufteilung <strong>der</strong> Region in 2 Unterregionen nahelegt:<br />

eine Sahelo-Sudanische (a) im W und<br />

eine Nubo-Sindische (b) im O.<br />

19. Guinea-Kongo-Florenregion. Als Klimaxgebiet<br />

des Tropischen Regenwaldes ist diese<br />

Region das Gegenstück zur amazonischen FRg<br />

15. Verglichen mit dieser ist ihre Flora aber wesentlich<br />

ärmer. Ganz allgemein ist festzustellen,<br />

daß die Flora Afrikas (beson<strong>der</strong>s die <strong>der</strong> humi<strong>der</strong>en<br />