Neue Szene Augsburg 2016-07
Das Stadtmagazin für Augsburg und Umgebung. Aktuelle Info und Veranstaltungskalender unter www.neue-szene.de
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24 Tag&Nacht<br />
*<strong>Augsburg</strong>s<br />
1000 Meisterwerke<br />
Es gibt zweierlei Arten des Untergangs. Einmal<br />
den durchweg katastrophalen Untergang ohne<br />
jeden Witz, der die Phantasie kein bisschen<br />
beflügelt, wie zum Beispiel der von (aktueller<br />
Name). Und dann gibt es eine Untergangsart,<br />
die in sich zwar ebenso traurig ist wie die erste,<br />
aber immerhin fragt man sich bei ihr: Na, was<br />
ist denn da passiert, das ist ja komisch!<br />
Davon hat der Leidtragende zwar nichts, aber es<br />
hat die Kunst ja noch nie interessiert, wem sie<br />
ihre Pointe verdankt. Da liegt beispielsweise ein<br />
Fahrrad, nein, die Überreste eines Fahrrad auf<br />
dem Fußweg wie ein ausgeweidetes Tier und<br />
schon freut sich die Kreativität und juchzt: Hei,<br />
was steckt hier wohl dahinter? Eine Geschichte?<br />
Eine Tragödie? Können wir lachen darüber oder<br />
müssen wir weinen, oder beides? Voilà schon ist<br />
alles da, was man braucht.<br />
Le Tod des Fahrrads also. Es lag letzte Woche<br />
einfach so vor mir. Keine Anzeichen, was passiert<br />
war, na ja, eigentlich doch eine Menge<br />
Anzeichen. Die Überreste des Fahrrads riefen<br />
förmlich: Es ging mir schon mal besser. Le Hinterreifen<br />
verschwunden, der Sattel, der Lenker<br />
weggeschleudert, alle Kabel abgerissen, Licht<br />
auch verschwunden, nur der Vorderreifen war<br />
seltsamerweise mitsamt den Katzenauge erhalten<br />
geblieben. Warum nur? Warum wurde das<br />
Fahrrad nicht gleich gänzlich ausgelöscht, wieso<br />
wurde seine Existenz nicht einfach beendet?<br />
Diese Fragen führten mich zur größeren Frage:<br />
Wann ist ein Fahrrad eigentlich kein Fahrrad<br />
Geistreiche Blicke auf eine verkannte Stadt<br />
von Professor Dr. Spätzle<br />
mehr? Wenn es nicht mehr fahren kann? Das<br />
wäre naheliegend, aber auch etwas streng,<br />
schließlich kann man es ja reparieren. Ist ein<br />
Fahrrad vielleicht keines mehr, wenn es nicht<br />
mehr wie ein Fahrrad aussieht? Aber das ist auch<br />
albern, denn ein Fahrrad sieht sehr lange wie ein<br />
Fahrrad aus, man muss sich schon sehr anstrengen,<br />
um ein Fahrrad so herzurichten, dass es<br />
rein optisch von niemandem mehr als solches<br />
erkannt werden kann. Selbst wenn das vor mir<br />
liegende Fahrrad überhaupt keine Räder mehr<br />
gehabt hätte, wäre es doch wie ein verstümmeltes<br />
Fahrrad erschienen, ein bemitleidenswertes<br />
Fahrrad, eines, das einem die Tränen in die Augen<br />
treibt, weil alle Vergänglichkeit uns traurig<br />
macht. Vielleicht wäre das Fahrrad kein Fahrrad<br />
mehr, wenn es keinen Rahmen mehr hätte. Also<br />
nur Räder, Schaltung, Sattel, von mir aus Pedale,<br />
gerne auch Bremse und wenn es sein muss auch<br />
eine Klingel. Ja,<br />
wer angesichts eines es solchen<br />
Haufens, der allenfalls lose durch Brems- und<br />
Schaltkabel verbunden ist von einem Fahrrad<br />
sprechen würde, den könnte man einen Utopisten,<br />
einen Visionär oder zumindest einen sehr<br />
optimistischen Zeitgenossen nennen.<br />
Die Gegenprobe wäre aber auch interessant.<br />
Ein furchtbarer Pessimist, Schwarzseher, Übertreiberling<br />
und Kritikaster wäre, wenn einem<br />
Fahrrad die Existenz schon deswegen absprechen<br />
würde, wenn es beispielsweise kein Rücklicht<br />
hätte. Vielleicht könnte man aus diesem<br />
Beispiel eine hilfreiche psychiatrische Untersuchungsmethode<br />
entwickeln! Man zeigt dem<br />
Patienten verschiedene Bilder von Fahrrädern<br />
in allen möglichen Zuständen. Völlig zerstört,<br />
wie unser Beispiel, völlig intakt, weniger intakt,<br />
ramponiert etc. und je nachdem, wie der Patient<br />
die Existenzfrage des Fahrrads beurteilt, kann<br />
man wiederum seine psychische Konstitution<br />
abschätzen. Ich könnte diesen Test nach mir benennen<br />
lassen. Den Spätzle-Fahrradtest.<br />
Er würde unzähligen hilfesuchenden Kranken<br />
und ratlosen Psychiatern wertvolle Hilfe leisten,<br />
vielleicht würde man auch gleich ein eigenes<br />
Krankheitsbild kreieren. Das Spätzle-Syndrom.<br />
Endlich, endlich hätte ich mich mit etwas wertvollerem<br />
verewigt als mit zwei unehelichen, leider<br />
nicht eben wohlgeratenen Kindern. Ich wäre<br />
ein gemachter Mann! Und alles nur wegen eines<br />
dankenswerterweise tragisch verblichenen<br />
Fahrrads.<br />
<br />
Mietvertrag endet im<br />
September