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Neue Szene Augsburg 2016-07

Das Stadtmagazin für Augsburg und Umgebung. Aktuelle Info und Veranstaltungskalender unter www.neue-szene.de

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36 Zoom<br />

Guten Abend, morgen<br />

geht die Welt unter<br />

Wie wir durch den täglichen Medienhorror immer<br />

hysterischer werden – ein Aufschrei<br />

Am schlimmsten sind die Meldungen über tödlich verunglückte Kinder. Gestern wurde<br />

ein zweijähriger Junge in Orlando (Florida) von einem Krokodil getötet, sein Vater hat<br />

vergeblich versucht seinen Sohn zu retten. Am Tag davor hat eine Mutter in Krefeld ihre<br />

drei Kinder aus dem Fenster (3. Stock) geworfen, zwei von ihnen kämpfen noch mit dem<br />

Tod. Letzte Woche ertrank ein kleines Mädchen beim Spielen an einem Fluss, die Mutter<br />

versuchte es zu retten und ertrank dabei.<br />

Und so geht es immer, immer, immer weiter. Wir werden<br />

jeden Tag mit Horrormeldungen gefüttert. Ich<br />

weiß, was jetzt für ein Einwand kommt. Diese Meldungen<br />

spiegeln nur die traurige Realität wieder. Man<br />

kann durch die Berichte über tragische Unglücke ja<br />

verhindern, dass anderen Menschen ähnliches passiert,<br />

weil die dann vorsichtiger sind.<br />

Meine Antwort auf diese Einwände:<br />

Bullshit!<br />

Wenn wir nur eine Sekunde ehrlich zu uns selbst sind,<br />

müssen wir zugeben, dass uns das Grauen, auf eine<br />

dunkle Art fasziniert. Es ist dieselbe Art der Faszination,<br />

die Schaulustige empfinden, wenn sie einen<br />

Verkehrsunfall sehen. Aber das ist noch nicht alles.<br />

Das, was uns kurz auf perfide Art fasziniert, das Leid<br />

anderer Menschen, vergiftet uns auf Dauer seelisch.<br />

Die toten Kinder, die verstümmelten Menschen, der<br />

spektakuläre Verkehrsunfall, die drohende Katastrophe,<br />

die steigende Gewalt, die zunehmende Terrorgefahr,<br />

die bedrohliche Menschenwelle, das tödliche<br />

Versehen, die verzweifelten Angehörigen, die warnenden<br />

Experten. All das fesselt uns im Augenblick<br />

der Betrachtung und macht uns auf lange Sicht<br />

wahnsinnig.<br />

Wir leben in einer Zeit des immer mehr, in einer<br />

Zeit der apokalyptischen Superlative. Wir fühlen uns<br />

umgeben von Katastrophen und Gefahren. Wenn irgendwo<br />

auf diesem Planeten ein Mensch durch einen<br />

tragischen Zufall zu Schaden kommt, wenn irgendwo<br />

ein Verrückter Menschen ermordet und jemand mit<br />

einer Kamera ist in der Nähe – wir kriegen es live<br />

serviert. Es gibt den Spruch, dass die Wahrheit uns<br />

frei macht. Wahr ist: Die Informationsflut macht uns<br />

seelisch kaputt.<br />

Wie soll unsere Seele unberührt bleiben von all dem<br />

Leid, das uns täglich gezeigt wird? Das Ideal ist der<br />

informierte Bürger, Zuschauer, Leser, Social-Media-<br />

Nutzer, aber dieses Ideal ist eine Lüge. Wir gehen<br />

mit der Informationsflut in etwa so reflektiert und<br />

bewusst um, wie ein Junkie, der auf der Straße ein<br />

Päckchen mit Drogen findet. Wir lästern über Teenies,<br />

die ständig auf ihr Smartphone starren und die man<br />

mit Bodenampeln vor Straßenbahnen schützen muss,<br />

aber ich wette, dass die allermeisten von uns ebenso<br />

süchtig nach neuen Eindrücken sind, auch wenn man<br />

es uns nicht gleich ansieht.<br />

Aber warum ist das so? Gibt es einen Mega-Dealer,<br />

der sein Geld damit verdient, dass er uns mit Leid und<br />

Angst aus zweiter Hand füttert? Die politisch korrekte<br />

Antwort lautet in etwa so: Nein, den gibt es nicht,<br />

die Menschen sind selbst schuld, denn durch ihre Gier<br />

nach immer neuen Superlativen und spektakulären<br />

Meldungen schaffen sie erst einen Markt dafür, den<br />

manche Medien, verstärkt durch Facebook, Twitter<br />

etc. dann eben bedienen.<br />

Auch hier sage ich: Bullshit!<br />

Die Menschen sind generell auf alles Mögliche neugierig.<br />

Würde man morgen vor dem Brandenburger<br />

Tor live Hinrichtungen im Fernsehen zeigen und<br />

ins Internet übertragen, würden es sich Millionen<br />

Menschen ansehen. Genauso wie Millionen Nutzer<br />

kürzlich ein Video angeklickt haben, auf dem man<br />

die mutmaßliche Vergewaltigung eines Models sehen<br />

konnte. Wer also damit argumentiert, dass die<br />

Menschen nur mit dem gefüttert werden, was sie<br />

wollen, ist nicht besser als ein Drogendealer.<br />

Aber wer sind die Drogendealer? Die hässliche<br />

Antwort: Zum großen Teil sind es die Medien. Und<br />

damit sind nicht nur Katastrophenprofiteure wie<br />

die Bild-Zeitung, Drehscheibe Deutschland oder<br />

RTL-Explosiv gemeint. Die planmäßige Hysterisierung<br />

von uns allen hat sich längst in Medien etabliert,<br />

die eigentlich seriös sind. Wieso berichtet<br />

beispielsweise die <strong>Augsburg</strong>er Allgemeine online<br />

darüber, wie der kleine Junge in Florida von einem<br />

Krokodil getötet wurde? Um die Leser der AZ davor<br />

zu schützen, dass sie am Lech von Krokodilen

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