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Werk6

Ausgabe 2016

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Das Internet. Die neuen Kommunikationstechnologien<br />

machen es so viel leichter, sich schnell miteinander<br />

auszutauschen. Und das ohne Einmischung von Politik<br />

oder Medien.<br />

BRINGT DAS INTERNET NICHT AUCH VIELE<br />

GEFAHREN FÜR FRAUEN MIT SICH?<br />

Die Frage macht mir mehr Angst als die Antwort. Ich<br />

denke, es ist für Frauen generell gefährlich, in unserer<br />

Welt zu existieren. Die sozialen Medien unterscheiden<br />

sich da nicht von der restlichen Gesellschaft. Viele behaupten:<br />

„Das Internet ist nicht sicher für Frauen,<br />

also sollten wir ihm fernbleiben.“ Das ist genauso, wie<br />

wenn man sagt, Frauen, die nicht vergewaltigt werden<br />

wollen, sollen halt nicht auf die Straße gehen. Das<br />

Problem liegt in der Gesellschaft und nicht bei den<br />

Frauen. Die Nachricht ist nach Tausenden von Jahren<br />

immer noch die gleiche: Das ist nichts für euch Frauen.<br />

Bleibt weg.<br />

ABER IST NICHT VOR ALLEM AUFGRUND DER<br />

SOZIALEN MEDIEN DER GEDANKE VON<br />

PERFEKTION FÜR UNSERE GENERATION NORMAL<br />

GEWORDEN?<br />

Der Trend des Perfektionismus gibt den sozialen Medien<br />

natürlich einen bitteren Beigeschmack. Gerade,<br />

weil viele Menschen auf Instagram und Co. vorgeben,<br />

ein ideales Leben zu führen. Aber ich denke nicht,<br />

dass das die Schuld der neuen Technologie ist. Melvin<br />

Kranzberg, ein US-amerikanischer Technikhistoriker,<br />

hat einmal gesagt: „Technik ist weder gut noch böse;<br />

noch ist sie neutral.“ Sie hat einfach nur eine Tendenz<br />

dazu, Trends zu verdeutlichen, die in der Gesellschaft<br />

schon vorhanden sind, gerade bei uns Frauen. Natürlich<br />

ist der Gedanke für ein Individuum vernichtend,<br />

dass man alles tun muss, um einen gewissen Grad an<br />

Perfektion zu erreichen. Aber wir machen es uns auch<br />

zu einfach, wenn wir sagen, dass die sozialen Medien<br />

das zu verantworten haben. Die Probleme sind viel<br />

komplexer – zu behaupten, wir hätten sie nur aufgrund<br />

von Instagram, ist eine faule Ausrede. Wir können<br />

Medien und Gesellschaft nicht trennen. Wenn wir<br />

sagen, dass Social Media an allem Schuld ist, dann<br />

sagen wir auch, dass wir dagegen nichts tun können.<br />

Instagram und Facebook werden wir auf keinen Fall<br />

abschaffen, oder? Nein.<br />

WAS KÖNNEN POLITIKER TUN, UM DIESE<br />

MISSSTÄNDE IN DER GESELLSCHAFT ZU BEHEBEN?<br />

Sie können sehr viel tun. Bei manchen Dingen geht es<br />

um schnelle Reformen. Zum Beispiel Frauen den kostenlosen<br />

Zugang zu Verhütungsmitteln und Abtreibungen<br />

zu ermöglichen. Es ist das Grundrecht von<br />

Frauen, über ihren Körper und ihr Leben zu bestimmen.<br />

Ein anderes Beispiel ist die momentane Wirtschaftskrise,<br />

die wir in Europa und dem Rest der Welt<br />

erleben. Wenn die Sozialhilfe in den Ländern wegbricht,<br />

dann sind es Frauen, die die Arbeiten verrichten,<br />

die sich der Staat nicht mehr leisten kann. Wenn<br />

das soziale Netz viele nicht mehr auffängt, dann sind es Frauen, die ehrenamtliche<br />

Hilfe leisten und sich um die Leute kümmern, die das selbst nicht mehr können.<br />

ALSO LIEGT DER GRUND FÜR VIELE DER PROBLEME IM SYSTEM DES<br />

KAPITALISMUS?<br />

In meinem Feminismus geht es vor allem darum, zu verstehen, wie Wirtschaftskräfte<br />

unsere Gender-Identität beeinflussen. Dabei geht es um persönliche Level,<br />

wie zum Beispiel das Streben nach Perfektion, aber auch um große ökonomische<br />

Entscheidungen, die uns im alltäglichen Leben beeinflussen. Momentan finde ich<br />

den Gedanken des bedingungslosen Grundeinkommens sehr interessant. Denn es<br />

würde Menschen erlauben, ganz anders über Arbeit, Familie und Leben nachzudenken.<br />

Etwas, was Frauen von Männern unterscheidet, ist, dass von uns Frauen<br />

erwartet wird, schon in unseren Zwanzigern zu wissen, wie wir uns unser Leben<br />

in Bezug auf Familie vorstellen. Ein 21-jähriger Mann hat noch nie darüber nachgedacht,<br />

wie er sein späteres Leben als Vater und Ehemann mit seinem Berufsleben<br />

vereinen will. Kein sexy Thema, aber wir müssen darüber reden. Die Mainstream<br />

Medien beschäftigen sich stattdessen lieber damit, ob Beyoncé eine gute<br />

Feministin ist oder nicht.<br />

FOTO: JON CARTWRIGHT<br />

Laurie Penny versteht<br />

sich als sozialistische Feministin:<br />

linke Politik und Feminismus<br />

gehören für sie zusammen<br />

„ES SIND VOR ALLEM<br />

FRAUEN, DIE UNTER<br />

DER WIRTSCHAFTSKRISE<br />

LEIDEN MÜSSEN“<br />

IST BEYONCÉ DENN EINE GUTE FEMINISTIN?<br />

Ich denke nicht, dass es darum geht, wer eine gute Feministin ist und wer nicht.<br />

Wenn sie sagt, dass sie eine Feministin ist, ist das doch toll, oder? Ich denke, es ist<br />

anstrengend, Beyoncé zu sein. Und wenn sie dabei noch Zeit hat, sich mit politischen<br />

Themen auseinanderzusetzen, dann ist das gut. Aber es ist schon komisch,<br />

dass ich so oft von weißen Frauen nach Beyoncé und nicht nach Lena Dunham gefragt<br />

werde. Daran sieht man, dass es leider noch nicht normal ist, als farbige Frau<br />

so erfolgreich zu sein.<br />

WIE KANN DER MODERNE FEMINISMUS ETWAS VERÄNDERN?<br />

Es gibt einen großen Vorteil für uns Millennial-Feministinnen: Wir sind medial einfach<br />

besser. Wir wissen, wie wir Ideen verkaufen und Inhalte viral werden lassen.<br />

Wir sind eine Generation, die sehr viel Freizeit hat und medial versiert ist. Das ist<br />

der Grund, warum sich immer mehr Frauen dem Feminismus zuwenden. Die<br />

Explosion von feministischen Gedanken und Ideen ist<br />

atemberaubend. Gerade hatten wir in England zum<br />

Beispiel eine große Diskussion über Slut Shaming<br />

und Vergewaltigungen. Das Ergebnis? Überall auf der<br />

Welt denken junge Frauen und Männer jetzt über das<br />

Wort Einverständnis nach und was es bedeutet. Und<br />

damit kann das Rechtssystem nicht mithalten und die<br />

Urteilsbildung der Allgemeinheit auch nicht.<br />

WAS KANN UNSERE GENERATION NOCH TUN,<br />

UM DIE GESELLSCHAFT ZU VERBESSERN?<br />

Heutzutage ist es sehr schwer, eine junge Frau zu sein.<br />

Ich sehe viel zu viele junge Frauen, die nicht genug<br />

auf sich selbst achten. Die erste Pflicht einer jungen<br />

Millennial ist es, auf sich selbst aufzupassen und nicht<br />

zu viel Energie für andere Menschen zu verschwenden.<br />

Grundlegende Selbstfürsorge ist aber auch etwas,<br />

was schwer zu erlernen ist.<br />

DER GENERATION Y WIRD HÄUFIG VORGEWOR-<br />

FEN, SICH NUR FÜR DIE OBERFLÄCHE, FÜR DAS<br />

ÄUSSERLICHE ZU INTERESSIEREN. WAS DENKEN<br />

SIE ÜBER DIE MODEBRANCHE?<br />

Mode fasziniert mich. Wie bei den meisten Industrien<br />

ist sie bestimmt teuflisch, oder? Aber sie wird auch oft<br />

zu Unrecht verurteilt. Wenn der Großteil der Männer<br />

sich für die Modeindustrie interessieren würden, dann<br />

würde Mode mehr wie Kunst behandelt werden und<br />

nicht nur wie „Oh, das ist nur ein dummes Hobby für<br />

Frauen und ein paar schwule Männer.“ Mode ist viel<br />

wichtiger. Aber da gibt es nicht viel, was man in einer<br />

Branche tun kann, die Frauen vorschreibt, wie sie auszusehen<br />

haben und was sie alles besitzen müssen, um<br />

glücklich zu sein. Es wird Zeit für Veränderungen. Ich<br />

würde mich sehr freuen, wenn ich in Zukunft Kleidung<br />

sehen würde, die für verschiedene Geschlechter<br />

und Körper gemacht wird. Das passiert zwar schon,<br />

aber noch nicht genug. In der Modebranche geht es<br />

nicht nur um Kleidung, sondern auch darum, wie<br />

Menschen träumen und fantasieren. Wenn man diese<br />

Fantasien auch nur ein bisschen verändern kann, dann<br />

kann das sehr machtvoll sein. Das ist der Anfang eines<br />

kulturellen Wandels.<br />

WIE SIEHT IHRE PERFEKTE WELT DER ZUKUNFT<br />

AUS?<br />

Oh, ich hätte wirklich gerne einen Welpen. Nein, ich versuche<br />

gar nicht erst, mir eine perfekte Welt vorzustellen.<br />

Erstens macht es mich traurig und zweitens denke ich<br />

nicht, dass es Menschen hilft, wenn man ihnen sagt, wie<br />

die Welt auszusehen hat. Ich denke, das Wichtigste ist,<br />

dass wir alle zusammenarbeiten, um die Welt besser zu<br />

machen. Ich würde gerne eine Welt sehen, in der wir<br />

nicht arbeiten müssen, um ein Dach über dem Kopf zu<br />

haben. Ich würde mich freuen, das Ende des Patriarchats<br />

und Rassismus zu sehen. Ich würde gerne erleben, dass<br />

Technologie allen Menschen hilft und nicht nur einer<br />

kleinen Elite. Und ich würde gerne eine Gesellschaft sehen,<br />

die nicht vom Geld verdorben ist.<br />

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werk6 | Generation Y<br />

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