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Das Internet. Die neuen Kommunikationstechnologien<br />
machen es so viel leichter, sich schnell miteinander<br />
auszutauschen. Und das ohne Einmischung von Politik<br />
oder Medien.<br />
BRINGT DAS INTERNET NICHT AUCH VIELE<br />
GEFAHREN FÜR FRAUEN MIT SICH?<br />
Die Frage macht mir mehr Angst als die Antwort. Ich<br />
denke, es ist für Frauen generell gefährlich, in unserer<br />
Welt zu existieren. Die sozialen Medien unterscheiden<br />
sich da nicht von der restlichen Gesellschaft. Viele behaupten:<br />
„Das Internet ist nicht sicher für Frauen,<br />
also sollten wir ihm fernbleiben.“ Das ist genauso, wie<br />
wenn man sagt, Frauen, die nicht vergewaltigt werden<br />
wollen, sollen halt nicht auf die Straße gehen. Das<br />
Problem liegt in der Gesellschaft und nicht bei den<br />
Frauen. Die Nachricht ist nach Tausenden von Jahren<br />
immer noch die gleiche: Das ist nichts für euch Frauen.<br />
Bleibt weg.<br />
ABER IST NICHT VOR ALLEM AUFGRUND DER<br />
SOZIALEN MEDIEN DER GEDANKE VON<br />
PERFEKTION FÜR UNSERE GENERATION NORMAL<br />
GEWORDEN?<br />
Der Trend des Perfektionismus gibt den sozialen Medien<br />
natürlich einen bitteren Beigeschmack. Gerade,<br />
weil viele Menschen auf Instagram und Co. vorgeben,<br />
ein ideales Leben zu führen. Aber ich denke nicht,<br />
dass das die Schuld der neuen Technologie ist. Melvin<br />
Kranzberg, ein US-amerikanischer Technikhistoriker,<br />
hat einmal gesagt: „Technik ist weder gut noch böse;<br />
noch ist sie neutral.“ Sie hat einfach nur eine Tendenz<br />
dazu, Trends zu verdeutlichen, die in der Gesellschaft<br />
schon vorhanden sind, gerade bei uns Frauen. Natürlich<br />
ist der Gedanke für ein Individuum vernichtend,<br />
dass man alles tun muss, um einen gewissen Grad an<br />
Perfektion zu erreichen. Aber wir machen es uns auch<br />
zu einfach, wenn wir sagen, dass die sozialen Medien<br />
das zu verantworten haben. Die Probleme sind viel<br />
komplexer – zu behaupten, wir hätten sie nur aufgrund<br />
von Instagram, ist eine faule Ausrede. Wir können<br />
Medien und Gesellschaft nicht trennen. Wenn wir<br />
sagen, dass Social Media an allem Schuld ist, dann<br />
sagen wir auch, dass wir dagegen nichts tun können.<br />
Instagram und Facebook werden wir auf keinen Fall<br />
abschaffen, oder? Nein.<br />
WAS KÖNNEN POLITIKER TUN, UM DIESE<br />
MISSSTÄNDE IN DER GESELLSCHAFT ZU BEHEBEN?<br />
Sie können sehr viel tun. Bei manchen Dingen geht es<br />
um schnelle Reformen. Zum Beispiel Frauen den kostenlosen<br />
Zugang zu Verhütungsmitteln und Abtreibungen<br />
zu ermöglichen. Es ist das Grundrecht von<br />
Frauen, über ihren Körper und ihr Leben zu bestimmen.<br />
Ein anderes Beispiel ist die momentane Wirtschaftskrise,<br />
die wir in Europa und dem Rest der Welt<br />
erleben. Wenn die Sozialhilfe in den Ländern wegbricht,<br />
dann sind es Frauen, die die Arbeiten verrichten,<br />
die sich der Staat nicht mehr leisten kann. Wenn<br />
das soziale Netz viele nicht mehr auffängt, dann sind es Frauen, die ehrenamtliche<br />
Hilfe leisten und sich um die Leute kümmern, die das selbst nicht mehr können.<br />
ALSO LIEGT DER GRUND FÜR VIELE DER PROBLEME IM SYSTEM DES<br />
KAPITALISMUS?<br />
In meinem Feminismus geht es vor allem darum, zu verstehen, wie Wirtschaftskräfte<br />
unsere Gender-Identität beeinflussen. Dabei geht es um persönliche Level,<br />
wie zum Beispiel das Streben nach Perfektion, aber auch um große ökonomische<br />
Entscheidungen, die uns im alltäglichen Leben beeinflussen. Momentan finde ich<br />
den Gedanken des bedingungslosen Grundeinkommens sehr interessant. Denn es<br />
würde Menschen erlauben, ganz anders über Arbeit, Familie und Leben nachzudenken.<br />
Etwas, was Frauen von Männern unterscheidet, ist, dass von uns Frauen<br />
erwartet wird, schon in unseren Zwanzigern zu wissen, wie wir uns unser Leben<br />
in Bezug auf Familie vorstellen. Ein 21-jähriger Mann hat noch nie darüber nachgedacht,<br />
wie er sein späteres Leben als Vater und Ehemann mit seinem Berufsleben<br />
vereinen will. Kein sexy Thema, aber wir müssen darüber reden. Die Mainstream<br />
Medien beschäftigen sich stattdessen lieber damit, ob Beyoncé eine gute<br />
Feministin ist oder nicht.<br />
FOTO: JON CARTWRIGHT<br />
Laurie Penny versteht<br />
sich als sozialistische Feministin:<br />
linke Politik und Feminismus<br />
gehören für sie zusammen<br />
„ES SIND VOR ALLEM<br />
FRAUEN, DIE UNTER<br />
DER WIRTSCHAFTSKRISE<br />
LEIDEN MÜSSEN“<br />
IST BEYONCÉ DENN EINE GUTE FEMINISTIN?<br />
Ich denke nicht, dass es darum geht, wer eine gute Feministin ist und wer nicht.<br />
Wenn sie sagt, dass sie eine Feministin ist, ist das doch toll, oder? Ich denke, es ist<br />
anstrengend, Beyoncé zu sein. Und wenn sie dabei noch Zeit hat, sich mit politischen<br />
Themen auseinanderzusetzen, dann ist das gut. Aber es ist schon komisch,<br />
dass ich so oft von weißen Frauen nach Beyoncé und nicht nach Lena Dunham gefragt<br />
werde. Daran sieht man, dass es leider noch nicht normal ist, als farbige Frau<br />
so erfolgreich zu sein.<br />
WIE KANN DER MODERNE FEMINISMUS ETWAS VERÄNDERN?<br />
Es gibt einen großen Vorteil für uns Millennial-Feministinnen: Wir sind medial einfach<br />
besser. Wir wissen, wie wir Ideen verkaufen und Inhalte viral werden lassen.<br />
Wir sind eine Generation, die sehr viel Freizeit hat und medial versiert ist. Das ist<br />
der Grund, warum sich immer mehr Frauen dem Feminismus zuwenden. Die<br />
Explosion von feministischen Gedanken und Ideen ist<br />
atemberaubend. Gerade hatten wir in England zum<br />
Beispiel eine große Diskussion über Slut Shaming<br />
und Vergewaltigungen. Das Ergebnis? Überall auf der<br />
Welt denken junge Frauen und Männer jetzt über das<br />
Wort Einverständnis nach und was es bedeutet. Und<br />
damit kann das Rechtssystem nicht mithalten und die<br />
Urteilsbildung der Allgemeinheit auch nicht.<br />
WAS KANN UNSERE GENERATION NOCH TUN,<br />
UM DIE GESELLSCHAFT ZU VERBESSERN?<br />
Heutzutage ist es sehr schwer, eine junge Frau zu sein.<br />
Ich sehe viel zu viele junge Frauen, die nicht genug<br />
auf sich selbst achten. Die erste Pflicht einer jungen<br />
Millennial ist es, auf sich selbst aufzupassen und nicht<br />
zu viel Energie für andere Menschen zu verschwenden.<br />
Grundlegende Selbstfürsorge ist aber auch etwas,<br />
was schwer zu erlernen ist.<br />
DER GENERATION Y WIRD HÄUFIG VORGEWOR-<br />
FEN, SICH NUR FÜR DIE OBERFLÄCHE, FÜR DAS<br />
ÄUSSERLICHE ZU INTERESSIEREN. WAS DENKEN<br />
SIE ÜBER DIE MODEBRANCHE?<br />
Mode fasziniert mich. Wie bei den meisten Industrien<br />
ist sie bestimmt teuflisch, oder? Aber sie wird auch oft<br />
zu Unrecht verurteilt. Wenn der Großteil der Männer<br />
sich für die Modeindustrie interessieren würden, dann<br />
würde Mode mehr wie Kunst behandelt werden und<br />
nicht nur wie „Oh, das ist nur ein dummes Hobby für<br />
Frauen und ein paar schwule Männer.“ Mode ist viel<br />
wichtiger. Aber da gibt es nicht viel, was man in einer<br />
Branche tun kann, die Frauen vorschreibt, wie sie auszusehen<br />
haben und was sie alles besitzen müssen, um<br />
glücklich zu sein. Es wird Zeit für Veränderungen. Ich<br />
würde mich sehr freuen, wenn ich in Zukunft Kleidung<br />
sehen würde, die für verschiedene Geschlechter<br />
und Körper gemacht wird. Das passiert zwar schon,<br />
aber noch nicht genug. In der Modebranche geht es<br />
nicht nur um Kleidung, sondern auch darum, wie<br />
Menschen träumen und fantasieren. Wenn man diese<br />
Fantasien auch nur ein bisschen verändern kann, dann<br />
kann das sehr machtvoll sein. Das ist der Anfang eines<br />
kulturellen Wandels.<br />
WIE SIEHT IHRE PERFEKTE WELT DER ZUKUNFT<br />
AUS?<br />
Oh, ich hätte wirklich gerne einen Welpen. Nein, ich versuche<br />
gar nicht erst, mir eine perfekte Welt vorzustellen.<br />
Erstens macht es mich traurig und zweitens denke ich<br />
nicht, dass es Menschen hilft, wenn man ihnen sagt, wie<br />
die Welt auszusehen hat. Ich denke, das Wichtigste ist,<br />
dass wir alle zusammenarbeiten, um die Welt besser zu<br />
machen. Ich würde gerne eine Welt sehen, in der wir<br />
nicht arbeiten müssen, um ein Dach über dem Kopf zu<br />
haben. Ich würde mich freuen, das Ende des Patriarchats<br />
und Rassismus zu sehen. Ich würde gerne erleben, dass<br />
Technologie allen Menschen hilft und nicht nur einer<br />
kleinen Elite. Und ich würde gerne eine Gesellschaft sehen,<br />
die nicht vom Geld verdorben ist.<br />
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werk6 | Generation Y<br />
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