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SB_03_16_End

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Starnberger Bote 3 Editorial<br />

Liebe Starnberger Bürgerinnen und<br />

Bürger,<br />

es ist zum aus der Haut fahren! Haben<br />

Sie Zeit? Ich meine nicht die 5 Minuten<br />

zwischen drin, die man sich einfach<br />

nimmt, wenn der Bedarf früh genug<br />

angemeldet wurde. Nein, ich meine Zeit<br />

für Gelassenheit und Toleranz, für Leben<br />

mit Tiefgang.<br />

Ich bin ehrlich zu Ihnen, ich habe sie<br />

nicht. Kaum springe ich früh morgens<br />

aus dem Bett, da habe ich auch schon<br />

das Gefühl, spät dran zu sein. Eine<br />

schnelle Dusche, ein kurzer Kaffee, dann<br />

3 Minuten den Autoschlüssel suchen,<br />

Schuhe an und dann……<br />

„Papa was machst Du?“<br />

Na toll, ich habe es wieder nicht<br />

geschafft, aus dem Haus zu sein, bevor<br />

die Kinder wach sind. Ich sehe nun in 2<br />

fragende Kulleraugen, die sofort vermuten<br />

lassen, dass ich auch heute Morgen<br />

keinerlei Verständnis zu erwarten habe,<br />

warum ich mich in aller Herrgottsfrüh<br />

aus dem Haus stehle, anstatt mich um<br />

meinen Nachwuchs zu kümmern. Zum<br />

wahrscheinlich 73. Mal versuche ich<br />

meinem 2 jährigen Sohn zu erklären,<br />

dass das „Wurschti“ nicht von allein auf<br />

den Tisch kommt. Zum wahrscheinlich<br />

73. Mal erhalte ich die Antwort: „Nein<br />

Papa, Du Manuel spielen“. Ich will ihn<br />

nicht enttäuschen, aber, ICH HABE KEINE<br />

ZEIT! In mir steigt Unruhe auf, lasse mir<br />

aber nichts anmerken: „Geh mit Deinem<br />

Bruder spielen, der freut sich“. Keine<br />

Chance! „Papa Buhballspielen, Bayern!“<br />

(Anm.: die Zweijährigen unter uns wissen,<br />

das heißt: „Papa, ich will jetzt sofort<br />

Fußballspielen, ich bin Bayern!“)<br />

Wie komme ich ohne Gebrüll und Theater<br />

aus dieser Situation wieder raus? Ich habe<br />

jetzt keine Zeit für Leibesertüchtigungen!<br />

Mir kann jetzt nur einer helfen:<br />

SCHAAAAAAAAAAAAAAAAAATZIIIIIIIIII!!“<br />

Meine Frau kommt um die Ecke: „Immer<br />

noch da, Du hattest es doch vorhin so<br />

eilig?“<br />

In mir brodelt es nun und ich könnte<br />

jetzt ……… - keine Zeit dafür!<br />

Kommentarlos wende ich mich ab, gehe<br />

wie ein begossener Pudel in Richtung Tür<br />

und ziehe sie hinter mir zu.<br />

Wissen Sie, wie laut kleine Kinder brüllen<br />

können?<br />

Ich hörte meinen Sohn noch zwei Straßen<br />

weiter durch das offene Autofenster.<br />

Sollte ich nicht umdrehen?? Der arme<br />

Kleine! Ich tat es nicht!<br />

Wir haben nahezu alle einen eng durchgestylten<br />

Zeitplan, der leider wenig Zeit<br />

für das lässt, was wirklich wichtig ist.<br />

Wie gerne würde ich mir einfach die<br />

ein oder zwei Stunden nehmen! Einfach<br />

Sakko aus, Ball geschnappt und mit dem<br />

Kleinen durch den Garten gelaufen. Zeit,<br />

die wichtig wäre. Zeit die man nicht hat.<br />

Vermeintlich!<br />

Aber Sie interessiert sicherlich, wie es an<br />

diesem Tag weiterging:<br />

Bekanntlich hatte mein Zeitplan durch<br />

meinen Sohn schon eine erhebliche<br />

Delle. Die verlorene Zeit muss ich aufholen.<br />

Ich komme ins Büro voller Eile.<br />

Meine innere TO-DO Liste flimmert schon<br />

auf meiner Netzhaut, als mich folgende<br />

Information erreicht: „Internet ist platt!“<br />

Ich frage noch unbedarft: „Wie, was<br />

platt?“.<br />

„Ja, Internet geht nicht mehr! Router<br />

sagt, dass da draußen kein Internet mehr<br />

ist!“<br />

Das hat gerade noch gefehlt! Ich habe<br />

für sowas nun gar keine Zeit! Ich muss<br />

Mahnbescheide abschicken, Recherchen<br />

machen und E-Mails lesen und schreiben.<br />

Naja, das kann ja nicht allzu lange dauern.<br />

Wir hauen da mal ordentlich bei den<br />

Telefonfuzzis auf den Putz, dann steht<br />

sofort ein Techniker in der Tür, der den<br />

Ernst der Lage erkennt und sofort die<br />

Fehler behebt.<br />

Träum weiter, Forster! Wissen Sie, was<br />

demütig macht?<br />

Ich kann es Ihnen sagen: Wenn man als<br />

Kunde zwei Telekommunikationsriesen<br />

über 5 Wochen machtlos zusieht, wie<br />

sie die Verantwortung für einen nicht<br />

funktionierenden Anschluss hin und her<br />

schieben, ohne dass die desaströsen<br />

Auswirkungen für die Betroffenen irgendwo<br />

eine ernstgenommene Rolle spielen.<br />

Die Krönung war nach geschlagenen<br />

4 Wochen die Aussage von<br />

einem „Service-“ Mitarbeiter: „Ich<br />

habe Sie nochmal in eine höhere<br />

Dringlichkeitsstufe befördert“! „Nach 4<br />

Wochen Existenzbedrohung gibt es noch<br />

eine höhere Dringlichkeitsstufe, wollt<br />

Ihr mich ver………… ?“ Bei solchen<br />

Erfahrungen bekommt selbst der rechtstreueste<br />

Bürger<br />

Mordphantasien. Ich hörte mich sogar<br />

denken: „Sollte das Internet jemals wieder<br />

gehen, beschäftige ich mich mit dem<br />

Darknet…“.<br />

Aber solange wollte ich nicht warten:<br />

Der Mitarbeiter eines ostdeutschen<br />

Callcenters bekam von mir zu hören, dass<br />

ich für so einen Dilettantismus keine Zeit<br />

habe. Ich will keine Dringlichkeitsstufe,<br />

ich will einen Fachmann in Fleisch und<br />

Blut der morgens kommt und erst wieder<br />

geht, wenn alles funktioniert.<br />

Der Herr auf der anderen Seite der<br />

Leitung fragte mich zwar nicht direkt, von<br />

welchem Stern ich denn käme, machte<br />

aber unmissverständlich klar, dass längere<br />

Aufenthalte des technischen Vorort<br />

-Services völlig unrealistisch seien.<br />

Ich wurde zornig: Wenn er nicht sofort<br />

dafür sorge, dass ein fähiger Mitarbeiter<br />

hierher komme und uns wieder an die<br />

Außenwelt anklemmt, dann, ja dann…<br />

„Nu, was is dann?“ hörte ich den<br />

Fernmelder am anderen <strong>End</strong>e mit sächsischer<br />

Klangfarbe sagen.<br />

Da wurde es mit bewusst: Nix ist dann!<br />

Wir sind verdammt, solange zu warten,<br />

bis es wieder geht. Wir leben in der<br />

Generation „Hotline“. Der Kundenservice<br />

von heute beschränkt sich auf ein einfaches<br />

Verhaltensmuster und wir Kunden<br />

machen das millionenfach mit: Nummer<br />

ziehen, Klappe halten und abwarten!<br />

Man kann sich jetzt bis zum Platzen<br />

darüber aufregen, man kann es aber<br />

auch einfach sein lassen. Wenn es mal<br />

wieder länger dauert…, dann dauerts<br />

halt einfach länger. Das können wir<br />

sowieso nicht ändern! Das ist nun mal<br />

unser Schicksal. What ever!<br />

Und heute: Nun läuft das Internet wieder.<br />

Irgendwann klingelte es tatsächlich an<br />

der Tür und ein Techniker fummelte so<br />

lange rum, bis der Anschluss wieder<br />

ging.<br />

Ich habe meine Sachen aufgearbeitet,<br />

und sowohl ich wie meine Mandanten<br />

sind allesamt vergnügt und unaufgeregt.<br />

Letztendlich ist in den fast 6 Wochen<br />

nichts Wirkliches angebrannt.<br />

Resümierend:<br />

Es klingt sicher irgendwie komisch, wenn<br />

ich am <strong>End</strong>e meines Editorials behaupte,<br />

meine Erfahrungen mit zwei völlig ignoranten<br />

Telekommunikationsriesen haben<br />

mich dazu gebracht, über mein Verhältnis<br />

zur Zeit nachzudenken. Es ist aber so!<br />

Wir könnten viel lockerer leben und uns<br />

mehr Zeit für die wichtigen und oftmals<br />

unwiederbringlichen Dinge nehmen, und<br />

zwar genau in dem Moment, in dem sie<br />

passieren. Nur in den seltensten Fällen<br />

sprechen wirklich unverrückbare Gründe<br />

dagegen.<br />

Letztendlich haben wir es nur verlernt,<br />

genau das zu wollen!<br />

Ihr<br />

Michael Forster<br />

1. Vorsitzender Bund der Selbstständigen<br />

/ Gewerbeverband Starnberg<br />

Ortsgruppe des BDS Bayern e.V.

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