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Vest im Leben 3

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Marl<br />

ist Marl<br />

Die Skulptur „NON VILOENCE“ des schwedischen Künstlers Carl Fredrik Reuterswärd gibt es 16 Mal auf der Welt – zum Beispiel in New York und in Marl.<br />

Foto: Inga Pöting<br />

Wer zum ersten Mal für einen Stadtbummel<br />

nach Marl kommt, der gerät ins Staunen. Denn<br />

eine klassische Innenstadt, geschweige denn<br />

eine Altstadt, gibt es hier nicht. Was es gibt, ist<br />

ein Einkaufszentrum, das sämtliche Geschäfte<br />

des Ortskerns in sich aufgenommen hat wie ein<br />

Wal einen Fischschwarm. Dahinter ein Rathaus<br />

von außergewöhnlicher Architektur, ein Museum,<br />

ein Theater. Dazwischen nicht viel, außer: jede<br />

Menge Kunst <strong>im</strong> öffentlichen Raum.<br />

12<br />

Marl ist eine Stadt, die sich<br />

nicht anbiedert. Doch schaut<br />

man genau hin, kommt Spannendes<br />

zum Vorschein. Zum<br />

Beispiel ein Eintrag <strong>im</strong> Guinnes-Buch,<br />

faszinierende Architektur<br />

und jede Menge Kunst<br />

<strong>im</strong> öffentlichen Raum.<br />

Der Marl-Neuling, der die Stadt entdecken will,<br />

ist also zu radikalem Umdenken gezwungen.<br />

Straßencafés: Fehlanzeige. Dafür sitzen <strong>im</strong> Einkaufszentrum<br />

Marler Stern, das den Rathausplatz<br />

vom Bahnhof Marl-Mitte trennt, schon vormittags<br />

Menschen jeden Alters und trinken Kaffee.<br />

Es herrscht eine gemütliche Geschäftigkeit,<br />

hier wacht die Stadt auf. Ein Superlativ, wo man<br />

ihn bei diesem mittelgroßen Konsumtempel<br />

nicht vermutet: Das Luftkissendach des „Maler<br />

Sterns“ steht <strong>im</strong> Guinness-Buch der Rekorde, es<br />

ist das größte der Welt.<br />

Die Tageszeitung „Die Welt“ nannte Marl unlängst<br />

„die Plattenbaustadt auf der grünen Wiese“.<br />

Ende der fünfziger Jahre galt sie als Prototyp<br />

des modernen Städtebaus, die Planung folgte<br />

einer sozialen Idee, sollte funktional und offen<br />

sein. Marls Stadtzentrum hat deshalb nichts<br />

Organisches, sondern ist durch und durch angelegt.<br />

Und genau hier liegt seine Faszination. Das<br />

denkmalgeschützte Rathaus hinter dem Einkaufszentrum<br />

erinnert architektonisch an den<br />

Brutalismus der Ruhr-Universität Bochum –<br />

heute für viele eine „Betonsünde“, aber beeindruckend<br />

in seiner Erhabenheit. Die Fassade<br />

kämpft vor dem blauem H<strong>im</strong>mel um ihr Weiß, Literatur<br />

zum Bau verrät: Bei aller Zweckmäßigkeit<br />

ist das Rathaus äußerst raffiniert angelegt.<br />

Die würfelförmige Uhr auf Stelzen davor hat beinahe<br />

ostdeutschen Charme. Ob man es zugeben<br />

mag oder nicht: Dieses Ensemble hat was.<br />

Das Skulpturenmuseum ist überall<br />

Vor dem Rathaus glitziert der City-See, dessen<br />

Name wiederum so künstlich ist wie er selbst.<br />

Doch auch hier: Das menschengemachte Ding<br />

ist ein Sympath. Auf der Wasseroberfläche spiegelt<br />

sich das warme Gelb des nahen Parkhotels,<br />

Gänse, Enten, sogar ein Reiher tummeln sich<br />

am Ufer. Rund herum hat das Skulpurenmuseum<br />

Spuren gelegt. Eine übermannsgroße Figur,<br />

die am Ufer des Sees die angedeutete Faust in<br />

den H<strong>im</strong>mel reckt: Nike, die Göttin des Sieges.<br />

Nicht weit entfernt ein Bronzeguss, ein Portrait<br />

des von den Nazis ermordeten Pfarrers Dietrich<br />

Bonhoeffer. Und gleich vor dem Rathaus: ein<br />

überd<strong>im</strong>ensionaler Revolver mit verknotetem<br />

Lauf. Die Arbeit des Schweden Carl Fredrik Reuterswärd<br />

heißt „NON VIOLENCE“ und ist an 16<br />

Orten auf der Welt zu finden. Seinen weitesten<br />

Schatten wirft das Skulpturenmuseum auf die<br />

andere Seite des Sees, zum Theater: Hier liegt<br />

das berühmte Kunstwerk „La Tortuga“ (dt. „Die<br />

Schildkröte“)von Wolf Vostell – ein rostroter, auf<br />

dem Rücken liegender Zug.<br />

Dass man das Skulpturenmuseum „Der Glaskasten“<br />

genannt hat, wo es doch wie das benachbarte<br />

Rathaus vor allem aus Beton besteht<br />

– das ist so unbeschwert selbstironisch,<br />

dass man grinsen muss. Das ist der Charme von<br />

Marl: Die 85 000-Einwohner-Stadt, die überregional<br />

höchstens für ihr Gr<strong>im</strong>me-Institut bekannt<br />

ist, biedert sich nicht an. Ihre Einzigartigkeit offenbart<br />

sie nur, wenn man sie so n<strong>im</strong>mt, wie sie<br />

ist. Doch dann steckt sie voller Überraschungen.<br />

Inga Pöting

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