zds#41
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
20 | PORTRAIT<br />
Text: Rebeca Dobrică<br />
Foto: Lena Möhler<br />
PORTRAIT | 21<br />
Kunst ist<br />
ihre Sprache<br />
Malerei galt als brotlos in ihrer Familie. Nach anfänglichen<br />
Zweifeln hat Herma Siebrasse ihren eigenen Weg gefunden<br />
Sie öffnet die Tür ihrer Wohnung in der Osterstraße<br />
und lässt dich in ihr Leben treten. Einfach so. Sie gibt<br />
dir keine Richtung vor, was du dir zuerst anschauen<br />
sollst, welche ihrer Kunstwerke dir gefallen könnten.<br />
Du wirst gleich verstehen, dass ihre Sprache die Kunst<br />
ist, ihre Art, sich auszudrücken. Und du wirst dich in<br />
ihre Welt verlieben. Herma Siebrasse malt, zeichnet,<br />
sie entwirft Kleidung, schreibt Kinderbücher und<br />
arbeitet mit Keramik. Jede Ecke ihres Ateliers,<br />
das zugleich ihre Wohnung ist, trägt die Handschrift<br />
ihres künstlerischen Wesens. „Ich weiß<br />
nicht, ob das Kunst ist, was ich mache. Ich mache<br />
das einfach“, sagt Herma Siebrasse, „ich muss das<br />
machen. Ich habe etwas im Kopf und will es gern<br />
sehen und dann arbeite ich damit, bis man es sieht.<br />
Dann kann ich wieder etwas Neues machen.“<br />
Du befindest dich nun in ihrem Wohnzimmer. Es<br />
könnte ebenso gut eine Kunstgalerie sein. Die Mischung<br />
der Farben ist es, was deine Aufmerksamkeit<br />
erregt. Die Wände wimmeln von bunten Gemälden.<br />
Töne von Blau, Gelb, Grün und Rot. Es ist<br />
Nachmittag, und das Licht, das von der Terrasse<br />
hereinfällt, füllt den gesamten Raum. Ein Altar<br />
für die Kunst. „Eine psychedelische Wohnung!“,<br />
meinte einmal einer ihrer Freunde. Und Herma<br />
Siebrasse ist wie ein weiteres Kunstwerk, das perfekt<br />
zum gesamten Bild passt.<br />
An der Wand vor ihrem Schreibtisch entdeckst du<br />
ein Foto aus einer Zeitung. Du möchtest wissen, was<br />
es bedeutet. Sie zeigt dir mit dem Finger auf dem Papier:<br />
„Das ist die Weser, das ist der Industriehafen<br />
und hier, in diesem kleinen Haus, habe ich bis<br />
zum elften Lebensjahr gewohnt. Genau am Wasser.<br />
Hier war damals eine große Holzfirma, an der<br />
Louis-Krages-Straße. Wir konnten überall spielen<br />
und uns verstecken. Früher legten dort fremde<br />
Schiffe an, und jeden Morgen waren wir neugierig,<br />
wer da jetzt angekommen ist. Das war eine schöne<br />
Station in meinem Leben, ein Abenteuer.“<br />
Du wirst neugierig, möchtest mehr wissen, wie aus<br />
dem Kind Herma die Künstlerin Herma Siebrasse<br />
wurde. Nach der Schule versuchte sie es zunächst<br />
mit einer kaufmännischen Ausbildung, auf Anraten<br />
ihrer Mutter. „Das war aber nichts für mich.“<br />
Stattdessen reizte sie die Kunst – das Malen, Zeichnen,<br />
Gestalten, das sie seit ihrem vierten Lebensjahr<br />
so sehr liebte. „Ich hatte das innere Gefühl,<br />
dass ich das machen will. Das alles hat mich interessiert.“<br />
Sie wollte tiefer eintauchen in diese Welt<br />
und ging an die Hochschule für Gestaltung in Bremen<br />
und Berlin, wo sie lernte, Mode zu entwerfen.<br />
„Das war das Richtige in dem Moment. Ich hätte<br />
zwar gern Malerei studiert, aber das habe ich mich<br />
nicht getraut.“ Malerei galt als brotlose Kunst bei<br />
ihr zu Hause. „Mein Vater, der mich immer in allem<br />
unterstützt hatte, ist zu früh gestorben. Ich war<br />
noch ein Kind.“<br />
Die Liebe war für Herma Siebrasse wie die<br />
Kunst: Sie kam ganz natürlich und blieb mit dem<br />
ersten Tag. Es begann schon, als Siebrasse nur den<br />
Namen ihres künftigen Mannes las, noch bevor sie<br />
ihn kennenlernte. Er hatte ein Kunstatelier und einen<br />
eigenen Verlag. Herma Siebrasse bekam zufällig<br />
eine Mappe des Verlags in die Hände. „Die Mappe<br />
stand in meinem Zimmer und ich habe seinen<br />
Namen immer wieder angeschaut: Friedemann<br />
Siebrasse. Ich fand ihn so schön, den Namen. Eines<br />
Tages stand er dann vor meiner Wohnungstür in<br />
Bremen. Wir haben uns am nächsten Tag verlobt<br />
und im nächsten Jahr geheiratet.“<br />
Sie lebten gemeinsam in Berlin, zogen später<br />
nach Worpswede. Doch wie ihr Vater starb ihr<br />
Mann viel zu früh – die zwei Menschen, die sie<br />
in ihrer künstlerischen Laufbahn unterstützt haben.<br />
Woran genau ihr Mann gestorben ist, darüber<br />
möchte Siebrasse nicht sprechen. Die Künstlerin,<br />
die mit ihren Werken so viel über sich verrät,<br />
möchte sich einen Rest Privatsphäre bewahren.<br />
Vorerst hat sie dir genug erzählt, sie will sich jetzt<br />
an den Tisch setzen und arbeiten. Du hörst nur den<br />
Wind, der auf der Terrasse die Pflanzen wiegt. Mit<br />
einem Bleistift zeichnet Siebrasse Bananen und<br />
Erdbeeren, die sie vor sich auf den Tisch gelegt hat.<br />
Später wird sie den Entwurf kolorieren.