zds#41
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
8 | INTERVIEW<br />
INTERVIEW | 9<br />
Text: Nola Krohn<br />
Foto: Norbert Schmacke<br />
„Ich bin klein,<br />
mehr nicht“<br />
Christine Fischer, 29, ist Mitglied im „Bundesverband<br />
Kleinwüchsige Menschen und ihre Familien e. V.“.<br />
Ein Gespräch über Selbstbehauptung, Gemeinschaft und<br />
Familiengründung<br />
Dass sie kleiner ist als andere, entdeckte Christine Fischer in der Grundschule. Behindert fühlt sie sich dadurch nicht.<br />
Frau Fischer, wann haben Sie zum ersten Mal gemerkt,<br />
dass Sie kleinwüchsig sind? Das war in der<br />
Grundschule. Zu der Zeit wuchs ich langsamer als<br />
meine Mitschüler, da fiel mir das irgendwann auf.<br />
Dass ich kleinwüchsig bin, wurde bereits bei meiner<br />
Geburt festgestellt. Diagnose: Achondroplasie.<br />
Das ist eine der häufigsten Kleinwuchsformen.<br />
Der Oberkörper ist dabei normal groß, aber ich<br />
habe einen größeren Kopf und Beine und Arme<br />
sind extrem verkürzt. Meine Eltern haben noch<br />
im Krankenhaus eine andere Familie mit einem<br />
kleinwüchsigen Kind kennengelernt, sich mit<br />
ihnen zusammengeschlossen und später dann den<br />
Bundesverband „Kleinwüchsige Menschen und<br />
ihre Familien e. V.“ gegründet.<br />
Wie sind Sie mit der Krankheit umgegangen? Ich<br />
kenne es nicht anders. Klar, es gab Hänseleien,<br />
aber meine Eltern haben mich überallhin mitgenommen,<br />
in Vereine geschickt, auf Ferienfreizeiten.<br />
So war ich immer wieder mit dem Thema<br />
konfrontiert, musste die Krankheit vor Fremden<br />
erklären und mich halt auch immer wieder selbst<br />
behaupten. Kinder nehmen ja auch kein Blatt vor<br />
den Mund.<br />
Das klingt anstrengend. Natürlich hätte ich meine<br />
Eltern dafür manchmal köpfen können, weil ich<br />
einfach keinen Bock mehr hatte darauf. Aber sie<br />
haben damals die richtige Entscheidung getroffen.<br />
Sonst wäre ich nicht so, wie ich jetzt bin.<br />
Hat der Bundesverband Ihnen ebenfalls geholfen?<br />
Ohne den Verband wäre ich heute sicherlich nicht<br />
so selbstbewusst. Gerade in der Pubertät war<br />
es einfach schön zu wissen, dass man nicht die<br />
Einzige auf der Welt ist. Es gibt ja etwa 100.000<br />
Kleinwüchsige in Deutschland. Der Verband<br />
veranstaltet für uns regelmäßige Treffen. Sich da<br />
auszutauschen, ist toll. Früher nahm ich wirklich<br />
an jedem Jugendseminar teil.<br />
Welche Einschränkungen begegnen Ihnen im Alltag?<br />
Einige Parkautomaten zum Beispiel sind für<br />
mich zu hoch, da komme ich an den Münzschlitz<br />
nicht heran. Fürs Auto habe ich eine Pedalverlängerung.<br />
Und im Supermarkt erreiche ich viele<br />
Produkte nicht, ohne andere Leute zu fragen.<br />
Nervt Sie das manchmal? Ja, das muss ich zugeben.<br />
Wenn ich das Produkt nicht wirklich brauche,<br />
lasse ich es oft stehen. Ich habe kein Problem<br />
damit, auf die Leute zuzugehen, aber wenn ich in<br />
Eile bin, habe ich oft nicht die Geduld zu warten,<br />
bis jemand vorbeikommt, den ich fragen kann.<br />
Wie sollten andere Ihnen im Idealfall begegnen?<br />
Bei kleinen Kindern habe ich Verständnis, wenn<br />
sie mich anglotzen und „Guck mal!“ schreien.<br />
Aber es gibt irgendwann ein Alter, bei dem ich<br />
denke, langsam müsstet ihr auch wissen, dass<br />
es unterschiedliche Menschen gibt: große Leute,<br />
fette Leute, Kleinwüchsige, Behinderte, Rollstuhlfahrer.<br />
Allgemein würde ich mir wünschen, dass<br />
die Menschen einfach fragen, wenn sie Fragen<br />
haben – ob Kind oder Erwachsener. Und nicht<br />
hinter meinem Rücken tuscheln.<br />
Sie gehen sehr offen mit Ihrem Kleinwuchs um,<br />
hatten lange eine eigene Website. Warum? Ich bin<br />
einfach so. Ich wollte auch mal Schauspielerin<br />
werden: Ich schauspielere gern und mag es auch,<br />
im Mittelpunkt zu stehen. Mit der Musikschule<br />
hatte ich im Rahmen einer Musicalausbildung ein<br />
paar Auftritte, später habe ich beim Schimmelreiter<br />
im Stadttheater Bremerhaven mitgespielt<br />
Außerdem gab es mal eine Fernsehreportage über<br />
meinen Alltag. Das war total schön. Über die Doku<br />
habe ich auch meinen Mann kennengelernt: Er hat<br />
sie gesehen, fand mich toll und hat mich gegoogelt.<br />
Wir haben uns ein Jahr lang E-Mails geschrieben.<br />
Und dann sind wir zusammengekommen.<br />
Inzwischen sind Sie auch Mutter. Da Ihre Form<br />
der Kleinwüchsigkeit vererbbar ist, hätte auch ihr<br />
Kind klein sein können. War das für Sie von Bedeutung?<br />
Mein Mann ist normalwüchsig, daher<br />
war die Chance für unsere Tochter 50:50. Sie hat<br />
die Krankheit nicht geerbt, und natürlich finden<br />
wir es schön, dass sie gesund ist. Wenn es anders<br />
gewesen wäre, hätten wir das auch in Ordnung<br />
gefunden. Für mich ist mein Kleinwuchs ja nicht<br />
schlimm. Es ist eine Art Behinderung, aber ich<br />
fühle mich nicht behindert. Ich bin eben klein,<br />
mehr nicht. Ich kann fast alles alleine, habe nur<br />
wenige körperliche Beschwerden. Wenn meine<br />
Tochter die Krankheit geerbt hätte, hätte ich<br />
mich bemüht, dass sie genauso selbstbewusst<br />
wird wie ich.<br />
Nola Krohn studiert Kommunikations- und<br />
Medienwissenschaft an der Universität Bremen.<br />
Dies ist ihr erster Text für die Zeitschrift<br />
der Straße.<br />
Norbert Schmacke fotografiert in seiner<br />
Freizeit. Er war beeindruckt von Christine<br />
Fischers Offenheit.