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»Rein rechnerisch ist es der größte ‚Bürgerkrieg‘ der<br />
Menschheit: die Gesellschaft gegen die Frauen, seit<br />
5.000 Jahren, 8.000 Opfern täglich und vielen Toten.«<br />
Nehberg<br />
Kapitel III – der<br />
MENSCHEN-<br />
RECHTLER<br />
Sie konzentrieren sich heute voll auf Ihre<br />
Aufgabe als Menschenrechtler – eine<br />
weitere Facette, die vor mehr als 35<br />
Jahren ihren Ursprung hatte ...<br />
1980 habe ich von brasilianischen Menschenrechtlern<br />
erfahren, dass dort im<br />
Regenwald ein Bürgerkrieg ablief, den<br />
Brasilien offiziell kleinredete. Pfeile gegen<br />
Feuerwaffen. 65.000 Goldsucher gegen<br />
eine Handvoll Yanomami-Indianer. Sie<br />
standen vor ihrer Ausrottung. Ich wollte<br />
mir einen eigenen Eindruck verschaffen<br />
und fuhr zu ihnen. Ein Fischerboot brachte<br />
mich so weit es ging die Nebenflüsse des<br />
Rio Negro hoch. Dann folgte eine Woche<br />
Fußmarsch. Nur mit Minigepäck, einer<br />
Mundharmonika und einem einzigen<br />
Satz in ihrer Sprache: „Nicht schießen,<br />
ich bin ein Freund.“<br />
Ein prägender Moment ...<br />
Ein Thema, das Sie mehr umtreibt als<br />
jede Survival-Reise?<br />
Ja. Denn die Tragödie der weiblichen<br />
Genitalverstümmelung sprengt alle meine<br />
vorherigen Erfahrungen. Wir sind<br />
Augenzeugen des Dramas geworden. Rein<br />
rechnerisch ist es der größte „Bürgerkrieg“<br />
der Menschheit: die Gesellschaft gegen die<br />
Frauen, seit 5.000 Jahren, 8.000 Opfern<br />
täglich und vielen Toten. Die Überlebenden<br />
sind ihrer Würde und Seele beraubt<br />
und können sich nicht von selbst aus der<br />
Situation befreien, weil das die Gesellschaftsstruktur<br />
nicht zulässt. Es bedarf<br />
der Hilfe von außen, der Gespräche auf<br />
Augenhöhe unter Freunden und ohne die<br />
übliche westliche oder christliche Überheblichkeit.<br />
Sie gründeten dafür Ihre Menschenrechtsorganisation<br />
TARGET. Mit welchem Ziel?<br />
Die Begegnung mit diesem allerletzten<br />
noch existierenden Urvolk des Kontinents<br />
war es, die mein Leben komplett verändert<br />
hat. Als Augenzeuge der Vernichtung<br />
wandelte ich mich ungeplant vom Abenteurer<br />
zum Aktivisten für Menschenrechte.<br />
Es entstanden TV-Filme, Bücher<br />
und medienwirksame Aktionen wie die<br />
Atlantiküberquerungen oder Konsultationen<br />
des Papstes und der Weltbank. Im<br />
Jahre 2000 war die internationale Lobby<br />
für die Yanomami ausreichend groß und<br />
sie erhielten einen akzeptablen Frieden.<br />
Seit 2000 setzen Sie sich gemeinsam<br />
mit Ihrer Frau Annette für ein Verbot der<br />
weiblichen Genitalverstümmelung ein.<br />
Nachdem wir recherchiert hatten, dass<br />
80 Prozent der Opfer Muslimas sind (die<br />
übrigen sind Christen und Andersgläubige)<br />
und die Tradition oft und falsch mit<br />
dem Koran (und der Bibel) gerechtfertigt<br />
wird, stand unsere Strategie fest, es mit<br />
der Ethik des Islam zu versuchen. Und<br />
zwar ausschließlich mit dem Islam und<br />
ausschließlich gegen weibliche Genitalverstümmelung.<br />
Wir wollten die höchsten<br />
Geistlichen davon überzeugen, den<br />
Brauch als Verbrechen einzustufen und<br />
zur Sünde zu erklären. Als deutsche<br />
Organisationen, die angeblich für Frauenrechte<br />
kämpfen, unsere Idee als absurd<br />
einstuften, haben wir unsere eigene<br />
Organisation gegründet: TARGET, die<br />
beste Idee unseres Lebens.<br />
LIEBEFELD - 32 - DAS INTERVIEW-MAGAZIN