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BESTplus Vermischtes 31<br />
aus so schnell wie möglich mit dem eigenen Auto St. Petersburg<br />
zu erreichen. Direktiven gab es, außer der Vorschrift, die vier im<br />
TomTom-Gerät registrierten Kontrollpunkte anzu-fahren, kei¬ne.<br />
Verkehrsregeln durften als irrelevant betrachtet werden. Und so<br />
rasten denn neunund¬zwanzig Fahrer durch Europa, immer darauf<br />
gefasst, wegen Überschreitung der Geschwindig-keitsbegrenzungen<br />
angehalten zu werden. Aber das hätte Zeitverlust bedeutet.<br />
Also hatten sich die Fahrer darauf verständigt, den Polizeistreifen<br />
lieber mit ihren Sportwagen zu entkommen, statt sich auf Diskussionen<br />
mit den Erfüllungsgehilfen der Staatsanwaltschaften<br />
einzulassen. Und sollte sich Flucht als erfolglos erweisen, was hin<br />
und wieder vorkam, lagen in jedem Wagen genügend Währungen<br />
in bar bereit, um sich ad hoc freizukaufen. Auch das klappte<br />
nicht immer. Aber meistens. Und je weiter die Fahrer nach Osten<br />
vordrangen, umso bereitwilliger erwies sich die Staatsgewalt, freiwillige<br />
Spenden – an wen auch immer – als Strafe zu akzeptieren.<br />
Unbestechliche Gesetzeshüter, die ihrem Namen und dem Rechtswesen<br />
ihrer Nation Ehre gemacht hätten, wären eher Hindernisse<br />
für die Rallye-Teilnehmer gewesen.<br />
Omar allerdings waren solche Gesetzesüberschreitungen fremd.<br />
Still lächelte er in sich hinein, als er ausstieg und seine Djellaba<br />
ordnete, die eigentlich hinderlich war in dem engen Cockpit seines<br />
Autos. Und auch, dass er durch sie unverzüglich als Muslim identifiziert<br />
wurde, war bei der hysterischen Attentatsfurcht der Europäer<br />
eher ein Nachteil. Aber ihre Vorteile überwogen dennoch, denn<br />
immer, wenn er der strengen Staatsgewalt, die ihn hindern wollte,<br />
der Erste in St. Petersburg zu werden, bereitwillig seine Stammeskleidung<br />
vorführte und den dazugehörenden Diplomatenpass<br />
zückte, schmolz – wenigstens in den westli¬chen Demokratien<br />
– der meiste Unwille dahin und machte größter Hilfsbereitschaft<br />
Platz. Hin und wieder wurde bei solchen Gelegenheiten sogar auf<br />
seine Spendenwilligkeit verzichtet. Omar wunderte sich über die<br />
Leichtgläubigkeit der Gesetzeshüter, denn nichts war leichter zu<br />
fälschen als ein Diplomatenpass. Aber die Angst vor dem Islam<br />
galt offenbar nur für „die Muslime“, aber nicht für einen einzelnen<br />
Ferrari-Fahrer. Vor allem dann nicht, wenn er freigiebig die<br />
Brieftasche zückte. Nun aber stand er unschlüssig neben seinem<br />
zerkratzten Boliden, besah sich angewidert den Schaden und<br />
spürte, wie die Nässe des tauenden Schnees langsam in seine<br />
leich¬ten Schuhe kroch. Er begann zu frieren.<br />
Doch plötzlich horchte er auf. Da war das Sirren eines mit hohen<br />
Drehzahlen laufen¬den Rennmotors zu hören. Es kam schnell<br />
näher und ehe er sich noch völlig darüber klar wur¬de, was da<br />
auf ihn zuzufliegen schien, beleuchteten ihn zwei aufgeblendete<br />
Scheinwerfer und der Maserati, der dahinter zum Vorschein kam,<br />
wurde brutal gestoppt. Aber der Fahrer hatte doch zu langsam reagiert.<br />
Das Fahrzeug schlidderte über den nassen Asphalt, streifte<br />
Omars Burnus, riss ihm die Kapuze vom Kopf und knallte gegen<br />
das Heck des Ferrari. Man hörte brechende Kohlefasern und einen<br />
fluchenden Fahrer:<br />
„Damn God, warum stellst du Idiot hier mitten in der Wüste dein<br />
verdammtes Schei߬auto ab?“<br />
Dann flog die Tür des Maserati auf, eine große hagere Gestalt erschien,<br />
ganz in Schwarz, einschließlich der Hautfarbe,<br />
und stieß wütend mit einem mit silbrigen Nieten<br />
besetzten Stiefel erst gegen das eigene<br />
Auto und dann verächtlich<br />
mit dem anderen Fuß gegen<br />
den Ferrari. Wieder brachen<br />
ein paar Kohlefasern. Dann<br />
bemerkte die Gestalt den<br />
weißgekleideten Omar, wandte sich ihm wütend zu und schrie:<br />
„Was machst du Kameltreiber hier vor dieser fucking cold church?<br />
Wen willst du in die Luft sprengen?“<br />
Dann verbesserte er sich aber mit einem Blick auf den gelben<br />
Ferrari: „Nee, du brauchst dich nicht ins Paradies zu bomben, du<br />
hast deine vierzig Jungfrauen schon hier auf Erden.“<br />
Das alles in einem schrillen Falsett und mit einer Fäkalsprache, die<br />
moderne Filmemacher gern als allgemeines Verständigungsmittel<br />
vorführen.<br />
Omar war aus dem Lichtkreis des Karussellsterns in den Schatten<br />
der Kirche getreten. Dem scheinbar aufgebrachten Rapper, der<br />
behaup¬tete, in Harlem groß geworden zu sein, hatte er schweigend<br />
zugehört. Und nun baute sich der schwarze Mann, des¬sen<br />
Künstlername Blank Daddy war, aggressiv vor ihm auf und blickte<br />
ihm feindselig in die Augen.<br />
Omar lachte laut auf. Blank Daddy zog ihn ins Licht und grinste<br />
dann auch:<br />
„Mann, Sheikh, du bist also genauso ein dämlicher blunderer wie<br />
ich! Hast dich auch mitten in der Zivilisation verfranst!“, nun in<br />
einem verständlichen Amerika¬nisch.<br />
Er umarmte ihn.<br />
Aber als sie sich noch gegenseitig bedauerten, weil sie nun so<br />
viel Zeit auf dem Weg nach St. Petersburg verloren hatten, hörten<br />
sie den nächsten Motor durch die engen Altstadtstraßen nahen.<br />
„Ha“, freute sich Blank Daddy, nachdem er das Motorengeräusch<br />
identifiziert hatte, „das ist die Drag Queen mit ihrem Proll-Porsche.“<br />
Er lachte. „Den werden wir hier in seinem fucking old Germany<br />
an den nächsten Baum nageln und in dieser Einöde verhungern<br />
lassen, da¬mit er uns mit seiner Karre für Arme in Petersburg nicht<br />
die Schau stiehlt.“<br />
Er schob die Ärmel seiner schwarzen Lederjacke hoch, so dass man<br />
seine schlüpfrigen Tattoos trotz der dunklen Haut sehen konnte.<br />
Omar hielt sie für Fakes von Tätowierungen, für seine Fans angemalt.<br />
Aber das behielt er für sich.<br />
Und dann hörten sie plötzlich unterdrücktes Weinen.<br />
Stocksteif blieben sie stehen. Horchten gemeinsam in die Nacht.<br />
Wieder schluchzte je¬mand. Blank Daddy zeigte nach links, auf<br />
die Kirchentür. Aber er war sich nicht sicher. Bis das Blubbern des<br />
Porsche, der nun auch den Weihnachtsmarkt erreicht hatte, verebbte.<br />
Seine Scheinwerfer erloschen. Eine Autotür schlug zu. Stille<br />
senkte sich über den kleinen Platz vor der Kirche und dem Merrygo-round<br />
mit dem Stern obenauf.<br />
Und nun hörten sie es ganz deutlich, das Weinen. Und dazwischen<br />
zorniges Flüstern. Eine männliche und eine weibliche Stimme.<br />
Nein, zwei männliche Stimmen. Die tiefere machte sich nicht die<br />
Mühe, leise zu sein. Omar hörte sie ganz deutlich. Es war seine<br />
Muttersprache. Flüsternd übersetzte er für Blank Daddy:<br />
„Hör‘ auf zu weinen“, sagt er, „das hättest du dir eher überlegen<br />
sollen, als du mit ihm ins Bett gegangen bist.“<br />
„Ha“, flüsterte der Dürre, dessen Silbernieten im Licht des Sterns<br />
blitzten, „den Scheißsatz gibt es in jeder Sprache.“<br />
Omar übersetzte weiter: „Du hast Schande über deine Familie gebracht.<br />
Nun wirst du die Konsequenzen tragen. Heul‘ nicht! Freu‘<br />
dich, dass du auf diese Weise unsere Ehre wiederherstellst.“<br />
Der Scheich schüttelte unmerklich seinen Kopf<br />
und sah Blank Daddy an: „Weißt du, worum<br />
es da geht?“<br />
„Das machen wir bei uns ohne langatmige<br />
Kommentare. Aber wir knipsen nicht<br />
die Mutter ab, sondern den motherfucking<br />
Vater. Mütter sind heilig. Wenigstens fast.“<br />
Sie hörten die Schläge und das unterdrückte