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Im tiefsten Schoß der Hölle

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Wolfschen Familienclan, einer über zweihun<strong>der</strong>t Mitglie<strong>der</strong> zählenden<br />

Dynastie, in einem <strong>der</strong> schicken Restaurants o<strong>der</strong> bei offiziellen Anlässen<br />

blicken, so gut wie nie sah man eine <strong>der</strong> Frauen in den zahllosen<br />

eleganten Geschäften und Boutiquen von Buenos Aires. Man lebte<br />

zurückgezogen, achtete darauf, dass niemand auffiel, von Karl einmal<br />

abgesehen, <strong>der</strong> sich betont offen und aufgeschlossen gab, und schottete<br />

sich von seinen argentinischen Mitbürgern ab. Man schloss mit<br />

niemandem Freundschaft, nicht einmal mit Prominenten o<strong>der</strong> hohen<br />

Regierungsvertretern. Stets achtete die Familie Wolf auf Distanz. <strong>Im</strong>mer<br />

nahmen sie den Familiennamen ihrer Frauen an, sodass alle weiteren<br />

Sprösslinge ebenfalls den Namen Wolf trugen, egal, ob sie <strong>der</strong><br />

männlichen o<strong>der</strong> weiblichen Linie entsprangen. Sie alle bildeten eine<br />

verschworene Gemeinschaft.<br />

Umso mehr Aufsehen und Getuschel erregten Karl und seine Schwestern,<br />

als sie an diesem Abend <strong>der</strong> Premiere beiwohnten. Dann endete<br />

die Ouvertüre, und <strong>der</strong> Vorhang ging auf, worauf sich das Publikum<br />

wi<strong>der</strong>strebend von den fünf hinreißend schönen Gestalten in <strong>der</strong> Loge<br />

losriss und sich <strong>der</strong> Bühne zuwandte.<br />

Maria Wolf, die links neben Karl saß, beugte sich vor. »Wieso müssen<br />

wir uns das immer wie<strong>der</strong> antun?«, flüsterte sie ihm zu.<br />

Wolf wandte sich lächelnd an sie. »Weil wir uns ab und zu <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />

präsentieren müssen, Schwesterherz, sonst könnte man in <strong>der</strong><br />

Regierung o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Presse auf die Idee kommen, wir hätten etwas zu<br />

verbergen. Lieber hie und da ein Auftritt, als dass man uns eine gigantische<br />

Verschwörung andichtet o<strong>der</strong> uns für Außerirdische hält, die<br />

das Land in ihre Gewalt bekommen wollen.«<br />

»Wir hätten warten sollen, bis Heidi aus <strong>der</strong> Antarktis zurück ist.«<br />

»Ganz meine Meinung«, flüsterte Gell, die rechts von Wolf saß. »Sie<br />

ist die einzige, die diesem langweiligen Gedudel etwas abgewinnen<br />

könnte.«<br />

Wolf tätschelte Gelis Hand. »Ich werde sie dafür nächste Woche zur<br />

Premiere von La Traviata begleiten.«<br />

Sie achteten nicht auf die Blicke des Publikums, das hin und her gerissen<br />

war zwischen <strong>der</strong> Loge und dem Geschehen auf <strong>der</strong> Bühne. Der<br />

Vorhang zum dritten Akt war gerade aufgegangen, als einer <strong>der</strong> Leib-<br />

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