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SEG_06-16

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Nr. 6 - November<br />

Dezember<br />

20<strong>16</strong><br />

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Nr. 6 - November Dezember<br />

20<strong>16</strong><br />

segelfliegen<br />

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METEOROLOGIE<br />

Häufeles Wetter<br />

ENTWICKLUNG<br />

Verbesserte Flugleistung<br />

durch neue Winglets<br />

FLUGZEUGE<br />

Stemme S12<br />

FLUGBERICHT<br />

Auf 7000 Meter in der<br />

lange Welle von Jesenik<br />

B 63027 | ISSN <strong>16</strong>2-1740 | Schweiz CHF 11,50 | Deutschland EUR 8,50 | EU-Länder EUR 8,50


EDITORIAL<br />

Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />

heute ein paar Gedanken über die Gebrauchstauglichkeit (in Englisch unter der Bezeichnung<br />

„Usability“ bekannt) der „Kommunikation“ unserer Aviatik-Behörden.<br />

Ernst Willi<br />

Chefredaktion<br />

Bei den Abklärungen zum Bericht über die jährlichen Unterhalts-Maßnahmen für Segelflugzeuge<br />

und -Antriebe konnte ich wie schon bei früheren Gelegenheiten trotz mehr als einer Stunde<br />

Suchens auf der EASA-Internetseite die Grundlagen, welche diese Arbeiten regeln, nicht finden.<br />

Die interne Suchmaschine lieferte (wegen mangelhafter Schlagwort-Ablage) schlechtere Treffer als<br />

die weltweit verbreitetste Suchmaschine – wenn sie überhaupt Treffer lieferte, dann nur Anglizismen<br />

und unverständliche Abkürzungen. Auch die Erneuerung des Fluglehrer-Ausweises auf der<br />

Website des Schweizer Bundesamtes für Zivilluftfahrt bescherte mir ein ähnliches Erlebnis – wenn<br />

auch etwas kürzer: nach immerhin 20 Minuten (!) fand ich in der berüchtigten „Formularsammlung“<br />

des BAZL ein englischsprachiges PDF, welches jenen ähnlich sah, die ich bisher verwendete.<br />

Ganz sicher war ich mir aber nicht, unser Cheffluglehrer musste als Auskunftsdienst sicherstellen,<br />

dass ich meinen Fluglehrer-Ausweis mit dem richtigen Formular verlängere, um nicht unverhofft<br />

eine Helikopter-Lizenz zu erhalten.<br />

Der DAeC meldet gleichzeitig, dass er außerstande ist, die Übersetzungskosten der EASA-Reglementsflut<br />

zu tragen und verlangt vom Verkehrsministerium finanzielle Unterstützung. Nach<br />

meiner Beobachtung ist er der einzige Dachverband in der DACH-Region (Deutschland, Österreich<br />

und Schweiz), der sich Gedanken darüber macht, ob seine Verlautbarungen verständlich sind und<br />

im Hirn der Benutzer ankommen (können). Entsprechend unterhält der DAeC tatsächlich die bei<br />

weitem am besten verständliche Informationsplattform für Piloten, Unterhaltsbetriebe und alle<br />

anderen in der allgemeinen Luftfahrt Beschäftigten.<br />

Wenn sich die Verantwortlichen des Bürokratie-Monsters EASA über mangelnde Akzeptanz<br />

wundern, ist seine absolut unverständliche Kommunikation eine der Haupt-Ursachen. Die<br />

Übermittlung einer Information, die ankommen muss, enthält zwei Dinge: einen Absender, der<br />

verständliche Signale sendet. Und einen Empfänger, der bereit und in der Lage ist, diese Signale zu<br />

empfangen und zu verstehen. In der Aviatik trifft der erste Teil leider selten zu.<br />

Erstens müssen EASA-Verlautbarungen wie auch jene der nationalen Behörden in den Landessprachen<br />

verfasst sein. Und zweitens müssen sie verständlich formuliert werden. Man würde meinen,<br />

dass eine Behörde mit mehr als 6000 Mitarbeitern in der Lage ist, ihre Verlautbarungen nicht nur<br />

in von Abkürzungen entstelltem Fach-Englisch, sondern auch in die etwa 20 europäischen<br />

Haupt-Sprachen zu übersetzen und ein Verzeichnis zu erstellen, das Abkürzungen erklärt. Im<br />

gewaltigen EASA-Gesamtbudget sind mit etwas gutem Willen bestimmt externe Übersetzungskosten<br />

in siebenstelliger Höhe unterzubringen, sollten ihre Mitarbeiter aus aller Herren Länder<br />

dazu nicht selber in der Lage sein. Es gibt in Europa garantiert Übersetzungs-Dienste, welche für<br />

einen solchen Betrag jedes Jahr die gesamten Verlautbarungen und Hunderte von Formularen<br />

übersetzen würden.<br />

Den nationalen Behörden will ich bei dieser Gelegenheit auf den Weg geben, dass die Ausweiserneuerung<br />

ein regelmäßiger Berührungspunkt des normalen Fußvolkes mit den weit darüber<br />

schwebenden Amtsstellen ist – und dass es zur Arterhaltung zweckmäßig ist, diese Berührungspunkte<br />

einfach und verständlich zu gestalten. In der freien Wildbahn der Privatwirtschaft wird<br />

jeder Anbieter, der diese Tatsache nicht beachtet, automatisch aussortiert und durch fähigere<br />

ersetzt. Amtsstellen kann das nur passieren, wenn sie keine Kunden, sprich Piloten mehr haben,<br />

die sie „bedienen“ (kommt von dienen) können. Da sind wir Segelflieger auf dem besten Weg –<br />

jährlich gehen in jedem Land unzählige Piloten-Lizenzen verloren, weil ihren Inhabern der beste<br />

Sport von allen vor allem am Boden zu mühselig geworden ist. Es wird Zeit, dass dies auch unsere<br />

Aufsichtsbehörden endlich erkennen und handeln.<br />

Always happy landings,<br />

Ihr<br />

segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 3


Inhalt<br />

Foto: Christoph Talle<br />

TITEL: www.simonrainer.com<br />

3 EDITORIAL<br />

5 MARKTPLATZ/LESERPOST<br />

74 IMPRESSUM/VORSCHAU<br />

FLUGZEUGE<br />

6 Stemme S12: Das Abenteuer kann beginnen<br />

FLUGGEBIET<br />

14 Südalpen Teil 2: Vom Veltlin ins Aosta-Tal<br />

METEOROLOGIE<br />

22 Häufeles Wetter<br />

ENTWICKLUNG<br />

30 Möglichkeiten für aerodynamische Verbesserungen:<br />

Neue Winglets bei DG<br />

PILOT‘S REPORT<br />

36 LS8 neo: Grand-Prix-Training mit den neuen Winglets<br />

SICHERHEIT<br />

40 Mensch und Flugzeug: Weniger ist mehr<br />

FLUGBERICHT<br />

44 Bis auf 7000 Meter in der Langen Welle von Jesenik<br />

52 Segelflugparadies Fuentemilanos: „Hammer fett, Bombe krass“<br />

WERKSTATT<br />

56 Flugzeug und Motor richtig überwintern<br />

SHARE YOUR EXPERIENCE<br />

62 Landung auf dem Wasserflugplatz<br />

HUMAN FACTORS<br />

64 Biofeedback im Segelflug? – Biofeet!<br />

REPORTAGE<br />

68 Serie: Unglaubliche Flüge und Segelflug-Pionierleistungen<br />

25. April 1972 – Von Lübeck nach Biaritz<br />

HISTORIE<br />

72 Die R0lle des Segelflugs im Fluglotsenstreik der 70er Jahre<br />

KOLUMNE<br />

75 Zulu Zulu<br />

4 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>


LESERPOST / MARKTPLATZ<br />

Ausgabe 03/20<strong>16</strong><br />

„Smartphones on air“<br />

Bei Flugzeug-Suchaktionen ist die Ortung<br />

des Handys eine der wenigen Möglichkeiten,<br />

die man hat. Wir sammeln deshalb<br />

z. B. alle Handynummern unserer Gäste,<br />

und im Fall der Fälle kann man so über<br />

einen Schnellrichter einen Beschluss zur<br />

Handyortung beantragen, was auch schon<br />

durchgeführt wurde. Generell versucht man<br />

zuerst, den gesuchten Piloten anzurufen<br />

bzw. funktionieren SMS, solange man in<br />

der Luft ist, viel besser. Wenn man nun das<br />

Handysignal deaktiviert, nimmt man sich<br />

all diese Möglichkeiten!<br />

Christian Hynek<br />

Ich freue mich auf das nächste Heft und<br />

möchte gerne sagen, dass ich eigentlich<br />

jedes Wort in diesem Heft lese, jeden<br />

Artikel, es ist wirklich eine Freude.<br />

Flurin Könz<br />

Wir freuen uns über Ihre Zuschrift!<br />

Sagen Sie uns, was Sie bewegt und<br />

schicken Sie uns eine Mail an:<br />

bg@segelfliegen-magazin.com<br />

Leserzuschriften geben die Meinung<br />

des Verfassers, nicht die des Verlags<br />

wieder. Die Redaktion behält sich vor,<br />

Zuschriften zu kürzen.<br />

Segelflugzeuge landen auf dem Helvetiaplatz Zürich<br />

Köbi Möri, OK-Chef SFK<br />

Der Schweizerische Segelflugverband (SFVS) tagt am 26.11.20<strong>16</strong><br />

im Volkshaus Zürich. Dazu werden sämtliche Segelflugpilotinnen<br />

und Piloten aus der ganzen Schweiz eingeladen. Dieser<br />

Anlass findet traditionell seit Jahrzehnten alljährlich im November<br />

statt. Diese Veranstaltung dient als Rückblick auf die vergangene<br />

Flugsaison, berichtet über aktuelle Situationen im Luftraum<br />

Schweiz, zeigt in einer Ausstellung die neusten Instrumente,<br />

Geräte und vieles mehr. Referate und Ehrungen begleiten den<br />

Anlass und anwesend sind auch die Juniorennationalmannschaft<br />

und die Nationalmannschaft.<br />

Die Segelfluggruppe Zürich (SGZ) wurde vom SFVS beauftragt,<br />

diese Tagung zu organisieren. Der Verein, seit weit über 80 Jahren<br />

in der Stadt Zürich daheim, will mehr als nur die Segelflugkonferenz<br />

(SFK) durchführen. Wir wollen einerseits Präsenz markieren<br />

und uns der Bevölkerung in der Stadt Zürich vorstellen und Nachwuchsförderung<br />

betreiben. Seit vielen Jahrzehnten betreiben wir<br />

unser Hobby, unsere Sportart außerhalb der Stadt, ja sogar außerhalb<br />

des Kantons und seit knapp 50 Jahren auf dem Flugplatz<br />

Ein Sommertag mit Flugbetrieb auf dem Flugplatz Buttwil<br />

AG, der Homebase der Segelfluggruppe Zürich<br />

Buttwil AG, davor auf dem Flugplatz Spreitenbach AG. Der<br />

Vorsteher des Schul- und Sportamtes, Stadtrat Gerold Lauber,<br />

übernimmt das Patronat und fördert so unsere Aktion „Jugend<br />

und Sport“ in der Sparte Segelflug.<br />

Wir landen an der diesjährigen Segelflugkonfernz sozusagen<br />

mitten in der Stadt auf dem Helvetiaplatz mit einigen eleganten<br />

Segelflugzeugen und laden die Leute ein, unseren motorlosen<br />

Sport hautnah in Augenschein zu nehmen. Es gibt wohl kaum ein<br />

vergleichbares, hochtechnisiertes Gerät, das ausschließlich mit<br />

Sonnenenergie an einem einzigen Tag hunderte, ja weit über<br />

tausend Kilometer weit fliegen kann mit Spitzengeschwindigkeiten<br />

von bis zu 300 km/h.<br />

Um Segelflugpilot zu werden, bedarf es einer gründlichen, praktischen<br />

und theoretischen Ausbildung. Diese bieten wir an mit<br />

eigenen, ehrenamtlich tätigen Fluglehrern. Unsere Saison dauert<br />

in der Regel von April bis Oktober (je nach geeignetem Wetter). In<br />

dieser Zeit findet die praktische Ausbildung an Wochenenden<br />

statt. In der Wintersaison, also jetzt, besteht das Angebot, die<br />

theoretischen Kenntnisse zu erwerben.<br />

Als Verein in der Stadt Zürich wollen wir mit den gelandeten Flugzeugen<br />

Zürcherinnen und Zürcher bewegen, mit uns in die ganze<br />

Schweiz und weit darüber auch angrenzende Landschaften im<br />

motorlosen Flug mit ins Cockpit<br />

einladen. Eine schöne Vorstellung ist<br />

es für uns, wenn aus dieser Nachwuchsaktion<br />

sogar ein Schweizermeister,<br />

Europameister oder sogar<br />

ein Weltmeister herauswachsen<br />

würden.<br />

Weitere Informationen:<br />

Segelfluggruppe<br />

Zürich:<br />

www.sgzuerich.ch<br />

Segelflugkonferenz<br />

über nebenstehenden<br />

QR-Code:<br />

segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 5


FLUGZEUGE<br />

STEMME S12 –<br />

Das Abenteuer<br />

Von Markus Lewandowski<br />

Fotos: Simon Rainer, Gregor Anthez<br />

6 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>


FLUGZEUGE<br />

Konkurrenzlos. Kein anderes Konzept hat den Spagat zwischen<br />

Segelflug- und Motorflugzeug so gut geschafft wie die Stemme<br />

S10. Seit bereits 30 Jahren begeistert der „Zwitterflieger“ die<br />

Fliegerwelt. Anfang diesen Jahres wurde die S10 vollständig von<br />

ihrem Nachfolger S12 Twin Voyager abgelöst.<br />

Wir haben sie einen Monat lang ausgiebig testen dürfen und<br />

verraten Ihnen hier, was wirklich in der Kiste steckt.<br />

kann beginnen<br />

segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 7


FLUGZEUGE<br />

Anfang diesen Jahres wurde die<br />

Produktion der Stemme S10<br />

komplett durch die Produktion<br />

der neuen Stemme S12 ersetzt.<br />

Grundsätzlich ist die S12 eine Weitereinwicklung<br />

der S10 mit neuer Flügelgeometrie<br />

und größerer Spannweite, einem leicht<br />

vergrößerten Seitenleitwerk, einem breiteren<br />

Fahrwerk und einer höheren Zuladung<br />

von 850 auf 900 kg. Sie ist als<br />

eigenstartfähiges Segelflugzeug und nicht<br />

als Touringmotorsegler zugelassen und ist<br />

von ihrer Konstruktion deutlich mehr auf<br />

den Segelflug ausgelegt als ihr Vorgänger,<br />

die S10 VT. Derzeit kann die S12 nur mit<br />

einem Segelflugschein und einer Eigenstartberechtigung<br />

geflogen werden. Man<br />

munkelt aber schon, dass es bald eine<br />

weitere Version mit etwas kürzerer Spannweite<br />

als TMG geben wird um auch wieder<br />

das Motorflugpublikum zu bedienen.<br />

Cockpit<br />

Hat man es einmal mit akrobatischen<br />

Übungen über die hohe Bordwand ins<br />

Cockpit geschafft, fühlt man sich in der S12<br />

wie in einem Raumschiff. Das Platzangebot<br />

ist großzügig und das Lederinterieur riecht<br />

nach Luxus. Die Sitzposition ist variabel<br />

und gemütlich und die Sicht durch die<br />

große Haube ist sensationell. Der große<br />

Der große Instrumentenpilz ist<br />

aufgeräumt, das Lederinterieur nobel<br />

mit Handyfach in der Mittelkonsole<br />

8 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>


FLUGZEUGE<br />

Side-by-Side-Cockpit: Bei den Controls<br />

ist Muskelkraft gefragt.<br />

Instrumentenpilz ist aufgeräumt, vermittelt<br />

aber ganz klar, dass das ein komplexes<br />

Flugzeug ist. Sehr angenehm sind die breite<br />

Mittelkonsole und die Beinfreiheit in alle<br />

Richtungen. Die Sitzposition nebeneinander<br />

ist anfänglich für viele Segelflieger ungewohnt,<br />

stellt sich aber dann als angenehm<br />

und vor allem kommunikationsfreudig<br />

heraus. Für Gepäck ist neben zwei Sauerstoffflaschen<br />

ausreichend Stauraum<br />

vorhanden. Selbst an ein verschließbares<br />

Fach für Handys in der Mittelkonsole<br />

wurde gedacht. Lediglich Sitzriesen haben<br />

mit einem gewöhnlichen Headset im<br />

Motorflug nach oben zur Haube hin etwas<br />

wenig Platz. Hier kann man sich aber mit<br />

entsprechenden In-Ear Headsets Abhilfe<br />

schaffen.<br />

An Flügel und Winglets gibt es optisch nichts auszusetzen, dem Profil aus den<br />

späten 80er Jahren täte allerdings eine Veränderung gut. Dafür ist die Konstruktion<br />

des Propellers das Erfolgsgeheimnis dieses Fliegers<br />

Die Flügel<br />

Die zentrale Neuerung bei der S12 sind die<br />

Flügel. Hier wurde im Vergleich zur S10 die<br />

Geometrie ab dem Mittelstück geändert<br />

und die Spannweite von 23 auf 25 Meter<br />

verlängert. Der einteilige Innenflügel mit<br />

seinen integrierten 2 x 60 Liter Kraftstofftanks<br />

und der gesamte Profilstrack sind<br />

unverändert. Das Profil ist aus den späten<br />

80er Jahren und schreit beim ersten<br />

Anblick nach Erneuerung. Die Außenflügel<br />

mit der Option auf zukünftig zwei Spannweiten<br />

sind mit neuen Wingelts versehen.<br />

Die Flügel und die Winglets sind optisch<br />

sehr gelungen, sofern sie nicht mit der<br />

optional aufsteckbaren Motorflugbeleuchtung<br />

entstellt werden. Hier wünscht man<br />

sich sofort eine integrierte Lösung, wie<br />

man Sie von anderen Flugzeugherstellern<br />

kennt. Ebenfalls unverändert ist der<br />

bewährte und Stemme-typische Flügel-<br />

Klappmechanismus. Allerdings stellt sich<br />

durch die größere Spannweite der S12 beim<br />

Falten das Leitwerk in den Weg, was bei der<br />

S10 mit 23 Metern kein Problem war. Das<br />

Flächenende der S12 muss man in etwa 1,8<br />

Meter über das Höhenruder heben. Für das<br />

Falten der Flächen ist eine zweite Person<br />

jedenfalls von Vorteil.<br />

Propeller<br />

Das Herzstück des Flugzeugs ist ganz klar<br />

das einzigartige Propellersystem in der<br />

nach vorne aufschiebbaren Rumpfnase.<br />

Der faltbare Propeller mit einem Durchmesser<br />

von 1,63 Meter ist mit elektrisch<br />

segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 9


FLUGZEUGE<br />

geheizten Thermoelementen verstellbar.<br />

Eine automatische Drehzahlverstellung<br />

gibt es nicht. Die durch die Federkraft<br />

selbst-faltenden Propellerblätter sind aus<br />

CFK gefertigt und sitzen auf einer zentralen<br />

Aluminiumgabel, die wiederum auf der<br />

CFK-Motorwelle befestigt ist. Die Propellereinheit<br />

hat eine Freilaufkupplung und eine<br />

mechanische Propellerbremse, um den<br />

Propeller in der Luft nach dem Abstellen des<br />

Motors zu bremsen und dann mechanisch<br />

zu positionieren. Dann wird der Propellerdom<br />

für den Segeflug wieder darüber<br />

geschoben. Diese komplexe und filigrane<br />

Konstruktion funktioniert sehr zuverlässig<br />

und ist der Schlüssel für die Einzigartigkeit<br />

und den Erfolg des Flugzeugs.<br />

Motor<br />

Das Triebwerk ist alt-bewährt und ausgereift.<br />

Zum Einsatz kommt der turbogeladene<br />

Rotax 914, der als Mittelmotor im<br />

zentralen Stahlrohrkäfig schwerpunktneutral<br />

verbaut ist. Er leistet maximal 115 PS für<br />

etwa zwei Minuten und steht dann im<br />

Dauerbetrieb mit maximal 100 Pferdchen<br />

zur Verfügung. Über eine spezielle<br />

CFK-Welle treibt der Motor ein Getriebe<br />

mit Freilaufkupplung und das wiederum<br />

den in der Rumpfnase montierten Faltpropeller<br />

an. Im ökonomischen Powersetting<br />

verbraucht das Triebwerk zwischen 14 und<br />

<strong>16</strong> Liter Superbenzin pro Stunde.<br />

Rumpf und Fahrwerk<br />

Der charakteristische Kaulquappenrumpf<br />

ist gleich geblieben. Lediglich das Seitenleitwerk<br />

wurde mit einem Heckwassertank<br />

ausgestattet und im Rumpfrücken wurde<br />

noch ein 20-kg-Gepäckfach nachgerüstet.<br />

Neu ist allerdings das Fahrwerk. Es ist um<br />

knapp 30 cm breiter als bei der S10 und hat<br />

größere Räder, was wegen der größeren<br />

Spannweite dem bekannten Geschaukel<br />

am Boden etwas entgegen wirken soll. Die<br />

größeren Rader geben ihr vor allem etwas<br />

mehr Bodenfreiheit, was besonders die<br />

Eigenschaften bei Seitenwindlandungen<br />

verbessert.<br />

Flugleistungen<br />

Die S12 ist ein Wolf im Schafspelz. Sie<br />

wurde von der EASA als Segelflugzeug mit<br />

Hilfstriebwerk eingestuft und zugelassen.<br />

Dass das nach Understatement riecht, ist<br />

klar. Im Motorbetrieb stellt die Stemme S12<br />

so ziemlich alle Reisemotorsegler und auch<br />

viele Motorflugzeuge von den Flugleistungen<br />

in den Schatten. Ist das Fahrwerk<br />

Das Fahrwerk bekam größere Räder und damit etwas mehr Bodenfreiheit<br />

In den Rumpfrücken wurde ein zusätzliches Gepäckfach integriert<br />

einmal eingefahren, steigt sie bei max.<br />

Abfluggewicht von 900 kg und Vollgas mit<br />

gut über vier Meter die Sekunde. Reduziert<br />

man das Triebwerk auf 100% Dauerleistung,<br />

zeigt das Variometer immer noch<br />

gut über drei Meter die Sekunde Steigen an<br />

– und das schier endlos bis in sehr große<br />

Höhen dank des Turboladers. Vor dem<br />

Erreichen der Reiseflughöhe wird mit<br />

einem Schalter der Verstellpropeller elektrisch<br />

in die Reiseflugstellung gebracht.<br />

Nach etwa zwei Minuten merkt man, wie<br />

die Drehzahl zurück geht und man mit<br />

etwas mehr Gas den Propeller auf 4600 U/<br />

min setzen kann. Das ist in etwa ein Powersetting<br />

von 60%. Nun macht der Flieger<br />

etwa 200 km/h angezeigte Reisegeschwindigkeit<br />

bei etwa <strong>16</strong> Liter Superbenzin die<br />

Stunde. Das reicht dann für etwa sieben<br />

Stunden Flugzeit oder rund 1400 km.<br />

Richtig effizient und schnell wird die S12<br />

mit ihren 25 Metern Spannweite und<br />

Turbolader aber erst ab FL 100. Da sind<br />

dann gleich mal 120 Kt TAS und mehr drin.<br />

Aber wer will das schon – das wird dann<br />

irgendwann langweilig und wenn man<br />

über die Schultern entlang der langen<br />

Flächen schaut, wird man sofort daran<br />

erinnert, die S12 wieder als Segeflugzeug zu<br />

genießen. Schließlich sind das Triebwerk<br />

und der Propeller wortwörtlich im Handumdrehen<br />

abgestellt und verstaut.<br />

Im Segelflug merkt man der S12 dann auch<br />

die Größe und die Masse an. Die Ruder sind<br />

schwergängig, geben dem Flieger aber<br />

trotzdem eine passable Agilität und<br />

vermitteln einem recht schnell, wo der<br />

Aufwind steht. Beim steilem Eindrehen<br />

wünscht man sich allerdings etwas mehr<br />

Seitenruderwirkung. Wenn sie mal im<br />

Aufwind ist, fliegt sie unglaublich stabil<br />

und steigt auch richtig gut. Hier kommt<br />

man das erste Mal auf den Geschmack der<br />

elektrischen Trimmung. Sie ist präzise und<br />

mit dem Daumen am Knüppel sehr angenehm<br />

zu dosieren. Kurvenwechsel in der<br />

10 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>


FLUGZEUGE<br />

Das Handling der Stemme S12 ist<br />

aufgrund ihrer Größe und Masse<br />

gewöhnungsbedürftig – hat man das<br />

aber erstmal im Griff, lässt sie sich<br />

auch in schwachen und schwierigen<br />

Situation problemlos fliegen<br />

Thermik und am Hang sind natürlich Arbeit<br />

und brauchen etwas Gewöhnung wie bei<br />

jedem Offene-Klasse-Flieger. Sie bewegen<br />

ja schließlich mit gut 900 kg auch eines der<br />

schwersten Segeflugzeuge der heutigen<br />

Zeit durch die Luft. Hat man sich mal an<br />

Ihre Handlingeigenschaften gewöhnt,<br />

merkt man, dass die S12 auch schwache<br />

und schwierige Situation meistert. Selbst<br />

enges Fliegen am Hang mit viel Querlage<br />

macht sie mit. Ein großer Vorteil ist hier die<br />

ausgesprochene Gutmütigkeit, denn ein<br />

Abkippen ist fast unmöglich. Vor allem<br />

beim Gleiten merkt man, dass das Profil<br />

schon in die Jahre gekommen ist. In<br />

Vergleichsflügen mit einem Arcus M bei<br />

annähernd gleicher Flächenbelastung<br />

waren beide Flugzeuge im Gleiten bis zu<br />

einer Geschwindigkeit von 140 km/h recht<br />

ebenbürtig, darüber war dann der Arcus<br />

deutlich besser. Das segelfliegerische Jagdgebiet<br />

der S12 sind aber ganz klar Wind und<br />

Wellenwetterlagen in den Bergen. Wenn<br />

Technische Daten<br />

Typ<br />

Bauweise<br />

Propeller<br />

Fahrwerk<br />

Länge<br />

Höhe<br />

Breite<br />

Spannweite<br />

Flügelfläche 19,95 m 2<br />

Streckung 31,5<br />

Gleitzahl etwa 50<br />

Stemme S12 Twin Voyager<br />

Segeflugzeug mit Hilfstriebwerk, Einziehfahrwerk<br />

und Wölbklappen<br />

GFK/CFK/ Stahlgitter<br />

Zweiblatt-Faltpropeller in der Rumpfnase<br />

Zweibein-Hauptfahrwerk elektrisch einziehbar,<br />

lenkbares Spornrad<br />

8,42 m<br />

1,75 m<br />

1,18 m<br />

25,07 m<br />

Mittlere Flügeltiefe<br />

0,741 m<br />

Profil HQ 41/14.35<br />

Bremsklappen<br />

Schempp-Hirth<br />

Max. Abfluggewicht<br />

900 kg<br />

Leergewicht<br />

690 kg<br />

Max. Flächenbelastung 45,11 kg/m 2<br />

Triebwerk<br />

ROTAX 914 turbo<br />

Dienstgipfelhöhe<br />

9100 m<br />

Startleistung<br />

115 Ps bei 5800 U/m<br />

Max. Dauerleistung<br />

100 Ps 5500 U/m<br />

Max Treibstoffverbrauch<br />

bei 115% mit 33,0 l/h<br />

Eco Treibstoffverbrauch<br />

60% mit <strong>16</strong> l/h<br />

Reichweite<br />

1400 km<br />

Treibstofftanks<br />

2x 60l<br />

Besonderheiten:<br />

Autopilot, elektrische Trimmung<br />

segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 11


FLUGZEUGE<br />

was man braucht. Damit ist die S12 mit<br />

Sicherheit das teuerste in Serie gefertigte<br />

Segelflugzeug mit Hilfstriebwerk. Berücksichtigt<br />

man allerdings die einmaligen<br />

Zwittereigenschaften und die Tatsache,<br />

dass man mit einem Flugzeug den besten<br />

Kompromiss aus Segel- und Motorflugzeug<br />

bekommt, relativiert sich der Preis<br />

etwas. Das Rundumsorglospaket mit Autopiloten,<br />

Nachtflugausstattung und Transes<br />

mit langen Aufwindlinien oder am Hang<br />

geradaus geht, ist sie in Ihrem Element. Mit<br />

dem Abkleben sämtlicher Spalte um die<br />

Flächen und die darunter liegende Motorraumverkleidung<br />

kann man das Fahrtgeräusch<br />

erheblich reduziueren. Aerodynamische<br />

Stolpersteine wie die Transponderund<br />

ELT-Antenne und die Motorflugbeleuchtung<br />

sollte man in die Struktur integrieren.<br />

Auch das Auspuffrohr könnte man<br />

strömungstechnisch eleganter lösen. Vor<br />

allem an den Flächen lassen sich noch viele<br />

Details mit wenig Aufwand abdichten und<br />

aerodynamisch verbessern. Die S12 hätte<br />

mit einigen dieser Verbesserungen Potenzial,<br />

fast schon ein Rennflugzeug zu werden.<br />

Aber wer weiß, vielleicht gibt es in<br />

einigen Jahren eine FAI-Klasse für Reisemotorsegler.<br />

Da wäre die S12 ganz klar die<br />

erste Wahl.<br />

Wartung und Instandhaltung<br />

Die Stemme S12 ist von der Instandhaltung<br />

her natürlich etwas aufwändiger und<br />

teurer als andere Motorsegler. Grund dafür<br />

ist das spezielle Propellersystem und der<br />

zentral im Rumpf eingebaute Motor. Wird<br />

sie, ihrer Konstruktion entsprechend, als<br />

eigenstartfähiges Segelflugzeug betrieben,<br />

ist sie vom Wartungsaufwand je Flugminute<br />

aber fast um die Hälfte günstiger als<br />

ein aktuelles doppelsitziges Segelflugzeug<br />

mit Klapptriebwerk. Dazu kommt ein<br />

geringer Treibstoffverbrauch und dank des<br />

laufruhigen Triebwerks, der Welle und des<br />

Propellers auch keine teuren Vibrationsschäden<br />

wie bei den üblichen Zeitaktmotoren<br />

von Eigenstartern.<br />

Die Wartungsintervalle des Rotax 914<br />

Triebwerks sind bei den üblichen 50<br />

Stunden und können je nach Instandhaltungsprogramm<br />

selbst oder bei jedem<br />

herkömmlichen Wartungsbetrieb gemacht<br />

werden. Dasselbe gilt für die Flugzeugzelle.<br />

Diese muss nach 100 Stunden oder einmal<br />

jährlich nach dem Wartungshandbuch<br />

kontrolliert werden, je nach dem was<br />

früher eintritt. Die Inspektion der Propellereinheit<br />

steht bei 200 Stunden oder nach<br />

fünf Jahren an. Erreicht der Propeller eine<br />

Betriebszeit von 400 Stunden, ist eine<br />

Überholung fällig. Diese Arbeiten können<br />

nur von der Stemme AG in Strausberg<br />

gemacht werden.<br />

Kosten<br />

Los geht der Spaß mit dem Segelflugpacket<br />

bei etwa 360.000 Euro inkl. Steuer – dann<br />

aber voll instrumentiert und mit allem,<br />

portanhänger kratzt mit Steuer fast an der<br />

Schallmauer von einer halben Million Euro.<br />

Fazit<br />

Die Stemme S12 ist konkurrenzlos. Sie<br />

erntet bei immer mehr puristischen Segelflugpiloten<br />

Anerkennung und begeistert<br />

immer mehr Motorflugpiloten für den<br />

Segelflug. Der Trend mehr zum Segelflug<br />

hat der S12 gut getan und macht Hunger<br />

12 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>


FLUGZEUGE<br />

auf mehr. Wie wären wohl die Flugleistungen<br />

mit einer zeitgemäßen Aerodynamik<br />

an Flächen und Leitwerk? Das lässt auf<br />

jeden Fall noch mehr Potenzial bei den<br />

Segeflugleistungen vermuten. Auch wenn<br />

sich vermutlich dadurch die Kapazität der<br />

Treibstofftanks etwas verringern würde –<br />

das Mehr an Flugleistung wäre sicher<br />

bemerkenswert und würde das leicht<br />

entschädigen. Vor allem eine Verbesserung<br />

der Schnellflugeigenschaften im<br />

Segelflug würde der S12 auch im Motorflug<br />

deutlich mehr Vortrieb geben. Vielleicht<br />

gibt es auch noch Potenzial, bei der Fertigung<br />

und mit neuen Materialen Gewicht<br />

zu sparen. Das würde sich positiv auf die<br />

Zuladung und auf die Steigleistung im<br />

Segelflug auswirken. Trotz dieser Wünsche<br />

ist die aktuelle Stemme S12 eine tolle<br />

Botschafterin des lautlosen und eleganten<br />

Fluges in den entferntesten und unwirtlichsten<br />

Gegenden dieses Planeten und<br />

zieht ihre Kreise dort, wo noch nie zuvor ein<br />

Segelflugzeug geflogen ist. Auch in<br />

unseren Breiten ist sie immer wieder ein<br />

gern gesehenes „Mutterschiff“ in einer<br />

ganz eigenen Klasse. Mit der Stemme<br />

bekommen Sie schließlich ein Segelflugzeug,<br />

dass Sie über den Mount Everest und<br />

sogar einmal um die Erde bringt. t<br />

segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 13


FLUGGEBIET<br />

FLUGGEBIET SÜDALPEN, TEIL 2<br />

Eine königliche Reise –<br />

vom Veltlin ins Aosta-Tal<br />

Text: Ernst Willi.<br />

Fotos: Aldo Cernezzi, Mathias Schunk, Ernst Willi, StrePla, FlightPlanner<br />

Der zweite Artikel aus unserer Serie über das Fluggebiet „Südalpen“ umfasst diesmal den Flugweg<br />

vom Monte Legnone am Westende des Veltlins bis ins Aosta-Tal. Bestimmt interessieren Sie sich für den<br />

Unterschied zwischen der „großen“ und „kleinen Banane“ – und vermutlich noch mehr,<br />

an welchen Hotspots Sie Ihr Höhenmeter-Konto wieder auffüllen können.<br />

2 3 4 6<br />

1<br />

7<br />

5<br />

Die beiden beschriebenen Flugstrecken (orange und violett) und ihre Aufwindquellen, grafisch dargestellt.<br />

Die Nummerierung entspricht den Fotos auf den folgenden Seiten<br />

14 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>


FLUGGEBIET<br />

Bild 1: Nordspitze des Comer Sees, Blick vom Monte Legnone in Richtung Nord-Westen mit den berühmten Wolken-Aufreihungen<br />

Norditalien bietet großartige landschaftliche Eindrücke.<br />

Zahlreiche Segelflug-Gespanne ziehen deshalb schon<br />

früh zu Saisonbeginn aus dem nördlichen Teil Europas<br />

auf die Flugplätze Caiolo im Veltlin, nach Locarno oder<br />

Calcinate del Pesce, Alzate-Brianza am Rande der Po-Ebene,<br />

Valbrembo am Nordwestrand der CTR Bergamo, Ambri in der<br />

Schweizer Leventina oder den im Frühjahr temporär wieder zum<br />

Leben erweckten ehemaligen Flugplatz bei San Vittore. Den<br />

westlichen Teil der Region schließen die Flugfelder in Masera bei<br />

Domodossola und der große Flugplatz in Aosta ab.<br />

Letztere weisen ein paar Nachteile auf; diese Spezialitäten finden<br />

Sie in unserem Online-Artikel mit den detaillierten Flugplatz-Informationen<br />

(QR-Code am Ende des Artikels).<br />

Glasklare Frühlingstage im gleißenden Licht<br />

Aber was ist denn nun genau mit der „großen und kleinen<br />

Banane“ gemeint? Wer je einmal das Privileg und das Vergnügen<br />

hatte, vom Monte Legnone am Westende des Veltlins an einem<br />

dieser glasklaren Frühlings-Tage mit leichtem Nordwind, einer<br />

noch flach in die Schneelandschaften scheinende Sonne ins gleißende<br />

Licht nach Westen zu blicken, weiss, was gemeint ist: zwei<br />

großartige Wolken-Aufreihungen, die sich scheinbar endlos bis<br />

ins ferne, im blauen Dunst versinkende Aosta-Tal hinüber ziehen<br />

(Bild oben). Die Cumuli der „großen Banane“ ziehen dabei in<br />

einem kleinen Umweg bis hinauf in die Schweizer Leventina, jene<br />

der „kleinen Banane“ führen direkt(er) über das Centovalli nach<br />

Westen, meist mit einer deutlich sichtbaren, tieferen Wolken-Untergrenze.<br />

Das bedeutet für das fliegerische Vergnügen jedoch<br />

keine Einschränkung, weil auch die Geografie des südlichen<br />

Alpen-Vorlandes markant tiefer liegt.<br />

Der Alpenbogen als gigantischer Parabolspiegel<br />

Ein weiterer Vorteil dieses Fluggebietes ist seine natürliche Form.<br />

Der Alpenbogen fängt die ersten zaghaften Sonnenstrahlen des<br />

Frühlings im Schutz der Tessiner und Walliser Bergriesen wie in<br />

einem gigantischen Parabolspiegel ein und leitet sie auf die<br />

zumeist knochentrockenen, noch laubfreien Waldböden.<br />

Während des Winters und des Frühlings herrschen in den Alpen<br />

häufig Nordwindlagen vor, was durch die Fallwind-Systeme die<br />

anströmenden Luftmassen abtrocknet und manchmal während<br />

Wochen für niederschlagslose Verhältnisse sorgt. Entsprechend<br />

schnell heizt sich der Untergrund auf, die labile Frühlingsluft<br />

offeriert die zweite wichtige Zutat für ein tolles Thermik-Menu.<br />

Die Windrichtung muss mit „N“ beginnen<br />

Die Windrichtungen mit einem „N“ im Namen prägen dieses<br />

Fluggebiet – wie bereits im Artikel in der letzten Ausgabe dieses<br />

Magazins über das Gebiet zwischen Lienz und dem Veltlin<br />

erwähnt. Diese Großwetterlagen eignen sich nicht nur für tolle<br />

Wellenflüge (darüber publizieren wir am Ende dieser Flugge-<br />

segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 15


FLUGGEBIET<br />

biet-Serie einen separaten Artikel mit einer Wellenkarte für Streckenflüge<br />

zwischen dem Rhônetal und Kärnten). Sie räumen<br />

auch die feucht-stabilen Luftmassen über der Poebene aus den<br />

Voralpen-Tälern nach Süden weg. Umgekehrt können Sie sich<br />

leicht vorstellen, was bei Windrichtungen mit einem „S“ im<br />

Namen passiert: Dabei werden die feuchten Luftmassen in die<br />

südlichen Alpentäler gedrückt, erst wird damit die Thermikbildung<br />

„erschlagen“, danach bilden sich im Südstau meist tagelang<br />

anhaltende Niederschläge.<br />

Die Außenlande-Situation –<br />

besser als zwischen Lienz und dem Veltlin<br />

Im Gegensatz zu der prekären Aussenlandesituation im Bozener-/<br />

Meraner Becken und dem Vinschgau ist das Segelfliegen<br />

zwischen dem Veltlin und Aosta spürbar entspannter. Dafür<br />

sorgen gut über das Fluggebiet verteilte Flugplätze, private<br />

(Gattinara) und teilweise militärische Flugfelder (Lodrino). Es ist<br />

nicht so, dass Sie als Pilot ebenso entspannt wie im deutschen<br />

Flachland umherfliegen können, wo man sich kaum entscheiden<br />

kann, auf welchem der zahlreich verfügbaren Landefelder man<br />

denn niedergehen soll – mit etwas Planung (Trichter-Theorie)<br />

lassen sich aber „richtige“ Außenlandungen im flachen Gelände<br />

meistens dicht bebauten Gebiet zwischen Caiolo und Aosta<br />

vermeiden. Ein Spielverderber sind höchstens die teilweise hohen<br />

Passübergänge, welche die Erreichbarkeit einzelner Flugplätze<br />

einschränken (wie etwa Aosta von Osten her). Bitte beachten Sie<br />

dazu das extra für Sie online zusammengestellte Dossier über die<br />

Flugplätze des heute beschriebenen Fluggebietes, Sie finden<br />

diese Zusatz-Informationen am Ende des Artikels über den dort<br />

eingedruckten QR-Code auf unserer Internetseite.<br />

Wir beginnen im Veltlin<br />

Unser virtueller Startplatz für den heutigen Routenbeschrieb ist<br />

der Flugplatz Caiolo/Sondrio im Veltlin. Wir klinken an der Veltliner<br />

Südkrete am Monte Legnone aus und beginnen unseren<br />

Flug nach Westen, zuerst auf der Route der „kleinen Banane“, auf<br />

der Karte violett dargestellt. Zum Monte Legnone, dem<br />

markanten, westlichsten Gipfel des Veltlins, gelangt man über<br />

die verschiedenen Talriegel der westlichen Bergamasker Alpen<br />

und die Kalkgipfel der Grigna auch aus Valbrembo oder Alzate-Brianza.<br />

Der Monte Legnone ist dank seiner langen Flanken, die den<br />

ganzen Tag über auf ihren verschiedenen Seiten eingestrahlt<br />

sind, ein guter Thermik-Hotspot. Bei nördlichen Windrichtungen<br />

wird er über den Splügenpass direkt angeblasen und liefert<br />

Bild 2: Die Tessiner Alpen: Vom Nufenenpass aus überblicken wir das thermisch interessante Bedrettotal<br />

<strong>16</strong> segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>


FLUGGEBIET<br />

zuverlässige Hang-Aufwinde für den Sprung an den Jorio-Pass an<br />

der Grenze ins Tessin.<br />

Die weitere Streckenführung führt von dort auf die kahlen und<br />

seit dem frühen Morgen von der Sonne voll eingestrahlten Nordflanken<br />

des Pizzo Camoghé und bei Isone nördlich des Monte<br />

Ceneri. Würde der Anschluss an die Thermik hier misslingen,<br />

haben Sie gleich eine Auswahl an Landemöglichkeiten: einerseits<br />

die Außenlandewiese bei Porlezza, anderseits der Flugplatz<br />

Locarno sowie der im Frühling temporär mit Schleppbetrieb<br />

unterhaltenen ehemalige Flugplatz bei San Vittore (Frühlingslager<br />

des Schweizer Aero-Clubs) oder der Militärflugplatz in<br />

Lodrino. Hier müssen Sie zwar mit erschwerten Einreise-Schwierigkeiten<br />

direkt in ein militärisch genutztes Gebiet rechnen, aber<br />

als Notfall-Landefeld kann man in diesem Artikel Lodrino mit<br />

seiner Hartbelagpiste natürlich nicht weglassen. Der markanteste<br />

Thermik-Hotspot in der Region ist der Pizzo Claro an der<br />

Talgabelung zum Gotthard- und San-Bernardino-Pass. Er ist der<br />

Beginn der später beschriebenen „großen Banane“.<br />

Über Verzasca- und Maggiatal ins Valle Antigorio<br />

Nach der Talquerung und der bewilligungspflichtigen Querung<br />

der CTR Locarno mit ständigem Fallschirm- und militärischem<br />

Flugtrainings-Betrieb finden wir Anschluss an den südlichsten<br />

Ausläufern des Verzasca- und des Maggiatales. Die steilen<br />

Flanken produzieren gute Aufwinde, sofern man gleich über den<br />

Kreten den Flug fortsetzen kann. Unterhalb der steilen Flanken<br />

ist die Thermik weniger stark, dafür deutlich ruppiger.<br />

Eine etwas tiefere und weniger steile Alternative ist der Weg auf<br />

der Nordseite des Centovalli. Das Tal selber ist unlandbar, aber<br />

am Westende befindet sich mit Masera ein kleines Flugfeld, in<br />

Italien Aviosuperficie genannt, nahe bei Domodossola, direkt<br />

beim oder praktisch im Flussbett des Toce (Flusslauf des Valle<br />

Antigorio). Auf der Ostseite bietet sich als Landeplatz der Flugplatz<br />

Locarno an. Er besitzt eine Hartbelagpiste für den Motorflug<br />

und eine östlich davon gelegene, lange und oft feuchte Landewiese<br />

für den Segelflugbetrieb. In dieser Region ist das Einhalten<br />

der Trichterflug-Regeln Pflicht. Verlässt man jenen von Locarno,<br />

muss man hoch genug sein, um Masera zu erreichen, im Centovalli<br />

können Sie nicht unfallfrei landen.<br />

Die höchste Bergflanke Europas – die Monte Rosa-Südwand<br />

Die Region wird von einer gewaltigen, eis- und scheebedeckten<br />

Bergflanke überragt – der Monte Rosa-Südwand. Sie ist bereits<br />

von den Flugplätzen Alzate oder Calcinate aus beim Start deut-<br />

Bild 3: Blick vom Nufenenpasse ins Valle Antigorio, an dessen Südende Domodossola und das Flugfeld von Masera liegen<br />

segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 17


FLUGGEBIET<br />

lich sichtbar. Südlich an ihr vorbei zirkeln wir nun über insgesamt<br />

fünf Täler mit sehr hohen Gipfeln vorsichtig und soweit nördlich<br />

wie möglich hinüber ins Aostatal. Im Detail sind das die Kreten<br />

des Antrona-, des Anzasca- und des Sesia-Tales, weiter westlich<br />

folgen dann die noch wilderen des Val Gressoney und des<br />

Valtournanche. Klingende Gipfel-Namen wie etwa der „Corno<br />

Bianco“, die „Testa Grigia“ (ausgesprochen: Testagriitschah) oder<br />

der Grand Tournalin (wir nähern uns sprachlich der französischsprachigen<br />

Schweiz und Frankreich) liefern auch auf dem Variometer<br />

klangvolle Töne und heben uns deutlich über 3200 m MSL.<br />

Die sind auch nötig, die Gipfel nördlich von uns ragen bis weit<br />

über 4000 m MSL, hinauf und gehören zu den höchsten der<br />

italienisch-/schweizerischen Alpenregion.<br />

Vorsichtiger Fünf-Täler-Flug<br />

Südlich von uns, weit draußen in der Poebene, bietet sich hier<br />

höchstens das private<br />

Bild 4: Die endlos langen Geröllhalden am Nufenenpasse und auf der Nordseite des Bedrettotals<br />

sind zuverlässige Aufwind-Produzenten. Die Wolkenbasis liegt häufig nahe 4000 m MSL<br />

und garantiert weite Geradeausflüge auf beide Seiten des Alpen-Hauptkammes<br />

Landefeld von Gattinara als<br />

Landemöglichkeit an, sollte<br />

der Anschluss ins hohe<br />

Relief nicht wie gewünscht<br />

funktionieren. Das bedeutet<br />

hier gegenüber dem Beginn<br />

des Fluges noch verstärkt,<br />

dass Sie entweder Aosta<br />

oder Masera / Domodossola<br />

im Gleitflug erreichen<br />

können, wollen Sie nicht in<br />

ernsthafte Schwierigkeiten<br />

geraten, falls Sie unter die<br />

Kreten geraten. Die Voralpen-Region<br />

ist praktisch<br />

zugebaut, Vorsicht ist hier<br />

für einen problemlosen Flug<br />

Voraussetzung. Anderseits<br />

muss man auch sagen, dass<br />

Sie wahrscheinlich nicht bis<br />

hierhin gekommen wären,<br />

wären die thermischen<br />

Voraussetzungen bisher<br />

unzureichend gewesen.<br />

Das Aostatal – starker<br />

Talwind, große Basishöhen,<br />

starke Aufwinde<br />

Nachdem wir vorsichtig die<br />

endlos scheinenden fünf<br />

Täler seit dem Valle Antigorio<br />

überwunden haben,<br />

fliegen wir nun im Aostatal<br />

in ein kleines Segelflug-Paradies<br />

ein. Nicht nur des<br />

einmaligen Matterhorns<br />

wegen, das die nördlichen<br />

Granitzacken überragt. Vor<br />

allem auch der Aufwinde<br />

wegen. Beginnen wir mit<br />

den beiden tiefen Einstiegspunkten<br />

des Becca d’Aver<br />

und des Becca di Viou. Sie<br />

Bild 5: Blick von Matro<br />

(Talgabelung bei Biasca)<br />

nach Nordwesten in die<br />

Leventina und auf den<br />

Flugplatz Airolo<br />

18 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>


FLUGGEBIET<br />

stehen einerseits im ausgeprägten Talwindsystem, anderseits<br />

sind sie durch ihre kegelförmige Struktur den ganzen Tag über<br />

irgendwo eingestrahlt. Am Becca di Viou habe ich beispielsweise<br />

ab ca. 2000 m MSL schon einen Aufwind mit durchschnittlichen<br />

6,3 m/s (das Variometer war in Ordnung) bis hinauf auf 4300 m<br />

MSL erlebt und damit den problemlosen Einstieg ins wilde Valpelline<br />

südlich des Matterhorns und damit auch die Höhe für eine<br />

Alpenquerung ins Wallis (Zermatt) geschafft.<br />

Talwind-Systeme und Flugpläne<br />

Vorsicht ist hingegen angebracht, wenn man an den tiefen<br />

Einstiegspunkten nicht wegkommt und reflexartig nach Süden<br />

zum Aostatal hinaus fliehen will. Das Talwindsystem ist hier<br />

ausgesprochen stark und produziert bei südlichen Flugrichtungen<br />

Gegenwind. Jeder quer zum Haupttal stehende Hang<br />

erzeugt zwar auch in tiefen Lagen Hangaufwind – allerdings<br />

führt er selten weit darüber hinaus und nicht überall ist der<br />

Einstieg in das höhere Relief gegeben. Ein früher Entscheid für<br />

eine sichere Landung auf dem Flugplatz von Aosta ist die vernünftigere<br />

Option als eine kopflose Flucht nach Süden zum Aostatal<br />

hinaus – vor allem, weil da die Außenlandemöglichkeiten nicht<br />

wirklich besser werden.<br />

Der Nachteil von Aosta ist sein Status als „großer internationaler“<br />

Flugplatz. Er ist zum Beispiel eingezäunt. Man verlangt dort aber<br />

auch Dinge wie einen sauber ausgefüllten Flugplan mit vorbereiteter<br />

Rettungsausrüstung wie Dinghi, Schlauchboot usw. von<br />

Ihnen, sollten Sie angeben, ins Ausland ausfliegen zu wollen.<br />

Besser, sie erwähnen bei einem geplanten Flugzeugschlepp, sie<br />

wollten einen lokalen Flug unternehmen, selbst wenn Sie nach<br />

Frankreich oder in die Schweiz schleppen wollen. Sie können Ihr<br />

Flugzeug wegen des vermutlich nur einmal täglich eintreffenden<br />

Linienfluges nicht länger und unbeaufsichtigt am Pistenende<br />

stehen lassen – kurz: für Segelflugbetrieb von Piloten, welche die<br />

lokalen Erleichterungen nicht kennen, kein idealer Startort – aber<br />

immerhin eine absolut sichere Landemöglichkeit an der exakt<br />

richtigen Stelle.<br />

Zum Dessert ins „Tal der Wölfe“ und an den Mont Blanc<br />

Den krönenden Abschluss unserer heutigen Reise von Caiolo im<br />

Veltlin bis an den Petit St.-Bernard bildet der Aufwind des Mont<br />

Falère südlich des Großen Sankt-Bernhards. Er ist wie die vorhin<br />

erwähnten Hotspots kegelförmig, mit weit ausladenden,<br />

trockenen Alpweiden versehen – und steht im Talwindsystem.<br />

Normalerweise gelingt der Einstieg knapp über den Kreten und<br />

die Aufwinde tragen den glücklichen Segelflug-Besucher meist<br />

weit hinauf – bis 3600 m MSL.<br />

Das ist gleichzeitig der Einstieg ins Val Ferret – eines der schönsten<br />

und ursprünglichsten Alpentäler überhaupt. Das Tal trägt bei mir<br />

privat den Namen „Tal der Wölfe“, weil hier die bösen italienischen<br />

und französischen Wölfe ungefragt ins Wallis mit seinen<br />

braven, unbescholtenen und hoch subventionierten Schafen<br />

emigrieren und gelegentlich eines davon verspeisen – und von<br />

den dortigen militanten Jägern regelmässig legal und illegal<br />

gemeuchelt werden. Das wäre mir sonst von keinem Ort in<br />

Europa im gleichen Stil bekannt.<br />

Das davon unberührt wunderschöne Val Ferret führt nordöstlich<br />

von Courmayeur hinüber in die Schweiz, die nördliche Begrenzung<br />

bilden die Grandes Jorasses und natürlich der Mont Blanc,<br />

der mit 4810 m MSL der höchste europäische Gipfel ist. Wie Sie<br />

hier weiter ins und durchs Modanetal kommen, ist Gegenstand<br />

des nächsten Artikels in der Serie „Fluggebiet Südalpen“.<br />

Zurück zum Start an den Pizzo Claro für die zweite Runde<br />

Wir kehren nun virtuell an unseren Ausgangspunkt zurück, um<br />

den Flugweg der „großen Banane“ (auf der Karte orange eingezeichnet)<br />

abzufliegen. In dem Fall starten wir erneut am Monte<br />

Legnone und queren über den Jorio-Pass ins Schweizerische<br />

Misox (das Tal südlich des San Bernardino-Passes) und an den<br />

Pizzo Claro an der südlichen Talgabelung. Im Gegensatz zur<br />

ersten beschriebenen Flugstrecke führt nun der Weg aber nicht<br />

direkt westwärts ins Centovalli und ins Valle Antigorio – sondern<br />

nordwestwärts hinauf bis fast an den Gotthardpass.<br />

Am Pizzo Claro klettern wir virtuos und wie im Lehrbuch die<br />

ansteigenden und bestens eingestrahlten Südflanken hoch,<br />

übersteigen den ersten Gipfel und folgen nun der nordwestlich in<br />

die Leventina führenden, langgezogenen Krete. Die fliegerischen<br />

Möglichkeiten sind vielfältig und wir befinden uns hier auch<br />

ständig im Gleitbereich von Locarno, San Vittore, Lodrino und<br />

Gültig bis 31.12.20<strong>16</strong><br />

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segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 19


FLUGGEBIET<br />

Bild 6: Anflug Monte Rosa von Osten<br />

später Ambri. Die Region südlich des Lukmanier-Passes ist landschaftlich<br />

(und auch thermisch) ein Erlebnis, dasselbe gilt auch<br />

für die alternative Route etwas weiter südlich über die wilden<br />

Grenzgipfel zwischen der Leventina und dem Verzasca-Tal und<br />

später dem nördlichen Talabschluss des Valle Maggia. Hier<br />

nehmen wir über den gut eingestrahlten Hängen bei Bosco Gurin<br />

die größtmögliche Höhe mit, um ins Valle Antigorio einzufliegen<br />

und dann vorsichtig denselben Weg rund um den Monte Rosa<br />

um die fünf Täler zu schaffen. Die Walser Gemeinde Bosco Gurin<br />

ist übrigens die einzige deutschsprachige Gemeinde im sonst<br />

italienischsprachigen Tessin.<br />

Das Wasserschloss Europas<br />

Wir überfliegen hier eine Region mit über 20 größeren Stauseen,<br />

deren Wasserkraft auf der Alpen-Nord- wie auf der -Südseite<br />

genutzt wird. Auch deswegen lohnt sich der kleine Umweg bis<br />

beinahe an den Gotthard-Pass. Der Hauptgrund ist allerdings die<br />

üblicherweise höhere Wolken-Untergrenze als auf der südlichen<br />

Route.<br />

Bild 7: Blick vom Ostende des Centovalli nach Süden auf<br />

den Marktort Luine und den Regionalpark „Campo dei Fiori“<br />

20 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>


FLUGGEBIET<br />

Granitgrate, Gendarmen und andere Schönheiten<br />

Auf der hier beschriebenen Flugstrecke halten wir uns nun so<br />

nördlich wie möglich und umfliegen die Gletscherfelder des<br />

Monte Rosa so eng es geht – mit dem Ziel, direkt die steilen<br />

Granitflanken nördlich des Stausee im Valpelline zu erreichen.<br />

Die Basishöhen liegen hier an einem normalen Thermiktag mit<br />

weit über 4000 m MSL am höchsten – trotzdem bewegen wir uns<br />

des hohen Geländes wegen natürlich noch immer ständig in<br />

Bodennähe – Konzentration ist gefragt. Dafür ist aber die Szenerie<br />

umwerfend: Das Valpelline ist eine einzige Granit-Geröll-Wüste.<br />

Die endlos langen, kahlen Schluchten erzeugen entsprechend<br />

starke, enge Aufwinde. Die imposanten, zerklüfteten Grate, die<br />

einsam in den Himmel ragenden sog. „Gendarmen“ und die<br />

endlose Reihe der höchsten Gipfel der Walliser Alpen, alle übertroffen<br />

vom nordöstlichen Talabschluss, dem Mont Cervin (wie<br />

das Matterhorn auf Französisch heißt), bilden den würdigen<br />

Schlusspunkt eines königlichen Segelflugtages.<br />

Ein genauer Blick auf die Lufträume<br />

Der Querschnitt durch das Luftraum-Profil unserer beiden Flugwege<br />

zeigt zwei wichtige Einschränkungen. Jene der CTR Locarno<br />

mit ihrer den Tälern folgenden TMA lässt sich im Normalfall mit<br />

einer Durchflug-Genehmigung lösen. Einschränkender wirken<br />

sich drei Sperrgebiete LI-R 83 E und LI R 83 D „Ivrea“ südlich des<br />

Monte Rosa aus. Allerdings muss man in Rechnung stellen, dass<br />

600 Meter über Grund beispielsweise über dem Corno Bianco<br />

3900 m MSL entsprechen und damit selbst unter diesen Sperrgebieten<br />

ein gewisser Höhen-Spielraum zur Verfügung steht.<br />

Der behördliche Arm greift in Ihr Cockpit<br />

Nicht unterschätzen sollte man als Pilot die technischen GPS-Auswertungsmöglichkeiten,<br />

die inzwischen bis zu den davon betroffenen<br />

Behörden vorgedrungen sind. Es ist möglich, dass sie Ihre<br />

elektronischen Flugaufzeichnungen einfordern. Die Ausrede,<br />

diese existierten nicht, wirkt angesichts der heutigen Verbreitung<br />

von Moving-Map-Systemen mit automatischer Flugdaten-Speicherung<br />

nicht eben vertrauensbildend.<br />

Anderseits zeigt die Recherchier-Arbeit zu diesem Artikel einen<br />

störenden und gravierenden allgemeinen Mangel in der Informationspolitik<br />

der Luftfahrtbehörden. Es ist selbst nach zwei<br />

Stunden intensiven Suchens nicht möglich, zu den drei betroffenen<br />

Restricted Areas genauere Nutzungs-Bedingungen ausfinding<br />

zu machen – bis auf das hier, das ich auf einer ebenso inoffiziellen<br />

wie privaten Website gefunden habe: In aktive Restricted<br />

Areas darf nur mit Freigabe von ATC eingeflogen werden. Die<br />

meisten LI-Rs sind nur unter der Woche aktiv (AIP und NOTAMs<br />

checken). Was für mich auf gut Deutsch bedeutet: auf jeden Fall<br />

beim zuständigen AIC nachfragen, in dem Fall bei Milano Information<br />

– und den Transponder erwähnen und benutzen.<br />

Das nächste Mal<br />

Im nächsten Artikel nehme ich Sie mit auf die heißen Thermikpfade<br />

der Grivola und des Gran Paradiso, des Val Savaranche, des<br />

Val de Rhêmes und des Val Grisenche und später des Col du<br />

Nivolet, des Col du Carro hinüber zum Charbonnel – einem der<br />

Schlüssel erfolgreicher Querungen des Modanetales in die Gipfelwelt<br />

der französischen Alpen. Und wir lernen das Nordwind-Wellensystem<br />

zwischen Lagio Maggiore und dem Rhônetal kennen.<br />

Wir sehen uns… t<br />

QR-Code zum Online-Artikel mit den<br />

detaillierten Flugplatz-Informationen<br />

Querschnitt durch die Luftraum-Struktur zwischen dem Veltlin und dem Aostatal für unsere beschriebenen Flüge<br />

segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 21


METEOROLOGIE<br />

„Häufeles Wetter“, so nennt Gerhard Renner<br />

(Sportleiter des Klippeneck-Wettbewerbs)<br />

Wetterlagen, an denen viele Piloten in Haufen<br />

herumstehen und diskutieren. Zum Beispiel:<br />

„Was könnte man mit dem Tag so alles anstellen?“<br />

„Häufeles Wetter“ gab’s in der Tat mehrfach.<br />

Einer dieser Tage war der zweite Wertungstag,<br />

an dem wir etwas Größeres auf die<br />

Aufgabenzettel geschrieben hatten.<br />

Wie kam es dazu und was hat es den<br />

Wettbewerbsleiter und mich als Meteorologen<br />

(außer Nerven) am Ende gekostet?<br />

„Häufeles Wetter“<br />

22 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>


METEOROLOGIE<br />

Impressionen vom Klippeneck-Wettbewerb<br />

Von Henry Blum<br />

Fotos: Henry Blum, Sören Ebser, B J Burton, www.wetterzentrale.de, Deutscher Wetterdienst<br />

segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 23


METEOROLOGIE<br />

48. KLIPPENECK-<strong>SEG</strong>ELFLUG-WETTBEWERB<br />

29.7. - 6.8.20<strong>16</strong> Arbeitsgemeinschaft der Fliegergruppen auf dem Klippeneck e. V.<br />

<strong>06</strong>.08 Uhr lokal<br />

Abb 1.: Der Blick von der Hangkante nach Westen, 04:08 Uhr UTC<br />

Wir schreiben den 01. August 20<strong>16</strong>. Noch am Vortag<br />

hatte uns eine Kaltfront mit massiven Niederschlägen<br />

überquert (Abb 2). Aber danach sollte<br />

sich Hochdruck-Einfluss durchsetzen. Alles in<br />

allem gute Voraussetzungen. Der Gang morgens zur Hangkante<br />

sah schon ganz ordentlich aus (Abb. 1). Nebelfelder Richtung<br />

Schwarzwald, aber der Himmel klarte von Western her auf. Das<br />

könnte was werden!<br />

Das Netz geht nicht!<br />

Im Wettbewerbsbüro angekommen, gab’s aber erst mal eine<br />

böse Überraschung. Das Internet war ausgefallen. Keine Daten,<br />

keine ordentliche Analyse. Also höchstens „Häufeles Wetter“.<br />

Was tun? Falk Rüth anrufen! Er hatte die IT und die Infrastruktur<br />

aufgebaut und kennt sich aus. Nachdem er alles überprüft hatte,<br />

schüttelte er den Kopf. „Das liegt am Provider! Um die Uhrzeit<br />

krieg ich da aber noch niemand!“<br />

Martin Trittler, der junge Wettbewerbsleiter, wusste sich allerdings<br />

zu helfen. Er klingelte kurzerhand seine Eltern in Aldingen<br />

aus dem Bett. Ob der Meteorologe nicht bei Ihnen zu Hause das<br />

Wetter machen könne? Na klar. Kein Problem. Er soll kommen!<br />

Also ab ins Auto und den Berg runter gefahren zu Trittlers. Gottseidank<br />

gibt’s Navi. Da findet man auch in verwinkelten Gassen<br />

sein Ziel. Noch im Pyjama machte mir Vater Karl die Tür auf und<br />

gab sein Arbeitszimmer frei. Dann wurden die WLAN-Schlüssel<br />

rausgekramt und es konnte los gehen.<br />

Große Erleichterung, als die Daten reintröpfelten und die Karten<br />

sichtbar wurden. Es sah tatsächlich ganz gut aus: Die eingeflosse<br />

Luftmasse war exzellent (Abb. 3), richtig kalt und mit etwas<br />

Feuchtigkeit geladen. Ideale Bedingungen eigentlich für größere<br />

Strecken.<br />

Wenn da nicht die Niederschläge vom Vortag gewesen wären<br />

(Abb. 4). Aber es gab Hoffnung. Nicht überall hatte es so stark<br />

geregnet. Außerdem würde die Luft sich rasch erwärmen und<br />

würde so einiges an Feuchte aufnehmen. So könnte man eventuell<br />

doch was Anständiges ausschreiben. Als ich wieder zurück<br />

ins Büro kam, waren auch Martin und Gerhard Renner als Sportleiter<br />

optimistisch.<br />

Wir machen was Anständiges!<br />

„Guten Morgen, Henry. Heute können wir was Anständiges<br />

ausschreiben, oder?“, meinte Gerhard. Er war für die Planung der<br />

Aufgaben zuständig. Er hatte in früheren Jahren den Klippeneck-Wettbewerb<br />

schon mehrfach gewonnen und sicher ein<br />

offenes Ohr für eine anspruchsvolle Aufgabe.<br />

„Wir könnten eine 7 vor die Aufgabe der 18-Meter-Klasse stellen!“<br />

„Wie? Was meinst Du?!“<br />

„Meiner Meinung nach sind 700 drin, wenn wir die Offenen oder<br />

Abb 2.: Montag, 01.08.<strong>16</strong>, 02:00 Uhr lokal. Die Kaltfront ist<br />

durch. Dahinter wird der Luftdruck weiter ansteigen<br />

48. KLIPPENECK-<strong>SEG</strong>ELFLUG-WETTBEWERB<br />

29.7. - 6.8.20<strong>16</strong> Arbeitsgemeinschaft der Fliegergruppen auf dem Klippeneck e. V.<br />

24 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>


Arcus M chartern<br />

Von Februar bis September ab Schänis<br />

und von November bis Januar in Kiripotib (Namibia)<br />

48. KLIPPENECK-<strong>SEG</strong>ELFLUG-WETTBEWERB<br />

29.7. - 6.8.20<strong>16</strong> Arbeitsgemeinschaft der Fliegergruppen auf dem Klippeneck e. V.<br />

Abb 3.: Montag, 01.08.<strong>16</strong>, 14:00 Uhr lokal. Luftmasse gut,<br />

Druckverteilung nicht ganz optimal<br />

Gönnen Sie sich<br />

für Urlaub und<br />

Wettbewerb ein<br />

Spitzen-Flugzeug<br />

48. KLIPPENECK-<strong>SEG</strong>ELFLUG-WETTBEWERB<br />

29.7. - 6.8.20<strong>16</strong> Arbeitsgemeinschaft der Fliegergruppen auf dem Klippeneck e. V.<br />

Abb 4.: Gesamt-Niederschlag (24h), Sonntag , 31.07.<strong>16</strong>. In<br />

einigen Bereichen im Südwesten hatte es geschüttet...<br />

18er ganz vorne hinstellen!“<br />

Seine Mundwinkel wanderten nach oben. „Hmmm...!“ Der<br />

Vorschlag schien ihm zu gefallen. Aber untermauern musste ich<br />

das wohl noch mit ein paar guten Argumenten.<br />

„Ich denke schon! Die Luftmasse ist sehr gut! Nur die Druckverteilung<br />

ist nicht ganz optimal und die Niederschläge von gestern<br />

müssen wir berücksichtigen. Aber es wird gutes Steigen geben<br />

und vor allem relativ lang!“<br />

„Na dann lass mal sehen! Wo können wir die Strecken hinlegen?.“<br />

Wir brüteten besonders lang über den Niederschlagskarten.<br />

Welche Route wäre am ehesten fliegbar, ohne zu riskieren, dass<br />

alle auf den „Acker“ müssten?<br />

„Den Schwarzwald runter nach Südwesten geht nicht, gell?“<br />

„Auf keinen Fall, die saufen uns alle ab. Der Schwarzwald besteht<br />

hauptsächlich aus Buntsandstein. Die obersten Schichten saugen<br />

Wasser auf und geben’s nur langsam wieder ab. Die Alb ist<br />

besser. Kalkstein, komplett verkarstet. Da laufen auch große<br />

Wassermengen rasch ab und bis heute nachmittag ist der sicher<br />

wieder fliegbar. (Dachte ich zumindest). Außerdem können<br />

unsere Experten auch Richtung Donautal ausweichen, wenn’s da<br />

besser gehen sollte. Immerhin sieht’s trockener aus, als die Alb“.<br />

Wir einigten uns schließlich auf eine Route über mehr als 720<br />

Kilometer das Neckartal rauf entlang des Schwarzwalds und<br />

dann hoch am Spessart vorbei und hinter Stuttgart zurück auf die<br />

Alb. Mit diesem Vorschlag überraschten wir dann auch die<br />

• Konkurrenzfähiger Hochleistungs-Doppelsitzer<br />

• Beim Wettbewerb vorne Mitfliegen<br />

• Top-Ausrüstung:<br />

Flügeltücher, Verzurr-Material, Benzin-Öl-Gemisch,<br />

Öl-Reserven, Batterien, Ladegeräte<br />

• Attraktive Ferienpauschale<br />

• Faires Tages-Charter-Angebot<br />

Informationen / Buchungen:<br />

ALPINE <strong>SEG</strong>ELFLUGSCHULE SCHÄNIS AG<br />

Flugplatz CH-8718 Schänis<br />

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segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 4<br />

PS 02.20<strong>16</strong>


METEOROLOGIE<br />

Wir diskutieren mit den<br />

Pilotensprechern: Hintere<br />

Reihe v.l.n.r.: Adrian Tschui<br />

(Std.), Ulrich Kohler (DOSI),<br />

Tobias Diebel (18 M), Guido<br />

Halter (Offene). Vordere<br />

Reihe v.l.n.r.: Gerhard Renner<br />

(Sportleiter), Martin Trittler<br />

(WB Leiter), Karl Eugen<br />

„Charlie“ Bauder (15-M)<br />

Pilotensprecher, die pünktlich um 08:00 Uhr auf der Matte<br />

standen.<br />

700 Kilometer? Zu viel für Häufeles-Wetter!<br />

Sie waren nicht wenig verblüfft, als wir ihnen unsere Überlegungen<br />

vorstellten. Aber nach einer kurzen Pause, gab’s berechtigten<br />

Widerstand: „Jung’s, das könnt ihr nicht bringen! Wenn da<br />

nur etwas aus dem Ruder läuft oder die Thermik früher abstellt,<br />

liegen fast alle draußen! – Und bedenkt bitte, ihr habt Piloten im<br />

Feld, die noch nie einen 500er geflogen haben!“<br />

Nach einigen Diskussionen reduzierten wir die Offene und<br />

18-Meter-Klasse um mindestens zehn Prozent und einigten uns<br />

auf 650 Kilometer. Für die hinten im Grid stehende Standard-<br />

Klasse bedeutete das immer noch knapp über 500 Kilometer.<br />

Wie recht die Pilotenvertreter mit ihrem Einwand gehabt hatten,<br />

sollte sich später herausstellen. Im Laufe des Fluges liefen wir auf<br />

eine nicht vorhersehbare Hürde, die uns allen ziemlich zu<br />

schaffen machte.<br />

Gülden steigt die Sonne auf!<br />

Wir begannen mit den Vorbereitungen zum Hauptbriefing. Frank<br />

Möbbeck war für den Start verantwortlich. Er telefonierte mit<br />

den Vereinen, die uns ihre Schleppmaschinen bereit stellten. Er<br />

Die erste Briefingfolie zum 1. August<br />

hatte dafür eine eigene Begrüßungsformel, die uns alle neugierig<br />

machte:<br />

„Gülden steigt die Sonne auf, Feder-Wölkchen fliegen, ... ! Hör<br />

mal, wir bauen auf. Könnt Ihr Eure Schleppmaschine rüberschicken?<br />

Startbereitschaft ist heute schon um 10:30 Uhr!“<br />

„Frank, was ist das denn für ein Spruch?“<br />

„Der stammt ursprünglich von Klein-Fritzchen. Der sollte in der<br />

Schule mal ein Gedicht aufsagen und hat damit die Lehrerin<br />

geärgert“.<br />

„Und wie geht der weiter?“<br />

Darauf wollte Frank dann doch nicht antworten, im Gegenteil:<br />

„Hör mal, Fröschken“, entrüstete er sich mit norddeutschem<br />

Zungenschlag (Fröschchen ist eigentlich sein „Kosename“ für<br />

mein Maskottchen. Gemeint war diesmal ich als Meteorologe). Er<br />

zog seine Sonnenbrille etwas runter und blickte vielsagend in die<br />

Runde. „Wir haben Damenbesuch! Der Rest ist leider nicht<br />

jugendfrei! “<br />

Susanne Lippert druckte gerade die Start-Aufstellung aus und<br />

Elena Ebser bereitete Infos für die Flugsicherung vor. (Achtung:<br />

Heftiger Segelflugbetrieb in folgenden Gafor-Gebieten ...).<br />

„Wir sind doch nicht mehr im Kindergarten!“, wehrten sich die<br />

Damen, und „wir sind doch so einiges gewöhnt!“ In der Tat. Beide<br />

Damen haben sich in Männerdomänen durchgesetzt. Susanne<br />

als Betriebsrätin, Elena ist Managerin. „Also, Frank, wie geht’s<br />

weiter?“<br />

„Nein, kommt nicht in Frage!“ weigerte sich Frank standhaft,<br />

„sonst ruinier ich hier meinen Ruf komplett!“ und wählte die<br />

Nummer des nächsten Vereins, der seine Schlepper schicken<br />

sollte. Auch seine Begrüßung folgte jetzt klassischeren Regeln:<br />

„Hallo, hier ist das Klippeneck! Wir fliegen! Könnt Ihr uns die Fox<br />

Hotel rüberschicken? Ja, um 10:30 Uhr geht’s los! Prima, dann bis<br />

gleich auf der 23!“<br />

Wir drängten immer noch auf Klärung, aber Frank wiegelte ab:<br />

„Henry, ich hab‘ dir was Besseres! Ist die Wiese feucht und nass<br />

macht das Fliegen richtig Spaß!“<br />

„Sehr gut Frank! Dann machen wir das zum Motto des Tages! Es<br />

passt nämlich für heute! “<br />

So kam ein weiteres Bild in die Folien fürs Hauptbriefing.<br />

26 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>


METEOROLOGIE<br />

Ein letzter Blick aufs Satellitenbild ergab keine Auffälligkeiten.<br />

Zumindest im Westen war keine hohe Bewölkung zu sehen.<br />

Ungehinderte Einstrahlung war zu erwarten. So gingen wir<br />

zuversichtlich ins Hauptbriefing.<br />

Glückwünsche in die Schweiz<br />

Es war der 01. August 20<strong>16</strong>, der Nationalfeiertag der Schweiz. Also<br />

gratulierte Martin Trittlern den mitfliegenden Schweizern zum<br />

725 Jubiläum des Rütlischwurs. Am 01. August 1291 hatten sich<br />

die Urkantone Uri, Schwyz und Unterwalden zum „Ewigen Bund“<br />

zusammen geschlossen. Der Beginn einer beeindruckenden<br />

Erfolgsgeschichte. Die Schweizer Kameraden revanchierten sich<br />

ihrerseits mit dem Versprechen auf Freibier und dem traditionellen<br />

Feuerwerk am Abend.<br />

Dann präsentierte ich die Wetter-Einschätzung mit Frank<br />

Möbbecks Wiese-nass-Spruch als Einleitung. Die Vorhersage<br />

enthielt viel Cumulus congestus und teilweise niedrige Basen.<br />

Aber das Steigen sollte gut werden und sieben Stunden fliegbares<br />

Wetter bieten. Der mit der Höhe nach links drehende Wind<br />

deutete auf anhaltende Kaltluftzufuhr hin. Ausbreitungen waren<br />

ebenfalls denkbar, aber nur wenig hohe Bewölkung.<br />

Martin präsentierte die Aufgabe für die 18-Meter-Klasse. Es hatte<br />

sich bei einigen schon rum gesprochen, daß was Größeres<br />

anstand. Aber als die Kilometerzahl auf dem Bildschirm erschien,<br />

ging trotzdem ging ein leises Raunen durch die Reihen. Das war<br />

schon ein gehöriger Streifen. Um 10:15 Uhr gab’s noch mal ein<br />

kurzes Briefing für die Schlepp-Piloten.<br />

Um 10:30 Uhr wurden die Ersten geschleppt. Nachdem mir der<br />

Motor abgesoffen war, musste unser Nimbus ebenfalls per<br />

F-Schlepp raus. (So gelang Sören Ebser der Schnappschuss fürs<br />

Titelbild). Danach lief zunächst alles nach Plan, auch der Motor<br />

lief wieder an. Schon die ersten Bärte waren besser als gedacht.<br />

Auch die ersten beiden Teilstrecken am Rande des Schwarzwalds<br />

liefen gut. Wir kurbelten gleich zwei Mal in drei Metern.<br />

Never set a big task after a rainy day?<br />

Ab Pforzheim, im Kraichgau wurde es aber allmählich schwieriger.<br />

Die zehn Liter Niederschlag am Vortag forderten offenbar<br />

ihren Tribut. Aber auch am Rande des Odenwalds lief’s nicht wie<br />

erwartet. Die Bärte waren schwächer, blubberiger und fühlten<br />

sich nicht richtig gut an. Erschwerend kam hinzu, dass von<br />

Westen eine Abschirmung aufzog, die ich vorher nicht auf dem<br />

Radar gehabt hatte.<br />

Autsch! Das drückte nicht nur bei uns den Schnitt enorm und es<br />

war nicht klar, ob wir die Aufgabe noch erfüllen konnten. Letztlich<br />

wurde das auch vielen Piloten der anderen Klassen zum<br />

Verhängnis, die am Ende nicht mehr nach Hause kommen sollten.<br />

Zum Glück lief es von Schweinfurt bis Eichstätt wieder besser.<br />

segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 6


METEOROLOGIE<br />

Die Zusammenfassung der erwarteten Wettersituation. Die Linksdrehung des Windes mit der Höhe deutet auf Kaltluft-Zufuhr hin<br />

Etwa so ab Ulm stand sogar eine Konvergenzlinie im Donautal<br />

(siehe auch Satellitenbild), die wieder ein schnelleres Vorfliegen<br />

möglich machte. Die Alb dagegen war fast blau. Sogar auf dem<br />

Satellitenbild kann man sehen, daß der direkte Kurs genau da<br />

durchführt. Verflixte Niederschläge! Offenbar hatte auch ein Tag<br />

Sonne nicht gereicht, die Alb wieder in eine Rennstrecke zu<br />

verwandeln. Wer nicht nach Süden ausgewichen war, musste<br />

noch mal kämpfen.<br />

Immerhin, es kamen am Ende noch etwa die Hälfte aller Starter<br />

in die Zeitwertung. In der Standardklasse schafften es allerdings<br />

nur vier Piloten über die volle 500-Kilometer-Distanz. Sie hatten<br />

in der Start-Aufstellung hinten gestanden, waren entsprechend<br />

spät abgeflogen und hatten am meisten mit den schwierigen<br />

Teilstücken zu kämpfen.<br />

Das hat ein Nachspiel<br />

Ich befürchtete, wir als Wettbewerbsleitung würden uns so<br />

einiges anhören müssen. Aber das Feedback war überwiegend<br />

Schon wieder ein Haufen Piloten: Frank Möbbeck (in gelber Weste) brieft seine Schlepp-Piloten<br />

28 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>


METEOROLOGIE<br />

Die Aufgabe der Offenen Klasse und 18-Meter-Klasse, 650 Kilometer<br />

48. KLIPPENECK-<strong>SEG</strong>ELFLUG-WETTBEWERB<br />

29.7. - 6.8.20<strong>16</strong> Arbeitsgemeinschaft der Fliegergruppen auf dem Klippeneck e. V.<br />

Das Satellitenbild am 01.08.<strong>16</strong>; <strong>16</strong>:07 Uhr lokal. Deutlich zu sehen ist die Abschirmung, die die nördlichen Schenkel<br />

abschattet. Nördlich und südlich des Donautals hat sich eine Konvergenzlinie aufgebaut<br />

positiv. „Endlich mal ne richtig knackige Aufgabe“, hieß es. Sogar<br />

einer der Piloten, die nicht nach Hause gekommen waren, war<br />

überglücklich. Er hatte sein erstes 500er geflogen!<br />

Eine Überraschung gab’s dann aber doch noch: Wir bekamen<br />

Besuch von Thomas Holder. Er hatte 14 Jahre lang den Klippeneck-Wettbewerb<br />

geleitet und klärte uns auf: „Habt ihr gewusst,<br />

was ihr da für eine Aufgabe gestellt habt? Ihr habt‘ die größte je<br />

am Klippeneck geflogene Strecke ausgeschrieben! Sehr gut,<br />

Jungs! Das heißt aber auch: Freibier für alle!“ Na schön! Da gab’s<br />

nichts mehr zu diskutieren. Es gibt frisches Kellerbräu der<br />

Ein-Mann-Brauerei Bulzinger! Natürlich auf unsere Kosten. t<br />

Größte ausgeschriebene<br />

Strecke am<br />

Klippeneck<br />

654 km<br />

Martin Trittler<br />

Henry Blum<br />

Freibier<br />

für alle!<br />

segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 29


ENTWICKLUNG<br />

LS8 mit „neo“ Winglets<br />

Möglichkeiten für aerodynamische Verbesserungen<br />

Neue Winglets bei DG<br />

Text: Jelmer Wassenaar<br />

Fotos: Tom Schubert, Helge Kennel<br />

30 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>


ENTWICKLUNG<br />

Seit Ende der Neunzigerjahre sind die Fortschritte in der Aerodynamik für Segelflugzeuge immer<br />

bedeutungsloser geworden. Gleichzeitig hat aber der Zulassungsaufwand zugenommen, unter anderem<br />

durch komplexere Bauvorschriften für Segelflugzeuge und Motorsegler seit Gründung der Europäischen<br />

Luftfahrtbehörde EASA. Diese Entwicklungen bedeuten, dass die komplette Neuentwicklung eines<br />

Segelflugzeuges immer teurer geworden ist und dass das Preis-Leistungs-Verhältnis für den Segelflieger<br />

unter dem Strich nachlässt. Aus diesem Grund hat man bei DG Flugzeugbau versucht,<br />

Nachrüstungsmaßnahmen zu finden, welche zu bedeutenden Leistungsverbesserungen führen, gleichzeitig<br />

aber vom Zulassungsaufwand vertretbar sind.<br />

segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 31


ENTWICKLUNG<br />

Beispiele solcher Entwicklungen sind<br />

das kleine Spornrad für LS7 und LS8<br />

und die Neuentwicklung von Winglets.<br />

Die neue Winglet-Reihe trägt<br />

den Name n„neo“ und ist für die DG-1000<br />

in der 18-m-Ausführung, für die LS6 und<br />

LS8 in 15m sowie für die LS1-f gedacht.<br />

Dieser Bericht beleuchtet die komplette<br />

Neuentwicklung der Winglets anhand des<br />

Beispiels LS8. Bei der LS8 stammt vieles der<br />

Aerodynamik bekanntlich von der LS6,<br />

welche schon Anfang der Achtzigerjahre<br />

ausgelegt wurde. Obwohl die Optimierung<br />

der Winglets für die LS8 gemacht wurde,<br />

sind auch die Wölbklappenstellungen der<br />

LS6 durchgerechnet worden und das gleiche<br />

Winglet passt somit auf beide Muster.<br />

Aufbau Netzwerk, Namen, Aufgaben<br />

Nachdem Robert Schröder sich für die WM<br />

20<strong>16</strong> in Litauen qualifiziert hatte, kam er zu<br />

DG, um über mögliche Verbesserungen der<br />

Gleitleistung seiner LS8 zu sprechen. Es<br />

wurde darauf entschieden, die LS-typischen<br />

Wolfsohren durch klassische Winglets in<br />

neuen Stil zu ersetzten. Um die Aerodynamik<br />

der Winglets gezielt unter die Lupe<br />

zu nehmen, war es wichtig, den gewünschten<br />

Arbeitsbereich der Winglets genau zu<br />

definieren. Robert hat dazu mehrere Wettbewerbsflüge<br />

analysiert und daraus die<br />

Randbedingungen für die Winglets festgelegt.<br />

Für die aerodynamische Auslegung der<br />

neuen Reihe von DG-Winglets war Johannes<br />

Dillinger verantwortlich. Johannes hat als<br />

ehemaliger Student von Loek Boermans<br />

variiert werden, wie Sehnenlänge, Einstellwinkel,<br />

Pfeilung und Gesamthöhe.<br />

Wie können bei dieser Vielzahl an Möglichkeiten<br />

eine Auslegung und die aerodynamische<br />

Bewertung eines Entwurfs<br />

gelingen? Dazu muss die Wirkungsweise<br />

eines Winglets verstanden werden. Ein Teil<br />

des Gesamtwiderstands ist auftriebsinduziert.<br />

Dieser induzierter Widerstand liefert<br />

im Langsamflug ungefähr die Hälfte des<br />

Gesamtwiderstandes und im Schnellflug<br />

nur ca. 10%. Er wird maßgeblich durch die<br />

Auftriebsverteilung in Spannweitenrichtung<br />

beeinflusst. Die optimale Auftriebsverteilung<br />

für einen flachen Flügel hat eine<br />

elliptische Form. Der sogenannte k-Faktor<br />

ist ein Maß für die Qualität der Auftriebsverteilung,<br />

für eine elliptische Verteilung<br />

entspricht k = 1. Mit Winglets kann ein<br />

Wert kleiner 1 erreicht werden, sie wirken<br />

wie eine Spannweitenvergrößerung. Die<br />

Auslegung hat das Ziel, ein Winglet zu<br />

finden, dass eine optimale Auftriebsverteilung<br />

des Flügels realisiert und somit den<br />

induzierten Widerstand minimiert. Wegen<br />

der zusätzlich angeströmten Wingletfläche<br />

erhöht sich die umspülte Oberfläche<br />

und dadurch der reibungsinduzierte<br />

Widerstand. Es ergibt sich ein „cross-over“-<br />

Punkt, ab dem die Reduzierung des induzierten<br />

Widerstands den zusätzlichen<br />

reibungsinduzierten Widerstand übersteigt.<br />

Für den Auslegungsprozess müssen auf<br />

der einen Seite die zweidimensionalen<br />

Profile entworfen werden und auf der<br />

anderen Seite der dreidimensionale Wingden<br />

aerodynamischen sowie strukturellen<br />

Entwurf der Concordia gemacht. Bei der<br />

LS8 wurde Johannes beim Profilentwurf<br />

von Benjamin Rodax unterstützt.<br />

Das Flattergutachten der neuen Winglet-<br />

Reihe wurde von Dr. Fritz Kießling übernommen.<br />

Dr. Kießling ist bekannt durch<br />

seine langjährige Arbeit in diesem Fachgebiet<br />

am DLR Göttingen und arbeitet,<br />

seitdem er im Ruhestand ist, als Freiberufler<br />

für die Firma Leichtwerk.<br />

Seit Januar 2014 besitzt DG eine 3-Achs-<br />

Portalfräse. Damit können Urmodelle und<br />

Prototypenformen bis zu einer Länge von<br />

fast drei Metern gefräst werden. Hauptvorteil<br />

von einer Fräse in eigenem Haus ist<br />

natürlich die Möglichkeit, schnell und<br />

flexibel arbeiten zu können.<br />

Aerodynamische Auslegung/Optimierung<br />

Für eine korrekte aerodynamische Auslegung<br />

wurden zunächst Randbedingungen<br />

festgelegt. Dazu gehört neben der nicht<br />

veränderbaren geometrischen Form des<br />

Flügels der gewünschte Einsatzbereich. Die<br />

Abflugmasse liegt realistisch in einem<br />

Bereich von 335 kg bis 525 kg, was einer<br />

Flächenbelastung von ca. 32 bis 50 kg/m 2<br />

entspricht. Als obere Grenze für einen effizienten<br />

Vorflug zwischen dem Thermikkreisen<br />

wurde aus den Analysen von Robert<br />

200 km/h definiert. Der sich daraus ergebende<br />

Gesamtauftriebsbeiwert liegt<br />

zwischen 0,275 für Schnellflug und 1,3 für<br />

Langsamflug und legt den Arbeitsbereich<br />

des Winglets fest. Bei der Auslegung<br />

können neben den Profilen viele Parameter<br />

Grafik 1: 3D-Druckverteilung am Winglet. Links für Ca = 0,275 (Schnellflug); Rechts für Ca = 1,3 (Langsamflug)<br />

32 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>


ENTWICKLUNG<br />

Grafik 2: k-Faktor für Wolfsohren und Winglet sowie Munk-Optimum<br />

let-Grundriss optimiert werden. Für den<br />

Profilentwurf wurde auf das open-source-<br />

Tool „XFOIL“ zurückgegriffen, welches ein<br />

interaktives Programm für den Profilentwurf<br />

im Unterschallbereich bereitstellt.<br />

Neben der Analyse der Strömung um<br />

Flügelprofile ist ein inverser Designprozess<br />

möglich. Dabei wird aus einer vorgegebenen<br />

gewünschten Druckverteilung die<br />

geometrische Form berechnet. Für die<br />

Analyse der dreidimensionalen Strömung<br />

wird auf ein 3D-Panelverfahren zurückgegriffen.<br />

Damit können reibungsfreie (theoretische)<br />

stationäre Druckverteilungen<br />

berechnet werden (Grafik 1).<br />

Aufgrund der starken gegenseitigen Beeinflussung<br />

von Profilform und Winglet-Grundriss<br />

auf die dreidimensionale<br />

Druckverteilung ist ein paralleler Designprozess<br />

nötig. Die Druckverteilung ist<br />

maßgeblich für die aerodynamischen<br />

Eigenschaften wie Umschlags- und Ablösepunkt,<br />

Widerstands-und Auftriebsbeiwert<br />

verantwortlich. Allein für die LS8<br />

wurden 17 verschiedene Hauptkombinationen<br />

von Grundriss, Profilen und Verdrehung<br />

im Detail untersucht. Nur durch<br />

diesen Aufwand konnte eine optimale<br />

Auslegung gefunden werden.<br />

Grafik 3: Geschwindigkeitspolare und Leistungsvergleich zwischen Wolfsohren<br />

und Winglet für Abflugmasse 525 kg<br />

LS8: Gerechnete Flugleistung und<br />

Vergleich zu den Wolfsohren<br />

Für einen Vergleich und zur Bewertung des<br />

Entwurfs wurden die original „Wolfsohren“<br />

mit demselben Vorgehen berechnet. Der<br />

k-Faktor als Maß für die Güte der Auftriebsverteilung<br />

konnte deutlich verbessert<br />

werden. Der Faktor befindet sich dicht am<br />

theoretischen Optimum nach Munk<br />

(Grafik 2).<br />

Die Auswirkungen auf die Geschwindigkeitspolaren<br />

sind in der Grafik 3 für die<br />

maximale Abflugmasse gezeigt. Im<br />

gesamten Auslegungsbereich bis 200<br />

km/h kann eine Verringerung der Sinkge-<br />

Alles was Sie brauchen !<br />

Vor, während und nach dem Flug.<br />

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segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 33


ENTWICKLUNG<br />

LS6 mit „neo“ Winglets fotografiert aus der LS4 mit Wolfsohren<br />

34 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>


ENTWICKLUNG<br />

schwindigkeit erreicht werden. Dies<br />

bedeutet eine Verbesserung der Gleitzahl<br />

von bis zu 0,6 Punkten.<br />

Flugerprobung, sekundäre Effekte<br />

DG-1000 & LS8<br />

Im Rahmen der Zulassung müssen die<br />

Flugzeuge mit Winglets zum Teil neu<br />

erprobt werden, wobei die Grenzen des<br />

zugelassenen Flugbereichs abgetastet<br />

werden müssen. So muss nachgewiesen<br />

werden, dass kein kritisches und unkontrollierbares<br />

Verhalten auftreten kann bei<br />

Flugmanövern wie Überziehen, Trudeln<br />

und im Schnellflug. Dabei werden die<br />

Grenzen bewusst überschritten: Es wird z. B.<br />

mit einer Schwerpunktlage 10 mm hinter<br />

dem zugelassenen Berich getrudelt. Bei der<br />

Schnellflugerprobung muss 10% über die<br />

erlaubte V NE<br />

geflogen werden, um zu<br />

zeigen, dass im gesamten Geschwindigkeitsbereich<br />

kein Flattern auftritt. Dadurch<br />

ist das Erproben ist eine spannende Tätigkeit<br />

und es können immer Überraschungen<br />

auftreten, welche man bei der Auslegung<br />

nicht vorhersehen konnte.<br />

So ließ sich bei der DG-1000 definitiv feststellen,<br />

dass der Flieger durch die 18m-<br />

Winglets gutmütiger geworden ist. Die<br />

DG-1000 hat durch den serienmäßigen<br />

Einbau des Trimmballastkastens einen<br />

sehr großen Schwerpunktbereich im<br />

Vergleich zu anderen Doppelsitzern. Im<br />

vorderen Schwerpunktbereich kann man<br />

sogar im überzogenen Zustand noch mit<br />

den Querruder steuern, ohne dass der<br />

Flieger abkippt, im hinteren Bereich<br />

dagegen ist stationäres Trudeln noch<br />

möglich, so dass die für die Schulung wichtigen<br />

Flugeigenschaften beibehalten oder<br />

sogar verbessert werden konnten.<br />

Bei der Flugerprobung für die LS6 und LS8<br />

ist als wichtigster sekundärer Effekt die<br />

Zunahme der Rollgeschwindigkeit aufgefallen.<br />

Die LS-typischen gutmütigen Flugeigenschaften<br />

sind beibehalten worden.<br />

fliegen, um zum Schluss den Höhenunterschied<br />

zu messen.<br />

Vergangenen August wurde die LS8<br />

vermessen, sowohl mit den bisherigen<br />

Wolfsohren als auch mit den neuen Winglets.<br />

Die vorläufigen Ergebnisse haben<br />

gezeigt, dass die „neo“-Winglets deutlich<br />

besser abschneiden und sogar die theoretischen<br />

Berechnungen leicht übertreffen.<br />

Ausblick, Zulassung, LS1-f<br />

Die Entwicklung der DG-1000-„neo“ -Winglets<br />

ist im Rahmen des neuen DG-Entwicklungsbetriebs<br />

(EASA 21J.530) gemacht<br />

worden, die Winglets sind bereits von der<br />

EASA zugelassen. Die Zulassung der LS6-<br />

und LS8-Winglets ist in den letzten Zügen.<br />

Als nächstes Projekt sind gerade die<br />

„neo“-Winglets für die LS1-f in Arbeit. Zum<br />

Zeitpunkt des Schreibens ist die aerodynamische<br />

Auslegung abgeschlossen und das<br />

3D-CAD-Modell wird erstellt. Die ersten<br />

LS1-f sollen Ende dieses Jahres schon umgerüstet<br />

werden.<br />

Mit den drei Projekten ist die Prozesskette<br />

der Winglet-Entwicklung im DG-Entwicklungsnetzwerk<br />

gut definiert und es wäre<br />

somit nicht ausgeschlossen, dass in naher<br />

Zukunft noch weitere Segelflugzeugmustern<br />

nachgerüstet werden können. t<br />

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Leistungsvermessung LS8 (IDAFLIEG)<br />

In August jedes Jahres halten die deutschen<br />

akademischen Fliegergruppen,<br />

vereint in der IDAFLIEG, ihr dreiwöchiges<br />

Sommertreffen in Aalen ab. Hier werden<br />

unter anderem Leistungsmessungen von<br />

Segelflugzeugen durchgeführt. Bei so einer<br />

Leistungsmessung werden in ruhiger Luft<br />

Vergleichsflüge mit einem kalibrierten<br />

Flugzeug gemacht. So wird versucht, für<br />

jeden Punkt auf der Polare mindestens<br />

einen Abschnitt von zwei Minuten zu<br />

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segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 35


PILOT´S REPORT<br />

Flugbild der LS8 neo<br />

während der Flugerprobung<br />

LS8 neo<br />

Grand-Prix-<br />

Training mit den<br />

neuen Winglets<br />

Text: Robert Schröder<br />

Fotos: Robert Schröder, DG-Flugzeugbau<br />

Eigentlich sind es ja<br />

nicht nur neue Winglets.<br />

Es sind eher schon neue<br />

Außenflügel, die Johannes<br />

Dillinger zusammen mit<br />

Benjamin Rodax für die<br />

LS8 (und damit auch<br />

für die LS6) entwickelt hat.<br />

Für alle, denen der Name Johannes<br />

Dillinger nichts sagt: Er war für die<br />

aerodynamische Auslegung der<br />

Concordia mit verantwortlich und<br />

hat darüber hinaus etliche Wingletprojekte<br />

realisiert (unter anderem ASG 32, DG<br />

1000-18-m, RedBull Racer MXS usw.).<br />

Kurzum: eine absolute Kapazität auf<br />

diesem Gebiet.<br />

Die „Wolf-Ohren“ der LS8 waren, gemessen<br />

am damaligen Wissensstand über Winglets,<br />

toll gemacht. Aber die Entwicklung<br />

ging weiter und mittlerweile ist das Potenzial<br />

einer Leistungsverbesserung so groß<br />

gewesen, dass sich die Neugestaltung der<br />

Flügelenden geradezu aufdrängte. DG<br />

Flugzeugbau hat das Projekt im letzten<br />

Winter begonnen, die Flugerprobung<br />

erfolgte im März und bis Mitte des Jahres<br />

wurde die Musterzulassung erwartet<br />

Test im Trainingslager<br />

Ich hatte das Glück, schon Ende letzten<br />

Jahres davon zu erfahren und sagte einem<br />

Test sofort zu. Leider war dann das Frühlingswetter<br />

bei uns eher auf der bescheidenen<br />

Seite und ich musste bis Anfang Mai<br />

warten, bis ich im Rahmen des Trainings-<br />

Grand-Prix in Homberg/Ohm die neuen<br />

Außenflügel das erste Mal testen konnte.<br />

Mit einigem Abstand das beste Trainingslager,<br />

das ich je mitgemacht habe!<br />

Richtige Vergleichsflüge haben wir dabei<br />

nicht durchgeführt. Es ging in erster Linie<br />

darum, sich im Rahmen eines Grand Prix<br />

für die Weltmeisterschaft einzufliegen.<br />

Erfahrungsaustausch, Abstimmung von<br />

Instrumenten und das Ausprobieren<br />

verschiedener Schwerpunktlagen war mein<br />

36 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>


PILOT´S REPORT<br />

Programm. Aber auch dabei wurden die<br />

Stärken der neuen Außenflügel deutlich.<br />

Optimierte Querruderwirksamkeit<br />

Was sofort auffällt, ist die bessere Querruderwirksamkeit<br />

beim Anrollen. Schon bei<br />

geringster Geschwindigkeit kann man die<br />

Querneigung gut kontrollieren, deutlich<br />

früher, als ich es sonst gewohnt war.<br />

Gerade in Situationen, bei denen ich schon<br />

damit rechnete, den Flügel nochmal abzulegen,<br />

war ich überrascht, wie problemlos<br />

ich es verhindern konnte. Insbesondere bei<br />

Seitenwind oder versehentlich frühem<br />

Loslassen des Flügels beim F-Schlepp ein<br />

echter Gewinn.<br />

Das Gleiche bei der Landung: Letztes Jahr<br />

fiel mir in der letzten Phase des Ausrollens<br />

immer wieder der Flügel zu Boden. Da ich<br />

kein Fan der großen Schleifklötze an den<br />

Flügelenden bin, waren verkratzte Querruderendleisten<br />

die Folge, fast schon ein<br />

Markenzeichen meiner LS8. Das ist jetzt<br />

vorbei. Kein Wunder, dass sich damit auch<br />

die Querruderwirksamkeit im Flug verbessert<br />

hat. Dieser Effekt geht so weit, dass<br />

man im Kreisflug den Knüppel bis zum<br />

Anschlag zurückziehen kann und die Querlage<br />

im Sackflug immer noch mit den<br />

Querrudern kontrollierbar ist.<br />

Eine Überraschung<br />

Ich hatte fest damit gerechnet, die LS8<br />

beim Kreisen zukünftig etwas genauer<br />

fliegen zu müssen, aber ganz entgegen<br />

meiner Erwartungen sind die neuen Winglets<br />

erstaunlich schiebeunempfindlich.<br />

Zwar wurde darauf bei der Profilauslegung<br />

besonderen Wert gelegt, doch bei einer<br />

segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 37


PILOT´S REPORT<br />

Profildicke von weniger als 10% hatte ich<br />

meine Zweifel.<br />

„Thermikfühligkeit“<br />

Eine ganz wesentliche Frage war für mich<br />

auch, ob sich die viel gerühmte „Thermikfühligkeit“<br />

der LS8 verändert hat. „Thermikfühligkeit“,<br />

ein Begriff, mit dem ich<br />

jahrzehntelang nichts anfangen konnte –<br />

bis ich das erste Mal LS8 flog. Für alle, die<br />

nicht genau wissen, wovon ich spreche – es<br />

ist die unvergleichliche Art und Weise, wie<br />

einem die LS8 mitteilt, wo und auf welcher<br />

Seite der Aufwind ist. Hier gibt es Entwar-<br />

Direkter Vergleich von neuem und<br />

altem Außenflügel bei dem der<br />

Unterschied am deutlichsten<br />

zu sehen ist: Statt hochgezogener<br />

Flügelenden wurde der Flügel verlängert<br />

und geht in ein modernes<br />

Winglet über<br />

nung auf ganzer Linie: Das Feeling hat sich<br />

nicht geändert.<br />

Bei einem Fluggewicht von 450 kg (das war<br />

das Limit bei der letzten DM und auch jetzt<br />

im Trainings-Grand-Prix) hatte der Discus<br />

2a ab etwa <strong>16</strong>0 km/h leichte Vorteile.<br />

Meiner Erfahrung nach konnte er im<br />

Bereich zwischen 180 und 200 km/h, bei<br />

gleicher Gleitzahl, etwa 10 km/h schneller<br />

fliegen. Soweit ich beurteilen kann (ich bin<br />

nur einmal bei einem schnellen Endanflug<br />

45 Kilometer direkt die Spur eines Discus 2a<br />

nachgeflogen) gibt es diesen Unterschied<br />

jetzt nicht mehr. Ohne den direkten<br />

Vergleich merkt man allerdings nichts.<br />

Einen Gleitzahlpunkt mehr kann man nicht<br />

spüren. Den wirklichen Leistungsgewinn<br />

wird man sowieso nur vermessen können.<br />

Fazit<br />

Ich muss zugeben, dass ich die neuen<br />

Winglets anfangs mit anderen Erwar-<br />

tungen geflogen bin. Angesichts des<br />

schmalen Profils und der kleineren Oberfläche<br />

dachte ich, man würde die deutlichsten<br />

Veränderungen im Geradeausflug<br />

bemerken. Aber wir sprechen von neuen<br />

Außenflügeln mit Winglets und damit vom<br />

induzierten Widerstand. Und der spielt<br />

nun mal im Langsamflug die erste Geige.<br />

Gerade bei großen Anstellwinkeln ist<br />

deshalb der Leistungsgewinn am Deutlichsten<br />

zu spüren. Hier sehe ich das große<br />

Plus: Man wird die LS8 mit den neuen<br />

Winglets gerade bei schwächeren Bedingungen<br />

mit deutlich mehr Wasserballast<br />

fliegen können.<br />

Aber auch ohne Wasserballast, in schwächstem<br />

Steigen, werden sich die neuen Winglets<br />

bemerkbar machen. Eine durchschnittliche<br />

LS8 bringt locker 15 bis 20 kg mehr<br />

Leergewicht auf die Waage als manche<br />

Konkurrenzmodelle. Ich persönlich sehe<br />

zwar darin eher den Vorteil, nicht soviel<br />

Die Reduzierung der „umspülten“ Oberfläche ist<br />

in diesem Vergleich deutlich zu sehen<br />

38 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>


PILOT´S REPORT<br />

Die neuen Winglets, vom Cockpit aus<br />

gesehen<br />

Wasser tanken zu müssen; geht es aber<br />

manchmal in 0,1 oder 0,2 m/s ums „Überleben“,<br />

merkt man es.<br />

Die neuen Winglets sind eigentlich für<br />

hohe Flächenbelastungen, sprich den<br />

Wettbewerbseinsatz, ausgelegt. Als Nebeneffekt<br />

verbessert sich aber dadurch auch<br />

das Handling im gesamten Langsamflugbereich.<br />

Gerade bei Start und Landung ist<br />

der Unterschied am Deutlichsten. Für mich<br />

etwas überraschend, aber eigentlich logisch.<br />

Daher sind die neuen Außenflügel nicht<br />

nur für Wettbewerbspiloten interessant,<br />

sondern für alle, die im Langsamflugbereich<br />

gerne etwas mehr Reserven hätten.<br />

Die Winglets lassen sich an allen LS8 nachrüsten.<br />

Nachtrag<br />

Mittlerweile ist die Saison 20<strong>16</strong> vorbei und<br />

die ersten Erfahrungen mit den neuen<br />

Winglets haben sich in den Wettbewerben<br />

bestätigt: Simon Schröder wurde Erster in<br />

Bayreuth, Kilian Biechele Zweiter bei der<br />

Deutschen Juniorenmeisterschaft und ich<br />

wurde, nach zwei total versemmelten<br />

Wertungstagen, Fünfter bei der Weltmeisterschaft<br />

in Litauen.<br />

Es ist jetzt, nach Offener und 18-m-Klasse,<br />

auch in der Standardklasse so, dass<br />

morgens im Wettbewerb einfach bis zum<br />

Maximalgewicht vollgetankt wird. Unabhängig<br />

vom Wetter. Das macht die<br />

morgendliche Wasserentscheidung deutlich<br />

einfacher. Die Flugeigenschaften und<br />

die Gutmütigkeit der LS8 ändern sich dabei<br />

kaum. Es muss lediglich etwas schneller<br />

(etwa 110 km/h) gekreist werden.<br />

Es ist natürlich nicht jedermanns Sache,<br />

auch an Wochenenden morgens vollzutanken<br />

und bei Flügen, die schon in der<br />

Morgenthermik beginnen, auch nicht<br />

immer sinnvoll. Aber letztendlich gibt es<br />

halt nur zwei Möglichkeiten, die Leistung<br />

bei Segelflugzeugen gravierend zu verbessern:<br />

Spannweite oder Gewicht. Ablassen<br />

ist nur noch sinnvoll, wenn das Steigen<br />

deutlich und dauerhaft unter 1,5 m/s geht.<br />

Wie man auch bei anderen Wettbewerben<br />

gesehen hat, ist dadurch auch der letzte<br />

Vorteil der Wölbklappen, sprich der 15-m-<br />

Rennklasse, verlorengegangen. Einen<br />

Grund, die beiden Klassen weiterhin zu<br />

trennen, gibt es aus meiner Sicht daher<br />

nicht mehr. t<br />

Die LS8 geht als LS8-sc neo wieder in Produktion<br />

DG Flugzeugbau hat sich aufgrund gestiegener Nachfrage dazu entschlossen, ein Los<br />

der LS8 in ihrer neuesten Variante zu produzieren. Die LS8 erhält in der „neo“-Version<br />

alle Updates, die das Muster bei DG Flugzeugbau in den vergangenen Jahren erhalten<br />

hat. Dazu zählen neben den neuen, in Kooperation mit Johannes Dillinger entwickelten<br />

Winglets auch das kleine Spornrad mit 150mm Durchmesser und die Mandl-<br />

Absaugung. Neben den leistungssteigernden Ausstattungsmerkmalen wurde auch<br />

viel Arbeit in die Komfortausstattung gesteckt. So besitzt die LS8-sc neo unter anderem<br />

das bereits bekannte 5-Zoll-Fahrwerk, das Sicherheitscockpit der LS-10 und einen<br />

vergrößerten Instrumentenpilz, um bequem Systeme bis hin zum LX9000 und LX9070<br />

darin unterzubringen. Abgerundet wird die Ausstattung durch eine Turbo-Vorbereitung,<br />

die es dem Kunden ermöglicht, jederzeit eine Heimkehrhilfe nachzurüsten. Die<br />

nächsten freien Lieferpositionen sind im September 2017 verfügbar. (Stefan Göldner)<br />

Übrigens: Nicht nur für den motorlosen Flug entwickelt DG Winglets. Mit anderen<br />

Randbedingungen, jedoch derselben Prozesskette wurden „neo“-Winglets für die<br />

beiden Red-Bull-Air-Race-Piloten Matthias Dolderer und Matt Hall entwickelt und<br />

gebaut. Noch vor dem letzten Rennen dieser Saison stehen die beiden Piloten als Weltmeister<br />

und Vize-Weltmeister fest, auch, so DG, dank der neuen Winglets.<br />

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segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 39


SICHERHEIT<br />

Mensch und Flugzeug:<br />

Weniger ist mehr<br />

Von Markus Lewandowski<br />

Fotos: Simon Rainer, Mountain Soaring, Escape Town, G. Dale<br />

Flugzeuge zu fliegen macht<br />

Spaß und erfordert<br />

grundlegende motorische<br />

Fertigkeiten, die großteils<br />

automatisch-subversiv ablaufen.<br />

Das Wichtigste dabei ist, in der<br />

Ausbildung ein richtiges und<br />

effizientes Handling von<br />

Flugzeugen und Situationen im<br />

Flugbetrieb zu lernen und sich<br />

danach keine Schlampigkeiten,<br />

Fehler und Ticks anzugewöhnen.<br />

Wie schaut es da bei Ihnen aus?<br />

Wenn Sie nicht richtig funktionieren,<br />

funktioniert auch ihr<br />

Flugzeug nicht! Es sollte<br />

selbstverständlich sein, dass<br />

sie hier ganz verantwortungsbewusst und<br />

selbstkritisch reagieren und lieber mal<br />

nicht fliegen gehen.<br />

Konzentration und körperliche Fitness<br />

Müdigkeit, Kopfweh, schwacher Kreislauf<br />

oder auch momentane psychische Beeinträchtigungen<br />

wie Stress und zwischenmenschliche<br />

Probleme sind immer sehr<br />

sehr ernst zu nehmen. Es ist eine der wichtigsten<br />

Entscheidungen eines Piloten, die<br />

momentane Fluguntauglichkeit zu erkennen,<br />

diese zu akzeptieren und einmal<br />

„Nein“ zu sagen. Vielleicht gibt es in solchen<br />

Situationen die Möglichkeit, auf einen<br />

Doppelsitzer mit einem fitten Piloten aus-<br />

zuweichen. Bei bestem Segelflugwetter sind<br />

wir oft Getriebene und handeln erfahrungsgemäß<br />

recht unvernünftig und irrational.<br />

Ein ganz großes Thema ist das menschliche<br />

Leistungsvermögen in extremen<br />

Fluggebieten mit großer Trockenheit und<br />

hohen Temperaturen, so auch der Hochsommer<br />

in den europäischen Breiten. Die<br />

Leistungsfähigkeit ist durch das Dehydrieren<br />

stark beeinflusst und kann teilweise<br />

sogar Auswirkungen wie beim<br />

Fliegen in großer Höhe ohne Sauerstoff<br />

haben – Sie merken Ihre Fehler einfach<br />

nicht. Also vergessen Sie nicht die Grundbedürfnisse<br />

wie Trinken, Essen, Schlafen<br />

und die Luft zum Atmen.<br />

Bodenhandling<br />

Es passieren erfahrungsgemäß mehr<br />

Schäden an Flugzeugen durch unsachge-<br />

40 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>


SICHERHEIT<br />

Aufrüsten: Stress ist hier fehl am Platz.<br />

Die Vorflugkontrolle geschieht dann<br />

am besten im Team<br />

Der Notausstieg mit dem Fallschirm:<br />

Die wichtigen Handgriffe immer<br />

wieder mental durchdenken<br />

Fliegen mit Sauerstoff: Körperliche<br />

Grundbedürfnisse beim Fliegen sind<br />

ein großer Schritt zu mehr Sicherheit<br />

mäßes Handling am Boden und im Hangar<br />

als beim Fliegen selbst. Ganz einfach:<br />

Reduzieren wir Bewegungen am Boden<br />

von Flugzeugen, Fahrzeugen und Gegenständen<br />

auf ein notwendiges Minimum,<br />

minimiert sich logischerweise die Wahrscheinlichkeit,<br />

dass Fehler und somit<br />

Schäden und Unfälle passieren. Der Grundsatz<br />

gilt wieder: Tun wir nur das Notwendigste,<br />

aber das dafür wohl überlegt und<br />

hoffentlich richtig.<br />

Fehler werden passieren. Dieser Tatsache<br />

muss man sich einfach stellen. Auch hier<br />

lassen sich standardisierte Abläufe definieren,<br />

doch wenn wir realistisch sind, wird<br />

das auf einem normalen Segelflugplatz<br />

mit so vielen Individuen und unterschiedlichen<br />

Ideen nicht wirklich funktionieren.<br />

Die beste Methode ist hier umsichtiges,<br />

ruhiges und situationsgerechtes Verhalten<br />

von möglichst jedem Beteiligtem.<br />

Flugvorbereitung und Checks<br />

Die Überprüfung von Abläufen im Flugbetrieb<br />

ist ein wesentlicher Grundstein in der<br />

Flugsicherheit. Checklisten sind hier eine<br />

grundlegende Methode, um standardisierte<br />

Abläufe zu verinnerlichen und in<br />

weiterer Folge mit einer überprüfenden<br />

Handlung („Cross Check“) zu verifizieren.<br />

Hinterfragen Sie die einzelnen Punkte jeder<br />

Checkliste auf Sinnhaftigkeit und ob sie für<br />

Sie Sinn macht – vor allem im Einsitzer gibt<br />

es keine zweite Person für einen Cross<br />

Check. Verwenden Sie Checklisten nach<br />

Möglichkeit immer mit einer zweiten<br />

Person. Egal was sie tun – ob Lustflug,<br />

Schulflug oder Streckenflug, stellen Sie sich<br />

immer die Frage: „Habe ich wirklich alles<br />

zur sicheren Durchführung des Fluges<br />

berücksichtigt?“ Dann gehen Sie 10<br />

Sekunden in sich und denken einfach noch<br />

mal gründlich nach.<br />

In der Berufsfliegerei gibt es zum Beispiel<br />

den Begriff der sogenannten SOPs (Standard<br />

Operating Procedures). Das ist eine<br />

wesentliche Methode zur Schaffung von<br />

Sicherheit durch Abläufe mit standardisierten<br />

Wortlauten und gegenseitiger<br />

Überprüfung im Zweimanncockpit. Dank<br />

der Tatsache, dass der Mensch ein Gewohnheitstier<br />

ist, fallen Abläufe auf, wenn sie<br />

von routinierten Standards abweichen –<br />

die Alarmglocken läuten.<br />

Ein Beispiel für den Segelflug sind standardisierte<br />

Abläufe, die jeder gleich gelernt<br />

und verinnerlicht hat, wie etwa der<br />

Windenstart mit seinen Abläufen definiert<br />

durch die Segelflugbetriebsordnung. Das<br />

ist auf viele andere Bereiche in der Fliegerei<br />

anwendbar. Grundsätzlich gilt: Je mehr<br />

Personen einen Ablauf in der selben Art<br />

und Weise kennen, desto mehr fallen<br />

Abweichungen und daher womöglich Fehler<br />

auf. Übrigens: Eine der besten Checklisten<br />

sind Ihre zehn Finger, wenn Sie dazu sinnvolle<br />

Abläufe und Handlungen definieren.<br />

Noch besser ist es, wenn ihre Fliegerkollegen<br />

es Ihnen gleich machen.<br />

Das Steuern des Flugzeugs<br />

Einer der wichtigsten Punkte in sauberem<br />

Flugzeughandling ist die ruhige, aber<br />

bestimmte Führung der Steuerelemente<br />

wie Querruder, Höhenruder, Seitenruder<br />

und Wölbklappen. Segelfliegen ist ein<br />

Flugsport, bei dem die Flugleistungen auch<br />

ganz besonders von den richtig dosierten<br />

Steuereingaben abhängen. Eine direkte<br />

Folge daraus ist die Platzierung des Flugzeugs<br />

im Aufwind oder entlang von Energielinien.<br />

Die Summe aller reduzierten<br />

Steuereingaben, die überflüssig sind, und<br />

die Maximierung optimaler und präziser<br />

Positionierungen des Segelflugzeugs während<br />

eines Fluges ist direkt in mehr Höhe<br />

und daher mehr Strecke umzulegen.<br />

Das Gleiche gilt auch für den Segelkunstflug:<br />

Je präziser, koordinierter und bestimmter<br />

die Steuereingaben sind, um so mehr<br />

segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 41


SICHERHEIT<br />

Höhe und Energie bleibt für jede weitere<br />

Figur und in Summe mehr Dynamik für das<br />

gesamte Kunstflugprogramm.<br />

Verblüffend oft stellen wir bei unseren<br />

Kunden in der Segelflugschule eine unruhige<br />

Flugzeugführung fest. Mit gezielten<br />

Übungen wie richtigem Trimmen, entspannter<br />

Knüppelhaltung (bitte nicht beim<br />

Kunstflug!) und der optimierten Fadenposition<br />

ändern sich bei vielen fast schon<br />

schlagartig der Flugstil und das Gefühl für<br />

das Flugzeug im Aufwind oder in der<br />

Kunstflugbox. Wir raten deshalb immer<br />

wieder zu regelmäßigen Checkflügen mit<br />

erfahrenen und trainierten Piloten, um<br />

genau solche Fehler aufzuzeigen und<br />

auszumerzen. Es ist immer wieder erstaunlich,<br />

wie mit der „Reduzierung zum<br />

Maximum“ die Erfolgserlebnisse und der<br />

Flugspaß steigen.<br />

Eine hilfreiche Methode zur Selbstanalyse<br />

im Einsitzer ist die totale Frontaufnahme<br />

des Piloten mit einer Videokamera. Hier<br />

kann man perfekt die Steuereingaben,<br />

Mimik und Blicke des Piloten nach dem<br />

Flug analysieren. Sie werden schmunzeln<br />

und genau erkennen, was sie im nächsten<br />

Flug besser machen können.<br />

Instrumentierung<br />

Auch hier gilt ganz klar: Weniger ist mehr!<br />

Grundsätzlich sollte jeder Pilot in der Lage<br />

sein, jedes Segelflugzeug ohne Instrumente<br />

sicher fliegen zu können. Haben Sie<br />

das schon mal probiert? Wenn nicht, wird<br />

es Zeit.<br />

Schnappen Sie sich einen Doppelsitzer,<br />

einen Sicherheitspiloten und ein Stück<br />

Karton und etwas Klebeband, um Ihr<br />

Instrumentenbrett abzudecken. Den Faden<br />

dürfen Sie natürlich drauf lassen. Motivierte<br />

können aber auch ihn entfernen.<br />

Jetzt kann es los gehen. Ihr Sicherheitspilot<br />

sollte Ihnen von hinten mit seinen Instrumenten<br />

wenn notwendig eine Hilfestellung<br />

bei Start und Landung geben. Machen<br />

Sie einen ausgedehnten Segelflug mit<br />

allem, was dazu gehört. Sie werden<br />

erstaunt sein, welchen Spaß Sie haben.<br />

Diese Methode schärft ganz effektiv die<br />

intuitiven Sinne des Segelflugpiloten. Ganz<br />

besonders lernen Sie, ihren Blick und Ihre<br />

Aufmerksamkeit nach außen zu verlegen.<br />

Zu dem werden Sie das Flugzeug ganz<br />

anders wahrnehmen und nach kurzer<br />

Eingewöhnung sich auch ohne Instrumente<br />

im Aufwind zurecht finden.<br />

In Zeiten toller und vielfältiger Avionik sind<br />

wir grundsätzlich versucht, unser Cockpit<br />

Auf die Finger gesehen: Videos zeigen uns, wie wir uns im Cockpit verhalten<br />

des Piloten nach innen lenkt, wo sie eigentlich<br />

nicht hingehört. Gerade bei viel<br />

Verkehr, bei Wettbewerben und beim<br />

Fliegen in den Bergen ist das Rausschauen<br />

überlebenswichtig. Daher ist ein reduzierter<br />

und übersichtlicher Instrumentenmit<br />

viel Mäusekino zu überladen. Ganz<br />

wichtig ist hier, für jeden Bedarf das<br />

Optimum zu finden. Eine optimale Instrumentierung<br />

ist wie eine gute Sitzposition.<br />

Der Nachteil von komplexer Avionik im<br />

Sichtflug ist, dass sie die Aufmerksamkeit<br />

Instrumente: klar und übersichtlich<br />

42 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>


SICHERHEIT<br />

Fliegen ist komplex genug – sorgen<br />

Sie also für Einfachheit, wo es möglich<br />

ist, dann machen Sie weniger Fehler<br />

und haben mehr Spaß<br />

pilz besonders wichtig. Je schneller der Pilot<br />

neben dem Rausschauen Informationen<br />

bekommt, desto besser funktioniert diese<br />

Schnittstelle. Die Segelflugrechner mit<br />

großem Display zur Darstellung des<br />

Laufraums sind darüber hinaus wahre<br />

Informationsmonster und ziehen unweigerlich<br />

die Aufmerksamkeit des Piloten im<br />

Flug auf sich.<br />

Vermeiden Sie jegliche Programmierung<br />

und Einstellungen in der Luft. Das gehört<br />

zur Flugvorbereitung und ist schlichtweg<br />

gefährlich. Wer sich aber ein übersichtliches<br />

Profil erstellt, kann sogar auf analoge<br />

Instrumente verzichten, sofern sie nicht zur<br />

Mindestausrüstung gehören. Der Fahrtmesser<br />

und die Flarmanzeige als die beiden<br />

wichtigsten Instrumente gehören normalerweise<br />

ganz nach oben. Die restliche<br />

Anordnung ist sehr individuell und natürlich<br />

Geschmackssache.<br />

Wer ein Wölbklappenflugzeug fliegt, kann<br />

mittlerweile auch hier eine optisch auffällige<br />

Lösung für eine Wölbklappenanzeige<br />

auf Augenhöhe montieren. Sind wir mal<br />

gespannt, wann die ersten Head-Up-Displays<br />

für den Segelflug auf den Markt<br />

kommen. Das könnte wahrlich ein Sicherheitsgewinn<br />

werden.<br />

Mentales Training<br />

Der Begriff wurde in der Vergangenheit<br />

sehr in eine esoterische und pseudowissenschaftliche<br />

Richtung gedrängt. Dabei<br />

kommt der Begriff ursprünglich aus der<br />

Sportwissenschaft und bezeichnet lediglich<br />

die Trainingsmethode zur Optimierung<br />

sportlicher Bewegungsabläufe in der Sportpsychologie.<br />

Also ganz einfach: Für das Fliegen im Allgemeinen<br />

ist die mentale Vorstellung von<br />

Situationen und Abläufen eine ganz wichtige<br />

und grundlegende Vorbereitung, die<br />

meist schon intuitiv abläuft. Die bewusste<br />

Steuerung der mentalen Vorstellung ist der<br />

Schlüssel für eine bessere Reaktion auf<br />

sämtliche Situationen, die in unserem Sport<br />

passieren können.<br />

Nehmen Sie als Extrembeispiel den Notausstieg<br />

mit dem Rettungsfallschirm aus dem<br />

Cockpit; eine Situation, die man bis auf das<br />

Trockentraining in der Segelflugausbildung<br />

nicht trainieren kann. Alleine die regelmäßig<br />

Vorstellung dieser Situation mit<br />

ihren Abläufen lässt uns erfahrungsgemäß<br />

im Notfall richtig reagieren. Statistisch<br />

haben etwa 98 Prozent aller Piloten, die<br />

einen Notausstieg mit Fallschirmabsprung<br />

hatten, überlebt.<br />

Die mentale Vorstellung von Abläufen und<br />

Situationen funktioniert aber auch für jede<br />

andere Situation. Probieren Sie es einfach<br />

mal aus und finden Sie heraus, wie Sie sich<br />

auf gewisse Situationen dadurch besser<br />

vorbereiten können. Ein gute Übung ist das<br />

Einfliegen in die Thermik mit anderen Flugzeugen.<br />

Stellen Sie sich einfach vor, dass<br />

viele andere Flugzeuge sich im Aufwind<br />

befinden und wie und wann sie eindrehen<br />

und vor allem wie Sie ihre Luftraumbeobachtung<br />

gestalten. Das können Sie<br />

unendlich ausbauen und ständig beim<br />

Fliegen mit der Realität abgleichen. Das<br />

mit dem Fallschirmabsprung lassen sie aber<br />

lieber bleiben, wenn‘s nicht notwendig ist.<br />

Fazit<br />

Das Fliegen ist aufwändig und kompliziert<br />

genug. Finden Sie Wege, wie Sie Ihr direktes<br />

fliegerisches Umfeld optimaler, funktionaler<br />

und einfacher gestalten können, um<br />

weniger Fehler zu machen. Je einfacher die<br />

Dinge funktionieren, desto mehr Spaß<br />

haben Sie auch.<br />

Versuchen Sie in jedem Flug, egal wie lang<br />

oder ambitioniert er ist, irgendetwas zu<br />

verbessern oder zu optimieren oder fragen<br />

Sie sich vor allem bei Zubehör und Ausrüstung,<br />

ob Sie das alles wirklich brauchen,<br />

um das zu bekommen, was Sie erleben<br />

wollen. Manchmal sind es bei mir nur eine<br />

Trinkflasche, ein Gefrierbeutel und die<br />

Bordbatterie, um dann mit einer Ka 8 zu<br />

fliegen. Weniger ist mehr. Seil straff! t<br />

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segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 43


FLUGBERICHT<br />

Bis auf 7000 Meter in der<br />

Text und Fotos: Axel Pauli<br />

Karten-Ausschnitt:<br />

Der Flugplatz liegt<br />

nordöstlich von<br />

Jesenik an der<br />

Landesgrenze<br />

Tschechiens zu<br />

Polen.<br />

Flugplatz-Koordinaten<br />

(ARP):<br />

50° 18‘ <strong>06</strong>“ N,<br />

17° 17‘ 51“ E<br />

44 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>


FLUGBERICHT<br />

„langen Welle von Jesenik“<br />

Das markante an der Welle sind die Lenticularis-Wolken, wenn die Luft nicht zu trocken ist. Diese können in mehreren<br />

Schichten übereinander angeordnet sein<br />

Wenn im Brandenburger Land der Herbst Einzug<br />

hält und die thermische Segelflugsaison zu Ende ist,<br />

fängt nicht allzu weit weg, in Mikulovice<br />

am Fuß des Altvatergebirges in Tschechien,<br />

eine ganz andere Saison an.<br />

Begünstigt durch die Lage des Altvatergebirges<br />

können sich dort bei starkem Südwest-Wind<br />

Leewellen bis in große Höhen ausbilden.<br />

Von Mikulovice aus nutzt man diese Wellen bereits<br />

seit vielen Jahren. Wer eines Tages auf den Gedanken<br />

kommt, doch noch einmal seine 3000-Meter-Startüberhöhung<br />

für die Gold-C oder den 5000-Meter-Höhendiamanten<br />

machen zu wollen, steht schnell vor der Frage,<br />

wo man das möglichst einfach und auch preiswert noch<br />

machen kann.<br />

Von Berlin eine Halbtags-Reise<br />

Ein Vereinskamerad machte mir die Idee schmackhaft, doch<br />

einmal solche Höhenflüge in Mikulovice zu versuchen. Von<br />

Berlin aus ist die Anreise durch Polen zum Flugplatz Mikulovice<br />

in Tschechien mit zirka 480 km der kürzeste und schnellste<br />

segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 45


FLUGBERICHT<br />

Weg. Der größte Teil der Strecke ist Autobahn.<br />

Nach rund sechs bis sieben Stunden<br />

ist man am Ziel.<br />

Zuerst war die problemlose Beatmung<br />

während des Fluges sicherzustellen, da ich<br />

mich längere Zeit über 4000 m MSL<br />

aufhalten wollte. Ich erwarb eine EDS-Beatmungsanlage,<br />

die beim Verbrauch der<br />

Atemluft sehr wirtschaftlich arbeitet. Auch<br />

die sichere Befestigung der Sauerstoffflasche<br />

im Segler musste gelöst werden,<br />

Rotorturbulenzen können heftig sein.<br />

Anschließend informierte ich mich auf der<br />

Webseite vom Aeroklub Jesenik über die<br />

Leewelle, ihre Ausprägung und Besonderheiten.<br />

Es gibt dort auch eine Website in<br />

deutscher Sprache, wo alles über die<br />

Leewelle erklärt ist.<br />

Schönes Saison-Ende: Wave-Camp im<br />

Oktober<br />

Der Aeroklub Jesenik führt seit vielen<br />

Jahren Ende Oktober ein- bis zwei Wochen<br />

dauernde Wave Camps durch, für das man<br />

sich auf der Webseite www.aeroklubjesenik.cz/vlna<br />

anmelden kann. In diesem<br />

Herbst war das Lager von 22. Oktober bis<br />

<strong>06</strong>. November.<br />

Übernachten kann man zu günstigen<br />

Preisen direkt am Flugplatz. Verschiedene<br />

Mehrbettzimmer für zwei bis fünf<br />

Personen mit und auch ohne integrierte<br />

WC-Zelle werden angeboten. Aber auch in<br />

der Umgebung findet man einige günstige<br />

Übernachtungsmöglichkeiten.<br />

Im grenzüberschreitenden Luftraum auf<br />

die Wellen-Autobahn<br />

Die tschechische und polnische Seite beantragen<br />

gemeinsam von September bis<br />

März einen speziellen Luftraum mit<br />

verschiedenen Höhen als TRA für Wellenflüge.<br />

Dieser Luftraum erstreckt sich beidseitig<br />

der polnisch-tschechischen Grenze<br />

von Zittau aus bis ins Altvatergebirge.<br />

Darin sind also selbst gegen Ende Oktober<br />

noch lange Streckenflüge möglich (Bild 1).<br />

Weil sich verschiedene Gebirge an dieser<br />

Grenze hintereinander aufreihen und<br />

wenn der Südwestwind genügend stark<br />

bläst, kann man fast schon von einer<br />

Wellenautobahn sprechen. Es existiert<br />

sogar eine Wegpunktdatei mit entsprechenden<br />

Wellen-Hotspots (Bild 2).<br />

Folgt man diesen Punkten, sind bei guter<br />

Wellenausprägung längere Streckenflüge<br />

in großer Höhe kein Problem. Daher<br />

stammt auch der Name „lange Welle“. Am<br />

leichtesten geht das, wenn sich Lenticula-<br />

Bild 1: Die Leewellen von Jesenik in der Übersicht<br />

Bild 2: Ausschnitt aus der Wegpunktdatei mit den Wellen-Hotspots<br />

Bild 3: Das Wellenfenster in der Grenzregion zwischen Tschechien und Polen<br />

erstreckt sich von Zittau aus bis ins Altvatergebirge<br />

46 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>


FLUGBERICHT<br />

ris-Wolkenstraßen gebildet haben, die<br />

viele Kilometer lang sein können (Bild 3).<br />

Diese erleichtern die Orientierung in der<br />

Welle erheblich und man hat bei Geschwindigkeiten<br />

um 150 km/h oft noch Steigen<br />

oder nur geringes Sinken und bewegt sich<br />

dabei in einem Höhenband zwischen 3000<br />

bis 7000 m MSL. Für einen Flachlandpiloten<br />

wie mich ist das ein fast unglaublicher<br />

Traum.<br />

Auch wenn man „nur“ die Höhe für die<br />

Gold-C oder den Diamanten erfliegen will,<br />

ist man in Jesenik gut bedient. In der Nähe<br />

vom Berg Altvater kann man ohne Transponder<br />

oder besondere Freigabe bis auf FL<br />

235 (7<strong>16</strong>3 m MSL) steigen (Bild 4).<br />

Um in Mikulovice mit dem eigenen Flugzeug<br />

fliegen zu dürfen, muss man wie auf<br />

jedem Flugplatz, der mit Starkwind-Verhältnissen<br />

zurechtkommen muss, einen<br />

Wellen-Einweisungsflug mit Instruktor<br />

absolvieren. Dafür wird ein Blanik eingesetzt.<br />

Da Mikulovice unter der dritten Welle<br />

liegt, fliegt man im F-Schlepp rund 10 bis 15<br />

Kilometer nach Südwesten bis zur ersten<br />

Bild 4: Es muss nicht<br />

immer Streckenflug sein:<br />

Die Leewellen von<br />

Jesenik eignen sich auch<br />

für Piloten, die ihren<br />

Höhen-Diamanten<br />

erfliegen wollen<br />

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segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 47


FLUGBERICHT<br />

48 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>


FLUGBERICHT<br />

Welle. Die Schlepps können ruppig sein, je<br />

nachdem, wie stark die Rotoren ausgeprägt<br />

sind. In der Nähe des ersten Rotors<br />

wird in sicherer Höhe ausgekuppelt und<br />

dort versucht man sein Glück dann alleine.<br />

Nachteilig ist, dass man eine große Entfernung<br />

zum Flugplatz zurückfliegen muss,<br />

sollte man den Rotor nicht erwischen und<br />

absaufen. Mitunter bleibt nur die Außenlandung<br />

auf dem Notlandefeld in Bukovice<br />

bei Jesenik als Ausweg. Dieses Notlandefeld<br />

sollte man sich zuvor ansehen, da dort<br />

im Anflugbereich zwei Stromleitungen<br />

stehen und die Zufahrt dazu etwas<br />

versteckt ist.<br />

Stets die Übersicht behalten<br />

Man muss sich stets darüber im Klaren<br />

sein, dass Leewellen etwas Dynamisches<br />

sind und sich diese bei Änderung der Windgeschwindigkeit<br />

und -Richtung verschieben<br />

oder auch zusammenbrechen können.<br />

Ebenso spielt die aktuelle Luftfeuchtigkeit<br />

eine Rolle. Ich erlebte Flugtage, da turnte<br />

man von Lenti zu Lenti nach oben und an<br />

anderen Tagen war alles klar. Bei sehr viel<br />

Bewölkung muss man aufpassen, dass sich<br />

die Föhnlücke nicht schließt, wenn die<br />

Welle zusammen bricht oder plötzlich zu<br />

viel Feuchte herangeschoben wird. Dann<br />

muss man schnell einige Tausend Höhenmeter<br />

absteigen, um die Erdsicht zu<br />

behalten.<br />

Wer eine bestimmte Höhenleistung<br />

erfliegen will, muss sich dafür Zeit nehmen.<br />

Leewellen werden nicht auf Bestellung<br />

geliefert und man kann auch mal eine<br />

ganze Woche umsonst auf sie warten. Als<br />

Alternative sind aber auch sehr schöne<br />

Wanderungen im Altvatergebirge oder<br />

Stadtbesichtigungen möglich.<br />

Wellen verlangen Feingefühl<br />

Ich selber brauchte zwei Anläufe, um<br />

meine Höhen zu erfliegen. Im Herbst 2011<br />

reichten die Verhältnisse nur zur Gold-C-<br />

Höhe, doch im November 2012 hatte ich<br />

Glück und kam auf über 7000 m MSL<br />

hinauf. Sind die Windgeschwindigkeiten in<br />

der Welle hoch, erfordert das Fliegen viel<br />

Aufmerksamkeit, um nicht aus der<br />

tragenden Linie hinaus geblasen zu<br />

werden. Man fliegt dann ähnlich wie an<br />

einer Hangkante und wendet immer gegen<br />

den Wind. Wegen der großen Höhe fehlt<br />

Impressionen vom Fliegen rund um<br />

Jesenik<br />

7005 m<br />

über MSL,<br />

der Höhendiamant<br />

ist<br />

im Kasten<br />

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segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 49


FLUGBERICHT<br />

Blick auf die Turmspitze des Altvater<br />

die hilfreiche Boden-Orientierung und<br />

deshalb ist es manchmal schwierig, auf der<br />

richtigen Linie in der Welle zu bleiben. Nun<br />

ist Moving-Map-Unterstützung hilfreich.<br />

Am Anfang und Ende der Wende setzte ich<br />

mir jeweils zwei Punkte auf der Karte,<br />

dazwischen muss man den Vorhaltewinkel<br />

beim Hin- und Herfliegen so wählen, dass<br />

man nicht ins Lee abgetrieben wird. Man<br />

darf sich auch nicht wundern, wenn man<br />

plötzlich über Grund gemessen „rückwärts“<br />

fliegt. Das erste Mal ist es gewöhnungsbedürftig,<br />

wenn das Moving Map<br />

meldet, man fliege mit 30 km/h nach<br />

Osten und Flugzeugnase und Kompass<br />

zeigen nach Westen.<br />

Herausfordernde Starkwind-Landungen<br />

Bei hohen Windgeschwindigkeiten kann<br />

die Landung am Flugplatz Mikulovice auf<br />

Piste 23 (Bild links) zur Herausforderung<br />

werden, besonders, wenn dort der Rotor<br />

direkt über dem Platz steht. Ich erlebte in<br />

300 Metern Höhe im Gegenanflug schon<br />

unglaubliche Geschwindigkeiten bis zu<br />

200 km/h über Grund. Wenn man dabei zu<br />

weit vom Flugplatz entfernt zum Queranflug<br />

ansetzt, kann das eine unerwartet<br />

schnelle und gefährliche Außenlandung<br />

kurz vor dem Flugplatz bedeuten, da man<br />

im Rotor sehr schnell Höhe verliert und<br />

obendrein nicht mehr vorwärts kommt.<br />

Faszinierende Licht- und Schattenkontraste<br />

50 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>


FLUGBERICHT<br />

Das ist einer der Gründe, warum in Jesenik<br />

ein Trainingsflug mit einem Instruktor<br />

verlangt wird – in solch schwierigen<br />

Lande-Situationen sind ein kühler Kopf und<br />

klare Entscheidungen gefragt, soll die Situation<br />

unter Kontrolle bleiben.<br />

Bei meinen bisherigen Flügen in Höhen<br />

über 4000 m MSL sammelte ich folgende<br />

Erfahrungen, die ich hier weiter geben<br />

möchte:<br />

• Das Beatmungssystem EDS so einbauen,<br />

dass man es auch im Flug bedienen<br />

kann, die LEDs sieht und akustische<br />

Alarme hört.<br />

• Den genauen Vorrat an Sauerstoff in der<br />

Flasche während des Fluges stets<br />

kennen, um rechtzeitig abzusteigen.<br />

• Eine Sauerstoff-Notversorgung wie die<br />

in nebenstehendem Bild abgebildete<br />

Oxi-Fit-18-Ausrüstung mit an Bord<br />

haben, falls die Beatmungsanlage<br />

ausfällt (Bezugsquelle siehe Links).<br />

• Der Abstieg aus mehreren Tausend<br />

Metern Höhe braucht viel Zeit t<br />

Weiterführende Links:<br />

Aeroclub Jesenik: www.aeroklubjesenik.cz<br />

Verzeichnis der Übernachtungs-Möglichkeiten: www.jeseniky.net/ubytovani.php?lang=de<br />

Übernachtungs-Möglichkeit: Hotel Residenz am See: www.rezidenceujezera.cz/kontakt<br />

Wave-Camp 20<strong>16</strong>: www.aeroklubjesenik.cz/vlna<br />

Wave Camp 2013: www.aeroklubjesenik.cz/vlkmp13.htm<br />

Wellenrichtlinie von Jesenik: www.aeroklubjesenik.cz/img/vlkmp13/Welle-Richtlinie.pdf<br />

Sauerstoff-Notabstiegs-Ausrüstung „Oxi Fit 18“: www.praxisdienst.de/Notfall/Beatmung+und+Intubation/Sauerstoffsysteme+<br />

Flaschen+und+Zubehoer/Sauerstoffsysteme/Oxy+fit+Sauerstoff+Set+mit+Koffer.html<br />

YouTube Videos LSG Bottenhorn von Björn und Jan Köhnke: www.youtube.com/playlist?list=PLki-pCTRm4oPf8XtedcbHTewa3dAscMq6<br />

Weitere Impressionen finden Sie im Foto Album Leewelle-Fliegen im Altvatergebirge von Axel Pauli:<br />

plus.google.com/photos/101383192840280318823/albums/5804253664718637777<br />

segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 51


FLUGBERICHT<br />

Segelflugparadies Fuentemilanos<br />

„HAMMER FETT,<br />

BOMBE KRASS“<br />

Text: Christoph Talle<br />

Bilder: Heiner Schütte, Christoph Talle<br />

Karte: Google<br />

Obwohl ich bereits in den 80er<br />

Jahren während meiner<br />

Semesterferien regelmäßig als<br />

Schleppilot/Fluglehrer für die<br />

Segelflugschule Oerlinghausen<br />

für mehrere Wochen im<br />

„Segelflugzentrum<br />

Fuentemilanos“ vorbeigeschaut<br />

habe, bin ich erst im Jahr 20<strong>06</strong><br />

mit der ASH 25 „HO“ wieder zum<br />

Fliegen an die Guadarrama<br />

gekommen.<br />

Wunderschöner Blick auf Segovia mit Kathedrale, Aquädukt und Alcazar (Burg).<br />

Es liegt in unmittelbarer Nähe zu Fuentemilanos (15 km)<br />

52 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>


FLUGBERICHT<br />

Konvergenzen und Wolken bis zum Horizont<br />

Die Mehrzahl der Segelflugzeuge<br />

waren jetzt Eigenstarter oder<br />

hatten zumindest einen Turbo.<br />

Der Flugbetrieb war dadurch<br />

deutlich ruhiger, da das „Gedränge“ am<br />

Start stark nachgelassen hat. Die Strecken,<br />

die früher nur von den „Profis“ geflogen<br />

wurden (Jojo im Osten bis zum Ebro und im<br />

Westen über El Barco hinaus Richtung<br />

Portugal), wurden jetzt von den Meisten<br />

beflogen. Sicher spielt auch die technische<br />

Entwicklung der Flugzeuge mit GPS und<br />

Logger eine Rolle, man traut sich weiter<br />

weg, obwohl der markante Gebirgszug<br />

beim Navigieren hilft. Auch mir gelang<br />

20<strong>06</strong> auf Anhieb ein Jojo über eine Strecke<br />

von mehr als 1000 Kilometern.Dieses war<br />

für uns Anlass, mit ein paar Freunden einen<br />

eigenstartfähigen Nimbus 3DM „XL“ zu<br />

kaufen, mit dem wir jedes Jahr zusammen<br />

mit der „HO“ für zwei bis drei Wochen nach<br />

Spanien fahren.<br />

Die Infrastruktur hatte sich deutlich<br />

verbessert. Während in den 80er Jahren<br />

kein Baum Schatten gespendet hat, gibt es<br />

jetzt einen Campingplatz mit sanitären<br />

Anlagen und einem Pool. Es gibt, wie<br />

damals, ein Restaurant am Platz, wo man<br />

auch spät noch etwas zu Essen bekommt.<br />

Sommer 20<strong>16</strong><br />

Unsere Truppe aus Norddeutschland hat<br />

sich hat sich in den letzten Jahren „etwas“<br />

vergrößert. Neben Nimbus, ASH 25 ist seit<br />

einigen Jahren Tim (M&D) mit Familie und<br />

Arcus dabei, ich fliege seit zwei Jahren eine<br />

segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 53


FLUGBERICHT<br />

DG-600M, Thomas mit seiner<br />

ASW-22BLE und unsere<br />

„Youngster“ vom LSV Lingen<br />

waren mit dem Vereins-DUO<br />

dabei. Auf dem sonst ruhigen<br />

Campingplatz kehrt Leben<br />

ein, wenn wir mit über 15<br />

Leuten mit Zelten und Wohnmobilen<br />

unser Camp aufschlagen.<br />

Nachdem es anfangs etwas<br />

„Irritationen“ gab, kommen<br />

jetzt öfter abends Piloten mit<br />

Anhang zu uns, wenn Tim<br />

seine Gitarre rausholt und<br />

wir „nicht schön, aber geil<br />

und laut!“ singen. Zusammen<br />

mit Guy und Holger wird<br />

dann auch häufig gekocht<br />

und anschließend natürlichgefachsimpelt.<br />

1000 km um Madrid<br />

Seit Jahren „träumen“ wir<br />

davon, einmal ums „Kuhdorf“<br />

(Madrid) zu fliegen. Die<br />

letzten Jahre haben wir<br />

unseren fliegerischen Horizont<br />

langsam erweitert, so<br />

dass wir im Westen öfter in<br />

Portugal waren und im<br />

Süd-Osten die „Sotos-Berge“<br />

bis Teruel schon kannten.<br />

2015 hatten wir mit Guy den<br />

Schlachtruf „Hammer fett,<br />

Bombe krass“ (der Song<br />

„Arbeit“ von Helge Schneider<br />

und Sido) als Codewort festgelegt,<br />

wenn eine Umrundung<br />

Madrids möglich ist.<br />

Wie Holger am 03.08.<strong>16</strong> im<br />

OLC-Magazin geschrieben<br />

hatte, ist es psychologisch<br />

nicht ganz einfach, da man in<br />

dem Moment, in dem man<br />

sich entschieden hat, die<br />

„Umrundung“ anzutreten,<br />

mindestens 400 km in die<br />

eine oder andere Richtung<br />

fliegen muss.<br />

Der große Tag kündigte sich<br />

an, und Guy Bechtold machte<br />

extra einen Ruhetag um die<br />

Umrundung bis ins kleinste<br />

Detail zu planen. Der Europarekord<br />

über ein 1000-km-<br />

FAI mit einer Geschwindigkeit<br />

von 120 km/h, der vom<br />

Franzosen Alain Mazalerat<br />

Der Flug vom 26.07.20<strong>16</strong><br />

Flugplatz Fuentemilanos<br />

gehalten wird, sollte geknackt<br />

werden. Während des ganzen<br />

Nachmittags wurde mit dem<br />

Wettermodell<br />

von<br />

TOP-METEO geplant, und<br />

abends war die Strecke um<br />

Madrid bekannt.<br />

26.07.20<strong>16</strong>: „Hammer fett,<br />

Bombe krass“<br />

Ich werde aufgrund meines<br />

„Rotax-Boliden“ zwar teilweise<br />

belächelt, aber ich<br />

komme mit MTOM auf der<br />

1000-m-Bahn doch gut in die<br />

Luft. Mit der Morane war es<br />

früher oft schlechter. An<br />

diesem Tag ging es auch<br />

direkt am Platz gut weg, so<br />

dass ich mir das mühsame<br />

„Hochklettern“ am Berg<br />

sparen konnte. Mein Plan sah<br />

so aus; erst gen Osten (ca. 120<br />

km) an der „Sierra de Guadarrama“<br />

entlang, dann zurück<br />

in Richtung „Sierra de<br />

Gredos“, um mich dann<br />

spätestens um 14:30 Uhr in<br />

Höhe des „Almazor“ (höchster<br />

Berg der Credos) die Klippe<br />

nach Süden herunter zu<br />

stürzen. Leider ging der Plan<br />

auf, so dass ich um 14:32 Uhr<br />

die DG-600 mit Südkurs<br />

aufgerichtet habe.<br />

Während die kastilische<br />

Hochebene bei 1000 m MSL<br />

liegt, ist das Gelände südlich<br />

des kastilischen (iberischen)<br />

Scheidegebirges doch fast<br />

500 m tiefer. Elli (meine Frau)<br />

hat mich stark damit motiviert,<br />

dass sie mich überall<br />

abholt, falls der Sprit alle ist<br />

oder der Motor nicht<br />

anspringt (ich meine, ich<br />

habe auch etwas wie<br />

„Weichei“ gehört). Guy sagte<br />

mir, flieg so hoch wie möglich<br />

ab, dann kommst du an den<br />

Bergen südlich von Toledo in<br />

ausreichend Höhe an (400<br />

bis 500 m), um Anschluss zu<br />

finden. Naja, sein Wort in<br />

Gottes Gehörgang, es war 40<br />

Minuten Ruhe im Cockpit<br />

und ich habe 2000 Meter<br />

abgeglitten, bevor das Vario<br />

gezuckt hat.<br />

54 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>


FLUGBERICHT<br />

Der Geier kennt den Vier-Meter-Bart<br />

Christoph Talle nach der Landung ...<br />

jetzt wird gefeiert!<br />

Die Luft war vollkommen ruhig, und ich bin<br />

die fast 100 km schön mit bestem Gleiten<br />

geflogen. Man sieht die Wolken<br />

weit im Süden stehen, aber sie wollen<br />

einfach nicht näherkommen. An den Wolken<br />

angekommen, zeigte mir ein Geier<br />

einen Vier-Meter-Bart. Absolut irre!<br />

Der Bergkette nach Osten unter einer<br />

Aufreihung folgend kam ich sehr gut voran.<br />

Südlich Ocana hören die Berge auf, die<br />

Gegend erinnert etwas an Namibia, steppenähnlich<br />

mit Pfannen. Es gab jetzt zwar<br />

keine Aufreihungen mehr, aber der Himmel<br />

war gut mit Cumulanten gezeichnet.<br />

Hier muss mir Guy mit dem Quintus entgegengekommen<br />

sein, der an diesem Tag den<br />

Europarekord über ein 1000 km FAI Dreieck<br />

mit einem 137er Schnitt geflogen hat! Auch<br />

unsere ASH 25 mit HGP und Heissa haben<br />

wie Guy Madrid rechtsrum umrundet und<br />

waren in dieser Gegend zeitgleich mit mir<br />

unterwegs.<br />

Immer schön südlich der TMA Madrid<br />

entlang kam ich endlich an den Stausee<br />

südlich von Sotos, den ich von früheren<br />

Flügen kannte. Jetzt kamen Heimatgefühle<br />

auf, ich lag super in der Zeit. Gegen 18:45<br />

Uhr hatte ich die Umrundung bereits<br />

östlich Riazza geschlossen und es waren<br />

noch knapp drei Stunden Zeit, um die 1000<br />

Kilometer voll zu machen.<br />

Also die bekannte Rennstrecke entlang der<br />

Guadarrama gen Westen, bei Avila unsere<br />

„Youngster“ Alex und Heiner mit dem Duo<br />

getroffen und zusammen um 20:00 Uhr<br />

noch einen Drei-Meter-Bart ausgegraben,<br />

der uns auf fast 3800 m MSL brachte.<br />

Jetzt gab es noch einen schönen, fast<br />

50-minütigen Endanflug, bei dem der<br />

Zähler auf 1000 km sprang und die Luft<br />

dermaßen gut trug, dass ich kurz vor<br />

Sunset in „Fuente“ ankam.<br />

1055 km, 110er Schnitt!<br />

Es gab ein ganz großes Hallo, Guy Europarekord,<br />

die ASH rechts, ich links um<br />

Madrid und unsere Jungs beim ersten<br />

Besuch in Fuentemilanos ihr erstes<br />

„Tausender“ auf unserem Vereins Duo.<br />

Wir, besonders auch die Nimbus-Truppe<br />

mit Arno, Herbi und Norbert, freuen uns<br />

jetzt schon auf Fuente 2017, nicht nur auf<br />

das Wetter, sondern auch auf viele Freunde<br />

aus Deutschland, Spanien, England,<br />

Belgien, Schweiz, Luxemburg, Boberg ...!<br />

PS: Die DG-600 wird zwar als „Mickey<br />

Mouse“ bezeichnet, es lassen sich aber<br />

gerade in Spanien, wenn es schnell wird,<br />

schöne Strecken damit fliegen (auch wenn<br />

Holger mitleidig meint, er müsse mal mit<br />

Elli reden.) t<br />

segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 55


WERKSTATT<br />

Bei der Jahreswartung sind die EASA-Vorschriften<br />

zu beachten. Sobald Instrumente<br />

nicht nur ausgetauscht, sondern verändert<br />

werden oder Reparaturen ausgeführt werden,<br />

brauchen Sie einen dafür berechtigten Prüfer,<br />

seine Aufsicht oder im Falle einer Reparatur<br />

die Hilfe eines dafür zugelassenen Fachbetriebes<br />

Im Vereinsbetrieb sorgt in der Regel ein ausgebildeter<br />

Prüfer für die Einhaltung der Instandhaltungs-Programme<br />

– womit die Jahreswartungs-Arbeiten<br />

noch immer auf verschiedene<br />

arbeitswillige Vereinsmitglieder verteilt<br />

werden können<br />

56 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>


WERKSTATT<br />

FLUGZEUG<br />

und<br />

MOTOR<br />

richtig überwintern<br />

Text: Ernst Willi<br />

Fotos: Bruno Haller, Ernst Willi, Janik Eggler<br />

Wo dürfen Sie am Flugzeug noch selber Hand anlegen? Wie<br />

überwintert ein Wankelmotor am sichersten? Muss man den<br />

Benzintank füllen oder entleeren? Wie pflegen Sie die Oberflächen<br />

am besten? Was ist bei den mechanischen Ruderantrieben die<br />

passende Pflege – eine Antwort auf diese und zahlreiche weitere<br />

Fragen finden Sie in diesem Beitrag.<br />

Mit diesem QR-Code finden Sie den<br />

direkten Zugang auf die LBA-Spezial-<br />

Website für Rahmenprogramme /<br />

Selbsterklärung für nicht gewerblich<br />

betriebene Luftfahrzeuge:<br />

Bei Themen wie Jahreswartung oder<br />

Instandhaltungsprogramm landen<br />

Sie sofort unvermeidbar im unübersichtlichen<br />

Vorschriften-Dickicht<br />

von EASA, bmvit, LBA und BAZL (Sie finden<br />

ausführliche Erklärungen der in diesem<br />

Artikel verwendeten Abkürzungen in der<br />

separaten Tabelle am Schluß des Beitrags).<br />

Dabei ist der Grundsatz für die Durchführung<br />

der Jahreswartungs-Arbeiten im<br />

Gegensatz zur behördlichen Kommunikation<br />

einfach: Sie dürfen Ihr Flugzeug<br />

pflegen. Die genauen Maßnahmen dazu<br />

sind in einem Instandhaltungsprogramm<br />

festgelegt, welches von einer Überwachungs-Organisation<br />

(CAMO) oder einem<br />

berechtigten Prüfer „absegnet“ und überwacht<br />

werden muss. Sie dürfen im Wesentlichen<br />

Ihr Fluggerät reinigen, pflegen und<br />

etwa ein Instrument ausbauen und durch<br />

ein gleiches Gerät austauschen, danach<br />

wird’s bereits schwierig. Unbeaufsichtigtes<br />

Reparieren von Flugzeugteilen oder Instru-<br />

menten geht legal gar nicht – eigentlich<br />

auch nicht der Ersatz eines abgeschliffenen<br />

Heckspornes – jedenfalls nicht, ohne dass<br />

ein zu Änderungen berechtigter Prüfer das<br />

Resultat sichtet, Ihnen als „korrekt ausgeführt“<br />

unterschreibt und danach in die<br />

technischen Akten einträgt. Grundsätzlich<br />

gilt, dass berechtigte Prüfer Änderungen<br />

vornehmen dürfen und dass Reparaturen<br />

durch einen Fachbetrieb zu erledigen sind.<br />

Hintergrund der Jahres-Wartungsarbeiten<br />

Die häufig kritisierten, schärfer formulierten<br />

Regeln für den Flugzeug-Unterhalt<br />

sind nicht zufällig entstanden. Ein Beispiel:<br />

Niemand hat ein Interesse daran, dass<br />

unbeaufsichtigt zusammengeharzte Flugzeugholme<br />

nach einer Beschädigung bei<br />

einer Aussenlandung mit einem Gebraucht-<br />

Flugzeug auf dem Markt bleiben. Im<br />

Grunde genommen wurden wegen<br />

einzelner Fälle, in denen ein Flugzeughalter<br />

die eigenen Reparatur-Fähigkeiten über-<br />

segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 57


WERKSTATT<br />

schätzte, die Vorschriften standardisiert<br />

und verschärft. An diesem Grundsatz<br />

dürfen Sie sich bei Ihren jährlichen Unterhaltsarbeit<br />

orientieren: Sobald Sie selber<br />

mit etwas Augenmaß und Fingerspitzengefühl<br />

den Eindruck haben, jetzt sei es<br />

wohl zielführender, einen Fachmann zu<br />

fragen, sollten Sie wirklich einen Profi<br />

beiziehen.<br />

Vernunft im Anflug<br />

Nach einer Phase regulatorischer Übertreibung,<br />

in welcher der Kleinflugzeuge-Unterhalt<br />

(etwa einer ASH-26E) mit jenem der<br />

Zivilluftfahrt (etwa eines Airbus A320) juristisch<br />

gleichgestellt war, haben sich seit<br />

dem 03. Juli 2015 die Rahmenbedingungen<br />

für Flugzeuge leichter als 1,2 Tonnen wieder<br />

verbessert, durch das Wegfallen entsprechender<br />

Gebühren auch finanziell. So ist es<br />

den Haltern von „ELA1“-Flugzeugen<br />

möglich, eine Selbsterklärung zum Instandhaltungsprogramm<br />

abzugeben. Diese<br />

Selbsterklärung muss nicht an das LBA<br />

geschickt werden.<br />

Pflege der Oberfläche<br />

Der Grundsatz bei der Oberflächen-Reinigung<br />

ist, alle vorhandenen Fett- und Klebereste,<br />

die sich während einer langen Saison<br />

angesammelt haben, zu entfernen und die<br />

Oberflächen wieder für die nächste zu<br />

schützen. Es ist deshalb nicht zielführend,<br />

wenn Sie während der Saison die Flugzeug<br />

– Oberfläche beispielsweise mit einer<br />

seifenhaltigen Flüssigkeit reinigen – damit<br />

entfernen Sie zuverlässig die vorhandene<br />

Schutzschicht – und die sollte ja bis zum<br />

Auftragen einer neuen halten.<br />

Als Entfetter von Kunststoff-Oberflächen<br />

einigen sich seifenhaltige Flüssigkeiten, in<br />

hartnäckigeren Fällen Kleinteilreiniger.<br />

Zum Entfernen der Leimreste der Klappen-Abdichtbänder<br />

gibt es einen Geheimtipp:<br />

gewöhnliche Büro-Radiergummis, auf<br />

einen Dremel-Drehschrauber aufgeklemmt.<br />

Vorsichtig angewendet sind auch<br />

18-Meter-Leimreste einfacher zu entfernen<br />

als mit dem eigenen Daumennagel. Damit<br />

sind wir allerdings bereits beim nächsten<br />

heiklen Punkt: Sie müssen alle Arten von<br />

Poliermaschinen so einsetzen, dass keine<br />

Wärme entstehen kann. Damit zerstören<br />

Sie unter Umständen die Oberflächenstruktur<br />

und fördern früheres Altern der<br />

Oberflächen, statt es zu verhindern.<br />

Feuchte-Kissen vermeiden<br />

Ein Klassiker bei den winterlichen Arbeiten<br />

Bei der Pflege der Flugzeug-Oberfläche werden alle Leim- und Fettreste sauber<br />

entfernt und mit wachs- oder silikonhaltigen Pflegemitteln neu für eine lange<br />

Saison geschützt. Während des täglichen Saison-Flugbetriebs werden Rumpf<br />

und Flügel deshalb mit reinem Wasser gereinigt und dann mit Pflegewachs die<br />

Oberflächen neu versiegelt. Feuchtigkeit hat dabei nichts verloren – die Oberflächen<br />

müssen trocken sein, um Feuchte-Einschlüsse zu vermeiden<br />

Silikonhaltige Pflegemittel sind gemäß den Experten der Eichelsdörfer GmbH<br />

aus Bamberg auch bei Holzflugzeugen entgegen weit verbreiteter Meinung bei<br />

späteren Reparaturen heute kein Problem mehr. Die Reparaturstelle wird bis auf<br />

die Holzstruktur hinunter weggeschliffen – so lange, bis der letzte Rest möglicherweise<br />

eingedrungenen Silikons entfernt ist. Damit ist eine dauerhafte,<br />

einwandfreie Reparaturstelle sichergestellt<br />

im Baulokal ist das zu schnelle Auftragen<br />

wachshaltiger Pflegemittel auf die<br />

Flügeloberfläche – zu schnell nach der<br />

Reinigung mit seifenhaltigem Wasser.<br />

Damit schließen Sie zuverlässig noch<br />

vorhandene Feuchtigkeit unter dem<br />

wachshaltigen Pflegemittel in der Oberfläche<br />

ein – das gilt übrigens auch für den<br />

Umgang mit Ihrer Anhänger-Oberfläche.<br />

Also: Gönnen Sie sich nach dem Reinigen<br />

der Flächen einen Kaffee im Clublokal oder<br />

Restaurant und lassen Sie die Flächen in<br />

Ruhe richtig austrocknen.<br />

Darf man nun Silikon einsetzen oder nicht?<br />

Bei modernen Kunststoff-Flugzeugen ist<br />

die Verwendung silkonhaltiger Pflegemittel<br />

kein Problem. Bei Reparaturen wird<br />

die Lackschicht immer bis auf das Kohleoder<br />

Glasgewebe hinunter weggeschliffen<br />

und Silikon-Reste werden damit vollständig<br />

entfernt.<br />

Entgegen anderslautender und weit<br />

verbreiteter Meinung verhält es sich bei<br />

Holzflugzeugen heute nicht anders. Silikon-Probleme<br />

mögen früher bei kleineren<br />

Reparaturen vielleicht eine Rolle gespielt<br />

haben. Man befürchtete, dass Silikon in die<br />

Stoffbespannung eindringt, im übelsten<br />

Fall sogar in die darunter liegende Holzschicht<br />

und Silikon-Reste später das zuverlässige<br />

Kleben einer Neu-Betuchung<br />

verhindern, die dann nie mehr dauerhaft<br />

halten würde. Experten aus dem Fachbetrieb<br />

Eichelsdörfer GmbH aus Bamberg<br />

versichern jedoch, dass silikonhaltige Pflegemittel<br />

selbst bei unersetzlichen Oldtimer-Flugzeugen<br />

heute keine Rolle mehr<br />

spielen. Und zwar deshalb, weil bei einer<br />

58 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>


WERKSTATT<br />

Selbstgebautes, dennoch ausgezeichnetes Hilfsmittel für die Leimreste-Entfernung<br />

– etwa beim Wölblklappen-Abdichtband-Ersetzen: Ein rund zugeschnittener<br />

Büro-Radiergummi auf einem dünnen Dremel-Aufsatz-Stift mit umgedrehter<br />

und verkleinerter Schleifscheibe fixiert. Eine sehr tiefe Drehzahl und<br />

geringer Anpressdruck genügen, um jedem Kleberest mühelos und sauber den<br />

Garaus zu machen<br />

Reparatur sowieso so lange geschliffen<br />

werde, bis die Holz-Oberfläche absolut<br />

sauber von Silikonresten sei – womit dann<br />

eine verlässlich haltende Reparatur sichergestellt<br />

sei.<br />

Poly-Urethan-Lacke (PU)<br />

PU-Lacke sind weicher als die früheren<br />

Shellcoat-Lacke. Sie sind weniger glasig,<br />

weniger spröde und weniger porös. Der<br />

Unterhalt dieser Oberflächen ist deshalb<br />

einfacher, unempfindlicher, sie sind UV-beständiger,<br />

langlebiger und besser zum<br />

Polieren – insgesamt muss man sie gleich<br />

wie Autolacke pflegen. Die Oberfläche<br />

kann mit Seife gereinigt werden und bleibt<br />

mit dem Auftragen eines einfachen<br />

Wachses wieder neu für eine längere<br />

Periode geschützt.<br />

Bei modernen Oberflächen sollen während<br />

der Saison stumpfe oder schmutzige<br />

Stellen mit Wachs nachgepflegt werden,<br />

damit auch diese Stellen wieder optimal<br />

geschützt sind.<br />

Umgang mit matten oder stumpfen<br />

Stellen<br />

Für matte Stellen oder feine Kratzer<br />

empfiehlt es sich, Feinschliff-Paste oder<br />

Politur einzupolieren. Hier ist nun der fein<br />

dosierte Einsatz einer Poliermaschine<br />

(ohne Wärme zu entwickeln) im Gegensatz<br />

zum Auftragen von Wachs angebracht,<br />

weil damit die Oberfläche wieder glatt<br />

poliert wird. Danach können diese Stellen<br />

wie der Rest der Oberfläche mit Wachs<br />

gepflegt und für längere Zeit geschützt<br />

werden.<br />

Saubere Ruder-Antriebe<br />

Den Antrieb für Fahrwerk, Bremsen, Querruder<br />

und Wölbklappen reinigen Sie mit<br />

Kleinteilereiniger und trocknen die betroffenen<br />

Stellen anschließend mit Papierrollen<br />

aus. Das ist der Moment, um die jetzt<br />

spiegelblanken Oberflächen mit Taschenlampe,<br />

Spiegel und einem kritischen Auge<br />

zu prüfen, getreu dem Grundsatz „main<br />

parts have to be clean“. Jetzt könnten Sie –<br />

etwa bei der Fahrwerksaufhängung – neu<br />

Neulackierungen<br />

von Segelflugzeugen,<br />

Motorseglern, …<br />

Wir sind umgezogen!<br />

35 Jahre Erfahrung –<br />

hunderte Flugzeuge lackiert.<br />

entstandene, kleine Haar-Risse erkennen.<br />

Anschließend tragen Sie eine neue Fett-<br />

Schutz-Schicht auf. Hier ist Großzügigkeit<br />

absolut fehl am Platz: Fett und Öl tragen<br />

Sie nur minimal und nur wo nötig auf,<br />

damit gerade die beweglichen Stellen<br />

geschmiert sind – nicht mehr. Denn ölige<br />

Stellen ziehen Staubpartikel magisch an<br />

und halten sie an der dümmsten Stelle<br />

auch noch fest. Daraus entsteht über die<br />

Zeit und beim Einsatz in den etwas staubigeren,<br />

südlichen Fluggebieten eine<br />

perfekte Schmirgelmasse, welche den<br />

beweglichen Teilen mehr schadet als dass<br />

sie sie schützt.<br />

Ein Beispiel dafür sind die Ruder-Gestänge<br />

im Cockpit, die hinaus auf die Ruderantriebe<br />

in den Flügeln führen. Sie werden oft<br />

an mehreren Stellen von beweglichen<br />

Teflon-Rädern geführt. Sammelt sich dort<br />

Staub, blockieren diese und werden im<br />

Laufe der Zeit einseitig angeschliffen.<br />

Danach hüpft eines dieser Räder irgendwann<br />

über die blockierte Stelle hinaus und<br />

klemmt womöglich die Ruderstange richtig<br />

fest, hoffentlich nicht in der Start- oder<br />

Landephase mit geringen Reaktionszeiten.<br />

Mit Aceton „für immer“ entfettet<br />

In Luftfahrt-Unterhaltsbetrieben landen<br />

ab und zu Flugzeuge, die „für immer“<br />

entfettet sind, beispielsweise bei den auto-<br />

Seit dem 1. März mehr Platz<br />

für Ihr Flugzeug.<br />

FBS Finish GmbH<br />

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segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 59


WERKSTATT<br />

Wem sein Zweitakter- oder Wankelmotor<br />

lieb ist, dem sind die Empfehlungen<br />

der Motorenhersteller nicht<br />

egal. Wichtig ist, die vorgeschriebenen<br />

Stilllegemaßnahmen peinlich genau<br />

einzuhalten oder aber den Motor<br />

spätestens alle zwei Monate zu<br />

verwenden; im winterlichen Bodenbetrieb<br />

aber zwingend mit montierten<br />

Flächen oder einer dafür vorgesehenen<br />

Motorentest-Halterung<br />

Hier finden Sie einen Schlussbericht<br />

der SUST über einen Flugunfall im<br />

Zusammenhang mit L’Hôtelier-Verschlüssen,<br />

die sich während des<br />

Flugbetriebes unbeaufsichtigt<br />

geöffnet haben. Außerdem ist in<br />

diesem Bericht als Folge davon auch<br />

eine Vorschrift des Herstellers für die<br />

Sicherung der Anschlüsse enthalten<br />

matischen Ruderanschlüssen, den sogenannten<br />

„Hänle-Tüten“. Diese Anschlüsse<br />

sind durch den großzügigen Einsatz des<br />

„scharfen“ Reinigungsmittels Aceton zwar<br />

kurzzeitig sehr sauber gewesen, danach ist<br />

aber die Oberfläche mit einem fettabweisenden<br />

Überzug versehen, welcher das<br />

künftige Eindringen von Fett und Öl zuverlässig<br />

verhindert. Streng zu bewegende<br />

oder gar festgefressene Ruderanschlüsse<br />

sind nach kurzer Zeit das Resultat davon.<br />

Spezialfall L’Hôtelier-Verschlüsse<br />

Die Kugelgelenke der L’Hôtelier-Verschlüsse<br />

verdienen ebenfalls eine<br />

pflegliche Behandlung. Sie wollen mit<br />

Kleinteilereiniger von Staubrückständen<br />

befreit werden. Fertig. Hier empfehlen die<br />

Aufsichts-Behörden nach einem Windenstart-Unfall<br />

im Jahre 1993 (Qr-Code links<br />

unten), dass die L’Hôtelier-Schnellverschlüsse<br />

nicht gefettet werden, weil sie<br />

sich bei fettiger Kugelgelenk-Oberfläche<br />

während des Betriebs ohne zusätzliche<br />

Sicherungsmaßnahmen wie Fokker-<br />

Nadeln oder einem Wechsel zum Wedekind-System<br />

unbeabsichtigt lösen können.<br />

Typische Anfängerfehler<br />

Häufig wird beim Jahres-Unterhalt zuviel<br />

auf einmal auseinandergeschraubt, was<br />

den Zusammenbau der Flugzeugteile am<br />

Ende zu einem schwer lösbaren Puzzle<br />

machen kann. Wer alle Teile, Schrauben,<br />

Unterlagsscheiben und so weiter in einem<br />

einzigen Behälter deponiert, weiss später<br />

nicht mehr, was wohin gehört. Am Ende<br />

sind die kurzen Schrauben in zu langen<br />

Gewinden verschwunden und die zu<br />

langen Schrauben stechen aus zu kurzen<br />

Gewinden hervor. Es ist praktischer, mit<br />

verschiedenen Plastik-Gefrierbeuteln zu<br />

arbeiten, diese zu beschriften und allenfalls<br />

mit einem Kabelbinder oder Kleber an<br />

den entsprechenden Teilen zu befestigen.<br />

Instrumenten-Anschlüsse werden zweckmäßigerweise<br />

nicht einfach aus ihren<br />

Buchsen entfernt; es ist zielführender,<br />

beide Seiten mit selbstklebenden<br />

Nummern zu beschriften (wenn die freie<br />

Fläche für einen wasserfesten Stift nicht<br />

ausreicht).<br />

Ein Klassiker ist das Wechseln eines Schlauches<br />

am Haupt-Fahrwerk: Unbedingt<br />

gleich zu Beginn der Arbeiten die Luft aus<br />

dem Reifen entweichen lassen, bevor man<br />

die Felgenhälften auseinanderschraubt.<br />

Sonst kann es bei einer brüchigen Felgenschraube<br />

oder beim vollständigen Lösen<br />

derselben passieren, dass die ganze<br />

Einrichtung mit einem Knalleffekt durch<br />

das Baulokal fliegt, weil der Reifendruck<br />

(nomen est omen) die Felgenhälften<br />

auseinanderpresst.<br />

Beim Heckrad müssten eigentlich nur<br />

Druck und Lauffähigkeit sichergestellt sein,<br />

weshalb man es nicht per se ausbauen soll.<br />

Ist beides in Ordnung, Heckrad dort lassen,<br />

wo es ist. Andernfalls und bei Verdacht auf<br />

Feuchtigkeit in den Kugellagern das<br />

Heckrad wirklich ausbauen, auseinander<br />

nehmen, reinigen und mit Maschinenfett<br />

wieder schmieren. Kugellager sollen mit<br />

dickflüssigem (Automotoren-)Öl gepflegt<br />

werden, dünnflussige (Nähmaschinen-)<br />

Öle sind hier an der falschen Stelle.<br />

Motoren richtig einwintern<br />

Die Mehrheit der heute ausgelieferten<br />

Segelflugzeuge hat einen Motor im Rumpf;<br />

deshalb stellte ich für die Wankelmotor-Systeme<br />

Ulrich Kremer von Alexander<br />

Schleicher Flugzeugbau in Poppenhausen<br />

und für die Solo-Motorsysteme Frank<br />

Goetze, dem Motoren-Spezialisten von<br />

DG-Flugzeugbau folgende Fragen:<br />

Welche allgemeinen Maßnahmen<br />

empfehlen Sie für die Stillegung des<br />

Motors während des Nichtbetriebes im<br />

Winter und was empfehlen Sie für die<br />

Behandlung des Motoren-Systems, damit<br />

während der mehrmonatigen Stillstandszeit<br />

keine Standschäden entstehen<br />

können?<br />

Ulrich Kremer: Ansaugluftfilter entfernen,<br />

Gashebel auf Vollgas stellen. Dosierflasche<br />

oder Spritze an dünnem Silikonschlauch<br />

befestigen, ins Ansaugrohr einführen.<br />

Dadurch werden 2 cm 3 Motoröl direkt in<br />

den Motor eingespritzt. Schlauch zurückziehen<br />

und Motor von Hand eine Umdrehung<br />

drehen, abgelesen am Anlasserzahnkranz<br />

(dies entspricht etwa 1/3 Propellerumdrehung).<br />

Diesen Vorgang fünfmal wiederholen<br />

und jedes Mal 2 cm 3 Motoröl<br />

einspritzen.<br />

Zur Erklärung: Wenn sich der Anlasserzahnkranz<br />

einmal dreht, dreht sich der<br />

Kolben nur 1/3 Umdrehung. Wenn dieser<br />

Vorgang dann sechsmal durchgeführt<br />

wird, ist gewährleistet, dass Öl in alle drei<br />

Kammern des Motors eingespritzt wurde.<br />

Schlauch herausziehen und Motor von<br />

Hand durchdrehen (mind. 15 Umdrehungen<br />

am Propeller). Ansaugluftfilter<br />

wird nicht montiert, die Einlassöffnung<br />

wird durch eine Plastikfolie und einen<br />

60 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>


WERKSTATT<br />

Gummiring verschlossen. Das Endrohr des<br />

Schalldämpfers wird auf dieselbe Art<br />

verschlossen.<br />

Im eingefahrenen Zustand des Propellers<br />

wird der Zahnriemen im Faltungsbereich<br />

auf gleichmäßige Schlaufenbildung<br />

kontrolliert. Gegebenenfalls die Riemenschlaufe<br />

durch einen harten Schaumgummi<br />

oder ähnliches in der Schlaufeninnenseite<br />

unterstützen. Die Motoraußenseite<br />

muss nicht speziell geschützt werden,<br />

wenn die Motorklappen bei trockener Luft<br />

durch Klebeband dicht verschlossen<br />

werden. Es wird empfohlen, einen sogenannten<br />

Luftentfeuchter (Granulat im<br />

Vliesbeutel) aus dem Camping- und Wohnwagenbedarf<br />

im Motorraum einzulagern.<br />

Frank Goetze: Die Motoren müssen, wenn<br />

sie länger als zwei Monate nicht benutzt<br />

werden, konserviert werden. Wie das zu<br />

geschehen hat, schreibt der Hersteller des<br />

Motors vor. Unter anderem wird in die<br />

Ansaugöffnungen des Vergasers 5 ml<br />

Zweitakt-Öl eingespritzt und anschließend<br />

der Propeller zehnmal durchgedreht<br />

werden. Die Eintrittsöffnung des Luftfilters<br />

muss abgedeckt und das Kraftstoffsystem<br />

entleert werden. Es gibt auch die Möglichkeit,<br />

einen Bodenlauf durchzuführen<br />

(außer LS 8-t und LS 10-t). Dabei ist zu<br />

beachten, dass dies nur mit montierten<br />

Flügeln erlaubt ist.<br />

Vor der Einlagerung für den Winter sollten<br />

das Flugzeug gründlich gereinigt und<br />

blanke Metallteile vor Korrosion geschützt<br />

werden.<br />

Die Batterien sollten gelegentlich geladen<br />

oder noch besser ausgebaut und an einem<br />

warmen Ort gelagert werden.<br />

Empfehlen Sie, den Benzintank komplett<br />

zu entleeren oder ganz zu füllen?<br />

Ulrich Kremer: Der Rumpftank sollte durch<br />

den Drainer entleert werden und der in den<br />

Leitungen verblieben Kraftstoff durch den<br />

Motor vollständig verbraucht sein<br />

Frank Goetze: Der Benzintank sollte<br />

entweder entleert werden oder komplett<br />

gefüllt sein. Auf alle Fälle muss vor der<br />

ersten Motorbenutzung im Frühjahr<br />

gedraint werden. Ich persönlich halte es für<br />

besser, den Tank zu entleeren und im Frühjahr<br />

mit frischem Benzin zu betanken.<br />

Soll man die Zündkerzen entfernen?<br />

Ulrich Kremer: Die Zündkerzen bleiben<br />

montiert<br />

Frank Goetze: Die Zündkerzen werden<br />

nicht entfernt<br />

Was muss man bei der Inbetriebnahme im<br />

Frühling besonders beachten?<br />

Ulrich Kremer: Motorklappen öffnen und<br />

Riemenschlaufen im Faltungsbereich auf<br />

Knicke kontrollieren. Öffnungen von<br />

Lufteinlass und Abgas öffnen und Luftfilter<br />

montieren. Falls der Motor länger als sechs<br />

Monate stillgelegt war und die Maßnahmen<br />

zur Stilllegung entgegen den<br />

Vorgaben nicht durchgeführt wurden,<br />

muss der Motorinnenraum entsprechend<br />

den Angaben zur „Stilllegung über 90<br />

Tage“ geölt werden.<br />

Die Zündkerzen werden nicht zum<br />

Ablassen des Öls entfernt, sondern bleiben<br />

Abkürzungs- und Begriffserklärungen<br />

ARC<br />

BAZL<br />

Bmvit<br />

CAMO<br />

CAMO +<br />

EASA<br />

ELA 1<br />

IHP<br />

LBA<br />

LTB<br />

MIP<br />

Part M<br />

montiert. Um das Öl in den Kammern<br />

gleichmäßig zu verteilen, wird der Propeller<br />

vor dem Anlassvorgang von Hand mehrmals<br />

durchgedreht. Anlassvorgang unter<br />

Beachtung aller Sicherheitsmaßnahmen<br />

durchführen. Vollständigen Standlauf<br />

entsprechend den Angaben im Motorhandbuch<br />

durchführen.<br />

Frank Goetze: Vor der ersten Inbetriebnahme<br />

im Frühjahr sollte man den Motor<br />

gründlich durchsehen. Sollte es beim<br />

Anlassen Probleme geben (dies kann<br />

besonders bei Motoren mit hängenden<br />

Zylindern z. B. in der DG-400 auftreten), so<br />

sind die Zündkerzen zu reinigen. t<br />

Kommentar<br />

Meine Kritik an den Behörden: Unauffindbare und unverständliche Basis-Informationen.<br />

Es ist erstaunlich, dass sich die Kleinflugzeug-Industrie diszipliniert<br />

an die kaum auffindbaren und unverständlich formulierten Anforderungen hält.<br />

So bleiben beispielsweise auch nach mehr als einer Stunde intensiver Suche die<br />

Grundlagen für die Flugzeugwartung der sog. „Part M“ der EASA geisterhaft und<br />

unauffindbar – die Grundlage und Definition der Unterhaltsarbeiten ist damit<br />

nur mit großem zeitlichem Aufwand überhaupt erreichbar. Die Gebrauchstauglichkeit<br />

(Usability) der Websites und ihre integrierten Suchmaschinen sind definitiv<br />

unzureichend, beim deutschen LBA (Luftfahrt-Bundesamt) am übersichtlichsten.<br />

Selbst wenn Sie dank Ihrer Hartnäckigkeit fündig geworden sind, wartet<br />

eine nächste Hürde auf Sie: Die Inhalte (speziell jene der EASA) sind punkto<br />

Unverständlichkeit kaum zu übertreffen. Sie bestehen im Wesentlichen aus<br />

Abkürzungen und Anglizismen (englischsprachigen Fachbegriffen). Ernst Willi<br />

SUST<br />

Airworthiness Review Certification, Lufttüchtigkeits-Zeugnis<br />

Bundesamt für Zivilluftfahrt, Bern, Schweiz<br />

Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie<br />

Wien, Österreich<br />

continous airworthyness maintenance organization,<br />

Private Organisation zur Aufrechterhaltung der Lufttüchtigkeit<br />

von Luftfahrzeugen. Nachfolge-Organisation der<br />

ehem. LTBs<br />

Gleich wie CAMO; darf zusätzlich selbständig Lufttüchtigkeits-<br />

Zeugnisse ausstellen<br />

European Authority in Aviation Safety, Köln, Deutschland<br />

European Light Aircraft, nicht gewerbliche Flugzeuge,<br />

Höchstabflugmasse < 1200 kg<br />

Instand-Haltungs-Programm<br />

Luftfahrt-Bundesamt, Braunschweig, Deutschland<br />

Luftfahrttechnischer Betrieb, heißt heute CAMO<br />

Mindest-Inspektions-Programm<br />

Komplexes EASA-Regelwerk u. a. für den Unterhalt von<br />

Flugzeugen, („M“ wie maintenance)<br />

Schweizerische Sicherheits-Untersuchungsstelle<br />

segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 61


SHARE YOUR EXPERIENCE<br />

Landung auf dem<br />

Wasserflugplatz<br />

Aus dem Italienischen: Ludwig Haslbeck<br />

Fotos: Davide Cantoni<br />

Der Comer See ist für Touristen ein beliebtes Reiseziel, die steilen Ufer und die hohen Berge im Hintergrund<br />

machen seinen besonderen Reiz aus. Und im Lago di Como, dem westlichen Arm, befindet sich einer der<br />

wenigen Wasserflugplätze in Europa, Heimat des Aero Club di Como. Er verfügt über eine auf dem Wasser<br />

durch Bojen markierte Piste, die für Boote gesperrt ist.<br />

Weniger beliebt ist der Comer<br />

See bei Segelfliegern – vor<br />

allem, wenn sie aus den<br />

Alpen zu den Flugplätzen<br />

Alzate oder Calcinate zurückkehren müssen,<br />

denn auf seiner gesamten Länge von<br />

etwa 40 km bieten die Ufer keine Landemöglichkeit.<br />

Wer also die „Rennstrecke“<br />

Veltlin verlässt, um etwa nach Alzate oder<br />

Calcinate in der Poebene zurückzukehren,<br />

tut gut daran, vor dem Abflug genügend<br />

Höhe zu tanken. Reicht die Höhe nicht,<br />

bleibt neben einer Außenlandewiese in<br />

Porlezza zwischen Comer See und Luganer<br />

See praktisch als einzige „Landemöglichkeit“<br />

nur das Wasser – immer noch besser<br />

als das felsige Ufer.<br />

Und so hat es in der Vergangenheit immer<br />

wieder Wasserlandungen auf dem Comer<br />

See gegeben, die zum Glück meist glimpflich<br />

ausgingen.<br />

Im vergangenen Sommer nutzte ein Segelflieger<br />

aus Calcinate mit einer ASK 21<br />

die Piste des Wasserflugplatzes Como für<br />

eine spektakuläre Sicherheitslandung.<br />

Für segelfliegen berichtet der Pilot von seinem<br />

Flug und der „nassen“ Landung:<br />

62 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>


SHARE YOUR EXPERIENCE<br />

„Etwa gegen 14:30 Uhr bin ich in der ASK 21<br />

in Calcinate gestartet. Mein Ziel war Cornizzolo.<br />

Anfangs ging bei guten Wetterbedingungen<br />

alles gut, der Flug über den<br />

Campo dei Fiori, den „Hausberg“ von Calcinate,<br />

und den Monte Generoso am Luganer<br />

See führte mich zum Monte San Primo<br />

(südlich von Bellaggio, zwischen den beiden<br />

Armen des Comer Sees), wo ich in<br />

2000 m MSL die Wolkenbasis erreichte. Ich<br />

glitt weiter zum Monte Cornizzolo mit seinem<br />

Sender, wo ich in etwa <strong>16</strong>00 m Höhe<br />

ankam. Nach der Umrundung des Senders<br />

kehrte ich im Gleitflug zum Monte San Primo<br />

zurück, wo ich in etwa 1200 m ankam.<br />

Nachdem ich hier schon einmal vor wenigen<br />

Minuten Steigen vorgefunden hatte,<br />

wollte ich es nochmals versuchen. Aber<br />

nun war ich tiefer, und um die Thermik zu<br />

finden musste ich in ein Tal einfliegen, an<br />

dessen Ende der Ort Zelbio liegt. Aber ich<br />

versuchte zu lange vergeblich, Steigen zu<br />

finden, und irgendwann erkannte ich, dass<br />

ich nun auch zu tief war, um den Außenlandeplatz<br />

in Porlezza zu erreichen. Mir<br />

wurde klar, dass mir nun nur noch zwei<br />

Möglichkeiten blieben: entweder noch<br />

Steigen zu finden oder aber im Wasser zu<br />

landen, da es keine Landeplätze in Reichweite<br />

gab.<br />

Auf der Segelflugfrequenz schilderte ich<br />

meine Situation, und etliche Piloten rieten<br />

mir zu Stellen, an denen normalerweise<br />

Thermik zu finden ist, aber ich hatte kein<br />

Glück. Ich beschloss, mich nahe am östlichen<br />

Ufer des Sees zu halten, denn hier<br />

verlor ich keine weitere Höhe, stieg aber<br />

auch nicht. Die Wasserlandung blieb nun<br />

die wahrscheinlichste Option, und deshalb<br />

wollte ich versuchen, so nah wie möglich<br />

zur Landebahn des Wasserflugplatzes Como<br />

zu kommen, denn ich wusste, dass dort<br />

die Chancen auf unverzügliche Hilfe am<br />

größten waren. Außerdem war die Piste<br />

auf dem Wasser frei von Schiffsverkehr. Ich<br />

hatte auch Kontakt zum Rettungshubschrauber,<br />

der sich in der Nähe befand und<br />

mir bis zum Aufsetzen folgte.<br />

Einer der Piloten auf meiner Frequenz riet<br />

mir noch, den Fallschirm abzuschnallen<br />

und die Gurte festzuziehen, dies gelang<br />

mir mit einiger Mühe während der letzten<br />

Flugminuten. Ich entriegelte auch die Haube,<br />

um leichter aus dem Flugzeug zu kommen.<br />

Zudem versuchte ich, Como Radio,<br />

den Wasserflugplatz, zu kontaktieren, ohne<br />

Erfolg. Später erfuhr ich, dass der AeC<br />

Como im Sommer an den Sonntagen keinen<br />

Flugbetrieb durchführt.<br />

Nun flog ich die Landebahn 19 an und versuchte,<br />

so nah wie möglich am Ufer aufzusetzen.<br />

Soweit ich mich erinnere, hatte ich<br />

mit dem Sporn den ersten Wasserkontakt,<br />

dann setzte ich mit dem Hauptfahrwerk<br />

auf. Eigentlich hatte ich erwartet, dass die<br />

Nase eintauchen würde, das war jedoch<br />

höchstens ein wenig der Fall. Der Flieger<br />

bremste rapide, aber nicht allzu hart ab –<br />

weit weniger schlimm, als ich befürchtet<br />

hatte. Dann trieb das Flugzeug waagrecht<br />

auf der Wasseroberfläche.<br />

Wasser begann ins Cockpit einzudringen.<br />

Zum Glück war es nicht kalt! Ich öffnete die<br />

Haube, schnallte mich los und rutschte<br />

über die hintere Haube auf die Tragflächen.<br />

Den Fallschirm, er war bereits nass,<br />

nahm ich ebenso wie einige Karten mit,<br />

Share your experience!<br />

dann öffnete ich auch die hintere Haube<br />

und steckte die Batterie ab, um einen Kurzschluss<br />

zu vermeiden. Anschließend holte<br />

ich auch meinen kleinen Rucksack aus der<br />

rechten Tragflächenwurzel heraus.<br />

Wohl kaum eine Minute später waren<br />

schon Boote zur Stelle. Ich stieg in eines<br />

von ihnen. Ein Mitglied der Bootsbesatzung<br />

legte einen Riemen um das Rumpfende,<br />

kurz vor dem Seitenleitwerk. Dann erschien<br />

auch ein Schlauchboot des Aero<br />

Club Como, das die ASK ins Schlepptau<br />

nahm und an die Rampe zog, über die normalerweise<br />

die Wasserflieger in den See<br />

rollen.<br />

Inzwischen war auch die Feuerwehr eingetroffen<br />

und die Feuerwehrleute überlegten,<br />

wie man das Flugzeug wohl am besten aus<br />

dem Wasser bekommen könnte. Zum<br />

Glück hatte ich – als Vorbereitung für eine<br />

Außenlandung – wie immer ein kurzes<br />

Schleppseil mit Ring dabei. Wir klinkten es<br />

in die Bugkupplung ein und die Feuerwehr<br />

zog nun die ASK vorsichtig aus dem Wasser,<br />

um langsam das Wasser aus Rumpf<br />

und Flächen laufen zu lassen. Nachdem ich<br />

auch die Klebebänder entfernt hatte, entleerte<br />

sich das Flugzeug langsam. An der<br />

ASK 21 waren keine äußeren Schäden festzustellen,<br />

Avionik und Instrumente aber<br />

sind sicher zu überholen. Der Abbau der<br />

Maschine verlief völlig problemlos.“ t<br />

Zur Sicherheitskultur in der Luftfahrt gehört auch die Diskussion über eigene<br />

Erlebnisse und Fehler, aus denen jeder lernen kann. Haben Sie Vorfälle erlebt<br />

oder beobachtet, die für andere Piloten interessant sind? Teilen Sie Ihre Erfahrungen<br />

mit anderen!<br />

Schreiben Sie an: bg@segelfliegen-magazin.com, wir behandeln Ihre Zuschrift<br />

auf Wunsch vertraulich.<br />

segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 63


HUMAN FACTORS<br />

Biofeedback im<br />

Segelflug? – BIOFEET!<br />

Von Hermann Trimmel<br />

Bevor unser Bewusstsein eine Anspannung erkennt, signalisiert diese schon unser Körper,<br />

„Der emotionale Schwanz führt den vernünftigen Hund“<br />

(Daniel Kahnemann, Nobelpreis 2002 für „Decision making and uncertainty“)<br />

Viele Piloten drücken beim Fliegen<br />

in gewissen Situationen beide<br />

Seitenruderpedale gleichzeitig.<br />

Das ist mir sowohl bei Flügen mit<br />

Spitzenpiloten als auch bei weniger erfahrenen<br />

Piloten aufgefallen. Es war immer<br />

mit einem Anzeichen von beginnender<br />

innerer Unsicherheit und nachfolgender<br />

Verspannung verbunden. Meist merkte ich<br />

das bereits, bevor es der Pilot wahrnahm.<br />

Einige Piloten stiegen nach einem längeren<br />

Flug sogar mit Schmerzen in den Knien<br />

oder in den Oberschenkeln aus.<br />

Die Theorie – was steckt dahinter?<br />

Wie wissenschaftliche Ergebnisse aus der<br />

Gehirnforschung zeigen, schafft es unser<br />

Gehirn bewusst, etwa 40 Bits/Sekunde zu<br />

verarbeiten. Die Intuition, also die „unbewusste<br />

Intelligenz“ hingegen schafft bis zu<br />

unglaublichen 11 Millionen Bits/Sekunde!<br />

Egal wie genau die Zahlen in Wahrheit<br />

sind, hier steckt offensichtlich ein unglaubliches<br />

Potenzial in uns. Dieses Unbewusste,<br />

diese „emotionale Intelligenz“ unseres<br />

Körpers zu nutzen motivierte mich, der<br />

Sache auf den Grund zu gehen.<br />

Parameter für Feedback<br />

Pulsfrequenz, Blutdruck<br />

Herzfrequenzvariabilität (HFV)<br />

Hautleitfähigkeit<br />

Hauttemperatur<br />

Muskelspannung/<br />

EMG Elektromyogramm<br />

Gehirnströme/<br />

EEG Electroencephalografie<br />

Atemsensoren<br />

Eignung für Segelflug<br />

• Die Pulsfrequenz wird stark von unterschiedlichen Situationen beeinflusst; es wurde keine<br />

praxistaugliche Korrelation festgestellt.<br />

• Es gibt keine Erfahrung im Segelflug, befindet sich noch im Forschungsstadium. Mit der HFV<br />

wird derzeit viel im Labor experimentiert.<br />

• Bei Stress verändert sich die Schweißdrüsenaktivität. Die Messung der Hautleitfähigkeit<br />

funktioniert im Labor, in der Natur jedoch werden die Ergebnisse durch die schwankenden<br />

Umgebungsbedingungen stark beeinflusst.<br />

• Für die Messung der Hauttemperatur gilt ähnliches wie bei der Hautleitfähigkeit.<br />

• Muskelkontraktionen sind mit elektrischen Strömen (Mikrovolt) verbunden. Die Verwendung<br />

von Elektroden im Flug ist jedoch (noch?) eher unpraktisch. Die Muskelanspannung beginnt oft<br />

im Nacken oder in den Beinen.<br />

• Kleinste Gehirnströme werden mit zahlreichen Elektroden an der Kopfhaut in verschiedenen<br />

Wellenlängenbereichen gemessen und dargestellt. Bei Alphawellen besteht eine sehr gute<br />

Konzentrations- und Entscheidungsfähigkeit, die damit trainierbar wird. EEG Ist noch im<br />

Forschungsstadium und messtechnisch im Flug sehr unpraktisch. Dieser Forschungsbereich<br />

verspricht eine spannende Zukunft.<br />

• Mit den Atemsensoren lassen sich Atemfrequenz und Atemtiefe messen. Praktische Erfah<br />

rungen im Flug liegen nicht vor.<br />

64 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>


HUMAN FACTORS<br />

Es ist bekannt, dass An- und Verspannung<br />

des Körpers oft mit innerer Unruhe, Stress<br />

oder sogar Angst in Verbindung stehen.<br />

Wie die Flugpraxis zeigt, signalisiert der<br />

Körper diese Gefühle schon sehr früh, noch<br />

bevor dies dem Piloten bewusst ist. Auch<br />

negative Gedanken erhöhen den Muskeltonus,<br />

Muskel werden durch bloße Vorstellung<br />

schon angeregt (Carpenter Effekt,<br />

Thomas Wörz, 2011, Die Mentale Einstellung).<br />

Von der Lerntheorie her wissen wir, dass<br />

wir eine Rückmeldung, ein Feedback von<br />

unserem Verhalten benötigen. Erst dann<br />

können wir uns verändern, so wie wir es<br />

wollen.<br />

Biofeedbacksysteme wurden in verschiedenen<br />

Sportarten schon vor etwa 40 Jahren<br />

verwendet. Es geht darum, physiologische<br />

Parameter, die der unmittelbaren Sinneswahrnehmung<br />

nicht zugänglich sind, mit<br />

technischen (oft elektronischen) Hilfsmitteln<br />

beobachtbar, also dem eigenen<br />

Bewusstsein zugänglich zu machen. Ziel ist<br />

jedenfalls, die Selbstregulation des<br />

Gefühlszustandes, die Kontrolle über den<br />

Körper zu erhalten oder wieder zu<br />

gewinnen (Tabelle links). Die große<br />

Herausforderung liegt offensichtlich darin,<br />

dass so ein Biofeedback nicht nur wie<br />

üblich im „Labor“ funktioniert, sondern<br />

während des Fluges, sogar auch im Wettbewerb<br />

angewendet werden kann.<br />

Die Lösung<br />

Mit meiner praktischen Erfahrung und<br />

diesem theoretischen Wissen kam mir der<br />

zündende Funke: Wir messen den Pedaldruck<br />

auf den Seitenruderpedalen und<br />

geben dem Piloten so eine Rückmeldung<br />

über die jeweilige Anspannung. Die ersten<br />

Entwicklungsschritte sieht man in Bild 1.<br />

Visuelle und auditive Rückmeldungen im<br />

Segelflug schienen mir ungeeignet, da wir<br />

mit diesen Sinnesreizen im Cockpit<br />

ohnehin schon zeitweise überfordert sind.<br />

Was lag also näher, als die Körperanspannung<br />

direkt mit dem Druck auf die Pedale<br />

selbst, also den kinästhetischen Sinneskanal,<br />

zu nutzen und auf demselben<br />

Sinneskanal dem Körper ein Feedbacksignal<br />

zu geben: der Pedaldruck als Input<br />

und ein Vibrationssignal als Output!<br />

Der Oberschenkelmuskel (evolutionsbedingt<br />

überlebenswichtig für das Davonlaufen<br />

vor dem Säbelzahntiger) hat sich<br />

dabei als sehr geeignete Stelle für das<br />

Übertragen des Vibrier-Signals herausgestellt,<br />

viel besser als beispielsweise. ein<br />

Vibrieren des Knüppels.<br />

Werden beide Pedale gleichzeitig gedrückt,<br />

wird dieser Druck, diese Anspannung, dem<br />

Piloten über dieses Vibrations-Signal<br />

bewusst gemacht und er kann seinen<br />

mentalen Zustand regulieren. Über unsere<br />

Körperspannung liefert Biofeet dem<br />

Bewusstsein ein Signal aus dem Unterbe-<br />

Bild 1: Zuerst begannen wir mit Drucksensoren in Einlagesohlen, die sich jedoch<br />

als sehr unpraktisch erwiesen<br />

wusstsein – das ist die Weiche!<br />

Seit den ersten Entwicklungsschritten sind<br />

mehr als fünf Jahre mit unerwarteten<br />

Hürden und zahlreichen Fehlversuchen<br />

vergangen. Ausdauer und Zielstrebigkeit<br />

sowie die Unterstützung vieler Segelfliegerfreunde<br />

führten schließlich zum Erfolg.<br />

Jetzt ist es soweit, ein serienreifes System<br />

ist fertig.<br />

Die technische Realisierung<br />

„Wir haben das Biofeet-System so einfach<br />

und robust wie möglich gebaut,“ erklären<br />

Christian Rassl und Fabian Berstecher von<br />

RBE-Avionik.<br />

Im Wesentlichen besteht das System aus<br />

mehreren Komponenten (Bild 2, nächste<br />

Seite):<br />

• Die zwei Druckplatten, die an den<br />

Seitenruderpedalen angebracht werden<br />

• Die Elektronikbox, welche die Signale<br />

der Druckplatten auswertet und bei<br />

Bedarf den Vibrationsmotor ansteuert<br />

• Der Kabelsatz mit dem Drehregler und<br />

der Buchse zum Anschluss des Vibrationsmotors<br />

• Der Vibrationsmotor mit Anschlusskabel<br />

Die Druckplatten werden auf den Seitenruderpedalen<br />

montiert und so der Druck auf<br />

den Seitenruderpedalen gemessen. Durch<br />

ihre Dicke von nur fünf Millimeter tragen<br />

die Druckplatten nur sehr wenig auf. Dies<br />

erleichtert die Montage. Mit dem Drehregler<br />

im Instrumentenbrett kann ein individueller<br />

Referenzdruck eingestellt werden.<br />

Sobald der Druck auf beiden Seitenruderpedalen<br />

diesen Referenzwert übersteigt,<br />

wird das Vibrationssignal aktiviert.<br />

Dieser gesamte Vorgang wird fortlaufend<br />

von der Elektronikbox berechnet.<br />

Außerdem befindet sich in der Elektronikbox<br />

noch eine RS232-Datenschnittstelle<br />

(RJ45-Buchse mit IGC-konformer Belegung),<br />

welche optional zur Aufzeichnung<br />

und späteren Auswertung der Daten<br />

genutzt werden kann.<br />

Technische Daten:<br />

• Gewicht des gesamten Systems mit<br />

Kabelsatz: 420 g<br />

• Betriebsspannung: 9-18 Volt<br />

• Stromverbrauch bei 12 Volt: 50 mA im<br />

Mittel<br />

• Preis: 666,66 Euro<br />

Das Biofeet-System wird einbaufertig<br />

geliefert (Bild 3, nächste Seite). Weitere<br />

Infos über: www.rbe-avionik.de<br />

segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 65


HUMAN FACTORS<br />

Bild 2: Die Komponenten, rechts unten die Druckplatten<br />

Bild 3: Das Biofeet System wird einbaufertig geliefert<br />

Erfahrungen der Test-Piloten<br />

Wolfgang Janowitsch<br />

Meine Erfahrungen beziehen sich hauptsächlich auf das Testgerät der ersten<br />

Generation, welches ja grundsätzlich die gleiche Funktionsweise hatte.<br />

Neben den Momenten im Flug, in denen man ohnehin damit rechnet, bald ein<br />

Vibrieren zu spüren (starker objektiver Stress in niedriger Höhe, knapp am<br />

Berg und/oder im Pulk), überrascht das Biofeet manchmal in (subjektiv)<br />

ruhigen Momenten. Dies kann auf Unsicherheiten bezüglich der gerade<br />

getroffenen Entscheidung, oder ganz allgemein auf eine „Disharmonie“<br />

zwischen Kopf und Bauchgefühl hinweisen.<br />

Nachdem diese Synchronisation zwischen bewussten Gedanken und unterbewussten<br />

Gefühlen ein Schlüssel zum Erfolg ist, ist Biofeet ein hervorragendes<br />

Werkzeug auf dem Weg zur Perfektion! t<br />

Werner Amann<br />

Ich habe die Drucksensoren anfangs bei der EM 2011 nicht eingesetzt, weil ich mich<br />

während des Wettbewerbes nicht mit etwas „Neuem“ auseinandersetzen wollte.<br />

Gegen Ende des Bewerbs, davor und auch danach habe ich jedoch schon einige Flüge<br />

damit gemacht. Durch den fixen Einbau der Sensoren mit Elektronik im Flugzeug ist<br />

es im Handling komplett einfach. Ich habe das Gefühl, dass eventuelle Verspannungen<br />

damit sehr schnell offengelegt werden und man dadurch frühzeitig reagieren<br />

kann. Ich werde das Gerät ab sofort konsequent einsetzen, weil es mich keineswegs<br />

behindert und ich damit lernen möchte, die Offenheit (Lockerheit) während des<br />

Fluges zu sichern.<br />

Rekordflug am 26. August 2011: Nach dem Flug über 1559 km, der bisher weitesten<br />

Strecke, die jemals über den Alpen geflogen wurde, kommentierte ich das so:<br />

“...war nach dem 12,5-Stunden-Flug unglaublich locker und fit, die Drucksensoren<br />

waren da nicht ganz unschuldig ... das Vibrieren ist ein angenehmes Gefühl und erinnerte<br />

mich öfters daran, mich zu entspannen...“t<br />

66 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>


HUMAN FACTORS<br />

Anwendung in der Praxis<br />

Das Biofeet gibt nur ein Signal, die weitere<br />

Verhaltensänderung bewirkt der Pilot,<br />

nicht das Gerät. Klar, dass das Entspannen<br />

der Beine mehr oder weniger sofort automatisch<br />

erfolgt. In der Folge können wir dann<br />

den ganzen Körper bewusst entspannen:<br />

Hand am Knüppel lockern, den Nacken<br />

bewegen, indem wir mit einem offenen<br />

Blick von Flächenspitze zu Flächenspitze<br />

schauen sowie durch zwei bis drei tiefe<br />

Atemzüge die Entspannung weiter unterstützen.<br />

Die volle Nutzung des Biofeet geht<br />

aber weit über diese Anfangsphase hinaus.<br />

Das Vibrieren könnte als Signal für ein positives<br />

Selbstgespräch genutzt werden und<br />

helfen, die gegenwärtige Situation aus<br />

einer anderen Perspektive zu bewerten.<br />

Beispiel: Anstatt: „Es geht nicht...“ besser:<br />

„Welche Chancen habe ich noch?“ oder als<br />

Signal zur Erinnerung: „Trink einen<br />

Schluck“. Dem Einfallsreichtum sind ab<br />

diesem Vibro-Signal keine Grenzen gesetzt.<br />

Entscheidend ist letztendlich die persönliche<br />

Einstellung als Pilot. Will ich meinen<br />

Körper, meine Gefühle und meinen Geist<br />

kontrollieren? Will ich meine Fähigkeiten,<br />

die in mir stecken, voll entwickeln? Denn<br />

ebenso wie der Körper zu größerer<br />

Leistungsfähigkeit trainiert werden kann,<br />

so führt auch das mentale Training zu<br />

einem erweiterten geistigen Horizont.<br />

Biofeet kann ein sehr wirkungsvolles Hilfsmittel<br />

in diesem Training sein.<br />

Ziel ist es in jedem Fall, durch entspanntes<br />

Fliegen für kreative Entscheidungen offen<br />

zu sein und die Aufmerksamkeit der jeweiligen<br />

Situation optimal anzupassen. t<br />

Literatur (Auswahl)<br />

Schnelles Denken, langsames Denken<br />

(Übersetzung von „Thinking fast and slow“<br />

Daniel Kahnemann<br />

Bio&Neurofeedback in Sportpsycholgy,<br />

2011, Benjamin Strack, et al.<br />

Biofeedbackmethoden zur Leistungssteigerung<br />

im Sport,Sportschießen, Badminton<br />

und Eiskunstlauf, Christine Hufnagl<br />

(Diplomarbeit Uni-Wien)<br />

Biofeedback – Ein psychoregulatives<br />

Verfahren zur Leistungsoptimierung im<br />

Sport, Kurt Steinbauer(Diplomarbeit am<br />

Institut für Sportwissenschaften der Karl<br />

Franzens Universität Graz)<br />

Mathias Schunk<br />

Ich war von Anfang an von Hermanns Idee begeistert und nutze ebenfalls als<br />

„Versuchskaninchen“ schon einen der Prototypen. Mittlerweile ist das System bei<br />

mir so in Fleisch und Blut übergegangen, dass ich es in meinem Quintus gar nicht<br />

mehr wirklich registriere – ich fliege sehr entspannt. Ein Aha-Erlebnis hatte ich<br />

jedoch bei der letzten Quali mit unserem Vereins-Arcus, wo mir das fehlende Biofeet<br />

extrem auffiel. Obwohl es im Wettbewerb ja nie überaus lange Flüge waren, stieg<br />

ich verspannt aus dem Flieger aus. Offensichtlich hatte ich mich wie früher ohne<br />

Biofeet, doch immer wieder verkrampft, ohne es im Fluge sofort zu merken. Mir<br />

taten am Abend die Knie weh und ich war deutlich mehr kaputt, als ich es nach<br />

einem 10- oder 11-Stunden-Flug über 1000 km mit dem Biofeet bin. t<br />

Sebastian Eder<br />

Der Einbau in die ASW 22BLE war sehr einfach und gut beschrieben. Einfach 12V anlegen<br />

und absichern, die Sensoren in einer guten „Druckposition“ befestigen, so dass sie<br />

tatsächlich zuerst berührt werden (musste sie einmal versetzen, da der erste Einbau zu<br />

weit in Richtung Fußspitzen war) und die Buchse für den Elektromotor ins Instrumentenbrett<br />

einbauen. Das Biofeet half mir, in kniffligen und angespannten Situationen, den<br />

Überblick zu bewahren (vor allem bei schwachen Aufwinden) und im Pulk, so wie in Leszno<br />

oft vor dem Abflug, nicht in die Versuchung zu gelangen, ins Cockpit zu sehen, sondern<br />

mich auf die Umwelt zu konzentrieren. Zumeist war die Erstreaktion ein Entspannen der Schultern und ein sofortiges/automatisches<br />

Erweitern des Blickfeldes, was durch die verbesserte Wahrnehmung auch oft in der Lösung des Problems endete. Man muss sich mit<br />

diesem System auch selbst eingestehen können, dass man öfter verspannt ist, als man denkt, und die Aktivierung des Motors als Hilfestellung<br />

und nicht als Mahnung aufnehmen, da man sonst sehr schnell zu einer negativen Einstellung gegenüber dem System gelangt.<br />

Ich habe in Leszno ein paar Mal von meinen Teampartnern die Rückmeldung bekommen, dass ich im Funk der bin, der sehr ruhig und<br />

ausgeglichen wirkt. Ich denke, dass dies auch zum Teil ein Verdienst des Biofeet-Systems ist, da ich erst bei sehr hohen Belastungen (Pulk<br />

in der Gewitterwalze mit heftigen Turbulenzen und Blitzen etc.) gemerkt habe, dass ich angespannt bin. Mit einer sorgfältigen Einweisung<br />

in das System, in dem auch die mentalen Aspekte angesprochen und Hilfestellungen diesbezüglich angeboten werden, würde ich<br />

dieses System jedem Flieger unabhängig von fliegerischem Können, Trainingsstand, Segelflieger oder Motorflieger, empfehlen. Es hilft<br />

einem in jeder Situation, den Fokus auf die wichtigen Dinge zu legen. Ich merkte sehr frühzeitig, dass die mentalen Kapazitäten durch<br />

Anspannung/Überlastung signifikant reduziert wurden und konnte dem durch bewusste Maßnahmen entgegenwirken. Ohne eine<br />

mentale Aufarbeitung des Themas wird man mit dem System aber kaum glücklich werden, so dass dies die Grundvoraussetzung für<br />

einen erfolgreichen/leistungssteigernden Einsatz ist. Es hat mich fliegerisch und sicherheitstechnisch definitiv weitergebracht und ich<br />

möchte es nicht mehr missen. t<br />

segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 67


REPORTAGE<br />

SERIE: Unglaubliche Flüge<br />

und Segelflug-Pionierleistungen<br />

25. APRIL 1972 – VON LÜBECK NACH BIARRITZ<br />

Und dann war die Karte<br />

zu Ende…<br />

Von Ernst Willi<br />

Fotos: Alexander Schleicher<br />

Wir schreiben das Jahr 1972. Erst wenige Jahre zuvor war es erstmals gelungen, Dreiecksflüge von über<br />

500 Kilometern zu fliegen. Bis dahin war das zumindest in Europa nicht für möglich gehalten worden.<br />

68 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>


REPORTAGE<br />

Am 26.Juli 1970 flogen Wally Scott und Ben Greene beide<br />

von Texas aus knapp 1200 Kilometer. Die beiden Piloten<br />

waren gemeinsam gestartet und auch gelandet, womit<br />

sie auch gemeinsam einen neuen Weltrekord aufstellten.<br />

Beide flogen auf dem gleichen Flugzeugmuster, das<br />

auch Hans-Werner Grosse 1972 für seinen Flug nutzte: Die ASW-12<br />

war zu diesem Zeitpunkt eines der leistungsfähigsten Segelflugzeugmuster.<br />

1971 war zum ersten Mal innerhalb von Europa eine<br />

Strecke von über 1000 Kilometern zurückgelegt worden.<br />

Ausgeprägtes Hoch über England schiebt<br />

Angespornt von derartig außergewöhnlichen Flugleistungen<br />

hatte sich der zu diesem Zeitpunkt 49-jährige Hans-Werner<br />

Grosse für den 25. April eigentlich ein anderes Ziel gesetzt, als<br />

eine besondere Wetterlage eine Rekorddistanz über Europa<br />

möglich erscheinen ließ: Ein ausgeprägtes Hochdruckgebiet über<br />

England mit Ausläufern bis nach Skandinavien brachte kühle,<br />

trockene Luft aus nord-östlichen Richtungen. Mit dem damit<br />

verbundenen Rückenwind sollte es möglich sein, nach dem<br />

Durchzug der Kaltluftfront von Lübeck aus bis nach Nantes zu<br />

fliegen. Auf der „Rückseite“ der Wetterfront waren optimale<br />

Wetterbedingungen zu erwarten.<br />

Diese angemeldete Strecke hätte gereicht, um einen neuen Weltrekord<br />

aufzustellen.<br />

An Paris, Angers und Nantes vorbei an den Atlantik<br />

Von Lübeck aus startete Hans-Werner mit seiner ASW-12 am<br />

Morgen des 25. April nach Süd-Westen, blieb südlich von Bremen,<br />

überflog das Ruhrgebiet zwischen Münster und Aachen. In Frankreich<br />

führte die Route nord-westlich von Paris weiter über die<br />

Seine in Richtung Angers und Nantes.<br />

Doch noch bevor dieses ursprüngliche Rekordziel erreicht war,<br />

entschied sich Hans-Werner an diesem Nachmittag, auf den<br />

sicheren Weltrekord zu verzichten und stattdessen weiter zu<br />

fliegen. Noch im Flug verständigte er sich mit dem Hamburger<br />

Piloten Klaus Tesch per Funk darauf, das er diesem den Weltrekord<br />

für den angemeldeten Flug abtreten würde – für ein Fass<br />

Bier, das der glückliche Pilot dann auch einlöste, vor allem aber<br />

für „das unbeschreibliche Gefühl, weiter zu fliegen, als je zuvor<br />

ein Segelflieger geflogen war, und auch weiter, als man bis dahin<br />

für möglich hielt“. Seine ASW-12 steuerte Hans-Werner Grosse<br />

nun weiter in Richtung Süden.<br />

Mit der Landung in Biarritz bis in die New York Times<br />

Entlang der Atlantikküste flog er vorbei an La Rochelle und<br />

Bordeaux und landete schließlich auf dem Flugplatz von Biarritz.<br />

In Zeiten lange vor der Verfügbarkeit von Satellitennavigationssystemen<br />

war es gar nicht so einfach, die genaue Distanz<br />

zwischen Lübeck und dem Landeort festzustellen: 1460,80 Kilometer<br />

waren es letztendlich, die Hans-Werner zu einer<br />

Segelfluglegende machten.<br />

Die Flugleistung war zu dieser Zeit so beeindruckend, dass sogar<br />

die New York Times mit einem halbseitigen Artikel über den Flug<br />

berichteten. Und selbst in den Ländern des damaligen Ostblocks<br />

wurde über den Erfolg des deutschen Piloten geschrieben.<br />

Gratulation von Biarritz‘ Bürgermeister<br />

Heute erinnert sich der Pilot gerne an die ausgesprochene Gastfreundschaft,<br />

die ihm in Frankreich entgegengebracht wurde.<br />

Schnell waren etliche Gratulanten vor Ort, allen voran der Bürgermeister<br />

von Biarritz. Dieser war zu der Zeit auch Innenminister in<br />

Paris. In dieser Funktion trommelte er für den 26. April die Ritter<br />

der Ehrenlegion der baskischen Region zusammen. Sogar das<br />

Fernsehen aus Paris ließ er einfliegen und überhäufte den glücklichen<br />

Rekordpiloten mit Maquila, einem Stock mit Innendegen<br />

zur Abwehr von Bären in den „Landes“ (einem Heidegebiet nörd-<br />

Hans-Werner Grosse im Cockpit seiner Rekord-ASW-12<br />

segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 69


REPORTAGE<br />

lich von Biarritz) sowie allerlei anderen Ehren. Dies sind für Hans-<br />

Werner Grosse die für die damalige Zeit typischen Zeichen der<br />

Wertschätzung und des Verständnisses für den Segelflug – im<br />

Gegensatz zu heute, wo die Segelflieger ihre „Flugplätze gegen<br />

Spekulanten, Illusionisten und Betrüger aller Art verteidigen<br />

müssen“. Wichtiger als dieser herzliche Empfang und die<br />

Geschenke, die man ihm machte, war Hans-Werner Grosse aber<br />

der Flug selbst: „Das unbeschreibliche Gefühl, das so ein fantastischer<br />

Flug auslöst, ist die größte Belohnung nach so einem<br />

einzigartigen Tag.“<br />

Was war der Antrieb zu diesem unglaublichen Flug?<br />

Hans-Werner Grosse ist, seit er das erste Mal in einem Segelflugzeug<br />

auf Strecke ging, auf der Suche nach besonderen Wetterbedingungen<br />

für außergewöhnliche Flüge. Das Glücksgefühl, das<br />

ein spannender Segelflug über weite Distanzen beim Piloten<br />

nicht nur während des Fluges, sondern auch während langer Zeit<br />

danach auslöst, war immer eine der wichtigen Triebfedern für<br />

Hans-Werner Grosses einmalige Segelflug-Piloten-Laufbahn.<br />

Zwei Jahre vor seinem Biarritz-Flug hatte Hans-Werner schon<br />

den zweiten Platz bei der Segelflug-Weltmeisterschaft erreicht,<br />

Neben seinem legendären Flug quer durch den europäischen Kontinent erflog sich Hans-Werner Grosse<br />

zahlreiche Weltrekorde in Australien<br />

Hans-Werner Grosse am Steuerknüppel beim Start<br />

70 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>


REPORTAGE<br />

insgesamt hat er fünfzig Weltrekorde aufgestellt. Auch mit über<br />

90 Jahren flog er noch, wann immer das Wetter es zuließ, mit<br />

seiner ETA, dem grössten Segelflugzeug der Welt – immer auf der<br />

Suche nach dem nächsten „ganz besonderen Tag“.<br />

Eine positive Sucht, die alle Träume erfüllt hat<br />

Hans-Werner Grosse hat im Grunde genommen sein ganzes<br />

privates und berufliches Leben auf den Segelflug-Sport und das<br />

Erfliegen beachtenswerte Streckenflug-Leistungen ausgerichtet.<br />

Im Jahr 2015 beendete er dann seine aktive Piloten-Karriere, weil<br />

er „keine Träume mehr hat, die er sich erfüllen könnte“ und „weil<br />

er seine Frau Karin, mit der er in den letzten Jahren mit ETA und<br />

ASH 25 tausende Stunden geflogen ist, nicht gefährden will“. Das<br />

Erlebnis des Segelfliegens war für ihn bis dahin stets absolut<br />

befreiend und beflügelnd – eine Art positiver Sucht mit einmaligen<br />

Glücksgefühlen am Steuerknüppel. t<br />

Quellen: Der Inhalt zu diesem Artikel basiert in wesentlichen<br />

Teilen auf einem online-Beitrag von Florian Mösch vom Aero<br />

Club Lübeck.<br />

Hans-Werner Grosse<br />

Der Halter von mehr als 50 Segelflug-Weltrekorden wurde am 29. November 1922 in Swinemünde geboren. In die Segelfluggeschichte<br />

ist Grosse mit seinem hier beschriebenen Rekordflug von Lübeck nach Biarriz eingegangen. Am 25. April 1972 flog er mit<br />

einer ASW-12 diese Strecke über 1460,80 Kilometer in elfeinhalb Stunden. Dieser Weltrekord hat noch immer Bestand. Neben<br />

bisher insgesamt 50 Segelflug-Weltrekorden zählt auch ein zweiter Platz bei der Weltmeisterschaft 1970 dazu.<br />

Zu seinem 75. Geburtstag wurde Hans-Werner Grosse von der deutschen Segelflug-Nationalmannschaft der FAI-Klassen zum<br />

Ehrenmitglied ernannt. Des Weiteren ist Grosse auch Ehrenmitglied des Deutschen Aero Clubs und Hauptinitiator des Projekts<br />

eta. Er selber besitzt das erste Exemplar dieses einzigartigen Segelflugzeugs, mit dem er noch im Mai 2009 im Lüsse-Cup den<br />

dritten Platz in der offenen Klasse erreichte.<br />

Hans-Werner Grosse engagiert sich bis heute auch für die Jugend. Er stellt eine ASH-25 jungen Segelflugpiloten aus Vereinen der<br />

neuen Bundesländer zur Verfügung, um ihnen den Zugang zu modernem Fluggerät zu verschaffen.<br />

Unter dem nebenstehenden<br />

QR-Code<br />

finden Sie einen<br />

TV-Beitrag über Hans-<br />

Werner Grosse, der zu<br />

seinem 90.<br />

Geburtstag publiziert<br />

wurde: „Der Herr der<br />

Lüfte: Segelflug-Legende Grosse wird 90“<br />

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segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 71


HISTORIE<br />

Die Rolle des Segelflugs<br />

im Fluglotsenstreik der 70er Jahre<br />

Von Claus Gerhard<br />

Foto: Deutsche Flugsicherug GmbH<br />

1962 war man in der Bundesrepublik Deutschland der Meinung, dass der Fluglotsendienst aufgrund<br />

seiner hoheitlichen Aufgaben in die Hände von Beamten gehöre – eine folgenschwere Entscheidung, die<br />

von den Betroffenen jedoch wegen geringerer Aufstiegschancen und einer schlechteren Bezahlung<br />

vehement abgelehnt wurde. Es kam zum ersten Fluglotsenstreik, dem weitere Arbeitskämpfe über einen<br />

Zeitraum von sage und schreibe 30 Jahren folgten!<br />

Dabei ging es längst nicht nur um<br />

bessere Arbeitsbedingungen und<br />

eine angemessene Vergütung für<br />

die chronisch überlastete Berufsgruppe.<br />

Der stetig wachsende Luftverkehr<br />

verlangte auch nach veränderten Organisationsstrukturen.<br />

Wenig bekannt ist, dass<br />

diese nicht nur die Berufsfliegerei betrafen,<br />

sondern ebenso den Luftsport und besonders<br />

den Segelflug. Weil die Adenauer-Regierung<br />

in dem schwelenden Konflikt<br />

jedoch keine wirklichen Zugeständnisse<br />

machte, folgte im Herbst 1968 ein sechswöchiger<br />

Bummelstreik, getarnt als<br />

„Dienst nach Vorschrift“. Diese „Go<br />

slow-Aktion“ der nun verbeamteten Mitarbeiter<br />

führte häufig zu stundenlangen<br />

Wartezeiten der anfliegenden oder startenden<br />

Flugzeuge. Erst ein Gutachten des<br />

Bundesrechnungshofs, das die Forderungen<br />

der Fluglotsen anerkannte,<br />

entschärfte vorübergehend den Streit.<br />

Die Schlieker-Kommission<br />

Drei Jahre später, im April 1971, war die Geduld<br />

der Fluglotsen erneut am Ende. Obwohl<br />

die Luftverkehrsdichte weiter zugenommen<br />

hatte, sprach der zuständige<br />

Verkehrsminister Georg Leber ihnen jede<br />

Berechtigung für ihren Streik ab und<br />

drohte mit disziplinarischen Schritten. Erst<br />

nach längerem hin und her waren die Beamten<br />

zum Einlenken bereit unter der Bedingung,<br />

dass die Regierung nun ernsthafte<br />

Schritte zur Verbesserung ihrer<br />

Situation unternähme. Leber gab nach, beendete<br />

die Disziplinarverfahren und bestimmte<br />

einen Flugplankoordinator für<br />

den Sommerflugplan 1971, der die Starts<br />

und Landungen an den überlasteten deutschen<br />

Verkehrsflughäfen zeitlich entzerren<br />

sollte. Gleichzeitig berief er eine Kommission<br />

von 15 Experten aus allen Bereichen der<br />

Luftfahrt ein, die die anstehenden Flugverkehrsprobleme<br />

beraten und dem Minister<br />

Lösungsvorschläge unterbreiten sollte.<br />

Nach ihrem Vorsitzenden, dem ehemaligen<br />

Werftbesitzer Willy H. Schlieker be-<br />

72 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>


HISTORIE<br />

nannt, nahm die Kommission im Juni 1971<br />

ihre Arbeit in Bonn auf und tagte bis April<br />

1972 insgesamt zehnmal. Dieser „Kommission<br />

1“ ging es nicht um Personal-, Ausbildungs-<br />

und Besoldungsfragen der Flugsicherung,<br />

sondern um allgemeine Probleme<br />

des Luftverkehrs wie die Absenkung der<br />

Flughöhen für innerdeutsche und grenzüberschreitende<br />

Kurzstreckenflüge, mit<br />

der die Belastung des Luftraums durch<br />

fortwährende Steig- und Sinkflüge reduziert<br />

werden sollte, um Geschwindigkeitskontrollen<br />

der anfliegenden Flugzeuge für<br />

eine dichtere Staffelung oder um die probeweise<br />

Einführung des CVFR-Verkehrs<br />

zum Schutz vor Kollisionen im kontrollierten<br />

Luftraum. Last but not least sollte<br />

der Segelflug besser und sicherer in das<br />

westdeutsche Flugsicherungs-System eingepasst<br />

werden.<br />

Segelflieger im Zentrum der Kritik<br />

Während man sich bei den ersten beiden<br />

Punkten relativ zügig auf die notwendigen<br />

Änderungen verständigte, gab es beim<br />

Thema Segelflugverkehr längere und teils<br />

hitzige Diskussionen. Die Vertreter des<br />

Luftsports sahen sich vor dem Hintergrund<br />

zahlreicher durch Segelflieger verursachter<br />

gefährlicher Luftraumbegegnungen quasi<br />

am Pranger. Sie verwiesen aber darauf,<br />

dass die größten Gefahren im Luftraum<br />

von der Militärluftfahrt ausgingen, die<br />

Kommission jedoch in diesem Bereich keine<br />

Eingriffsmöglichkeit habe und sie deshalb<br />

ihre Angriffe gegen den Flugsport als<br />

schwächstes Glied richte. Weil man Segelflugzeuge<br />

nicht kontrollieren könne<br />

und die Piloten sich oft auch nicht an auferlegte<br />

Beschränkungen halten würden,<br />

stand die Forderung im Raum, im Interesse<br />

der Sicherheit aller Luftverkehrsteilnehmer<br />

den Segelflug einzuschränken und aus Ballungsgebieten<br />

völlig herauszunehmen,<br />

was die DAeC-Vertreter unter Hinweis auf<br />

bisher fehlende Untersuchungen für überzogen<br />

hielten.<br />

Zum Thema Verkehrsbeschränkung legte<br />

das Verkehrsministeriums ein Arbeitspapier<br />

über die rechtlichen Möglichkeiten<br />

vor, zu Spitzenzeiten die großen Verkehrsflughäfen<br />

von Flügen der Allgemeinen<br />

Luftfahrt, insbesondere Kleinflugzeugen<br />

freizuhalten. Herbert Eklöh vom Deutschen<br />

Aero-Club wehrte sich nachdrücklich gegen<br />

eine solche Maßnahme, die er für ungerechtfertigt<br />

hielt. Man solle den Luftverkehr<br />

nicht den Grenzen des Flugsicherungssystems<br />

anpassen, sondern vielmehr das<br />

System entsprechend den Erfordernissen<br />

des Verkehrs ausbauen. Trotzdem versuchte<br />

die Kommission, den Sichtflugverkehr<br />

im Bereich der großen Verkehrsflughäfen<br />

weiter einzuschränken und empfahl<br />

die Einrichtung von Lufträumen allein für<br />

den Fluglinienverkehr sowie einen Modellversuch<br />

für die Erprobung des sogenannten<br />

kontrollierten Sichtflugverkehrs (CVFR).<br />

Dazu sollten der Bedarf an zusätzlichem<br />

Flugsicherungs-Personal und technischer<br />

Ausrüstung ermittelt sowie die Einsatzmöglichkeit<br />

preiswerter Transponder geprüft<br />

werden.<br />

Auch bis zum Abschluss ihrer Arbeit beharrte<br />

die „Kommission 1“ in Gebieten hoher<br />

Verkehrsdichte auf der konsequenten<br />

Trennung des Segelflugbetriebes vom kontrollierten<br />

Luftverkehr und auf einer Beschränkung<br />

der Anzahl der Segelflugplätze.<br />

Sie verlangte eine verbesserte Pilotenausbildung<br />

in luftrechtlichen Fragen und eine<br />

verstärkte Luftaufsicht auf den Segelfluggeländen.<br />

Die gewünschte Umkehrung der<br />

Ausweichregel gemäß §13 LuftVO, nach der<br />

Motorflieger grundsätzlich zum Ausweichen<br />

gegenüber Segelflugzeugen verpflichtet<br />

sind, blieb allerdings als Forderung<br />

unerfüllt. Aufgabe des DAeC müsse es<br />

sein, eine höhere Disziplin der Segelflugzeugführer<br />

durchzusetzen sowie auf eine<br />

verbesserte Information dieses Personenkreises<br />

hinzuwirken. Dazu solle die Bundesanstalt<br />

etwa spezielle Flugsicherungskarten<br />

erstellen, die besonders auf die<br />

Belange des Segelfluges abzustellen seien.<br />

Umfassende Strukturänderungen<br />

gefordert<br />

Dank der Initiative Schliekers kam es nach<br />

Abschluss der Beratungen zu weiteren<br />

Empfehlungen für die Lösung der vorhandenen<br />

Flugsicherungsprobleme: Eine zweite<br />

Kommission für Organisations- und Personalfragen<br />

unter seinem Vorsitz machte<br />

Vorschläge für die Neuorganisation der<br />

Bundesanstalt und wies auf bestehende<br />

Mängel in der Zusammenarbeit mit Eurocontrol<br />

hin (z. B. nicht kompatible Datensysteme).<br />

Die Flugsicherung sollte zukünftig<br />

als private Dienstleistungsgesellschaft<br />

(wie in der Schweiz und in England) arbeiten,<br />

nicht mehr mit Haushaltsmitteln des<br />

Bundes, sondern durch Umlage der Flugsicherungskosten<br />

auf die Luftverkehrsgesellschaften<br />

finanziert. Das Gehalt der Fluglotsen<br />

sollte entsprechend ihrer Arbeitsbelastung<br />

aufgebessert werden.<br />

Schlieker, der selbst ohne Honorar arbeite-<br />

te, sah das Verhältnis zwischen ziviler und<br />

militärischer Flugsicherung als dringend<br />

verbesserungsbedürftig an und mahnte<br />

für Friedenszeiten (ähnlich wie in den USA)<br />

die zivile Gesamtverantwortung der Flugsicherung<br />

an. Er wies darauf hin, dass über<br />

Westdeutschland Luftstreitkräfte von acht<br />

Nationen trainierten und diese zu 80 bis<br />

90 Prozent an den jährlich etwa 350<br />

Fast-Zusammenstößen im Luftraum beteiligt<br />

seien, die Aufklärungsquote jedoch wegen<br />

fehlender Zusammenarbeit zwischen<br />

zivilen und militärischen Flugsicherungseinrichtungen<br />

nur 30 Prozent betrage und<br />

durch Kompetenzstreitigkeiten und Eifersüchteleien<br />

gekennzeichnet sei.<br />

Der abschließende Bericht der „Schlieker-<br />

Kommission 1“ lag dem Verkehrsministerium<br />

erst im Februar 1973 vor. Dem inzwischen<br />

zuständigen Minister Lauritz Lauritzen<br />

schrieb Schlieker: „Diese Ausführungen<br />

gehen über das hinaus, was in der Kommission<br />

behandelt worden ist.“ Und ernüchtert<br />

stellte er fest: „Eine zügige Bearbeitung<br />

aller in der Kommission vorgebrachten<br />

Probleme scheitert sowohl an Personalmangel<br />

der BFS als auch an einer Vielzahl<br />

von Zuständigkeiten … Der Wildwuchs<br />

in der zivilen, militärischen und europäischen<br />

Flugsicherung in den letzten 20 Jahren<br />

kann nur über eine gründliche Systemplanung<br />

… zu einem höheren Leistungsstandard<br />

und vermehrter Flugsicherheit gebracht<br />

werden.“<br />

Wie Recht er mit dieser Einschätzung hatte,<br />

zeigt sich unter anderem daran, dass<br />

schon wenige Monate später die Fluglotsen<br />

erneut für Verbesserungen in der Abwicklung<br />

des Luftverkehrs streikten, weil sie<br />

sich von der Bundesregierung in ihren Forderungen<br />

nicht ernst genommen sahen.<br />

Die Behörde (BFS) konnte übrigens erst<br />

1993, nach weiteren 20-jährigen privatund<br />

dienstrechtlichen Auseinandersetzungen<br />

mit der Bonner Ministerialbürokratie<br />

und einer notwendigen Grundgesetz-Änderung<br />

in eine GmbH (DFS) umgewandelt<br />

werden. Da war die Kritik an<br />

den Segelfliegern längst verstummt und<br />

ihre Stellung im bundesdeutschen Luftverkehr<br />

gefestigt – neuerdings werden sie<br />

aber konfrontiert mit der Forderung nach<br />

ihrer umfassenden transpondergestützten<br />

Kontrolle. t<br />

Quellenangabe:<br />

BARCH B 108/ 83835 bis 83839<br />

Peter Milger: „Geschichte der Flugsicherung<br />

in Deutschland“ Langen 2008<br />

segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 73


IMPRESSUM<br />

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(ISSN <strong>16</strong>12-1740)<br />

VORSCHAU<br />

In der nächsten Ausgabe sind unter anderem folgende Beiträge geplant:<br />

Entlang der Konvergenz-Linie<br />

„Vielleicht können wir entlang der Konvergenzlinie<br />

fliegen und einen mühelosen Flug mit ganz<br />

wenig Kreisen genießen,“ versprach Bernhard<br />

Eckey und lud Autor Colin Strauss ein, ihn auf<br />

dem Rücksitz seiner ASH 25 zu einem Flug im<br />

Süden Australiens zu begleiten.<br />

Was Strauss dabei gelernt hat, darüber<br />

berichtet er in diesem Artikel.<br />

Carpe Diem – Nutze den Tag!<br />

Dieser allgegenwärtige Spruch wird in seiner eigentlichen<br />

Bedeutung oft missverstanden – das zumindest<br />

behauptet unser Autor Henry Blum. Als Meteorologe<br />

glaubt er, dass die Römer damit ganz einfach gemeint<br />

haben, eine gute Gelegenheit beim Schopf zu packen –<br />

denn gute Gelegenheiten bieten sich speziell für<br />

Segelflugpiloten, die Großes vorhaben, nicht so oft. Eine<br />

philosophische, mathematische und auch etwas<br />

meteorologisch eingefärbte Betrachtung.<br />

ASG 32 Mi<br />

Ausgabe 1 / 2017<br />

erscheint Ende Dezember 20<strong>16</strong><br />

Die ASG 32 wird in drei Varianten<br />

angeboten: als Eigenstarter (Mi) mit<br />

dem bereits bestens bekannten<br />

Wankelmotor mit 56 PS, als reines<br />

Segelflugzeug, das aber nachträglich<br />

motorisiert werden kann, und mit<br />

einem ausfahrbaren Elektromotor als<br />

Heimkehrhilfe. Aldo Cernezzi hat die<br />

ASG 32 Mi zum Test geflogen.<br />

www.segelfliegen-magazin.com<br />

74 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>


KOLUMNE<br />

Zulu<br />

Zulu<br />

Von Gisela Benoist<br />

Liebe Segelfliegerfrauen, ganz tief drinnen wissen wir es ja eigentlich… aber wer will es schon<br />

wahrhaben?? Alle Männer sind irgendwann untreu, ob wir es erfahren wollen oder nicht.<br />

Sogar mein Max! Ja, ich konnte es auch nicht glauben. Er ist in eben in dem gewissen Alter, in dem ihn<br />

die Leidenschaft zu größeren Dingern hinzieht. Ja, leider.<br />

Und wie bei allen heimlichen Affären war es auch bei uns<br />

ganz typisch, ich fand ganz zufällig eine heimliche E-Mail.<br />

Es war wirklich zufällig, sie war aufgeschlagen auf dem<br />

Bildschirm und ich konnte nicht anders, als kurz mal drüber zu<br />

lesen! Echt, ich hab nicht extra gesucht …<br />

Die Mail war vom Schweizer Zoll. Klingt erstmal völlig harmlos,<br />

nicht gleich nach Scheidung oder so. Mein Max war ganz in der<br />

Nähe, und ich fragte, was er mit dem Schweizer Zoll zu tun habe.<br />

Ach, das ist gar nix (gar nix war ganz schön lang!) und überhaupt<br />

nicht spruchreif. Aha. Schon wird frau erst recht neugierig!<br />

Ich hab wirklich lange gebohrt, wie in einen tief kariösen Zahn, bis<br />

ich auf den Nerv traf, dann rückte er heraus… Er interessiere sich<br />

für einen Flieger in der Schweiz. Eine ASH31 Mi, mit 21 m.<br />

Jetzt war es raus!<br />

Und ich dachte, mein Max und sein Ventus wären das absolute<br />

Dreamteam! Sie hatten so viele schöne Stunden miteinander, die<br />

beiden waren glücklich! Ehrlich, noch vor kurzem beim Joggen<br />

meinte mein Max, „der Ventus ist mein Flieger fürs Leben. Mit<br />

dem werd ich alt!“ So sind sie, die Männer. Was juckt mich mein<br />

Geschwätz von gestern, jetzt sind 18 m zu kurz! Das Alter???<br />

Manche brauchen mehr PS, manche jüngere Frauen mit mehr ihr<br />

wisst schon, mein Max braucht längere Flügel!<br />

Aber mach dir keine Sorgen, meinte er, ich hatte zuletzt vor über<br />

acht Wochen Kontakt mit dem Besitzer und aus dem Segelflug -<br />

Anzeigenteil ist sie raus. Bestimmt ist sie verkauft, sie war so<br />

einzigartig ausgestattet. Die muss weg sein! Klingt so wie: Mach<br />

dir keine Sorgen, war nur ne kurze Affäre mit ihr, wir haben uns<br />

schon wieder getrennt…<br />

Wir Frauen wissen, so geht es nicht. Da war was passiert in<br />

meinem Max, und ich spürte eine neue Leidenschaft in ihm. Ja, ich<br />

bestärkte ihn darin, doch nochmal Kontakt zum Besitzer aufzunehmen.<br />

Wir befanden uns zu dieser Zeit in Pui, wie ja seit ein paar Jahren<br />

Ende August. Ich glaube wir sahen stündlich nach, ob eine Antwort<br />

aus der Schweiz kam.<br />

Sie kam. Die Mi sei noch nicht verkauft und ob es Max gut gehe…<br />

Unglaublich! So, jetzt ging es los. Die beiden verhandelten hin und<br />

her, und es waren außergewöhnlich sympathische Mails, wenn<br />

man bedenkt, um welche Summen es bei so einem Vogel doch<br />

geht! Mein Max leuchtete immer mehr. In seinem Kopf war nur<br />

noch Mi. So ist das mit Konkurrentinnen!!! Zumal wenn sie<br />

unschlagbare 21 m haben, da halte ich nicht mit! Ganz zufällig war<br />

der Heimatflugplatz der Mi quasi auf unserem Heimweg.<br />

Am letzten Tag in Pui setzte sich mein Max in unsere Golf Mike<br />

und sah mich mit waidwunden Augen an: Vielleicht ist das der<br />

letzte Flug mit meinem Ventus!!! Also was jetzt???<br />

Wir fuhren zum verabredeten Flugplatz. Der war in so einer Idylle,<br />

das war wie im Traum. Alles dort hat zusammengepasst: Die<br />

Umgebung, die aufgebaute Mi, deren Flügel in der untergehenden<br />

Sonne in voller Länge glänzten, und ein Besitzer, ich nenn ihn<br />

einfach Laurent, der so entspannt und zufrieden war, der suchte<br />

nicht mehr, der hatte schon alles gefunden…<br />

Es fielen nicht viele Worte. Max setzte sich in die Mi. Ich fragte: „Ist<br />

das dein Flieger?“ Er strahlte nur zurück… Es war um ihn geschehen!<br />

Auf diesem Flugplatz war nur Harmonie. Das sanfte Licht, die<br />

Zufriedenheit aller Beteiligten… Wir waren hinterher beim Essen<br />

und haben überlegt, war das ein Traum oder Wirklichkeit?<br />

Dann sah ich vor meinem geistigen Auge unsere Anzeige bei<br />

segelflug.de: Treuer Freund, aus guten und aus schlechten Tagen,<br />

der seinen Herrn niemals im Stich gelassen hat und im Laufe der<br />

Jahre noch perfektioniert wurde, nur in liebevollste Hände und<br />

sehr ungern abzugeben… Oh Gott! Unsere Golf Mike, unglaublich!<br />

Sie gehörte sieben Jahre zur Familie!<br />

Einen Vorteil jedenfalls hatte ja ein neuer Flieger: Mein Max hatte<br />

genau jetzt, wo die Saison zu Ende geht, wieder viel zu tun, zu<br />

regeln, zu träumen, zu planen… Keine Segelflugendzeitstimmung,<br />

sondern nur jede Menge Vorfreude!<br />

Am nächsten Tag fuhren wir nach Hause. Auf der Autobahn<br />

wurden wir von einem Kollegen aus Pui überholt, er fuhr ohne<br />

Hänger nach Hause. Er hat uns raus gewunken auf den<br />

Seitenstreifen, ich nenn ihn jetzt mal Thomas. Thomas hatte in<br />

einem Gespräch mitbekommen, dass unser Ventus eventuell den<br />

Besitzer wechseln sollte. Das Gespräch war wieder kurz: Wenn das<br />

klappt mit der Mi, dann ist er der Besitzer der Golf Mike. So schnell<br />

kann es gehen! Auf dem Seitenstreifen neben der A5. Ich kannte<br />

Thomas schon ein paar Jahre, wenigstens ist unsere GM dort in<br />

guten Händen! Und: Wir können sie immer im August wiedersehen!<br />

Und dann wird sie erzählen, was sie erlebt hat!<br />

Bis hierher war meine Kolumne fertig. Dann erreichte uns die<br />

unfassbare Nachricht, dass Laurent für immer in den Wolken<br />

geblieben ist. Seine Familie möchte, dass die Mi zu meinem Max<br />

kommt, wie es der Wille von Laurent gewesen ist.<br />

Wir haben beschlossen: es kann nur eine Golf Mike in unseren<br />

Leben gegeben haben; die Mi wird, wie Laurent es gewollt hat, für<br />

immer Zulu Zulu heißen. Und es wird keinen Tag mit ihr geben, an<br />

dem wir nicht angenehm an diesen Abend auf dem Flugplatz in<br />

der Schweiz und Laurent denken …<br />

segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 75

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