SEG_06-16
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Nr. 6 - November<br />
Dezember<br />
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Nr. 6 - November Dezember<br />
20<strong>16</strong><br />
segelfliegen<br />
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METEOROLOGIE<br />
Häufeles Wetter<br />
ENTWICKLUNG<br />
Verbesserte Flugleistung<br />
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FLUGZEUGE<br />
Stemme S12<br />
FLUGBERICHT<br />
Auf 7000 Meter in der<br />
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B 63027 | ISSN <strong>16</strong>2-1740 | Schweiz CHF 11,50 | Deutschland EUR 8,50 | EU-Länder EUR 8,50
EDITORIAL<br />
Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />
heute ein paar Gedanken über die Gebrauchstauglichkeit (in Englisch unter der Bezeichnung<br />
„Usability“ bekannt) der „Kommunikation“ unserer Aviatik-Behörden.<br />
Ernst Willi<br />
Chefredaktion<br />
Bei den Abklärungen zum Bericht über die jährlichen Unterhalts-Maßnahmen für Segelflugzeuge<br />
und -Antriebe konnte ich wie schon bei früheren Gelegenheiten trotz mehr als einer Stunde<br />
Suchens auf der EASA-Internetseite die Grundlagen, welche diese Arbeiten regeln, nicht finden.<br />
Die interne Suchmaschine lieferte (wegen mangelhafter Schlagwort-Ablage) schlechtere Treffer als<br />
die weltweit verbreitetste Suchmaschine – wenn sie überhaupt Treffer lieferte, dann nur Anglizismen<br />
und unverständliche Abkürzungen. Auch die Erneuerung des Fluglehrer-Ausweises auf der<br />
Website des Schweizer Bundesamtes für Zivilluftfahrt bescherte mir ein ähnliches Erlebnis – wenn<br />
auch etwas kürzer: nach immerhin 20 Minuten (!) fand ich in der berüchtigten „Formularsammlung“<br />
des BAZL ein englischsprachiges PDF, welches jenen ähnlich sah, die ich bisher verwendete.<br />
Ganz sicher war ich mir aber nicht, unser Cheffluglehrer musste als Auskunftsdienst sicherstellen,<br />
dass ich meinen Fluglehrer-Ausweis mit dem richtigen Formular verlängere, um nicht unverhofft<br />
eine Helikopter-Lizenz zu erhalten.<br />
Der DAeC meldet gleichzeitig, dass er außerstande ist, die Übersetzungskosten der EASA-Reglementsflut<br />
zu tragen und verlangt vom Verkehrsministerium finanzielle Unterstützung. Nach<br />
meiner Beobachtung ist er der einzige Dachverband in der DACH-Region (Deutschland, Österreich<br />
und Schweiz), der sich Gedanken darüber macht, ob seine Verlautbarungen verständlich sind und<br />
im Hirn der Benutzer ankommen (können). Entsprechend unterhält der DAeC tatsächlich die bei<br />
weitem am besten verständliche Informationsplattform für Piloten, Unterhaltsbetriebe und alle<br />
anderen in der allgemeinen Luftfahrt Beschäftigten.<br />
Wenn sich die Verantwortlichen des Bürokratie-Monsters EASA über mangelnde Akzeptanz<br />
wundern, ist seine absolut unverständliche Kommunikation eine der Haupt-Ursachen. Die<br />
Übermittlung einer Information, die ankommen muss, enthält zwei Dinge: einen Absender, der<br />
verständliche Signale sendet. Und einen Empfänger, der bereit und in der Lage ist, diese Signale zu<br />
empfangen und zu verstehen. In der Aviatik trifft der erste Teil leider selten zu.<br />
Erstens müssen EASA-Verlautbarungen wie auch jene der nationalen Behörden in den Landessprachen<br />
verfasst sein. Und zweitens müssen sie verständlich formuliert werden. Man würde meinen,<br />
dass eine Behörde mit mehr als 6000 Mitarbeitern in der Lage ist, ihre Verlautbarungen nicht nur<br />
in von Abkürzungen entstelltem Fach-Englisch, sondern auch in die etwa 20 europäischen<br />
Haupt-Sprachen zu übersetzen und ein Verzeichnis zu erstellen, das Abkürzungen erklärt. Im<br />
gewaltigen EASA-Gesamtbudget sind mit etwas gutem Willen bestimmt externe Übersetzungskosten<br />
in siebenstelliger Höhe unterzubringen, sollten ihre Mitarbeiter aus aller Herren Länder<br />
dazu nicht selber in der Lage sein. Es gibt in Europa garantiert Übersetzungs-Dienste, welche für<br />
einen solchen Betrag jedes Jahr die gesamten Verlautbarungen und Hunderte von Formularen<br />
übersetzen würden.<br />
Den nationalen Behörden will ich bei dieser Gelegenheit auf den Weg geben, dass die Ausweiserneuerung<br />
ein regelmäßiger Berührungspunkt des normalen Fußvolkes mit den weit darüber<br />
schwebenden Amtsstellen ist – und dass es zur Arterhaltung zweckmäßig ist, diese Berührungspunkte<br />
einfach und verständlich zu gestalten. In der freien Wildbahn der Privatwirtschaft wird<br />
jeder Anbieter, der diese Tatsache nicht beachtet, automatisch aussortiert und durch fähigere<br />
ersetzt. Amtsstellen kann das nur passieren, wenn sie keine Kunden, sprich Piloten mehr haben,<br />
die sie „bedienen“ (kommt von dienen) können. Da sind wir Segelflieger auf dem besten Weg –<br />
jährlich gehen in jedem Land unzählige Piloten-Lizenzen verloren, weil ihren Inhabern der beste<br />
Sport von allen vor allem am Boden zu mühselig geworden ist. Es wird Zeit, dass dies auch unsere<br />
Aufsichtsbehörden endlich erkennen und handeln.<br />
Always happy landings,<br />
Ihr<br />
segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 3
Inhalt<br />
Foto: Christoph Talle<br />
TITEL: www.simonrainer.com<br />
3 EDITORIAL<br />
5 MARKTPLATZ/LESERPOST<br />
74 IMPRESSUM/VORSCHAU<br />
FLUGZEUGE<br />
6 Stemme S12: Das Abenteuer kann beginnen<br />
FLUGGEBIET<br />
14 Südalpen Teil 2: Vom Veltlin ins Aosta-Tal<br />
METEOROLOGIE<br />
22 Häufeles Wetter<br />
ENTWICKLUNG<br />
30 Möglichkeiten für aerodynamische Verbesserungen:<br />
Neue Winglets bei DG<br />
PILOT‘S REPORT<br />
36 LS8 neo: Grand-Prix-Training mit den neuen Winglets<br />
SICHERHEIT<br />
40 Mensch und Flugzeug: Weniger ist mehr<br />
FLUGBERICHT<br />
44 Bis auf 7000 Meter in der Langen Welle von Jesenik<br />
52 Segelflugparadies Fuentemilanos: „Hammer fett, Bombe krass“<br />
WERKSTATT<br />
56 Flugzeug und Motor richtig überwintern<br />
SHARE YOUR EXPERIENCE<br />
62 Landung auf dem Wasserflugplatz<br />
HUMAN FACTORS<br />
64 Biofeedback im Segelflug? – Biofeet!<br />
REPORTAGE<br />
68 Serie: Unglaubliche Flüge und Segelflug-Pionierleistungen<br />
25. April 1972 – Von Lübeck nach Biaritz<br />
HISTORIE<br />
72 Die R0lle des Segelflugs im Fluglotsenstreik der 70er Jahre<br />
KOLUMNE<br />
75 Zulu Zulu<br />
4 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>
LESERPOST / MARKTPLATZ<br />
Ausgabe 03/20<strong>16</strong><br />
„Smartphones on air“<br />
Bei Flugzeug-Suchaktionen ist die Ortung<br />
des Handys eine der wenigen Möglichkeiten,<br />
die man hat. Wir sammeln deshalb<br />
z. B. alle Handynummern unserer Gäste,<br />
und im Fall der Fälle kann man so über<br />
einen Schnellrichter einen Beschluss zur<br />
Handyortung beantragen, was auch schon<br />
durchgeführt wurde. Generell versucht man<br />
zuerst, den gesuchten Piloten anzurufen<br />
bzw. funktionieren SMS, solange man in<br />
der Luft ist, viel besser. Wenn man nun das<br />
Handysignal deaktiviert, nimmt man sich<br />
all diese Möglichkeiten!<br />
Christian Hynek<br />
Ich freue mich auf das nächste Heft und<br />
möchte gerne sagen, dass ich eigentlich<br />
jedes Wort in diesem Heft lese, jeden<br />
Artikel, es ist wirklich eine Freude.<br />
Flurin Könz<br />
Wir freuen uns über Ihre Zuschrift!<br />
Sagen Sie uns, was Sie bewegt und<br />
schicken Sie uns eine Mail an:<br />
bg@segelfliegen-magazin.com<br />
Leserzuschriften geben die Meinung<br />
des Verfassers, nicht die des Verlags<br />
wieder. Die Redaktion behält sich vor,<br />
Zuschriften zu kürzen.<br />
Segelflugzeuge landen auf dem Helvetiaplatz Zürich<br />
Köbi Möri, OK-Chef SFK<br />
Der Schweizerische Segelflugverband (SFVS) tagt am 26.11.20<strong>16</strong><br />
im Volkshaus Zürich. Dazu werden sämtliche Segelflugpilotinnen<br />
und Piloten aus der ganzen Schweiz eingeladen. Dieser<br />
Anlass findet traditionell seit Jahrzehnten alljährlich im November<br />
statt. Diese Veranstaltung dient als Rückblick auf die vergangene<br />
Flugsaison, berichtet über aktuelle Situationen im Luftraum<br />
Schweiz, zeigt in einer Ausstellung die neusten Instrumente,<br />
Geräte und vieles mehr. Referate und Ehrungen begleiten den<br />
Anlass und anwesend sind auch die Juniorennationalmannschaft<br />
und die Nationalmannschaft.<br />
Die Segelfluggruppe Zürich (SGZ) wurde vom SFVS beauftragt,<br />
diese Tagung zu organisieren. Der Verein, seit weit über 80 Jahren<br />
in der Stadt Zürich daheim, will mehr als nur die Segelflugkonferenz<br />
(SFK) durchführen. Wir wollen einerseits Präsenz markieren<br />
und uns der Bevölkerung in der Stadt Zürich vorstellen und Nachwuchsförderung<br />
betreiben. Seit vielen Jahrzehnten betreiben wir<br />
unser Hobby, unsere Sportart außerhalb der Stadt, ja sogar außerhalb<br />
des Kantons und seit knapp 50 Jahren auf dem Flugplatz<br />
Ein Sommertag mit Flugbetrieb auf dem Flugplatz Buttwil<br />
AG, der Homebase der Segelfluggruppe Zürich<br />
Buttwil AG, davor auf dem Flugplatz Spreitenbach AG. Der<br />
Vorsteher des Schul- und Sportamtes, Stadtrat Gerold Lauber,<br />
übernimmt das Patronat und fördert so unsere Aktion „Jugend<br />
und Sport“ in der Sparte Segelflug.<br />
Wir landen an der diesjährigen Segelflugkonfernz sozusagen<br />
mitten in der Stadt auf dem Helvetiaplatz mit einigen eleganten<br />
Segelflugzeugen und laden die Leute ein, unseren motorlosen<br />
Sport hautnah in Augenschein zu nehmen. Es gibt wohl kaum ein<br />
vergleichbares, hochtechnisiertes Gerät, das ausschließlich mit<br />
Sonnenenergie an einem einzigen Tag hunderte, ja weit über<br />
tausend Kilometer weit fliegen kann mit Spitzengeschwindigkeiten<br />
von bis zu 300 km/h.<br />
Um Segelflugpilot zu werden, bedarf es einer gründlichen, praktischen<br />
und theoretischen Ausbildung. Diese bieten wir an mit<br />
eigenen, ehrenamtlich tätigen Fluglehrern. Unsere Saison dauert<br />
in der Regel von April bis Oktober (je nach geeignetem Wetter). In<br />
dieser Zeit findet die praktische Ausbildung an Wochenenden<br />
statt. In der Wintersaison, also jetzt, besteht das Angebot, die<br />
theoretischen Kenntnisse zu erwerben.<br />
Als Verein in der Stadt Zürich wollen wir mit den gelandeten Flugzeugen<br />
Zürcherinnen und Zürcher bewegen, mit uns in die ganze<br />
Schweiz und weit darüber auch angrenzende Landschaften im<br />
motorlosen Flug mit ins Cockpit<br />
einladen. Eine schöne Vorstellung ist<br />
es für uns, wenn aus dieser Nachwuchsaktion<br />
sogar ein Schweizermeister,<br />
Europameister oder sogar<br />
ein Weltmeister herauswachsen<br />
würden.<br />
Weitere Informationen:<br />
Segelfluggruppe<br />
Zürich:<br />
www.sgzuerich.ch<br />
Segelflugkonferenz<br />
über nebenstehenden<br />
QR-Code:<br />
segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 5
FLUGZEUGE<br />
STEMME S12 –<br />
Das Abenteuer<br />
Von Markus Lewandowski<br />
Fotos: Simon Rainer, Gregor Anthez<br />
6 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>
FLUGZEUGE<br />
Konkurrenzlos. Kein anderes Konzept hat den Spagat zwischen<br />
Segelflug- und Motorflugzeug so gut geschafft wie die Stemme<br />
S10. Seit bereits 30 Jahren begeistert der „Zwitterflieger“ die<br />
Fliegerwelt. Anfang diesen Jahres wurde die S10 vollständig von<br />
ihrem Nachfolger S12 Twin Voyager abgelöst.<br />
Wir haben sie einen Monat lang ausgiebig testen dürfen und<br />
verraten Ihnen hier, was wirklich in der Kiste steckt.<br />
kann beginnen<br />
segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 7
FLUGZEUGE<br />
Anfang diesen Jahres wurde die<br />
Produktion der Stemme S10<br />
komplett durch die Produktion<br />
der neuen Stemme S12 ersetzt.<br />
Grundsätzlich ist die S12 eine Weitereinwicklung<br />
der S10 mit neuer Flügelgeometrie<br />
und größerer Spannweite, einem leicht<br />
vergrößerten Seitenleitwerk, einem breiteren<br />
Fahrwerk und einer höheren Zuladung<br />
von 850 auf 900 kg. Sie ist als<br />
eigenstartfähiges Segelflugzeug und nicht<br />
als Touringmotorsegler zugelassen und ist<br />
von ihrer Konstruktion deutlich mehr auf<br />
den Segelflug ausgelegt als ihr Vorgänger,<br />
die S10 VT. Derzeit kann die S12 nur mit<br />
einem Segelflugschein und einer Eigenstartberechtigung<br />
geflogen werden. Man<br />
munkelt aber schon, dass es bald eine<br />
weitere Version mit etwas kürzerer Spannweite<br />
als TMG geben wird um auch wieder<br />
das Motorflugpublikum zu bedienen.<br />
Cockpit<br />
Hat man es einmal mit akrobatischen<br />
Übungen über die hohe Bordwand ins<br />
Cockpit geschafft, fühlt man sich in der S12<br />
wie in einem Raumschiff. Das Platzangebot<br />
ist großzügig und das Lederinterieur riecht<br />
nach Luxus. Die Sitzposition ist variabel<br />
und gemütlich und die Sicht durch die<br />
große Haube ist sensationell. Der große<br />
Der große Instrumentenpilz ist<br />
aufgeräumt, das Lederinterieur nobel<br />
mit Handyfach in der Mittelkonsole<br />
8 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>
FLUGZEUGE<br />
Side-by-Side-Cockpit: Bei den Controls<br />
ist Muskelkraft gefragt.<br />
Instrumentenpilz ist aufgeräumt, vermittelt<br />
aber ganz klar, dass das ein komplexes<br />
Flugzeug ist. Sehr angenehm sind die breite<br />
Mittelkonsole und die Beinfreiheit in alle<br />
Richtungen. Die Sitzposition nebeneinander<br />
ist anfänglich für viele Segelflieger ungewohnt,<br />
stellt sich aber dann als angenehm<br />
und vor allem kommunikationsfreudig<br />
heraus. Für Gepäck ist neben zwei Sauerstoffflaschen<br />
ausreichend Stauraum<br />
vorhanden. Selbst an ein verschließbares<br />
Fach für Handys in der Mittelkonsole<br />
wurde gedacht. Lediglich Sitzriesen haben<br />
mit einem gewöhnlichen Headset im<br />
Motorflug nach oben zur Haube hin etwas<br />
wenig Platz. Hier kann man sich aber mit<br />
entsprechenden In-Ear Headsets Abhilfe<br />
schaffen.<br />
An Flügel und Winglets gibt es optisch nichts auszusetzen, dem Profil aus den<br />
späten 80er Jahren täte allerdings eine Veränderung gut. Dafür ist die Konstruktion<br />
des Propellers das Erfolgsgeheimnis dieses Fliegers<br />
Die Flügel<br />
Die zentrale Neuerung bei der S12 sind die<br />
Flügel. Hier wurde im Vergleich zur S10 die<br />
Geometrie ab dem Mittelstück geändert<br />
und die Spannweite von 23 auf 25 Meter<br />
verlängert. Der einteilige Innenflügel mit<br />
seinen integrierten 2 x 60 Liter Kraftstofftanks<br />
und der gesamte Profilstrack sind<br />
unverändert. Das Profil ist aus den späten<br />
80er Jahren und schreit beim ersten<br />
Anblick nach Erneuerung. Die Außenflügel<br />
mit der Option auf zukünftig zwei Spannweiten<br />
sind mit neuen Wingelts versehen.<br />
Die Flügel und die Winglets sind optisch<br />
sehr gelungen, sofern sie nicht mit der<br />
optional aufsteckbaren Motorflugbeleuchtung<br />
entstellt werden. Hier wünscht man<br />
sich sofort eine integrierte Lösung, wie<br />
man Sie von anderen Flugzeugherstellern<br />
kennt. Ebenfalls unverändert ist der<br />
bewährte und Stemme-typische Flügel-<br />
Klappmechanismus. Allerdings stellt sich<br />
durch die größere Spannweite der S12 beim<br />
Falten das Leitwerk in den Weg, was bei der<br />
S10 mit 23 Metern kein Problem war. Das<br />
Flächenende der S12 muss man in etwa 1,8<br />
Meter über das Höhenruder heben. Für das<br />
Falten der Flächen ist eine zweite Person<br />
jedenfalls von Vorteil.<br />
Propeller<br />
Das Herzstück des Flugzeugs ist ganz klar<br />
das einzigartige Propellersystem in der<br />
nach vorne aufschiebbaren Rumpfnase.<br />
Der faltbare Propeller mit einem Durchmesser<br />
von 1,63 Meter ist mit elektrisch<br />
segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 9
FLUGZEUGE<br />
geheizten Thermoelementen verstellbar.<br />
Eine automatische Drehzahlverstellung<br />
gibt es nicht. Die durch die Federkraft<br />
selbst-faltenden Propellerblätter sind aus<br />
CFK gefertigt und sitzen auf einer zentralen<br />
Aluminiumgabel, die wiederum auf der<br />
CFK-Motorwelle befestigt ist. Die Propellereinheit<br />
hat eine Freilaufkupplung und eine<br />
mechanische Propellerbremse, um den<br />
Propeller in der Luft nach dem Abstellen des<br />
Motors zu bremsen und dann mechanisch<br />
zu positionieren. Dann wird der Propellerdom<br />
für den Segeflug wieder darüber<br />
geschoben. Diese komplexe und filigrane<br />
Konstruktion funktioniert sehr zuverlässig<br />
und ist der Schlüssel für die Einzigartigkeit<br />
und den Erfolg des Flugzeugs.<br />
Motor<br />
Das Triebwerk ist alt-bewährt und ausgereift.<br />
Zum Einsatz kommt der turbogeladene<br />
Rotax 914, der als Mittelmotor im<br />
zentralen Stahlrohrkäfig schwerpunktneutral<br />
verbaut ist. Er leistet maximal 115 PS für<br />
etwa zwei Minuten und steht dann im<br />
Dauerbetrieb mit maximal 100 Pferdchen<br />
zur Verfügung. Über eine spezielle<br />
CFK-Welle treibt der Motor ein Getriebe<br />
mit Freilaufkupplung und das wiederum<br />
den in der Rumpfnase montierten Faltpropeller<br />
an. Im ökonomischen Powersetting<br />
verbraucht das Triebwerk zwischen 14 und<br />
<strong>16</strong> Liter Superbenzin pro Stunde.<br />
Rumpf und Fahrwerk<br />
Der charakteristische Kaulquappenrumpf<br />
ist gleich geblieben. Lediglich das Seitenleitwerk<br />
wurde mit einem Heckwassertank<br />
ausgestattet und im Rumpfrücken wurde<br />
noch ein 20-kg-Gepäckfach nachgerüstet.<br />
Neu ist allerdings das Fahrwerk. Es ist um<br />
knapp 30 cm breiter als bei der S10 und hat<br />
größere Räder, was wegen der größeren<br />
Spannweite dem bekannten Geschaukel<br />
am Boden etwas entgegen wirken soll. Die<br />
größeren Rader geben ihr vor allem etwas<br />
mehr Bodenfreiheit, was besonders die<br />
Eigenschaften bei Seitenwindlandungen<br />
verbessert.<br />
Flugleistungen<br />
Die S12 ist ein Wolf im Schafspelz. Sie<br />
wurde von der EASA als Segelflugzeug mit<br />
Hilfstriebwerk eingestuft und zugelassen.<br />
Dass das nach Understatement riecht, ist<br />
klar. Im Motorbetrieb stellt die Stemme S12<br />
so ziemlich alle Reisemotorsegler und auch<br />
viele Motorflugzeuge von den Flugleistungen<br />
in den Schatten. Ist das Fahrwerk<br />
Das Fahrwerk bekam größere Räder und damit etwas mehr Bodenfreiheit<br />
In den Rumpfrücken wurde ein zusätzliches Gepäckfach integriert<br />
einmal eingefahren, steigt sie bei max.<br />
Abfluggewicht von 900 kg und Vollgas mit<br />
gut über vier Meter die Sekunde. Reduziert<br />
man das Triebwerk auf 100% Dauerleistung,<br />
zeigt das Variometer immer noch<br />
gut über drei Meter die Sekunde Steigen an<br />
– und das schier endlos bis in sehr große<br />
Höhen dank des Turboladers. Vor dem<br />
Erreichen der Reiseflughöhe wird mit<br />
einem Schalter der Verstellpropeller elektrisch<br />
in die Reiseflugstellung gebracht.<br />
Nach etwa zwei Minuten merkt man, wie<br />
die Drehzahl zurück geht und man mit<br />
etwas mehr Gas den Propeller auf 4600 U/<br />
min setzen kann. Das ist in etwa ein Powersetting<br />
von 60%. Nun macht der Flieger<br />
etwa 200 km/h angezeigte Reisegeschwindigkeit<br />
bei etwa <strong>16</strong> Liter Superbenzin die<br />
Stunde. Das reicht dann für etwa sieben<br />
Stunden Flugzeit oder rund 1400 km.<br />
Richtig effizient und schnell wird die S12<br />
mit ihren 25 Metern Spannweite und<br />
Turbolader aber erst ab FL 100. Da sind<br />
dann gleich mal 120 Kt TAS und mehr drin.<br />
Aber wer will das schon – das wird dann<br />
irgendwann langweilig und wenn man<br />
über die Schultern entlang der langen<br />
Flächen schaut, wird man sofort daran<br />
erinnert, die S12 wieder als Segeflugzeug zu<br />
genießen. Schließlich sind das Triebwerk<br />
und der Propeller wortwörtlich im Handumdrehen<br />
abgestellt und verstaut.<br />
Im Segelflug merkt man der S12 dann auch<br />
die Größe und die Masse an. Die Ruder sind<br />
schwergängig, geben dem Flieger aber<br />
trotzdem eine passable Agilität und<br />
vermitteln einem recht schnell, wo der<br />
Aufwind steht. Beim steilem Eindrehen<br />
wünscht man sich allerdings etwas mehr<br />
Seitenruderwirkung. Wenn sie mal im<br />
Aufwind ist, fliegt sie unglaublich stabil<br />
und steigt auch richtig gut. Hier kommt<br />
man das erste Mal auf den Geschmack der<br />
elektrischen Trimmung. Sie ist präzise und<br />
mit dem Daumen am Knüppel sehr angenehm<br />
zu dosieren. Kurvenwechsel in der<br />
10 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>
FLUGZEUGE<br />
Das Handling der Stemme S12 ist<br />
aufgrund ihrer Größe und Masse<br />
gewöhnungsbedürftig – hat man das<br />
aber erstmal im Griff, lässt sie sich<br />
auch in schwachen und schwierigen<br />
Situation problemlos fliegen<br />
Thermik und am Hang sind natürlich Arbeit<br />
und brauchen etwas Gewöhnung wie bei<br />
jedem Offene-Klasse-Flieger. Sie bewegen<br />
ja schließlich mit gut 900 kg auch eines der<br />
schwersten Segeflugzeuge der heutigen<br />
Zeit durch die Luft. Hat man sich mal an<br />
Ihre Handlingeigenschaften gewöhnt,<br />
merkt man, dass die S12 auch schwache<br />
und schwierige Situation meistert. Selbst<br />
enges Fliegen am Hang mit viel Querlage<br />
macht sie mit. Ein großer Vorteil ist hier die<br />
ausgesprochene Gutmütigkeit, denn ein<br />
Abkippen ist fast unmöglich. Vor allem<br />
beim Gleiten merkt man, dass das Profil<br />
schon in die Jahre gekommen ist. In<br />
Vergleichsflügen mit einem Arcus M bei<br />
annähernd gleicher Flächenbelastung<br />
waren beide Flugzeuge im Gleiten bis zu<br />
einer Geschwindigkeit von 140 km/h recht<br />
ebenbürtig, darüber war dann der Arcus<br />
deutlich besser. Das segelfliegerische Jagdgebiet<br />
der S12 sind aber ganz klar Wind und<br />
Wellenwetterlagen in den Bergen. Wenn<br />
Technische Daten<br />
Typ<br />
Bauweise<br />
Propeller<br />
Fahrwerk<br />
Länge<br />
Höhe<br />
Breite<br />
Spannweite<br />
Flügelfläche 19,95 m 2<br />
Streckung 31,5<br />
Gleitzahl etwa 50<br />
Stemme S12 Twin Voyager<br />
Segeflugzeug mit Hilfstriebwerk, Einziehfahrwerk<br />
und Wölbklappen<br />
GFK/CFK/ Stahlgitter<br />
Zweiblatt-Faltpropeller in der Rumpfnase<br />
Zweibein-Hauptfahrwerk elektrisch einziehbar,<br />
lenkbares Spornrad<br />
8,42 m<br />
1,75 m<br />
1,18 m<br />
25,07 m<br />
Mittlere Flügeltiefe<br />
0,741 m<br />
Profil HQ 41/14.35<br />
Bremsklappen<br />
Schempp-Hirth<br />
Max. Abfluggewicht<br />
900 kg<br />
Leergewicht<br />
690 kg<br />
Max. Flächenbelastung 45,11 kg/m 2<br />
Triebwerk<br />
ROTAX 914 turbo<br />
Dienstgipfelhöhe<br />
9100 m<br />
Startleistung<br />
115 Ps bei 5800 U/m<br />
Max. Dauerleistung<br />
100 Ps 5500 U/m<br />
Max Treibstoffverbrauch<br />
bei 115% mit 33,0 l/h<br />
Eco Treibstoffverbrauch<br />
60% mit <strong>16</strong> l/h<br />
Reichweite<br />
1400 km<br />
Treibstofftanks<br />
2x 60l<br />
Besonderheiten:<br />
Autopilot, elektrische Trimmung<br />
segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 11
FLUGZEUGE<br />
was man braucht. Damit ist die S12 mit<br />
Sicherheit das teuerste in Serie gefertigte<br />
Segelflugzeug mit Hilfstriebwerk. Berücksichtigt<br />
man allerdings die einmaligen<br />
Zwittereigenschaften und die Tatsache,<br />
dass man mit einem Flugzeug den besten<br />
Kompromiss aus Segel- und Motorflugzeug<br />
bekommt, relativiert sich der Preis<br />
etwas. Das Rundumsorglospaket mit Autopiloten,<br />
Nachtflugausstattung und Transes<br />
mit langen Aufwindlinien oder am Hang<br />
geradaus geht, ist sie in Ihrem Element. Mit<br />
dem Abkleben sämtlicher Spalte um die<br />
Flächen und die darunter liegende Motorraumverkleidung<br />
kann man das Fahrtgeräusch<br />
erheblich reduziueren. Aerodynamische<br />
Stolpersteine wie die Transponderund<br />
ELT-Antenne und die Motorflugbeleuchtung<br />
sollte man in die Struktur integrieren.<br />
Auch das Auspuffrohr könnte man<br />
strömungstechnisch eleganter lösen. Vor<br />
allem an den Flächen lassen sich noch viele<br />
Details mit wenig Aufwand abdichten und<br />
aerodynamisch verbessern. Die S12 hätte<br />
mit einigen dieser Verbesserungen Potenzial,<br />
fast schon ein Rennflugzeug zu werden.<br />
Aber wer weiß, vielleicht gibt es in<br />
einigen Jahren eine FAI-Klasse für Reisemotorsegler.<br />
Da wäre die S12 ganz klar die<br />
erste Wahl.<br />
Wartung und Instandhaltung<br />
Die Stemme S12 ist von der Instandhaltung<br />
her natürlich etwas aufwändiger und<br />
teurer als andere Motorsegler. Grund dafür<br />
ist das spezielle Propellersystem und der<br />
zentral im Rumpf eingebaute Motor. Wird<br />
sie, ihrer Konstruktion entsprechend, als<br />
eigenstartfähiges Segelflugzeug betrieben,<br />
ist sie vom Wartungsaufwand je Flugminute<br />
aber fast um die Hälfte günstiger als<br />
ein aktuelles doppelsitziges Segelflugzeug<br />
mit Klapptriebwerk. Dazu kommt ein<br />
geringer Treibstoffverbrauch und dank des<br />
laufruhigen Triebwerks, der Welle und des<br />
Propellers auch keine teuren Vibrationsschäden<br />
wie bei den üblichen Zeitaktmotoren<br />
von Eigenstartern.<br />
Die Wartungsintervalle des Rotax 914<br />
Triebwerks sind bei den üblichen 50<br />
Stunden und können je nach Instandhaltungsprogramm<br />
selbst oder bei jedem<br />
herkömmlichen Wartungsbetrieb gemacht<br />
werden. Dasselbe gilt für die Flugzeugzelle.<br />
Diese muss nach 100 Stunden oder einmal<br />
jährlich nach dem Wartungshandbuch<br />
kontrolliert werden, je nach dem was<br />
früher eintritt. Die Inspektion der Propellereinheit<br />
steht bei 200 Stunden oder nach<br />
fünf Jahren an. Erreicht der Propeller eine<br />
Betriebszeit von 400 Stunden, ist eine<br />
Überholung fällig. Diese Arbeiten können<br />
nur von der Stemme AG in Strausberg<br />
gemacht werden.<br />
Kosten<br />
Los geht der Spaß mit dem Segelflugpacket<br />
bei etwa 360.000 Euro inkl. Steuer – dann<br />
aber voll instrumentiert und mit allem,<br />
portanhänger kratzt mit Steuer fast an der<br />
Schallmauer von einer halben Million Euro.<br />
Fazit<br />
Die Stemme S12 ist konkurrenzlos. Sie<br />
erntet bei immer mehr puristischen Segelflugpiloten<br />
Anerkennung und begeistert<br />
immer mehr Motorflugpiloten für den<br />
Segelflug. Der Trend mehr zum Segelflug<br />
hat der S12 gut getan und macht Hunger<br />
12 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>
FLUGZEUGE<br />
auf mehr. Wie wären wohl die Flugleistungen<br />
mit einer zeitgemäßen Aerodynamik<br />
an Flächen und Leitwerk? Das lässt auf<br />
jeden Fall noch mehr Potenzial bei den<br />
Segeflugleistungen vermuten. Auch wenn<br />
sich vermutlich dadurch die Kapazität der<br />
Treibstofftanks etwas verringern würde –<br />
das Mehr an Flugleistung wäre sicher<br />
bemerkenswert und würde das leicht<br />
entschädigen. Vor allem eine Verbesserung<br />
der Schnellflugeigenschaften im<br />
Segelflug würde der S12 auch im Motorflug<br />
deutlich mehr Vortrieb geben. Vielleicht<br />
gibt es auch noch Potenzial, bei der Fertigung<br />
und mit neuen Materialen Gewicht<br />
zu sparen. Das würde sich positiv auf die<br />
Zuladung und auf die Steigleistung im<br />
Segelflug auswirken. Trotz dieser Wünsche<br />
ist die aktuelle Stemme S12 eine tolle<br />
Botschafterin des lautlosen und eleganten<br />
Fluges in den entferntesten und unwirtlichsten<br />
Gegenden dieses Planeten und<br />
zieht ihre Kreise dort, wo noch nie zuvor ein<br />
Segelflugzeug geflogen ist. Auch in<br />
unseren Breiten ist sie immer wieder ein<br />
gern gesehenes „Mutterschiff“ in einer<br />
ganz eigenen Klasse. Mit der Stemme<br />
bekommen Sie schließlich ein Segelflugzeug,<br />
dass Sie über den Mount Everest und<br />
sogar einmal um die Erde bringt. t<br />
segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 13
FLUGGEBIET<br />
FLUGGEBIET SÜDALPEN, TEIL 2<br />
Eine königliche Reise –<br />
vom Veltlin ins Aosta-Tal<br />
Text: Ernst Willi.<br />
Fotos: Aldo Cernezzi, Mathias Schunk, Ernst Willi, StrePla, FlightPlanner<br />
Der zweite Artikel aus unserer Serie über das Fluggebiet „Südalpen“ umfasst diesmal den Flugweg<br />
vom Monte Legnone am Westende des Veltlins bis ins Aosta-Tal. Bestimmt interessieren Sie sich für den<br />
Unterschied zwischen der „großen“ und „kleinen Banane“ – und vermutlich noch mehr,<br />
an welchen Hotspots Sie Ihr Höhenmeter-Konto wieder auffüllen können.<br />
2 3 4 6<br />
1<br />
7<br />
5<br />
Die beiden beschriebenen Flugstrecken (orange und violett) und ihre Aufwindquellen, grafisch dargestellt.<br />
Die Nummerierung entspricht den Fotos auf den folgenden Seiten<br />
14 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>
FLUGGEBIET<br />
Bild 1: Nordspitze des Comer Sees, Blick vom Monte Legnone in Richtung Nord-Westen mit den berühmten Wolken-Aufreihungen<br />
Norditalien bietet großartige landschaftliche Eindrücke.<br />
Zahlreiche Segelflug-Gespanne ziehen deshalb schon<br />
früh zu Saisonbeginn aus dem nördlichen Teil Europas<br />
auf die Flugplätze Caiolo im Veltlin, nach Locarno oder<br />
Calcinate del Pesce, Alzate-Brianza am Rande der Po-Ebene,<br />
Valbrembo am Nordwestrand der CTR Bergamo, Ambri in der<br />
Schweizer Leventina oder den im Frühjahr temporär wieder zum<br />
Leben erweckten ehemaligen Flugplatz bei San Vittore. Den<br />
westlichen Teil der Region schließen die Flugfelder in Masera bei<br />
Domodossola und der große Flugplatz in Aosta ab.<br />
Letztere weisen ein paar Nachteile auf; diese Spezialitäten finden<br />
Sie in unserem Online-Artikel mit den detaillierten Flugplatz-Informationen<br />
(QR-Code am Ende des Artikels).<br />
Glasklare Frühlingstage im gleißenden Licht<br />
Aber was ist denn nun genau mit der „großen und kleinen<br />
Banane“ gemeint? Wer je einmal das Privileg und das Vergnügen<br />
hatte, vom Monte Legnone am Westende des Veltlins an einem<br />
dieser glasklaren Frühlings-Tage mit leichtem Nordwind, einer<br />
noch flach in die Schneelandschaften scheinende Sonne ins gleißende<br />
Licht nach Westen zu blicken, weiss, was gemeint ist: zwei<br />
großartige Wolken-Aufreihungen, die sich scheinbar endlos bis<br />
ins ferne, im blauen Dunst versinkende Aosta-Tal hinüber ziehen<br />
(Bild oben). Die Cumuli der „großen Banane“ ziehen dabei in<br />
einem kleinen Umweg bis hinauf in die Schweizer Leventina, jene<br />
der „kleinen Banane“ führen direkt(er) über das Centovalli nach<br />
Westen, meist mit einer deutlich sichtbaren, tieferen Wolken-Untergrenze.<br />
Das bedeutet für das fliegerische Vergnügen jedoch<br />
keine Einschränkung, weil auch die Geografie des südlichen<br />
Alpen-Vorlandes markant tiefer liegt.<br />
Der Alpenbogen als gigantischer Parabolspiegel<br />
Ein weiterer Vorteil dieses Fluggebietes ist seine natürliche Form.<br />
Der Alpenbogen fängt die ersten zaghaften Sonnenstrahlen des<br />
Frühlings im Schutz der Tessiner und Walliser Bergriesen wie in<br />
einem gigantischen Parabolspiegel ein und leitet sie auf die<br />
zumeist knochentrockenen, noch laubfreien Waldböden.<br />
Während des Winters und des Frühlings herrschen in den Alpen<br />
häufig Nordwindlagen vor, was durch die Fallwind-Systeme die<br />
anströmenden Luftmassen abtrocknet und manchmal während<br />
Wochen für niederschlagslose Verhältnisse sorgt. Entsprechend<br />
schnell heizt sich der Untergrund auf, die labile Frühlingsluft<br />
offeriert die zweite wichtige Zutat für ein tolles Thermik-Menu.<br />
Die Windrichtung muss mit „N“ beginnen<br />
Die Windrichtungen mit einem „N“ im Namen prägen dieses<br />
Fluggebiet – wie bereits im Artikel in der letzten Ausgabe dieses<br />
Magazins über das Gebiet zwischen Lienz und dem Veltlin<br />
erwähnt. Diese Großwetterlagen eignen sich nicht nur für tolle<br />
Wellenflüge (darüber publizieren wir am Ende dieser Flugge-<br />
segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 15
FLUGGEBIET<br />
biet-Serie einen separaten Artikel mit einer Wellenkarte für Streckenflüge<br />
zwischen dem Rhônetal und Kärnten). Sie räumen<br />
auch die feucht-stabilen Luftmassen über der Poebene aus den<br />
Voralpen-Tälern nach Süden weg. Umgekehrt können Sie sich<br />
leicht vorstellen, was bei Windrichtungen mit einem „S“ im<br />
Namen passiert: Dabei werden die feuchten Luftmassen in die<br />
südlichen Alpentäler gedrückt, erst wird damit die Thermikbildung<br />
„erschlagen“, danach bilden sich im Südstau meist tagelang<br />
anhaltende Niederschläge.<br />
Die Außenlande-Situation –<br />
besser als zwischen Lienz und dem Veltlin<br />
Im Gegensatz zu der prekären Aussenlandesituation im Bozener-/<br />
Meraner Becken und dem Vinschgau ist das Segelfliegen<br />
zwischen dem Veltlin und Aosta spürbar entspannter. Dafür<br />
sorgen gut über das Fluggebiet verteilte Flugplätze, private<br />
(Gattinara) und teilweise militärische Flugfelder (Lodrino). Es ist<br />
nicht so, dass Sie als Pilot ebenso entspannt wie im deutschen<br />
Flachland umherfliegen können, wo man sich kaum entscheiden<br />
kann, auf welchem der zahlreich verfügbaren Landefelder man<br />
denn niedergehen soll – mit etwas Planung (Trichter-Theorie)<br />
lassen sich aber „richtige“ Außenlandungen im flachen Gelände<br />
meistens dicht bebauten Gebiet zwischen Caiolo und Aosta<br />
vermeiden. Ein Spielverderber sind höchstens die teilweise hohen<br />
Passübergänge, welche die Erreichbarkeit einzelner Flugplätze<br />
einschränken (wie etwa Aosta von Osten her). Bitte beachten Sie<br />
dazu das extra für Sie online zusammengestellte Dossier über die<br />
Flugplätze des heute beschriebenen Fluggebietes, Sie finden<br />
diese Zusatz-Informationen am Ende des Artikels über den dort<br />
eingedruckten QR-Code auf unserer Internetseite.<br />
Wir beginnen im Veltlin<br />
Unser virtueller Startplatz für den heutigen Routenbeschrieb ist<br />
der Flugplatz Caiolo/Sondrio im Veltlin. Wir klinken an der Veltliner<br />
Südkrete am Monte Legnone aus und beginnen unseren<br />
Flug nach Westen, zuerst auf der Route der „kleinen Banane“, auf<br />
der Karte violett dargestellt. Zum Monte Legnone, dem<br />
markanten, westlichsten Gipfel des Veltlins, gelangt man über<br />
die verschiedenen Talriegel der westlichen Bergamasker Alpen<br />
und die Kalkgipfel der Grigna auch aus Valbrembo oder Alzate-Brianza.<br />
Der Monte Legnone ist dank seiner langen Flanken, die den<br />
ganzen Tag über auf ihren verschiedenen Seiten eingestrahlt<br />
sind, ein guter Thermik-Hotspot. Bei nördlichen Windrichtungen<br />
wird er über den Splügenpass direkt angeblasen und liefert<br />
Bild 2: Die Tessiner Alpen: Vom Nufenenpass aus überblicken wir das thermisch interessante Bedrettotal<br />
<strong>16</strong> segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>
FLUGGEBIET<br />
zuverlässige Hang-Aufwinde für den Sprung an den Jorio-Pass an<br />
der Grenze ins Tessin.<br />
Die weitere Streckenführung führt von dort auf die kahlen und<br />
seit dem frühen Morgen von der Sonne voll eingestrahlten Nordflanken<br />
des Pizzo Camoghé und bei Isone nördlich des Monte<br />
Ceneri. Würde der Anschluss an die Thermik hier misslingen,<br />
haben Sie gleich eine Auswahl an Landemöglichkeiten: einerseits<br />
die Außenlandewiese bei Porlezza, anderseits der Flugplatz<br />
Locarno sowie der im Frühling temporär mit Schleppbetrieb<br />
unterhaltenen ehemalige Flugplatz bei San Vittore (Frühlingslager<br />
des Schweizer Aero-Clubs) oder der Militärflugplatz in<br />
Lodrino. Hier müssen Sie zwar mit erschwerten Einreise-Schwierigkeiten<br />
direkt in ein militärisch genutztes Gebiet rechnen, aber<br />
als Notfall-Landefeld kann man in diesem Artikel Lodrino mit<br />
seiner Hartbelagpiste natürlich nicht weglassen. Der markanteste<br />
Thermik-Hotspot in der Region ist der Pizzo Claro an der<br />
Talgabelung zum Gotthard- und San-Bernardino-Pass. Er ist der<br />
Beginn der später beschriebenen „großen Banane“.<br />
Über Verzasca- und Maggiatal ins Valle Antigorio<br />
Nach der Talquerung und der bewilligungspflichtigen Querung<br />
der CTR Locarno mit ständigem Fallschirm- und militärischem<br />
Flugtrainings-Betrieb finden wir Anschluss an den südlichsten<br />
Ausläufern des Verzasca- und des Maggiatales. Die steilen<br />
Flanken produzieren gute Aufwinde, sofern man gleich über den<br />
Kreten den Flug fortsetzen kann. Unterhalb der steilen Flanken<br />
ist die Thermik weniger stark, dafür deutlich ruppiger.<br />
Eine etwas tiefere und weniger steile Alternative ist der Weg auf<br />
der Nordseite des Centovalli. Das Tal selber ist unlandbar, aber<br />
am Westende befindet sich mit Masera ein kleines Flugfeld, in<br />
Italien Aviosuperficie genannt, nahe bei Domodossola, direkt<br />
beim oder praktisch im Flussbett des Toce (Flusslauf des Valle<br />
Antigorio). Auf der Ostseite bietet sich als Landeplatz der Flugplatz<br />
Locarno an. Er besitzt eine Hartbelagpiste für den Motorflug<br />
und eine östlich davon gelegene, lange und oft feuchte Landewiese<br />
für den Segelflugbetrieb. In dieser Region ist das Einhalten<br />
der Trichterflug-Regeln Pflicht. Verlässt man jenen von Locarno,<br />
muss man hoch genug sein, um Masera zu erreichen, im Centovalli<br />
können Sie nicht unfallfrei landen.<br />
Die höchste Bergflanke Europas – die Monte Rosa-Südwand<br />
Die Region wird von einer gewaltigen, eis- und scheebedeckten<br />
Bergflanke überragt – der Monte Rosa-Südwand. Sie ist bereits<br />
von den Flugplätzen Alzate oder Calcinate aus beim Start deut-<br />
Bild 3: Blick vom Nufenenpasse ins Valle Antigorio, an dessen Südende Domodossola und das Flugfeld von Masera liegen<br />
segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 17
FLUGGEBIET<br />
lich sichtbar. Südlich an ihr vorbei zirkeln wir nun über insgesamt<br />
fünf Täler mit sehr hohen Gipfeln vorsichtig und soweit nördlich<br />
wie möglich hinüber ins Aostatal. Im Detail sind das die Kreten<br />
des Antrona-, des Anzasca- und des Sesia-Tales, weiter westlich<br />
folgen dann die noch wilderen des Val Gressoney und des<br />
Valtournanche. Klingende Gipfel-Namen wie etwa der „Corno<br />
Bianco“, die „Testa Grigia“ (ausgesprochen: Testagriitschah) oder<br />
der Grand Tournalin (wir nähern uns sprachlich der französischsprachigen<br />
Schweiz und Frankreich) liefern auch auf dem Variometer<br />
klangvolle Töne und heben uns deutlich über 3200 m MSL.<br />
Die sind auch nötig, die Gipfel nördlich von uns ragen bis weit<br />
über 4000 m MSL, hinauf und gehören zu den höchsten der<br />
italienisch-/schweizerischen Alpenregion.<br />
Vorsichtiger Fünf-Täler-Flug<br />
Südlich von uns, weit draußen in der Poebene, bietet sich hier<br />
höchstens das private<br />
Bild 4: Die endlos langen Geröllhalden am Nufenenpasse und auf der Nordseite des Bedrettotals<br />
sind zuverlässige Aufwind-Produzenten. Die Wolkenbasis liegt häufig nahe 4000 m MSL<br />
und garantiert weite Geradeausflüge auf beide Seiten des Alpen-Hauptkammes<br />
Landefeld von Gattinara als<br />
Landemöglichkeit an, sollte<br />
der Anschluss ins hohe<br />
Relief nicht wie gewünscht<br />
funktionieren. Das bedeutet<br />
hier gegenüber dem Beginn<br />
des Fluges noch verstärkt,<br />
dass Sie entweder Aosta<br />
oder Masera / Domodossola<br />
im Gleitflug erreichen<br />
können, wollen Sie nicht in<br />
ernsthafte Schwierigkeiten<br />
geraten, falls Sie unter die<br />
Kreten geraten. Die Voralpen-Region<br />
ist praktisch<br />
zugebaut, Vorsicht ist hier<br />
für einen problemlosen Flug<br />
Voraussetzung. Anderseits<br />
muss man auch sagen, dass<br />
Sie wahrscheinlich nicht bis<br />
hierhin gekommen wären,<br />
wären die thermischen<br />
Voraussetzungen bisher<br />
unzureichend gewesen.<br />
Das Aostatal – starker<br />
Talwind, große Basishöhen,<br />
starke Aufwinde<br />
Nachdem wir vorsichtig die<br />
endlos scheinenden fünf<br />
Täler seit dem Valle Antigorio<br />
überwunden haben,<br />
fliegen wir nun im Aostatal<br />
in ein kleines Segelflug-Paradies<br />
ein. Nicht nur des<br />
einmaligen Matterhorns<br />
wegen, das die nördlichen<br />
Granitzacken überragt. Vor<br />
allem auch der Aufwinde<br />
wegen. Beginnen wir mit<br />
den beiden tiefen Einstiegspunkten<br />
des Becca d’Aver<br />
und des Becca di Viou. Sie<br />
Bild 5: Blick von Matro<br />
(Talgabelung bei Biasca)<br />
nach Nordwesten in die<br />
Leventina und auf den<br />
Flugplatz Airolo<br />
18 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>
FLUGGEBIET<br />
stehen einerseits im ausgeprägten Talwindsystem, anderseits<br />
sind sie durch ihre kegelförmige Struktur den ganzen Tag über<br />
irgendwo eingestrahlt. Am Becca di Viou habe ich beispielsweise<br />
ab ca. 2000 m MSL schon einen Aufwind mit durchschnittlichen<br />
6,3 m/s (das Variometer war in Ordnung) bis hinauf auf 4300 m<br />
MSL erlebt und damit den problemlosen Einstieg ins wilde Valpelline<br />
südlich des Matterhorns und damit auch die Höhe für eine<br />
Alpenquerung ins Wallis (Zermatt) geschafft.<br />
Talwind-Systeme und Flugpläne<br />
Vorsicht ist hingegen angebracht, wenn man an den tiefen<br />
Einstiegspunkten nicht wegkommt und reflexartig nach Süden<br />
zum Aostatal hinaus fliehen will. Das Talwindsystem ist hier<br />
ausgesprochen stark und produziert bei südlichen Flugrichtungen<br />
Gegenwind. Jeder quer zum Haupttal stehende Hang<br />
erzeugt zwar auch in tiefen Lagen Hangaufwind – allerdings<br />
führt er selten weit darüber hinaus und nicht überall ist der<br />
Einstieg in das höhere Relief gegeben. Ein früher Entscheid für<br />
eine sichere Landung auf dem Flugplatz von Aosta ist die vernünftigere<br />
Option als eine kopflose Flucht nach Süden zum Aostatal<br />
hinaus – vor allem, weil da die Außenlandemöglichkeiten nicht<br />
wirklich besser werden.<br />
Der Nachteil von Aosta ist sein Status als „großer internationaler“<br />
Flugplatz. Er ist zum Beispiel eingezäunt. Man verlangt dort aber<br />
auch Dinge wie einen sauber ausgefüllten Flugplan mit vorbereiteter<br />
Rettungsausrüstung wie Dinghi, Schlauchboot usw. von<br />
Ihnen, sollten Sie angeben, ins Ausland ausfliegen zu wollen.<br />
Besser, sie erwähnen bei einem geplanten Flugzeugschlepp, sie<br />
wollten einen lokalen Flug unternehmen, selbst wenn Sie nach<br />
Frankreich oder in die Schweiz schleppen wollen. Sie können Ihr<br />
Flugzeug wegen des vermutlich nur einmal täglich eintreffenden<br />
Linienfluges nicht länger und unbeaufsichtigt am Pistenende<br />
stehen lassen – kurz: für Segelflugbetrieb von Piloten, welche die<br />
lokalen Erleichterungen nicht kennen, kein idealer Startort – aber<br />
immerhin eine absolut sichere Landemöglichkeit an der exakt<br />
richtigen Stelle.<br />
Zum Dessert ins „Tal der Wölfe“ und an den Mont Blanc<br />
Den krönenden Abschluss unserer heutigen Reise von Caiolo im<br />
Veltlin bis an den Petit St.-Bernard bildet der Aufwind des Mont<br />
Falère südlich des Großen Sankt-Bernhards. Er ist wie die vorhin<br />
erwähnten Hotspots kegelförmig, mit weit ausladenden,<br />
trockenen Alpweiden versehen – und steht im Talwindsystem.<br />
Normalerweise gelingt der Einstieg knapp über den Kreten und<br />
die Aufwinde tragen den glücklichen Segelflug-Besucher meist<br />
weit hinauf – bis 3600 m MSL.<br />
Das ist gleichzeitig der Einstieg ins Val Ferret – eines der schönsten<br />
und ursprünglichsten Alpentäler überhaupt. Das Tal trägt bei mir<br />
privat den Namen „Tal der Wölfe“, weil hier die bösen italienischen<br />
und französischen Wölfe ungefragt ins Wallis mit seinen<br />
braven, unbescholtenen und hoch subventionierten Schafen<br />
emigrieren und gelegentlich eines davon verspeisen – und von<br />
den dortigen militanten Jägern regelmässig legal und illegal<br />
gemeuchelt werden. Das wäre mir sonst von keinem Ort in<br />
Europa im gleichen Stil bekannt.<br />
Das davon unberührt wunderschöne Val Ferret führt nordöstlich<br />
von Courmayeur hinüber in die Schweiz, die nördliche Begrenzung<br />
bilden die Grandes Jorasses und natürlich der Mont Blanc,<br />
der mit 4810 m MSL der höchste europäische Gipfel ist. Wie Sie<br />
hier weiter ins und durchs Modanetal kommen, ist Gegenstand<br />
des nächsten Artikels in der Serie „Fluggebiet Südalpen“.<br />
Zurück zum Start an den Pizzo Claro für die zweite Runde<br />
Wir kehren nun virtuell an unseren Ausgangspunkt zurück, um<br />
den Flugweg der „großen Banane“ (auf der Karte orange eingezeichnet)<br />
abzufliegen. In dem Fall starten wir erneut am Monte<br />
Legnone und queren über den Jorio-Pass ins Schweizerische<br />
Misox (das Tal südlich des San Bernardino-Passes) und an den<br />
Pizzo Claro an der südlichen Talgabelung. Im Gegensatz zur<br />
ersten beschriebenen Flugstrecke führt nun der Weg aber nicht<br />
direkt westwärts ins Centovalli und ins Valle Antigorio – sondern<br />
nordwestwärts hinauf bis fast an den Gotthardpass.<br />
Am Pizzo Claro klettern wir virtuos und wie im Lehrbuch die<br />
ansteigenden und bestens eingestrahlten Südflanken hoch,<br />
übersteigen den ersten Gipfel und folgen nun der nordwestlich in<br />
die Leventina führenden, langgezogenen Krete. Die fliegerischen<br />
Möglichkeiten sind vielfältig und wir befinden uns hier auch<br />
ständig im Gleitbereich von Locarno, San Vittore, Lodrino und<br />
Gültig bis 31.12.20<strong>16</strong><br />
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segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 19
FLUGGEBIET<br />
Bild 6: Anflug Monte Rosa von Osten<br />
später Ambri. Die Region südlich des Lukmanier-Passes ist landschaftlich<br />
(und auch thermisch) ein Erlebnis, dasselbe gilt auch<br />
für die alternative Route etwas weiter südlich über die wilden<br />
Grenzgipfel zwischen der Leventina und dem Verzasca-Tal und<br />
später dem nördlichen Talabschluss des Valle Maggia. Hier<br />
nehmen wir über den gut eingestrahlten Hängen bei Bosco Gurin<br />
die größtmögliche Höhe mit, um ins Valle Antigorio einzufliegen<br />
und dann vorsichtig denselben Weg rund um den Monte Rosa<br />
um die fünf Täler zu schaffen. Die Walser Gemeinde Bosco Gurin<br />
ist übrigens die einzige deutschsprachige Gemeinde im sonst<br />
italienischsprachigen Tessin.<br />
Das Wasserschloss Europas<br />
Wir überfliegen hier eine Region mit über 20 größeren Stauseen,<br />
deren Wasserkraft auf der Alpen-Nord- wie auf der -Südseite<br />
genutzt wird. Auch deswegen lohnt sich der kleine Umweg bis<br />
beinahe an den Gotthard-Pass. Der Hauptgrund ist allerdings die<br />
üblicherweise höhere Wolken-Untergrenze als auf der südlichen<br />
Route.<br />
Bild 7: Blick vom Ostende des Centovalli nach Süden auf<br />
den Marktort Luine und den Regionalpark „Campo dei Fiori“<br />
20 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>
FLUGGEBIET<br />
Granitgrate, Gendarmen und andere Schönheiten<br />
Auf der hier beschriebenen Flugstrecke halten wir uns nun so<br />
nördlich wie möglich und umfliegen die Gletscherfelder des<br />
Monte Rosa so eng es geht – mit dem Ziel, direkt die steilen<br />
Granitflanken nördlich des Stausee im Valpelline zu erreichen.<br />
Die Basishöhen liegen hier an einem normalen Thermiktag mit<br />
weit über 4000 m MSL am höchsten – trotzdem bewegen wir uns<br />
des hohen Geländes wegen natürlich noch immer ständig in<br />
Bodennähe – Konzentration ist gefragt. Dafür ist aber die Szenerie<br />
umwerfend: Das Valpelline ist eine einzige Granit-Geröll-Wüste.<br />
Die endlos langen, kahlen Schluchten erzeugen entsprechend<br />
starke, enge Aufwinde. Die imposanten, zerklüfteten Grate, die<br />
einsam in den Himmel ragenden sog. „Gendarmen“ und die<br />
endlose Reihe der höchsten Gipfel der Walliser Alpen, alle übertroffen<br />
vom nordöstlichen Talabschluss, dem Mont Cervin (wie<br />
das Matterhorn auf Französisch heißt), bilden den würdigen<br />
Schlusspunkt eines königlichen Segelflugtages.<br />
Ein genauer Blick auf die Lufträume<br />
Der Querschnitt durch das Luftraum-Profil unserer beiden Flugwege<br />
zeigt zwei wichtige Einschränkungen. Jene der CTR Locarno<br />
mit ihrer den Tälern folgenden TMA lässt sich im Normalfall mit<br />
einer Durchflug-Genehmigung lösen. Einschränkender wirken<br />
sich drei Sperrgebiete LI-R 83 E und LI R 83 D „Ivrea“ südlich des<br />
Monte Rosa aus. Allerdings muss man in Rechnung stellen, dass<br />
600 Meter über Grund beispielsweise über dem Corno Bianco<br />
3900 m MSL entsprechen und damit selbst unter diesen Sperrgebieten<br />
ein gewisser Höhen-Spielraum zur Verfügung steht.<br />
Der behördliche Arm greift in Ihr Cockpit<br />
Nicht unterschätzen sollte man als Pilot die technischen GPS-Auswertungsmöglichkeiten,<br />
die inzwischen bis zu den davon betroffenen<br />
Behörden vorgedrungen sind. Es ist möglich, dass sie Ihre<br />
elektronischen Flugaufzeichnungen einfordern. Die Ausrede,<br />
diese existierten nicht, wirkt angesichts der heutigen Verbreitung<br />
von Moving-Map-Systemen mit automatischer Flugdaten-Speicherung<br />
nicht eben vertrauensbildend.<br />
Anderseits zeigt die Recherchier-Arbeit zu diesem Artikel einen<br />
störenden und gravierenden allgemeinen Mangel in der Informationspolitik<br />
der Luftfahrtbehörden. Es ist selbst nach zwei<br />
Stunden intensiven Suchens nicht möglich, zu den drei betroffenen<br />
Restricted Areas genauere Nutzungs-Bedingungen ausfinding<br />
zu machen – bis auf das hier, das ich auf einer ebenso inoffiziellen<br />
wie privaten Website gefunden habe: In aktive Restricted<br />
Areas darf nur mit Freigabe von ATC eingeflogen werden. Die<br />
meisten LI-Rs sind nur unter der Woche aktiv (AIP und NOTAMs<br />
checken). Was für mich auf gut Deutsch bedeutet: auf jeden Fall<br />
beim zuständigen AIC nachfragen, in dem Fall bei Milano Information<br />
– und den Transponder erwähnen und benutzen.<br />
Das nächste Mal<br />
Im nächsten Artikel nehme ich Sie mit auf die heißen Thermikpfade<br />
der Grivola und des Gran Paradiso, des Val Savaranche, des<br />
Val de Rhêmes und des Val Grisenche und später des Col du<br />
Nivolet, des Col du Carro hinüber zum Charbonnel – einem der<br />
Schlüssel erfolgreicher Querungen des Modanetales in die Gipfelwelt<br />
der französischen Alpen. Und wir lernen das Nordwind-Wellensystem<br />
zwischen Lagio Maggiore und dem Rhônetal kennen.<br />
Wir sehen uns… t<br />
QR-Code zum Online-Artikel mit den<br />
detaillierten Flugplatz-Informationen<br />
Querschnitt durch die Luftraum-Struktur zwischen dem Veltlin und dem Aostatal für unsere beschriebenen Flüge<br />
segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 21
METEOROLOGIE<br />
„Häufeles Wetter“, so nennt Gerhard Renner<br />
(Sportleiter des Klippeneck-Wettbewerbs)<br />
Wetterlagen, an denen viele Piloten in Haufen<br />
herumstehen und diskutieren. Zum Beispiel:<br />
„Was könnte man mit dem Tag so alles anstellen?“<br />
„Häufeles Wetter“ gab’s in der Tat mehrfach.<br />
Einer dieser Tage war der zweite Wertungstag,<br />
an dem wir etwas Größeres auf die<br />
Aufgabenzettel geschrieben hatten.<br />
Wie kam es dazu und was hat es den<br />
Wettbewerbsleiter und mich als Meteorologen<br />
(außer Nerven) am Ende gekostet?<br />
„Häufeles Wetter“<br />
22 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>
METEOROLOGIE<br />
Impressionen vom Klippeneck-Wettbewerb<br />
Von Henry Blum<br />
Fotos: Henry Blum, Sören Ebser, B J Burton, www.wetterzentrale.de, Deutscher Wetterdienst<br />
segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 23
METEOROLOGIE<br />
48. KLIPPENECK-<strong>SEG</strong>ELFLUG-WETTBEWERB<br />
29.7. - 6.8.20<strong>16</strong> Arbeitsgemeinschaft der Fliegergruppen auf dem Klippeneck e. V.<br />
<strong>06</strong>.08 Uhr lokal<br />
Abb 1.: Der Blick von der Hangkante nach Westen, 04:08 Uhr UTC<br />
Wir schreiben den 01. August 20<strong>16</strong>. Noch am Vortag<br />
hatte uns eine Kaltfront mit massiven Niederschlägen<br />
überquert (Abb 2). Aber danach sollte<br />
sich Hochdruck-Einfluss durchsetzen. Alles in<br />
allem gute Voraussetzungen. Der Gang morgens zur Hangkante<br />
sah schon ganz ordentlich aus (Abb. 1). Nebelfelder Richtung<br />
Schwarzwald, aber der Himmel klarte von Western her auf. Das<br />
könnte was werden!<br />
Das Netz geht nicht!<br />
Im Wettbewerbsbüro angekommen, gab’s aber erst mal eine<br />
böse Überraschung. Das Internet war ausgefallen. Keine Daten,<br />
keine ordentliche Analyse. Also höchstens „Häufeles Wetter“.<br />
Was tun? Falk Rüth anrufen! Er hatte die IT und die Infrastruktur<br />
aufgebaut und kennt sich aus. Nachdem er alles überprüft hatte,<br />
schüttelte er den Kopf. „Das liegt am Provider! Um die Uhrzeit<br />
krieg ich da aber noch niemand!“<br />
Martin Trittler, der junge Wettbewerbsleiter, wusste sich allerdings<br />
zu helfen. Er klingelte kurzerhand seine Eltern in Aldingen<br />
aus dem Bett. Ob der Meteorologe nicht bei Ihnen zu Hause das<br />
Wetter machen könne? Na klar. Kein Problem. Er soll kommen!<br />
Also ab ins Auto und den Berg runter gefahren zu Trittlers. Gottseidank<br />
gibt’s Navi. Da findet man auch in verwinkelten Gassen<br />
sein Ziel. Noch im Pyjama machte mir Vater Karl die Tür auf und<br />
gab sein Arbeitszimmer frei. Dann wurden die WLAN-Schlüssel<br />
rausgekramt und es konnte los gehen.<br />
Große Erleichterung, als die Daten reintröpfelten und die Karten<br />
sichtbar wurden. Es sah tatsächlich ganz gut aus: Die eingeflosse<br />
Luftmasse war exzellent (Abb. 3), richtig kalt und mit etwas<br />
Feuchtigkeit geladen. Ideale Bedingungen eigentlich für größere<br />
Strecken.<br />
Wenn da nicht die Niederschläge vom Vortag gewesen wären<br />
(Abb. 4). Aber es gab Hoffnung. Nicht überall hatte es so stark<br />
geregnet. Außerdem würde die Luft sich rasch erwärmen und<br />
würde so einiges an Feuchte aufnehmen. So könnte man eventuell<br />
doch was Anständiges ausschreiben. Als ich wieder zurück<br />
ins Büro kam, waren auch Martin und Gerhard Renner als Sportleiter<br />
optimistisch.<br />
Wir machen was Anständiges!<br />
„Guten Morgen, Henry. Heute können wir was Anständiges<br />
ausschreiben, oder?“, meinte Gerhard. Er war für die Planung der<br />
Aufgaben zuständig. Er hatte in früheren Jahren den Klippeneck-Wettbewerb<br />
schon mehrfach gewonnen und sicher ein<br />
offenes Ohr für eine anspruchsvolle Aufgabe.<br />
„Wir könnten eine 7 vor die Aufgabe der 18-Meter-Klasse stellen!“<br />
„Wie? Was meinst Du?!“<br />
„Meiner Meinung nach sind 700 drin, wenn wir die Offenen oder<br />
Abb 2.: Montag, 01.08.<strong>16</strong>, 02:00 Uhr lokal. Die Kaltfront ist<br />
durch. Dahinter wird der Luftdruck weiter ansteigen<br />
48. KLIPPENECK-<strong>SEG</strong>ELFLUG-WETTBEWERB<br />
29.7. - 6.8.20<strong>16</strong> Arbeitsgemeinschaft der Fliegergruppen auf dem Klippeneck e. V.<br />
24 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>
Arcus M chartern<br />
Von Februar bis September ab Schänis<br />
und von November bis Januar in Kiripotib (Namibia)<br />
48. KLIPPENECK-<strong>SEG</strong>ELFLUG-WETTBEWERB<br />
29.7. - 6.8.20<strong>16</strong> Arbeitsgemeinschaft der Fliegergruppen auf dem Klippeneck e. V.<br />
Abb 3.: Montag, 01.08.<strong>16</strong>, 14:00 Uhr lokal. Luftmasse gut,<br />
Druckverteilung nicht ganz optimal<br />
Gönnen Sie sich<br />
für Urlaub und<br />
Wettbewerb ein<br />
Spitzen-Flugzeug<br />
48. KLIPPENECK-<strong>SEG</strong>ELFLUG-WETTBEWERB<br />
29.7. - 6.8.20<strong>16</strong> Arbeitsgemeinschaft der Fliegergruppen auf dem Klippeneck e. V.<br />
Abb 4.: Gesamt-Niederschlag (24h), Sonntag , 31.07.<strong>16</strong>. In<br />
einigen Bereichen im Südwesten hatte es geschüttet...<br />
18er ganz vorne hinstellen!“<br />
Seine Mundwinkel wanderten nach oben. „Hmmm...!“ Der<br />
Vorschlag schien ihm zu gefallen. Aber untermauern musste ich<br />
das wohl noch mit ein paar guten Argumenten.<br />
„Ich denke schon! Die Luftmasse ist sehr gut! Nur die Druckverteilung<br />
ist nicht ganz optimal und die Niederschläge von gestern<br />
müssen wir berücksichtigen. Aber es wird gutes Steigen geben<br />
und vor allem relativ lang!“<br />
„Na dann lass mal sehen! Wo können wir die Strecken hinlegen?.“<br />
Wir brüteten besonders lang über den Niederschlagskarten.<br />
Welche Route wäre am ehesten fliegbar, ohne zu riskieren, dass<br />
alle auf den „Acker“ müssten?<br />
„Den Schwarzwald runter nach Südwesten geht nicht, gell?“<br />
„Auf keinen Fall, die saufen uns alle ab. Der Schwarzwald besteht<br />
hauptsächlich aus Buntsandstein. Die obersten Schichten saugen<br />
Wasser auf und geben’s nur langsam wieder ab. Die Alb ist<br />
besser. Kalkstein, komplett verkarstet. Da laufen auch große<br />
Wassermengen rasch ab und bis heute nachmittag ist der sicher<br />
wieder fliegbar. (Dachte ich zumindest). Außerdem können<br />
unsere Experten auch Richtung Donautal ausweichen, wenn’s da<br />
besser gehen sollte. Immerhin sieht’s trockener aus, als die Alb“.<br />
Wir einigten uns schließlich auf eine Route über mehr als 720<br />
Kilometer das Neckartal rauf entlang des Schwarzwalds und<br />
dann hoch am Spessart vorbei und hinter Stuttgart zurück auf die<br />
Alb. Mit diesem Vorschlag überraschten wir dann auch die<br />
• Konkurrenzfähiger Hochleistungs-Doppelsitzer<br />
• Beim Wettbewerb vorne Mitfliegen<br />
• Top-Ausrüstung:<br />
Flügeltücher, Verzurr-Material, Benzin-Öl-Gemisch,<br />
Öl-Reserven, Batterien, Ladegeräte<br />
• Attraktive Ferienpauschale<br />
• Faires Tages-Charter-Angebot<br />
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ALPINE <strong>SEG</strong>ELFLUGSCHULE SCHÄNIS AG<br />
Flugplatz CH-8718 Schänis<br />
Telefon +41 55 619 60 40<br />
Telefax +41 55 619 60 49<br />
info@schaenissoaring.ch<br />
www.schaenissoaring.ch<br />
segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 4<br />
PS 02.20<strong>16</strong>
METEOROLOGIE<br />
Wir diskutieren mit den<br />
Pilotensprechern: Hintere<br />
Reihe v.l.n.r.: Adrian Tschui<br />
(Std.), Ulrich Kohler (DOSI),<br />
Tobias Diebel (18 M), Guido<br />
Halter (Offene). Vordere<br />
Reihe v.l.n.r.: Gerhard Renner<br />
(Sportleiter), Martin Trittler<br />
(WB Leiter), Karl Eugen<br />
„Charlie“ Bauder (15-M)<br />
Pilotensprecher, die pünktlich um 08:00 Uhr auf der Matte<br />
standen.<br />
700 Kilometer? Zu viel für Häufeles-Wetter!<br />
Sie waren nicht wenig verblüfft, als wir ihnen unsere Überlegungen<br />
vorstellten. Aber nach einer kurzen Pause, gab’s berechtigten<br />
Widerstand: „Jung’s, das könnt ihr nicht bringen! Wenn da<br />
nur etwas aus dem Ruder läuft oder die Thermik früher abstellt,<br />
liegen fast alle draußen! – Und bedenkt bitte, ihr habt Piloten im<br />
Feld, die noch nie einen 500er geflogen haben!“<br />
Nach einigen Diskussionen reduzierten wir die Offene und<br />
18-Meter-Klasse um mindestens zehn Prozent und einigten uns<br />
auf 650 Kilometer. Für die hinten im Grid stehende Standard-<br />
Klasse bedeutete das immer noch knapp über 500 Kilometer.<br />
Wie recht die Pilotenvertreter mit ihrem Einwand gehabt hatten,<br />
sollte sich später herausstellen. Im Laufe des Fluges liefen wir auf<br />
eine nicht vorhersehbare Hürde, die uns allen ziemlich zu<br />
schaffen machte.<br />
Gülden steigt die Sonne auf!<br />
Wir begannen mit den Vorbereitungen zum Hauptbriefing. Frank<br />
Möbbeck war für den Start verantwortlich. Er telefonierte mit<br />
den Vereinen, die uns ihre Schleppmaschinen bereit stellten. Er<br />
Die erste Briefingfolie zum 1. August<br />
hatte dafür eine eigene Begrüßungsformel, die uns alle neugierig<br />
machte:<br />
„Gülden steigt die Sonne auf, Feder-Wölkchen fliegen, ... ! Hör<br />
mal, wir bauen auf. Könnt Ihr Eure Schleppmaschine rüberschicken?<br />
Startbereitschaft ist heute schon um 10:30 Uhr!“<br />
„Frank, was ist das denn für ein Spruch?“<br />
„Der stammt ursprünglich von Klein-Fritzchen. Der sollte in der<br />
Schule mal ein Gedicht aufsagen und hat damit die Lehrerin<br />
geärgert“.<br />
„Und wie geht der weiter?“<br />
Darauf wollte Frank dann doch nicht antworten, im Gegenteil:<br />
„Hör mal, Fröschken“, entrüstete er sich mit norddeutschem<br />
Zungenschlag (Fröschchen ist eigentlich sein „Kosename“ für<br />
mein Maskottchen. Gemeint war diesmal ich als Meteorologe). Er<br />
zog seine Sonnenbrille etwas runter und blickte vielsagend in die<br />
Runde. „Wir haben Damenbesuch! Der Rest ist leider nicht<br />
jugendfrei! “<br />
Susanne Lippert druckte gerade die Start-Aufstellung aus und<br />
Elena Ebser bereitete Infos für die Flugsicherung vor. (Achtung:<br />
Heftiger Segelflugbetrieb in folgenden Gafor-Gebieten ...).<br />
„Wir sind doch nicht mehr im Kindergarten!“, wehrten sich die<br />
Damen, und „wir sind doch so einiges gewöhnt!“ In der Tat. Beide<br />
Damen haben sich in Männerdomänen durchgesetzt. Susanne<br />
als Betriebsrätin, Elena ist Managerin. „Also, Frank, wie geht’s<br />
weiter?“<br />
„Nein, kommt nicht in Frage!“ weigerte sich Frank standhaft,<br />
„sonst ruinier ich hier meinen Ruf komplett!“ und wählte die<br />
Nummer des nächsten Vereins, der seine Schlepper schicken<br />
sollte. Auch seine Begrüßung folgte jetzt klassischeren Regeln:<br />
„Hallo, hier ist das Klippeneck! Wir fliegen! Könnt Ihr uns die Fox<br />
Hotel rüberschicken? Ja, um 10:30 Uhr geht’s los! Prima, dann bis<br />
gleich auf der 23!“<br />
Wir drängten immer noch auf Klärung, aber Frank wiegelte ab:<br />
„Henry, ich hab‘ dir was Besseres! Ist die Wiese feucht und nass<br />
macht das Fliegen richtig Spaß!“<br />
„Sehr gut Frank! Dann machen wir das zum Motto des Tages! Es<br />
passt nämlich für heute! “<br />
So kam ein weiteres Bild in die Folien fürs Hauptbriefing.<br />
26 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>
METEOROLOGIE<br />
Ein letzter Blick aufs Satellitenbild ergab keine Auffälligkeiten.<br />
Zumindest im Westen war keine hohe Bewölkung zu sehen.<br />
Ungehinderte Einstrahlung war zu erwarten. So gingen wir<br />
zuversichtlich ins Hauptbriefing.<br />
Glückwünsche in die Schweiz<br />
Es war der 01. August 20<strong>16</strong>, der Nationalfeiertag der Schweiz. Also<br />
gratulierte Martin Trittlern den mitfliegenden Schweizern zum<br />
725 Jubiläum des Rütlischwurs. Am 01. August 1291 hatten sich<br />
die Urkantone Uri, Schwyz und Unterwalden zum „Ewigen Bund“<br />
zusammen geschlossen. Der Beginn einer beeindruckenden<br />
Erfolgsgeschichte. Die Schweizer Kameraden revanchierten sich<br />
ihrerseits mit dem Versprechen auf Freibier und dem traditionellen<br />
Feuerwerk am Abend.<br />
Dann präsentierte ich die Wetter-Einschätzung mit Frank<br />
Möbbecks Wiese-nass-Spruch als Einleitung. Die Vorhersage<br />
enthielt viel Cumulus congestus und teilweise niedrige Basen.<br />
Aber das Steigen sollte gut werden und sieben Stunden fliegbares<br />
Wetter bieten. Der mit der Höhe nach links drehende Wind<br />
deutete auf anhaltende Kaltluftzufuhr hin. Ausbreitungen waren<br />
ebenfalls denkbar, aber nur wenig hohe Bewölkung.<br />
Martin präsentierte die Aufgabe für die 18-Meter-Klasse. Es hatte<br />
sich bei einigen schon rum gesprochen, daß was Größeres<br />
anstand. Aber als die Kilometerzahl auf dem Bildschirm erschien,<br />
ging trotzdem ging ein leises Raunen durch die Reihen. Das war<br />
schon ein gehöriger Streifen. Um 10:15 Uhr gab’s noch mal ein<br />
kurzes Briefing für die Schlepp-Piloten.<br />
Um 10:30 Uhr wurden die Ersten geschleppt. Nachdem mir der<br />
Motor abgesoffen war, musste unser Nimbus ebenfalls per<br />
F-Schlepp raus. (So gelang Sören Ebser der Schnappschuss fürs<br />
Titelbild). Danach lief zunächst alles nach Plan, auch der Motor<br />
lief wieder an. Schon die ersten Bärte waren besser als gedacht.<br />
Auch die ersten beiden Teilstrecken am Rande des Schwarzwalds<br />
liefen gut. Wir kurbelten gleich zwei Mal in drei Metern.<br />
Never set a big task after a rainy day?<br />
Ab Pforzheim, im Kraichgau wurde es aber allmählich schwieriger.<br />
Die zehn Liter Niederschlag am Vortag forderten offenbar<br />
ihren Tribut. Aber auch am Rande des Odenwalds lief’s nicht wie<br />
erwartet. Die Bärte waren schwächer, blubberiger und fühlten<br />
sich nicht richtig gut an. Erschwerend kam hinzu, dass von<br />
Westen eine Abschirmung aufzog, die ich vorher nicht auf dem<br />
Radar gehabt hatte.<br />
Autsch! Das drückte nicht nur bei uns den Schnitt enorm und es<br />
war nicht klar, ob wir die Aufgabe noch erfüllen konnten. Letztlich<br />
wurde das auch vielen Piloten der anderen Klassen zum<br />
Verhängnis, die am Ende nicht mehr nach Hause kommen sollten.<br />
Zum Glück lief es von Schweinfurt bis Eichstätt wieder besser.<br />
segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 6
METEOROLOGIE<br />
Die Zusammenfassung der erwarteten Wettersituation. Die Linksdrehung des Windes mit der Höhe deutet auf Kaltluft-Zufuhr hin<br />
Etwa so ab Ulm stand sogar eine Konvergenzlinie im Donautal<br />
(siehe auch Satellitenbild), die wieder ein schnelleres Vorfliegen<br />
möglich machte. Die Alb dagegen war fast blau. Sogar auf dem<br />
Satellitenbild kann man sehen, daß der direkte Kurs genau da<br />
durchführt. Verflixte Niederschläge! Offenbar hatte auch ein Tag<br />
Sonne nicht gereicht, die Alb wieder in eine Rennstrecke zu<br />
verwandeln. Wer nicht nach Süden ausgewichen war, musste<br />
noch mal kämpfen.<br />
Immerhin, es kamen am Ende noch etwa die Hälfte aller Starter<br />
in die Zeitwertung. In der Standardklasse schafften es allerdings<br />
nur vier Piloten über die volle 500-Kilometer-Distanz. Sie hatten<br />
in der Start-Aufstellung hinten gestanden, waren entsprechend<br />
spät abgeflogen und hatten am meisten mit den schwierigen<br />
Teilstücken zu kämpfen.<br />
Das hat ein Nachspiel<br />
Ich befürchtete, wir als Wettbewerbsleitung würden uns so<br />
einiges anhören müssen. Aber das Feedback war überwiegend<br />
Schon wieder ein Haufen Piloten: Frank Möbbeck (in gelber Weste) brieft seine Schlepp-Piloten<br />
28 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>
METEOROLOGIE<br />
Die Aufgabe der Offenen Klasse und 18-Meter-Klasse, 650 Kilometer<br />
48. KLIPPENECK-<strong>SEG</strong>ELFLUG-WETTBEWERB<br />
29.7. - 6.8.20<strong>16</strong> Arbeitsgemeinschaft der Fliegergruppen auf dem Klippeneck e. V.<br />
Das Satellitenbild am 01.08.<strong>16</strong>; <strong>16</strong>:07 Uhr lokal. Deutlich zu sehen ist die Abschirmung, die die nördlichen Schenkel<br />
abschattet. Nördlich und südlich des Donautals hat sich eine Konvergenzlinie aufgebaut<br />
positiv. „Endlich mal ne richtig knackige Aufgabe“, hieß es. Sogar<br />
einer der Piloten, die nicht nach Hause gekommen waren, war<br />
überglücklich. Er hatte sein erstes 500er geflogen!<br />
Eine Überraschung gab’s dann aber doch noch: Wir bekamen<br />
Besuch von Thomas Holder. Er hatte 14 Jahre lang den Klippeneck-Wettbewerb<br />
geleitet und klärte uns auf: „Habt ihr gewusst,<br />
was ihr da für eine Aufgabe gestellt habt? Ihr habt‘ die größte je<br />
am Klippeneck geflogene Strecke ausgeschrieben! Sehr gut,<br />
Jungs! Das heißt aber auch: Freibier für alle!“ Na schön! Da gab’s<br />
nichts mehr zu diskutieren. Es gibt frisches Kellerbräu der<br />
Ein-Mann-Brauerei Bulzinger! Natürlich auf unsere Kosten. t<br />
Größte ausgeschriebene<br />
Strecke am<br />
Klippeneck<br />
654 km<br />
Martin Trittler<br />
Henry Blum<br />
Freibier<br />
für alle!<br />
segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 29
ENTWICKLUNG<br />
LS8 mit „neo“ Winglets<br />
Möglichkeiten für aerodynamische Verbesserungen<br />
Neue Winglets bei DG<br />
Text: Jelmer Wassenaar<br />
Fotos: Tom Schubert, Helge Kennel<br />
30 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>
ENTWICKLUNG<br />
Seit Ende der Neunzigerjahre sind die Fortschritte in der Aerodynamik für Segelflugzeuge immer<br />
bedeutungsloser geworden. Gleichzeitig hat aber der Zulassungsaufwand zugenommen, unter anderem<br />
durch komplexere Bauvorschriften für Segelflugzeuge und Motorsegler seit Gründung der Europäischen<br />
Luftfahrtbehörde EASA. Diese Entwicklungen bedeuten, dass die komplette Neuentwicklung eines<br />
Segelflugzeuges immer teurer geworden ist und dass das Preis-Leistungs-Verhältnis für den Segelflieger<br />
unter dem Strich nachlässt. Aus diesem Grund hat man bei DG Flugzeugbau versucht,<br />
Nachrüstungsmaßnahmen zu finden, welche zu bedeutenden Leistungsverbesserungen führen, gleichzeitig<br />
aber vom Zulassungsaufwand vertretbar sind.<br />
segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 31
ENTWICKLUNG<br />
Beispiele solcher Entwicklungen sind<br />
das kleine Spornrad für LS7 und LS8<br />
und die Neuentwicklung von Winglets.<br />
Die neue Winglet-Reihe trägt<br />
den Name n„neo“ und ist für die DG-1000<br />
in der 18-m-Ausführung, für die LS6 und<br />
LS8 in 15m sowie für die LS1-f gedacht.<br />
Dieser Bericht beleuchtet die komplette<br />
Neuentwicklung der Winglets anhand des<br />
Beispiels LS8. Bei der LS8 stammt vieles der<br />
Aerodynamik bekanntlich von der LS6,<br />
welche schon Anfang der Achtzigerjahre<br />
ausgelegt wurde. Obwohl die Optimierung<br />
der Winglets für die LS8 gemacht wurde,<br />
sind auch die Wölbklappenstellungen der<br />
LS6 durchgerechnet worden und das gleiche<br />
Winglet passt somit auf beide Muster.<br />
Aufbau Netzwerk, Namen, Aufgaben<br />
Nachdem Robert Schröder sich für die WM<br />
20<strong>16</strong> in Litauen qualifiziert hatte, kam er zu<br />
DG, um über mögliche Verbesserungen der<br />
Gleitleistung seiner LS8 zu sprechen. Es<br />
wurde darauf entschieden, die LS-typischen<br />
Wolfsohren durch klassische Winglets in<br />
neuen Stil zu ersetzten. Um die Aerodynamik<br />
der Winglets gezielt unter die Lupe<br />
zu nehmen, war es wichtig, den gewünschten<br />
Arbeitsbereich der Winglets genau zu<br />
definieren. Robert hat dazu mehrere Wettbewerbsflüge<br />
analysiert und daraus die<br />
Randbedingungen für die Winglets festgelegt.<br />
Für die aerodynamische Auslegung der<br />
neuen Reihe von DG-Winglets war Johannes<br />
Dillinger verantwortlich. Johannes hat als<br />
ehemaliger Student von Loek Boermans<br />
variiert werden, wie Sehnenlänge, Einstellwinkel,<br />
Pfeilung und Gesamthöhe.<br />
Wie können bei dieser Vielzahl an Möglichkeiten<br />
eine Auslegung und die aerodynamische<br />
Bewertung eines Entwurfs<br />
gelingen? Dazu muss die Wirkungsweise<br />
eines Winglets verstanden werden. Ein Teil<br />
des Gesamtwiderstands ist auftriebsinduziert.<br />
Dieser induzierter Widerstand liefert<br />
im Langsamflug ungefähr die Hälfte des<br />
Gesamtwiderstandes und im Schnellflug<br />
nur ca. 10%. Er wird maßgeblich durch die<br />
Auftriebsverteilung in Spannweitenrichtung<br />
beeinflusst. Die optimale Auftriebsverteilung<br />
für einen flachen Flügel hat eine<br />
elliptische Form. Der sogenannte k-Faktor<br />
ist ein Maß für die Qualität der Auftriebsverteilung,<br />
für eine elliptische Verteilung<br />
entspricht k = 1. Mit Winglets kann ein<br />
Wert kleiner 1 erreicht werden, sie wirken<br />
wie eine Spannweitenvergrößerung. Die<br />
Auslegung hat das Ziel, ein Winglet zu<br />
finden, dass eine optimale Auftriebsverteilung<br />
des Flügels realisiert und somit den<br />
induzierten Widerstand minimiert. Wegen<br />
der zusätzlich angeströmten Wingletfläche<br />
erhöht sich die umspülte Oberfläche<br />
und dadurch der reibungsinduzierte<br />
Widerstand. Es ergibt sich ein „cross-over“-<br />
Punkt, ab dem die Reduzierung des induzierten<br />
Widerstands den zusätzlichen<br />
reibungsinduzierten Widerstand übersteigt.<br />
Für den Auslegungsprozess müssen auf<br />
der einen Seite die zweidimensionalen<br />
Profile entworfen werden und auf der<br />
anderen Seite der dreidimensionale Wingden<br />
aerodynamischen sowie strukturellen<br />
Entwurf der Concordia gemacht. Bei der<br />
LS8 wurde Johannes beim Profilentwurf<br />
von Benjamin Rodax unterstützt.<br />
Das Flattergutachten der neuen Winglet-<br />
Reihe wurde von Dr. Fritz Kießling übernommen.<br />
Dr. Kießling ist bekannt durch<br />
seine langjährige Arbeit in diesem Fachgebiet<br />
am DLR Göttingen und arbeitet,<br />
seitdem er im Ruhestand ist, als Freiberufler<br />
für die Firma Leichtwerk.<br />
Seit Januar 2014 besitzt DG eine 3-Achs-<br />
Portalfräse. Damit können Urmodelle und<br />
Prototypenformen bis zu einer Länge von<br />
fast drei Metern gefräst werden. Hauptvorteil<br />
von einer Fräse in eigenem Haus ist<br />
natürlich die Möglichkeit, schnell und<br />
flexibel arbeiten zu können.<br />
Aerodynamische Auslegung/Optimierung<br />
Für eine korrekte aerodynamische Auslegung<br />
wurden zunächst Randbedingungen<br />
festgelegt. Dazu gehört neben der nicht<br />
veränderbaren geometrischen Form des<br />
Flügels der gewünschte Einsatzbereich. Die<br />
Abflugmasse liegt realistisch in einem<br />
Bereich von 335 kg bis 525 kg, was einer<br />
Flächenbelastung von ca. 32 bis 50 kg/m 2<br />
entspricht. Als obere Grenze für einen effizienten<br />
Vorflug zwischen dem Thermikkreisen<br />
wurde aus den Analysen von Robert<br />
200 km/h definiert. Der sich daraus ergebende<br />
Gesamtauftriebsbeiwert liegt<br />
zwischen 0,275 für Schnellflug und 1,3 für<br />
Langsamflug und legt den Arbeitsbereich<br />
des Winglets fest. Bei der Auslegung<br />
können neben den Profilen viele Parameter<br />
Grafik 1: 3D-Druckverteilung am Winglet. Links für Ca = 0,275 (Schnellflug); Rechts für Ca = 1,3 (Langsamflug)<br />
32 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>
ENTWICKLUNG<br />
Grafik 2: k-Faktor für Wolfsohren und Winglet sowie Munk-Optimum<br />
let-Grundriss optimiert werden. Für den<br />
Profilentwurf wurde auf das open-source-<br />
Tool „XFOIL“ zurückgegriffen, welches ein<br />
interaktives Programm für den Profilentwurf<br />
im Unterschallbereich bereitstellt.<br />
Neben der Analyse der Strömung um<br />
Flügelprofile ist ein inverser Designprozess<br />
möglich. Dabei wird aus einer vorgegebenen<br />
gewünschten Druckverteilung die<br />
geometrische Form berechnet. Für die<br />
Analyse der dreidimensionalen Strömung<br />
wird auf ein 3D-Panelverfahren zurückgegriffen.<br />
Damit können reibungsfreie (theoretische)<br />
stationäre Druckverteilungen<br />
berechnet werden (Grafik 1).<br />
Aufgrund der starken gegenseitigen Beeinflussung<br />
von Profilform und Winglet-Grundriss<br />
auf die dreidimensionale<br />
Druckverteilung ist ein paralleler Designprozess<br />
nötig. Die Druckverteilung ist<br />
maßgeblich für die aerodynamischen<br />
Eigenschaften wie Umschlags- und Ablösepunkt,<br />
Widerstands-und Auftriebsbeiwert<br />
verantwortlich. Allein für die LS8<br />
wurden 17 verschiedene Hauptkombinationen<br />
von Grundriss, Profilen und Verdrehung<br />
im Detail untersucht. Nur durch<br />
diesen Aufwand konnte eine optimale<br />
Auslegung gefunden werden.<br />
Grafik 3: Geschwindigkeitspolare und Leistungsvergleich zwischen Wolfsohren<br />
und Winglet für Abflugmasse 525 kg<br />
LS8: Gerechnete Flugleistung und<br />
Vergleich zu den Wolfsohren<br />
Für einen Vergleich und zur Bewertung des<br />
Entwurfs wurden die original „Wolfsohren“<br />
mit demselben Vorgehen berechnet. Der<br />
k-Faktor als Maß für die Güte der Auftriebsverteilung<br />
konnte deutlich verbessert<br />
werden. Der Faktor befindet sich dicht am<br />
theoretischen Optimum nach Munk<br />
(Grafik 2).<br />
Die Auswirkungen auf die Geschwindigkeitspolaren<br />
sind in der Grafik 3 für die<br />
maximale Abflugmasse gezeigt. Im<br />
gesamten Auslegungsbereich bis 200<br />
km/h kann eine Verringerung der Sinkge-<br />
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segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 33
ENTWICKLUNG<br />
LS6 mit „neo“ Winglets fotografiert aus der LS4 mit Wolfsohren<br />
34 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>
ENTWICKLUNG<br />
schwindigkeit erreicht werden. Dies<br />
bedeutet eine Verbesserung der Gleitzahl<br />
von bis zu 0,6 Punkten.<br />
Flugerprobung, sekundäre Effekte<br />
DG-1000 & LS8<br />
Im Rahmen der Zulassung müssen die<br />
Flugzeuge mit Winglets zum Teil neu<br />
erprobt werden, wobei die Grenzen des<br />
zugelassenen Flugbereichs abgetastet<br />
werden müssen. So muss nachgewiesen<br />
werden, dass kein kritisches und unkontrollierbares<br />
Verhalten auftreten kann bei<br />
Flugmanövern wie Überziehen, Trudeln<br />
und im Schnellflug. Dabei werden die<br />
Grenzen bewusst überschritten: Es wird z. B.<br />
mit einer Schwerpunktlage 10 mm hinter<br />
dem zugelassenen Berich getrudelt. Bei der<br />
Schnellflugerprobung muss 10% über die<br />
erlaubte V NE<br />
geflogen werden, um zu<br />
zeigen, dass im gesamten Geschwindigkeitsbereich<br />
kein Flattern auftritt. Dadurch<br />
ist das Erproben ist eine spannende Tätigkeit<br />
und es können immer Überraschungen<br />
auftreten, welche man bei der Auslegung<br />
nicht vorhersehen konnte.<br />
So ließ sich bei der DG-1000 definitiv feststellen,<br />
dass der Flieger durch die 18m-<br />
Winglets gutmütiger geworden ist. Die<br />
DG-1000 hat durch den serienmäßigen<br />
Einbau des Trimmballastkastens einen<br />
sehr großen Schwerpunktbereich im<br />
Vergleich zu anderen Doppelsitzern. Im<br />
vorderen Schwerpunktbereich kann man<br />
sogar im überzogenen Zustand noch mit<br />
den Querruder steuern, ohne dass der<br />
Flieger abkippt, im hinteren Bereich<br />
dagegen ist stationäres Trudeln noch<br />
möglich, so dass die für die Schulung wichtigen<br />
Flugeigenschaften beibehalten oder<br />
sogar verbessert werden konnten.<br />
Bei der Flugerprobung für die LS6 und LS8<br />
ist als wichtigster sekundärer Effekt die<br />
Zunahme der Rollgeschwindigkeit aufgefallen.<br />
Die LS-typischen gutmütigen Flugeigenschaften<br />
sind beibehalten worden.<br />
fliegen, um zum Schluss den Höhenunterschied<br />
zu messen.<br />
Vergangenen August wurde die LS8<br />
vermessen, sowohl mit den bisherigen<br />
Wolfsohren als auch mit den neuen Winglets.<br />
Die vorläufigen Ergebnisse haben<br />
gezeigt, dass die „neo“-Winglets deutlich<br />
besser abschneiden und sogar die theoretischen<br />
Berechnungen leicht übertreffen.<br />
Ausblick, Zulassung, LS1-f<br />
Die Entwicklung der DG-1000-„neo“ -Winglets<br />
ist im Rahmen des neuen DG-Entwicklungsbetriebs<br />
(EASA 21J.530) gemacht<br />
worden, die Winglets sind bereits von der<br />
EASA zugelassen. Die Zulassung der LS6-<br />
und LS8-Winglets ist in den letzten Zügen.<br />
Als nächstes Projekt sind gerade die<br />
„neo“-Winglets für die LS1-f in Arbeit. Zum<br />
Zeitpunkt des Schreibens ist die aerodynamische<br />
Auslegung abgeschlossen und das<br />
3D-CAD-Modell wird erstellt. Die ersten<br />
LS1-f sollen Ende dieses Jahres schon umgerüstet<br />
werden.<br />
Mit den drei Projekten ist die Prozesskette<br />
der Winglet-Entwicklung im DG-Entwicklungsnetzwerk<br />
gut definiert und es wäre<br />
somit nicht ausgeschlossen, dass in naher<br />
Zukunft noch weitere Segelflugzeugmustern<br />
nachgerüstet werden können. t<br />
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Leistungsvermessung LS8 (IDAFLIEG)<br />
In August jedes Jahres halten die deutschen<br />
akademischen Fliegergruppen,<br />
vereint in der IDAFLIEG, ihr dreiwöchiges<br />
Sommertreffen in Aalen ab. Hier werden<br />
unter anderem Leistungsmessungen von<br />
Segelflugzeugen durchgeführt. Bei so einer<br />
Leistungsmessung werden in ruhiger Luft<br />
Vergleichsflüge mit einem kalibrierten<br />
Flugzeug gemacht. So wird versucht, für<br />
jeden Punkt auf der Polare mindestens<br />
einen Abschnitt von zwei Minuten zu<br />
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segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 35
PILOT´S REPORT<br />
Flugbild der LS8 neo<br />
während der Flugerprobung<br />
LS8 neo<br />
Grand-Prix-<br />
Training mit den<br />
neuen Winglets<br />
Text: Robert Schröder<br />
Fotos: Robert Schröder, DG-Flugzeugbau<br />
Eigentlich sind es ja<br />
nicht nur neue Winglets.<br />
Es sind eher schon neue<br />
Außenflügel, die Johannes<br />
Dillinger zusammen mit<br />
Benjamin Rodax für die<br />
LS8 (und damit auch<br />
für die LS6) entwickelt hat.<br />
Für alle, denen der Name Johannes<br />
Dillinger nichts sagt: Er war für die<br />
aerodynamische Auslegung der<br />
Concordia mit verantwortlich und<br />
hat darüber hinaus etliche Wingletprojekte<br />
realisiert (unter anderem ASG 32, DG<br />
1000-18-m, RedBull Racer MXS usw.).<br />
Kurzum: eine absolute Kapazität auf<br />
diesem Gebiet.<br />
Die „Wolf-Ohren“ der LS8 waren, gemessen<br />
am damaligen Wissensstand über Winglets,<br />
toll gemacht. Aber die Entwicklung<br />
ging weiter und mittlerweile ist das Potenzial<br />
einer Leistungsverbesserung so groß<br />
gewesen, dass sich die Neugestaltung der<br />
Flügelenden geradezu aufdrängte. DG<br />
Flugzeugbau hat das Projekt im letzten<br />
Winter begonnen, die Flugerprobung<br />
erfolgte im März und bis Mitte des Jahres<br />
wurde die Musterzulassung erwartet<br />
Test im Trainingslager<br />
Ich hatte das Glück, schon Ende letzten<br />
Jahres davon zu erfahren und sagte einem<br />
Test sofort zu. Leider war dann das Frühlingswetter<br />
bei uns eher auf der bescheidenen<br />
Seite und ich musste bis Anfang Mai<br />
warten, bis ich im Rahmen des Trainings-<br />
Grand-Prix in Homberg/Ohm die neuen<br />
Außenflügel das erste Mal testen konnte.<br />
Mit einigem Abstand das beste Trainingslager,<br />
das ich je mitgemacht habe!<br />
Richtige Vergleichsflüge haben wir dabei<br />
nicht durchgeführt. Es ging in erster Linie<br />
darum, sich im Rahmen eines Grand Prix<br />
für die Weltmeisterschaft einzufliegen.<br />
Erfahrungsaustausch, Abstimmung von<br />
Instrumenten und das Ausprobieren<br />
verschiedener Schwerpunktlagen war mein<br />
36 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>
PILOT´S REPORT<br />
Programm. Aber auch dabei wurden die<br />
Stärken der neuen Außenflügel deutlich.<br />
Optimierte Querruderwirksamkeit<br />
Was sofort auffällt, ist die bessere Querruderwirksamkeit<br />
beim Anrollen. Schon bei<br />
geringster Geschwindigkeit kann man die<br />
Querneigung gut kontrollieren, deutlich<br />
früher, als ich es sonst gewohnt war.<br />
Gerade in Situationen, bei denen ich schon<br />
damit rechnete, den Flügel nochmal abzulegen,<br />
war ich überrascht, wie problemlos<br />
ich es verhindern konnte. Insbesondere bei<br />
Seitenwind oder versehentlich frühem<br />
Loslassen des Flügels beim F-Schlepp ein<br />
echter Gewinn.<br />
Das Gleiche bei der Landung: Letztes Jahr<br />
fiel mir in der letzten Phase des Ausrollens<br />
immer wieder der Flügel zu Boden. Da ich<br />
kein Fan der großen Schleifklötze an den<br />
Flügelenden bin, waren verkratzte Querruderendleisten<br />
die Folge, fast schon ein<br />
Markenzeichen meiner LS8. Das ist jetzt<br />
vorbei. Kein Wunder, dass sich damit auch<br />
die Querruderwirksamkeit im Flug verbessert<br />
hat. Dieser Effekt geht so weit, dass<br />
man im Kreisflug den Knüppel bis zum<br />
Anschlag zurückziehen kann und die Querlage<br />
im Sackflug immer noch mit den<br />
Querrudern kontrollierbar ist.<br />
Eine Überraschung<br />
Ich hatte fest damit gerechnet, die LS8<br />
beim Kreisen zukünftig etwas genauer<br />
fliegen zu müssen, aber ganz entgegen<br />
meiner Erwartungen sind die neuen Winglets<br />
erstaunlich schiebeunempfindlich.<br />
Zwar wurde darauf bei der Profilauslegung<br />
besonderen Wert gelegt, doch bei einer<br />
segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 37
PILOT´S REPORT<br />
Profildicke von weniger als 10% hatte ich<br />
meine Zweifel.<br />
„Thermikfühligkeit“<br />
Eine ganz wesentliche Frage war für mich<br />
auch, ob sich die viel gerühmte „Thermikfühligkeit“<br />
der LS8 verändert hat. „Thermikfühligkeit“,<br />
ein Begriff, mit dem ich<br />
jahrzehntelang nichts anfangen konnte –<br />
bis ich das erste Mal LS8 flog. Für alle, die<br />
nicht genau wissen, wovon ich spreche – es<br />
ist die unvergleichliche Art und Weise, wie<br />
einem die LS8 mitteilt, wo und auf welcher<br />
Seite der Aufwind ist. Hier gibt es Entwar-<br />
Direkter Vergleich von neuem und<br />
altem Außenflügel bei dem der<br />
Unterschied am deutlichsten<br />
zu sehen ist: Statt hochgezogener<br />
Flügelenden wurde der Flügel verlängert<br />
und geht in ein modernes<br />
Winglet über<br />
nung auf ganzer Linie: Das Feeling hat sich<br />
nicht geändert.<br />
Bei einem Fluggewicht von 450 kg (das war<br />
das Limit bei der letzten DM und auch jetzt<br />
im Trainings-Grand-Prix) hatte der Discus<br />
2a ab etwa <strong>16</strong>0 km/h leichte Vorteile.<br />
Meiner Erfahrung nach konnte er im<br />
Bereich zwischen 180 und 200 km/h, bei<br />
gleicher Gleitzahl, etwa 10 km/h schneller<br />
fliegen. Soweit ich beurteilen kann (ich bin<br />
nur einmal bei einem schnellen Endanflug<br />
45 Kilometer direkt die Spur eines Discus 2a<br />
nachgeflogen) gibt es diesen Unterschied<br />
jetzt nicht mehr. Ohne den direkten<br />
Vergleich merkt man allerdings nichts.<br />
Einen Gleitzahlpunkt mehr kann man nicht<br />
spüren. Den wirklichen Leistungsgewinn<br />
wird man sowieso nur vermessen können.<br />
Fazit<br />
Ich muss zugeben, dass ich die neuen<br />
Winglets anfangs mit anderen Erwar-<br />
tungen geflogen bin. Angesichts des<br />
schmalen Profils und der kleineren Oberfläche<br />
dachte ich, man würde die deutlichsten<br />
Veränderungen im Geradeausflug<br />
bemerken. Aber wir sprechen von neuen<br />
Außenflügeln mit Winglets und damit vom<br />
induzierten Widerstand. Und der spielt<br />
nun mal im Langsamflug die erste Geige.<br />
Gerade bei großen Anstellwinkeln ist<br />
deshalb der Leistungsgewinn am Deutlichsten<br />
zu spüren. Hier sehe ich das große<br />
Plus: Man wird die LS8 mit den neuen<br />
Winglets gerade bei schwächeren Bedingungen<br />
mit deutlich mehr Wasserballast<br />
fliegen können.<br />
Aber auch ohne Wasserballast, in schwächstem<br />
Steigen, werden sich die neuen Winglets<br />
bemerkbar machen. Eine durchschnittliche<br />
LS8 bringt locker 15 bis 20 kg mehr<br />
Leergewicht auf die Waage als manche<br />
Konkurrenzmodelle. Ich persönlich sehe<br />
zwar darin eher den Vorteil, nicht soviel<br />
Die Reduzierung der „umspülten“ Oberfläche ist<br />
in diesem Vergleich deutlich zu sehen<br />
38 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>
PILOT´S REPORT<br />
Die neuen Winglets, vom Cockpit aus<br />
gesehen<br />
Wasser tanken zu müssen; geht es aber<br />
manchmal in 0,1 oder 0,2 m/s ums „Überleben“,<br />
merkt man es.<br />
Die neuen Winglets sind eigentlich für<br />
hohe Flächenbelastungen, sprich den<br />
Wettbewerbseinsatz, ausgelegt. Als Nebeneffekt<br />
verbessert sich aber dadurch auch<br />
das Handling im gesamten Langsamflugbereich.<br />
Gerade bei Start und Landung ist<br />
der Unterschied am Deutlichsten. Für mich<br />
etwas überraschend, aber eigentlich logisch.<br />
Daher sind die neuen Außenflügel nicht<br />
nur für Wettbewerbspiloten interessant,<br />
sondern für alle, die im Langsamflugbereich<br />
gerne etwas mehr Reserven hätten.<br />
Die Winglets lassen sich an allen LS8 nachrüsten.<br />
Nachtrag<br />
Mittlerweile ist die Saison 20<strong>16</strong> vorbei und<br />
die ersten Erfahrungen mit den neuen<br />
Winglets haben sich in den Wettbewerben<br />
bestätigt: Simon Schröder wurde Erster in<br />
Bayreuth, Kilian Biechele Zweiter bei der<br />
Deutschen Juniorenmeisterschaft und ich<br />
wurde, nach zwei total versemmelten<br />
Wertungstagen, Fünfter bei der Weltmeisterschaft<br />
in Litauen.<br />
Es ist jetzt, nach Offener und 18-m-Klasse,<br />
auch in der Standardklasse so, dass<br />
morgens im Wettbewerb einfach bis zum<br />
Maximalgewicht vollgetankt wird. Unabhängig<br />
vom Wetter. Das macht die<br />
morgendliche Wasserentscheidung deutlich<br />
einfacher. Die Flugeigenschaften und<br />
die Gutmütigkeit der LS8 ändern sich dabei<br />
kaum. Es muss lediglich etwas schneller<br />
(etwa 110 km/h) gekreist werden.<br />
Es ist natürlich nicht jedermanns Sache,<br />
auch an Wochenenden morgens vollzutanken<br />
und bei Flügen, die schon in der<br />
Morgenthermik beginnen, auch nicht<br />
immer sinnvoll. Aber letztendlich gibt es<br />
halt nur zwei Möglichkeiten, die Leistung<br />
bei Segelflugzeugen gravierend zu verbessern:<br />
Spannweite oder Gewicht. Ablassen<br />
ist nur noch sinnvoll, wenn das Steigen<br />
deutlich und dauerhaft unter 1,5 m/s geht.<br />
Wie man auch bei anderen Wettbewerben<br />
gesehen hat, ist dadurch auch der letzte<br />
Vorteil der Wölbklappen, sprich der 15-m-<br />
Rennklasse, verlorengegangen. Einen<br />
Grund, die beiden Klassen weiterhin zu<br />
trennen, gibt es aus meiner Sicht daher<br />
nicht mehr. t<br />
Die LS8 geht als LS8-sc neo wieder in Produktion<br />
DG Flugzeugbau hat sich aufgrund gestiegener Nachfrage dazu entschlossen, ein Los<br />
der LS8 in ihrer neuesten Variante zu produzieren. Die LS8 erhält in der „neo“-Version<br />
alle Updates, die das Muster bei DG Flugzeugbau in den vergangenen Jahren erhalten<br />
hat. Dazu zählen neben den neuen, in Kooperation mit Johannes Dillinger entwickelten<br />
Winglets auch das kleine Spornrad mit 150mm Durchmesser und die Mandl-<br />
Absaugung. Neben den leistungssteigernden Ausstattungsmerkmalen wurde auch<br />
viel Arbeit in die Komfortausstattung gesteckt. So besitzt die LS8-sc neo unter anderem<br />
das bereits bekannte 5-Zoll-Fahrwerk, das Sicherheitscockpit der LS-10 und einen<br />
vergrößerten Instrumentenpilz, um bequem Systeme bis hin zum LX9000 und LX9070<br />
darin unterzubringen. Abgerundet wird die Ausstattung durch eine Turbo-Vorbereitung,<br />
die es dem Kunden ermöglicht, jederzeit eine Heimkehrhilfe nachzurüsten. Die<br />
nächsten freien Lieferpositionen sind im September 2017 verfügbar. (Stefan Göldner)<br />
Übrigens: Nicht nur für den motorlosen Flug entwickelt DG Winglets. Mit anderen<br />
Randbedingungen, jedoch derselben Prozesskette wurden „neo“-Winglets für die<br />
beiden Red-Bull-Air-Race-Piloten Matthias Dolderer und Matt Hall entwickelt und<br />
gebaut. Noch vor dem letzten Rennen dieser Saison stehen die beiden Piloten als Weltmeister<br />
und Vize-Weltmeister fest, auch, so DG, dank der neuen Winglets.<br />
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segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 39
SICHERHEIT<br />
Mensch und Flugzeug:<br />
Weniger ist mehr<br />
Von Markus Lewandowski<br />
Fotos: Simon Rainer, Mountain Soaring, Escape Town, G. Dale<br />
Flugzeuge zu fliegen macht<br />
Spaß und erfordert<br />
grundlegende motorische<br />
Fertigkeiten, die großteils<br />
automatisch-subversiv ablaufen.<br />
Das Wichtigste dabei ist, in der<br />
Ausbildung ein richtiges und<br />
effizientes Handling von<br />
Flugzeugen und Situationen im<br />
Flugbetrieb zu lernen und sich<br />
danach keine Schlampigkeiten,<br />
Fehler und Ticks anzugewöhnen.<br />
Wie schaut es da bei Ihnen aus?<br />
Wenn Sie nicht richtig funktionieren,<br />
funktioniert auch ihr<br />
Flugzeug nicht! Es sollte<br />
selbstverständlich sein, dass<br />
sie hier ganz verantwortungsbewusst und<br />
selbstkritisch reagieren und lieber mal<br />
nicht fliegen gehen.<br />
Konzentration und körperliche Fitness<br />
Müdigkeit, Kopfweh, schwacher Kreislauf<br />
oder auch momentane psychische Beeinträchtigungen<br />
wie Stress und zwischenmenschliche<br />
Probleme sind immer sehr<br />
sehr ernst zu nehmen. Es ist eine der wichtigsten<br />
Entscheidungen eines Piloten, die<br />
momentane Fluguntauglichkeit zu erkennen,<br />
diese zu akzeptieren und einmal<br />
„Nein“ zu sagen. Vielleicht gibt es in solchen<br />
Situationen die Möglichkeit, auf einen<br />
Doppelsitzer mit einem fitten Piloten aus-<br />
zuweichen. Bei bestem Segelflugwetter sind<br />
wir oft Getriebene und handeln erfahrungsgemäß<br />
recht unvernünftig und irrational.<br />
Ein ganz großes Thema ist das menschliche<br />
Leistungsvermögen in extremen<br />
Fluggebieten mit großer Trockenheit und<br />
hohen Temperaturen, so auch der Hochsommer<br />
in den europäischen Breiten. Die<br />
Leistungsfähigkeit ist durch das Dehydrieren<br />
stark beeinflusst und kann teilweise<br />
sogar Auswirkungen wie beim<br />
Fliegen in großer Höhe ohne Sauerstoff<br />
haben – Sie merken Ihre Fehler einfach<br />
nicht. Also vergessen Sie nicht die Grundbedürfnisse<br />
wie Trinken, Essen, Schlafen<br />
und die Luft zum Atmen.<br />
Bodenhandling<br />
Es passieren erfahrungsgemäß mehr<br />
Schäden an Flugzeugen durch unsachge-<br />
40 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>
SICHERHEIT<br />
Aufrüsten: Stress ist hier fehl am Platz.<br />
Die Vorflugkontrolle geschieht dann<br />
am besten im Team<br />
Der Notausstieg mit dem Fallschirm:<br />
Die wichtigen Handgriffe immer<br />
wieder mental durchdenken<br />
Fliegen mit Sauerstoff: Körperliche<br />
Grundbedürfnisse beim Fliegen sind<br />
ein großer Schritt zu mehr Sicherheit<br />
mäßes Handling am Boden und im Hangar<br />
als beim Fliegen selbst. Ganz einfach:<br />
Reduzieren wir Bewegungen am Boden<br />
von Flugzeugen, Fahrzeugen und Gegenständen<br />
auf ein notwendiges Minimum,<br />
minimiert sich logischerweise die Wahrscheinlichkeit,<br />
dass Fehler und somit<br />
Schäden und Unfälle passieren. Der Grundsatz<br />
gilt wieder: Tun wir nur das Notwendigste,<br />
aber das dafür wohl überlegt und<br />
hoffentlich richtig.<br />
Fehler werden passieren. Dieser Tatsache<br />
muss man sich einfach stellen. Auch hier<br />
lassen sich standardisierte Abläufe definieren,<br />
doch wenn wir realistisch sind, wird<br />
das auf einem normalen Segelflugplatz<br />
mit so vielen Individuen und unterschiedlichen<br />
Ideen nicht wirklich funktionieren.<br />
Die beste Methode ist hier umsichtiges,<br />
ruhiges und situationsgerechtes Verhalten<br />
von möglichst jedem Beteiligtem.<br />
Flugvorbereitung und Checks<br />
Die Überprüfung von Abläufen im Flugbetrieb<br />
ist ein wesentlicher Grundstein in der<br />
Flugsicherheit. Checklisten sind hier eine<br />
grundlegende Methode, um standardisierte<br />
Abläufe zu verinnerlichen und in<br />
weiterer Folge mit einer überprüfenden<br />
Handlung („Cross Check“) zu verifizieren.<br />
Hinterfragen Sie die einzelnen Punkte jeder<br />
Checkliste auf Sinnhaftigkeit und ob sie für<br />
Sie Sinn macht – vor allem im Einsitzer gibt<br />
es keine zweite Person für einen Cross<br />
Check. Verwenden Sie Checklisten nach<br />
Möglichkeit immer mit einer zweiten<br />
Person. Egal was sie tun – ob Lustflug,<br />
Schulflug oder Streckenflug, stellen Sie sich<br />
immer die Frage: „Habe ich wirklich alles<br />
zur sicheren Durchführung des Fluges<br />
berücksichtigt?“ Dann gehen Sie 10<br />
Sekunden in sich und denken einfach noch<br />
mal gründlich nach.<br />
In der Berufsfliegerei gibt es zum Beispiel<br />
den Begriff der sogenannten SOPs (Standard<br />
Operating Procedures). Das ist eine<br />
wesentliche Methode zur Schaffung von<br />
Sicherheit durch Abläufe mit standardisierten<br />
Wortlauten und gegenseitiger<br />
Überprüfung im Zweimanncockpit. Dank<br />
der Tatsache, dass der Mensch ein Gewohnheitstier<br />
ist, fallen Abläufe auf, wenn sie<br />
von routinierten Standards abweichen –<br />
die Alarmglocken läuten.<br />
Ein Beispiel für den Segelflug sind standardisierte<br />
Abläufe, die jeder gleich gelernt<br />
und verinnerlicht hat, wie etwa der<br />
Windenstart mit seinen Abläufen definiert<br />
durch die Segelflugbetriebsordnung. Das<br />
ist auf viele andere Bereiche in der Fliegerei<br />
anwendbar. Grundsätzlich gilt: Je mehr<br />
Personen einen Ablauf in der selben Art<br />
und Weise kennen, desto mehr fallen<br />
Abweichungen und daher womöglich Fehler<br />
auf. Übrigens: Eine der besten Checklisten<br />
sind Ihre zehn Finger, wenn Sie dazu sinnvolle<br />
Abläufe und Handlungen definieren.<br />
Noch besser ist es, wenn ihre Fliegerkollegen<br />
es Ihnen gleich machen.<br />
Das Steuern des Flugzeugs<br />
Einer der wichtigsten Punkte in sauberem<br />
Flugzeughandling ist die ruhige, aber<br />
bestimmte Führung der Steuerelemente<br />
wie Querruder, Höhenruder, Seitenruder<br />
und Wölbklappen. Segelfliegen ist ein<br />
Flugsport, bei dem die Flugleistungen auch<br />
ganz besonders von den richtig dosierten<br />
Steuereingaben abhängen. Eine direkte<br />
Folge daraus ist die Platzierung des Flugzeugs<br />
im Aufwind oder entlang von Energielinien.<br />
Die Summe aller reduzierten<br />
Steuereingaben, die überflüssig sind, und<br />
die Maximierung optimaler und präziser<br />
Positionierungen des Segelflugzeugs während<br />
eines Fluges ist direkt in mehr Höhe<br />
und daher mehr Strecke umzulegen.<br />
Das Gleiche gilt auch für den Segelkunstflug:<br />
Je präziser, koordinierter und bestimmter<br />
die Steuereingaben sind, um so mehr<br />
segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 41
SICHERHEIT<br />
Höhe und Energie bleibt für jede weitere<br />
Figur und in Summe mehr Dynamik für das<br />
gesamte Kunstflugprogramm.<br />
Verblüffend oft stellen wir bei unseren<br />
Kunden in der Segelflugschule eine unruhige<br />
Flugzeugführung fest. Mit gezielten<br />
Übungen wie richtigem Trimmen, entspannter<br />
Knüppelhaltung (bitte nicht beim<br />
Kunstflug!) und der optimierten Fadenposition<br />
ändern sich bei vielen fast schon<br />
schlagartig der Flugstil und das Gefühl für<br />
das Flugzeug im Aufwind oder in der<br />
Kunstflugbox. Wir raten deshalb immer<br />
wieder zu regelmäßigen Checkflügen mit<br />
erfahrenen und trainierten Piloten, um<br />
genau solche Fehler aufzuzeigen und<br />
auszumerzen. Es ist immer wieder erstaunlich,<br />
wie mit der „Reduzierung zum<br />
Maximum“ die Erfolgserlebnisse und der<br />
Flugspaß steigen.<br />
Eine hilfreiche Methode zur Selbstanalyse<br />
im Einsitzer ist die totale Frontaufnahme<br />
des Piloten mit einer Videokamera. Hier<br />
kann man perfekt die Steuereingaben,<br />
Mimik und Blicke des Piloten nach dem<br />
Flug analysieren. Sie werden schmunzeln<br />
und genau erkennen, was sie im nächsten<br />
Flug besser machen können.<br />
Instrumentierung<br />
Auch hier gilt ganz klar: Weniger ist mehr!<br />
Grundsätzlich sollte jeder Pilot in der Lage<br />
sein, jedes Segelflugzeug ohne Instrumente<br />
sicher fliegen zu können. Haben Sie<br />
das schon mal probiert? Wenn nicht, wird<br />
es Zeit.<br />
Schnappen Sie sich einen Doppelsitzer,<br />
einen Sicherheitspiloten und ein Stück<br />
Karton und etwas Klebeband, um Ihr<br />
Instrumentenbrett abzudecken. Den Faden<br />
dürfen Sie natürlich drauf lassen. Motivierte<br />
können aber auch ihn entfernen.<br />
Jetzt kann es los gehen. Ihr Sicherheitspilot<br />
sollte Ihnen von hinten mit seinen Instrumenten<br />
wenn notwendig eine Hilfestellung<br />
bei Start und Landung geben. Machen<br />
Sie einen ausgedehnten Segelflug mit<br />
allem, was dazu gehört. Sie werden<br />
erstaunt sein, welchen Spaß Sie haben.<br />
Diese Methode schärft ganz effektiv die<br />
intuitiven Sinne des Segelflugpiloten. Ganz<br />
besonders lernen Sie, ihren Blick und Ihre<br />
Aufmerksamkeit nach außen zu verlegen.<br />
Zu dem werden Sie das Flugzeug ganz<br />
anders wahrnehmen und nach kurzer<br />
Eingewöhnung sich auch ohne Instrumente<br />
im Aufwind zurecht finden.<br />
In Zeiten toller und vielfältiger Avionik sind<br />
wir grundsätzlich versucht, unser Cockpit<br />
Auf die Finger gesehen: Videos zeigen uns, wie wir uns im Cockpit verhalten<br />
des Piloten nach innen lenkt, wo sie eigentlich<br />
nicht hingehört. Gerade bei viel<br />
Verkehr, bei Wettbewerben und beim<br />
Fliegen in den Bergen ist das Rausschauen<br />
überlebenswichtig. Daher ist ein reduzierter<br />
und übersichtlicher Instrumentenmit<br />
viel Mäusekino zu überladen. Ganz<br />
wichtig ist hier, für jeden Bedarf das<br />
Optimum zu finden. Eine optimale Instrumentierung<br />
ist wie eine gute Sitzposition.<br />
Der Nachteil von komplexer Avionik im<br />
Sichtflug ist, dass sie die Aufmerksamkeit<br />
Instrumente: klar und übersichtlich<br />
42 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>
SICHERHEIT<br />
Fliegen ist komplex genug – sorgen<br />
Sie also für Einfachheit, wo es möglich<br />
ist, dann machen Sie weniger Fehler<br />
und haben mehr Spaß<br />
pilz besonders wichtig. Je schneller der Pilot<br />
neben dem Rausschauen Informationen<br />
bekommt, desto besser funktioniert diese<br />
Schnittstelle. Die Segelflugrechner mit<br />
großem Display zur Darstellung des<br />
Laufraums sind darüber hinaus wahre<br />
Informationsmonster und ziehen unweigerlich<br />
die Aufmerksamkeit des Piloten im<br />
Flug auf sich.<br />
Vermeiden Sie jegliche Programmierung<br />
und Einstellungen in der Luft. Das gehört<br />
zur Flugvorbereitung und ist schlichtweg<br />
gefährlich. Wer sich aber ein übersichtliches<br />
Profil erstellt, kann sogar auf analoge<br />
Instrumente verzichten, sofern sie nicht zur<br />
Mindestausrüstung gehören. Der Fahrtmesser<br />
und die Flarmanzeige als die beiden<br />
wichtigsten Instrumente gehören normalerweise<br />
ganz nach oben. Die restliche<br />
Anordnung ist sehr individuell und natürlich<br />
Geschmackssache.<br />
Wer ein Wölbklappenflugzeug fliegt, kann<br />
mittlerweile auch hier eine optisch auffällige<br />
Lösung für eine Wölbklappenanzeige<br />
auf Augenhöhe montieren. Sind wir mal<br />
gespannt, wann die ersten Head-Up-Displays<br />
für den Segelflug auf den Markt<br />
kommen. Das könnte wahrlich ein Sicherheitsgewinn<br />
werden.<br />
Mentales Training<br />
Der Begriff wurde in der Vergangenheit<br />
sehr in eine esoterische und pseudowissenschaftliche<br />
Richtung gedrängt. Dabei<br />
kommt der Begriff ursprünglich aus der<br />
Sportwissenschaft und bezeichnet lediglich<br />
die Trainingsmethode zur Optimierung<br />
sportlicher Bewegungsabläufe in der Sportpsychologie.<br />
Also ganz einfach: Für das Fliegen im Allgemeinen<br />
ist die mentale Vorstellung von<br />
Situationen und Abläufen eine ganz wichtige<br />
und grundlegende Vorbereitung, die<br />
meist schon intuitiv abläuft. Die bewusste<br />
Steuerung der mentalen Vorstellung ist der<br />
Schlüssel für eine bessere Reaktion auf<br />
sämtliche Situationen, die in unserem Sport<br />
passieren können.<br />
Nehmen Sie als Extrembeispiel den Notausstieg<br />
mit dem Rettungsfallschirm aus dem<br />
Cockpit; eine Situation, die man bis auf das<br />
Trockentraining in der Segelflugausbildung<br />
nicht trainieren kann. Alleine die regelmäßig<br />
Vorstellung dieser Situation mit<br />
ihren Abläufen lässt uns erfahrungsgemäß<br />
im Notfall richtig reagieren. Statistisch<br />
haben etwa 98 Prozent aller Piloten, die<br />
einen Notausstieg mit Fallschirmabsprung<br />
hatten, überlebt.<br />
Die mentale Vorstellung von Abläufen und<br />
Situationen funktioniert aber auch für jede<br />
andere Situation. Probieren Sie es einfach<br />
mal aus und finden Sie heraus, wie Sie sich<br />
auf gewisse Situationen dadurch besser<br />
vorbereiten können. Ein gute Übung ist das<br />
Einfliegen in die Thermik mit anderen Flugzeugen.<br />
Stellen Sie sich einfach vor, dass<br />
viele andere Flugzeuge sich im Aufwind<br />
befinden und wie und wann sie eindrehen<br />
und vor allem wie Sie ihre Luftraumbeobachtung<br />
gestalten. Das können Sie<br />
unendlich ausbauen und ständig beim<br />
Fliegen mit der Realität abgleichen. Das<br />
mit dem Fallschirmabsprung lassen sie aber<br />
lieber bleiben, wenn‘s nicht notwendig ist.<br />
Fazit<br />
Das Fliegen ist aufwändig und kompliziert<br />
genug. Finden Sie Wege, wie Sie Ihr direktes<br />
fliegerisches Umfeld optimaler, funktionaler<br />
und einfacher gestalten können, um<br />
weniger Fehler zu machen. Je einfacher die<br />
Dinge funktionieren, desto mehr Spaß<br />
haben Sie auch.<br />
Versuchen Sie in jedem Flug, egal wie lang<br />
oder ambitioniert er ist, irgendetwas zu<br />
verbessern oder zu optimieren oder fragen<br />
Sie sich vor allem bei Zubehör und Ausrüstung,<br />
ob Sie das alles wirklich brauchen,<br />
um das zu bekommen, was Sie erleben<br />
wollen. Manchmal sind es bei mir nur eine<br />
Trinkflasche, ein Gefrierbeutel und die<br />
Bordbatterie, um dann mit einer Ka 8 zu<br />
fliegen. Weniger ist mehr. Seil straff! t<br />
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segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 43
FLUGBERICHT<br />
Bis auf 7000 Meter in der<br />
Text und Fotos: Axel Pauli<br />
Karten-Ausschnitt:<br />
Der Flugplatz liegt<br />
nordöstlich von<br />
Jesenik an der<br />
Landesgrenze<br />
Tschechiens zu<br />
Polen.<br />
Flugplatz-Koordinaten<br />
(ARP):<br />
50° 18‘ <strong>06</strong>“ N,<br />
17° 17‘ 51“ E<br />
44 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>
FLUGBERICHT<br />
„langen Welle von Jesenik“<br />
Das markante an der Welle sind die Lenticularis-Wolken, wenn die Luft nicht zu trocken ist. Diese können in mehreren<br />
Schichten übereinander angeordnet sein<br />
Wenn im Brandenburger Land der Herbst Einzug<br />
hält und die thermische Segelflugsaison zu Ende ist,<br />
fängt nicht allzu weit weg, in Mikulovice<br />
am Fuß des Altvatergebirges in Tschechien,<br />
eine ganz andere Saison an.<br />
Begünstigt durch die Lage des Altvatergebirges<br />
können sich dort bei starkem Südwest-Wind<br />
Leewellen bis in große Höhen ausbilden.<br />
Von Mikulovice aus nutzt man diese Wellen bereits<br />
seit vielen Jahren. Wer eines Tages auf den Gedanken<br />
kommt, doch noch einmal seine 3000-Meter-Startüberhöhung<br />
für die Gold-C oder den 5000-Meter-Höhendiamanten<br />
machen zu wollen, steht schnell vor der Frage,<br />
wo man das möglichst einfach und auch preiswert noch<br />
machen kann.<br />
Von Berlin eine Halbtags-Reise<br />
Ein Vereinskamerad machte mir die Idee schmackhaft, doch<br />
einmal solche Höhenflüge in Mikulovice zu versuchen. Von<br />
Berlin aus ist die Anreise durch Polen zum Flugplatz Mikulovice<br />
in Tschechien mit zirka 480 km der kürzeste und schnellste<br />
segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 45
FLUGBERICHT<br />
Weg. Der größte Teil der Strecke ist Autobahn.<br />
Nach rund sechs bis sieben Stunden<br />
ist man am Ziel.<br />
Zuerst war die problemlose Beatmung<br />
während des Fluges sicherzustellen, da ich<br />
mich längere Zeit über 4000 m MSL<br />
aufhalten wollte. Ich erwarb eine EDS-Beatmungsanlage,<br />
die beim Verbrauch der<br />
Atemluft sehr wirtschaftlich arbeitet. Auch<br />
die sichere Befestigung der Sauerstoffflasche<br />
im Segler musste gelöst werden,<br />
Rotorturbulenzen können heftig sein.<br />
Anschließend informierte ich mich auf der<br />
Webseite vom Aeroklub Jesenik über die<br />
Leewelle, ihre Ausprägung und Besonderheiten.<br />
Es gibt dort auch eine Website in<br />
deutscher Sprache, wo alles über die<br />
Leewelle erklärt ist.<br />
Schönes Saison-Ende: Wave-Camp im<br />
Oktober<br />
Der Aeroklub Jesenik führt seit vielen<br />
Jahren Ende Oktober ein- bis zwei Wochen<br />
dauernde Wave Camps durch, für das man<br />
sich auf der Webseite www.aeroklubjesenik.cz/vlna<br />
anmelden kann. In diesem<br />
Herbst war das Lager von 22. Oktober bis<br />
<strong>06</strong>. November.<br />
Übernachten kann man zu günstigen<br />
Preisen direkt am Flugplatz. Verschiedene<br />
Mehrbettzimmer für zwei bis fünf<br />
Personen mit und auch ohne integrierte<br />
WC-Zelle werden angeboten. Aber auch in<br />
der Umgebung findet man einige günstige<br />
Übernachtungsmöglichkeiten.<br />
Im grenzüberschreitenden Luftraum auf<br />
die Wellen-Autobahn<br />
Die tschechische und polnische Seite beantragen<br />
gemeinsam von September bis<br />
März einen speziellen Luftraum mit<br />
verschiedenen Höhen als TRA für Wellenflüge.<br />
Dieser Luftraum erstreckt sich beidseitig<br />
der polnisch-tschechischen Grenze<br />
von Zittau aus bis ins Altvatergebirge.<br />
Darin sind also selbst gegen Ende Oktober<br />
noch lange Streckenflüge möglich (Bild 1).<br />
Weil sich verschiedene Gebirge an dieser<br />
Grenze hintereinander aufreihen und<br />
wenn der Südwestwind genügend stark<br />
bläst, kann man fast schon von einer<br />
Wellenautobahn sprechen. Es existiert<br />
sogar eine Wegpunktdatei mit entsprechenden<br />
Wellen-Hotspots (Bild 2).<br />
Folgt man diesen Punkten, sind bei guter<br />
Wellenausprägung längere Streckenflüge<br />
in großer Höhe kein Problem. Daher<br />
stammt auch der Name „lange Welle“. Am<br />
leichtesten geht das, wenn sich Lenticula-<br />
Bild 1: Die Leewellen von Jesenik in der Übersicht<br />
Bild 2: Ausschnitt aus der Wegpunktdatei mit den Wellen-Hotspots<br />
Bild 3: Das Wellenfenster in der Grenzregion zwischen Tschechien und Polen<br />
erstreckt sich von Zittau aus bis ins Altvatergebirge<br />
46 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>
FLUGBERICHT<br />
ris-Wolkenstraßen gebildet haben, die<br />
viele Kilometer lang sein können (Bild 3).<br />
Diese erleichtern die Orientierung in der<br />
Welle erheblich und man hat bei Geschwindigkeiten<br />
um 150 km/h oft noch Steigen<br />
oder nur geringes Sinken und bewegt sich<br />
dabei in einem Höhenband zwischen 3000<br />
bis 7000 m MSL. Für einen Flachlandpiloten<br />
wie mich ist das ein fast unglaublicher<br />
Traum.<br />
Auch wenn man „nur“ die Höhe für die<br />
Gold-C oder den Diamanten erfliegen will,<br />
ist man in Jesenik gut bedient. In der Nähe<br />
vom Berg Altvater kann man ohne Transponder<br />
oder besondere Freigabe bis auf FL<br />
235 (7<strong>16</strong>3 m MSL) steigen (Bild 4).<br />
Um in Mikulovice mit dem eigenen Flugzeug<br />
fliegen zu dürfen, muss man wie auf<br />
jedem Flugplatz, der mit Starkwind-Verhältnissen<br />
zurechtkommen muss, einen<br />
Wellen-Einweisungsflug mit Instruktor<br />
absolvieren. Dafür wird ein Blanik eingesetzt.<br />
Da Mikulovice unter der dritten Welle<br />
liegt, fliegt man im F-Schlepp rund 10 bis 15<br />
Kilometer nach Südwesten bis zur ersten<br />
Bild 4: Es muss nicht<br />
immer Streckenflug sein:<br />
Die Leewellen von<br />
Jesenik eignen sich auch<br />
für Piloten, die ihren<br />
Höhen-Diamanten<br />
erfliegen wollen<br />
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segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 47
FLUGBERICHT<br />
48 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>
FLUGBERICHT<br />
Welle. Die Schlepps können ruppig sein, je<br />
nachdem, wie stark die Rotoren ausgeprägt<br />
sind. In der Nähe des ersten Rotors<br />
wird in sicherer Höhe ausgekuppelt und<br />
dort versucht man sein Glück dann alleine.<br />
Nachteilig ist, dass man eine große Entfernung<br />
zum Flugplatz zurückfliegen muss,<br />
sollte man den Rotor nicht erwischen und<br />
absaufen. Mitunter bleibt nur die Außenlandung<br />
auf dem Notlandefeld in Bukovice<br />
bei Jesenik als Ausweg. Dieses Notlandefeld<br />
sollte man sich zuvor ansehen, da dort<br />
im Anflugbereich zwei Stromleitungen<br />
stehen und die Zufahrt dazu etwas<br />
versteckt ist.<br />
Stets die Übersicht behalten<br />
Man muss sich stets darüber im Klaren<br />
sein, dass Leewellen etwas Dynamisches<br />
sind und sich diese bei Änderung der Windgeschwindigkeit<br />
und -Richtung verschieben<br />
oder auch zusammenbrechen können.<br />
Ebenso spielt die aktuelle Luftfeuchtigkeit<br />
eine Rolle. Ich erlebte Flugtage, da turnte<br />
man von Lenti zu Lenti nach oben und an<br />
anderen Tagen war alles klar. Bei sehr viel<br />
Bewölkung muss man aufpassen, dass sich<br />
die Föhnlücke nicht schließt, wenn die<br />
Welle zusammen bricht oder plötzlich zu<br />
viel Feuchte herangeschoben wird. Dann<br />
muss man schnell einige Tausend Höhenmeter<br />
absteigen, um die Erdsicht zu<br />
behalten.<br />
Wer eine bestimmte Höhenleistung<br />
erfliegen will, muss sich dafür Zeit nehmen.<br />
Leewellen werden nicht auf Bestellung<br />
geliefert und man kann auch mal eine<br />
ganze Woche umsonst auf sie warten. Als<br />
Alternative sind aber auch sehr schöne<br />
Wanderungen im Altvatergebirge oder<br />
Stadtbesichtigungen möglich.<br />
Wellen verlangen Feingefühl<br />
Ich selber brauchte zwei Anläufe, um<br />
meine Höhen zu erfliegen. Im Herbst 2011<br />
reichten die Verhältnisse nur zur Gold-C-<br />
Höhe, doch im November 2012 hatte ich<br />
Glück und kam auf über 7000 m MSL<br />
hinauf. Sind die Windgeschwindigkeiten in<br />
der Welle hoch, erfordert das Fliegen viel<br />
Aufmerksamkeit, um nicht aus der<br />
tragenden Linie hinaus geblasen zu<br />
werden. Man fliegt dann ähnlich wie an<br />
einer Hangkante und wendet immer gegen<br />
den Wind. Wegen der großen Höhe fehlt<br />
Impressionen vom Fliegen rund um<br />
Jesenik<br />
7005 m<br />
über MSL,<br />
der Höhendiamant<br />
ist<br />
im Kasten<br />
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segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 49
FLUGBERICHT<br />
Blick auf die Turmspitze des Altvater<br />
die hilfreiche Boden-Orientierung und<br />
deshalb ist es manchmal schwierig, auf der<br />
richtigen Linie in der Welle zu bleiben. Nun<br />
ist Moving-Map-Unterstützung hilfreich.<br />
Am Anfang und Ende der Wende setzte ich<br />
mir jeweils zwei Punkte auf der Karte,<br />
dazwischen muss man den Vorhaltewinkel<br />
beim Hin- und Herfliegen so wählen, dass<br />
man nicht ins Lee abgetrieben wird. Man<br />
darf sich auch nicht wundern, wenn man<br />
plötzlich über Grund gemessen „rückwärts“<br />
fliegt. Das erste Mal ist es gewöhnungsbedürftig,<br />
wenn das Moving Map<br />
meldet, man fliege mit 30 km/h nach<br />
Osten und Flugzeugnase und Kompass<br />
zeigen nach Westen.<br />
Herausfordernde Starkwind-Landungen<br />
Bei hohen Windgeschwindigkeiten kann<br />
die Landung am Flugplatz Mikulovice auf<br />
Piste 23 (Bild links) zur Herausforderung<br />
werden, besonders, wenn dort der Rotor<br />
direkt über dem Platz steht. Ich erlebte in<br />
300 Metern Höhe im Gegenanflug schon<br />
unglaubliche Geschwindigkeiten bis zu<br />
200 km/h über Grund. Wenn man dabei zu<br />
weit vom Flugplatz entfernt zum Queranflug<br />
ansetzt, kann das eine unerwartet<br />
schnelle und gefährliche Außenlandung<br />
kurz vor dem Flugplatz bedeuten, da man<br />
im Rotor sehr schnell Höhe verliert und<br />
obendrein nicht mehr vorwärts kommt.<br />
Faszinierende Licht- und Schattenkontraste<br />
50 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>
FLUGBERICHT<br />
Das ist einer der Gründe, warum in Jesenik<br />
ein Trainingsflug mit einem Instruktor<br />
verlangt wird – in solch schwierigen<br />
Lande-Situationen sind ein kühler Kopf und<br />
klare Entscheidungen gefragt, soll die Situation<br />
unter Kontrolle bleiben.<br />
Bei meinen bisherigen Flügen in Höhen<br />
über 4000 m MSL sammelte ich folgende<br />
Erfahrungen, die ich hier weiter geben<br />
möchte:<br />
• Das Beatmungssystem EDS so einbauen,<br />
dass man es auch im Flug bedienen<br />
kann, die LEDs sieht und akustische<br />
Alarme hört.<br />
• Den genauen Vorrat an Sauerstoff in der<br />
Flasche während des Fluges stets<br />
kennen, um rechtzeitig abzusteigen.<br />
• Eine Sauerstoff-Notversorgung wie die<br />
in nebenstehendem Bild abgebildete<br />
Oxi-Fit-18-Ausrüstung mit an Bord<br />
haben, falls die Beatmungsanlage<br />
ausfällt (Bezugsquelle siehe Links).<br />
• Der Abstieg aus mehreren Tausend<br />
Metern Höhe braucht viel Zeit t<br />
Weiterführende Links:<br />
Aeroclub Jesenik: www.aeroklubjesenik.cz<br />
Verzeichnis der Übernachtungs-Möglichkeiten: www.jeseniky.net/ubytovani.php?lang=de<br />
Übernachtungs-Möglichkeit: Hotel Residenz am See: www.rezidenceujezera.cz/kontakt<br />
Wave-Camp 20<strong>16</strong>: www.aeroklubjesenik.cz/vlna<br />
Wave Camp 2013: www.aeroklubjesenik.cz/vlkmp13.htm<br />
Wellenrichtlinie von Jesenik: www.aeroklubjesenik.cz/img/vlkmp13/Welle-Richtlinie.pdf<br />
Sauerstoff-Notabstiegs-Ausrüstung „Oxi Fit 18“: www.praxisdienst.de/Notfall/Beatmung+und+Intubation/Sauerstoffsysteme+<br />
Flaschen+und+Zubehoer/Sauerstoffsysteme/Oxy+fit+Sauerstoff+Set+mit+Koffer.html<br />
YouTube Videos LSG Bottenhorn von Björn und Jan Köhnke: www.youtube.com/playlist?list=PLki-pCTRm4oPf8XtedcbHTewa3dAscMq6<br />
Weitere Impressionen finden Sie im Foto Album Leewelle-Fliegen im Altvatergebirge von Axel Pauli:<br />
plus.google.com/photos/101383192840280318823/albums/5804253664718637777<br />
segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 51
FLUGBERICHT<br />
Segelflugparadies Fuentemilanos<br />
„HAMMER FETT,<br />
BOMBE KRASS“<br />
Text: Christoph Talle<br />
Bilder: Heiner Schütte, Christoph Talle<br />
Karte: Google<br />
Obwohl ich bereits in den 80er<br />
Jahren während meiner<br />
Semesterferien regelmäßig als<br />
Schleppilot/Fluglehrer für die<br />
Segelflugschule Oerlinghausen<br />
für mehrere Wochen im<br />
„Segelflugzentrum<br />
Fuentemilanos“ vorbeigeschaut<br />
habe, bin ich erst im Jahr 20<strong>06</strong><br />
mit der ASH 25 „HO“ wieder zum<br />
Fliegen an die Guadarrama<br />
gekommen.<br />
Wunderschöner Blick auf Segovia mit Kathedrale, Aquädukt und Alcazar (Burg).<br />
Es liegt in unmittelbarer Nähe zu Fuentemilanos (15 km)<br />
52 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>
FLUGBERICHT<br />
Konvergenzen und Wolken bis zum Horizont<br />
Die Mehrzahl der Segelflugzeuge<br />
waren jetzt Eigenstarter oder<br />
hatten zumindest einen Turbo.<br />
Der Flugbetrieb war dadurch<br />
deutlich ruhiger, da das „Gedränge“ am<br />
Start stark nachgelassen hat. Die Strecken,<br />
die früher nur von den „Profis“ geflogen<br />
wurden (Jojo im Osten bis zum Ebro und im<br />
Westen über El Barco hinaus Richtung<br />
Portugal), wurden jetzt von den Meisten<br />
beflogen. Sicher spielt auch die technische<br />
Entwicklung der Flugzeuge mit GPS und<br />
Logger eine Rolle, man traut sich weiter<br />
weg, obwohl der markante Gebirgszug<br />
beim Navigieren hilft. Auch mir gelang<br />
20<strong>06</strong> auf Anhieb ein Jojo über eine Strecke<br />
von mehr als 1000 Kilometern.Dieses war<br />
für uns Anlass, mit ein paar Freunden einen<br />
eigenstartfähigen Nimbus 3DM „XL“ zu<br />
kaufen, mit dem wir jedes Jahr zusammen<br />
mit der „HO“ für zwei bis drei Wochen nach<br />
Spanien fahren.<br />
Die Infrastruktur hatte sich deutlich<br />
verbessert. Während in den 80er Jahren<br />
kein Baum Schatten gespendet hat, gibt es<br />
jetzt einen Campingplatz mit sanitären<br />
Anlagen und einem Pool. Es gibt, wie<br />
damals, ein Restaurant am Platz, wo man<br />
auch spät noch etwas zu Essen bekommt.<br />
Sommer 20<strong>16</strong><br />
Unsere Truppe aus Norddeutschland hat<br />
sich hat sich in den letzten Jahren „etwas“<br />
vergrößert. Neben Nimbus, ASH 25 ist seit<br />
einigen Jahren Tim (M&D) mit Familie und<br />
Arcus dabei, ich fliege seit zwei Jahren eine<br />
segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 53
FLUGBERICHT<br />
DG-600M, Thomas mit seiner<br />
ASW-22BLE und unsere<br />
„Youngster“ vom LSV Lingen<br />
waren mit dem Vereins-DUO<br />
dabei. Auf dem sonst ruhigen<br />
Campingplatz kehrt Leben<br />
ein, wenn wir mit über 15<br />
Leuten mit Zelten und Wohnmobilen<br />
unser Camp aufschlagen.<br />
Nachdem es anfangs etwas<br />
„Irritationen“ gab, kommen<br />
jetzt öfter abends Piloten mit<br />
Anhang zu uns, wenn Tim<br />
seine Gitarre rausholt und<br />
wir „nicht schön, aber geil<br />
und laut!“ singen. Zusammen<br />
mit Guy und Holger wird<br />
dann auch häufig gekocht<br />
und anschließend natürlichgefachsimpelt.<br />
1000 km um Madrid<br />
Seit Jahren „träumen“ wir<br />
davon, einmal ums „Kuhdorf“<br />
(Madrid) zu fliegen. Die<br />
letzten Jahre haben wir<br />
unseren fliegerischen Horizont<br />
langsam erweitert, so<br />
dass wir im Westen öfter in<br />
Portugal waren und im<br />
Süd-Osten die „Sotos-Berge“<br />
bis Teruel schon kannten.<br />
2015 hatten wir mit Guy den<br />
Schlachtruf „Hammer fett,<br />
Bombe krass“ (der Song<br />
„Arbeit“ von Helge Schneider<br />
und Sido) als Codewort festgelegt,<br />
wenn eine Umrundung<br />
Madrids möglich ist.<br />
Wie Holger am 03.08.<strong>16</strong> im<br />
OLC-Magazin geschrieben<br />
hatte, ist es psychologisch<br />
nicht ganz einfach, da man in<br />
dem Moment, in dem man<br />
sich entschieden hat, die<br />
„Umrundung“ anzutreten,<br />
mindestens 400 km in die<br />
eine oder andere Richtung<br />
fliegen muss.<br />
Der große Tag kündigte sich<br />
an, und Guy Bechtold machte<br />
extra einen Ruhetag um die<br />
Umrundung bis ins kleinste<br />
Detail zu planen. Der Europarekord<br />
über ein 1000-km-<br />
FAI mit einer Geschwindigkeit<br />
von 120 km/h, der vom<br />
Franzosen Alain Mazalerat<br />
Der Flug vom 26.07.20<strong>16</strong><br />
Flugplatz Fuentemilanos<br />
gehalten wird, sollte geknackt<br />
werden. Während des ganzen<br />
Nachmittags wurde mit dem<br />
Wettermodell<br />
von<br />
TOP-METEO geplant, und<br />
abends war die Strecke um<br />
Madrid bekannt.<br />
26.07.20<strong>16</strong>: „Hammer fett,<br />
Bombe krass“<br />
Ich werde aufgrund meines<br />
„Rotax-Boliden“ zwar teilweise<br />
belächelt, aber ich<br />
komme mit MTOM auf der<br />
1000-m-Bahn doch gut in die<br />
Luft. Mit der Morane war es<br />
früher oft schlechter. An<br />
diesem Tag ging es auch<br />
direkt am Platz gut weg, so<br />
dass ich mir das mühsame<br />
„Hochklettern“ am Berg<br />
sparen konnte. Mein Plan sah<br />
so aus; erst gen Osten (ca. 120<br />
km) an der „Sierra de Guadarrama“<br />
entlang, dann zurück<br />
in Richtung „Sierra de<br />
Gredos“, um mich dann<br />
spätestens um 14:30 Uhr in<br />
Höhe des „Almazor“ (höchster<br />
Berg der Credos) die Klippe<br />
nach Süden herunter zu<br />
stürzen. Leider ging der Plan<br />
auf, so dass ich um 14:32 Uhr<br />
die DG-600 mit Südkurs<br />
aufgerichtet habe.<br />
Während die kastilische<br />
Hochebene bei 1000 m MSL<br />
liegt, ist das Gelände südlich<br />
des kastilischen (iberischen)<br />
Scheidegebirges doch fast<br />
500 m tiefer. Elli (meine Frau)<br />
hat mich stark damit motiviert,<br />
dass sie mich überall<br />
abholt, falls der Sprit alle ist<br />
oder der Motor nicht<br />
anspringt (ich meine, ich<br />
habe auch etwas wie<br />
„Weichei“ gehört). Guy sagte<br />
mir, flieg so hoch wie möglich<br />
ab, dann kommst du an den<br />
Bergen südlich von Toledo in<br />
ausreichend Höhe an (400<br />
bis 500 m), um Anschluss zu<br />
finden. Naja, sein Wort in<br />
Gottes Gehörgang, es war 40<br />
Minuten Ruhe im Cockpit<br />
und ich habe 2000 Meter<br />
abgeglitten, bevor das Vario<br />
gezuckt hat.<br />
54 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>
FLUGBERICHT<br />
Der Geier kennt den Vier-Meter-Bart<br />
Christoph Talle nach der Landung ...<br />
jetzt wird gefeiert!<br />
Die Luft war vollkommen ruhig, und ich bin<br />
die fast 100 km schön mit bestem Gleiten<br />
geflogen. Man sieht die Wolken<br />
weit im Süden stehen, aber sie wollen<br />
einfach nicht näherkommen. An den Wolken<br />
angekommen, zeigte mir ein Geier<br />
einen Vier-Meter-Bart. Absolut irre!<br />
Der Bergkette nach Osten unter einer<br />
Aufreihung folgend kam ich sehr gut voran.<br />
Südlich Ocana hören die Berge auf, die<br />
Gegend erinnert etwas an Namibia, steppenähnlich<br />
mit Pfannen. Es gab jetzt zwar<br />
keine Aufreihungen mehr, aber der Himmel<br />
war gut mit Cumulanten gezeichnet.<br />
Hier muss mir Guy mit dem Quintus entgegengekommen<br />
sein, der an diesem Tag den<br />
Europarekord über ein 1000 km FAI Dreieck<br />
mit einem 137er Schnitt geflogen hat! Auch<br />
unsere ASH 25 mit HGP und Heissa haben<br />
wie Guy Madrid rechtsrum umrundet und<br />
waren in dieser Gegend zeitgleich mit mir<br />
unterwegs.<br />
Immer schön südlich der TMA Madrid<br />
entlang kam ich endlich an den Stausee<br />
südlich von Sotos, den ich von früheren<br />
Flügen kannte. Jetzt kamen Heimatgefühle<br />
auf, ich lag super in der Zeit. Gegen 18:45<br />
Uhr hatte ich die Umrundung bereits<br />
östlich Riazza geschlossen und es waren<br />
noch knapp drei Stunden Zeit, um die 1000<br />
Kilometer voll zu machen.<br />
Also die bekannte Rennstrecke entlang der<br />
Guadarrama gen Westen, bei Avila unsere<br />
„Youngster“ Alex und Heiner mit dem Duo<br />
getroffen und zusammen um 20:00 Uhr<br />
noch einen Drei-Meter-Bart ausgegraben,<br />
der uns auf fast 3800 m MSL brachte.<br />
Jetzt gab es noch einen schönen, fast<br />
50-minütigen Endanflug, bei dem der<br />
Zähler auf 1000 km sprang und die Luft<br />
dermaßen gut trug, dass ich kurz vor<br />
Sunset in „Fuente“ ankam.<br />
1055 km, 110er Schnitt!<br />
Es gab ein ganz großes Hallo, Guy Europarekord,<br />
die ASH rechts, ich links um<br />
Madrid und unsere Jungs beim ersten<br />
Besuch in Fuentemilanos ihr erstes<br />
„Tausender“ auf unserem Vereins Duo.<br />
Wir, besonders auch die Nimbus-Truppe<br />
mit Arno, Herbi und Norbert, freuen uns<br />
jetzt schon auf Fuente 2017, nicht nur auf<br />
das Wetter, sondern auch auf viele Freunde<br />
aus Deutschland, Spanien, England,<br />
Belgien, Schweiz, Luxemburg, Boberg ...!<br />
PS: Die DG-600 wird zwar als „Mickey<br />
Mouse“ bezeichnet, es lassen sich aber<br />
gerade in Spanien, wenn es schnell wird,<br />
schöne Strecken damit fliegen (auch wenn<br />
Holger mitleidig meint, er müsse mal mit<br />
Elli reden.) t<br />
segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 55
WERKSTATT<br />
Bei der Jahreswartung sind die EASA-Vorschriften<br />
zu beachten. Sobald Instrumente<br />
nicht nur ausgetauscht, sondern verändert<br />
werden oder Reparaturen ausgeführt werden,<br />
brauchen Sie einen dafür berechtigten Prüfer,<br />
seine Aufsicht oder im Falle einer Reparatur<br />
die Hilfe eines dafür zugelassenen Fachbetriebes<br />
Im Vereinsbetrieb sorgt in der Regel ein ausgebildeter<br />
Prüfer für die Einhaltung der Instandhaltungs-Programme<br />
– womit die Jahreswartungs-Arbeiten<br />
noch immer auf verschiedene<br />
arbeitswillige Vereinsmitglieder verteilt<br />
werden können<br />
56 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>
WERKSTATT<br />
FLUGZEUG<br />
und<br />
MOTOR<br />
richtig überwintern<br />
Text: Ernst Willi<br />
Fotos: Bruno Haller, Ernst Willi, Janik Eggler<br />
Wo dürfen Sie am Flugzeug noch selber Hand anlegen? Wie<br />
überwintert ein Wankelmotor am sichersten? Muss man den<br />
Benzintank füllen oder entleeren? Wie pflegen Sie die Oberflächen<br />
am besten? Was ist bei den mechanischen Ruderantrieben die<br />
passende Pflege – eine Antwort auf diese und zahlreiche weitere<br />
Fragen finden Sie in diesem Beitrag.<br />
Mit diesem QR-Code finden Sie den<br />
direkten Zugang auf die LBA-Spezial-<br />
Website für Rahmenprogramme /<br />
Selbsterklärung für nicht gewerblich<br />
betriebene Luftfahrzeuge:<br />
Bei Themen wie Jahreswartung oder<br />
Instandhaltungsprogramm landen<br />
Sie sofort unvermeidbar im unübersichtlichen<br />
Vorschriften-Dickicht<br />
von EASA, bmvit, LBA und BAZL (Sie finden<br />
ausführliche Erklärungen der in diesem<br />
Artikel verwendeten Abkürzungen in der<br />
separaten Tabelle am Schluß des Beitrags).<br />
Dabei ist der Grundsatz für die Durchführung<br />
der Jahreswartungs-Arbeiten im<br />
Gegensatz zur behördlichen Kommunikation<br />
einfach: Sie dürfen Ihr Flugzeug<br />
pflegen. Die genauen Maßnahmen dazu<br />
sind in einem Instandhaltungsprogramm<br />
festgelegt, welches von einer Überwachungs-Organisation<br />
(CAMO) oder einem<br />
berechtigten Prüfer „absegnet“ und überwacht<br />
werden muss. Sie dürfen im Wesentlichen<br />
Ihr Fluggerät reinigen, pflegen und<br />
etwa ein Instrument ausbauen und durch<br />
ein gleiches Gerät austauschen, danach<br />
wird’s bereits schwierig. Unbeaufsichtigtes<br />
Reparieren von Flugzeugteilen oder Instru-<br />
menten geht legal gar nicht – eigentlich<br />
auch nicht der Ersatz eines abgeschliffenen<br />
Heckspornes – jedenfalls nicht, ohne dass<br />
ein zu Änderungen berechtigter Prüfer das<br />
Resultat sichtet, Ihnen als „korrekt ausgeführt“<br />
unterschreibt und danach in die<br />
technischen Akten einträgt. Grundsätzlich<br />
gilt, dass berechtigte Prüfer Änderungen<br />
vornehmen dürfen und dass Reparaturen<br />
durch einen Fachbetrieb zu erledigen sind.<br />
Hintergrund der Jahres-Wartungsarbeiten<br />
Die häufig kritisierten, schärfer formulierten<br />
Regeln für den Flugzeug-Unterhalt<br />
sind nicht zufällig entstanden. Ein Beispiel:<br />
Niemand hat ein Interesse daran, dass<br />
unbeaufsichtigt zusammengeharzte Flugzeugholme<br />
nach einer Beschädigung bei<br />
einer Aussenlandung mit einem Gebraucht-<br />
Flugzeug auf dem Markt bleiben. Im<br />
Grunde genommen wurden wegen<br />
einzelner Fälle, in denen ein Flugzeughalter<br />
die eigenen Reparatur-Fähigkeiten über-<br />
segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 57
WERKSTATT<br />
schätzte, die Vorschriften standardisiert<br />
und verschärft. An diesem Grundsatz<br />
dürfen Sie sich bei Ihren jährlichen Unterhaltsarbeit<br />
orientieren: Sobald Sie selber<br />
mit etwas Augenmaß und Fingerspitzengefühl<br />
den Eindruck haben, jetzt sei es<br />
wohl zielführender, einen Fachmann zu<br />
fragen, sollten Sie wirklich einen Profi<br />
beiziehen.<br />
Vernunft im Anflug<br />
Nach einer Phase regulatorischer Übertreibung,<br />
in welcher der Kleinflugzeuge-Unterhalt<br />
(etwa einer ASH-26E) mit jenem der<br />
Zivilluftfahrt (etwa eines Airbus A320) juristisch<br />
gleichgestellt war, haben sich seit<br />
dem 03. Juli 2015 die Rahmenbedingungen<br />
für Flugzeuge leichter als 1,2 Tonnen wieder<br />
verbessert, durch das Wegfallen entsprechender<br />
Gebühren auch finanziell. So ist es<br />
den Haltern von „ELA1“-Flugzeugen<br />
möglich, eine Selbsterklärung zum Instandhaltungsprogramm<br />
abzugeben. Diese<br />
Selbsterklärung muss nicht an das LBA<br />
geschickt werden.<br />
Pflege der Oberfläche<br />
Der Grundsatz bei der Oberflächen-Reinigung<br />
ist, alle vorhandenen Fett- und Klebereste,<br />
die sich während einer langen Saison<br />
angesammelt haben, zu entfernen und die<br />
Oberflächen wieder für die nächste zu<br />
schützen. Es ist deshalb nicht zielführend,<br />
wenn Sie während der Saison die Flugzeug<br />
– Oberfläche beispielsweise mit einer<br />
seifenhaltigen Flüssigkeit reinigen – damit<br />
entfernen Sie zuverlässig die vorhandene<br />
Schutzschicht – und die sollte ja bis zum<br />
Auftragen einer neuen halten.<br />
Als Entfetter von Kunststoff-Oberflächen<br />
einigen sich seifenhaltige Flüssigkeiten, in<br />
hartnäckigeren Fällen Kleinteilreiniger.<br />
Zum Entfernen der Leimreste der Klappen-Abdichtbänder<br />
gibt es einen Geheimtipp:<br />
gewöhnliche Büro-Radiergummis, auf<br />
einen Dremel-Drehschrauber aufgeklemmt.<br />
Vorsichtig angewendet sind auch<br />
18-Meter-Leimreste einfacher zu entfernen<br />
als mit dem eigenen Daumennagel. Damit<br />
sind wir allerdings bereits beim nächsten<br />
heiklen Punkt: Sie müssen alle Arten von<br />
Poliermaschinen so einsetzen, dass keine<br />
Wärme entstehen kann. Damit zerstören<br />
Sie unter Umständen die Oberflächenstruktur<br />
und fördern früheres Altern der<br />
Oberflächen, statt es zu verhindern.<br />
Feuchte-Kissen vermeiden<br />
Ein Klassiker bei den winterlichen Arbeiten<br />
Bei der Pflege der Flugzeug-Oberfläche werden alle Leim- und Fettreste sauber<br />
entfernt und mit wachs- oder silikonhaltigen Pflegemitteln neu für eine lange<br />
Saison geschützt. Während des täglichen Saison-Flugbetriebs werden Rumpf<br />
und Flügel deshalb mit reinem Wasser gereinigt und dann mit Pflegewachs die<br />
Oberflächen neu versiegelt. Feuchtigkeit hat dabei nichts verloren – die Oberflächen<br />
müssen trocken sein, um Feuchte-Einschlüsse zu vermeiden<br />
Silikonhaltige Pflegemittel sind gemäß den Experten der Eichelsdörfer GmbH<br />
aus Bamberg auch bei Holzflugzeugen entgegen weit verbreiteter Meinung bei<br />
späteren Reparaturen heute kein Problem mehr. Die Reparaturstelle wird bis auf<br />
die Holzstruktur hinunter weggeschliffen – so lange, bis der letzte Rest möglicherweise<br />
eingedrungenen Silikons entfernt ist. Damit ist eine dauerhafte,<br />
einwandfreie Reparaturstelle sichergestellt<br />
im Baulokal ist das zu schnelle Auftragen<br />
wachshaltiger Pflegemittel auf die<br />
Flügeloberfläche – zu schnell nach der<br />
Reinigung mit seifenhaltigem Wasser.<br />
Damit schließen Sie zuverlässig noch<br />
vorhandene Feuchtigkeit unter dem<br />
wachshaltigen Pflegemittel in der Oberfläche<br />
ein – das gilt übrigens auch für den<br />
Umgang mit Ihrer Anhänger-Oberfläche.<br />
Also: Gönnen Sie sich nach dem Reinigen<br />
der Flächen einen Kaffee im Clublokal oder<br />
Restaurant und lassen Sie die Flächen in<br />
Ruhe richtig austrocknen.<br />
Darf man nun Silikon einsetzen oder nicht?<br />
Bei modernen Kunststoff-Flugzeugen ist<br />
die Verwendung silkonhaltiger Pflegemittel<br />
kein Problem. Bei Reparaturen wird<br />
die Lackschicht immer bis auf das Kohleoder<br />
Glasgewebe hinunter weggeschliffen<br />
und Silikon-Reste werden damit vollständig<br />
entfernt.<br />
Entgegen anderslautender und weit<br />
verbreiteter Meinung verhält es sich bei<br />
Holzflugzeugen heute nicht anders. Silikon-Probleme<br />
mögen früher bei kleineren<br />
Reparaturen vielleicht eine Rolle gespielt<br />
haben. Man befürchtete, dass Silikon in die<br />
Stoffbespannung eindringt, im übelsten<br />
Fall sogar in die darunter liegende Holzschicht<br />
und Silikon-Reste später das zuverlässige<br />
Kleben einer Neu-Betuchung<br />
verhindern, die dann nie mehr dauerhaft<br />
halten würde. Experten aus dem Fachbetrieb<br />
Eichelsdörfer GmbH aus Bamberg<br />
versichern jedoch, dass silikonhaltige Pflegemittel<br />
selbst bei unersetzlichen Oldtimer-Flugzeugen<br />
heute keine Rolle mehr<br />
spielen. Und zwar deshalb, weil bei einer<br />
58 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>
WERKSTATT<br />
Selbstgebautes, dennoch ausgezeichnetes Hilfsmittel für die Leimreste-Entfernung<br />
– etwa beim Wölblklappen-Abdichtband-Ersetzen: Ein rund zugeschnittener<br />
Büro-Radiergummi auf einem dünnen Dremel-Aufsatz-Stift mit umgedrehter<br />
und verkleinerter Schleifscheibe fixiert. Eine sehr tiefe Drehzahl und<br />
geringer Anpressdruck genügen, um jedem Kleberest mühelos und sauber den<br />
Garaus zu machen<br />
Reparatur sowieso so lange geschliffen<br />
werde, bis die Holz-Oberfläche absolut<br />
sauber von Silikonresten sei – womit dann<br />
eine verlässlich haltende Reparatur sichergestellt<br />
sei.<br />
Poly-Urethan-Lacke (PU)<br />
PU-Lacke sind weicher als die früheren<br />
Shellcoat-Lacke. Sie sind weniger glasig,<br />
weniger spröde und weniger porös. Der<br />
Unterhalt dieser Oberflächen ist deshalb<br />
einfacher, unempfindlicher, sie sind UV-beständiger,<br />
langlebiger und besser zum<br />
Polieren – insgesamt muss man sie gleich<br />
wie Autolacke pflegen. Die Oberfläche<br />
kann mit Seife gereinigt werden und bleibt<br />
mit dem Auftragen eines einfachen<br />
Wachses wieder neu für eine längere<br />
Periode geschützt.<br />
Bei modernen Oberflächen sollen während<br />
der Saison stumpfe oder schmutzige<br />
Stellen mit Wachs nachgepflegt werden,<br />
damit auch diese Stellen wieder optimal<br />
geschützt sind.<br />
Umgang mit matten oder stumpfen<br />
Stellen<br />
Für matte Stellen oder feine Kratzer<br />
empfiehlt es sich, Feinschliff-Paste oder<br />
Politur einzupolieren. Hier ist nun der fein<br />
dosierte Einsatz einer Poliermaschine<br />
(ohne Wärme zu entwickeln) im Gegensatz<br />
zum Auftragen von Wachs angebracht,<br />
weil damit die Oberfläche wieder glatt<br />
poliert wird. Danach können diese Stellen<br />
wie der Rest der Oberfläche mit Wachs<br />
gepflegt und für längere Zeit geschützt<br />
werden.<br />
Saubere Ruder-Antriebe<br />
Den Antrieb für Fahrwerk, Bremsen, Querruder<br />
und Wölbklappen reinigen Sie mit<br />
Kleinteilereiniger und trocknen die betroffenen<br />
Stellen anschließend mit Papierrollen<br />
aus. Das ist der Moment, um die jetzt<br />
spiegelblanken Oberflächen mit Taschenlampe,<br />
Spiegel und einem kritischen Auge<br />
zu prüfen, getreu dem Grundsatz „main<br />
parts have to be clean“. Jetzt könnten Sie –<br />
etwa bei der Fahrwerksaufhängung – neu<br />
Neulackierungen<br />
von Segelflugzeugen,<br />
Motorseglern, …<br />
Wir sind umgezogen!<br />
35 Jahre Erfahrung –<br />
hunderte Flugzeuge lackiert.<br />
entstandene, kleine Haar-Risse erkennen.<br />
Anschließend tragen Sie eine neue Fett-<br />
Schutz-Schicht auf. Hier ist Großzügigkeit<br />
absolut fehl am Platz: Fett und Öl tragen<br />
Sie nur minimal und nur wo nötig auf,<br />
damit gerade die beweglichen Stellen<br />
geschmiert sind – nicht mehr. Denn ölige<br />
Stellen ziehen Staubpartikel magisch an<br />
und halten sie an der dümmsten Stelle<br />
auch noch fest. Daraus entsteht über die<br />
Zeit und beim Einsatz in den etwas staubigeren,<br />
südlichen Fluggebieten eine<br />
perfekte Schmirgelmasse, welche den<br />
beweglichen Teilen mehr schadet als dass<br />
sie sie schützt.<br />
Ein Beispiel dafür sind die Ruder-Gestänge<br />
im Cockpit, die hinaus auf die Ruderantriebe<br />
in den Flügeln führen. Sie werden oft<br />
an mehreren Stellen von beweglichen<br />
Teflon-Rädern geführt. Sammelt sich dort<br />
Staub, blockieren diese und werden im<br />
Laufe der Zeit einseitig angeschliffen.<br />
Danach hüpft eines dieser Räder irgendwann<br />
über die blockierte Stelle hinaus und<br />
klemmt womöglich die Ruderstange richtig<br />
fest, hoffentlich nicht in der Start- oder<br />
Landephase mit geringen Reaktionszeiten.<br />
Mit Aceton „für immer“ entfettet<br />
In Luftfahrt-Unterhaltsbetrieben landen<br />
ab und zu Flugzeuge, die „für immer“<br />
entfettet sind, beispielsweise bei den auto-<br />
Seit dem 1. März mehr Platz<br />
für Ihr Flugzeug.<br />
FBS Finish GmbH<br />
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segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 59
WERKSTATT<br />
Wem sein Zweitakter- oder Wankelmotor<br />
lieb ist, dem sind die Empfehlungen<br />
der Motorenhersteller nicht<br />
egal. Wichtig ist, die vorgeschriebenen<br />
Stilllegemaßnahmen peinlich genau<br />
einzuhalten oder aber den Motor<br />
spätestens alle zwei Monate zu<br />
verwenden; im winterlichen Bodenbetrieb<br />
aber zwingend mit montierten<br />
Flächen oder einer dafür vorgesehenen<br />
Motorentest-Halterung<br />
Hier finden Sie einen Schlussbericht<br />
der SUST über einen Flugunfall im<br />
Zusammenhang mit L’Hôtelier-Verschlüssen,<br />
die sich während des<br />
Flugbetriebes unbeaufsichtigt<br />
geöffnet haben. Außerdem ist in<br />
diesem Bericht als Folge davon auch<br />
eine Vorschrift des Herstellers für die<br />
Sicherung der Anschlüsse enthalten<br />
matischen Ruderanschlüssen, den sogenannten<br />
„Hänle-Tüten“. Diese Anschlüsse<br />
sind durch den großzügigen Einsatz des<br />
„scharfen“ Reinigungsmittels Aceton zwar<br />
kurzzeitig sehr sauber gewesen, danach ist<br />
aber die Oberfläche mit einem fettabweisenden<br />
Überzug versehen, welcher das<br />
künftige Eindringen von Fett und Öl zuverlässig<br />
verhindert. Streng zu bewegende<br />
oder gar festgefressene Ruderanschlüsse<br />
sind nach kurzer Zeit das Resultat davon.<br />
Spezialfall L’Hôtelier-Verschlüsse<br />
Die Kugelgelenke der L’Hôtelier-Verschlüsse<br />
verdienen ebenfalls eine<br />
pflegliche Behandlung. Sie wollen mit<br />
Kleinteilereiniger von Staubrückständen<br />
befreit werden. Fertig. Hier empfehlen die<br />
Aufsichts-Behörden nach einem Windenstart-Unfall<br />
im Jahre 1993 (Qr-Code links<br />
unten), dass die L’Hôtelier-Schnellverschlüsse<br />
nicht gefettet werden, weil sie<br />
sich bei fettiger Kugelgelenk-Oberfläche<br />
während des Betriebs ohne zusätzliche<br />
Sicherungsmaßnahmen wie Fokker-<br />
Nadeln oder einem Wechsel zum Wedekind-System<br />
unbeabsichtigt lösen können.<br />
Typische Anfängerfehler<br />
Häufig wird beim Jahres-Unterhalt zuviel<br />
auf einmal auseinandergeschraubt, was<br />
den Zusammenbau der Flugzeugteile am<br />
Ende zu einem schwer lösbaren Puzzle<br />
machen kann. Wer alle Teile, Schrauben,<br />
Unterlagsscheiben und so weiter in einem<br />
einzigen Behälter deponiert, weiss später<br />
nicht mehr, was wohin gehört. Am Ende<br />
sind die kurzen Schrauben in zu langen<br />
Gewinden verschwunden und die zu<br />
langen Schrauben stechen aus zu kurzen<br />
Gewinden hervor. Es ist praktischer, mit<br />
verschiedenen Plastik-Gefrierbeuteln zu<br />
arbeiten, diese zu beschriften und allenfalls<br />
mit einem Kabelbinder oder Kleber an<br />
den entsprechenden Teilen zu befestigen.<br />
Instrumenten-Anschlüsse werden zweckmäßigerweise<br />
nicht einfach aus ihren<br />
Buchsen entfernt; es ist zielführender,<br />
beide Seiten mit selbstklebenden<br />
Nummern zu beschriften (wenn die freie<br />
Fläche für einen wasserfesten Stift nicht<br />
ausreicht).<br />
Ein Klassiker ist das Wechseln eines Schlauches<br />
am Haupt-Fahrwerk: Unbedingt<br />
gleich zu Beginn der Arbeiten die Luft aus<br />
dem Reifen entweichen lassen, bevor man<br />
die Felgenhälften auseinanderschraubt.<br />
Sonst kann es bei einer brüchigen Felgenschraube<br />
oder beim vollständigen Lösen<br />
derselben passieren, dass die ganze<br />
Einrichtung mit einem Knalleffekt durch<br />
das Baulokal fliegt, weil der Reifendruck<br />
(nomen est omen) die Felgenhälften<br />
auseinanderpresst.<br />
Beim Heckrad müssten eigentlich nur<br />
Druck und Lauffähigkeit sichergestellt sein,<br />
weshalb man es nicht per se ausbauen soll.<br />
Ist beides in Ordnung, Heckrad dort lassen,<br />
wo es ist. Andernfalls und bei Verdacht auf<br />
Feuchtigkeit in den Kugellagern das<br />
Heckrad wirklich ausbauen, auseinander<br />
nehmen, reinigen und mit Maschinenfett<br />
wieder schmieren. Kugellager sollen mit<br />
dickflüssigem (Automotoren-)Öl gepflegt<br />
werden, dünnflussige (Nähmaschinen-)<br />
Öle sind hier an der falschen Stelle.<br />
Motoren richtig einwintern<br />
Die Mehrheit der heute ausgelieferten<br />
Segelflugzeuge hat einen Motor im Rumpf;<br />
deshalb stellte ich für die Wankelmotor-Systeme<br />
Ulrich Kremer von Alexander<br />
Schleicher Flugzeugbau in Poppenhausen<br />
und für die Solo-Motorsysteme Frank<br />
Goetze, dem Motoren-Spezialisten von<br />
DG-Flugzeugbau folgende Fragen:<br />
Welche allgemeinen Maßnahmen<br />
empfehlen Sie für die Stillegung des<br />
Motors während des Nichtbetriebes im<br />
Winter und was empfehlen Sie für die<br />
Behandlung des Motoren-Systems, damit<br />
während der mehrmonatigen Stillstandszeit<br />
keine Standschäden entstehen<br />
können?<br />
Ulrich Kremer: Ansaugluftfilter entfernen,<br />
Gashebel auf Vollgas stellen. Dosierflasche<br />
oder Spritze an dünnem Silikonschlauch<br />
befestigen, ins Ansaugrohr einführen.<br />
Dadurch werden 2 cm 3 Motoröl direkt in<br />
den Motor eingespritzt. Schlauch zurückziehen<br />
und Motor von Hand eine Umdrehung<br />
drehen, abgelesen am Anlasserzahnkranz<br />
(dies entspricht etwa 1/3 Propellerumdrehung).<br />
Diesen Vorgang fünfmal wiederholen<br />
und jedes Mal 2 cm 3 Motoröl<br />
einspritzen.<br />
Zur Erklärung: Wenn sich der Anlasserzahnkranz<br />
einmal dreht, dreht sich der<br />
Kolben nur 1/3 Umdrehung. Wenn dieser<br />
Vorgang dann sechsmal durchgeführt<br />
wird, ist gewährleistet, dass Öl in alle drei<br />
Kammern des Motors eingespritzt wurde.<br />
Schlauch herausziehen und Motor von<br />
Hand durchdrehen (mind. 15 Umdrehungen<br />
am Propeller). Ansaugluftfilter<br />
wird nicht montiert, die Einlassöffnung<br />
wird durch eine Plastikfolie und einen<br />
60 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>
WERKSTATT<br />
Gummiring verschlossen. Das Endrohr des<br />
Schalldämpfers wird auf dieselbe Art<br />
verschlossen.<br />
Im eingefahrenen Zustand des Propellers<br />
wird der Zahnriemen im Faltungsbereich<br />
auf gleichmäßige Schlaufenbildung<br />
kontrolliert. Gegebenenfalls die Riemenschlaufe<br />
durch einen harten Schaumgummi<br />
oder ähnliches in der Schlaufeninnenseite<br />
unterstützen. Die Motoraußenseite<br />
muss nicht speziell geschützt werden,<br />
wenn die Motorklappen bei trockener Luft<br />
durch Klebeband dicht verschlossen<br />
werden. Es wird empfohlen, einen sogenannten<br />
Luftentfeuchter (Granulat im<br />
Vliesbeutel) aus dem Camping- und Wohnwagenbedarf<br />
im Motorraum einzulagern.<br />
Frank Goetze: Die Motoren müssen, wenn<br />
sie länger als zwei Monate nicht benutzt<br />
werden, konserviert werden. Wie das zu<br />
geschehen hat, schreibt der Hersteller des<br />
Motors vor. Unter anderem wird in die<br />
Ansaugöffnungen des Vergasers 5 ml<br />
Zweitakt-Öl eingespritzt und anschließend<br />
der Propeller zehnmal durchgedreht<br />
werden. Die Eintrittsöffnung des Luftfilters<br />
muss abgedeckt und das Kraftstoffsystem<br />
entleert werden. Es gibt auch die Möglichkeit,<br />
einen Bodenlauf durchzuführen<br />
(außer LS 8-t und LS 10-t). Dabei ist zu<br />
beachten, dass dies nur mit montierten<br />
Flügeln erlaubt ist.<br />
Vor der Einlagerung für den Winter sollten<br />
das Flugzeug gründlich gereinigt und<br />
blanke Metallteile vor Korrosion geschützt<br />
werden.<br />
Die Batterien sollten gelegentlich geladen<br />
oder noch besser ausgebaut und an einem<br />
warmen Ort gelagert werden.<br />
Empfehlen Sie, den Benzintank komplett<br />
zu entleeren oder ganz zu füllen?<br />
Ulrich Kremer: Der Rumpftank sollte durch<br />
den Drainer entleert werden und der in den<br />
Leitungen verblieben Kraftstoff durch den<br />
Motor vollständig verbraucht sein<br />
Frank Goetze: Der Benzintank sollte<br />
entweder entleert werden oder komplett<br />
gefüllt sein. Auf alle Fälle muss vor der<br />
ersten Motorbenutzung im Frühjahr<br />
gedraint werden. Ich persönlich halte es für<br />
besser, den Tank zu entleeren und im Frühjahr<br />
mit frischem Benzin zu betanken.<br />
Soll man die Zündkerzen entfernen?<br />
Ulrich Kremer: Die Zündkerzen bleiben<br />
montiert<br />
Frank Goetze: Die Zündkerzen werden<br />
nicht entfernt<br />
Was muss man bei der Inbetriebnahme im<br />
Frühling besonders beachten?<br />
Ulrich Kremer: Motorklappen öffnen und<br />
Riemenschlaufen im Faltungsbereich auf<br />
Knicke kontrollieren. Öffnungen von<br />
Lufteinlass und Abgas öffnen und Luftfilter<br />
montieren. Falls der Motor länger als sechs<br />
Monate stillgelegt war und die Maßnahmen<br />
zur Stilllegung entgegen den<br />
Vorgaben nicht durchgeführt wurden,<br />
muss der Motorinnenraum entsprechend<br />
den Angaben zur „Stilllegung über 90<br />
Tage“ geölt werden.<br />
Die Zündkerzen werden nicht zum<br />
Ablassen des Öls entfernt, sondern bleiben<br />
Abkürzungs- und Begriffserklärungen<br />
ARC<br />
BAZL<br />
Bmvit<br />
CAMO<br />
CAMO +<br />
EASA<br />
ELA 1<br />
IHP<br />
LBA<br />
LTB<br />
MIP<br />
Part M<br />
montiert. Um das Öl in den Kammern<br />
gleichmäßig zu verteilen, wird der Propeller<br />
vor dem Anlassvorgang von Hand mehrmals<br />
durchgedreht. Anlassvorgang unter<br />
Beachtung aller Sicherheitsmaßnahmen<br />
durchführen. Vollständigen Standlauf<br />
entsprechend den Angaben im Motorhandbuch<br />
durchführen.<br />
Frank Goetze: Vor der ersten Inbetriebnahme<br />
im Frühjahr sollte man den Motor<br />
gründlich durchsehen. Sollte es beim<br />
Anlassen Probleme geben (dies kann<br />
besonders bei Motoren mit hängenden<br />
Zylindern z. B. in der DG-400 auftreten), so<br />
sind die Zündkerzen zu reinigen. t<br />
Kommentar<br />
Meine Kritik an den Behörden: Unauffindbare und unverständliche Basis-Informationen.<br />
Es ist erstaunlich, dass sich die Kleinflugzeug-Industrie diszipliniert<br />
an die kaum auffindbaren und unverständlich formulierten Anforderungen hält.<br />
So bleiben beispielsweise auch nach mehr als einer Stunde intensiver Suche die<br />
Grundlagen für die Flugzeugwartung der sog. „Part M“ der EASA geisterhaft und<br />
unauffindbar – die Grundlage und Definition der Unterhaltsarbeiten ist damit<br />
nur mit großem zeitlichem Aufwand überhaupt erreichbar. Die Gebrauchstauglichkeit<br />
(Usability) der Websites und ihre integrierten Suchmaschinen sind definitiv<br />
unzureichend, beim deutschen LBA (Luftfahrt-Bundesamt) am übersichtlichsten.<br />
Selbst wenn Sie dank Ihrer Hartnäckigkeit fündig geworden sind, wartet<br />
eine nächste Hürde auf Sie: Die Inhalte (speziell jene der EASA) sind punkto<br />
Unverständlichkeit kaum zu übertreffen. Sie bestehen im Wesentlichen aus<br />
Abkürzungen und Anglizismen (englischsprachigen Fachbegriffen). Ernst Willi<br />
SUST<br />
Airworthiness Review Certification, Lufttüchtigkeits-Zeugnis<br />
Bundesamt für Zivilluftfahrt, Bern, Schweiz<br />
Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie<br />
Wien, Österreich<br />
continous airworthyness maintenance organization,<br />
Private Organisation zur Aufrechterhaltung der Lufttüchtigkeit<br />
von Luftfahrzeugen. Nachfolge-Organisation der<br />
ehem. LTBs<br />
Gleich wie CAMO; darf zusätzlich selbständig Lufttüchtigkeits-<br />
Zeugnisse ausstellen<br />
European Authority in Aviation Safety, Köln, Deutschland<br />
European Light Aircraft, nicht gewerbliche Flugzeuge,<br />
Höchstabflugmasse < 1200 kg<br />
Instand-Haltungs-Programm<br />
Luftfahrt-Bundesamt, Braunschweig, Deutschland<br />
Luftfahrttechnischer Betrieb, heißt heute CAMO<br />
Mindest-Inspektions-Programm<br />
Komplexes EASA-Regelwerk u. a. für den Unterhalt von<br />
Flugzeugen, („M“ wie maintenance)<br />
Schweizerische Sicherheits-Untersuchungsstelle<br />
segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 61
SHARE YOUR EXPERIENCE<br />
Landung auf dem<br />
Wasserflugplatz<br />
Aus dem Italienischen: Ludwig Haslbeck<br />
Fotos: Davide Cantoni<br />
Der Comer See ist für Touristen ein beliebtes Reiseziel, die steilen Ufer und die hohen Berge im Hintergrund<br />
machen seinen besonderen Reiz aus. Und im Lago di Como, dem westlichen Arm, befindet sich einer der<br />
wenigen Wasserflugplätze in Europa, Heimat des Aero Club di Como. Er verfügt über eine auf dem Wasser<br />
durch Bojen markierte Piste, die für Boote gesperrt ist.<br />
Weniger beliebt ist der Comer<br />
See bei Segelfliegern – vor<br />
allem, wenn sie aus den<br />
Alpen zu den Flugplätzen<br />
Alzate oder Calcinate zurückkehren müssen,<br />
denn auf seiner gesamten Länge von<br />
etwa 40 km bieten die Ufer keine Landemöglichkeit.<br />
Wer also die „Rennstrecke“<br />
Veltlin verlässt, um etwa nach Alzate oder<br />
Calcinate in der Poebene zurückzukehren,<br />
tut gut daran, vor dem Abflug genügend<br />
Höhe zu tanken. Reicht die Höhe nicht,<br />
bleibt neben einer Außenlandewiese in<br />
Porlezza zwischen Comer See und Luganer<br />
See praktisch als einzige „Landemöglichkeit“<br />
nur das Wasser – immer noch besser<br />
als das felsige Ufer.<br />
Und so hat es in der Vergangenheit immer<br />
wieder Wasserlandungen auf dem Comer<br />
See gegeben, die zum Glück meist glimpflich<br />
ausgingen.<br />
Im vergangenen Sommer nutzte ein Segelflieger<br />
aus Calcinate mit einer ASK 21<br />
die Piste des Wasserflugplatzes Como für<br />
eine spektakuläre Sicherheitslandung.<br />
Für segelfliegen berichtet der Pilot von seinem<br />
Flug und der „nassen“ Landung:<br />
62 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>
SHARE YOUR EXPERIENCE<br />
„Etwa gegen 14:30 Uhr bin ich in der ASK 21<br />
in Calcinate gestartet. Mein Ziel war Cornizzolo.<br />
Anfangs ging bei guten Wetterbedingungen<br />
alles gut, der Flug über den<br />
Campo dei Fiori, den „Hausberg“ von Calcinate,<br />
und den Monte Generoso am Luganer<br />
See führte mich zum Monte San Primo<br />
(südlich von Bellaggio, zwischen den beiden<br />
Armen des Comer Sees), wo ich in<br />
2000 m MSL die Wolkenbasis erreichte. Ich<br />
glitt weiter zum Monte Cornizzolo mit seinem<br />
Sender, wo ich in etwa <strong>16</strong>00 m Höhe<br />
ankam. Nach der Umrundung des Senders<br />
kehrte ich im Gleitflug zum Monte San Primo<br />
zurück, wo ich in etwa 1200 m ankam.<br />
Nachdem ich hier schon einmal vor wenigen<br />
Minuten Steigen vorgefunden hatte,<br />
wollte ich es nochmals versuchen. Aber<br />
nun war ich tiefer, und um die Thermik zu<br />
finden musste ich in ein Tal einfliegen, an<br />
dessen Ende der Ort Zelbio liegt. Aber ich<br />
versuchte zu lange vergeblich, Steigen zu<br />
finden, und irgendwann erkannte ich, dass<br />
ich nun auch zu tief war, um den Außenlandeplatz<br />
in Porlezza zu erreichen. Mir<br />
wurde klar, dass mir nun nur noch zwei<br />
Möglichkeiten blieben: entweder noch<br />
Steigen zu finden oder aber im Wasser zu<br />
landen, da es keine Landeplätze in Reichweite<br />
gab.<br />
Auf der Segelflugfrequenz schilderte ich<br />
meine Situation, und etliche Piloten rieten<br />
mir zu Stellen, an denen normalerweise<br />
Thermik zu finden ist, aber ich hatte kein<br />
Glück. Ich beschloss, mich nahe am östlichen<br />
Ufer des Sees zu halten, denn hier<br />
verlor ich keine weitere Höhe, stieg aber<br />
auch nicht. Die Wasserlandung blieb nun<br />
die wahrscheinlichste Option, und deshalb<br />
wollte ich versuchen, so nah wie möglich<br />
zur Landebahn des Wasserflugplatzes Como<br />
zu kommen, denn ich wusste, dass dort<br />
die Chancen auf unverzügliche Hilfe am<br />
größten waren. Außerdem war die Piste<br />
auf dem Wasser frei von Schiffsverkehr. Ich<br />
hatte auch Kontakt zum Rettungshubschrauber,<br />
der sich in der Nähe befand und<br />
mir bis zum Aufsetzen folgte.<br />
Einer der Piloten auf meiner Frequenz riet<br />
mir noch, den Fallschirm abzuschnallen<br />
und die Gurte festzuziehen, dies gelang<br />
mir mit einiger Mühe während der letzten<br />
Flugminuten. Ich entriegelte auch die Haube,<br />
um leichter aus dem Flugzeug zu kommen.<br />
Zudem versuchte ich, Como Radio,<br />
den Wasserflugplatz, zu kontaktieren, ohne<br />
Erfolg. Später erfuhr ich, dass der AeC<br />
Como im Sommer an den Sonntagen keinen<br />
Flugbetrieb durchführt.<br />
Nun flog ich die Landebahn 19 an und versuchte,<br />
so nah wie möglich am Ufer aufzusetzen.<br />
Soweit ich mich erinnere, hatte ich<br />
mit dem Sporn den ersten Wasserkontakt,<br />
dann setzte ich mit dem Hauptfahrwerk<br />
auf. Eigentlich hatte ich erwartet, dass die<br />
Nase eintauchen würde, das war jedoch<br />
höchstens ein wenig der Fall. Der Flieger<br />
bremste rapide, aber nicht allzu hart ab –<br />
weit weniger schlimm, als ich befürchtet<br />
hatte. Dann trieb das Flugzeug waagrecht<br />
auf der Wasseroberfläche.<br />
Wasser begann ins Cockpit einzudringen.<br />
Zum Glück war es nicht kalt! Ich öffnete die<br />
Haube, schnallte mich los und rutschte<br />
über die hintere Haube auf die Tragflächen.<br />
Den Fallschirm, er war bereits nass,<br />
nahm ich ebenso wie einige Karten mit,<br />
Share your experience!<br />
dann öffnete ich auch die hintere Haube<br />
und steckte die Batterie ab, um einen Kurzschluss<br />
zu vermeiden. Anschließend holte<br />
ich auch meinen kleinen Rucksack aus der<br />
rechten Tragflächenwurzel heraus.<br />
Wohl kaum eine Minute später waren<br />
schon Boote zur Stelle. Ich stieg in eines<br />
von ihnen. Ein Mitglied der Bootsbesatzung<br />
legte einen Riemen um das Rumpfende,<br />
kurz vor dem Seitenleitwerk. Dann erschien<br />
auch ein Schlauchboot des Aero<br />
Club Como, das die ASK ins Schlepptau<br />
nahm und an die Rampe zog, über die normalerweise<br />
die Wasserflieger in den See<br />
rollen.<br />
Inzwischen war auch die Feuerwehr eingetroffen<br />
und die Feuerwehrleute überlegten,<br />
wie man das Flugzeug wohl am besten aus<br />
dem Wasser bekommen könnte. Zum<br />
Glück hatte ich – als Vorbereitung für eine<br />
Außenlandung – wie immer ein kurzes<br />
Schleppseil mit Ring dabei. Wir klinkten es<br />
in die Bugkupplung ein und die Feuerwehr<br />
zog nun die ASK vorsichtig aus dem Wasser,<br />
um langsam das Wasser aus Rumpf<br />
und Flächen laufen zu lassen. Nachdem ich<br />
auch die Klebebänder entfernt hatte, entleerte<br />
sich das Flugzeug langsam. An der<br />
ASK 21 waren keine äußeren Schäden festzustellen,<br />
Avionik und Instrumente aber<br />
sind sicher zu überholen. Der Abbau der<br />
Maschine verlief völlig problemlos.“ t<br />
Zur Sicherheitskultur in der Luftfahrt gehört auch die Diskussion über eigene<br />
Erlebnisse und Fehler, aus denen jeder lernen kann. Haben Sie Vorfälle erlebt<br />
oder beobachtet, die für andere Piloten interessant sind? Teilen Sie Ihre Erfahrungen<br />
mit anderen!<br />
Schreiben Sie an: bg@segelfliegen-magazin.com, wir behandeln Ihre Zuschrift<br />
auf Wunsch vertraulich.<br />
segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 63
HUMAN FACTORS<br />
Biofeedback im<br />
Segelflug? – BIOFEET!<br />
Von Hermann Trimmel<br />
Bevor unser Bewusstsein eine Anspannung erkennt, signalisiert diese schon unser Körper,<br />
„Der emotionale Schwanz führt den vernünftigen Hund“<br />
(Daniel Kahnemann, Nobelpreis 2002 für „Decision making and uncertainty“)<br />
Viele Piloten drücken beim Fliegen<br />
in gewissen Situationen beide<br />
Seitenruderpedale gleichzeitig.<br />
Das ist mir sowohl bei Flügen mit<br />
Spitzenpiloten als auch bei weniger erfahrenen<br />
Piloten aufgefallen. Es war immer<br />
mit einem Anzeichen von beginnender<br />
innerer Unsicherheit und nachfolgender<br />
Verspannung verbunden. Meist merkte ich<br />
das bereits, bevor es der Pilot wahrnahm.<br />
Einige Piloten stiegen nach einem längeren<br />
Flug sogar mit Schmerzen in den Knien<br />
oder in den Oberschenkeln aus.<br />
Die Theorie – was steckt dahinter?<br />
Wie wissenschaftliche Ergebnisse aus der<br />
Gehirnforschung zeigen, schafft es unser<br />
Gehirn bewusst, etwa 40 Bits/Sekunde zu<br />
verarbeiten. Die Intuition, also die „unbewusste<br />
Intelligenz“ hingegen schafft bis zu<br />
unglaublichen 11 Millionen Bits/Sekunde!<br />
Egal wie genau die Zahlen in Wahrheit<br />
sind, hier steckt offensichtlich ein unglaubliches<br />
Potenzial in uns. Dieses Unbewusste,<br />
diese „emotionale Intelligenz“ unseres<br />
Körpers zu nutzen motivierte mich, der<br />
Sache auf den Grund zu gehen.<br />
Parameter für Feedback<br />
Pulsfrequenz, Blutdruck<br />
Herzfrequenzvariabilität (HFV)<br />
Hautleitfähigkeit<br />
Hauttemperatur<br />
Muskelspannung/<br />
EMG Elektromyogramm<br />
Gehirnströme/<br />
EEG Electroencephalografie<br />
Atemsensoren<br />
Eignung für Segelflug<br />
• Die Pulsfrequenz wird stark von unterschiedlichen Situationen beeinflusst; es wurde keine<br />
praxistaugliche Korrelation festgestellt.<br />
• Es gibt keine Erfahrung im Segelflug, befindet sich noch im Forschungsstadium. Mit der HFV<br />
wird derzeit viel im Labor experimentiert.<br />
• Bei Stress verändert sich die Schweißdrüsenaktivität. Die Messung der Hautleitfähigkeit<br />
funktioniert im Labor, in der Natur jedoch werden die Ergebnisse durch die schwankenden<br />
Umgebungsbedingungen stark beeinflusst.<br />
• Für die Messung der Hauttemperatur gilt ähnliches wie bei der Hautleitfähigkeit.<br />
• Muskelkontraktionen sind mit elektrischen Strömen (Mikrovolt) verbunden. Die Verwendung<br />
von Elektroden im Flug ist jedoch (noch?) eher unpraktisch. Die Muskelanspannung beginnt oft<br />
im Nacken oder in den Beinen.<br />
• Kleinste Gehirnströme werden mit zahlreichen Elektroden an der Kopfhaut in verschiedenen<br />
Wellenlängenbereichen gemessen und dargestellt. Bei Alphawellen besteht eine sehr gute<br />
Konzentrations- und Entscheidungsfähigkeit, die damit trainierbar wird. EEG Ist noch im<br />
Forschungsstadium und messtechnisch im Flug sehr unpraktisch. Dieser Forschungsbereich<br />
verspricht eine spannende Zukunft.<br />
• Mit den Atemsensoren lassen sich Atemfrequenz und Atemtiefe messen. Praktische Erfah<br />
rungen im Flug liegen nicht vor.<br />
64 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>
HUMAN FACTORS<br />
Es ist bekannt, dass An- und Verspannung<br />
des Körpers oft mit innerer Unruhe, Stress<br />
oder sogar Angst in Verbindung stehen.<br />
Wie die Flugpraxis zeigt, signalisiert der<br />
Körper diese Gefühle schon sehr früh, noch<br />
bevor dies dem Piloten bewusst ist. Auch<br />
negative Gedanken erhöhen den Muskeltonus,<br />
Muskel werden durch bloße Vorstellung<br />
schon angeregt (Carpenter Effekt,<br />
Thomas Wörz, 2011, Die Mentale Einstellung).<br />
Von der Lerntheorie her wissen wir, dass<br />
wir eine Rückmeldung, ein Feedback von<br />
unserem Verhalten benötigen. Erst dann<br />
können wir uns verändern, so wie wir es<br />
wollen.<br />
Biofeedbacksysteme wurden in verschiedenen<br />
Sportarten schon vor etwa 40 Jahren<br />
verwendet. Es geht darum, physiologische<br />
Parameter, die der unmittelbaren Sinneswahrnehmung<br />
nicht zugänglich sind, mit<br />
technischen (oft elektronischen) Hilfsmitteln<br />
beobachtbar, also dem eigenen<br />
Bewusstsein zugänglich zu machen. Ziel ist<br />
jedenfalls, die Selbstregulation des<br />
Gefühlszustandes, die Kontrolle über den<br />
Körper zu erhalten oder wieder zu<br />
gewinnen (Tabelle links). Die große<br />
Herausforderung liegt offensichtlich darin,<br />
dass so ein Biofeedback nicht nur wie<br />
üblich im „Labor“ funktioniert, sondern<br />
während des Fluges, sogar auch im Wettbewerb<br />
angewendet werden kann.<br />
Die Lösung<br />
Mit meiner praktischen Erfahrung und<br />
diesem theoretischen Wissen kam mir der<br />
zündende Funke: Wir messen den Pedaldruck<br />
auf den Seitenruderpedalen und<br />
geben dem Piloten so eine Rückmeldung<br />
über die jeweilige Anspannung. Die ersten<br />
Entwicklungsschritte sieht man in Bild 1.<br />
Visuelle und auditive Rückmeldungen im<br />
Segelflug schienen mir ungeeignet, da wir<br />
mit diesen Sinnesreizen im Cockpit<br />
ohnehin schon zeitweise überfordert sind.<br />
Was lag also näher, als die Körperanspannung<br />
direkt mit dem Druck auf die Pedale<br />
selbst, also den kinästhetischen Sinneskanal,<br />
zu nutzen und auf demselben<br />
Sinneskanal dem Körper ein Feedbacksignal<br />
zu geben: der Pedaldruck als Input<br />
und ein Vibrationssignal als Output!<br />
Der Oberschenkelmuskel (evolutionsbedingt<br />
überlebenswichtig für das Davonlaufen<br />
vor dem Säbelzahntiger) hat sich<br />
dabei als sehr geeignete Stelle für das<br />
Übertragen des Vibrier-Signals herausgestellt,<br />
viel besser als beispielsweise. ein<br />
Vibrieren des Knüppels.<br />
Werden beide Pedale gleichzeitig gedrückt,<br />
wird dieser Druck, diese Anspannung, dem<br />
Piloten über dieses Vibrations-Signal<br />
bewusst gemacht und er kann seinen<br />
mentalen Zustand regulieren. Über unsere<br />
Körperspannung liefert Biofeet dem<br />
Bewusstsein ein Signal aus dem Unterbe-<br />
Bild 1: Zuerst begannen wir mit Drucksensoren in Einlagesohlen, die sich jedoch<br />
als sehr unpraktisch erwiesen<br />
wusstsein – das ist die Weiche!<br />
Seit den ersten Entwicklungsschritten sind<br />
mehr als fünf Jahre mit unerwarteten<br />
Hürden und zahlreichen Fehlversuchen<br />
vergangen. Ausdauer und Zielstrebigkeit<br />
sowie die Unterstützung vieler Segelfliegerfreunde<br />
führten schließlich zum Erfolg.<br />
Jetzt ist es soweit, ein serienreifes System<br />
ist fertig.<br />
Die technische Realisierung<br />
„Wir haben das Biofeet-System so einfach<br />
und robust wie möglich gebaut,“ erklären<br />
Christian Rassl und Fabian Berstecher von<br />
RBE-Avionik.<br />
Im Wesentlichen besteht das System aus<br />
mehreren Komponenten (Bild 2, nächste<br />
Seite):<br />
• Die zwei Druckplatten, die an den<br />
Seitenruderpedalen angebracht werden<br />
• Die Elektronikbox, welche die Signale<br />
der Druckplatten auswertet und bei<br />
Bedarf den Vibrationsmotor ansteuert<br />
• Der Kabelsatz mit dem Drehregler und<br />
der Buchse zum Anschluss des Vibrationsmotors<br />
• Der Vibrationsmotor mit Anschlusskabel<br />
Die Druckplatten werden auf den Seitenruderpedalen<br />
montiert und so der Druck auf<br />
den Seitenruderpedalen gemessen. Durch<br />
ihre Dicke von nur fünf Millimeter tragen<br />
die Druckplatten nur sehr wenig auf. Dies<br />
erleichtert die Montage. Mit dem Drehregler<br />
im Instrumentenbrett kann ein individueller<br />
Referenzdruck eingestellt werden.<br />
Sobald der Druck auf beiden Seitenruderpedalen<br />
diesen Referenzwert übersteigt,<br />
wird das Vibrationssignal aktiviert.<br />
Dieser gesamte Vorgang wird fortlaufend<br />
von der Elektronikbox berechnet.<br />
Außerdem befindet sich in der Elektronikbox<br />
noch eine RS232-Datenschnittstelle<br />
(RJ45-Buchse mit IGC-konformer Belegung),<br />
welche optional zur Aufzeichnung<br />
und späteren Auswertung der Daten<br />
genutzt werden kann.<br />
Technische Daten:<br />
• Gewicht des gesamten Systems mit<br />
Kabelsatz: 420 g<br />
• Betriebsspannung: 9-18 Volt<br />
• Stromverbrauch bei 12 Volt: 50 mA im<br />
Mittel<br />
• Preis: 666,66 Euro<br />
Das Biofeet-System wird einbaufertig<br />
geliefert (Bild 3, nächste Seite). Weitere<br />
Infos über: www.rbe-avionik.de<br />
segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 65
HUMAN FACTORS<br />
Bild 2: Die Komponenten, rechts unten die Druckplatten<br />
Bild 3: Das Biofeet System wird einbaufertig geliefert<br />
Erfahrungen der Test-Piloten<br />
Wolfgang Janowitsch<br />
Meine Erfahrungen beziehen sich hauptsächlich auf das Testgerät der ersten<br />
Generation, welches ja grundsätzlich die gleiche Funktionsweise hatte.<br />
Neben den Momenten im Flug, in denen man ohnehin damit rechnet, bald ein<br />
Vibrieren zu spüren (starker objektiver Stress in niedriger Höhe, knapp am<br />
Berg und/oder im Pulk), überrascht das Biofeet manchmal in (subjektiv)<br />
ruhigen Momenten. Dies kann auf Unsicherheiten bezüglich der gerade<br />
getroffenen Entscheidung, oder ganz allgemein auf eine „Disharmonie“<br />
zwischen Kopf und Bauchgefühl hinweisen.<br />
Nachdem diese Synchronisation zwischen bewussten Gedanken und unterbewussten<br />
Gefühlen ein Schlüssel zum Erfolg ist, ist Biofeet ein hervorragendes<br />
Werkzeug auf dem Weg zur Perfektion! t<br />
Werner Amann<br />
Ich habe die Drucksensoren anfangs bei der EM 2011 nicht eingesetzt, weil ich mich<br />
während des Wettbewerbes nicht mit etwas „Neuem“ auseinandersetzen wollte.<br />
Gegen Ende des Bewerbs, davor und auch danach habe ich jedoch schon einige Flüge<br />
damit gemacht. Durch den fixen Einbau der Sensoren mit Elektronik im Flugzeug ist<br />
es im Handling komplett einfach. Ich habe das Gefühl, dass eventuelle Verspannungen<br />
damit sehr schnell offengelegt werden und man dadurch frühzeitig reagieren<br />
kann. Ich werde das Gerät ab sofort konsequent einsetzen, weil es mich keineswegs<br />
behindert und ich damit lernen möchte, die Offenheit (Lockerheit) während des<br />
Fluges zu sichern.<br />
Rekordflug am 26. August 2011: Nach dem Flug über 1559 km, der bisher weitesten<br />
Strecke, die jemals über den Alpen geflogen wurde, kommentierte ich das so:<br />
“...war nach dem 12,5-Stunden-Flug unglaublich locker und fit, die Drucksensoren<br />
waren da nicht ganz unschuldig ... das Vibrieren ist ein angenehmes Gefühl und erinnerte<br />
mich öfters daran, mich zu entspannen...“t<br />
66 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>
HUMAN FACTORS<br />
Anwendung in der Praxis<br />
Das Biofeet gibt nur ein Signal, die weitere<br />
Verhaltensänderung bewirkt der Pilot,<br />
nicht das Gerät. Klar, dass das Entspannen<br />
der Beine mehr oder weniger sofort automatisch<br />
erfolgt. In der Folge können wir dann<br />
den ganzen Körper bewusst entspannen:<br />
Hand am Knüppel lockern, den Nacken<br />
bewegen, indem wir mit einem offenen<br />
Blick von Flächenspitze zu Flächenspitze<br />
schauen sowie durch zwei bis drei tiefe<br />
Atemzüge die Entspannung weiter unterstützen.<br />
Die volle Nutzung des Biofeet geht<br />
aber weit über diese Anfangsphase hinaus.<br />
Das Vibrieren könnte als Signal für ein positives<br />
Selbstgespräch genutzt werden und<br />
helfen, die gegenwärtige Situation aus<br />
einer anderen Perspektive zu bewerten.<br />
Beispiel: Anstatt: „Es geht nicht...“ besser:<br />
„Welche Chancen habe ich noch?“ oder als<br />
Signal zur Erinnerung: „Trink einen<br />
Schluck“. Dem Einfallsreichtum sind ab<br />
diesem Vibro-Signal keine Grenzen gesetzt.<br />
Entscheidend ist letztendlich die persönliche<br />
Einstellung als Pilot. Will ich meinen<br />
Körper, meine Gefühle und meinen Geist<br />
kontrollieren? Will ich meine Fähigkeiten,<br />
die in mir stecken, voll entwickeln? Denn<br />
ebenso wie der Körper zu größerer<br />
Leistungsfähigkeit trainiert werden kann,<br />
so führt auch das mentale Training zu<br />
einem erweiterten geistigen Horizont.<br />
Biofeet kann ein sehr wirkungsvolles Hilfsmittel<br />
in diesem Training sein.<br />
Ziel ist es in jedem Fall, durch entspanntes<br />
Fliegen für kreative Entscheidungen offen<br />
zu sein und die Aufmerksamkeit der jeweiligen<br />
Situation optimal anzupassen. t<br />
Literatur (Auswahl)<br />
Schnelles Denken, langsames Denken<br />
(Übersetzung von „Thinking fast and slow“<br />
Daniel Kahnemann<br />
Bio&Neurofeedback in Sportpsycholgy,<br />
2011, Benjamin Strack, et al.<br />
Biofeedbackmethoden zur Leistungssteigerung<br />
im Sport,Sportschießen, Badminton<br />
und Eiskunstlauf, Christine Hufnagl<br />
(Diplomarbeit Uni-Wien)<br />
Biofeedback – Ein psychoregulatives<br />
Verfahren zur Leistungsoptimierung im<br />
Sport, Kurt Steinbauer(Diplomarbeit am<br />
Institut für Sportwissenschaften der Karl<br />
Franzens Universität Graz)<br />
Mathias Schunk<br />
Ich war von Anfang an von Hermanns Idee begeistert und nutze ebenfalls als<br />
„Versuchskaninchen“ schon einen der Prototypen. Mittlerweile ist das System bei<br />
mir so in Fleisch und Blut übergegangen, dass ich es in meinem Quintus gar nicht<br />
mehr wirklich registriere – ich fliege sehr entspannt. Ein Aha-Erlebnis hatte ich<br />
jedoch bei der letzten Quali mit unserem Vereins-Arcus, wo mir das fehlende Biofeet<br />
extrem auffiel. Obwohl es im Wettbewerb ja nie überaus lange Flüge waren, stieg<br />
ich verspannt aus dem Flieger aus. Offensichtlich hatte ich mich wie früher ohne<br />
Biofeet, doch immer wieder verkrampft, ohne es im Fluge sofort zu merken. Mir<br />
taten am Abend die Knie weh und ich war deutlich mehr kaputt, als ich es nach<br />
einem 10- oder 11-Stunden-Flug über 1000 km mit dem Biofeet bin. t<br />
Sebastian Eder<br />
Der Einbau in die ASW 22BLE war sehr einfach und gut beschrieben. Einfach 12V anlegen<br />
und absichern, die Sensoren in einer guten „Druckposition“ befestigen, so dass sie<br />
tatsächlich zuerst berührt werden (musste sie einmal versetzen, da der erste Einbau zu<br />
weit in Richtung Fußspitzen war) und die Buchse für den Elektromotor ins Instrumentenbrett<br />
einbauen. Das Biofeet half mir, in kniffligen und angespannten Situationen, den<br />
Überblick zu bewahren (vor allem bei schwachen Aufwinden) und im Pulk, so wie in Leszno<br />
oft vor dem Abflug, nicht in die Versuchung zu gelangen, ins Cockpit zu sehen, sondern<br />
mich auf die Umwelt zu konzentrieren. Zumeist war die Erstreaktion ein Entspannen der Schultern und ein sofortiges/automatisches<br />
Erweitern des Blickfeldes, was durch die verbesserte Wahrnehmung auch oft in der Lösung des Problems endete. Man muss sich mit<br />
diesem System auch selbst eingestehen können, dass man öfter verspannt ist, als man denkt, und die Aktivierung des Motors als Hilfestellung<br />
und nicht als Mahnung aufnehmen, da man sonst sehr schnell zu einer negativen Einstellung gegenüber dem System gelangt.<br />
Ich habe in Leszno ein paar Mal von meinen Teampartnern die Rückmeldung bekommen, dass ich im Funk der bin, der sehr ruhig und<br />
ausgeglichen wirkt. Ich denke, dass dies auch zum Teil ein Verdienst des Biofeet-Systems ist, da ich erst bei sehr hohen Belastungen (Pulk<br />
in der Gewitterwalze mit heftigen Turbulenzen und Blitzen etc.) gemerkt habe, dass ich angespannt bin. Mit einer sorgfältigen Einweisung<br />
in das System, in dem auch die mentalen Aspekte angesprochen und Hilfestellungen diesbezüglich angeboten werden, würde ich<br />
dieses System jedem Flieger unabhängig von fliegerischem Können, Trainingsstand, Segelflieger oder Motorflieger, empfehlen. Es hilft<br />
einem in jeder Situation, den Fokus auf die wichtigen Dinge zu legen. Ich merkte sehr frühzeitig, dass die mentalen Kapazitäten durch<br />
Anspannung/Überlastung signifikant reduziert wurden und konnte dem durch bewusste Maßnahmen entgegenwirken. Ohne eine<br />
mentale Aufarbeitung des Themas wird man mit dem System aber kaum glücklich werden, so dass dies die Grundvoraussetzung für<br />
einen erfolgreichen/leistungssteigernden Einsatz ist. Es hat mich fliegerisch und sicherheitstechnisch definitiv weitergebracht und ich<br />
möchte es nicht mehr missen. t<br />
segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 67
REPORTAGE<br />
SERIE: Unglaubliche Flüge<br />
und Segelflug-Pionierleistungen<br />
25. APRIL 1972 – VON LÜBECK NACH BIARRITZ<br />
Und dann war die Karte<br />
zu Ende…<br />
Von Ernst Willi<br />
Fotos: Alexander Schleicher<br />
Wir schreiben das Jahr 1972. Erst wenige Jahre zuvor war es erstmals gelungen, Dreiecksflüge von über<br />
500 Kilometern zu fliegen. Bis dahin war das zumindest in Europa nicht für möglich gehalten worden.<br />
68 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>
REPORTAGE<br />
Am 26.Juli 1970 flogen Wally Scott und Ben Greene beide<br />
von Texas aus knapp 1200 Kilometer. Die beiden Piloten<br />
waren gemeinsam gestartet und auch gelandet, womit<br />
sie auch gemeinsam einen neuen Weltrekord aufstellten.<br />
Beide flogen auf dem gleichen Flugzeugmuster, das<br />
auch Hans-Werner Grosse 1972 für seinen Flug nutzte: Die ASW-12<br />
war zu diesem Zeitpunkt eines der leistungsfähigsten Segelflugzeugmuster.<br />
1971 war zum ersten Mal innerhalb von Europa eine<br />
Strecke von über 1000 Kilometern zurückgelegt worden.<br />
Ausgeprägtes Hoch über England schiebt<br />
Angespornt von derartig außergewöhnlichen Flugleistungen<br />
hatte sich der zu diesem Zeitpunkt 49-jährige Hans-Werner<br />
Grosse für den 25. April eigentlich ein anderes Ziel gesetzt, als<br />
eine besondere Wetterlage eine Rekorddistanz über Europa<br />
möglich erscheinen ließ: Ein ausgeprägtes Hochdruckgebiet über<br />
England mit Ausläufern bis nach Skandinavien brachte kühle,<br />
trockene Luft aus nord-östlichen Richtungen. Mit dem damit<br />
verbundenen Rückenwind sollte es möglich sein, nach dem<br />
Durchzug der Kaltluftfront von Lübeck aus bis nach Nantes zu<br />
fliegen. Auf der „Rückseite“ der Wetterfront waren optimale<br />
Wetterbedingungen zu erwarten.<br />
Diese angemeldete Strecke hätte gereicht, um einen neuen Weltrekord<br />
aufzustellen.<br />
An Paris, Angers und Nantes vorbei an den Atlantik<br />
Von Lübeck aus startete Hans-Werner mit seiner ASW-12 am<br />
Morgen des 25. April nach Süd-Westen, blieb südlich von Bremen,<br />
überflog das Ruhrgebiet zwischen Münster und Aachen. In Frankreich<br />
führte die Route nord-westlich von Paris weiter über die<br />
Seine in Richtung Angers und Nantes.<br />
Doch noch bevor dieses ursprüngliche Rekordziel erreicht war,<br />
entschied sich Hans-Werner an diesem Nachmittag, auf den<br />
sicheren Weltrekord zu verzichten und stattdessen weiter zu<br />
fliegen. Noch im Flug verständigte er sich mit dem Hamburger<br />
Piloten Klaus Tesch per Funk darauf, das er diesem den Weltrekord<br />
für den angemeldeten Flug abtreten würde – für ein Fass<br />
Bier, das der glückliche Pilot dann auch einlöste, vor allem aber<br />
für „das unbeschreibliche Gefühl, weiter zu fliegen, als je zuvor<br />
ein Segelflieger geflogen war, und auch weiter, als man bis dahin<br />
für möglich hielt“. Seine ASW-12 steuerte Hans-Werner Grosse<br />
nun weiter in Richtung Süden.<br />
Mit der Landung in Biarritz bis in die New York Times<br />
Entlang der Atlantikküste flog er vorbei an La Rochelle und<br />
Bordeaux und landete schließlich auf dem Flugplatz von Biarritz.<br />
In Zeiten lange vor der Verfügbarkeit von Satellitennavigationssystemen<br />
war es gar nicht so einfach, die genaue Distanz<br />
zwischen Lübeck und dem Landeort festzustellen: 1460,80 Kilometer<br />
waren es letztendlich, die Hans-Werner zu einer<br />
Segelfluglegende machten.<br />
Die Flugleistung war zu dieser Zeit so beeindruckend, dass sogar<br />
die New York Times mit einem halbseitigen Artikel über den Flug<br />
berichteten. Und selbst in den Ländern des damaligen Ostblocks<br />
wurde über den Erfolg des deutschen Piloten geschrieben.<br />
Gratulation von Biarritz‘ Bürgermeister<br />
Heute erinnert sich der Pilot gerne an die ausgesprochene Gastfreundschaft,<br />
die ihm in Frankreich entgegengebracht wurde.<br />
Schnell waren etliche Gratulanten vor Ort, allen voran der Bürgermeister<br />
von Biarritz. Dieser war zu der Zeit auch Innenminister in<br />
Paris. In dieser Funktion trommelte er für den 26. April die Ritter<br />
der Ehrenlegion der baskischen Region zusammen. Sogar das<br />
Fernsehen aus Paris ließ er einfliegen und überhäufte den glücklichen<br />
Rekordpiloten mit Maquila, einem Stock mit Innendegen<br />
zur Abwehr von Bären in den „Landes“ (einem Heidegebiet nörd-<br />
Hans-Werner Grosse im Cockpit seiner Rekord-ASW-12<br />
segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 69
REPORTAGE<br />
lich von Biarritz) sowie allerlei anderen Ehren. Dies sind für Hans-<br />
Werner Grosse die für die damalige Zeit typischen Zeichen der<br />
Wertschätzung und des Verständnisses für den Segelflug – im<br />
Gegensatz zu heute, wo die Segelflieger ihre „Flugplätze gegen<br />
Spekulanten, Illusionisten und Betrüger aller Art verteidigen<br />
müssen“. Wichtiger als dieser herzliche Empfang und die<br />
Geschenke, die man ihm machte, war Hans-Werner Grosse aber<br />
der Flug selbst: „Das unbeschreibliche Gefühl, das so ein fantastischer<br />
Flug auslöst, ist die größte Belohnung nach so einem<br />
einzigartigen Tag.“<br />
Was war der Antrieb zu diesem unglaublichen Flug?<br />
Hans-Werner Grosse ist, seit er das erste Mal in einem Segelflugzeug<br />
auf Strecke ging, auf der Suche nach besonderen Wetterbedingungen<br />
für außergewöhnliche Flüge. Das Glücksgefühl, das<br />
ein spannender Segelflug über weite Distanzen beim Piloten<br />
nicht nur während des Fluges, sondern auch während langer Zeit<br />
danach auslöst, war immer eine der wichtigen Triebfedern für<br />
Hans-Werner Grosses einmalige Segelflug-Piloten-Laufbahn.<br />
Zwei Jahre vor seinem Biarritz-Flug hatte Hans-Werner schon<br />
den zweiten Platz bei der Segelflug-Weltmeisterschaft erreicht,<br />
Neben seinem legendären Flug quer durch den europäischen Kontinent erflog sich Hans-Werner Grosse<br />
zahlreiche Weltrekorde in Australien<br />
Hans-Werner Grosse am Steuerknüppel beim Start<br />
70 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>
REPORTAGE<br />
insgesamt hat er fünfzig Weltrekorde aufgestellt. Auch mit über<br />
90 Jahren flog er noch, wann immer das Wetter es zuließ, mit<br />
seiner ETA, dem grössten Segelflugzeug der Welt – immer auf der<br />
Suche nach dem nächsten „ganz besonderen Tag“.<br />
Eine positive Sucht, die alle Träume erfüllt hat<br />
Hans-Werner Grosse hat im Grunde genommen sein ganzes<br />
privates und berufliches Leben auf den Segelflug-Sport und das<br />
Erfliegen beachtenswerte Streckenflug-Leistungen ausgerichtet.<br />
Im Jahr 2015 beendete er dann seine aktive Piloten-Karriere, weil<br />
er „keine Träume mehr hat, die er sich erfüllen könnte“ und „weil<br />
er seine Frau Karin, mit der er in den letzten Jahren mit ETA und<br />
ASH 25 tausende Stunden geflogen ist, nicht gefährden will“. Das<br />
Erlebnis des Segelfliegens war für ihn bis dahin stets absolut<br />
befreiend und beflügelnd – eine Art positiver Sucht mit einmaligen<br />
Glücksgefühlen am Steuerknüppel. t<br />
Quellen: Der Inhalt zu diesem Artikel basiert in wesentlichen<br />
Teilen auf einem online-Beitrag von Florian Mösch vom Aero<br />
Club Lübeck.<br />
Hans-Werner Grosse<br />
Der Halter von mehr als 50 Segelflug-Weltrekorden wurde am 29. November 1922 in Swinemünde geboren. In die Segelfluggeschichte<br />
ist Grosse mit seinem hier beschriebenen Rekordflug von Lübeck nach Biarriz eingegangen. Am 25. April 1972 flog er mit<br />
einer ASW-12 diese Strecke über 1460,80 Kilometer in elfeinhalb Stunden. Dieser Weltrekord hat noch immer Bestand. Neben<br />
bisher insgesamt 50 Segelflug-Weltrekorden zählt auch ein zweiter Platz bei der Weltmeisterschaft 1970 dazu.<br />
Zu seinem 75. Geburtstag wurde Hans-Werner Grosse von der deutschen Segelflug-Nationalmannschaft der FAI-Klassen zum<br />
Ehrenmitglied ernannt. Des Weiteren ist Grosse auch Ehrenmitglied des Deutschen Aero Clubs und Hauptinitiator des Projekts<br />
eta. Er selber besitzt das erste Exemplar dieses einzigartigen Segelflugzeugs, mit dem er noch im Mai 2009 im Lüsse-Cup den<br />
dritten Platz in der offenen Klasse erreichte.<br />
Hans-Werner Grosse engagiert sich bis heute auch für die Jugend. Er stellt eine ASH-25 jungen Segelflugpiloten aus Vereinen der<br />
neuen Bundesländer zur Verfügung, um ihnen den Zugang zu modernem Fluggerät zu verschaffen.<br />
Unter dem nebenstehenden<br />
QR-Code<br />
finden Sie einen<br />
TV-Beitrag über Hans-<br />
Werner Grosse, der zu<br />
seinem 90.<br />
Geburtstag publiziert<br />
wurde: „Der Herr der<br />
Lüfte: Segelflug-Legende Grosse wird 90“<br />
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segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 71
HISTORIE<br />
Die Rolle des Segelflugs<br />
im Fluglotsenstreik der 70er Jahre<br />
Von Claus Gerhard<br />
Foto: Deutsche Flugsicherug GmbH<br />
1962 war man in der Bundesrepublik Deutschland der Meinung, dass der Fluglotsendienst aufgrund<br />
seiner hoheitlichen Aufgaben in die Hände von Beamten gehöre – eine folgenschwere Entscheidung, die<br />
von den Betroffenen jedoch wegen geringerer Aufstiegschancen und einer schlechteren Bezahlung<br />
vehement abgelehnt wurde. Es kam zum ersten Fluglotsenstreik, dem weitere Arbeitskämpfe über einen<br />
Zeitraum von sage und schreibe 30 Jahren folgten!<br />
Dabei ging es längst nicht nur um<br />
bessere Arbeitsbedingungen und<br />
eine angemessene Vergütung für<br />
die chronisch überlastete Berufsgruppe.<br />
Der stetig wachsende Luftverkehr<br />
verlangte auch nach veränderten Organisationsstrukturen.<br />
Wenig bekannt ist, dass<br />
diese nicht nur die Berufsfliegerei betrafen,<br />
sondern ebenso den Luftsport und besonders<br />
den Segelflug. Weil die Adenauer-Regierung<br />
in dem schwelenden Konflikt<br />
jedoch keine wirklichen Zugeständnisse<br />
machte, folgte im Herbst 1968 ein sechswöchiger<br />
Bummelstreik, getarnt als<br />
„Dienst nach Vorschrift“. Diese „Go<br />
slow-Aktion“ der nun verbeamteten Mitarbeiter<br />
führte häufig zu stundenlangen<br />
Wartezeiten der anfliegenden oder startenden<br />
Flugzeuge. Erst ein Gutachten des<br />
Bundesrechnungshofs, das die Forderungen<br />
der Fluglotsen anerkannte,<br />
entschärfte vorübergehend den Streit.<br />
Die Schlieker-Kommission<br />
Drei Jahre später, im April 1971, war die Geduld<br />
der Fluglotsen erneut am Ende. Obwohl<br />
die Luftverkehrsdichte weiter zugenommen<br />
hatte, sprach der zuständige<br />
Verkehrsminister Georg Leber ihnen jede<br />
Berechtigung für ihren Streik ab und<br />
drohte mit disziplinarischen Schritten. Erst<br />
nach längerem hin und her waren die Beamten<br />
zum Einlenken bereit unter der Bedingung,<br />
dass die Regierung nun ernsthafte<br />
Schritte zur Verbesserung ihrer<br />
Situation unternähme. Leber gab nach, beendete<br />
die Disziplinarverfahren und bestimmte<br />
einen Flugplankoordinator für<br />
den Sommerflugplan 1971, der die Starts<br />
und Landungen an den überlasteten deutschen<br />
Verkehrsflughäfen zeitlich entzerren<br />
sollte. Gleichzeitig berief er eine Kommission<br />
von 15 Experten aus allen Bereichen der<br />
Luftfahrt ein, die die anstehenden Flugverkehrsprobleme<br />
beraten und dem Minister<br />
Lösungsvorschläge unterbreiten sollte.<br />
Nach ihrem Vorsitzenden, dem ehemaligen<br />
Werftbesitzer Willy H. Schlieker be-<br />
72 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>
HISTORIE<br />
nannt, nahm die Kommission im Juni 1971<br />
ihre Arbeit in Bonn auf und tagte bis April<br />
1972 insgesamt zehnmal. Dieser „Kommission<br />
1“ ging es nicht um Personal-, Ausbildungs-<br />
und Besoldungsfragen der Flugsicherung,<br />
sondern um allgemeine Probleme<br />
des Luftverkehrs wie die Absenkung der<br />
Flughöhen für innerdeutsche und grenzüberschreitende<br />
Kurzstreckenflüge, mit<br />
der die Belastung des Luftraums durch<br />
fortwährende Steig- und Sinkflüge reduziert<br />
werden sollte, um Geschwindigkeitskontrollen<br />
der anfliegenden Flugzeuge für<br />
eine dichtere Staffelung oder um die probeweise<br />
Einführung des CVFR-Verkehrs<br />
zum Schutz vor Kollisionen im kontrollierten<br />
Luftraum. Last but not least sollte<br />
der Segelflug besser und sicherer in das<br />
westdeutsche Flugsicherungs-System eingepasst<br />
werden.<br />
Segelflieger im Zentrum der Kritik<br />
Während man sich bei den ersten beiden<br />
Punkten relativ zügig auf die notwendigen<br />
Änderungen verständigte, gab es beim<br />
Thema Segelflugverkehr längere und teils<br />
hitzige Diskussionen. Die Vertreter des<br />
Luftsports sahen sich vor dem Hintergrund<br />
zahlreicher durch Segelflieger verursachter<br />
gefährlicher Luftraumbegegnungen quasi<br />
am Pranger. Sie verwiesen aber darauf,<br />
dass die größten Gefahren im Luftraum<br />
von der Militärluftfahrt ausgingen, die<br />
Kommission jedoch in diesem Bereich keine<br />
Eingriffsmöglichkeit habe und sie deshalb<br />
ihre Angriffe gegen den Flugsport als<br />
schwächstes Glied richte. Weil man Segelflugzeuge<br />
nicht kontrollieren könne<br />
und die Piloten sich oft auch nicht an auferlegte<br />
Beschränkungen halten würden,<br />
stand die Forderung im Raum, im Interesse<br />
der Sicherheit aller Luftverkehrsteilnehmer<br />
den Segelflug einzuschränken und aus Ballungsgebieten<br />
völlig herauszunehmen,<br />
was die DAeC-Vertreter unter Hinweis auf<br />
bisher fehlende Untersuchungen für überzogen<br />
hielten.<br />
Zum Thema Verkehrsbeschränkung legte<br />
das Verkehrsministeriums ein Arbeitspapier<br />
über die rechtlichen Möglichkeiten<br />
vor, zu Spitzenzeiten die großen Verkehrsflughäfen<br />
von Flügen der Allgemeinen<br />
Luftfahrt, insbesondere Kleinflugzeugen<br />
freizuhalten. Herbert Eklöh vom Deutschen<br />
Aero-Club wehrte sich nachdrücklich gegen<br />
eine solche Maßnahme, die er für ungerechtfertigt<br />
hielt. Man solle den Luftverkehr<br />
nicht den Grenzen des Flugsicherungssystems<br />
anpassen, sondern vielmehr das<br />
System entsprechend den Erfordernissen<br />
des Verkehrs ausbauen. Trotzdem versuchte<br />
die Kommission, den Sichtflugverkehr<br />
im Bereich der großen Verkehrsflughäfen<br />
weiter einzuschränken und empfahl<br />
die Einrichtung von Lufträumen allein für<br />
den Fluglinienverkehr sowie einen Modellversuch<br />
für die Erprobung des sogenannten<br />
kontrollierten Sichtflugverkehrs (CVFR).<br />
Dazu sollten der Bedarf an zusätzlichem<br />
Flugsicherungs-Personal und technischer<br />
Ausrüstung ermittelt sowie die Einsatzmöglichkeit<br />
preiswerter Transponder geprüft<br />
werden.<br />
Auch bis zum Abschluss ihrer Arbeit beharrte<br />
die „Kommission 1“ in Gebieten hoher<br />
Verkehrsdichte auf der konsequenten<br />
Trennung des Segelflugbetriebes vom kontrollierten<br />
Luftverkehr und auf einer Beschränkung<br />
der Anzahl der Segelflugplätze.<br />
Sie verlangte eine verbesserte Pilotenausbildung<br />
in luftrechtlichen Fragen und eine<br />
verstärkte Luftaufsicht auf den Segelfluggeländen.<br />
Die gewünschte Umkehrung der<br />
Ausweichregel gemäß §13 LuftVO, nach der<br />
Motorflieger grundsätzlich zum Ausweichen<br />
gegenüber Segelflugzeugen verpflichtet<br />
sind, blieb allerdings als Forderung<br />
unerfüllt. Aufgabe des DAeC müsse es<br />
sein, eine höhere Disziplin der Segelflugzeugführer<br />
durchzusetzen sowie auf eine<br />
verbesserte Information dieses Personenkreises<br />
hinzuwirken. Dazu solle die Bundesanstalt<br />
etwa spezielle Flugsicherungskarten<br />
erstellen, die besonders auf die<br />
Belange des Segelfluges abzustellen seien.<br />
Umfassende Strukturänderungen<br />
gefordert<br />
Dank der Initiative Schliekers kam es nach<br />
Abschluss der Beratungen zu weiteren<br />
Empfehlungen für die Lösung der vorhandenen<br />
Flugsicherungsprobleme: Eine zweite<br />
Kommission für Organisations- und Personalfragen<br />
unter seinem Vorsitz machte<br />
Vorschläge für die Neuorganisation der<br />
Bundesanstalt und wies auf bestehende<br />
Mängel in der Zusammenarbeit mit Eurocontrol<br />
hin (z. B. nicht kompatible Datensysteme).<br />
Die Flugsicherung sollte zukünftig<br />
als private Dienstleistungsgesellschaft<br />
(wie in der Schweiz und in England) arbeiten,<br />
nicht mehr mit Haushaltsmitteln des<br />
Bundes, sondern durch Umlage der Flugsicherungskosten<br />
auf die Luftverkehrsgesellschaften<br />
finanziert. Das Gehalt der Fluglotsen<br />
sollte entsprechend ihrer Arbeitsbelastung<br />
aufgebessert werden.<br />
Schlieker, der selbst ohne Honorar arbeite-<br />
te, sah das Verhältnis zwischen ziviler und<br />
militärischer Flugsicherung als dringend<br />
verbesserungsbedürftig an und mahnte<br />
für Friedenszeiten (ähnlich wie in den USA)<br />
die zivile Gesamtverantwortung der Flugsicherung<br />
an. Er wies darauf hin, dass über<br />
Westdeutschland Luftstreitkräfte von acht<br />
Nationen trainierten und diese zu 80 bis<br />
90 Prozent an den jährlich etwa 350<br />
Fast-Zusammenstößen im Luftraum beteiligt<br />
seien, die Aufklärungsquote jedoch wegen<br />
fehlender Zusammenarbeit zwischen<br />
zivilen und militärischen Flugsicherungseinrichtungen<br />
nur 30 Prozent betrage und<br />
durch Kompetenzstreitigkeiten und Eifersüchteleien<br />
gekennzeichnet sei.<br />
Der abschließende Bericht der „Schlieker-<br />
Kommission 1“ lag dem Verkehrsministerium<br />
erst im Februar 1973 vor. Dem inzwischen<br />
zuständigen Minister Lauritz Lauritzen<br />
schrieb Schlieker: „Diese Ausführungen<br />
gehen über das hinaus, was in der Kommission<br />
behandelt worden ist.“ Und ernüchtert<br />
stellte er fest: „Eine zügige Bearbeitung<br />
aller in der Kommission vorgebrachten<br />
Probleme scheitert sowohl an Personalmangel<br />
der BFS als auch an einer Vielzahl<br />
von Zuständigkeiten … Der Wildwuchs<br />
in der zivilen, militärischen und europäischen<br />
Flugsicherung in den letzten 20 Jahren<br />
kann nur über eine gründliche Systemplanung<br />
… zu einem höheren Leistungsstandard<br />
und vermehrter Flugsicherheit gebracht<br />
werden.“<br />
Wie Recht er mit dieser Einschätzung hatte,<br />
zeigt sich unter anderem daran, dass<br />
schon wenige Monate später die Fluglotsen<br />
erneut für Verbesserungen in der Abwicklung<br />
des Luftverkehrs streikten, weil sie<br />
sich von der Bundesregierung in ihren Forderungen<br />
nicht ernst genommen sahen.<br />
Die Behörde (BFS) konnte übrigens erst<br />
1993, nach weiteren 20-jährigen privatund<br />
dienstrechtlichen Auseinandersetzungen<br />
mit der Bonner Ministerialbürokratie<br />
und einer notwendigen Grundgesetz-Änderung<br />
in eine GmbH (DFS) umgewandelt<br />
werden. Da war die Kritik an<br />
den Segelfliegern längst verstummt und<br />
ihre Stellung im bundesdeutschen Luftverkehr<br />
gefestigt – neuerdings werden sie<br />
aber konfrontiert mit der Forderung nach<br />
ihrer umfassenden transpondergestützten<br />
Kontrolle. t<br />
Quellenangabe:<br />
BARCH B 108/ 83835 bis 83839<br />
Peter Milger: „Geschichte der Flugsicherung<br />
in Deutschland“ Langen 2008<br />
segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 73
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(ISSN <strong>16</strong>12-1740)<br />
VORSCHAU<br />
In der nächsten Ausgabe sind unter anderem folgende Beiträge geplant:<br />
Entlang der Konvergenz-Linie<br />
„Vielleicht können wir entlang der Konvergenzlinie<br />
fliegen und einen mühelosen Flug mit ganz<br />
wenig Kreisen genießen,“ versprach Bernhard<br />
Eckey und lud Autor Colin Strauss ein, ihn auf<br />
dem Rücksitz seiner ASH 25 zu einem Flug im<br />
Süden Australiens zu begleiten.<br />
Was Strauss dabei gelernt hat, darüber<br />
berichtet er in diesem Artikel.<br />
Carpe Diem – Nutze den Tag!<br />
Dieser allgegenwärtige Spruch wird in seiner eigentlichen<br />
Bedeutung oft missverstanden – das zumindest<br />
behauptet unser Autor Henry Blum. Als Meteorologe<br />
glaubt er, dass die Römer damit ganz einfach gemeint<br />
haben, eine gute Gelegenheit beim Schopf zu packen –<br />
denn gute Gelegenheiten bieten sich speziell für<br />
Segelflugpiloten, die Großes vorhaben, nicht so oft. Eine<br />
philosophische, mathematische und auch etwas<br />
meteorologisch eingefärbte Betrachtung.<br />
ASG 32 Mi<br />
Ausgabe 1 / 2017<br />
erscheint Ende Dezember 20<strong>16</strong><br />
Die ASG 32 wird in drei Varianten<br />
angeboten: als Eigenstarter (Mi) mit<br />
dem bereits bestens bekannten<br />
Wankelmotor mit 56 PS, als reines<br />
Segelflugzeug, das aber nachträglich<br />
motorisiert werden kann, und mit<br />
einem ausfahrbaren Elektromotor als<br />
Heimkehrhilfe. Aldo Cernezzi hat die<br />
ASG 32 Mi zum Test geflogen.<br />
www.segelfliegen-magazin.com<br />
74 segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong>
KOLUMNE<br />
Zulu<br />
Zulu<br />
Von Gisela Benoist<br />
Liebe Segelfliegerfrauen, ganz tief drinnen wissen wir es ja eigentlich… aber wer will es schon<br />
wahrhaben?? Alle Männer sind irgendwann untreu, ob wir es erfahren wollen oder nicht.<br />
Sogar mein Max! Ja, ich konnte es auch nicht glauben. Er ist in eben in dem gewissen Alter, in dem ihn<br />
die Leidenschaft zu größeren Dingern hinzieht. Ja, leider.<br />
Und wie bei allen heimlichen Affären war es auch bei uns<br />
ganz typisch, ich fand ganz zufällig eine heimliche E-Mail.<br />
Es war wirklich zufällig, sie war aufgeschlagen auf dem<br />
Bildschirm und ich konnte nicht anders, als kurz mal drüber zu<br />
lesen! Echt, ich hab nicht extra gesucht …<br />
Die Mail war vom Schweizer Zoll. Klingt erstmal völlig harmlos,<br />
nicht gleich nach Scheidung oder so. Mein Max war ganz in der<br />
Nähe, und ich fragte, was er mit dem Schweizer Zoll zu tun habe.<br />
Ach, das ist gar nix (gar nix war ganz schön lang!) und überhaupt<br />
nicht spruchreif. Aha. Schon wird frau erst recht neugierig!<br />
Ich hab wirklich lange gebohrt, wie in einen tief kariösen Zahn, bis<br />
ich auf den Nerv traf, dann rückte er heraus… Er interessiere sich<br />
für einen Flieger in der Schweiz. Eine ASH31 Mi, mit 21 m.<br />
Jetzt war es raus!<br />
Und ich dachte, mein Max und sein Ventus wären das absolute<br />
Dreamteam! Sie hatten so viele schöne Stunden miteinander, die<br />
beiden waren glücklich! Ehrlich, noch vor kurzem beim Joggen<br />
meinte mein Max, „der Ventus ist mein Flieger fürs Leben. Mit<br />
dem werd ich alt!“ So sind sie, die Männer. Was juckt mich mein<br />
Geschwätz von gestern, jetzt sind 18 m zu kurz! Das Alter???<br />
Manche brauchen mehr PS, manche jüngere Frauen mit mehr ihr<br />
wisst schon, mein Max braucht längere Flügel!<br />
Aber mach dir keine Sorgen, meinte er, ich hatte zuletzt vor über<br />
acht Wochen Kontakt mit dem Besitzer und aus dem Segelflug -<br />
Anzeigenteil ist sie raus. Bestimmt ist sie verkauft, sie war so<br />
einzigartig ausgestattet. Die muss weg sein! Klingt so wie: Mach<br />
dir keine Sorgen, war nur ne kurze Affäre mit ihr, wir haben uns<br />
schon wieder getrennt…<br />
Wir Frauen wissen, so geht es nicht. Da war was passiert in<br />
meinem Max, und ich spürte eine neue Leidenschaft in ihm. Ja, ich<br />
bestärkte ihn darin, doch nochmal Kontakt zum Besitzer aufzunehmen.<br />
Wir befanden uns zu dieser Zeit in Pui, wie ja seit ein paar Jahren<br />
Ende August. Ich glaube wir sahen stündlich nach, ob eine Antwort<br />
aus der Schweiz kam.<br />
Sie kam. Die Mi sei noch nicht verkauft und ob es Max gut gehe…<br />
Unglaublich! So, jetzt ging es los. Die beiden verhandelten hin und<br />
her, und es waren außergewöhnlich sympathische Mails, wenn<br />
man bedenkt, um welche Summen es bei so einem Vogel doch<br />
geht! Mein Max leuchtete immer mehr. In seinem Kopf war nur<br />
noch Mi. So ist das mit Konkurrentinnen!!! Zumal wenn sie<br />
unschlagbare 21 m haben, da halte ich nicht mit! Ganz zufällig war<br />
der Heimatflugplatz der Mi quasi auf unserem Heimweg.<br />
Am letzten Tag in Pui setzte sich mein Max in unsere Golf Mike<br />
und sah mich mit waidwunden Augen an: Vielleicht ist das der<br />
letzte Flug mit meinem Ventus!!! Also was jetzt???<br />
Wir fuhren zum verabredeten Flugplatz. Der war in so einer Idylle,<br />
das war wie im Traum. Alles dort hat zusammengepasst: Die<br />
Umgebung, die aufgebaute Mi, deren Flügel in der untergehenden<br />
Sonne in voller Länge glänzten, und ein Besitzer, ich nenn ihn<br />
einfach Laurent, der so entspannt und zufrieden war, der suchte<br />
nicht mehr, der hatte schon alles gefunden…<br />
Es fielen nicht viele Worte. Max setzte sich in die Mi. Ich fragte: „Ist<br />
das dein Flieger?“ Er strahlte nur zurück… Es war um ihn geschehen!<br />
Auf diesem Flugplatz war nur Harmonie. Das sanfte Licht, die<br />
Zufriedenheit aller Beteiligten… Wir waren hinterher beim Essen<br />
und haben überlegt, war das ein Traum oder Wirklichkeit?<br />
Dann sah ich vor meinem geistigen Auge unsere Anzeige bei<br />
segelflug.de: Treuer Freund, aus guten und aus schlechten Tagen,<br />
der seinen Herrn niemals im Stich gelassen hat und im Laufe der<br />
Jahre noch perfektioniert wurde, nur in liebevollste Hände und<br />
sehr ungern abzugeben… Oh Gott! Unsere Golf Mike, unglaublich!<br />
Sie gehörte sieben Jahre zur Familie!<br />
Einen Vorteil jedenfalls hatte ja ein neuer Flieger: Mein Max hatte<br />
genau jetzt, wo die Saison zu Ende geht, wieder viel zu tun, zu<br />
regeln, zu träumen, zu planen… Keine Segelflugendzeitstimmung,<br />
sondern nur jede Menge Vorfreude!<br />
Am nächsten Tag fuhren wir nach Hause. Auf der Autobahn<br />
wurden wir von einem Kollegen aus Pui überholt, er fuhr ohne<br />
Hänger nach Hause. Er hat uns raus gewunken auf den<br />
Seitenstreifen, ich nenn ihn jetzt mal Thomas. Thomas hatte in<br />
einem Gespräch mitbekommen, dass unser Ventus eventuell den<br />
Besitzer wechseln sollte. Das Gespräch war wieder kurz: Wenn das<br />
klappt mit der Mi, dann ist er der Besitzer der Golf Mike. So schnell<br />
kann es gehen! Auf dem Seitenstreifen neben der A5. Ich kannte<br />
Thomas schon ein paar Jahre, wenigstens ist unsere GM dort in<br />
guten Händen! Und: Wir können sie immer im August wiedersehen!<br />
Und dann wird sie erzählen, was sie erlebt hat!<br />
Bis hierher war meine Kolumne fertig. Dann erreichte uns die<br />
unfassbare Nachricht, dass Laurent für immer in den Wolken<br />
geblieben ist. Seine Familie möchte, dass die Mi zu meinem Max<br />
kommt, wie es der Wille von Laurent gewesen ist.<br />
Wir haben beschlossen: es kann nur eine Golf Mike in unseren<br />
Leben gegeben haben; die Mi wird, wie Laurent es gewollt hat, für<br />
immer Zulu Zulu heißen. Und es wird keinen Tag mit ihr geben, an<br />
dem wir nicht angenehm an diesen Abend auf dem Flugplatz in<br />
der Schweiz und Laurent denken …<br />
segelfliegen 6 l 20<strong>16</strong> 75