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Magazin 2017_03

Eine Anthologie zum 5. Jubiläum. Kuratiert von Lissan, Leralya, Nederlandfreak und welcome home.

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Text<br />

© MirSelber (*1994)<br />

Text<br />

© MirSelber (*1994)<br />

„Bleib auf dem Boden!“, ruft Phil lachend aus und legt mir die<br />

Hand auf den Arm. Die Geste hätte wohl beruhigend wirken<br />

sollen, doch mich macht sie nur wütend. „Du nimmst das<br />

alles nicht ernst, oder?“, fahre ich ihn an und ziehe meinen<br />

Arm weg. Phil mustert mich unsicher. „Natürlich nehme ich<br />

es ernst, Hannah“, gibt er etwas irritiert zurück. „Aber es ist<br />

nur ein Brief. Ein simpler Brief.“<br />

„Für dich ist es vielleicht nur ein Brief, aber für mich entscheidet<br />

er darüber, was später einmal aus mir wird“, erkläre ich ihm<br />

mit sich überschlagender Stimme.<br />

Phil stöhnt resigniert auf und fährt sich mit den Händen<br />

übers Gesicht. „Dann erklär‘ mir mal: Warum solltest du denn<br />

nicht bestanden haben?“, fragt er betont ruhig und sieht<br />

mich eindringlich an. Ich kann es nicht ausstehen, wenn er<br />

das macht. Dann komme ich mir immer wie ein Kleinkind vor.<br />

„Hör auf damit!“, gebe ich statt einer Antwort zurück.<br />

„Womit?“<br />

„Ach egal!“ Ich mache ein unwilliges Geräusch. „Du hältst<br />

es also für selbstverständlich, dass ich bestanden habe?“,<br />

frage ich spitz und sehe ihn mit hochgezogenen Brauen an.<br />

Phil mustert mich erstaunt. „Ja – ja, natürlich.“<br />

„Du ziehst es also gar nicht in Betracht, dass ich möglicherweise<br />

durchgefallen bin?“<br />

„Nein, natürlich nicht! Warum sollte ich?“<br />

„Nein, warum solltest du auch.“ Ich lache bitter auf. „Bei<br />

Hannah ist ja auch immer alles selbstverständlich! Hannah<br />

macht dies, Hannah macht das! Hannah macht es sowieso!<br />

Hannah wird es schon wieder gerade biegen!“ Ich atme<br />

wütend durch die Nase aus.<br />

www.schreibdichfrei.net/texte/text/582<br />

Der Brief<br />

78 79<br />

Der Brief www.schreibdichfrei.net/texte/text/582<br />

„Ja, willst du denn durchfallen?“, unterbricht mich Phil<br />

unwirsch.<br />

„Nein, natürlich nicht! Wer will das schon?!“<br />

Phil verwirft die Hände. „Ja, eben!“<br />

„Nichts ‚Ja eben‘! Du verstehst mein Problem einfach nicht!“,<br />

gebe ich aufgebracht zurück.<br />

„Nein, ich verstehe es nicht!“<br />

Einige Sekunden lang starre ich Phil stumm an, dann platzt es<br />

aus mir heraus: „Du siehst mich als selbstverständlich an!“<br />

Jetzt ist Phil so überrascht, dass er gar nichts erwidert.<br />

„Siehst du, es stimmt! Deshalb hast du gestern auch nicht<br />

den Abwasch gemacht!“, zische ich ihn stattdessen giftig an<br />

und fuchtle in Richtung Küche. Phil blinzelt entgeistert. Ja,<br />

jetzt habe ich ihn auf dem falschen Fuss erwischt. „Nein,<br />

der feine Herr musste sich zuerst das Tennis-Match ansehen!<br />

Das dreckige Geschirr einfach mal stehen lassen. Die Hannah<br />

macht‘s dann schon, wenn sie sich daran stört! - Ach ja, und<br />

du hast ja nicht mal daran gedacht, zu kochen!“, gerate ich<br />

immer mehr in Fahrt. Ich sitze nun auf der Vorderkante<br />

meines Stuhles und deute anklagend mit dem Finger auf ihn.<br />

„Was hast du dazu zu sagen, he?“<br />

Nun wird auch Phil zusehends wütend. „Was soll das jetzt<br />

plötzlich, Hannah? Ich hab dir gestern gesagt, dass ich den<br />

Abwasch nach dem Match mache!“<br />

„Ja, das sagst du immer! Im Nachhinein hast du immer eine<br />

gute Ausrede auf Lager!“<br />

Phil steht genervt auf. „Hannah, auf diesem Niveau müssen<br />

wir gar nicht erst anfangen.“

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