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» Die Welt nach der<br />
Finanzkrise«<br />
Wladimir Putin referierte in <strong>Davos</strong>: »Es ist bekannt, dass in Krisenzeiten auf einfache<br />
und populistische Rezepte zurück gegriffen wird, aber wenn man nur die Symptome<br />
behandelt, hat in der Zukunft mit grossen Komplikationen zu tun«, sagt Wladimir Putin.<br />
Für das zukünftige Vorgehen müsse endlich mal ein<br />
»Strich unter der Vergangenheit gezogen« und mit offenen<br />
Karten gespielt werden. »Man muss die wirkliche<br />
Lage der Dinge sehen und darlegen. Die schlechten Aktiva<br />
und hoffnungslosen Schulden müssen von Unternehmen<br />
abgeschrieben werden. Das ist etwas Schmerzliches<br />
und Unangenehmes und danach sehnt sich auch keiner.<br />
Man fürchtet sich um den Bonus und Prestigeverlust.<br />
Aber: »Wenn die Bilanzen nicht bereinigt sind, wird die<br />
Krise nur verlängert.« Zweitens: Nach Heilung der Bilanzen<br />
müsse man das virtuelle Geld loswerden, die aufgeblasenen<br />
Abrechnungen und die zweifelhaften Ratings.<br />
»Man muss den wirklichen Zustand der Unternehmen<br />
sehen, und das dürfen keine Illusionen sein«, sagt Putin.<br />
Die zukünftige Weltwirtschaft müsse eine Weltwirtschaft<br />
der reellen Werte sein. »Man stellt natürlich die Frage,<br />
wie kommt man dahin. Aber darüber müssen wir uns gemeinsam<br />
Gedanken machen.«<br />
Als dritten Lösungsansatz nennt Putin das Zusammenwirken<br />
der verschiedenen Staatsbanken. Aber man müsse<br />
auch schauen, dass es kein Chaos gebe. »Deshalb<br />
brauchen wir ein neues Regelungssystem, basierend auf<br />
Völkerrecht und auf multilateralen Abmachungen.«<br />
Denn die meisten Länder hätten heute ihre Reservewährung<br />
in Devisen angelegt. Das führt dazu, dass man voneinander<br />
abhängig ist.<br />
Die wichtigste anzustrebende Veränderung in der Welt<br />
nach der Krise aber sei gemäss Putin: »Alle Länder müssen<br />
garantierten Zugang zu lebenswichtigen Ressourcen<br />
haben, zu neuen Technologien und neuen Entwicklungsquellen.«<br />
Sie bräuchten Garantien, dass Risiken einer<br />
erneuten Krise minimiert werden.<br />
Ein zu niedriges Regelungsniveau im Finanzsystem, fehlende<br />
Rechenschaftspflicht, überhöhte Erwartungen an<br />
die Rendite. Diese und andere Ursachen für die Wirtschafts-<br />
und Finanzkrise zählt er auf und nennt damit<br />
Faktoren, die heute weitgehend anerkannt sind. Der amerikanische<br />
Immobilienmarkt, als Auslöser der ganzen<br />
Subprimekrise, ist in der Rede des Ministerpräsidenten<br />
nicht direkt angesprochen, wahrscheinlich aus politischen<br />
Gründen.<br />
Ausgesprochen spannend sein Beitrag zur Diskussion<br />
um die Rolle des Staates in der Krise. Der Staat dürfe<br />
nicht zu viel Macht über die Wirtschaft haben, sagt Putin.<br />
Russland habe diesen Fehler teuer bezahlt und man wolle<br />
ihn nicht wiederholen. Man dürfe die Augen nicht davor<br />
verschliessen, dass während der letzten Monate ein Gesinnungswandel<br />
des Unternehmertums statt gefunden<br />
hatte. Gerade was auch das Prinzip der persönlichen Verantwortung<br />
des Menschen, des Unternehmers, des Anlegers<br />
und des Aktionärs betrifft. Man kann nicht ganz<br />
einfach sagen, es ist die Verantwortung des Staates. Das<br />
führt nicht zu besseren Resultaten. »Ich weiss, dass hier<br />
Wirtschaftsführerpersönlichkeiten anwesend sind und<br />
man will immer, dass der Staat Gutes tut. Aber einmal<br />
sind Staatsmittel auch erschöpflich. Das ist etwas, das<br />
auf lange Sicht nicht wirksam ist«, so Putin.<br />
Der russische Ministerpräsident fordert vorausblickendes<br />
Handeln und einen nachhaltigen Umgang. Hier<br />
schafft er die Verbindung zur globalen Energieversorgung,<br />
die stark ausschlaggebend für zukünftiges Wachstum<br />
sei. Russland setze sich bezüglich diesem Thema für<br />
eine internationale vertragliche Basis und eine sichere<br />
Energieversorgung ein. Die Pipelineentwicklung speziell<br />
auch für Öl und Gas spiele dabei eine grosse Rolle.<br />
»Sie muss fortgesetzt werden«, so Putin. Das Thema ist<br />
für Russland enorm wichtig. Vor der Krise füllten die<br />
Einnahmen aus dem Rohstoffexport temporär mehr als<br />
die Hälfte der Staatskasse. Nun ist diese grosse Abhängigkeit<br />
gegenüber der Ölpreisentwicklung während der<br />
Krise zum Verhängnis geworden und führte zu gigantischen<br />
Einbussen für die russische Wirtschaft.<br />
Darüber hinaus erwähnt Putin, Russland wolle sich in<br />
den nächsten 10 bis 15 Jahren grundlegend verändern<br />
und erneuern. Dafür seien bereits gute Investitionen getätigt<br />
worden. Ziel sei es auch, die Bildungsinvestitionen<br />
voranzutreiben.<br />
Putin zu Militärinvestitionen: Grosse Rüstungsausgaben<br />
mit der Ausrede, damit staatliche Wirtschaftsförderung<br />
zu betreiben, seien nicht akzeptabel. Trotz Finanzkrise<br />
und wachsender Arbeitslosigkeit solle an einem weiteren<br />
gemeinsamen Rüstungsabbau gearbeitet werden. Ein<br />
Appell an Solidarität und Vertrauen unter den Staaten<br />
zum Schluss.<br />
Wladimir Putin, am World Economic Forum <strong>Davos</strong>,<br />
2009.<br />
Aufgezeichnet von Gian-Marco Werro<br />
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