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Barftgaans Februar 2017

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FEUILLETON<br />

„IRGENDWANN IST ALLES GESAGT“<br />

Zum 80. Geburtstag von Schriftstellerin und Krimiautorin Doris Gercke<br />

Im Interview sagte Gregor Gysi einmal, er sei in einem Alter, wo neue Gedanken<br />

nur ins Hirn passten, wenn man alte aussortiere. Aber welche?<br />

Und fehlte dann nicht ein Stück Leben? Auch wenn man sich von seinen<br />

Irrtümern trennte, so ist das doch, als wäre man unvollständig. Oder? –<br />

Doris Gercke hat sich von einem frühen und dem wohl größten Irrtum,<br />

ein Leben als Hausfrau mit Kindern könnte ihr genügen, rechtzeitig und<br />

gründlich verabschiedet. Zum Glück für uns Leser! Am 7. <strong>Februar</strong> <strong>2017</strong><br />

wird die Schriftstellerin, die in Natendorf und Hamburg lebt, 80 Jahre alt.<br />

Doris Gercke wurde in Greifswald geboren. Dass sie mit zwölf Jahren,<br />

im Sommer 1949, in den Westen, damals noch Trizone, soll, „war für mich<br />

tragisch. Aber heute denke ich, dass es der Grund dafür ist, dass ich schreibe.“<br />

Denn das Mädchen Doris begriff in der Schule in einem vornehmeren<br />

Stadtteil Hamburgs, „dass ich Prolet bin. Im Osten konnte ich kein Klassenbewusstsein<br />

entwickeln, aber im Westen waren die Grenzen ganz klar<br />

gezogen. Schon in der Schule.“ Studieren konnte Doris Gercke wegen der<br />

Familienverhältnisse nicht. Bei drei Kindern hatte es für das Schulgeld gereicht,<br />

für ein Stipendium fehlten die Mittel. Sie hätte gern Jura studiert.<br />

In der Berufsberatung sagten ihr die Leute: Beamter ist so was Ähnliches.<br />

Also absolvierte sie eine Ausbildung zum Regierungsinspektor und arbeitete<br />

in der Schulbehörde. Sie lernte ihren Mann kennen, die beiden Kinder<br />

kommen mit 20 beziehungsweise 22 Jahren. An der intellektuellen Unterforderung<br />

als „nur Hausfrau“ litt die junge Frau sehr. Aber mit 40 Jahren<br />

holte sie im Rahmen einer Begabtenförderung das Abitur nach und erfüllte<br />

sich wirklich den Traum vom Jurastudium.<br />

In den Semesterferien des Jahres 1987 begann sie mit dem Schreiben,<br />

schon 50-jährig, in einem Jahr würde sie ihr Studium abgeschlossen haben.<br />

Dieses eine Jahr später allerdings hatte sie bereits drei erfolgreiche<br />

Bücher fertig. Die Frage, werde ich Strafverteidigerin oder etwa doch<br />

nicht, beantwortete die Juristin für sich folgerichtig mit der uns heute bekannten<br />

Konsequenz.<br />

Für das Schreiben gab es zwei Initialzündungen, eine sehr frühe und<br />

eine spätere. Das Bild aus Kindertagen ist so einprägsam, dass es jeder<br />

sofort sieht: Eines Tages kam Martin Andersen Nexö nach Greifswald.<br />

Seine Biografie sagt, es muss 1947 gewesen sein; da bereiste der Däne<br />

Deutschland, ehe er 1951 endgültigen Wohnsitz bei Dresden nahm, wo er<br />

1954 starb. Die zehnjährige Doris steht an der Straße, um dem Manne mit<br />

vielen anderen zuzuwinken. „Das war für mich das Bild eines berühmten<br />

Schriftstellers: wehendes weißes Haar, Fahrt im offenen Wagen; sie hatten<br />

ihm ein blaues Pioniertuch umgebunden“, erinnert sie sich bis heute.<br />

Zur selbstbewussten, kindlichen Überzeugung, Schreiben könne sie<br />

auch, gab es 40 Jahre später eine erschütternde Geschichte, die ihr ein<br />

Polizist erzählte. Diese Geschichte „hat mich umgehauen. Ich wusste gar<br />

nicht, was ich schreiben wollte, ich wusste nur, wenn es passiert ist, dann<br />

muss man auch eine Form finden, es aufzuschreiben.“ So ähnlich findet<br />

Doris Gercke, geboren 1937 in Greifswald, lebt in Natendorf und Hamburg.<br />

Doris Gercke ihre Erkenntnis später bei Anna Seghers formuliert: „Und ich<br />

verstand, daß es nichts gibt, was man nicht schreiben kann“, hatte die gesagt.<br />

So entstand nach einer wahren Begebenheit das erste Buch: „Weinschröter,<br />

du mußt hängen“.<br />

Auf gar keinen Fall wollte Doris Gercke über sich schreiben, „bloß keine<br />

Selbsterfahrungsliteratur“, da sei genug Unsägliches auf dem Markt gewesen!<br />

Dass es Krimis sein würden, das war klar. So wird Bella Block bereits<br />

für diesen ersten Roman geboren. Den Erfolg erklärt sich ihre Erfinderin<br />

so: Die Frauenbewegung gab es nicht mehr, aber in ihren Büchern<br />

war da plötzlich eine Frau, wie viele Geschlechtsgenossinnen träumten zu<br />

sein: stark, finanziell unabhängig, mit eigener Existenz. Dass Bella auch<br />

politisch den Kopf nicht in den Sand steckt, wissen wir.<br />

Vor zehn Jahren, zum 70. Geburtstag der Autorin, waren Krimi-Kolleginnen<br />

nach Lüneburg gekommen und schenkten Doris Gercke eine<br />

wunderbare Feier in Form einer Lesung. Moderiert von Regula Venske<br />

Einige von 26 Büchern der Jubilarin.<br />

www.barftgaans.de | <strong>Februar</strong>/März <strong>2017</strong><br />

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