Thema | Dossier Kinder thematische Rollenspiele wie Kapitän, Doktor, Familie, Spital, Kranführer usw. Auch diese Spiele sind von gewissen Vorstellungen und Regeln geprägt: «Nein, also wirklich, so verhält sich keine Frau Doktor ...!» Auch in Rollenspielen werden Regeln ausgehandelt. Später spielen viele Jugendliche gerne Theater und nähern sich so den Rollen an, die in der Erwachsenenwelt wichtig sind. Sie lernen in Rollenspielen das Erwachsenwerden? Das ist eine ganz wichtige Funktion des Spiels und ein Trick der Evolution: Die Kinder spielen, was bei den Erwachsenen wichtig ist. Diesbezüglich sind wir Menschen übrigens sehr ähnlich wie hoch entwickelte Tiere, Affen beispielsweise oder Raubtiere, die sich im Spiel überlebenswichtige Kompetenzen aneignen. Buchtipp: Mehr ist mehr Bernhard Hauser ist Mitverfasser des Buches «Mehr ist mehr. Mathematische Frühförderung mit Regelspielen zur Förderung mathematischer Kompetenzen» (mit Elisabeth Rathgeb-Schnierer, Rita Stebler, Franziska Vogt). Der Praxisband mit umfangreichem Downloadmaterial ist 2015 im Kallmeyer Verlag erschienen. ISBN: 978-3-7800-4837-0 Was halten Sie von Spielen rund um die Sprache? Der spielerische Umgang mit Sprache, mit Witz und Humor ist leider noch zu wenig gut erforscht. Ich bin aber überzeugt, dass Spiele rund um die Sprache enorm wichtig sind und zu vielerlei wertvollen Kompetenzen verhelfen. Das Erzählen eines Witzes beispielsweise ist eine wichtige Kompetenz, die nicht einfach zu erreichen ist. Anfang der Schulkarriere können die wenigsten Kinder einen Witz erzählen. Sie vergessen die Pointe; die Zuhörenden lachen, weil andere Kinder auch lachen. Humor und Doppeldeutigkeit vermitteln und verstehen zu können, sind wertvolle Kompetenzen in unserer Gesellschaft: Wer sie beherrscht, hat es viel leichter im Leben. Dann könnten Lehrpersonen den Schülerinnen und Schülern auf der Unterstufe auftragen, einen Witz auszuwählen und ihn zu erzählen lernen? Eine solche Aufgabe kann durchaus Sinn machen und die Grundkompetenz, mit Sprache spielerisch umzugehen, fördern. Gibt es Sprachspiele, die sich für die Mittel- und Oberstufe eignen? Mit meinen Studierenden, angehenden Lehrerinnen und Lehrern, spielen wir ein Sprachspiel, das sich auch für die Mittel- und Oberstufe eignet: Ich lese Ihnen zwei Seiten aus einem Fantasyroman vor und bitte sie, sich auf die Sprache zu konzentrieren, auf den Sprachfluss zu achten. Auf der nächsten halben Seite, die ich vorlese, habe ich vorgängig Sätze eingebaut, die frei erfunden sind, aber sehr gut in den Text passen. Diese gilt es herauszufinden. Anschliessend wird der Spiess umgedreht: Die Schülerinnen und Schüler bauen selber sinnlose Sätze so in einen bestehenden Text ein, dass sie möglichst nicht auffallen, und lesen ihren Text den anderen vor. Der Reiz des Spiels besteht darin, möglichst absurde und originelle Passagen zu erfinden, die aber zum Sprachstil dieser Textsorte passen, um die Mitspielenden zu verunsichern. Sprachstil und Wortschatz werden dabei intensiv geübt – mit viel Spass. Tönt spannend. Aber viele Lehrpersonen sagen, auf der Mittel- und Oberstufe bleibe wenig oder keine Zeit für Spiele im Unterricht. Was sagen Sie diesen? Am Ende der obligatorischen Schulzeit, wenn der Weg für die Jugendlichen Richtung Berufslehre oder Gymnasium einbiegt, ist es berechtigt, dass die Ernsthaftigkeit einen grösseren Stellenwert erhält, das Spiel stärker in die Freizeit verlagert wird. Es gibt aber auch für diese Schulstufe sehr geeignete Spiele, beispielsweise im Fachbereich NMG: Computersimulationsspiele, in denen den Jugendlichen ähnlich wie bei Monopoly wertvolle Zusammenhänge vermittelt werden. Sind Computerspiele in der Schule nicht fehl am Platz, weil viele Jugendliche, vor allem männliche, zu Hause eh zu viel am Computer spielen? Es sind andere Spiele, die in der Schule zum Einsatz kommen. Es gibt viele erzieherisch wertvolle Computerspiele, die dauernd weiterentwickelt werden und zunehmend besser auf die Kompetenzen ausgerichtet sind, welche die Schülerinnen und Schüler erwerben sollen. Leider gelingt es nicht, damit die Computerspiele zu konkurrenzieren, welche die Jugendlichen zu Hause spielen: Autorenn- und FIFA-Spiele sowie Shootergames – von milliardenschweren Firmen entwickelt, denen keine unserer Produktionsfirmen finanziell das Wasser reichen kann. Bei vielen dieser Spiele werden Kompetenzen erworben, die nicht so wertvoll sind in unserer Gesellschaft oder sogar schaden können. Wenn Jugendliche müde sind, weil sie daheim bis in die Nacht «gamen», kann dieses Problem nicht in der Schule von den Lehrpersonen gelöst werden: Die Erwachsenenwelt muss herausfinden, wie wir dies anders regeln können. 16 <strong>EDUCATION</strong> <strong>1.17</strong>
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