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Wie die Kinder leben lernen Band 2 - Baeuml-rossnagl.de

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Der Blick fUr das Ganze entwickelte<br />

sich bei Goethe aus einem ursprUng lichen<br />

LebensgefUhl. In <strong>de</strong>m Knaben, <strong>de</strong>r <strong>die</strong><br />

Steinsammlung seines Vaters zu einem<br />

Altar gestaltet und <strong>die</strong> Kerze von <strong>de</strong>r<br />

aufgehen<strong>de</strong>n Sonne entzUn<strong>de</strong>n läßt, lebt<br />

bereits als GefUhl. was später zu <strong>de</strong>r Erkenntnis<br />

wird:<br />

<strong>Wie</strong> alles sich zum Ganzen webt<br />

Eins in <strong>de</strong>m An<strong>de</strong>rn wirkt und lebt.<br />

<strong>Wie</strong> <strong>die</strong>ses ursprUngliche LebensgefUhl<br />

schon frUhzeitig als Blick fUr das Ganze<br />

in ihm <strong>leben</strong>dig wur<strong>de</strong>, zeigt eine kleine<br />

Episo<strong>de</strong>. <strong>die</strong> er in »Dichtung und Wahrheit«<br />

erzählt.<br />

Es war gegen En<strong>de</strong> seines Straßburger<br />

Aufenthaltes, als er von einem Landhause<br />

aus <strong>die</strong> Vor<strong>de</strong>rseite <strong>de</strong>s MUnsters und<br />

<strong>de</strong>n darUber emporsteigen<strong>de</strong>n Turm beobachtete.<br />

Jemand aus <strong>de</strong>r Gesellschaft bedauert,<br />

daß das Ganze nicht fertig gewor<strong>de</strong>n.<br />

und daß man nur einen Turm habe.<br />

Goethe entgegnet. es sei ihm ebenso<br />

leid. daß auch <strong>die</strong>ser eine Turm nicht<br />

ganz ausgefUhrt sei: »Denn <strong>die</strong> vier<br />

Schnecken setzen viel zu stumpf ab. es<br />

hätten darauf noch vier leichte Turmspitzen<br />

gesollt, so wie eine höhere auf<br />

<strong>die</strong> Mitte, wo das plumpe Kreuz steht.« -<br />

Ein »kleiner munterer Mann« re<strong>de</strong>t ihn<br />

darauf an: wer ihm das gesagt habe?<br />

- »Der Turm selbst«, versetzte ich.<br />

»Ich habe ihn so lange und aufmerksam<br />

betrachtet und ihm soviel Neigung erwiesen,<br />

daß er sich zuletzt entschloß, mir<br />

<strong>die</strong>ses Geheimnis zu gestehen.« -<br />

Der an<strong>de</strong>re berichtet nun, daß nach <strong>de</strong>n<br />

unter seiner Aufsicht verwahrten Originalumrissen<br />

<strong>de</strong>r Turm wirklich in <strong>de</strong>r von<br />

Goethe vermuteten Form projektiert war.<br />

Goethes kUnstierischer Blick hatte aus<br />

<strong>de</strong>m Torso das Ganze erstehen lassen.<br />

Es war Goethe eigentUmlich. daß er<br />

sich nie mit <strong>de</strong>m begnUgen konnte. was<br />

er besaß. Es genUgte ihm nicht, <strong>die</strong> intuitive<br />

Erkenntnis von <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s<br />

»Ganzen« zu haben - er mußte sie sich im<br />

Einzelnen immer wie<strong>de</strong>r erringen.<br />

Hu.emann,F.: Goethe und <strong>die</strong> Hellkunst. Betrachtungen<br />

zur Krise in <strong>de</strong>r Medizin. Orea<strong>de</strong>n<br />

1983, S . 52-53<br />

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