Heft 98 - Lernen & Lehren
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Editorial<br />
Klaus Jenewein/Reinhold Nickolaus<br />
„Fertigkeiten und Kenntnisse, die unter<br />
Einbeziehung selbständigen Planens,<br />
Durchführens und Kontrollierens zu<br />
vermitteln sind“, fordern die Ausbildungsordnungen<br />
der Elektro- und Metallberufe<br />
bereits seit den 1<strong>98</strong>7er Ordnungsverfahren.<br />
Seitdem ist viel über<br />
dieses Prinzip der vollständigen Handlung<br />
geschrieben und gesprochen<br />
worden, und diese Diskussion hat innerhalb<br />
der vergangenen 25 Jahre die<br />
betriebliche Berufsausbildung erheblich<br />
verändert. Eine parallele Entwicklung<br />
ergab sich für die Bildungsarbeit<br />
der berufsbildenden Schulen. Bereits<br />
1991 forderten die Richtlinien für die<br />
Berufsschule des Landes Nordrhein-<br />
Westfalen für den Unterricht in den damals<br />
neu geordneten handwerklichen<br />
und industriellen Elektro- und Metallberufen<br />
Handlungsorientierung als<br />
„Leitkonzeption“ ein. Nach eher zögerlichen<br />
Umsetzungen im schulischen<br />
Bereich wurde mit der Einführung des<br />
Lernfeldkonzepts Mitte der 1990er<br />
Jahre nochmals ein wesentlicher Entwicklungsimpuls<br />
für die breitflächige<br />
Implementierung gegeben.<br />
Die Forderung nach handlungsorientierten<br />
Lehr-Lernformen wird mit den<br />
zwischen 2002 und 2004 erfolgten<br />
Neuordnungsverfahren der Elektro-<br />
und Metallberufe und den zugehörigen<br />
KMK-Rahmenlehrplänen erneut aufgegriffen<br />
und bekräftigt. INA PIERINGER<br />
schrieb in einem Bericht über die Umsetzung<br />
der KMK-Rahmenlehrpläne in<br />
den neuen Elektroberufen für Sachsen:<br />
„In den Lernsituationen wird die<br />
Kompetenzentwicklung in die (Teil-)<br />
Handlungen Planen, Durchführen und<br />
Auswerten gegliedert. Somit werden<br />
auch in der Lernsituation ganzheitliche<br />
Handlungen nachvollzogen.“ (Zur<br />
Umsetzung der KMK-Rahmenlehrpläne<br />
der Elektroberufe in Sachsen, in:<br />
lernen & lehren, Sonderheft 1/2004,<br />
S. 36–41)<br />
Handlungsorientiertes <strong>Lernen</strong> ist somit<br />
eines der Mega-Themen in der beruflichen<br />
Bildung. Diese Einschätzung<br />
wird aktuell wieder dadurch gestützt,<br />
dass die Zeitschrift „Die berufsbildende<br />
Schule“ ihre April-Ausgabe 2010<br />
unter das Leitthema stellt „Handlungsorientierter<br />
Unterricht – Orientieren,<br />
Informieren, Planen, Durchführen,<br />
Kontrollieren, Bewerten“. Und über<br />
kaum ein Thema ist in „lernen & lehren“<br />
so viel geschrieben worden wie<br />
über einen handlungsorientierten elektrotechnischen<br />
und metalltechnischen<br />
Unterricht.<br />
Dabei hat es an kritischen Auseinandersetzungen<br />
nicht gemangelt. Besonders<br />
die empirischen Studien, die<br />
durch die Forschergruppe um REIN-<br />
HOLD NICKOLAUS in Niedersachsen und<br />
in Baden-Württemberg durchgeführt<br />
worden sind, haben die Sinnhaftigkeit<br />
einer weitgreifenden Orientierung der<br />
Bildungsarbeit in der Berufsschule<br />
an handlungsorientierten Unterrichtsformen<br />
nachhaltig in Zweifel gezogen.<br />
Empirisch gestützte Aussagen etwa<br />
zur mangelnden Effizienz des <strong>Lernen</strong>s<br />
oder zur besonderen Benachteiligung<br />
lern- und leistungsschwacher<br />
Jugendlicher in handlungsorientierten<br />
Unterrichtsformen haben grundlegende<br />
Fragen aufgeworfen, die das<br />
Selbstverständnis unserer Lehrkräfte<br />
ebenso tangieren wie die inhaltliche<br />
Ausrichtung der Lehrerausbildung in<br />
der ersten und zweiten Phase. Hinzu<br />
kommt, dass eine Reihe von empirischen<br />
Studien aus anderen Berufsfeldern<br />
vorliegen, deren Ergebnisse für<br />
unsere fachdidaktische Diskussion von<br />
großem Interesse sind, beispielsweise<br />
im Rahmen des DFG-Schwerpunktprogramms<br />
„Lehr-Lern-Prozesse in<br />
der kaufmännischen Erstausbildung“,<br />
aber auch Einzeluntersuchungen etwa<br />
im Unterricht der bautechnischen Berufe.<br />
Jene Studien kommen aber zu<br />
sehr heterogenen Ergebnissen.<br />
Dieses ist Grund genug, sich in dem<br />
Schwerpunktheft mit dem Thema des<br />
handlungsorientierten Unterrichts zu<br />
befassen. Herausgeber und Schriftleiter<br />
haben sich diesmal dafür entschie-<br />
Editorial<br />
den, Beiträge zusammenzuführen, die<br />
das Thema „Handlungsorientierung“<br />
über unsere Fachrichtungen hinaus<br />
empirisch bearbeiten. Ausgehend von<br />
einer einführenden Betrachtung, die<br />
einen Überblick über die Entwicklung<br />
der pädagogischen Diskussion zu<br />
handlungsorientierten Lernkonzepten<br />
gibt, fasst der Beitrag von REINHOLD<br />
NICKOLAUS einige in den vergangenen<br />
Jahren durchgeführte empirische Studien<br />
zusammen, in denen handlungsorientierter<br />
und so genannter „direktiver“<br />
Unterricht vergleichend untersucht<br />
worden sind. Insbesondere wird<br />
in dem Beitrag über die Ergebnisse der<br />
unterschiedlichen Studien zum handlungsorientierten<br />
Unterricht in unseren<br />
Fachrichtungen Elektro- und Metalltechnik<br />
berichtet. Ergänzt wird diese<br />
Darstellung durch zwei Beiträge über<br />
Studien, die in der kaufmännischen<br />
Berufsausbildung (JÜRGEN SEIFRIED,<br />
DETLEF SEMBILL) und im Unterricht der<br />
bautechnischen Berufe (FRANK BÜN-<br />
NING) durchgeführt worden sind.<br />
Mit den Praxis- und Forumsbeiträgen<br />
sollen Aufsätze vorgestellt werden,<br />
die unsere fachdidaktische Diskussion<br />
aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchten.<br />
Handlungsorientierte Lernsituationen<br />
mit einem neuen Unterrichtsmedium<br />
stellen MANFRED HOPPE<br />
und HEIKO SCHNACKENBERG für den Bereich<br />
der Versorgungstechnik vor. Die<br />
Frage „Wann ist Frontalunterricht in<br />
der Elektrotechnik sinnvoll?“ wird aus<br />
einer unterrichtspraktischen Perspektive<br />
von ANDREAS MUSSOTTER diskutiert,<br />
und ALEXANDER MÜLLER und RENÉ<br />
SCHOOF wollen aufzeigen, wie in der<br />
betrieblichen Ausbildung der energietechnischen<br />
Elektroberufe heute mit<br />
handlungsorientierten Lernaufgaben<br />
gearbeitet werden kann. Da unsere<br />
Zeitschrift gerade in der Lehrerausbildung<br />
viel gelesen wird, rundet DIET-<br />
RICH PUKAS mit einem weiteren Beitrag<br />
zur didaktischen Reduktion den didaktischen<br />
Fokus dieses <strong>Heft</strong>es ab.<br />
52 lernen & lehren (l&l) (2010) <strong>98</strong>