Heft 98 - Lernen & Lehren
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Schwerpunktthema: Handlungsorientiertes <strong>Lernen</strong><br />
lichen, sozialen und gedanklichen Gegebenheiten<br />
(AEBLI 1<strong>98</strong>0).<br />
Handlungsorientierung in der<br />
Berufsausbildung<br />
Diese Ideen sind in der heutigen Berufsausbildung<br />
in einer umfassenden<br />
Weise aufgenommen worden. Vor<br />
allem in der Elektrotechnik wurde die<br />
Frage einer handlungsorientierten Unterrichtsgestaltung<br />
frühzeitig am Beispiel<br />
des experimentierenden <strong>Lernen</strong>s<br />
thematisiert. Mit dem bundesweiten<br />
Modellversuch „Mehr-Medien-System<br />
Elektrotechnik-Elektronik“ (MME)<br />
wurde in den Jahren 1971 bis 1978<br />
unter Beteiligung von insgesamt 58<br />
berufsbildenden Schulen ein umfangreiches<br />
Konzept des experimentierenden<br />
<strong>Lernen</strong>s erarbeitet und in einer<br />
wissenschaftlichen Begleitforschung<br />
ein erstes umfangreiches Lehr-Lernforschungsprojekt<br />
durchgeführt. Entwickelt<br />
wurden für die Fachgebiete<br />
elektrische Maschinen, Gleich- und<br />
Wechselstromtechnik, Digital- und<br />
Leistungselektronik sowie elektrische<br />
Schutzmaßnahmen Medien zum schülerzentrierten<br />
Experimentieren in integrierten<br />
Fachräumen (vgl. JENEWEIN<br />
2006, 146). Die hier vorgelegten Ideen<br />
sind in den späteren Ordnungsverfahren<br />
sowohl der Elektro- als auch der<br />
Metallberufe aufgegriffen worden.<br />
Bereits in der 1<strong>98</strong>7er Neuordnung der<br />
handwerklichen und industriellen Elektro-<br />
und Metallberufe wurde als Prinzip<br />
in der Ordnungsarbeit festgeschrieben:<br />
Die (betriebliche) Berufsausbildung<br />
habe Fertigkeiten und Kenntnisse „unter<br />
Berücksichtigung selbständigen<br />
Planens, Durchführens und Kontrollierens“<br />
zu vermitteln – ein aus den<br />
Stufen einer vollständigen Handlung<br />
abgeleiteter Grundsatz, der sich in allen<br />
heutigen Ausbildungsordnungen<br />
wiederfindet. Weiter ging bereits damals<br />
die Lehrplanarbeit in einigen<br />
Bundesländern. Die Richtlinien des<br />
Landes Nordrhein-Westfalen für die<br />
Elektro- und Metallberufe schrieben<br />
vor, dass sich die didaktischen Ansätze<br />
der Berufsschule am Prinzip der<br />
Entwicklung beruflicher Handlungskompetenz<br />
zu orientieren habe, wobei<br />
ein Kompetenzbegriff entwickelt worden<br />
ist, der sich aus den Dimensionen<br />
Fach-, Human- und Sozialkompetenz<br />
zusammensetzt, die unter Betonung<br />
von Lern- und Methodenkompetenz<br />
zu fördern sind (Richtlinien 1991, S. 16<br />
ff.). Und im Kapitel „Lernorganisation“<br />
bezeichnen die Richtlinien Handlungsorientierung<br />
„als Leitkonzeption“ (ebd.,<br />
S. 31 ff.).<br />
Mit den Rahmenlehrplänen der im<br />
Jahr 2003 neugeordneten Elektro- und<br />
Metallberufe kann aufgezeigt werden,<br />
dass die wesentlichen Prinzipien der<br />
1<strong>98</strong>7er Neuordnung aufgegriffen und<br />
weiterentwickelt worden sind. Die Förderung<br />
beruflicher Handlungskompetenz<br />
hat als didaktischer Grundsatz<br />
für die Unterrichtsarbeit der Berufsschule<br />
ebenso Eingang gefunden wie<br />
der handlungsorientierte Unterricht.<br />
Zusätzlich ist ein neuer Leitbegriff<br />
hinzugekommen: die Orientierung an<br />
Lernfeldern und somit an den betrieblichen<br />
Arbeitsprozessen der künftigen<br />
Fachkräfte. Dadurch konstituieren sich<br />
weitere wichtige Aspekte die Unterrichtsarbeit<br />
in den neuen Elektro- und<br />
Metallberufen: die Überwindung des<br />
fächerbezogenen Unterrichts durch<br />
Lernfelder (die auch in allen anderen<br />
neuen Berufen seit 1997 berücksichtigt<br />
wird), der Ersatz der traditionellen<br />
Grund- und Fachbildung durch Kern-<br />
und Fachqualifikationen, die über die<br />
Ausbildungszeit integrierend vermittelt<br />
werden sollen, und eine weiterentwickelte<br />
Abstimmung des Unterrichts auf<br />
die betriebliche Ausbildung und auf<br />
die Kammerprüfungen, was durch die<br />
Einführung der Zeitrahmenmethode<br />
und des Systems der gestreckten Prüfungen<br />
gewährleistet werden soll.<br />
Aktuelle Unterrichtspraxis<br />
Die Forderung nach handlungsorientierten<br />
Lehr- und Lernformen zieht sich<br />
sowohl durch die wissenschaftliche<br />
Diskussion als auch die Berufsbildungsreform<br />
der vergangenen Jahrzehnte.<br />
Es ist festzustellen, dass im<br />
Rahmen der Ordnungsarbeit, in die die<br />
Sozialpartner ebenso einbezogen sind<br />
wie – bei den Rahmenlehrplankommissionen<br />
– Vertreter der berufsbildenden<br />
Schulen, eine Hinwendung zum handlungsorientierten<br />
<strong>Lernen</strong> stattgefunden<br />
hat. Dies ist in einer so weit greifenden<br />
Weise geschehen, dass das heutige<br />
soziokulturelle Umfeld der Berufsschule<br />
sich weit von einem traditionellen<br />
Bildungsverständnis entfernt hat, in<br />
dem die schultypische überwiegende<br />
Fokussierung auf lehrerzentrierte Un-<br />
terrichtsformen als zeitgemäß angesehen<br />
wird.<br />
Gleichwohl ist allerdings anzunehmen,<br />
dass die Unterrichtspraxis diesen Forderungen<br />
nur mit Einschränkung entspricht.<br />
Dies können wir in den Universitäten<br />
im Rahmen der Lehrerausbildung<br />
feststellen, wenn unsere Studierenden<br />
im Rahmen der Schulpraktika von den<br />
vorgefundenen Unterrichtsformen und<br />
Lernerfahrungen der Schülerinnen<br />
und Schüler berichten. An Untersuchungen<br />
wurde z. B. eine Studie von<br />
PÄTZOLD u. a. (2003, S. 151) veröffentlicht,<br />
in der herausgestellt wird, dass<br />
im Berufsfeld Wirtschaft und Verwaltung<br />
(untersucht wurde der Unterricht<br />
im Fach Buchführung) 75 Prozent der<br />
Unterrichtszeit mit den Sozialformen<br />
Frontalunterricht oder Partner-/Einzelarbeit<br />
bestritten werden, jedoch nur elf<br />
Prozent mit den für dieses Berufsfeld<br />
klassischen handlungsorientierten Methodenkonzeptionen<br />
Fallstudie, Planspiel,<br />
Rollenspiel und Projekt. Und die<br />
in diesem Berufsfeld befragten Lehrerinnen<br />
und Lehrer antworten in einer<br />
zweiten Studie, Frontalunterricht eigne<br />
sich besonderes zur Bewältigung<br />
der Stofffülle (erwartungsgemäß am<br />
häufigsten genannt) und zur Erarbeitung<br />
von Begriffswissen. Sie betonen<br />
aber gleichzeitig auch, er eigne sich<br />
weniger zum <strong>Lernen</strong>, wie man Wissen<br />
anwendet, zur Steigerung der<br />
Selbstständigkeit, zur Förderung von<br />
Problemlöse- und Teamfähigkeit, zur<br />
Sicherung von Praxisnähe in der Ausbildung<br />
u. a. m. (SEIFRIED u. a. 2006,<br />
S. 238). Und interessanterweise wurde<br />
auch festgestellt, dass die Dominanz<br />
des Frontalunterrichts bei männlichen<br />
Lehrkräften erheblich höher<br />
ausgeprägt ist als bei unterrichtenden<br />
Frauen (Beispiel BWL: Während zwei<br />
Drittel der Unterrichtszeit bei Lehrern<br />
für Frontalunterricht verwendet werden,<br />
sind dies nur 40 Prozent bei den<br />
Lehrerinnen. Dies ist eine Tendenz,<br />
die sich in jener Untersuchung durch<br />
alle Unterrichtsfächer zieht).<br />
Unsystematische Erfahrungen im Rahmen<br />
der Lehrerausbildung in den beruflichen<br />
Fachrichtungen Elektro- und<br />
Metalltechnik mit der dort wahrgenommenen<br />
Unterrichtspraxis lassen vermuten,<br />
dass in den Metall- und Elektroberufen<br />
ähnliche Ausprägungen<br />
lehrerzentrierter Unterrichtsformen<br />
vorhanden sind. Vergleicht man dies<br />
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