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03/2017

Fritz+Fränzi

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Dossier<br />

«Um einen Lerneffekt<br />

zu erzielen, muss man<br />

sein Kind auch mal<br />

reinlaufen lassen»<br />

Adrian Halter wohnt mit seiner<br />

Tochter Jennifer, 16, in Brüttisellen<br />

ZH. Der alleinerziehende Vater hat<br />

noch einen Sohn aus einer anderen<br />

Beziehung. Jerôme, 14, lebt bei der<br />

Mutter und verbringt jedes zweite<br />

Wochenende und einen Teil der<br />

Ferien bei Vater und Schwester.<br />

Adrian: Ich gebe sehr selten nach. Mein<br />

Job als Vater ist es, Grenzen zu setzen.<br />

Wenn ich mit mir verhandeln lasse, diskutieren<br />

wir ewig ums Gleiche herum. Dinge<br />

wie Respekt und gutes Benehmen sind mir<br />

extrem wichtig. Aber klar gibts auch Sachen,<br />

die ich mal gerade sein lasse. Zum Beispiel<br />

beim Thema Handy. Ich habe versucht, das<br />

mehr einzugrenzen, aber ich denke, das ist<br />

heutzutage einfach nicht realistisch. Ganz<br />

streng bin ich beim Thema Ehrlichkeit.<br />

Jennifer: Wenn du merkst, dass ich gelogen<br />

habe, gibts Konsequenzen. Wenn ich zum<br />

Beispiel woanders war, als ich gesagt habe,<br />

darf ich nicht mehr raus.<br />

Adrian: Über Ausgang diskutieren wir sonst<br />

eigentlich nicht viel. Ich möchte wissen, wo<br />

du mit wem hingehst. Das gilt auch für den<br />

Umgang mit Jungs. Ich möchte informiert<br />

sein. Sonst passiert so was wie vor kurzem.<br />

Jennifer: Oh je … der war doch gar nicht<br />

mein Freund!<br />

Adrian: Der tauchte abends um halb zehn an<br />

unserer Tür auf und stellte sich mir als dein<br />

Freund vor. Ich war total enttäuscht, dass ich<br />

von nichts wusste.<br />

Jennifer: Das war echt schwierig, dir zu<br />

erklären, dass er nicht mein Freund ist.<br />

Adrian: Schau, ich möchte das Beste für<br />

dich. Wenns mir egal wäre, würde etwas<br />

nicht stimmen. Mir ist schon klar, dass du<br />

eigene Erfahrungen machen musst. Man<br />

muss das Kind auch mal reinlaufen lassen,<br />

um einen Lerneffekt zu erzielen. Aber bei<br />

matchentscheidenden Dingen, wie wenn es<br />

um eine Lehrstelle geht, ist nicht der richtige<br />

Zeitpunkt dafür. Da benutze ich das Handy<br />

– beziehungsweise Handyverbot – oder das<br />

Ausgangsverbot schon mal als Druckmittel.<br />

Jennifer: Ausgehverbot war hart. Handyverbot<br />

war nicht so schlimm.<br />

Adrian: Es ist ein Machtkampf. Mit Jerôme<br />

ist das Konfliktpotenzial viel kleiner. Sicher<br />

gehe ich Konflikten auch bewusst aus dem<br />

Weg, um die wenige gemeinsame Zeit nicht<br />

mit Diskussionen zu belasten. Ich hatte<br />

zum Beispiel immer Mühe mit Jerômes<br />

Essensgewohnheiten. Er ist extrem heikel.<br />

Ich habe eine Zeitlang versucht, da streng<br />

zu sein, aber das war jedes Mal ein Riesendrama.<br />

Darauf hatte ich dann keine Lust<br />

mehr, zumal es bei allen negative Gefühle<br />

hinterliess, auch in den zwei Wochen, die wir<br />

uns dann nicht mehr gesehen haben.<br />

Jennifer: Du schaust trotzdem, dass du<br />

uns einigermassen gleich behandelst. Ich<br />

komme mir nur sehr, sehr selten benachteiligt<br />

vor, wenn mein Bruder hier ist.<br />

Adrian: Es liegt in der Natur der Sache, dass<br />

gewisse Dinge bei Jerôme weniger relevant<br />

sind. Sein Alltag geht halt mehr oder weniger<br />

an mir vorbei. Aber Jerôme weiss, dass<br />

meine Tür immer offen steht für ihn.<br />

Evelin Männel Fretz, Pro Juventute<br />

Elternberatung, über die Familie Halter:<br />

«Bei Familie Halter scheint es so, als hätte der<br />

Vater eine gute Mischung zwischen elterlicher<br />

Präsenz und Freiraumlassen gefunden. Dies<br />

ist gut erkennbar in der Diskussion bezüglich<br />

der Ehrlichkeit. Regeln, die dem Vater wichtig<br />

sind, bieten dem jungen Menschen Orientierung<br />

und damit Halt in einer turbulenten<br />

Zeit. Es ist in der Familie Halter offenbar sehr<br />

klar, in welchen Bereichen Jennifer Freiraum<br />

hat, zu entscheiden, und in welchen sie sich<br />

den elterlichen Regeln beugen muss. Schulische<br />

und berufliche Anforderungen fallen<br />

mit einer Entwicklungsphase zusammen, in<br />

der ein junger Mensch eh schon mit grossen<br />

Veränderungen zu kämpfen hat. Es zeigt sich<br />

aber immer wieder, dass auch ein heranwachsender<br />

Mensch erst einen Entwicklungsschritt<br />

tut, wenn er bereit dazu ist. Daher ist<br />

eine der wichtigsten Aufgaben von Eltern in<br />

der Teenagerphase das ‹Standhalten› bzw.<br />

‹Aushalten› einer Situation.»<br />

>>> einer Situation geht, statt den<br />

anderen zu beschuldigen, komme<br />

dieser nicht automatisch in eine Verteidigungshaltung.<br />

Priska Wenk erzählt ein Beispiel<br />

aus ihrer eigenen Familie: Die sechsjährige<br />

Tochter erscheint in einem<br />

T-Shirt, das vor Dreck steht, am<br />

Frühstückstisch. «Wer hat nun hier<br />

das Problem?», fragt sich Wenk. «Sie<br />

nicht, sie würde noch wochenlang<br />

im dreckigen Shirt herumlaufen.<br />

Das Problem habe ich – und das<br />

muss ich auch so kommunizieren.»<br />

Priska Wenks Ansage an ihre<br />

Tochter: «Ich habe Angst, dass du<br />

ausgelacht wirst, wenn du in diesem<br />

T-Shirt in den Kindergarten gehst.»<br />

Eine Ich-Botschaft und das Aufzeigen<br />

der Konsequenz. Fünf Minuten<br />

später steht das Mädchen in einem<br />

sauberen T-Shirt da. «Hätte ich ihr<br />

einfach befohlen, etwas anderes<br />

anzuziehen, hätte es endlose Diskussionen<br />

gegeben», ist Priska Wenk<br />

überzeugt.<br />

Richtig zuhören<br />

Ein zweiter wichtiger Pfeiler im Gordon-Modell:<br />

Zuhören. «Es ist erstaunlich,<br />

was man herausholen<br />

kann, wenn man dem Kind einfach<br />

mal richtig zuhört», sagt Wenk.<br />

Einen geeigneten Rahmen dafür bildet<br />

die Familienkonferenz. Dort<br />

kommt jeder zu Wort, es werden<br />

Konsequenzen aufgezeigt und Vereinbarungen<br />

getroffen statt Befehle<br />

erteilt. «Das Ziel einer solchen Konferenz<br />

und auch das Ziel unserer<br />

Kurse ist nicht, weniger zu streiten,<br />

sondern Konflikte anders anzugehen.<br />

Und vor allem, sie nicht gären<br />

zu lassen, bis sie explodieren», erklärt<br />

Priska Wenk.<br />

Kinder brauchen Konflikte<br />

Mit den Worten von Konfliktforscher<br />

Glasl ausgedrückt, sollte man<br />

es nicht so weit kommen lassen, dass<br />

«der Konflikt mich hat, statt ich ihn».<br />

Dann können alle Parteien aus einer<br />

Auseinandersetzung lernen. «Im<br />

besten Fall fragen wir uns, wie >>><br />

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