27.02.2017 Aufrufe

03/2017

Fritz+Fränzi

Fritz+Fränzi

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Kolumne<br />

An alle<br />

schlechten Eltern<br />

Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren<br />

Mikael Krogerus<br />

ist Autor und Journalist.<br />

Der Finne ist Vater einer Tochter<br />

und eines Sohnes, lebt in Biel<br />

und schreibt regelmässig für<br />

das Schweizer ElternMagazin<br />

Fritz+Fränzi und andere<br />

Schweizer Medien.<br />

Vatersein hat mich vor allem in einem Punkt verändert: Es hat mich<br />

verständnisvoller gemacht. Nicht gegenüber Kindern – Gott be ­<br />

wahre! Da bin ich ungeduldiger, ja ungehaltener als früher. Nein,<br />

verständnisvoller gegenüber anderen Eltern.<br />

Früher habe ich Eltern oft bewertet. Und mir ausgemalt, wie<br />

liebe voll, abenteuerlustig und verspielt ich dereinst mit meinen Kindern umgehen<br />

würde. Heute bin ich vorsichtiger. Wenn ich eine müde Mutter mit ihrem<br />

nörgelnden Kind in der Schlange an der Coop-Kasse sehe und höre, wie das<br />

Kind schon wieder ansetzt: «Mami, i wott no Schoggi …» – worauf die Mutter<br />

komplett die Fassung verliert und brüllt: «I wott, I wott, I wott – du kannst<br />

doch verdammt nochmal nicht immer nur wollen!». Dann denke ich nicht mehr<br />

im Bettina-Wegner*-Tonfall: «Es sind so kleine Kinder, die darf man nicht<br />

anschreien!» Nein, meine Sympathien sind bei der Mutter: «Was für ein<br />

grässliches, rücksichtsloses Kind!», denke ich. Manchmal werde ich innerlich<br />

richtig laut – «Rettet die Frau!» Natürlich würde ich nichts dergleichen sagen.<br />

Nicht mal denken. Aber wissen Sie, was ich meine?<br />

Neulich sah ich, wie ein Vater auf einer Bank vor dem Spielplatz nicht ein<br />

einziges Mal von seinem Smartphone aufblickte, als sein Kind ihn fragte:<br />

«Kann ich den Schnee essen?» Früher hätte ich gedacht: «Was ist denn das für<br />

ein Vater? Wenn ich einmal Kinder habe, werde ich ihnen jede Frage<br />

beantworten und ihre Augen öffnen für die Wunder dieser Welt.» Heute denke<br />

ich: «Lass den Mann in Ruhe und beschäftige dich selber.»<br />

Verstehen Sie mich nicht falsch, ich liebe meine Kinder. Aber was kinderlose<br />

Erwachsene gern vergessen: Kinder machen nicht nur glücklich. Sie saugen dich<br />

auch aus. Sie können die schlimmsten Seiten in dir wecken. Und dich zum Gegenteil<br />

von dem machen, was du eigentlich gerne wärst. Elternsein ist ein tägliches<br />

Scheitern, und ich finde, Eltern bekommen dafür zu wenig Verständnis.<br />

Lange Zeit beeindruckten mich (scheinbar) perfekte Familien, in denen glückliche<br />

Kinder und stolze Eltern Hand in Hand durchs Leben spazieren. Ich<br />

fragte mich: Wie machen die das? Inzwischen frage ich mich: Was, wenn es<br />

vielleicht gar nicht gute Eltern sind, sondern bloss gute Kinder? Kinder,<br />

die einfach von selbst aufrichtig, engagiert und zufrieden geworden sind – und<br />

nicht weil ihre Eltern alles richtig gemacht haben? Niemand wird bestreiten, dass<br />

Liebe und Zuneigung für Kinder so wichtig ist wie Atmen und Schlafen, aber<br />

darüber hinaus, könnte es nicht sein, dass sie sich auch ein klein wenig autonom<br />

entwickeln, von ihrem Umfeld und ihrer Herkunft geprägt werden und nicht<br />

ausschliesslich von ihren Eltern?<br />

Vielleicht stimmt das nicht. Aber in den schwärzesten Stunden meines Elternseins<br />

ist es ein kleiner Trost, dass wir die Wirklichkeit nicht planen, sondern nur<br />

in ihr leben können.<br />

*Bettina Wegner ist eine deutsche Liedermacherin und Lyrikerin. Ihr bekanntestes Lied<br />

ist «Kinder» (Sind so kleine Hände …).<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

März <strong>2017</strong>51

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!