siE HEissT «HOmmAgE à wAgNER - Kulturmagazin
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HINGEHÖRT<br />
christine widmer<br />
gemeindepräsidentin<br />
«Die Tellspiele sind eine Gewähr,<br />
dass nichts anstaubt.»<br />
Vor fast dreissig Jahren spielte Christine<br />
Widmer Baumann bei den Tellspielen mit.<br />
Heute ist ihre Bühne die Politik: Seit 1999<br />
sitzt sie im Gemeinderat von Altdorf, und<br />
vor zwei Jahren übernahm sie das Amt der<br />
Gemeindepräsidentin. Die Verbundenheit<br />
zu den Tellspielen ist geblieben – dieses<br />
Jahr spielt ihr 13-jähriger Sohn Linus sogar<br />
den Walterli.<br />
«Ich bin 1980 als junge Lehrerin ins Urnerland<br />
gekommen. Dass ich bei den Tellspielen<br />
mitgemacht habe, beschleunigte<br />
auch meine Integration: Ich lernte schnell<br />
viele Leute kennen und wurde im Dorf<br />
sehr offen aufgenommen. Dreimal stand<br />
ich als Statistin auf der Bühne, damals unter<br />
der Regie von Erwin und Franziska<br />
Kohlund. Die vielen Proben und Aufführungen<br />
machen zwar Freude, sind aber<br />
sehr zeitintensiv. nebst dem Beruf, dem<br />
politischen Engagement und zwei Kindern<br />
lag das schon bald nicht mehr drin. Ausserdem<br />
bekommt man als Schauspielerin Rolle<br />
und Text vorgegeben – ganz anders in<br />
der Politik, und das liegt mir besser. Meine<br />
Arbeit als Gemeindepräsidentin nimmt etwa<br />
50 Prozent in Anspruch und ist ehrenamtlich.<br />
Das Präsidium wird in der Regel<br />
im Turnus von vier Jahren besetzt, ich darf<br />
jetzt seit zwei Jahren Präsidentin sein. Die<br />
aktuellen Herausforderungen für unsere<br />
Region sind spannend. Ein Schwerpunkt<br />
nebst den Finanzen ist die Raum- und Verkehrsplanung<br />
im Urner Talboden. Hier<br />
richten wir den Fokus auf die nächsten 20<br />
bis 30 Jahre: Wie können wir mit der<br />
nEAT leben und dabei sicher gehen,<br />
dass die gute Verkehrsanbindung<br />
nach norden und Süden<br />
gewährleistet ist. Diese gewaltige<br />
Herausforderung versuchen wir<br />
mit dem Projekt Kantonsbahnhof<br />
Altdorf zu meistern.<br />
Die Tradition der Tellspiele<br />
hat für Altdorf und das ganze Urnerland<br />
eine grosse Bedeutung.<br />
nicht nur kulturell, sondern auch<br />
volkswirtschaftlich. An die Aufführungen<br />
kommen jeweils um<br />
die 15 000 Zuschauerinnen und<br />
Zuschauer. Das Publikum reist<br />
aus der ganzen Schweiz an, und<br />
das wirkt sich natürlich auch<br />
wirtschaftlich und touristisch<br />
aus. Die Leute gehen zusätzlich ins Restaurant,<br />
übernachten teils hier und geniessen<br />
weitere Vorzüge der Umgebung. Damit<br />
wird der name der Region über die Grenze<br />
hinausgetragen und Altdorf kann einmal<br />
mehr – wir haben ja noch andere Anlässe<br />
mit überregionaler Ausstrahlung, wie etwa<br />
'Alpentöne' und das Volksmusikfestival –<br />
zeigen, dass es hier nicht nur Stau und<br />
Felsstürze gibt, sondern eben auch traditionelle<br />
und zeitgenössische Kultur. Darum<br />
ist es selbstverständlich, dass Gemeinde<br />
und Kanton die Tellspiele substanziell unterstützen,<br />
das wurde noch nie von jemandem<br />
infrage gestellt. Wilhelm Tell ist für<br />
Altdorf eine wichtige Identifikationsfigur,<br />
das manifestiert sich ja schon im Telldenkmal.<br />
neu ist das Türmli hinter dem Tell<br />
22<br />
begehbar, sodass man auf den Tell hinunterschauen<br />
kann und zudem einen tollen<br />
Blick auf die schönen Gässchen und Häuser<br />
von Altdorf hat. Die Tellspiele sind Gewähr,<br />
dass nichts anstaubt: Die Inszenierungen<br />
nehmen zwar die traditionelle Geschichte<br />
des Freiheitskämpfers Tell auf,<br />
stellen aber einen aktuellen Bezug her. So<br />
fliessen bei der diesjährigen Inszenierung<br />
unter Volker Hesse die Eindrücke des Arabischen<br />
Frühlings ein. Diese Verbindung<br />
zum heutigen Zeitgeschehen ist sehr wichtig<br />
und zeigt, dass die Urner durchaus keinen<br />
rückwärts gerichteten Blick auf ihren<br />
Volkshelden haben, sondern die Bedeutung<br />
eines Freiheitshelden weit fassen.»<br />
Christine Weber, Bild Marco Sieber