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WORt<br />
Helden der strasse<br />
Von Beat Mazenauer<br />
«Die Welt ist ein Buch» – wird der heilige Augustinus gerne<br />
zitiert, oft mit dem dazugehörigen nachsatz: «Wer nie<br />
reist, sieht nur eine Seite davon.» Das Diktum ist bedenkenswert.<br />
Demnach gliche das Unterwegssein dem Umblättern<br />
im Buch der Welt. Das klingt nach Abenteuer<br />
und Aufregung. Tatsächlich benötigte der sagenhafte<br />
Odysseus zehn Jahre, um das von den Göttern auferlegte<br />
Schicksal Seite um Seite zu durchleben und zu erfahren.<br />
Sein jüngerer Bruder Leopold Bloom dagegen, in<br />
Joyce's «Ulysses»-Roman, benötigt bloss noch einen Tag,<br />
den 16. Juni 1904, für seinen Irrgang durch Dublin, bis er<br />
zu Molly heimfindet. Bloom wandert durch die Strassen<br />
und watet zugleich in seinem Bewusstseinsstrom.<br />
Abenteuer & freiheit<br />
Dies gibt uns das dramatische Stichwort. Jack Kerouac<br />
hat mit «On the Road» (2011 neu in der Ur-Fassung erschienen)<br />
einen literarischen Prototyp geschaffen, der<br />
das Unterwegs mit Abenteuer und Aufbruch verbindet.<br />
Für Dean und Sal ist die Suche nach Jazz, Drogen und<br />
Sexpartys Ziel allein. «Irgendwo unterwegs, das wusste<br />
ich, gab es Mädchen, Visionen, alles; irgendwo auf dem<br />
Weg würde mir die Perle überreicht werden.»<br />
Unendliche Weiten, endlose Strassen: Sie prägen seither<br />
den Mythos «on the road». Kein Zufall, dass besonders<br />
Amerika für literarische Roadmovies prädestiniert<br />
ist. Beispielsweise in Thomas Meineckes Roman «The<br />
Church of John F. Kennedy», in dem ein gewisser Assmann<br />
mit einem klapprigen Chevi ins Herz des amerikanischen<br />
«melting pots» fährt – und nur voneinander abgeschottete<br />
Subszenen, Geheimzirkel und Sekten findet.<br />
Aber es geht auch in die andere Richtung, wie Catalin<br />
Dorian Florescu mehrfach, zum Beispiel in «Der kurze<br />
Weg nach Hause» (2002), bezeugt: Ovidiu und Luca fahren<br />
ostwärts, der eine nach Hause, der andere von der Sehnsucht<br />
getrieben über das Ziel hinaus – weil nichts war wie gedacht –<br />
nach Odessa.<br />
flucht & Rettung<br />
Dem befreienden «on the road» steht ein anderes gegenüber,<br />
das im besten Fall Rettung verspricht. In «Die Unvollendeten»<br />
(2003) beschreibt Reinhard Jirgl mit kühner Sprache den deutschen<br />
Flüchtlingstreck, der durch die niederlage 1945 in der<br />
Tschechei ausgelöst wurde. «Flüchtlinge u Dünnschiss kann eben<br />
30<br />
Jack Kerouac und neal Cassady 1952 Bild Carolyn Cassady<br />
niemand aufhalten». nicht minder düster präsentiert sich die Reise<br />
durch die postapokalyptische Landschaft in Cormac McCarthys<br />
«Die Strasse» (2006). Von Abenteuerlust ist da nichts mehr zu<br />
spüren, dafür lauern Kannibalen am Wegrand.<br />
Die vertrackte Ambivalenz von Rettung und Befreiung giesst<br />
der Kroate Miljenko Jergovic in seinem flirrenden Roman «Freelander»<br />
(2010) in eine Autoreise von Sarajevo nach Zagreb, während<br />
der sein Held die vielfach zerklüftete Topografie des Balkans<br />
erfährt. In der von Blut gedüngten und mit Ruinen und Müll<br />
übersäten Landschaft bildet die Autobahn ein sauberes, farblos