CARE affair No.10 Intim
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„Nicht erschrecken. Ich werfe<br />
mich auf Ihren Bauch. Sie pressen!“<br />
Habe ich diesen Mann<br />
jemals gesehen? fährt es mir<br />
durch den Kopf. Und dass er<br />
verdammt schwer aussieht. Ein<br />
Blick zur Hebamme. Sie nickt.<br />
Alles ok. Dann das Anrollen der<br />
Presswehe, kolossales Arztgewicht<br />
auf meinem Bauch,<br />
gefühlte tausend Hände auf<br />
und in mir, ein Zerreißen und<br />
Fast-betäubt-sein vor Schmerz<br />
– plötzlich Stille. Atmen. Ein<br />
heller Schrei. Meine Tochter<br />
ist geboren. Sie ist gesund.<br />
Wir beide leben! Nicht selbstverständlich<br />
nach allen Komplikationen<br />
in diesen letzten<br />
Tagen der Schwangerschaft<br />
und während der Geburt.<br />
Die Scham, dass während<br />
der Wehen alle Dämme<br />
gebrochen sind, sich Körperflüssigkeiten<br />
und -funktionen<br />
meiner Kontrolle entzogen,<br />
ich mich aufgrund der Herztonmessung<br />
wie ein Käfer<br />
auf dem Rücken, ausgeliefert<br />
fühlte – diese Scham ist schnell<br />
verflogen, und zwar vor allem<br />
dank meiner Hebamme, ihrer<br />
Worte und Taten der Empathie.<br />
Nach der Geburt bat<br />
sie alle Menschen energisch<br />
aus dem Kreißsaal und gab<br />
mir, meinem Mann und meiner<br />
neugeborenen Tochter<br />
eine halbe Stunde Zeit für das<br />
erste Kennenlernen zu dritt.<br />
Nach neun Monaten und 23<br />
Stunden Schmerzen, Warten<br />
und Bangen ist das bis heute<br />
der wichtigste, intimste<br />
Moment meines Lebens.<br />
So kompetent begleitet entbinden<br />
zu dürfen ist in unserer Welt ein<br />
Privileg. Dabei eine Hebamme an der<br />
Seite zu haben, die sich nicht nur um<br />
die medizinische Sicherheit sorgt,<br />
sondern auch um den Schutz der<br />
Würde, Rechte und <strong>Intim</strong>sphäre der<br />
Entbindenden, ist ein Geschenk und<br />
alles andere als selbstverständlich.<br />
„Die Ökonomisierung der Geburt,<br />
die daraus oft resultierende Personalknappheit,<br />
Überforderung und<br />
auch Burnouts unter ärztlichem Personal<br />
und Hebammen können einen<br />
achtsamen Umgang mit den anvertrauten<br />
Frauen erschweren“, sagt Ute<br />
Wronn, Hebamme und Beauftragte<br />
für internationale Hebammenarbeit<br />
des Deutschen Hebammenverbands<br />
e. V. „So kann es hier und weltweit<br />
vorkommen, dass individuelle<br />
Bedürfnisse, Mitbestimmungsrechte<br />
oder auch Grenzen der Beschämung<br />
und des Schmerzes einer Gebärenden<br />
nicht ausreichend Beachtung finden.“<br />
Dass sich das ändern muss,<br />
zeigte 2010 eine wachrüttelnde<br />
Studie der Ärztinnen Diana Bowser<br />
Fotos: Josh Estey<br />
<strong>CARE</strong> <strong>affair</strong> N o. 10 — <strong>Intim</strong><br />
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