Bericht_331_Leseprobe
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2017<br />
DVS-BERICHTE<br />
Weichlöten<br />
Ist Korrosion vermeidbar?
Photovoltaikpanel<br />
Computer<br />
Flugzeug<br />
Diagnosegerät<br />
Handelsschiff<br />
Auto<br />
Ihr Systemlieferant<br />
Pasten | Flussmittel | Barren | Lotdraht | Anoden
Weichlöten 2017<br />
Ist Korrosion vermeidbar?<br />
Vorträge der gleichnamigen Tagung<br />
in Hanau am 7. März 2017<br />
Veranstaltung des DVS – Deutscher Verband<br />
für Schweißen und verwandte Verfahren e. V.,<br />
Düsseldorf, und der Fachgesellschaft „Löten“<br />
im DVS
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek<br />
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;<br />
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.<br />
DVS-<strong>Bericht</strong>e Band <strong>331</strong><br />
ISBN 978-3-945023-89-1<br />
Die Vorträge wurden als Manuskript gedruckt.<br />
Alle Rechte, einschließlich Übersetzungsrecht, vorbehalten. Nachdruck und Vervielfältigung dieses<br />
Bandes oder von Teilen desselben nur mit Genehmigung der DVS Media GmbH, Düsseldorf.<br />
- DVS Media GmbH, Düsseldorf ’ 2017<br />
Offsetdruck: rewi druckhaus, Reiner Winters GmbH, Wissen/Sieg
Vorwort<br />
Weichlöten 2017 – Ist Korrosion vermeidbar?<br />
Der DVS – Deutscher Verband für Schweißen und verwandte Verfahren e. V. führt zusammen<br />
mit der Fachgesellschaft „Löten“ im DVS und mit Unterstützung des Arbeitskreises Korrosionsschutz<br />
inder Elektronik und Mikrosystemtechnik der GfKORR – Gesellschaft für Korrosionsschutz<br />
e. V. am 7. März 2017 im Richard-Küch-Forum inHanau die Tagung „Weichlöten 2017“<br />
durch.<br />
Die Frage nach der Korrosion ist für die Zuverlässigkeit und Lebensdauer elektronischer Baugruppen<br />
entscheidend. Dabei wird die Korrosion durch Faktoren beeinflusst wie<br />
& Flussmittel,<br />
& Lotpasten,<br />
& Metallisierungen,<br />
& Lackschichten,<br />
& Prozessrückstände und Umwelteinflüsse,<br />
um nur einige zu nennen. Alle diese Einflüsse stehen in Wechselwirkung miteinander, sodass<br />
eine zuverlässige Lösung äußerst komplex ist.<br />
Aus diesem Grund wird die Korrosionsproblematik auf der Weichlöten 2017 unter den verschiedensten<br />
Gesichtspunkten von Materialentwicklern, Produzenten, Anwendern und Spezialisten<br />
für die Reinigung elektronischer Baugruppen vorgestellt und diskutiert.<br />
Die Veranstalter bedanken sich bei der Programmkommission fürdie Zusammenstellung der<br />
Vorträge sowie bei den Referenten und Sponsoren fürdie Unterstützung bei der Durchführung<br />
der Tagung.<br />
Wir sind sicher, Ihnen eine attraktive Veranstaltung bieten zu können, und freuen uns auf Ihr<br />
Kommen.<br />
März 2017<br />
Mathias Nowottnick<br />
Vorsitzender der<br />
Programmkommission<br />
Helmut Schweigart<br />
Vorsitzender des Arbeitskreises<br />
Korrosionsschutz in der Elektronik<br />
und Mikrosystemtechnik der GfKORR<br />
Michael M.Weinreich<br />
Geschäftsführer der Fachgesellschaft<br />
„Löten“ im DVS
Inhaltsverzeichnis<br />
Vorwort<br />
S. Fritzsche und W.Schmitt, Hanau<br />
Normen und Tests für die Klassifizierung und Weiterentwicklung von Lotpasten für<br />
die hochzuverlässige Automotive- und Leistungselektronik ....................................................... 1<br />
M. Eymann, Balve<br />
Flussmittelrückstände – Einfluss und Wirkung............................................................................ 7<br />
M. Nowottnick, Rostock, und S.Mattern, Schwieberdingen<br />
Einfluss des Leiterplattendesigns auf das Isolationsverhalten und die elektrochemische<br />
Migration .................................................................................................................................. 14<br />
M. Kasper, Mönchengladbach<br />
Professionelle Reinigung von Lotpastenschablonen ................................................................ 22<br />
C. Borwieck, B.Müller und R. Knofe, Berlin<br />
Reinigung elektronischer Baugruppen – Bewertung des Reinigungserfolges und<br />
mögliche Schädigungspotentiale ............................................................................................. 28<br />
H. Semmler, Regensburg, und A. Mahr, Zandt<br />
Technische Sauberkeit – Eine Schlüsselanforderung inder modernen<br />
Hightech-Elektronikproduktion? ............................................................................................... 36<br />
T. Lauer, Ulm<br />
Neuralgische Punkte bei und aus der Nacharbeit an elektronischen Baugruppen ................... 44<br />
H. Schweigart, Ingolstadt<br />
Testverfahren zur Risikobewertung von Verunreinigungen ...................................................... 53<br />
Verfasserverzeichnis ............................................................................................................. 56
Normen und Tests für die Klassifizierung und Weiterentwicklung von Lotpasten für<br />
die hochzuverlässige Automotive- und Leistungselektronik<br />
S. Fritzsche und W. Schmitt, Hanau<br />
Vor dem Hintergrund der steigenden Anforderungen im Rahmen der Miniaturisierung und Erhöhung der Lebensdauer<br />
von hochzuverlässigen Anwendungen in der Automotive- und Leistungs-Elektronik haben sich in den vergangenen<br />
Jahrzehnten die existierenden Normen und Standards für Weichlotpasten weiterentwickelt. Die existierenden<br />
IPC-, ISO-, DIN- &IEC-Normen versuchen die geänderten Anforderungen über Novellierungen mit einzubringen,<br />
stoßen aber aufgrund von steigenden kundenspezifischen Anforderungen sowie beschleunigten Entwicklungszyklen<br />
an ihre Grenzen. Dieser Vortrag beleuchtet exemplarisch besonders relevante Parameter und gibt<br />
einen Ausblick auf neue Schnelltests, die kürzere Entwicklungszeiten ermöglichen können.<br />
1 Lotpasten und die Klassifizierung von Flussmitteln<br />
Bei Weichlotpasten für die Elektronik haben die Flussmittel – neben den für die eigentliche Verbindungsfunktion<br />
benötigten Weichloten – einen besonderen Stellenwert, da sie neben den Verarbeitungseigenschaften in einem<br />
immer stärkeren Ausmaß auch die Langzeitzuverlässigkeit von elektronischen Aufbauten bestimmen. Flussmittel<br />
sind üblicherweise aus den Komponenten Lösungsmittel, Kolophonium-Harze, Aktivatoren und Rheologie-<br />
Hilfsstoffe aufgebaut. Die prinzipielle Zusammensetzung von Flussmitteln in Gewichtsprozent ist in Abb. 1dargestellt.<br />
15%<br />
5%<br />
40%<br />
Harz<br />
Lösungsmittel<br />
Aktivator<br />
40%<br />
Hilfsstoff<br />
Abb. 1<br />
Typische Zusammensetzung von Flussmitteln für die Elektronik (in Gewichtsprozent).<br />
Die Aktivatoren sind in der Regel organischen Säuren oder halogenbasierte Aktivatoren, die Metalloxide auf Substraten,<br />
Bauelementen oder dem Lotpulver selbst während des Lötprozesses entfernen sollen. Andererseits sollten<br />
sie nach Beendigung des Lötprozess entweder verdampft /zersetzt sein oder im verbleibenden KolophoniumHarz<br />
dauerhaft eingeschlossen bleiben, um für die Lebensdauer des gelöteten Baugruppe nicht die Zuverlässigkeit zu<br />
beeinflussen. Aufgrund der unterschiedliche Beschaffenheit von Substraten und Bauelementen sowie der Lötprozesse<br />
bei Kunden sind deshalb verschiedene kundenspezifische Flussmittel-Formulierungen imEinsatz.<br />
Ein wichtiger Unterschied dieser Formulierungen betrifft den Einsatz von halogenbasierten Aktivatoren. Halogenbasierten<br />
Aktivatoren werden dabei im Vergleich zu organischen Säuren trotz strengerer Normen aufgrund ihrer<br />
stärkeren Aktivierungswirkung immer noch verbreitet eingesetzt [1]. Dabei ist insbesondere zwischen ionischen<br />
Halogen-Aktivatoren (auch bekannt als „Halogenide“), wie anorganischen Salzen (z.B. ZnCl2, AlCl3) oder organischen<br />
Salzen NR3*HCl (z.B. Diethylammoniumchlorid) und kovalent gebundenen Halogen-Aktivatoren, wie chlorierte/bromierte<br />
Kohlenwasserstoffe RXCCl or RXCBr (z.B. Dichlor-/Dibromstyrol) zu unterscheiden. Das Wirkprinzip<br />
aller halogenbasierten Aktivatoren basiert auf der Freisetzung von Halogensäuren, wodurch z.B. bei chlorierten<br />
Aktivatoren die Metalloxide in lösliche Metallchloride umgesetzt werden, was eine bessere Benetzung der Substrate<br />
und Bauelemente erlaubt (Abb. 2)<br />
DVS <strong>331</strong> 1
ZnCl2 +H2O 0 ZnO +2HCl (1a)<br />
NR3*HCl 0 NR3 +HCl (1b)<br />
RXCCl +H2O 0 RXCOH +HCl (1c)<br />
MeO +2HCl 0 MeCl2 +2H2O (2)<br />
Abb. 2 Wirkprinzipien der HCl-Freisetzung (1a bis 1c) und nachfolgenden Aktivierung der Metalloxide (2)<br />
Neben ihrer chemischen Struktur sind aber insbesondere die Aktivierungsenergien verschieden, was zu einer unterschiedlichen<br />
Freisetzungsgeschwindigkeit führt und auch deren Beurteilung imRahmen von Zuverlässigkeitsuntersuchungen<br />
beeinflusst.<br />
Die unterschiedliche Beurteilung von ionischen und kovalent gebundenen Halogen-Aktivatoren spiegelt sich auch<br />
in der Weiterentwicklung von IPC-Normen wieder. In den frühen Versionen der J-STD-004 aus den Jahren 1995<br />
(J-STD-004) bzw. 2004 (J-STD-004A) wurden z.B. nur die ionischen Halogen-Aktivatoren (also die „Halogenide“)<br />
genannt. In den dort genannten Testmethoden IPC-TM-650 2.3.28.1 bzw. 2.3.35 werden die Halogenide mit Lösungsmitteln<br />
extrahiert und mittels AgNO3-Titration oder Ionenchromatographie (IC) quantitativ bestimmt. Die seit<br />
2011 gültige J-STD-004B Version führt als optionalen Test erstmals die Gesamthalogen-Bestimmung analog EN<br />
14582:2007 ein, wobei hier erstmals nicht nur die ionischen Halogenide, sondern auch die kovalent gebundenen<br />
Halogen-Komponenten bestimmt werden. In diesem Fall werden alle Halogenverbindungen über einem Wickbold-<br />
Aufschluss (= Oxygen-Bomb) in lösliche Halogenide überführt und mittels Ionenchromatographie der Gesamthalogen-Gehalt<br />
bestimmt. Wichtig bleibt jedoch weiterhin, dass die Flussmittel-Typklassifikation auch in der aktuell<br />
gültigen Norm J-STD-004B aus dem Jahr 2011 nach wie vor über den Halogenid-Gehalt und nicht über den Gesamthalogen-Gehalt<br />
stattfindet (siehe Abb. 3).<br />
Flux<br />
Type<br />
Copper Mirror<br />
Corrosion<br />
Quantitative<br />
Halide 1<br />
(Cl - ,Br - ,F - ,I - )<br />
(by weight)<br />
Conditions for<br />
Passing 100<br />
M+ SIR Requirements<br />
2<br />
Conditions for<br />
Passing ECM<br />
Requirements<br />
L0<br />
L1<br />
No evidence<br />
of mirror<br />
breakthrough<br />
No evidence<br />
of<br />
corrosion<br />
0.05 and<br />
2 Lotpasten und Langzeitzuverlässigkeit<br />
In diesem Abschnitt soll ein weiterer Aspekt von Anforderungen an Lotpasten beleuchtet werden -die Bestimmung<br />
der Langzeitzuverlässigkeit am Beispiel des Oberflächenisolationswiderstands (SIR). Dieser Aspekt der Prüfung<br />
von Lotpasten hat insbesondere durch die andauernde Miniaturisierung und die damit auch verbundene Erhöhung<br />
der Leistungsdichte anBedeutung gewonnen. Die Verkleinerung von Baugruppen – aber auch die Vervielfachung<br />
der Optionen zur Bauelemente-Kombination – bewirken eine ständige Anpassung der Zuverlässigkeitsforderungen<br />
für Lotpasten. Die Zusammenfassung von üblichen SIR-Testrichtlinien in Abb. 4zeigt die unterschiedlichen Anforderungen<br />
an Klima, Testdauer, Kammlayout, Test-Spannungen und -Häufigkeit.<br />
Bias-Spanng./<br />
Mess-Spanng.<br />
(in V)<br />
Norm<br />
JIS-Z-3284<br />
Bellcore-78- IPC-TM-650<br />
IEC 61189-5:<br />
DIN 32513<br />
CORE 2.6.3.3 b<br />
TM 5E02<br />
ISO 9455-17<br />
Ausgabejahr 1994 1997 2004 2005 2006 2010<br />
Temp./Feuchte 40/90 oder<br />
40/92 (NC) o. 40/93 oder<br />
35/85 85/85 40/92<br />
(in °C /%)<br />
85/85<br />
85/85 (Clean) 85/85<br />
Testdauer<br />
(in h)<br />
168 120 168 Min. 168 Min. 168 Min. 168<br />
Kamm-Layout<br />
(Linienbreite/<br />
Linienabstand<br />
in mm)<br />
JIS-Layout<br />
(0,318/0,318)<br />
IPC-B-25A<br />
(0,625/1,25)<br />
IPC-B-24<br />
(0,4/0,5)<br />
DIN 32513<br />
(0,4/0,2)<br />
IEC-Layout<br />
(0,4/0,2)<br />
IPC-B-24<br />
(0,4/0,5) o.<br />
DIN 32513<br />
(0,4/0,2)<br />
Mess-<br />
Häufigkeit<br />
100 V/<br />
100 V<br />
50 V/<br />
-100 V<br />
24, 96&168h 24 &120h<br />
50 V/<br />
-100 V<br />
24, 96 &<br />
168h<br />
50 V/<br />
-100 V<br />
24, 96 &<br />
168h<br />
Verschiedene,<br />
bes. kritisch:<br />
5V/5V<br />
Verschiedene,<br />
bes. kritisch:<br />
alle 20 min<br />
5V/<br />
5V<br />
Min. 2x pro<br />
Tag<br />
Abb. 4<br />
Zusammenfassung von üblichen SIR-Testrichtlinien inkl. der wichtigsten Testbedingungen<br />
Dabei wird deutlich, dass sich die Testbedingungen in den letzten Jahren deutlich verschärft worden sind, was sich<br />
z.B. im Kammlayout – und dort insbesondere bei verringerten Linienabständen – sowie bei den verringerten Mess-<br />
Spannungen und erhöhten Mess-Häufigkeiten zeigt.<br />
Eine exzellente Zusammenfassung bietet indiesem Zusammenhang die IPC-9201A „Das SIR Handbuch“ [3]. Dort<br />
werden detaillierte Hinweise zu den wichtigen Testbedingungen als auch möglichen Einflussfaktoren gegeben.<br />
Neben bereits in Abb. 4genannten Testparametern wird dort im Einzelnen auf weitere Faktoren beim SIR-Board-<br />
Aufbau als auch während der Auslagerung eingegangen, von denen im Folgenden nur stichpunktartig die Wichtigsten<br />
genannt werden sollen:<br />
- Faktoren beim SIR-Board-Aufbau:<br />
o Effekte von gereinigter vs. ungereinigter SIR Boards<br />
o Effekte von unterschiedlicher SIR-Boards-Layouts<br />
o Effekte von Anschlüssen (Steck- vs. gelötete Kontakte)<br />
- Faktoren bei der SIR-Auslagerung:<br />
o Orientierung der Boards – Senkrechte Auslagerung, bevorzugt mit seitlichen Anschlüssen<br />
o Konditionierungszeit – mind. 24 hKonditionierung vor der ersten relevanten Messung<br />
o Zyklische Auslagerung – bei Applikationen mit möglichen Betauungssituationen relevant<br />
Zusätzlich zu den oben genannten üblichen SIR-Testverfahren sind aktuelle zusätzliche kundenspezifische SIR-<br />
Anforderungen zu erfüllen. Diese beziehen verstärkt besondere Bauelemente oder zusätzliche Wechselwirkungen<br />
mit anderen AVT-Materialien (z.B. Lötstoplacke, Conformal Coatings, Underfiller, etc.) mit ein. Außerdem sollen<br />
damit bereits bei der Qualifikation extreme Anforderungen sowohl an Auslagerungs-Zeiten als auch deren Bedingungen<br />
mit abgeprüft werden. So sind z.B. verlängerte SIR-Tests mit bis zu 1500 Stunden üblich, die damit jedoch<br />
im Widerspruch zuden angefragten Entwicklungszeiten stehen und auch imRahmen der bekannten Beschleunigungsmodelle,<br />
wie Arrhenius- oder Eyring-Modelle, nicht abzubilden sind. Indiesem Zusammenhang ist auch zu<br />
beobachten, dass die kundenspezifischen Anforderungen vermehrt weniger auf die Erfüllung von existierenden<br />
Normen &deren Einstufungen (z.B. bzgl. des Halogengehaltes) ausgerichtet sind, sondern eher auf eine Qualifikation<br />
von konkreten kundenspezifischen Anforderungen. Diesem Umstand müssen die Lotpasten-Hersteller durch<br />
geeignete beschleunigte Tests Rechnung tragen, worauf imnächsten Abschnitt eingegangen werden soll.<br />
DVS <strong>331</strong> 3
3 Lotpasten und der Pressure-Cooker-Migration-Schnelltest (PCM-Test)<br />
Wie bereits erwähnt nehmen die Anforderungen an die Entwicklung von Lotpasten zu. Unter anderem werden von<br />
immer mehr Kunden auch längeren Testperioden angefragt, unter anderem bis zu 1500 Stunden, d.h. ca. 9Wochen.<br />
Vor der gleichzeitigen Forderung nach einer zügigen Entwicklung von neuen Lotpasten-Formulierungen<br />
entstand der Wunsch diese Testzeiten zu beschleunigen. Ein Ansatz ist das man die Klimabedingungen für die<br />
SIR Messung dramatisch verschärft, bei niedriger Spannung arbeitet und permanent die Spannung misst.<br />
Heraeus entwickelte dazu den Pressure-Cooker-Migrations-Test (PCM-Test) in Anlehnung an den JESD22-A102-<br />
C-Standard [4]. Die Parameter für den Test sind T=121°C; H=100% r.F.; P=0,1 MPa. Verwendet wird der<br />
DIN32513-Kamm an dem eine Spannung von 5Volt angelegt wird. Die Spannung wird permanent gemessen.<br />
Werden die Flussmittelrückstände leitfähig oder es wachsen Dendriten zeigt sich dies in einem Spannungsabfall.<br />
Die Abbildung 5zeigt den Versuchsaufbau.<br />
Abb. 5<br />
PCM-Test-Versuchsaufbau<br />
Es wurden mittels dem PCM-Test zunächst Pasten gemessen, welche bei Standard-SIR-Tests von 85/85 nach<br />
168 hwie die Paste „blau“ Widerstandswerte von >100 MOhm zeigen. Des weiteren wurden Pasten untersucht,<br />
die in diesen SIR-Tests auch bei noch längere Zeiten oberhalb der Spezifikationsgrenze liegen, wie die Paste<br />
„grau“, die dies auch nach 500 hzeigt sowie die Pasten „orange“ und „gelb“, die nach >1000 hnoch stabile Widerstandwerte<br />
aufweisen. Die Abbildung 6zeigt, dass einige der o.g. Formulierungen beim PCM-Test bereits nach<br />
wenigen Stunden einen kompletten Spannungsabfall haben und sich die Flussmittelreste weitgehend zersetzt haben.<br />
Die Pasten „blau“ und „grau“ fallen bereits nach ca. 8hund 24 hmassiv ab, wobei sich entweder die Flussmittel-Reste<br />
zersetzt haben oder sich deutlich erkennbare Dendriten zeigen. Die Pasten „orange“ und „gelb“ weisen<br />
zwar auch einen deutlichen Spannungsabfall nach etwa 35 hauf, aber keine Dendriten. Diese Pasten bestehen<br />
die übliche SIR-Tests mit mind. 1000 h.<br />
Abb. 6<br />
PCM-Tests mit verschiedene Lotpasten<br />
Damit konnte gezeigt werden, dass bekannte Pasten bereits innerhalb von 2Tagen gut zu unterscheiden waren<br />
und eine Korrelation mit bekannten Standard SIR Messungen besteht. Vergleicht man nun sehr viele Kurven verschiedener<br />
Pasten ineiner Grafik wird esschnell unübersichtlich. Um verschiedene Pasten direkt vergleichen zu<br />
können, wurde von Heraeus nun ein Rechenverfahren entwickelt, welches auch die Kurven in ein Punktesystem<br />
umwandelt. Damit ist es dann möglich mittels Balkendiagrammen viele Pasten schnell zu vergleichen. Die Abbildung<br />
7zeigt das Bewertungsverfahren für den PCM-Test. Jehöher die Punktzahl desto stabiler bzw. flacher ist der<br />
Kurvenverlauf -imIdealfall tritt kein Spannungsabfall auf; es bleibt also bei einer geraden Linie.<br />
4 DVS <strong>331</strong>
Abb. 7<br />
Berechnung der PCM-Test-Punkte und Darstellung als Balkendiagramm<br />
Um nun diese PCM-Ergebnisse mit den Standard-SIR-Messungen vergleichen zu können, wurden auch diese<br />
Messungen in ein Punktesystem umgerechnet. Da man hier den Widerstand über mehrere Potenzen misst, ist das<br />
Rechenverfahren etwas komplexer und es wird nur im Grundprinzip erklärt. Abbildung 8zeigt eine typische Messung<br />
über 750 h.<br />
Abb. 8<br />
SIR-Messung mit DIN32513-Standardkamm<br />
Auch hier werden für verschiedene Kriterien Punkte vergeben. Wird die Spezifikation des minimalen Widerstandswertes<br />
nicht unterschritten, werden 100 Punkte vergeben. Wird das Limit unterschritten gibt es 0Punkte. Als weiteres<br />
Hauptkriterium wird für die Kurven jeweils eine logarithmische Anpassung durchgeführt. Hieraus ergibt sich<br />
eine Steigung der Kurve und eine Korrelation wie gut die Kurve angepasst ist. Eine 100 %ige Anpassung bedeutet,<br />
dass die Kurve sehr glatt verläuft und keinerlei Peaks aufweist. Schlechte Anpassungen zeigen sehr viele Peaks<br />
und deuten auf Korrosion oder Dendriten-Wachstum. Diese Werte sind ineiner Bewertungstabelle hinterlegt. Die<br />
maximale Punktzahl für die SIR-Messung beträgt hier 246 Punkte. Diese SIR-Punkte wurden nun mit den PCM-<br />
Test-Punkten verglichen.<br />
Abb. 9 Vergleich von PCM-Tests mit Standard-SIR-Messungen anhand der entwickelten Punktesysteme<br />
Mit Hilfe des PCM-Tests ist es nun möglich bereits nach wenigen Tagen ungeeignete Formulierungen von aussichtsreichen<br />
Kandidaten zu unterscheiden und damit SIR-Testzeiten einzusparen sowie Messkapazitäten effektiv<br />
zu nutzen. Es ist zudem möglich die PCM-Testbedingungen, wie z.B. die Spannung oder Temperatur anzupassen,<br />
um diese gegebenenfalls weiter zuverschärfen und für weitere kundenspezifische SIR-Bedingungen zuoptimieren.<br />
DVS <strong>331</strong> 5
4 Zusammenfassung<br />
Vor dem Hintergrund der steigenden Anforderungen im Rahmen der Miniaturisierung und Erhöhung der Lebensdauer<br />
von hochzuverlässigen Anwendungen wurden inden letzten Jahren viele nationalen und internationalen<br />
Normen sowie die darin festgelegten Parameter, wie Halogengehalte oder SIR-Tests, angepasst und verbessert.<br />
Diese Entwicklung und deren Hintergründe wurden in dieser Arbeit exemplarisch beleuchtet. Des Weiteren ist ein<br />
Trend zu zusätzlichen kundenspezifischen Anforderungen zu verzeichnen, die über die existierenden Normen<br />
hinausgehen. Bei Heraeus wurde deshalb mit dem Pressure-Cooker-Migrations-Schnelltests (PCM-Test) eine<br />
Möglichkeit entwickelt, um auch derartige speziellen Anforderungen abzubilden und die dafür bislang nötigen langen<br />
Testzeiten deutlich zu verkürzen. Die dafür erforderliche Testmethodik wurde in dieser Arbeit vorgestellt und<br />
außerdem ein einfaches, vergleichendes Bewertungsverfahren eingeführt. Der PCM-Test soll und wird dabei die<br />
bestehenden Normen nicht ersetzen, sondern eine schnellere Entscheidungsgrundlage bei der Entwicklung von<br />
neuen Lotpasten und der Auswahl geeigneter Kandidaten für den Kunden bilden.<br />
5 Literatur<br />
[1] Klein-Wassink, R.J., Weichlöten in der Elektronik, E. G. Leuze Verlag, 1991.<br />
[2] IPC J-STD-004B, Requirements for Soldering Fluxes, Association Connecting Electronics Industries (IPC),<br />
2011.<br />
[3] IPC-92101A, Surface Insulation Resistance Handbook, Association Connecting Electronics Industries (IPC),<br />
2007.<br />
[4] JESD 22-A102-C, Accelerated Moisture Resistance -Unbiased Autoclave, JEDEC Solid State Technology<br />
Association, 2008.<br />
6 DVS <strong>331</strong>
Flussmittelrückstände – Einfluss und Wirkung<br />
M. Eymann, Balve<br />
Korrosion ist eines der großen Themengebiete in der Elektronik. Die Ausprägungen dieses Phänomens sind<br />
vielseitig und verursachen im schlimmsten Fall den Ausfall kritischer Baugruppen. Flussmittelrückstände spielen<br />
als eine mögliche Kontaminationsquelle eine wesentliche Rolle bei der Entstehung der Korrosion. Daher ist es<br />
elementar, ein Verständnis für die Ursachen von Korrosionsvorgängen zu entwickeln und somit zuvermeiden.<br />
1 Kontaminationsquellen<br />
Eine häufige und leicht zu vermeidende Kontaminationsquelle resultiert aus einer unsachgemäßen Handhabung<br />
der Baugruppe schon vor dem eigentlichen Lötprozess. Fette und die im Handschweiß enthaltenen Salze haben<br />
Auswirkungen auf die Lötbarkeit und können im schlimmsten Fall zu elektrochemischen Kriechpfaden führen und<br />
dadurch das Dendritenwachstum fördern. [1] Ebenfalls sollte darauf geachtet werden, dass die Rahmen und<br />
Masken in einem guten und sauberen Zustand sind, da sich auch hier während des Lötprozesses Flussmittelreste<br />
ablagern können. Eine weitere Einflussquelle stellen die verwendeten Baugruppen und Leiterkarten dar, da hier<br />
selten bekannt ist, welche chemischen Produkte bei den Beschichtungsvorgängen eingesetzt werden und welche<br />
ionischen und nicht ionischen Verbindungen enthalten sind, die im späteren Verlauf an die Oberfläche diffundieren<br />
und womöglich hygroskopisch sind und somit korrosive Vorgänge bedingen können. [2] Solche Polyglykole oder<br />
auch ionische und nichtionische Tenside reduzieren wie alle Netzmittel die Oberflächenspannung des Wassers<br />
und tragen so zur Bildung eines Wasserfilms bei Betauung bei. [3] Aktive und inaktive Flussmittelrückstände sind<br />
wohl die interessanteste Gruppe der Kontaminationsquellen, da über das Flussmittel bewusst eine chemische<br />
Redoxreaktion hervorgerufen wird und somit Metallsalze, imspäteren Verlauf auch deren Hydrolyseprodukte und<br />
organische Säuren, in den Prozess eingebracht werden. Flussmittel können sehr unterschiedlich sein, alleine<br />
schon durch die Auswahl des Lötprozesses ergeben sich Unterschiede für Lötdraht-, Wellen-/Selektiv- und Lotpastenflussmittel<br />
in Konzentration und Zusammensetzung.<br />
2 Flussmittel<br />
Abbildung 1.Flussmittel – Pulverförmig, flüssig und pastös [4]<br />
Im Allgemeinen unterscheiden sich die Flussmittel fürdie verschiedenen Anwendungen in ihren reaktiven Basiskomponenten<br />
nicht sehr stark. Alle haben entweder natürliches, synthetisches Harz oder diverse organische<br />
Säuren als Basis und andere Aktivatoren und Lösemittel als Zusätze enthalten. Hierzu gehören unter anderem<br />
natürliche und synthetische Harze, die als Bindemittel dienen und Aktivatoren, wie die organische Adipinsäure<br />
oder anorganische Säuren oder Säureanteile wie Zinkchlorid oder Ammoniumchlorid. Um die Oberfläche von<br />
Fetten zu befreien werden üblicherweise zudem halogenierte Kohlenwasserstoffe eingesetzt. [5] Der Säureanteil<br />
im Flussmittel soll die Oxidschicht der zu verlötenden Komponenten chemisch aufbrechen und arbeitet nach der<br />
allgemeinen Formel der Säure-Base-Reaktion, bei der Säuren Metalloxide zu Wasser und einem Metallsalz<br />
reduzieren. Hierzu werden die Säuren der Harze oder der organischen Hauptbestandteile und Additive genutzt.<br />
Die Komponenten variieren je nach Anwendungsfall inihren Gewichtsanteilen. So ist eine Flussmittelseele von<br />
einem Lötdraht fast komplett lösemittelmittelfrei und hat in der Regel einen Flussmittelgehalt von max. 3,5 Gew.-%.<br />
Bei Wellen- und Selektivlötflussmitteln ist der Anteil des Lösemittels deutlich erhöht. Hier werden in der Regel<br />
DVS <strong>331</strong> 7
Ethanol, Isopropanol und Wasser in Reinform oder als Gemisch als Lösemittel genutzt. Die Feststoffkonzentration<br />
ist hier jenach Flussmittel variabel und liegt in der Regel bei 1 – 5Gew-%. Die Lotpaste ist das komplexeste<br />
System und wird mit Hilfe von thixotropen rheologischen Additiven stabilisiert. Diese Additive, wie beispielsweise<br />
hydriertes Rizinusöl, dienen lediglich der viskosen Stabilisierung der Lotpaste und sind nach dem Lötprozess<br />
chemisch inaktiv. [6] Es ist durchaus üblich, dass sich über 20 verschiedene Stoffe indem Flussmittelmedium<br />
befinden, um eine stabile pastöse Form zuerreichen. Das Flussmittel macht bei der Mischung mit Metallpulver um<br />
die 12 Gew-% aus.<br />
2.1 Harz<br />
Harze sind kristalline bis amorphe, organische Strukturen die bei Raumtemperatur fest sind und im Lötprozess ab<br />
ca. 70°C anfangen zu erweichen. [6] Bei den harzbasierten Systemen wird bei der IPC zwischen Resin und Rosin<br />
unterschieden. Das Rosin, auch Kolophonium genannt, ist in der Regel natürliches/raffiniertes Kiefernharz mit<br />
einer Säurezahl von mindestens 130 mg KOH/g. Als Resin werden alle Harze bezeichnet, die synthetischer<br />
Herkunft sind oder auch alle natürlichen Harze, die per Definition keine Rosins sind. [7]<br />
2.2 Säuren<br />
Der reaktive Hauptbestandteil von Kolophonium sind trizyklische isomere Harzsäuren mit einer vorgeschobenen<br />
Säuregruppe, wie in Abbildung 2dargestellt. Harzsäuren gehören zur Gruppe der Carbonsäuren. Bestimmte im<br />
Kolophonium enthaltene Abietinsäuren zeigen eine starke autokatalytische Oxidationsneigung. Daher werden die<br />
Doppelbindungen der Harzsäuren durch hydrieren stabilisiert, um die Reaktion zu verlangsamen und dadurch die<br />
Lagerfähigkeit zuerhöhen. [6]<br />
Abbildung 2.Verschiedene Harzsäuren [3]<br />
Kolophonium und seine modifizierten Harze haben eine Säurezahl bis zu 168 mg KOH/g. Hierdurch ist die metalloxidlösende<br />
Wirkung bei Temperaturen größer als 130°C nicht für alle Lötvorgänge bei ausreichender Aktivierung<br />
vorhanden, um die Säure-Base-Reaktion zuverlässig alleine tragen zu können. Säuren haben einen temperaturabhängigen<br />
Wirkbereich und verbrauchen sich unterschiedlich schnell. So beträgt die Lötzeit von chloridhaltigen<br />
Flussmitteln nur ein Zehntel der Lötzeit von Harzsäuren. Daher werden, um die Wirkung der Harze zu verstärken,<br />
oft weitere Carbonsäuren oder Halogenverbindungen zugesetzt. [6] Als besonders wirksam hat sich beispielsweise<br />
die Adipinsäure gezeigt. Anders als bei Halogenverbindungen, bei denen in einer zweistufigen Reaktion die<br />
Metallsalze entstehen, reagieren Carbonsäuren oder Harzsäuren direkt mit dem Zinnoxid, wie die folgenden<br />
Reaktionsgleichungen zeigen. [2]<br />
Carbonsäure (Adipinsäure):<br />
2C4H8(COOH)2 +2SnO 0 2C4H8(COO)2Sn +2H2O<br />
Halogenverbindung (Clorid):<br />
HN(CH3)2*HCL 0 HN(CH3)2 +HCL<br />
2HCL +SnO 0 SnCl2 +H2O<br />
8 DVS <strong>331</strong>
2.3 Halogenverbindungen<br />
Bei Flussmitteln wird zwischen zwei verschiedenen Arten der Halogenverbindungen unterschieden. Einmal die<br />
ionischen Halogenverbindungen, auch Halogenide genannt, und die eher kovalenten Halogenverbindungen, auch<br />
Halogene genannt. Generell sind die Halogenide direkt an der Klassifizierung des Flussmittels beteiligt, wie in<br />
Tabelle 1zusehen ist. Ab einem Gehalt von 0,5% Halogeniden ineinem Flussmittel ist am Ende der Klassifizierung<br />
eine 1anzugeben, ansonsten eine 0.[8] Ein Flussmittel darf darüber hinaus nur dann als niedrig halogenhaltiges<br />
Flussmittel klassifiziert werden, wenn maximal 0,1% Chlor und maximal 0,1% Brom enthalten ist. [7] In der<br />
Praxis hat sich der Einsatz von Chlor- und Bromverbindungen bewährt, da sie im richtigen Temperaturbereich für<br />
das Weichlöten liegen und reaktiv genug sind.<br />
Flussmittelzusammensetzung<br />
RO (Kolophonium)<br />
RE (modifizierte<br />
Harze)<br />
OR (organische<br />
Säuren)<br />
Tabelle 1: Gegenüberstellung J-STD004B /DIN EN 61190-11 [9]<br />
Wirksamkeitsniveau des<br />
Flussmittels<br />
Erlaubter Halogenidanteil<br />
nach IPC J-STD004B [Gew-<br />
%]<br />
Erlaubter Halogenidanteil<br />
nach DIN EN61190-1-1<br />
[Gew-%]<br />
L0