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2024<br />
<strong>DVS</strong>-BERICHTE<br />
Schweißen im Anlagenund<br />
Behälterbau
52. Sondertagung<br />
Schweißen im Anlagenund<br />
Behälterbau 2024<br />
Vorträge der gleichnamigen Sondertagung<br />
in München vom 12.03. bis 15.03.2023<br />
Gemeinschaftsveranstaltung des <strong>DVS</strong> –<br />
Deutscher Verband für Schweißen und<br />
verwandte Verfahren e. V., Landesverband<br />
Bayern und Bezirksverband München, der<br />
GSI – Gesellschaft für Schweißtechnik<br />
International mbH, Niederlassung SLV München,<br />
und der TÜV SÜD Industrie Service GmbH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek<br />
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;<br />
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.<br />
<strong>DVS</strong>-<strong>Bericht</strong>e Band 392<br />
ISBN 978-3-96144-255-3 (Print)<br />
ISBN 978-3-96144-256-0 (E-Book)<br />
Die Vorträge wurden als Manuskript gedruckt.<br />
Alle Rechte, einschließlich Übersetzungsrecht, vorbehalten. Nachdruck und Vervielfältigung dieses<br />
Bandes oder von Teilen desselben nur mit Genehmigung der <strong>DVS</strong> Media GmbH, Düsseldorf.<br />
© <strong>DVS</strong> Media GmbH, Düsseldorf ⋅ 2024<br />
Offsetdruck: Print Media Group GmbH & Co. KG, Hamm
Vorwort<br />
Die Veranstalter, die GSI mbH, Niederlassung SLV München, die TÜV SÜD Industrie Service GmbH<br />
und der Bezirksverband München des <strong>DVS</strong> e. V. begrüßen Sie sehr herzlich zur 52. schweißtechnischen<br />
Fachtagung „Schweißen im Anlagen- und Behälterbau“ im Münchner Künstlerhaus.<br />
Eine große Bandbreite an Vorträgen wird auch in diesem Jahr wieder Themen zu aktuellen, praxisnahen<br />
Fragestellungen aus der Schweißtechnik und des Anlagen- und Behälterbaus vorstellen.<br />
Hierfür konnten kompetente und praxiserfahrene Fachleute gewonnen werden.<br />
Zum Auftakt der dreitägigen Hauptveranstaltung findet auch heuer wieder die sogenannte BASIS-<br />
Info mit dem diesjährigen Themenschwerpunkt „H2-Ready: Anforderungen an die zukünftige Wasserstoff-Infrastruktur“<br />
statt.<br />
Die Folgetage beinhalten Fachvorträge zu den drei Themenbereichen „Qualitätssicherung“, „Werkstoffe,<br />
Prüfung und Verfahren“ sowie „Fertigung und Anwendung“.<br />
Darüber hinaus bieten Arbeitsgruppen jeweils am Mittwoch- und Donnerstagnachmittag eine ideale<br />
Plattform für Diskussionen. Vom Redaktionskreis und von den Arbeitsgruppenleitern im Vorfeld ausgewählte<br />
Fachthemen und Fragestellungen werden erörtert, aber auch weitere interessante und<br />
aktuelle Themen können aufgegriffen und diskutiert werden. Die Fachexpertisen eines jeden Teilnehmenden<br />
sind hier sehr geschätzt.<br />
Die Ergebnisse der Diskussionen werden auf der Homepage http://www.sondertagung.de veröffentlicht<br />
und sind für die Teilnehmenden nach der Tagung als Download verfügbar. Ebenso werden<br />
diese Informationen auch in der Fachzeitschrift „SCHWEISSEN und SCHNEIDEN“ des <strong>DVS</strong> e. V.<br />
veröffentlicht.<br />
Der vorliegende <strong>Bericht</strong>sband enthält die Manuskripte der Vorträge, die auch auf der beigefügten<br />
USB-Card als PDF-Datei enthalten sind.<br />
Wir, die Veranstalter dieser Sondertagung, danken den Vortragenden und Fachreferenten, den Diskussions-<br />
und Arbeitsgruppenleitern sowie allen, die zum Gelingen der Veranstaltung beitragen. Der<br />
<strong>DVS</strong> Media GmbH gebührt unser Dank für die langjährige, bewährte Zusammenarbeit und für die<br />
unverändert gute Ausstattung des <strong>Bericht</strong>sbands.<br />
München, im März 2024<br />
Dipl.-Ing. Michael Dey Dipl.-Ing. F. Neuwieser Prof. Dr.-Ing. Prof. h. c. D. Böhme<br />
GSI mbH, NL SLV München TÜV SÜD Industrie Service GmbH <strong>DVS</strong> e. V, LV Bayern, BV München<br />
<strong>DVS</strong> e. V., Bezirksverband München
Inhaltsverzeichnis<br />
Vorwort<br />
Basis-Information: H2-Ready: Anforderungen an die zukünftige Wasserstoff-Infrastruktur<br />
Umstellung von Gashochdruckleitungen auf Wasserstoff ....................................................................... 1<br />
Albert Großmann, München<br />
Rohrleitungssysteme für den Transport von Wasserstoff Internationale Normen (EN 13480,<br />
ASME B31.3 und ASME B31.12) ............................................................................................................ 5<br />
Wassim Khemakhem, Dirk Kölbl, Essen<br />
Umstellung von Erdgasröhrenspeichern auf die Nutzung mit Wasserstoff ............................................ 12<br />
Gundula Stadie, Christian Mayer, Köln<br />
Wasserstoffwirtschaft und ihre schweißtechnischen Herausforderungen am Beispiel Ammoniaktank .. 16<br />
Martin Aumann, Thomas Englert, Pullach<br />
Prüfung und Zertifizierung von wasserstoffführenden Komponenten außerhalb des regulierten und<br />
normierten Bereichs ............................................................................................................................. 23<br />
Martin Sekura, München<br />
Eröffnungsvortrag<br />
Quo vadis Energiewende – Entwicklungen und Herausforderungen ..................................................... 30<br />
Hans Roth, München<br />
Regelwerke und Qualitätssicherung<br />
Stand und Konzept prEN 13445-14 „Zusatzanforderungen an additiv gefertigte Druckgeräte und<br />
deren Bauteile“ sowie momentane Qualifikationsmöglichkeiten am Beispiel zweier verfahrensbezogener,<br />
generischer Inspektions- und Testpläne ............................................................................. 34<br />
Katie Schatz, Andreas Kittel, Pullach<br />
Schnittstelle zwischen Maschinenrichtlinie (MRL), Druckgeräterichtlinie (DGRL) und<br />
Bauproduktenverordnung (BauPVO) …………. ..................................................................................... 41<br />
Klaus Schlotterer, München<br />
Eine für alle! Alle für eine? Verfahrensprüfungen in den Regelwerken AD 2000, EN 13445,<br />
DVGW 350 und VdTÜV MB1052 .......................................................................................................... 44<br />
Thomas Weber, Deggendorf<br />
Vertretung nationaler und europäischer Interessen in der internationalen Normung am Beispiel<br />
der Schweißerprüfung .......................................................................................................................... 48<br />
Jochen Mußmann, Düsseldorf; Holger Zernitz, Berlin
DIN EN ISO 9712 für ZfP-Prüfpersonal in der Neuausgabe 2022:<br />
Was bedeutet das für den Anwender? – Ein kurzer Überblick .............................................................. 53<br />
Bernd Huber, München<br />
Werkstoffe, Prüfung und Verfahren<br />
Laserhandschweißen in der Ausbildung – Anlagentechnik und Sicherheit sowie<br />
Schweißerprüfungen im Rahmen der DIN EN ISO 9606ff .................................................................... 55<br />
Rigo Peters, Rostock<br />
WIG-Schweißen mit dynamisch geregelter Drahtvorschubgeschwindigkeit .......................................... 59<br />
Martin Willinger, Wels (A)<br />
Bewertung und Qualifizierung von wasserstoffbelasteten Stählen und Schweißverbindungen –<br />
Stand der Technik, Normung und Ausblick ........................................................................................... 64<br />
Felix Bexter, Julius Langenberg, Peter Langenberg, Aachen<br />
Neue Energieträger und die resultierenden Herausforderungen für die Schweißtechnik ...................... 72<br />
Max Schwetlick, Rolf Paschold, Langenfeld<br />
Rührreibschweißen im Behälterbau – Aluminium Konkret an zwei Beispielen:<br />
Zeppelin Systems u. Feldbinder GmbH ................................................................................................ 80<br />
Ralph Boywitt, Berlin; Olaf Peyreder, Friedrichshafen<br />
Fertigung und Anwendung<br />
Daten-getriebene Innovation in der Lasermaterialbearbeitung .............................................................. 89<br />
Carlo Holly, Benedikt Edler von Querfurth, Stefan Mann, Peter Abels, Aachen<br />
Digitalisierung und Industrie 4.0 in der Schweißtechnik: Stand der Technik: Was nun? ........................ 92<br />
Jan Pitzer, Wetzlar<br />
Auf dem Weg zum einlagigen Schweißen von dickwandigen Bauteilen – Prozesse,<br />
Potenziale, Beispiele .......................................................................................................................... 101<br />
Christian Brunner-Schwer; Ömer Üstündağ, Nasim Bakir, Fatma Akyel, Berlin<br />
Einsatz der KI-basierten Objektdetektion in der Fertigung am Beispiel eines<br />
Engspaltschweißprozesses ................................................................................................................ 106<br />
Karsten Niepold, Mülheim an der Ruhr<br />
Verfasserverzeichnis ........................................................................................................................ 114<br />
Anhang: Normenliste 2024
Umstellung von Gashochdruckleitungen auf Wasserstoff<br />
A. Großmann, München<br />
Wasserstoff nimmt eine zentrale Rolle bei der Energiewende ein. Für seinen Transport soll das vorhandene<br />
Erdgasnetz genutzt werden. Hierzu ist im Vorfeld die Wasserstoffverträglichkeit der Werkstoffe und die Lebensdauer<br />
der Erdgaspipelines zu untersuchen. Kern aller Betrachtungen ist die bruchmechanische Bewertung<br />
der Erdgaspipelines, bei der neben der Versprödung des Werkstoffs Stahl auch die Rissstabilität und das<br />
Risswachstum in Wasserstoffatmosphäre untersucht werden. Im Folgenden sollen Grundlegende Vorgehensweisen<br />
der Bewertung aufgezeigt werden.<br />
1 Prüfumfänge der Umstellung<br />
Eine Änderung des Mediums ist im Sinne der Verordnung für Gashochdruckleitungen (GasHDrLtgV) bei Gasleitungen<br />
mit einem maximalen zulässigen Betriebsdruck über 16 bar eine wesentliche Änderung mit den entsprechenden<br />
Anzeigeverfahren, wenn dadurch eine Beeinträchtigung der Sicherheit unterstellt werden kann.<br />
In diesem Fall muss ein Anzeigeverfahren nach §5 GasHDrLtgV eingeleitet werden. Sowohl beim Neubau als<br />
auch bei der Umstellung müssen Hersteller und Betreiber nachweisen, dass die Maßnahmen dem Stand der<br />
Technik entsprechen und fachgerecht durchgeführt wurden. Die erforderlichen technischen Maßgaben zur<br />
Umstellung einer Bestandsleitung auf Wasserstofftransport oder bei Neubau einer Gasleitung sind im DVGW<br />
Arbeitsblatt G463 sowie Merkblatt G409 beschrieben.<br />
Der Betreiber ist für Planung und Überprüfung der Angaben und Herstellerbescheinigungen / -erklärungen<br />
sowie der Eignung für die konkrete Anwendung (betriebliche Einflussgrößen, wie z. B. Lastwechsel, zulässige<br />
Druckbereiche) verantwortlich. Dabei sind unter anderem die Gasdichtheit der Gassysteme (äußere/innere<br />
Dichtheit) unter Wasserstoff, die Wasserstofftauglichkeit der verwendeten Werkstoffe, Betriebsstoffe und Hilfsstoffe,<br />
Arbeitsmittel und Arbeitsschutz, Explosionssicherheit – Explosionsschutz, Brandschutz und Brandmeldeanlagen<br />
– zu prüfen. Auch Instandhaltungsfristen, Gefährdungsbeurteilungen und Risikobewertungen sind<br />
gegebenenfalls zu aktualisieren oder an die Eigenschaften des Mediums Wasserstoff anzupassen.<br />
2 Wasserstoffeinfluss auf Stähle<br />
Die durch Wasserstoff induzierte Schädigung kann auf verschiedenen Wegen erfolgen. Man unterscheidet<br />
zwischen Schädigungen durch chemische und elektrochemische Reaktionen mit metallphysikalischen Vorgängen.<br />
Während bei chemischen Reaktionen der Wasserstoff mit dem Werkstoff Bindungen eingeht, fungiert<br />
bei elektrochemischen und metallphysikalischen Vorgängen der Wasserstoff als eine Art Legierungselement<br />
in dem Metall.<br />
Unabhängig von der Herkunft des Wasserstoffs erfolgt dessen Aufnahme immer über die Teilschritte: Adsorption<br />
und Dissoziation, Absorption und Diffusion oder Einlagerung im Metallgitter. Dreh- und Angelpunkt der<br />
Wasserstoffversprödung ist Wasserstoff in seiner atomaren Form, da nur dieser – im Gegensatz zu H2 – in<br />
der Lage ist, in Metalle diffundieren zu können. Wasserstoff kommt unter atmosphärischen Bedingungen fast<br />
ausschließlich molekular vor, somit muss es bestimmte Prozesse geben, aus denen Wasserstoffatome hervorgehen<br />
und anschließend in den Stahl eindringen können.<br />
Eine Vielzahl von Publikationen beschreibt den Wasserstoffeinfluss auf Stähle und die experimentell nachgewiesenen<br />
negativen Effekte. Dabei ist die Art der Stähle maßgebend für die Intensität der sogenannten Wasserstoffversprödung.<br />
Im Allgemeinen wird festgestellt, dass mit wachsenden Festigkeitskennwerten und raueren<br />
Oberflächenbeschaffenheiten die Neigung zur Wasserstoffversprödung zunimmt. Kommt es zur Wasserstoffversprödung,<br />
so ist die duktile Verformungsfähigkeit des Stahls reduziert. Anstatt lokale Spannungsspitzen<br />
durch Verformung abzubauen, kommt es hier zu kleinsten Materialtrennungen, die in größerem Maßstab<br />
als Risse sichtbar werden können.<br />
<strong>DVS</strong> 392 1
Abbildung 1. Sprödbruch unter Wasserstoffeinfluss<br />
Aus diversen Veröffentlichungen zu durchgeführten Laboruntersuchungen geht hervor, dass Wasserstoff die<br />
Bruchzähigkeit senkt und das Wachstum von Rissen beschleunigt, auch bei relativ niedrigen Wasserstoffpartialdrücken.<br />
Dieser Einfluss ist zudem abhängig von der mechanischen Belastungsfrequenz. Der Wasserstoff<br />
braucht eine gewisse Zeit für die Diffusion ins Metallgitter, sodass Versuche hierzu nicht beliebig schnell durchgeführt<br />
werden können. Messungen der Zugeigenschaften in Wasserstoff zeigen, dass die Anwesenheit von<br />
Wasserstoff die Brucheinschnürung senkt, jedoch weder Zugfestigkeit noch Streckgrenze beeinträchtigt. Damit<br />
ergeben sich für die klassische strukturmechanische Innendruckbemessung von Leitungen nach dem aktuellen<br />
Wissensstand keine Änderungen.<br />
Weiterhin wurde nachgewiesen, dass die Bruchzähigkeit der Werkstoffe unter der Wirkung des Wasserstoffes<br />
verringert wird. Die Rissausbreitungsgrößen können dabei in Anwesenheit von Wasserstoff um den Faktor 10<br />
höher sein als an Luft. Ein Risswachstum ist in Kombination mit Lastwechseln durch variierende Betriebsdrücke<br />
grundsätzlich möglich. Lastwechsel können von betriebsbedingten Innendruckschwankungen, wie z. B.<br />
bei Aus- und Einspeiseprozessen oder von wechselnden Zusatzlasten, z. B. aus Schwingungen, ausgehen.<br />
Die Geschwindigkeit des Risswachstums ist neben dem Medium und dem Werkstoff auch abhängig von der<br />
Lastamplitude, dem Spannungsmittelwert und der Häufigkeit der Lastamplitude innerhalb eines gegebenen<br />
Zeitintervalls. So kann bei hoher Maximallast mit kleinster Lastamplitude ein geringeres Risswachstum stattfinden<br />
als bei geringerer Maximallast, aber größerer Lastamplitude. Die Identifizierung und Berücksichtigung<br />
solcher lebensdauerbestimmenden Einflüsse ist einer der Bausteine zur Feststellung der Wasserstofftauglichkeit<br />
einer Pipeline.<br />
3 Bruchmechanisches Nachweiskonzept<br />
Die feststellbaren Einflüsse der Wasserstoffversprödung auf die Stähle (Reduzierung der Risszähigkeit und<br />
beschleunigtes Risswachstum) sind nach heutigem Wissensstand geeignete Kenngrößen, um die statische<br />
und dynamische Tragfähigkeit wasserstoffinduzierter Fehler zu bewerten. Man greift dabei auf bruchmechanische<br />
Berechnungs- und Bewertungskonzepte zurück, in welche die Risszähigkeit und Risswachstumsgrößen<br />
einfließen. Wesentliche Kennwerte der bruchmechanischen Berechnungs- und Bewertungskonzepte stellen<br />
die Fehlergröße, Lage und Orientierung dar, so dass im Gegensatz zur klassischen strukturmechanischen<br />
Bemessung und Bewertung hier ein Fehler bekannt sein bzw. angenommen werden muss, um aus diesem<br />
Konzept Erkenntnisse zur Tragfähigkeit und Lebensdauer von Rohrleitungen unter Wasserstoffeinfluss zu erhalten.<br />
Die zur Beschreibung des mechanischen Verhaltens von Festkörpern gängigen Größen wie Spannungen und<br />
Verzerrungen sind in der Bruchmechanik nicht unmittelbar für die Beschreibung von Bruchvorgängen geeignet.<br />
Dies liegt zum einen an sehr hohen – unter Annahme rein elastischen Werkstoffverhaltens unbeschränkt<br />
hohen – Spannungen an der Rissspitze und zum anderen an der komplexen Interaktion zwischen Rissgeometrie<br />
und Beanspruchungen. In der Bruchmechanik werden zusätzliche Größen wie die Spannungsintensität<br />
und die Energiefreisetzungsrate eingeführt, welche den lokalen Spannungszustand an der Rissspitze bzw.<br />
das globale Rissverhalten bei dessen Ausbreitung charakterisieren. Für den Wasserstoffbetrieb ist nachzuweisen,<br />
dass die umzustellende Leitung für einen maximal zulässigen Betriebsdruck und die auftretenden<br />
Betriebslastwechsel unter bruchmechanischen Aspekten ausreichend dimensioniert ist. Für Bestandsleitungen<br />
kommen die aktuellen DVGW-Merkblätter G 409 0 sowie G 464 0 zur Anwendung.<br />
2<br />
<strong>DVS</strong> 392
Die Bewertung eines Risses erfolgt im Fehler-Assessment-Diagramm (FAD). Im FAD wird der Riss durch zwei<br />
Parameter beschrieben, durch die Spannungsintensität (KR) vor der Rissspitze und die Lastintensität (LR) im<br />
Resttragquerschnitt vor dem Riss. Die Bewertung erfolgt durch Abtragen beider Faktoren und Bewertung der<br />
Lage der Faktoren gegenüber der FAD-Grenzkurve.<br />
Abbildung 2. FAD Bewertungsdiagramm<br />
Der Parameter KR bildet das Verhältnis aus der vorhandenen Rissspitzenbeanspruchung und der für den<br />
Werkstoff maximal zulässigen Rissspitzenbeanspruchung, der Parameter LR bildet das Verhältnis vorhandener<br />
Spannung des tragenden Restquerschnittes und der für den Werkstoff gültigen Fließspannung. Beide<br />
Faktoren beschreiben die Lage des Risses im Bewertungsdiagramm. Eine Lage oberhalb der FAD-Grenzkurve<br />
wird als unzulässig bewertet, die Lage unter der FAD-Grenzkurve als zulässig.<br />
Im Rahmen der Nachweisführung werden Primärlasten wie der maximal zulässige Betriebsdruck sowie Sekundärlasten<br />
und Schweißeigenspannungen nach Vorgabe der FKM-Richtlinie 0 berücksichtigt. Sofern aus<br />
der Betriebsführung Zusatzlasten an der Leitung bekannt sind (Verlegespannungen, elastische Bögen, Setzungslasten<br />
usw.), sind diese in gesonderten Berechnungen mitzubetrachten.<br />
Die Rissgeometrie wird als halbelliptischer Riss in axialer oder tangentialer Richtung angenommen. Die anzusetzende<br />
Risstiefe leitet sich aus den zum Zeitpunkt der Errichtung geltenden technischen Regeln, Zeugnissen,<br />
Spezifikationen zur Rohrherstellung oder aus den Bezugsgrößen der zerstörungsfreien Prüfung von Rohren,<br />
wie z. B. der DIN EN ISO 10893-11 0, ab.<br />
Für die Nachweise sind die Mindestrisszähigkeiten nach 0 anzusetzen. Darüber hinaus können Risszähigkeiten<br />
aus dem SyWestH2-Forschungsvorhaben des DVGW 0 zur Anwendung kommen, wenn die zu untersuchenden<br />
Rohrleitungsstähle gleichwertig den in SyWestH2 beprobten Werkstoffen sind. Der Nachweis der<br />
Gleichwertigkeit der Stähle kann z. B. über die chemische Zusammensetzung und die quasistatischen Festigkeits-<br />
und Zähigkeitskennwerte erfolgen.<br />
Die Lebensdauerbetrachtung erfolgt mit bekannten oder prognostizierten Lastwechseln unter Berücksichtigung<br />
eines Risswachstumsgesetzes. Im Forschungsprojekt des DVGW „SyWestH2“ 0 wurden Anhand umfassender<br />
Versuche an Rohrleitungsstählen von Bestandsleitungen eine Empfehlung zu einem bilinearen<br />
Risswachstumsgesetz gegeben.<br />
4 Fazit<br />
Für die Entscheidung, ob eine bestehende Pipeline umgestellt werden kann und um die Lebensdauer der<br />
Pipeline bei zukünftigem Wasserstofftransport zu bewerten, sind auch bruchmechanische Nachweise notwendig.<br />
Die bruchmechanischen Nachweise sind bei neuen Pipelines obligatorisch und stellen eine rechnerische<br />
Basis dar, um die Nachweisgrenzen der eingesetzten zerstörungsfreien Prüfung für Grundwerkstoffe und<br />
Schweißnähte zu validieren. Für bestehende Pipelines können mit den Ergebnissen der bruchmechanischen<br />
Nachweise die Anforderungen an die Nachweisgrenzen der zerstörungsfreien Prüfung, Festigkeits- und Dichtheitsprüfung<br />
sowie an Prüfintervalle definiert werden, um kritische noch vor Erreichen der Lebensdauergrenze<br />
festzustellen und geeignete Sicherungs- oder Sanierungsmaßnahmen zu planen. In Summe ergibt sich so<br />
eine verlässliche Aussage zur Integrität der gesamten Pipeline, um das hohe Sicherheitsniveau der Gastransportsysteme<br />
zu erhalten.<br />
<strong>DVS</strong> 392 3
Schrifttum<br />
[1] DVGW-Merkblatt G 409 „Umstellung von Gashochdruckleitungen aus Stahlrohren für einen Auslegungsdruck<br />
von mehr als 16 bar für den Transport von Wasserstoff“.<br />
[2] DVGW-Arbeitsblatt G 463 „Gashochdruckleitungen aus Stahlrohren für einen Auslegungsdruck von mehr<br />
als 16 bar; Errichtung“<br />
[3] DVGW-Merkblatt G 464 „Bruchmechanisches Bewertungskonzept für Gasleitungen aus Stahl mit einem<br />
Auslegungsdruck von mehr als 16 bar für den Transport von Wasserstoff“<br />
[4] DVGW-Projekt SyWeSt H2: „Stichprobenhafte Überprüfung von Stahlwerkstoffen für Gasleitungen und<br />
Anlagen zur Bewertung auf Wasserstofftauglichkeit“, 2023<br />
[5] Bruchmechanischer Festigkeitsnachweis für Maschinenbauteile, „FKM-Richtlinie“<br />
[6] DIN EN ISO 10893-11, „Zerstörungsfreie Prüfung von Stahlrohren – Teil 11: Automatisierte Ultraschallprüfung<br />
der Schweißnaht geschweißter Stahlrohre zum Nachweis von Unvollkommenheiten in Längsund/oder<br />
Querrichtung“<br />
4<br />
<strong>DVS</strong> 392
Rohrleitungssysteme für den Transport von Wasserstoff Internationale<br />
Normen (EN 13480, ASME B31.3 und ASME B31.12)<br />
W. Khemakhem, D. Kölbl, Essen<br />
Die beiden bewährten Normen für Industrierohrleitungen ASME B31.3 und DIN EN 13480 werden im direkten<br />
Vergleich mit ASME B31.12 an zwei hypothetischen Projekten verglichen. Für Betreiber, Planer, Auslegung,<br />
Fertigung und Abnahme ist beispielhaft dargestellt, welchen Einfluss die Auswahl der Normen hat.<br />
Zusammenfassung<br />
Die verglichenen Normen sind oberflächlich betrachtet sehr ähnlich. Werden ASME B31.3, ASME B31.12 oder<br />
EN 13480 vollständig angewandt, bekommt der Anwender offenbar eine Leitung, die mit hinreichenden Sicherheitsmargen<br />
ausgelegt und in gewissem Umfang geprüft wurde.<br />
In den Details zeigen sich jedoch gewaltige Unterschiede. ASME B31.3 und EN 13480 sind allgemeine Rohrleitungsnormen,<br />
die für vielfältige Fluide, inklusive Wasserstoff, anwendbar sind, aber jeweils nicht die Besonderheiten<br />
für Druckwasserstoff ansprechen. Dagegen ist die ASME B31.12 ausschließlich für Wasserstoff gedacht.<br />
Sie regelt Industrieleitungen und Überlandleitungen. Im Vergleich der Industrierohrleitungen stellt die<br />
B31.12 Forderungen, die Besonderheiten von Druckwasserstoff, zum Beispiel durch Auslegungskoeffizienten<br />
oder Härtemessungen, berücksichtigen. Bei den anderen Normen müssen die Anwender diese Besonderheiten<br />
kennen und separat spezifizieren. Hinsichtlich Auslegung, Fertigung, Prüfung und Druckprobe werden hier<br />
nur einige der wirklich zahlreichen Unterschiede herausgestellt. Die Anwender sind somit gewarnt, sich wirklich<br />
für die Projekte mit den Normen, aber auch regulatorischen Anforderungen zu befassen. Vor dem Vermischen<br />
der Normen wird jedoch eindringlich gewarnt.<br />
1 Einleitung<br />
Ein Vergleich von Normen ist grundsätzlich unvollständig und immer vom Blickwinkel des Betrachters abhängig.<br />
So ist auch diese Darstellung der Regelwerke „ASME B31.3 Process Piping“, „ASME B31.12 Hydrogen<br />
Piping and Pipelines“ und „DIN EN 13480 Metallische Industrielle Rohrleitungen“ eine Betrachtung ausgewählter<br />
Aspekte. Am Beispiel zweier Werkstoffe soll hier ein Eindruck von den Unterschieden erweckt werden.<br />
Natürlich ist im Rahmen dieses Artikels kein kompletter Vergleich möglich; den würde ohnehin niemand lesen<br />
wollen, er wäre deutlich länger als drei Normen zusammen.<br />
Bevor die Normen verglichen werden können, sind für das betreffende Projekt die Gesetze und Verordnungen<br />
am Ort der Anlage anzuwenden. Dann kommt die Spezifikation durch den Betreiber ins Spiel. Manch ein<br />
Betreiber überlässt alles dem Anlagenbauer, andere Betreiber haben eine genaue Vorstellung von Auslegungskriterien,<br />
Materialien, Komponenten, Prüfungen und Dokumentation. Diese gilt es dann in Einklang mit<br />
den Vorgaben des betreffenden Regelwerks zu bringen. Dabei geht es auch immer um Kosten, um Sicherheit<br />
und um Verantwortung. Hier wird ein erster Eindruck von der Unterschiedlichkeit der Regelwerke vermittelt,<br />
mit ein paar Stärken und Schwächen.<br />
In diesem Artikel geht es übrigens nicht um einen Wettbewerb, sondern um die vergleichende Anwendung<br />
dreier Normen an einem hypothetischen Projektbeispiel. Es wird eine Rohrleitung für 8 MPa Wasserstoffgas,<br />
im ersten Fall bei gemäßigten Temperaturen von -40 bis 100 °C und im zweiten bei 400 °C, durchaus warm,<br />
betrachtet. Bei den angestellten Vergleichen liegt das Augenmerk auf den Geltungsbereichen, den Verantwortlichkeiten,<br />
der Auswahl von Materialien, den Festigkeitskennwerten, der Kerbschlagerprobung (ja, die gibt<br />
es auch in der ASME Welt) sowie den resultierenden Wanddicken und Prüfumfängen. Abnahmen, Druckprobe<br />
und die erforderliche Dokumentation schließen diese kurze Betrachtung ab.<br />
Das Fazit ist: Die drei Normen sind verschieden. Sehr wenigen Gemeinsamkeiten stehen sehr viele Unterschiede<br />
gegenüber. Es bleibt dem Leser überlassen, diese Unterschiede zu bewerten. Es gibt keine prozentualen<br />
Unterschiede von Wanddicke Prüfkosten oder Prüfdruck, die universell gelten können. Der Anlagenbauer<br />
muss sich mit dem Regelwerk beschäftigen, damit gebaut wird, was der Betreiber gebrauchen kann,<br />
damit die Anlage in Betrieb gehen kann, damit die Anlage sicher die Herausforderungen des Fluidtransports<br />
bewältigen kann. Nur genaue Kenntnisse der Stärken und Schwächen von ASME B31.3, B31.12 und EN<br />
13480 erlauben es, im Wettbewerb des internationalen Anlagenbaus mitzumachen, geeignete Zusatzforderungen<br />
festzulegen und sichere Anlagen zu bauen.<br />
<strong>DVS</strong> 392 5
2 Gesetze und Verordnungen<br />
Für industrielle Rohrleitungssysteme gelten je nach Aufstellungsort unterschiedliche gesetzliche Vorgaben. In<br />
der Europäischen Union muss die Druckgeräterichtlinie [3], im Vereinigten Königreich muss die Pressure<br />
Equipment (Safety) Regulation 2016 UK (PESR) [4] und in den USA sowie Kanada müssen jeweils die Kesselgesetze<br />
der einzelnen Staaten, Provinzen oder großen Städte [5] berücksichtigt werden. Dementsprechend<br />
sind die anzuwendenden Regelwerke und allfälligen Zusatzforderungen von Ort zu Ort nicht einheitlich, aber<br />
verbindlich zu beachten.<br />
Im US Bundesstaat Oregon beispielsweise [5] ist im Kesselgesetz vorschrieben, dass die ASME B31.3 verbindlich<br />
für Rohrleitungen eingehalten werden muss. An anderen Orten kann der Betreiber, seine Planungsfirma<br />
oder auch der Hersteller selbst entscheiden, welches Regelwerk für ein Projekt angewandt werden soll,<br />
etwa im Bundesstaat Texas [5]. Hier kann der Betreiber auch B31.12 oder EN 13480 vorgeben, das liegt in<br />
seinem Verantwortungsbereich.<br />
Weder die Druckgeräterichtlinie noch die PESR schreiben die Anwendung der EN 13480 vor. Diese harmonisierte<br />
Norm enthält in ihrem Teil 7 die Anleitung für die Durchführung des Konformitätsbewertungsverfahrens,<br />
das schlussendlich zur CE-Kennzeichnung des Rohrleitungssystems führt. Die Verwendung der ASME Normen<br />
unter der Druckgeräterichtlinie ist entgegen anderslautender Gerüchte nicht verboten, sondern durchaus<br />
gängige Praxis. Die verantwortliche Marktteilnehmer müssen dann freilich die Erfüllung der Wesentlichen Sicherheitsanforderungen<br />
aus der Richtlinie nachweisen und das Konformitätsbewertungsverfahren durchführen.<br />
Das soll aber in dieser Darstellung nicht weiter ausgeführt werden.<br />
3 Geltungsbereiche und Zulassungen<br />
Wir betrachten einige ausgewählte Aspekte der aktuellen ASME B31.3-2022, ASME B31.12-2019 und der<br />
EN13480-2017. Der Zeit entsprechend wenden wir diese Aspekte an einer hypothetischen Wasserstoffrohrleitung<br />
an. Die betrachtete Rohrleitung hat einen Außendurchmesser von 168,3 mm (NPS 6 bzw. DN 150) und<br />
soll für 8 MPa Auslegungsdruck gemäß der jeweiligen Normen dimensioniert werden.<br />
Der Geltungsbereich der ASME B31.3 umfasst Prozess-Rohrleitungen mit über 15 psi oder 105 kPa Auslegungsdruck<br />
und/oder gefährlichen, heißen oder kalten Medien, während die EN 13480 bereits bei mehr als<br />
0,5 bar Druck gilt.<br />
ASME B31.12 dagegen wurde konkret für das Medium Wasserstoff geschrieben. Es gibt keine Untergrenze<br />
hinsichtlich Druck oder Temperatur. Allerdings gibt es Obergrenzen beim Druck. Der Auslegungsdruck darf<br />
15000 psi, etwa 103 MPa, für einige Werkstoffe sogar nur 6000 psi oder 4500 psi, nicht überschreiten.<br />
[6, Fußnoten (a), (2) und (5) der Tabelle GR-2.1.1-1] Für Temperaturen über 1000 °F (538 °C) wird in B31.12<br />
auf die Regeln für „Elevated Temperature Service“ in der ASME B31.3 verwiesen, der Betrieb im Zeitstandbereich<br />
wird in B31.12 pauschal über die Festigkeitskennwerte behandelt [6]. ASME B31.12 beschreibt neben<br />
Industrierohrleitungen auch Überlandleitungen und Flüssiggasrohrleitungen. (Wasserstoff hat bei atmosphärischem<br />
Druck eine Siedetemperatur von -253 °C oder 20K). Überlandleitungen werden in diesem Vergleich<br />
allerdings ausgeklammert, der Leser wird auf den Part „PL“ in der B31.12 verwiesen.<br />
In unserem Beispiel ist die Leitung bei 8 MPa und -40 bis 100 °C bzw. 20 bis 400 °C in den Geltungsbereichen<br />
aller drei Normen enthalten. Bezüglich der Klassifizierung treffen wir jedoch auf völlig verschiedene Ansätze,<br />
Bild 1. Wasserstoffgas ist entzündlich und daher Fluidgruppe 1 (EN) aber „Normal Fluid“ in B31.3. Insofern<br />
wird das Medium Wasserstoff als Gas in der EN 13480 in zweifacher Hinsicht anders behandelt als etwa<br />
flüssiges Pflanzenöl. In der B31.3 gibt es keine Unterscheidung des Aggregatszustandes. Darüber hinaus gilt<br />
Wasserstoff als brennbares, aber nicht toxisches Fluid, als „Normal Fluid Service“. Hinsichtlich der Prüfumfänge<br />
und der Modulauswahl wird das noch eine Rolle spielen.<br />
6<br />
<strong>DVS</strong> 392
Bild 1. Vergleich der Klassifizierungen von ASME B31.3 und EN13480 am Beispiel Wasserstoff, 8 MPa und DN150, daraus<br />
folgt Normal Fluid Service, respektive Kategorie III. [1], [2]<br />
4 Verantwortlichkeiten, Abnahme und Entwurfsprüfung<br />
DIN EN13480 ist eine harmonisierte Norm unter der Europäischen Druckgeräterichtlinie (PED) und daher ideal<br />
für die Erfüllung der PED aufgestellt. Auf der Basis verschiedener Module lässt die PED von der reinen Einzelprüfung<br />
und Fremdabnahme durch eine Notifizierte Stelle bis hin zur produktorientierten Qualitätssicherung<br />
durch den Hersteller unterschiedliche Varianten zu. In der rechten Hälfte von Bild 1 sind die Rohrleitungskategorien<br />
0, 1, 2 und 3 dargestellt, die anhand von Fluid, Fluidgruppe, Druck und Nennweite zugeordnet werden.<br />
Diese Kategorisierung ist deckungsgleich mit der PED.<br />
Eine Rohrleitung nach ASME B31.3, die in der EU in Verkehr gebracht werden soll, müsste derselben Kategorisierung<br />
unterworfen werden, da der gesetzliche Rahmen, durch die PED definiert, ebenfalls erfüllt werden<br />
müsste. Diese Variante soll hier aber nicht weiterverfolgt werden, sondern lediglich der Vergleich der Rohrleitungsnormen.<br />
In ASME B31.3 sind die Verantwortlichkeiten für den Betreiber, den Konstrukteur und den Hersteller klar definiert.<br />
Qualitätssicherung ist als Empfehlung eingefügt. Die ASME B31.12 hat grundsätzlich ähnlich definierte<br />
Verantwortlichkeiten, verlangt aber eine produktorientierte Qualitätssicherung für Entwurf, Herstellung und<br />
Montage [2], [6]. In beiden Normen ist die Abnahme durch den „Owner’s Inspector“ verlangt, der für den Betreiber<br />
die Einhaltung der Regelwerksforderungen zu überprüfen hat. Für diesen „2nd Party Inspector“ werden<br />
Mindestanforderungen hinsichtlich der Erfahrung für die Benennung formuliert. Für den „Designer“, welcher<br />
verantwortlich für den Entwurf ist, sind ebenfalls Qualifikationskriterien definiert. Entwurfsprüfungen sind in<br />
beiden Regelwerken nicht vorgesehen. Je nach Aufstellungsort können aber jeweils durch gesetzliche Anforderungen<br />
solche „Design Reviews“, „Design Appraisals“ oder „Design Registrations“ verbindlich werden.<br />
5 Materialauswahl<br />
EN 13480 erkennt die Auswahl von Material nach harmonisierten Werkstoffnormen, Werkstoffen mit Europäischer<br />
Werkstoffzulassung oder Material nach Herstellerspezifikationen an. Über ein Einzelgutachten (Particular<br />
Material Appraisal) kann im Prinzip für alle Werkstoffe (genormt oder nicht) die Eignung für den speziellen<br />
Anwendungsfall nachgewiesen werden. Dabei sind in der EN13480 Anforderungen hinsichtlich der chemischen<br />
Zusammensetzung und mechanischen Mindesteigenschaften gegeben.<br />
Gemäß der ASME B31.3 sind neben Materialien gemäß der Normen, die im Anhang A gelistet sind, sämtliche<br />
Materialien nach veröffentlichten Materialnormen zulässig. Dem Designer obliegt hier die Verantwortung für<br />
die Auswahl sowie die Überprüfung der Eignung der Materialien. [2]<br />
<strong>DVS</strong> 392 7
ASME B31.12 listet in zwei Tabellen die Werkstoffe auf, denen eine Eignung für Wasserstoff zugeschrieben<br />
wird, die Festigkeitskennwerte sind für diese Werkstoffe bereits in Table IX-1 hinterlegt. Alle anderen genormten<br />
Materialien können eingesetzt werden, wenn ihre Eignung bewiesen wird. Auch hier obliegt die Auswahl<br />
dem „Designer“, der für den Entwurf verantwortlich zeichnet. [6]<br />
Als Basis für den im Rahmen dieser Veröffentlichung angestellten Vergleich wurden die gängigen ASTM<br />
„Pipe“-Materialien A106 Gr. B und A312 TP 304 sowie die EN-Materialien EN10216-2 P235GH und EN10216-<br />
5 X5CrNi18 10 (1.4301) ausgewählt. In den Tabellen 1 und 2 sind die zulässigen Festigkeitskennwerte aus<br />
den betrachteten Regelwerke für die genannten Materialien zusammengefasst.<br />
Die ASME und EN Normen haben jeweils leicht unterschiedliche Konzepte, wie die zulässigen Spannungen<br />
im Material bestimmt werden. Beim Vergleich der C-Stähle fällt der Unterschied recht gering aus (Tabelle 1),<br />
aber bei den austenitischen Edelstahlbeispielen sind die zulässigen Spannungen nach EN 13480 trotz der<br />
höheren Streckgrenzen erheblich geringer, die Resultate für 400 °C Betriebstemperatur sind in Tabelle 2 jeweils<br />
dargestellt.<br />
Tabellen 1&2. Beispiele für Materialien und Festigkeitskennwerte von C-Stählen und austenitischen Edelstählen (unten)<br />
6 Auslegung und Berechnung<br />
Bei den Regelwerken, die hier verglichen werden, sind die Auslegungskonzepte mittels Berechnungsformeln<br />
jeweils vergleichbar, jedoch in den Details verschieden. In der Praxis wird sich der Hersteller mit den jeweils<br />
zutreffenden Formeln beschäftigen müssen und dann die erforderlichen Berechnungen erstellen. Auf die einzelnen<br />
Formeln einzugehen würde hier zu weit führen. Wir haben allerdings jeweils eine DN150 Leitung für<br />
8<br />
<strong>DVS</strong> 392
8MPa Auslegungsdruck gerechnet. Die ermittelten Mindestwandstärken für je zwei Beispiele sind in Bild 2<br />
dargestellt. Während für 100 °C und C-Stahl die Unterschiede sehr gering ausfallen, sind aufgrund der verschiedenen<br />
Berechnungskennwerte die Ergebnisse für eine austenitische Rohrleitung sehr verschieden.<br />
An dieser Stelle ist noch anzumerken, dass die ASME B31.12 für Hochdruckwasserstoff bei nicht-austenitischen<br />
Stählen einen Beiwert einführt, der in die Berechnung einfließt. Dieser Beiwert Mf führt bei hohen Drücken<br />
und hohen Materialfestigkeiten zu einer erheblich größeren Wanddicke als nach den anderen betrachteten<br />
Normen. Immerhin wird damit der mögliche Einfluss von Wasserstoff bei hohem Druck mit in die Auslegung<br />
eingebracht. Die Verfasser halten das für eine Stärke der B31.12. Tabelle 3 zeigt die Berechnung, der Faktor<br />
von 0,99 bei 8MPa Druck hat noch keinen erheblichen Einfluss auf das Ergebnis.<br />
Tabelle 3. Berechnungsbeispiele für C-Stahl<br />
B36.10<br />
6NPS, DN150, 8MPa, Wasserstoffleitungen<br />
SCH 160 SCH XS (80) SCH STD Min.<br />
9,6<br />
6,22<br />
15,98<br />
EN, 1.4301, 400°C<br />
B31.12, 304, 400°C<br />
B31.3, 304, 400°C<br />
EN, P235 GH, 100°C<br />
B31.12, A106B, 100°C<br />
B31.3, A106B, 100°C<br />
7,71<br />
6,11<br />
6,11<br />
4,95<br />
4,82<br />
4,77<br />
0 2 4 6 8 10 12 14 16<br />
Bild 2. Vergleich der berechneten Mindestwanddicken (mm) für Rohrleitungen nach ASME B31.3, B31.12 und EN13480<br />
<strong>DVS</strong> 392 9
7 Prüfung und Druckprobe<br />
Im Hinblick auf Fertigung, Schweißen, Wärmebehandlung und Toleranzen sind vielfältigen Unterschiede zwischen<br />
den drei verglichenen Normen erkennbar. An dieser Stelle würde eine Auflistung der Details den Rahmen<br />
sprengen. Die Anwender sollen bitte unbedingt die Norm genau lesen, die im Projekt spezifiziert ist. Die<br />
Hoffnung, es werde schon keine großen Unterschiede geben, wird auf jeden Fall enttäuscht. Die Unterschiede<br />
gehen zum Teil bis hin zur Unvereinbarkeit.<br />
ASME B31.12 hat als wirkliche Besonderheit viele bekannte Probleme von Wasserstoff als Medium in den<br />
Fertigungsparagrafen berücksichtigt. Abzweige erfordern volltragende Anschlüsse, Vorwärmung vor dem<br />
Schweißen oder Glühen von kalt umgeformten Bereichen sind schöne Beispiele, wie der Anwender hier vor<br />
Problemen bewahrt wird. In B31.3, aber auch EN 13480, müssen viele dieser Besonderheiten für Druckwasserstoff<br />
noch separat bei der Auslegung spezifiziert werden. Damit gehen immer Risiken und Mehrkosten<br />
einher, auf jeden Fall aber besondere Prüfpunkte bei der Abnahme der Rohrleitungen.<br />
Im Hinblick auf die geforderte zerstörungsfreie Prüfung sind ebenfalls erhebliche Unterschiede zwischen den<br />
Normen festzustellen. Für unsere Beispiele zeigt Bild 3 die jeweiligen Prüfumfänge an Sichtprüfung (VT), volumetrischer<br />
(RT/UT), Oberflächenrissprüfung (PT/MT) und Härtemessungen (HT). Letztere machen einen<br />
erheblichen Unterschied bei den Prüfkosten für Rohrleitungen aus nicht-austenitischen Werkstoffen unter<br />
ASME B31.12 aus. In unserem Projektvergleich wurden symbolische Prüfkosten definiert; natürlich sind im<br />
Projekt viele Einflussfaktoren festzustellen, die wir hier außer Acht gelassen haben.<br />
Die Leser seien jedoch gewarnt, alle Normen haben ihre Besonderheiten hinsichtlich der Personalqualifikation,<br />
Prüfanweisungen, Beleuchtungsbedingungen und Akzeptanzkriterien. VT ist nicht gleich VT in einer anderen<br />
Norm, wir gehen an dieser Stelle aber nicht auf die Einzelheiten ein.<br />
€5.000<br />
€4.500<br />
€4.000<br />
€3.500<br />
€3.000<br />
€2.500<br />
€2.000<br />
€1.500<br />
€1.000<br />
€500<br />
€-<br />
Prüfkosten Musterleitung<br />
120 Nähte<br />
CS 100°C 304 400°C<br />
ASME B31.3 EN13480 ASME B31.12<br />
Norm<br />
EN13480<br />
Kat. III<br />
bei e n<br />
> 15<br />
mm<br />
ASME B31.3<br />
Normal Fluid<br />
341.4.1<br />
ASME B31.12<br />
Hydrogen IP<br />
über #150<br />
Umfangsnähte<br />
(Rund und<br />
Gehrung)<br />
100%VT<br />
10%RT/UT<br />
VT 100%<br />
RT or UT 5%<br />
(oder 344.7)<br />
VT 100%<br />
RT/UT 10%<br />
HT: 20%<br />
(nicht P 8)<br />
Stutzen<br />
VT 100%<br />
MT/PT 10%<br />
UT/RT 10%<br />
VT 100%<br />
VT 100%<br />
PT/MT:<br />
20%<br />
HT: 20%<br />
(nicht P 8)<br />
Bild 3. Vergleich der Prüfumfänge für Rohrleitungen nach ASME B31.3, B31.12 und EN13480 und ein Beispiel für Prüfkosten<br />
an zwei Projekten mit je 100 Rund- und 20 Abzweignähten, CS steht hier für A106B/P236GH und 304 für<br />
A312TP304/1.4301. Die Härteprüfungen der B31.12 begründen einen erheblichen Unterschied. In P-No. 8 sind austenitische<br />
Edelstähle zusammengefasst.<br />
Auch hinsichtlich der Schluss- und Druckprüfung sind die verglichenen Normen durchaus unterschiedlich.<br />
Bild 4 zeigt die Ermittlung der Prüfdrücke und jeweils die Ergebnisse für unsere Beispielprojekte. Zwischen<br />
B31.3 und B31.12 zeigen sich hier keine Unterschiede. Bei der austenitischen Variante für 400 °C beträgt der<br />
Prüfdruck dann ca. 15,5 MPa, etwa den doppelten Auslegungsdruck. In dieser Variante beträgt der Prüfdruck<br />
nach EN 13480 dann fast 20 MPa. Dagegen ist der Unterschied für die Leitungen aus Kohlenstoffstahl für<br />
100°°C nicht wirklich erheblich. Ein interessantes Resultat.<br />
10<br />
<strong>DVS</strong> 392
Bild 4. Prüfdrücke der Beispielprojekte. In schwarz die Rohrleitung aus A-312TP304/1.4301 für 400 °C, in blau das Projekt<br />
für 100 °C aus A106 B / P235GH. Alle Beispiele für 8MPa Auslegungsdruck berechnet.<br />
Schrifttum<br />
[1] DIN EN 13480: 2017 – Teil 1 bis Teil 8, Beuth Verlag, Berlin, 2017<br />
[2] ASME B31.3-2022: Process Piping, Hrsg: ASME, New York, 2023<br />
[3] Europäische Druckgeräterichtline (PED): 2014/68/EU. 2014. Druckgeräterichtlinie. s.l.: Amtsblatt der Europäischen<br />
Union, 2014.<br />
[4] Pressure Equipment Safety Regulation (PE(S)R), https://www.hse.gov.uk/pressure-systems/pesr.htm,<br />
31.10.2023<br />
[5] National Board Synposis: www.nationalboard.org/ViewAllSynopses.aspx, 31.10.2023<br />
[6] ASME B31.12-2019: Hydrogen Piping and Pipelines, Hrsg: ASME, New York, 2019<br />
<strong>DVS</strong> 392 11
Umstellung von Erdgasröhrenspeichern auf die Nutzung mit<br />
Wasserstoff<br />
G. Stadie, C. Mayer, Köln<br />
Neben der Umstellung von Gastransportleitungen und Gasverteilnetzen stellt sich im Rahmen der Dekarbonisierung<br />
auch die Frage, ob die bestehenden Erdgasspeicher auch eine weitere Verwendung finden können.<br />
Im Rahmen dieses Papers werden anhand eines Erdgasröhrenspeichers die Möglichkeit und die notwendigen<br />
Schritte für eine Umstellung auf die Speicherung von Wasserstoff erörtert.<br />
1 Einleitung<br />
Vor dem Hintergrund der Dekarbonisierung der Energieversorgung ist neben dem Ausbau der erneuerbaren<br />
Energien auch der Ausbau einer Wasserstoffinfrastruktur vorgesehen [1]. Beim geplanten Ausbau der Windund<br />
Photovoltaikstromerzeugung sind größere Speicherpotentiale erforderlich, da die Energieerzeugung mit<br />
Hilfe von Wind und Sonnenenergie naturbedingt Schwankungen unterliegt. Um ein Herunterregeln der erneuerbaren<br />
Energiegewinnung zu vermeiden, kann beispielsweise die Energie zur Erzeugung von Wasserstoff<br />
genutzt werden. Wenn dieser nicht direkt genutzt werden kann, muss er zwischengespeichert werden. Dazu<br />
könnten ggf. bereits bestehende Gasspeicher genutzt werden.<br />
Tendenziell lassen sich die aktuellen Erdgasspeicher in drei Kategorien einteilen: Kavernenspeicher, Porenspeicher<br />
und Röhrenspeicher. Kavernen- und Porenspeicher sind Untertagespeicher und werden für die Langzeitspeicherung<br />
von Erdgas verwendet. Erdgasröhrenspeicher bestehen aus eingeerdeten parallel-mäanderförmig<br />
aneinandergereihten Rohrleitungen. Sie werden im Wesentlichen für kurzfristige Lastspitzenabdeckung<br />
verwendet, da ihr Inhalt schnell und in großem Maß verfügbar ist. Die Eignung dieser Röhrenspeicher für die<br />
Verwendung mit Wasserstoff wird in den folgenden Kapiteln näher betrachtet.<br />
2 Änderungen durch die Änderung des Betriebsmediums<br />
Für das Vorgehen bei der Änderung des Betriebsmediums von Erdgas auf Wasserstoff bestehen gut regelte<br />
Abläufe für Transportleitungen [2] und Verteilnetze [3]. Für Röhrenspeicher, die im Wesentlichen aus Rohren<br />
bestehen, kann analog vorgegangen werden. Jedoch unterscheiden sich die auftretenden Belastungen und<br />
Randbedingungen eines Röhrenspeichers von den Betriebsparametern einer typischen Transportleitung. Bei<br />
der Speicherung ist eine deutlich höhere Anzahl von Lastwechseln anzunehmen, die aus dem Bestreben einer<br />
möglichst wirtschaftlichen Nutzung des Speichers resultiert. Um diesem Rechnung zu tragen, wird z. B. eine<br />
Rissfortschrittsberechnung, siehe Kapitel 4, durchgeführt.<br />
Um den Anforderungen insbesondere auf den mechanischen Zustand des Speichers gemäß BetrSichV [4]<br />
gerecht zu werden, müssen hier zusätzlich die mit Wasserstoff einhergehen könnenden Schädigungsmechanismen,<br />
wie Risswachstum durch geeignete Prüfkonzepte, berücksichtigt werden. Für eingeerdete Röhrenspeicher<br />
muss daher im Rahmen der Prüfung der Umstellung auch ein geeignetes Prüfkonzept erstellt werden.<br />
Durch die Erdverlegung müssen für die äußere Prüfung gemäß BetrSichV Ersatzmaßnahmen definiert werden.<br />
Da die verbauten Rohrbögen eine innere Prüfung mittels UT oder MFL-Inspektionsmolch meistens verhindert,<br />
müssen auch hier Ersatzmaßnahmen definiert werden, um potenzielle Schadensentwicklungen rechtzeitig<br />
erkennen zu können.<br />
3 Materialeignung für Wasserstoff<br />
Bei den typischerweise eingesetzten Stählen in Röhrenspeichern besteht potenziell die Gefahr einer Versprödung<br />
des Materials und damit eines beschleunigten Risswachstums. Dies ist sowohl bei der Eignung der<br />
Werkstoffe also auch bei der bruchmechanischen Bewertung, siehe Kapitel 4, zu berücksichtigen.<br />
Für die Bewertung der Eignung der Werkstoffe enthält z. B. AD 2000 S2 Informationen [5]. Hier ist allerdings<br />
der Anwendungsbereich auf Werkstoffe mit einer Mindeststreckgrenze bis 500 MPa beschränkt. Da aber auch<br />
Röhrenspeicher aus Rohren mit größeren Streckgrenzen, z. B. X80/L555, existieren, muss auf andere Mittel<br />
zur Werkstofftauglichkeit zurückgegriffen werden. Viele Werkstoffe wurden bereits im Forschungsvorhaben<br />
SyWest H2 [6] des DVGW untersucht. Der Forschungsbericht kann als Erkenntnisquelle für die am häufigsten<br />
verwendeten Stähle herangezogen werden. Bei unzureichender Informationslage über die Werkstoffe sind die<br />
notwendigen Werkstoffkennwerte experimentell unter Wasserstoffatmosphäre zu ermitteln, um die Eignung<br />
des Werkstoffes nachzuweisen. Hierbei ist es von Vorteil, wenn Material z. B. aus der Bauphase noch vorhanden<br />
ist.<br />
12<br />
<strong>DVS</strong> 392
4 Bruchmechanische Bewertung<br />
Die bruchmechanische Bewertung soll zeigen, ob in dem betrachteten Bauteil Risswachstum auftreten kann<br />
und falls dieses der Fall sein sollte, wie viele Lastwechsel bis zum Versagen möglich sind. Vor allem das<br />
Zusammenspiel von Material, Speichermedium und Betriebslastwechselhäufigkeiten ist für eine Abschätzung<br />
der sicheren Betriebsdauer von großer Wichtigkeit. Des Weiteren ist es im speziellen Fall von eingeerdeten<br />
Erdgasröhrenspeichern sinnvoll, die auftretenden Spannungen rechnerisch zu erfassen, da so auch Stellen<br />
identifiziert werden können, die z. B. im Zuge der wiederkehrenden Prüfungen sinnvoll überwacht werden<br />
könnten.<br />
4.1 FE-Analyse des Spannungszustands<br />
Für die bruchmechanische Bewertung müssen möglichst detaillierte Informationen über den Spannungszustand<br />
vorliegen. Im Gegensatz zu Gastransportleitungen sind die Spannungszustände komplexer, da sich z.<br />
B. im Bereich von Böden (Krempe) und Stutzen mehrachsige Spannungszustände einstellen (Bild 1). Die<br />
genauen Spannungsverläufe unter Berücksichtigung aller Lasten sollten mittels Finite-Elemente-Berechnungen<br />
ermittelt werden. Die einzelnen Spannungsanteile können dann zur Berechnung des Spannungsintensitätsfaktors<br />
genutzt werden. Es bietet sich z. B. bei komplexen Belastungszuständen auch an, den Spannungsintensitätsfaktor<br />
direkt mit FE zu bestimmen und als Eingangsgröße für bruchmechanische Bewertungen zu<br />
verwenden. Für die Analyse von potenziellen Rissen im Schweißnahtbereich sollten auch Schweißeigenspannungen<br />
– als Sekundärspannungen – mitberücksichtigt werden, siehe auch Zerbst, U.[7]<br />
Bild 1. Exemplarischer Verlauf der von Mises-Vergleichsspannung im Bereich eines Stutzens und eines Bodens<br />
4.2 Rissfortschrittsberechnung<br />
Für die Berechnung muss die Geometrie des Anfangsfehlers angenommen. Wenn vorhanden, können ermittelte<br />
Fehler aus der Zustandsbewertung der Anlage verwendet werden. Andernfalls müssen sinnvolle Annahmen<br />
getroffen werden: Es können z. B. auf die bei der Errichtung zugrunde gelegten Normen zurückgegriffen<br />
und die dort angegebenen maximal zulässigen Schweißnahtfehlerabmessungen verwendet werden.<br />
Eine vollständige erneute zerstörungsfreie Prüfung eines Erdgasröhrenspeichers ist nicht möglich, da in der<br />
Regel keine Molchbarkeit gegeben und ein Freilegen des gesamten Speichers im Regelfall unwirtschaftlich<br />
für die Projektumsetzung ist.<br />
Gemäß DVGW G464 [8] können für die bruchmechanische Analyse rissartige Fehler auf der Rohrinnenseite<br />
mit einer Tiefe von 5 % bzw. 10 % der Wanddicke und einer Länge von 50 mm angesetzt werden.<br />
Mit den Abmessungen des Anfangsfehlers, den Abschätzungen der Spannungszustände aus der FE- Analyse<br />
und dem angestrebten zukünftigen Lastkollektiv für die Gesamtanlage kann die Berechnung durchgeführt werden.<br />
Im Folgenden werden anstelle des Kollektives zur Vereinfachung nur Volllastwechsel betrachtet.<br />
In Bild 2 ist das Ergebnis einer Rissfortschrittsberechnung bis zur kritischen Risstiefe akrit für den Fall Speicherung<br />
von Wasserstoff (blau) bzw. Speicherung von Methan (orange) dargestellt. Es wurden folgende Parameter<br />
verwendet:<br />
<strong>DVS</strong> 392 13
Tabelle 1. Berechnungsparameter – Beispiel Rohrleitung<br />
Größe:<br />
Verwendeter Wert<br />
Außendurchmesser<br />
DN1400<br />
Wanddicke<br />
21,6mm<br />
Material<br />
X80<br />
Volllastwechsel<br />
0 bar – 100bar<br />
Rissgeometrie<br />
Halbelliptischer innenliegender Oberflächenriss<br />
Anfangsrisstiefe<br />
a=1mm<br />
Anfangsrisslänge<br />
2c=50mm<br />
Bild 2. Risswachstum bei Volllastwechseln von 0 bis 100 bar<br />
Unter Luft / Methanatmosphäre (orangefarbige Linie in Bild 2) tritt hier kein Risswachstum auf und die kritische<br />
Risstiefe wird somit nicht erreicht. Unter Wasserstoffatmosphäre (blaue Linie in Bild 2) wird die kritische Risstiefe<br />
von 6,8 mm nach 354 Volllastwechseln erreicht. Dabei ist zu beachten, dass das in DVGW G 464 vorgeschlagenen<br />
Bewertungsverfahren eine maximal zulässige rechnerische Risstiefe von 4,5 mm ergibt. Damit<br />
wird die zugehörigen zulässige Lastwechselzahl von 319 bestimmt. Nach 1/5 dieser Lastwechselzahl ist gemäß<br />
DVGW G464 Regelwerk eine Überprüfung erforderlich. Das bedeutet in diesem Fall nach hier ca.<br />
63 Lastwechseln. Dieses wäre für den Betrieb des Röhrenspeichers vermutlich nicht wirtschaftlich. Daher wird<br />
im Folgenden der Einfluss der unteren Entleerungsgrenze untersucht.<br />
Wenn der Speicher nicht bis 0 bar, sondern nur bis zu einem minimalen Druck pmin entleert wird, erhöht sich<br />
die zulässige Lastspielzahl und auch das entsprechende Prüfintervall (Bild 3). Gleichzeitig reduziert sich damit<br />
allerdings das effektiv nutzbare Speichervolumen, was für die wirtschaftliche Nutzung des Speichers für den<br />
Betrieb mit Wasserstoff zu berücksichtigen ist.<br />
Bild 3. Zulässige Lastwechsel als Funktion des minimalen Betriebsdrucks bei einem maximalen Druck von 100 bar<br />
(10MPa).<br />
14<br />
<strong>DVS</strong> 392
Es zeigt sich, dass wenn man anstelle einer Entleerung auf 0 bar, eine Entleerung auf 40 bar durchführen<br />
wurde, sich die Lastspielzahl von 319 auf über 3000 erhöht.<br />
4 Fazit<br />
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass eine Speicherung von Wasserstoff als Spitzenlastabdeckung<br />
sowie als Ausgleich für die volatile Energiegewinnung durch Wind- und Sonnenenergie notwendig ist.<br />
Herausforderungen stellen sich bei Nutzung der bisherigen Erdgasspeichersystemen, wie dem hier betrachteten<br />
Röhrenspeicher. Hierbei spielen einerseits die Betriebsweise und die daraus resultierenden Lastwechsel<br />
eine Rolle und anderseits die Herausforderungen bei der Bewertung des aktuellen Ist-Zustandes (z. B. Anfangsrissgeometrie).<br />
Um fundierte Aussagen über die Lebensdauer eines Erdgasröhrenspeichers unter Verwendung von Wasserstoff<br />
zu treffen, kann die Bruchmechanik herangezogen werden. Durch Zuhilfenahme von FE-Berechnungen<br />
können kritische Stellen und deren Spannungszustände ermittelt werden und als Eingangsgröße für Risswachstumsrechnung<br />
verwendet werden. Zusätzlich sind die wasserstoffspezifischen Materialparameter von<br />
essenzieller Bedeutung.<br />
Während bei Rohrleitungen oftmals eine intelligente Molchung das Mittel der Wahl ist, um die IST-Zustandsanalyse<br />
zu untermauern, sind erdverlegte Erdgasröhrenspeicher nicht für diese Untersuchungsmethode<br />
geeignet. Je nach geplantem Betriebsmodus des Speichers müssen jedoch Fehler und Defekte an den<br />
verlegten Rohrleitungen ausgeschlossen werden, damit erstens die Berechnungen auf richtigen Annahmen<br />
beruhen und zweitens ein sicherer Betrieb über einen festgelegten Zeitraum gewährleistet werden kann.<br />
Hierzu ist es erforderlich, ein Prüfkonzept zu entwickeln, das dieses berücksichtigt.<br />
Schrifttum<br />
[1] Europäische Kommission: „Fit für 55“: auf dem Weg zur Klimaneutralität – Umsetzung des EU‐Klimaziels<br />
für 2030, COM (2021) 550 final, 14.07.2021<br />
[2] DVGW: Umstellung von Gashochdruckleitungen aus Stahlrohren für einen Auslegungsdruck von mehr<br />
als 16 bar für den Transport von Wasserstoff, Technischer Hinweis – Merkblatt DVGW G 409, 2020<br />
[3] DVGW: Umstellung von Gasleitungen aus Stahlrohren bis 16 bar Betriebsdruck für die Verteilung von<br />
wasserstoffhaltigen methanreichen Gasen und Wasserstoff, Technische Regel – Merkblatt DVGW<br />
G 407, 2022<br />
[4] Bundesministerium für Justiz, Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Verwendung<br />
von Arbeitsmitteln (Betriebssicherheitsverordnung - BetrSichV) Anhang 2 Abschnitt 4 Druck<br />
[5] TÜV Verband: Berechnung auf Wechselbeanspruchung, AD2000-Merkblatt S2, 2012<br />
[6] Steiner, M.; Marewski, U.; Silcher H.: DVGW-Projekt SyWeSt H2: Stichprobenhafte Überprüfung von<br />
Stahlwerkstoffen für Gasleitungen und Anlagen zur Bewertung auf Wasserstofftauglichkeit, Forschungsbericht<br />
G 202006, DVGW, 01/2023<br />
[7] Zerbst, U.: Application of fracture mechanics to welds with crack origin at the weld toe—a review. Part 2:<br />
welding residual stresses. Residual and total life assessment, Welding in the World, 2020<br />
[8] DVGW: Bruchmechanisches Bewertungskonzept für Gasleitungen aus Stahl mit einem Auslegungsdruck<br />
von mehr als 16 bar für den Transport von Wasserstoff, Technischer Hinweis – Merkblatt DVGW<br />
G 464, 2023<br />
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