SB_21543BGLP
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2023<br />
Abschlussbericht<br />
DVS-Forschung<br />
Verhalten der Haftreibungszahl<br />
in<br />
vorgespannten<br />
Verbindungen bei<br />
dynamischschlagartiger<br />
Beanspruchung im<br />
Schienenfahrzeugbau
Verhalten der Haftreibungszahl<br />
in vorgespannten Verbindungen<br />
bei dynamisch-schlagartiger<br />
Beanspruchung im<br />
Schienenfahrzeugbau<br />
Abschlussbericht zum Forschungsvorhaben<br />
IGF-Nr.: 21.543 BG<br />
DVS-Nr.: 09.3388<br />
Technische Universität Clausthal<br />
Institut für Schweißtechnik und Trennende<br />
Fertigungsverfahren<br />
Fraunhofer-Gesellschaft e.V.<br />
Fraunhofer-Institut für Großstrukturen<br />
in der Produktionstechnik<br />
Förderhinweis:<br />
Das IGF-Vorhaben Nr.: 21.543 BG / DVS-Nr.: 09.3388 der Forschungsvereinigung<br />
Schweißen und verwandte Verfahren e.V. des DVS, Aachener Str. 172, 40223 Düsseldorf,<br />
wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen<br />
Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie aufgrund<br />
eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek<br />
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen<br />
Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind online abrufbar<br />
unter: http://dnb.dnb.de<br />
© 2023 DVS Media GmbH, Düsseldorf<br />
DVS Forschung Band 582<br />
Bestell-Nr.: 170692<br />
Kontakt:<br />
Forschungsvereinigung Schweißen<br />
und verwandte Verfahren e.V. des DVS<br />
T +49 211 1591-0<br />
F +49 211 1591-200<br />
forschung@dvs-hg.de<br />
Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch die der Übersetzung in andere Sprachen, bleiben<br />
vorbehalten. Ohne schriftliche Genehmigung des Verlages sind Vervielfältigungen, Mikroverfilmungen und die<br />
Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen nicht gestattet.
Schlussbericht vom 08.12.2023<br />
zu IGF-Vorhaben Nr. 21543 BG<br />
Thema<br />
Verhalten der Haftreibungszahl in vorgespannten Verbindungen bei dynamisch-schlagartiger<br />
Beanspruchung im Schienenfahrzeugbau<br />
Berichtszeitraum<br />
01.01.2021 - 31.08.2023<br />
Forschungsvereinigung<br />
Forschungsvereinigung Schweißen und verwandte Verfahren e. V. des DVS<br />
Forschungseinrichtung(en)<br />
1 TU Clausthal<br />
Institut für Schweißtechnik und Trennende Fertigungsverfahren ISAF<br />
2 Fraunhofer-Gesellschaft e. V.<br />
Fraunhofer-Institut für Großstrukturen in der Produktionstechnik IGP
Seite 5 des Schlussberichts zu IGF-Vorhaben 21.543 B<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
Zusammenfassung ..................................................................................................................... 3<br />
Summary .................................................................................................................................... 3<br />
Danksagung und Förderhinweis ................................................................................................. 4<br />
Inhaltsverzeichnis ....................................................................................................................... 5<br />
Abbildungsverzeichnis ................................................................................................................ 7<br />
Tabellenverzeichnis .................................................................................................................... 8<br />
Abkürzungs- und Formelzeichenverzeichnis .............................................................................. 9<br />
1 Wissenschaftlich-technische und wirtschaftliche Problemstellung ..................................... 11<br />
2 Stand der Technik und Forschung .................................................................................... 13<br />
2.1 Gleitkraftversuche ...................................................................................................... 13<br />
2.2 Hochgeschwindigkeitszugversuche ........................................................................... 15<br />
2.3 Gleitkraftversuche mit erhöhten Versuchsgeschwindigkeiten ..................................... 16<br />
3 Experimentelle Untersuchungen ....................................................................................... 17<br />
3.1 Versuchsvorbereitung ................................................................................................ 18<br />
3.1.1 Herstellung und Kalibrierung der Messbolzen und Dehnmesshülsen ..................... 18<br />
3.1.2 Mechanische Eigenschaften und chemische Zusammensetzung der<br />
Bauteilwerkstoffe .................................................................................................... 19<br />
3.1.3 Oberflächenrauheit ................................................................................................. 21<br />
3.1.4 Schichtdickenmessung ........................................................................................... 21<br />
3.2 Untersuchung zur Übertragbarkeit der Ergebnisse der unterschiedlichen<br />
Prüfkörper (Versuchskomplex 0) ................................................................................ 21<br />
3.2.1 Untersuchungsgegenstand und Versuchsprogramm .............................................. 22<br />
3.2.2 Versuchsaufbau und -durchführung ....................................................................... 23<br />
3.2.3 Versuchsergebnisse und Auswertung .................................................................... 23<br />
3.3 Untersuchung zur Geschwindigkeitsabhängigkeit des Haftreibungskoeffizienten<br />
(Versuchskomplex I – V) ............................................................................................ 26<br />
3.3.1 Untersuchungsgegenstand und Versuchsprogramm .............................................. 26<br />
3.3.2 Versuchsaufbau und -durchführung ....................................................................... 28<br />
3.3.3 Versuchsergebnisse und Auswertung .................................................................... 30<br />
3.4 Untersuchung zur Geschwindigkeitsabhängigkeit des Haftreibungskoeffizienten<br />
mit schwingender Vorbelastung (Versuchskomplex VI & VII) ..................................... 32<br />
3.4.1 Untersuchungsgegenstand und Versuchsprogramm .............................................. 33<br />
3.4.2 Versuchsaufbau und -durchführung ....................................................................... 33<br />
3.4.3 Versuchsergebnisse und Auswertung .................................................................... 34<br />
3.5 Vergleichsuntersuchung zum Haftreibungskoeffizienten ............................................ 36<br />
4 Diskussion und Bewertung der Ergebnisse ....................................................................... 39
Seite 6 des Schlussberichts zu IGF-Vorhaben 21.543 B<br />
5 Berechnungsbeispiel ......................................................................................................... 41<br />
6 Zusammenfassung und Ausblick ....................................................................................... 44<br />
7 Wissenschaftlich-technischer und wirtschaftlicher Nutzen insbesondere für KMU ............. 45<br />
8 Verwendung der Zuwendung ............................................................................................ 46<br />
9 Notwendigkeit und Angemessenheit der geleisteten Arbeit ............................................... 47<br />
10 Transfer der Forschungsergebnisse .................................................................................. 48<br />
11 Einschätzung der Realisierbarkeit des Transferkonzeptes ................................................ 50<br />
12 Quellenverzeichnis ............................................................................................................ 51<br />
Anhang ..................................................................................................................................... 53
Seite 11 des Schlussberichts zu IGF-Vorhaben 21.543 B<br />
1 Wissenschaftlich-technische und wirtschaftliche<br />
Problemstellung<br />
In Deutschland betrug der gesamte jährliche Anteil an Treibhausgas-Emissionen des Schienenverkehrs<br />
im Jahr 2016 weniger als 0,4 %. Im Vergleich dazu verursachte der Straßenverkehr in<br />
diesem Zeitraum fast 17,0 % der Treibhausgase. Damit liefert der Schienenfahrzeugverkehr einen<br />
entscheidenden Beitrag zum Klimaschutz bei gleichzeitiger Gewährleistung der Mobilität [1,<br />
2]. Aufgrund des verschärften internationalen Wettbewerbs sind Schienenfahrzeughersteller bestrebt,<br />
technische Lösungen mit einem hohen Maß an Flexibilität in der Fahrzeugmontage und<br />
Instandhaltung zu erreichen. Für eine Wartung sind hierfür auch der Austausch von Ausrüstungsund<br />
Anbauteilen zwingend zu gewährleisten. Das Fügeverfahren der Wahl stellt hier das Schrauben<br />
mit vorspannbaren Verbindungselementen dar, da dieses eine einfache und schnelle Montage<br />
und Demontage jeglicher Bauteile und Baugruppen gewährleistet [2]. Die Wagenkonstruktion<br />
sowie die an ihr befestigten Bauteile müssen grundsätzlich nach festgelegten Lastannahmen<br />
dimensioniert und ausgelegt werden [3]. Die in der Berechnung zu berücksichtigenden Lasten<br />
anhand auftretender Beschleunigungen sind u. a. durch die DIN EN 12663-1 [4] festgeschrieben.<br />
Nach dieser Norm erfolgt die Einteilung der Schienenfahrzeuge in verschiedene Kategorien (Tabelle<br />
2).<br />
Tabelle 2: Beschleunigung in x-Richtung für Befestigung der Ausrüstungsgegenstände [4]<br />
Schienenfahrzeug Lokomotive Personenfahrzeuge Güterwagen<br />
Kategorie L P-I P-II P-III P-IV P-V F-I F-II<br />
Beschleunigung in x 3 g 5 g 3 g 3 g 2 g 2 g 5 g<br />
Für den Festigkeitsnachweis geschraubter Verbindungen zur Befestigung von Ausrüstungsgegenständen<br />
sind die mit den Beschleunigungen verbundenen Lastfälle laut Tabelle 2 ausschlaggebend.<br />
Im Betrieb, zum Beispiel beim Rangieren und Ankoppeln, aber auch beim Umsetzen,<br />
treten stoßartige Belastungen auf. Diese können als transient bzw. schlagartig-dynamisch angenommen<br />
werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass im Schienenfahrzeugbau der überwiegende<br />
Anteil an Verschraubungen (Risikoklasse H und M [5]) als reibschlüssig tragend ausgelegt wird.<br />
Somit darf im Betrieb zu keinem Zeitpunkt eine Relativbewegung (Schlupfen, Gleiten) zwischen<br />
den Schrauben und/oder den verspannten Teilen auftreten [6]. In Konsequenz bedeutet dies,<br />
dass auch bei schlagartig-dynamischen Belastungen von bis zu 5 g (Tabelle 2) der Reibschluss<br />
in der Scherfuge der geschraubten Verbindung zwingend aufrecht erhalten werden muss!<br />
Ein Beispiel hierzu ist in Bild 1 ersichtlich. Für eine Fahrgast-Klimaanlage mit einem Eigengewicht<br />
von m = 662 kg muss bei einem 3 g-Stoß nach Tabelle 2 demzufolge eine resultierende Querkraft<br />
von F Q res = 19,5 kN reibschlüssig übertragen werden.
Seite 12 des Schlussberichts zu IGF-Vorhaben 21.543 B<br />
Bild 1: Fahrgast-Klimaanlage als Anbauelement im Schienenfahrzeugbau<br />
Der rechnerische Tragsicherheitsnachweis ist dann erfüllt, wenn nach Gleichung (1-1) die einwirkende<br />
resultierende Querkraft F Q res stets kleiner als die Grenzgleitkraft F Q zul µ ist und somit<br />
eine Relativbewegung in der Scherfuge ausbleibt [7]. Die Grenzgleitkraft ist dabei abhängig vom<br />
minimalen Haftreibungskoeffizienten in der Trennfuge µ T min und der minimalen Restklemmkraft<br />
F KR min.<br />
F Q res ≤ F Q zul µ = µ T min ∙ F KR min /S G (1-1)<br />
Da die Festigkeitsklassen oberhalb 10.9 im Schienenfahrzeugbau kaum Anwendung finden, lässt<br />
sich die minimale Restklemmkraft F KR min nur durch Anhebung des Nenndurchmessers erhöhen.<br />
Dies führt jedoch eine Reihe wirtschaftlicher und konstruktiver Nachteile mit sich. Zum einen sind<br />
für größere Nenndurchmesser entsprechende Montagewerkzeuge und demzufolge vergrößerter<br />
Bauraum und angepasste Zugänglichkeiten notwendig. Zum anderen nehmen mit steigendem<br />
Nenndurchmesser die Loch- und Randabstände sowie die Klemmpaketdicken zur Einhaltung der<br />
vorgeschriebenen Klemmlängen-Durchmesser-Verhältnisse (l k/d = 3 … 5 [6]) zu. Dies führt wiederum<br />
zu zusätzlichen Exzentrizitäten und Biegebeanspruchungen der Anschlusskonstruktion<br />
und natürlich ebenfalls zu zusätzlichen Materialkosten und einem Anstieg des Fahrzeuggesamtgewichts.<br />
Aus diesem Grund wird ein möglichst hoher Haftreibungskoeffizient in der Scherfuge µ T min angestrebt.<br />
Zum Tragsicherheitsnachweis wird dieser nach aktuellem Stand der Technik aus vorhandenen<br />
Regelwerken [6, 7] entnommen oder experimentell ermittelt. Da im Schienenfahrzeugbau<br />
im Allgemeinen grundierte Bauteile verschraubt werden, kann nur eine geringer Haftreibungskoeffizient<br />
von µ ≤ 0,15 angesetzt werden. Dabei gilt der Haftreibungskoeffizient bisher als konstante<br />
Größe, unabhängig von der Beanspruchungsgeschwindigkeit.<br />
Im abgeschlossenen EU-Projekt SIROCO wurde jedoch entgegen der bisherigen Annahme eine<br />
Geschwindigkeitsabhängigkeit des Haftreibungskoeffizienten beobachtet [8–10]. Je nach Beschichtung<br />
zeigte sich mit zunehmender Prüfgeschwindigkeit eine Erhöhung bzw. eine Verringerung<br />
des Haftreibungskoeffizienten. Da die in Tabelle 2 beschriebenen Lastfälle maßgebend für<br />
die Dimensionierung sind, wird die Tragfähigkeit der Verbindung somit potenziell nicht ausgenutzt.<br />
Vor diesem Hintergrund widmet sich dieses Vorhaben als wissenschaftlich-technische Problemstellung<br />
der Abhängigkeit des Haftreibungskoeffizienten von der Beanspruchungsgeschwindigkeit.<br />
Dabei werden sowohl quasi-statische als auch im Hochgeschwindigkeitszugversuch (HGZV)<br />
experimentell ermittelte Haftreibungskoeffizienten miteinander verglichen, um somit einen Geschwindigkeitseinfluss<br />
als µ T min = f(ẍ, ẋ) abzuleiten.
Kraft F [kN]<br />
Verschiebung δ<br />
Seite 13 des Schlussberichts zu IGF-Vorhaben 21.543 B<br />
2 Stand der Technik und Forschung<br />
In diesem Kapitel wird das grundsätzliche Vorgehen zur Bestimmung des Haftreibungskoeffizienten<br />
µ nach DIN EN 1090-2 Anhang G [11] detailliert vorgestellt. Da die sogenannten Gleitkraftversuche<br />
jedoch bisher nicht in Verbindung mit Prüfgeschwindigkeiten von bis zu 1 m/s dokumentiert<br />
sind, wird weiterhin auf die Besonderheiten von Hochgeschwindigkeitszugversuchen<br />
eingegangen. Zusätzlich werden die vorliegenden Ergebnisse zum Geschwindigkeitseinfluss auf<br />
den Haftreibungskoeffizienten zusammengefasst.<br />
2.1 Gleitkraftversuche<br />
Ein Verfahren zur Bestimmung von Haftreibungskoeffizienten ist Anhang G der DIN EN 1090-2<br />
[11] geregelt. Diese Verfahrensprüfung besteht aus mehreren Versuchsreihen und wird an normativ<br />
festgelegten Prüfkörpern durchgeführt (siehe Bild 2 - rechts). Dabei muss die Maschinenkraft,<br />
die Verschiebung in den Gleitebenen zwischen den Bolzenachsen sowie die Vorspannkraft<br />
gemessen werden.<br />
Vor dem eigentlichen Vorspannen der Schrauben ist zu beachten, dass die Prüfkörper entgegen<br />
der später eingeleiteten Scherzugkraft zusammengeschoben werden, um somit das maximale<br />
Lochspiel zu nutzen. Anschließend werden die Schrauben vor dem Versuchsbeginn schrittweise<br />
auf ± 5 % des Nennwerts der Vorspannkraft angezogen. Sollte die aktuelle Vorspannkraft vor<br />
Versuchsbeginn unterhalb von 95 % des Nennwerts der nominellen Vorspannkraft infolge möglicher<br />
Setz- und/oder Kriechverformungen fallen, ist ein erneutes Vorspannen der Schrauben erforderlich.<br />
Dabei muss die Vorspannkraft direkt gemessen werden, mit einer Messmethodik, welche<br />
eine Fehlergrenze von maximal ± 4 % aufweist.<br />
3-stufiges Prüfverfahren<br />
<br />
4 quasi-statische<br />
Gleitkraftversuche (GK)<br />
I<br />
Bestimmung von F Si<br />
und Bewertung EKP<br />
<br />
1 Kriechprüfung (KP)<br />
Bestanden:<br />
δ ≤ 0,002 mm<br />
in 3 h KP<br />
II<br />
III<br />
F Si<br />
Überschreiten von<br />
δ = 0,002 mm<br />
<br />
3 erweiterte<br />
Kriechprüfungen (EKP)<br />
0<br />
δ = 0,3 mm<br />
3<br />
2<br />
Log t 1<br />
1<br />
0,15<br />
Verschiebung δ [mm]<br />
Log t 2<br />
Bewertung<br />
der EKP<br />
Lebensdauer<br />
Bild 2: Überblick über das 3-stufige Prüfverfahren (links), Auswertung der Gleitkraftversuche und erweiterten<br />
Kriechprüfungen (mittig), M16-Standardprüfkörper nach DIN EN 1090-2 Anhang G [11] (rechts)<br />
Das Verfahren besteht aus zwei bis drei Versuchskomplexen, welche links in Bild 2 zusammengefasst<br />
sind. Im ersten Teil werden quasi-statische Gleitkraftversuche durchgeführt. Im