Perspektive Nr. 59 Frühjahr 2017
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FernUni <strong>Perspektive</strong> Seite 11<br />
Notfall-Assistenten für die Luftfahrt<br />
Mit ELA sicher zu Boden gleiten<br />
Am 15. Januar 2009 wurde Chesley<br />
B. Sullenberger weltberühmt:<br />
Dem Flugkapitän gelang nach einem<br />
Gleitflug mit seinem Airbus<br />
A320 eine Notwasserung auf dem<br />
Hudson River, nachdem über New<br />
York durch Vogelschlag beide Triebwerke<br />
ausgefallen waren. Alle 155<br />
Menschen an Bord wurden gerettet.<br />
Eine wichtige Hilfe bei diesem Horrorflug<br />
hätte eine neue Entwicklung<br />
sein können, die an der FernUniversität<br />
in Hagen am Lehrgebiet von<br />
Prof. Dr.-Ing. Wolfram Schiffmann<br />
im Rahmen einer Bachelor-Arbeit realisiert<br />
wurde.<br />
Ein Flugassistenzsystem unterstützt<br />
Piloten bei einem totalen Triebwerksausfall<br />
dabei, sicher notzulanden.<br />
Der Emergency Landing Assistant<br />
(ELA) bietet hierfür eine Entscheidungs-<br />
und eine Navigationshilfe,<br />
um das Flugzeug im Gleitflug genau<br />
an den Anfang eines Bereiches<br />
zu steuern, wo eine sichere Notlandung<br />
möglich ist.<br />
Prof. Wolfram<br />
Schiffmann<br />
Jedes Flugzeug kann ohne Triebwerke<br />
im Gleitflug weiterfliegen. Das<br />
Problem ist zunächst, zu entscheiden,<br />
wo im Notfall der beste Landeplatz<br />
ist. ELA sucht ständig Alternativen<br />
bei den nahegelegenen Flugplätzen.<br />
In einer anderen – aktuell<br />
noch laufenden – Abschlussarbeit<br />
soll zusätzlich eine Datenbank weiterer<br />
Notlandeplätze generiert werden.<br />
Zudem berechnet ELA – der im<br />
Rahmen einer Bachelor-Arbeit des<br />
FernUni-Studenten Jürgen Vörding<br />
als App für ein Android-Tablett entwickelt<br />
wurde – den optimalen Energieeinsatz:<br />
Beim Gleitflug geht es<br />
nicht nur um die Entfernung, sondern<br />
auch um Flughöhe und Sinkgeschwindigkeit<br />
bzw. Anflugwinkel.<br />
Prof. Wolfram Schiffmann, der ebenso<br />
wie Vörding Pilot ist: „Wegen der<br />
vielen zu berücksichtigenden Parameter<br />
– zu denen auch die von einem<br />
Sensorsystem ermittelte Windstärke<br />
gehört – sind die Berechnungen<br />
höchst komplex.“<br />
Die Grafik zeigt den Rückweg des Airbus vom Ort des Triebwerkschadens (li. oben)<br />
über Rikers Island zum Flughafen LaGuardia (re. unten), den ELA angezeigt hätte.<br />
Ein Airbus A320 neo<br />
im Steigflug<br />
Foto: Airbus<br />
Wie wichtig die Unterstützung bei<br />
der Entscheidung für einen Notlandeplatz<br />
ist, zeigten die Untersuchungen<br />
nach dem 15. Januar 2009:<br />
„Sullenberger entschloss sich binnen<br />
Sekunden für die Notwasserung. Er<br />
konnte den Hudson sehen, als die<br />
Triebwerke ausfielen. In seiner Situation<br />
eine absolut richtige Entscheidung!<br />
Später ergab sich jedoch, dass<br />
auch die Rückkehr zum Flughafen<br />
LaGuardia in New York möglich gewesen<br />
wäre. Doch dafür fehlten Sullenberger<br />
die Informationen. Unsere<br />
Simulationen zeigten ebenfalls, dass<br />
er dorthin gekommen wäre: ELA<br />
hätte ihm LaGuardia als sichersten<br />
Notlandeplatz vorgeschlagen und<br />
ihn dorthin navigiert.“<br />
Das Navigationssystem kann sogar<br />
mit dem Autopiloten verbunden<br />
werden, dadurch hätte der Pilot<br />
nach der Entscheidung für das<br />
neue Ziel zum Beispiel mehr Zeit für<br />
die Kommunikation mit der Flugsicherung.<br />
Die Landung führt der Pilot<br />
aber wieder selbst durch.<br />
Grundsätzlich eignet sich das System<br />
über den Einsatz in Verkehrsmaschinen<br />
hinaus auch für kleinere Typen<br />
bis hin zu Ultraleichtflugzeugen.<br />
Flugphysik<br />
Wenn ein Flugzeug – bei totalem<br />
Triebwerksausfall – im Gleitflug weiterfliegt,<br />
wird seine potentielle Energie<br />
aufgrund der Höhe in kinetische<br />
Energie zur Erreichung eines Notlandesfeldes<br />
umgewandelt. Die verfügbare<br />
potentielle Energie ist proportional<br />
zur Überhöhung des Flugzeugs<br />
über einem Notlandefeld. Obwohl<br />
ein Flugplatz stets das beste Notlandefeld<br />
darstellt, ist dieser bei zu geringer<br />
Überhöhung nicht immer erreichbar.<br />
Daher wird für eine zukünftige<br />
Version von ELA eine Datenbank<br />
mit Notlandefeldern zweiter Wahl<br />
entwickelt, die anhand von geographischen<br />
Daten erstellt wird. Wichtig<br />
für eine sichere Notlandung ist<br />
die geeignete Einteilung der verfügbaren<br />
potentiellen Energie auf die<br />
Abschnitte der möglichen Gleitpfade<br />
aller in Frage kommenden Notlandefelder.<br />
Sobald die besten Gleitpfade für<br />
die noch erreichbaren Notlandefelder<br />
berechnet sind, werden (in aufsteigender<br />
Reihenfolge) die noch<br />
verbleibenden Zeiten für eine Selektion<br />
der jeweiligen Notlandefelder<br />
dargestellt. Mit sinkender Überhöhung<br />
fallen weiter entfernte, aber<br />
vielleicht höherwertige Notlandefelder<br />
aus dieser Verfügbarkeitsliste heraus.<br />
Der Gleitpfad zum automatisch<br />
oder vom Piloten ausgewählten Notlandefeld<br />
wird zusammen mit der<br />
aktuellen Position angezeigt. Folgt<br />
der Pilot bzw. Autopilot dem vorgegebenen<br />
Pfad, wird er schließlich in<br />
einer geeigneten Höhe am Anfang<br />
der Notlandebahn herauskommen<br />
und braucht dann nur noch auszuschweben.<br />
i<br />
Prof. Schiffmann präsentiert die Entwicklungen seines Lehrgebiets<br />
auf der AERO – Internationale Fachmesse für Allgemeine Luftfahrt<br />
AERO vom 5. bis 8. April auf der Messe Friedrichshafen, Neue Messe<br />
1, 88046 Friedrichshafen.<br />
Aufwinde besser finden<br />
Durch warme Winde nach oben,<br />
nicht durch Motorkraft: Das ist<br />
Grundprinzip des Segelfliegens.<br />
Dafür suchen sich die Pilotinnen<br />
und Piloten von Segelflugzeugen<br />
aufsteigende Luftströmungen. Um<br />
ihnen die Suche nach diesen Aufwinden<br />
zu erleichtern, hat das<br />
Lehrgebiet Rechnerarchitektur von<br />
Prof. Dr.-Ing. Wolfram Schiffmann<br />
an der FernUniversität in Hagen einen<br />
Thermikassistenten für den Segelflug<br />
entwickelt. Mit Hilfe einer<br />
Segelflugzeug-Piloten suchen Thermiken, mit denen sie Höhe gewinnen können.<br />
Foto: Paul Hailday/Wikipedia Commons<br />
sowohl zwei- als auch dreidimensionalen<br />
App können Thermiken automatisiert<br />
erkannt werden, wenn<br />
sie durchflogen werden.<br />
Dafür ist die Kopplung an ein entsprechendes<br />
Messsystem, ein Variometer,<br />
notwendig. Die Apps<br />
wurden in zwei Abschlussarbeiten<br />
entwickelt. „Zahlreiche neue Handys<br />
haben bereits einen Drucksensor<br />
integriert, den wir nutzen<br />
können“, erläutert Prof. Wolfram<br />
Schiffmann. Er präsentiert die Entwicklung<br />
erstmals öffentlich auf<br />
der Internationalen Fachmesse für<br />
Allgemeine Luftfahrt AERO vom 5.<br />
bis 8. April in Friedrichshafen.<br />
Die notwendigen Informationen<br />
über Steigen und Sinken liefert ein<br />
Total EnergieKompensiertes (TEK)<br />
Variometer: Bei mechanischen Variometern<br />
wird dem statischen<br />
Luftdruck, der der Höhenmessung<br />
dient, ein geschwindigkeitsabhängiger<br />
Unterdruck überlagert, so<br />
dass die Höhenänderung in Abhängigkeit<br />
von der Zeit dargestellt werden<br />
kann. Ein Segelflugzeug sinkt<br />
jedoch nur. Ausnahme: Es fliegt in<br />
eine Thermik, deren Steigung größer<br />
ist als das Sinken des Flugzeugs.<br />
Findet ein Pilot eine Thermik, dreht<br />
er das Flugzeug in sie hinein, um<br />
sich kreisförmig in größere Höhe<br />
tragen zu lassen. „Dabei verliert<br />
man jedoch leicht die Orientierung<br />
darüber, wo die Thermik ist“, erläutert<br />
der Professor mit Pilotenschein<br />
für Motorflugzeuge.<br />
Mit einem TEK-Variometer wird bestimmt,<br />
welchen Anteil die Thermik<br />
am Steigen des Segelfliegers hat.<br />
Die hierzu benötigten Gleichungen<br />
hat Prof. Schiffmann dem Dortmunder<br />
Software-Spezialisten AppPilots<br />
GmbH & Co. KG zur Verfügung gestellt,<br />
deren Geschäftsführer Kevin<br />
Beyer selbst Segelflieger ist. AppPilots<br />
hat Schiffmanns Gleichungen<br />
in ein iPhone integriert. „Je länger<br />
das Flugzeug in der Thermik kreist,<br />
desto aussagefähiger ist die Anzeige<br />
auf dem Display und desto besser<br />
das Bild, das sich der Pilot von<br />
der Thermik machen kann. So kann<br />
er sie viel besser ausnutzen, um<br />
nach oben zu kommen“, erläutert<br />
Schiffmann. „Unsere Entwicklung<br />
kann auch für Drohnen und Flugzeuge<br />
genutzt werden. Wir haben<br />
sogar einen Autopiloten entwickelt,<br />
der sie selbstständig ‚hochkurbeln‘<br />
kann.“<br />
Da