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Perspektive Nr. 59 Frühjahr 2017

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Forschung<br />

Seite 8<br />

FernUni <strong>Perspektive</strong><br />

Neuer US-Präsident<br />

Wirtschaftspolitik mit der Brechstange<br />

„Wird Donald Trump die angekündigten<br />

Handelsbarrieren mit<br />

35 Prozent Einfuhrzoll errichten,<br />

die unter anderem auch die deutsche<br />

Automobilindustrie schädigen<br />

könnten? Kann er das überhaupt?“<br />

Noch vor kurzem hätte<br />

Prof. Dr. Hans-Jörg Schmerer seine<br />

eigenen Fragen noch mit einem<br />

klaren „Nein, das ist völlig<br />

utopisch, weil ein rational denkender<br />

Mensch so etwas nie tun würde“<br />

beantwortet. Inzwischen ist er<br />

sich nicht mehr sicher: „Als erste<br />

Amtshandlung hat Trump die Ratifizierung<br />

des TPP-Abkommens per<br />

Erlass gestoppt. Da muss ich mir<br />

schon überlegen, ob er ein rational<br />

handelnder Mensch ist“, bekennt<br />

Prof. Schmerer.<br />

In Gefahr sind zwei, vielleicht sogar<br />

drei Freihandelsabkommen.<br />

Die Transpazifische Partnerschaft<br />

(TTP) von USA, mehreren amerikanischen<br />

und asiatischen Staaten,<br />

Australien und Neuseeland wurde<br />

noch nicht ratifiziert. Das Transatlantische<br />

Freihandelsabkommen<br />

(TTIP) ist ein geplantes Freihandelsund<br />

Investitionsschutzabkommen<br />

i<br />

Prof. Dr. Hans-Jörg Schmerer<br />

ist Inhaber des Lehrstuhls für<br />

Volkswirtschaftslehre, insb. Internationale<br />

Ökonomie, an der<br />

FernUniversität in Hagen. Einer<br />

seiner Forschungsschwerpunkte<br />

ist die Globalisierung,<br />

unter anderem geht es dabei<br />

um deren Auswirkungen<br />

auf Arbeitsmärkte. Ein zweiter<br />

Fokus liegt auf entwicklungsökonomischen<br />

Aspekten des<br />

internationalen Handels und<br />

Chinas Rolle dabei (s. Seite 10).<br />

Prof. Hans-Jörg Schmerer<br />

der Europäischen Union und der<br />

USA. Auch NAFTA, das Nordamerikanische<br />

Freihandelsabkommen<br />

von Kanada, USA und Mexiko, sehen<br />

Fachleute als gefährdet an.<br />

Ein Containerschiff im Hafen von New York<br />

„Wir sind zurzeit in einer Phase der<br />

De-Globalisierung, in Europa wie<br />

in Amerika. Bei der Globalisierung<br />

gibt es natürlich nicht nur Gewinner,<br />

sondern auch Verlierer. Überall<br />

ist die Stimmung ein bisschen gegen<br />

die Globalisierung und damit<br />

auch gegen den Freihandel. Mit<br />

seiner Ankündigung, TPP zu stoppen,<br />

konnte Trump bei der Wahl<br />

am meisten punkten“, so Schmerer.<br />

Jetzt wolle er beweisen, dass<br />

seine Versprechen umsetzbar sind.<br />

„Aber warum soll jetzt Hals über<br />

Kopf die Ratifizierung ohne Diskurs<br />

gestoppt werden?“<br />

Auch im Wahlkampf habe es über<br />

das, was Trump versprochen hatte,<br />

keine Diskussionen gegeben. Jetzt<br />

würden die jahrelangen Verhandlungen<br />

von vorne beginnen. Wenn<br />

überhaupt. Schmerer fragt sich, ob<br />

wirklich alle dahinter stehen, die<br />

mitreden können: der Kongress,<br />

andere Gremien, die Wirtschaft…<br />

„Es ist natürlich ein Problem für die<br />

USA, ob sie noch als verlässlicher<br />

Partner gesehen werden.“<br />

Trumps Verhalten hält Schmerer für<br />

„sehr gefährlich, weil er anscheinend<br />

von Volkswirtschaft nicht viel<br />

Ahnung hat; Trump denkt zu sehr<br />

als Unternehmer und ist nicht weitsichtig<br />

genug.“ Freihandel sehe er<br />

als Nutzen, als Gewinn, und Importe<br />

als Kosten, als Verluste. Alles,<br />

was damit zusammenhängt,<br />

erkenne er überhaupt nicht: „Der<br />

‚Deal‘ ist für ihn nicht fair. Dabei<br />

können starke Importe zeigen, dass<br />

es der eigenen Wirtschaft gut geht.<br />

Zudem haben die<br />

Verbraucherinnen<br />

und Verbraucher<br />

mehr Präferenzen<br />

für ausländische<br />

Güter.“ Trumps<br />

größte Feindbilder sind China und<br />

Deutschland, „wegen der größten<br />

Ungleichheiten in der Außenhandelsbilanz“.<br />

USA wie Unternehmen führen<br />

Zu diesem Denken Trumps passt<br />

für den FernUni-Wissenschaftler,<br />

dass dieser die Supermacht USA<br />

wohl wie ein Unternehmen führen<br />

wolle: „Mit Direktiven an seine<br />

Rechtsanwälte: ‚Ich will 35 Prozent<br />

Zoll! Sucht eine Möglichkeit, die ich<br />

durchsetzen kann.‘“ Diplomatie?<br />

Fehlanzeige. Eine Machtdemonstration?<br />

Wahrscheinlich.<br />

Foto: Thinkstock<br />

Die kann man auch bei seinem Verhalten<br />

gegenüber der Welthandelsorganisation<br />

WTO erkennen. Hohe<br />

Handelsbarrieren würden klar gegen<br />

deren Richtlinien verstoßen.<br />

US-Gesetze gestatten, so Schmerer,<br />

dem Präsidenten tatsächlich hohe<br />

Zölle: Gary Clyde Hufbauer kommt<br />

in den „Assessing Trade Agendas<br />

in the US Presidential Campaign“<br />

des Peterson Institute for International<br />

Economics zu dem Schluss,<br />

dass dies über den Kongress hinweg<br />

aus Gründen der nationalen Sicherheit<br />

möglich wäre (PIIE Briefing,<br />

16-6, „Could a President Trump<br />

Shackle Imports?“). Kongress und<br />

WTO würden aber wohl gegen den<br />

hohen Zollsatz klagen. Das allerdings<br />

dürfte sechs bis zwölf Monate<br />

dauern. „Deshalb jetzt diese<br />

Hauruck-Aktionen“, schlussfolgert<br />

Schmerer.<br />

Das eigentliche Problem, das im<br />

Wahlkampf häufig thematisiert<br />

„Trumps Verhalten halte ich für sehr gefährlich, weil er<br />

anscheinend von Volkswirtschaft nicht viel Ahnung hat“.<br />

wurde, sind nicht die Im- und Exporte,<br />

sondern die Gefährdung von<br />

amerikanischen Arbeitsplätzen: „Er<br />

nennt das schwammig Globalisierung,<br />

meint aber eigentlich vor allem<br />

Offshoring.“ Ihm geht es um<br />

die (Nicht-)Verlagerung von Produktionsprozessen<br />

ins Ausland: „Vor<br />

100 Jahren konnte man nur Endprodukte<br />

handeln und exportieren.<br />

Heute ermöglicht der technologische<br />

Fortschritt es, den Produktionsprozess<br />

in verschiedene Teile zu<br />

splitten und diese dort herzustellen,<br />

wo es am günstigsten ist.“<br />

Natürlich könnten Zölle auf Zulieferungsprodukte<br />

die Endprodukte<br />

verteuern, aber das sei ungezielt.<br />

Trump wolle nur einen Teilbereich<br />

einschränken, errichte aber eine<br />

Handelsbarriere gegen alles. Eine<br />

„Wirtschaftspolitik mit der Brechstange“,<br />

so Schmerer. Nicht nur<br />

deutsche Autos aus Mexiko würden<br />

in den USA teurer, sondern ebenso<br />

Chevys und Fords, weil auch für diese<br />

Teile importiert werden.<br />

Außer Acht lässt Trump den technologischen<br />

Fortschritt auch in anderer<br />

Hinsicht: Immer mehr Jobs<br />

werden durch Roboter ersetzt. Die<br />

Diskussion in den USA konzentriert<br />

sich jedoch auf die Verlagerung von<br />

realen Jobs ins Ausland: „Es ist viel<br />

Prof. Dr. Hans-Jörg Schmerer<br />

einfacher, das Ausland verantwortlich<br />

zu machen, als die Gründe im<br />

eigenen Land zu suchen.“<br />

Das Ersetzen von Menschen durch<br />

Maschinen treffe „sicherlich nicht<br />

die Hochqualifizierten mit Universitätsabschluss,<br />

sondern eher die<br />

Leute mit weniger Bildung. Trumps<br />

Wähler!“ Haben sie ihr Idol vergebens<br />

gewählt? „Das nehme ich jetzt<br />

so an“, betont Schmerer, der in diesem<br />

Zusammenhang auch die geplanten<br />

Steuersenkungen für Unternehmen<br />

anspricht: „Ich habe<br />

noch nicht viel von Steuererleichterungen<br />

für die arbeitende Bevölkerung<br />

gehört. Das macht mich stutzig.<br />

Wer profitiert? Die großen Unternehmen.<br />

Trump hat seinen Wählerinnen<br />

und Wählern einen Deal<br />

vorgeschlagen: einerseits Verringerung<br />

der Steuern für die Unternehmen,<br />

andererseits höhere Hürden<br />

für die Globalisierung. Und als Folge<br />

davon, dass die Produktion in<br />

Amerika bleibt.“ Doch lassen sich<br />

die Unternehmen wirklich daran<br />

hindern, Jobs ins Ausland zu verlagern?<br />

Und wenn sie es nicht tun:<br />

Kommt der „Deal“ überhaupt bei<br />

den Beschäftigten an?<br />

Womit ist zu rechnen, wenn Trump<br />

aller Rationalität<br />

entgegen die Einfuhrzölle<br />

drastisch<br />

anhebt? Die WTO<br />

hat 164 Mitglieder,<br />

wenn eines<br />

ausschert, ist das für die verbliebenen<br />

163 „im Grunde genommen<br />

perfekt“, so Schmerer. Ihre<br />

niedrigen Zollsätze untereinander<br />

dürften deren Handel beflügeln, zu<br />

Ungunsten der USA. Viele Länder<br />

würden Importe aus den USA mit<br />

entsprechenden Zöllen verteuern.<br />

Gewinner dürfte China sein<br />

Ist ein Handelskrieg zu befürchten?<br />

Schmerer: „Die Gefahr besteht,<br />

aber ich glaube nicht, dass<br />

Trump so weit geht. Das Amt wird<br />

ihn sicherlich noch etwas formen<br />

und er wird hoffentlich Berater haben,<br />

die ihm die Kosten vorrechnen.<br />

Die Folgen eines Handelskriegs<br />

wären für Europa als wichtigstem<br />

US-Handelspartner und für<br />

Deutschland spürbar, aber vor allem<br />

für Amerika selbst ein Riesenproblem.“<br />

Gewinner von Trumps Handelspolitik<br />

dürfte China sein. Australien hat<br />

es ja als neuen TPP-Partner ins Gespräch<br />

gebracht. Und auch Europa<br />

würde mehr Handel mit China führen,<br />

ist sich Schmerer sicher: „Beim<br />

Weltwirtschaftsforum in Davos trat<br />

der Staats- und Parteichef Xi Jinping<br />

bereits für Globalisierung und den<br />

Freihandel ein. Er bietet sich jetzt als<br />

neuer Partner an – wahrscheinlich<br />

mit Erfolg.“<br />

Da

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