Besser Schulsozialarbeit - GEW Landesverband Bayern
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unter dem Titel »Negative Sozialisationskarrieren<br />
und Brüche im Sozialisationsprozess«<br />
(1980: S. 59) stellt<br />
sich die Frage, die zugleich auf die<br />
politische Verantwortung pädagogischer<br />
Professionalität hindeutet, wie<br />
es um die Vermittlung zwischen Kinder-<br />
und Jugendhilfe sowie Bildungspolitik,<br />
die diesen Namen zu Recht<br />
trägt, in anderer Weise bestellt sein<br />
könnte.<br />
Verteidiger des Rechts auf<br />
Bildung<br />
Im Rahmen pädagogischer Professionalität<br />
– als deren Sachwalter<br />
Jugendhilfe und somit auch <strong>Schulsozialarbeit</strong><br />
gelten sollten – ist für die<br />
Praxis davon auszugehen, dass Bildungspolitik<br />
Gesellschaftspolitik in<br />
der Gestalt von Klassenkampf ist,<br />
weil Fraktionen der herrschenden Klasse, in denen die Bildungsbourgeoisie<br />
heute nur noch ein kleines, aber relevantes<br />
und einflussreiches Element bildet, hier Positionen der<br />
Verteidigung von Privilegien im Zugriff auf gesellschaftlich<br />
knappe Güter besetzen (Ball 2003; Bourdieu 2004).<br />
»Bildung« wird in vielfältigen Analysen, die mit Wissensgesellschaft,<br />
Wissenskapitalismus, in jedem Fall der<br />
Qualifikationsstruktur der Ware Arbeitskraft zu vermitteln<br />
sind, zum entscheidenden Thema des 21. Jahrhunderts<br />
für gesellschaftliche Entwicklungen und die sozialen,<br />
materiellen, gesundheitlichen Perspektiven von Individuen.<br />
Dementsprechend lautet der gesellschaftspolitisch und<br />
demokratiepraktisch skandalträchtigste Satz der deutschen<br />
PISA-Studie von 2000: »Kulturelles Engagement und kulturelle<br />
Entfaltung, Wertorientierungen und politische Partizipation<br />
kovariieren über die gesamte Lebensspanne systematisch<br />
mit dem erreichten Bildungsniveau« (Deutsches<br />
PISA-Konsortium 2001: S. 32). Im Klartext bedeutet dies<br />
– und kann als Maßstab für die praktische gegenwärtige<br />
Kritik am Schulsystem für Jugendhilfe und <strong>Schulsozialarbeit</strong><br />
genommen werden: Den Kindern und Jugendlichen,<br />
denen strukturell die Möglichkeit der Bildung genommen<br />
wird – und das hat unmittelbar mit ihrer Klassenlage zu<br />
tun –, werden lebensgeschichtlich übergreifend auch viele<br />
andere Möglichkeiten genommen, von Kultur bis zu politischem<br />
Bewusstsein, Interessen und Handlungsmöglichkeiten.<br />
Jugendhilfe und <strong>Schulsozialarbeit</strong> können sich daher als<br />
Verteidiger von Bildung im umfassenden Sinne verstehen,<br />
weil sie den bedeutsamen Zusammenhang zwischen demokratischer<br />
Bildung – als individuellen Bildungsmöglichkeiten<br />
– und der Bildung von Demokratie in den Mittelpunkt<br />
ihrer Arbeit stellen. Denn die Entwicklung einer substanziellen,<br />
partizipatorischen Demokratie, verknüpft mit der<br />
17 DDS Januar/Februar 2012<br />
Vorstellung einer Demokratisierung<br />
aller Lebensbereiche, beruht darauf,<br />
dass gebildete Bürgerinnen und Bürger,<br />
ausgestattet mit Reflexivität, gesellschaftlicher<br />
Urteilskraft und politischer<br />
Handlungsfähigkeit, öffentliche<br />
Angelegenheiten als ihre eigenen<br />
(an)erkennen und darin eingreifen.<br />
Bildungsforschung, aber in<br />
welche Richtung?<br />
Eine Voraussetzung hierfür stellt<br />
die Demokratisierung der Institution<br />
Schule dar, und damit die Abschaffung<br />
der Mehrgliedrigkeit, die auf<br />
der unsinnigen Begabungsideologie<br />
beruht und in die die Verdichtung<br />
von »symbolischer Gewalt« (Bourdieu)<br />
eingeht. Dem Unglück der Mehrgliedrigkeit<br />
entgegen und »sozialer<br />
Startgleichheit« zuzuarbeiten, sind<br />
wesentliche Aufgaben und Herausforderungen für eine<br />
<strong>Schulsozialarbeit</strong>, die sich auf der Höhe der Zeit befindet<br />
(Becker in Adorno 1971: S. 110). Einen wesentlichen<br />
Bündnispartner finden <strong>Schulsozialarbeit</strong> und Jugendhilfe<br />
in wirklicher Bildungsforschung, die sich nicht den politischen<br />
und strukturbezogenen Konsequenzen verschließt:<br />
Im Kern handelt es sich um die Erkenntnis, dass egalitäre<br />
Bildungssysteme besser für die Qualität aller SchülerInnenleistungen<br />
und soziale Gerechtigkeit sind (Green u. a.<br />
2006: S. 183 ff.).<br />
Foto: Robert Michel<br />
von Prof. Dr. Heinz Sünker<br />
Fachbereich Bildungs- und Sozialwissenschaften<br />
an der Bergischen Universität Wuppertal<br />
Kontakt: suenker@uni–wuppertal.de<br />
Literaturverweise:<br />
Adorno, Th. W. 1971: Erziehung zur Mündigkeit. Vorträge und Gespräche mit<br />
H. Becker 1959–1969. Frankfurt/M.<br />
Aronson, E. 2000: Nobody left to hate. Teaching Compassion after Columbine.<br />
New York<br />
Ball, St. 2003: Class Strategies and the Education Market. The middle–classes and<br />
social advantage. London/New York<br />
Bourdieu, P. 2004: Der Staatsadel. Konstanz<br />
Deutsches PISA-Konsortium (Hg.) 2001: PISA 2000. Opladen<br />
Fend, H. 1980: Theorie der Schule. München<br />
Fünfter Jugendbericht 1980: Bericht über Bestrebungen und Leistungen der Jugendhilfe.<br />
Bonn<br />
Green, A./Preston, J./Janmaat, G. 2006: Education, Equality and Social Cohesion.<br />
A Comparative Analysis. Houndmills<br />
Sünker, H. 2008: Demokratische Bildungsgesellschaft oder Spätkapitalismus. In:<br />
Sozialwissenschaftliche Literatur Rundschau 31 (Heft 58)<br />
Sünker, H./Miethe, I. (Hg.) 2007: Bildungspolitik und Bildungsforschung. Herausforderungen<br />
und Perspektiven für Gesellschaft und Gewerkschaften in<br />
Deutschland. Frankfurt/M.<br />
Vester, M. 2007: Die »kanalisierte Bildungsexpansion«, in: Sünker/Miethe 2007