Jonathan Meese - Zeit Kunstverlag
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<strong>Meese</strong> 27.01.2006 13:39 Uhr Seite 6<br />
sitzt6, konnte der selbsterklärte heilige Ordensritter <strong>Jonathan</strong><br />
<strong>Meese</strong>, der sich gerne auch mal mit Poetry-Slam-Pathos der<br />
Gemeinschaft als Erzritter Hagen von Tronje ausruft, fortan nun<br />
ausziehen, der blutleer-lauwarmen Avantgarde der internationalen<br />
Kunstszene mit einer ausgeprägt leidenschaftlich-pathetischen<br />
Radikalität, aberwitzig neologisierenden Worthuberei und<br />
liturgischen Geheimsprache sowie heftig-wilden Ekstase und<br />
fanatischem Enthusiasmus wahrlich das Fürchten zu lehren. <strong>Jonathan</strong><br />
<strong>Meese</strong> reitet selbst erklärtermaßen wider die künstlerische<br />
»feige Weltgleichschaltung«.<br />
Der Jungstar versteht dabei noch geschickt, das taktische Spiel<br />
des heroischen Protestes und der grundsätzlichen Anti-Haltung<br />
wie Alterität zum gerade vorrangig Gängigen und kurzlebig Modischen<br />
in der Gegenwartskunst mit strategischer Intuition zu<br />
spielen. Er darf dafür gerne als Renegat und Dissident von allem<br />
derzeit angesagten Politisch-Korrekten, von aktuellen Gender-<br />
Themen oder forciertem Institutionskritischen und ›gesellschaftlich<br />
Relevantem‹ im aktuellen Gewand etwa von ›Kunst als<br />
Dienstleistung‹ oder ›intervenierender Sozialarbeit‹ angesehen<br />
werden. <strong>Jonathan</strong> <strong>Meese</strong> inkarniert und inthronisiert dafür wiederum<br />
mit Brio und Bravour abermals das männliche (defekte)<br />
Künstlersubjekt, das extensiv dem singulären Geniedasein und<br />
provozierenden Nonkonformismus frönt. Jedoch gerade dieses<br />
vermeintlich bereits überkommene moderne Künstlerbild, das<br />
durch stereotype Vorstellungen von einer originellen Vorzeige-<br />
Authentizität, einer stark subjektorientierten Autorschaft, obsessiven<br />
Werkautonomie und männlich-virilen Dominanz charakterisiert<br />
ist (Hubertus Butin), erlebte gerade Ende der 90er Jahre,<br />
in <strong>Zeit</strong>en des boomenden Neo-Liberalismus und erstarkenden<br />
Neo-Konservativismus, nochmals eine erstaunliche Renaissance.<br />
Praktiziert und propagiert wird hier offenkundig ein altes<br />
wie überraschenderweise wieder höchst aktuelles modernes<br />
Künstlerbild als manisch Getriebener, ästhetischer Außenseiter,<br />
widerspenstiger Egozentriker und genialisches Original. Und <strong>Jonathan</strong><br />
<strong>Meese</strong> füllt diese Rollen erstaunlich gut.<br />
Gemäß der Logik seines eigenen assoziativ-verketteten Denkens<br />
in genealogischen und dynastischen Verbindungen und<br />
seines subjektivistisch unifizierenden Weiter-, Um- und Überschreibens<br />
von modernen Mythen kann man in <strong>Meese</strong> aber<br />
auch das mit Lust und Genuß ewig schockierende und Tabus<br />
brechende Enfant terrible, den schrillen Marilyn Manson der von<br />
populären Massenmedien infiltrierten Kunstszene erkennen, der<br />
überdies noch leichtens einen explosiv eruptierenden Klaus<br />
Kinski oder schräg krawallierenden Christoph Schlingensief<br />
schnell in den Schatten stellt. Dabei entstand über nur wenige<br />
Jahre, begleitet von einer regen Ausstellungstätigkeit und ungeheuren<br />
medialen Präsenz (bis hin zu einer kleinen Nebendarstellerszene<br />
mit Oneliner im umstrittenen Film ›Sonnenallee‹ von<br />
6<br />
Leander Haußmann), zugleich ein überbordendes und vielschichtiges<br />
Gesamtwerk, das sich in der thematischen Intensität<br />
und Stringenz seines pop-trashigen und mythisch verbrämten<br />
Subjektivismus frank und frei aller nur erdenklicher und<br />
zur Verfügung stehender Medien und Materialien bedient, aus<br />
Gefundenem und Selbstgebasteltem hervorgeht.<br />
Vom Jugendzimmer zur Kunstinstallation<br />
Aus dem exemplarischen Sammeleifer eines spätpubertierenden<br />
Fans entstehen zunächst jugendzimmerähnliche Szenografien,<br />
die von der Verehrung strahlender Idole und fiktiver stereotyper<br />
Helden, vorwiegend aus dem Bereich Film- und Populärkultur<br />
(Kinski, Bronson, Eastwood, De Niro, Ventura und viele andere),<br />
künden. Die künstlerische Arbeit parallel zum zeitgenössischen<br />
Kuriosum jugendlicher ›Fan-Kulturen‹ und einem soziologisch<br />
recht interessanten, da fanatisch jeweils individuell betriebenem,<br />
gesellschaftlich hingegen eher völlig belanglosem, hermetischen<br />
Pseudo-Spezialwissen gründet beim cinephilen jungen <strong>Meese</strong> in<br />
einem obsessiv-manischen und neurotischen Sammeleifer, der<br />
in beeindruckend chaotisch geordneten Materialschlachten und<br />
strukturell überquellenden Arrangements kulminiert. Gesammelte<br />
und zusammengetragene Poster, ein Wust unzähliger Fanmagazin-Ausschnitte,<br />
Kopiertes und andere Devotionalien wachsen<br />
dabei zu regelrechten Weihestätten und Kultaltären heran und<br />
reflektieren darin zugleich das Phänomen.<br />
Aus diesen ersten, relativ privat und intim anmutenden, ausgestellten<br />
›<strong>Meese</strong>-Kojen‹, die vom Künstler mit strapaziösen Performances<br />
und inbrünstigen Lesungen belebt werden, entwickeln<br />
sich dann allmählich komplexe, raumgreifende,<br />
multi-mediale Installationen, die als wahre bunte Materialschlachten<br />
noch die bizarren Materialräume und opulenten Privatsammlungen<br />
von Künstlern wie Anna Oppermann (KLG<br />
8/1989) oder Dieter Roth (KLG 11/1990) in Erinnerung rufen (siehe<br />
Cover). Alles wird darin subjektiv mit jedem verbunden, surrealistisch<br />
»gesudet«, wie <strong>Meese</strong> selbst formuliert, und so erscheinen<br />
neben den Bildern der von ihm vielfach zitierten<br />
fiktiven Filmhelden wie z. B. Dr. No aus ›007 - James Bond‹,<br />
John Milius' ›Conan der Barbar‹, Emma Peel, Zed aus ›Zardoz‹,<br />
Alex de Large aus Stanley Kubricks ›A Clockwork Orange‹ oder<br />
Travis Bickle aus Martin Scorseses ›Taxis Driver‹ und dem Anti-<br />
Helden Toecutter (Abb. 7) aus dem ›Mad Max‹-Filmepos immer<br />
häufiger auch <strong>Meese</strong>s eigene Fotografien, die ihn in unterschiedlich<br />
adaptierten Posen, Masken und Rollenspielen zeigen.<br />
Der Sud der Bilder, Ideen und als Kommentar von <strong>Meese</strong> per<br />
Handschrift hinzugefügten kryptisch-poetischen Wortschöpfungen,<br />
die sich aus Verkürzen, Verschleifen und Zusammenziehen<br />
von unterschiedlichen Begriffen oder einfachem Hinzufügen von<br />
erklärten Vorsilben wie etwa ›Erz‹, ›Saint‹, ›Dr.‹, ›Dei‹ oder ›Staat‹<br />
ergeben, erinnert nicht zuletzt auch an dreidimensionale, große