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Premiere Das Rheingold Herbert Wernicke und Nike Wagner ...

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München hat zu <strong>Wagner</strong>s Ring des<br />

Nibelungen eine ganz besondere<br />

Beziehung. Die ersten beiden Werke<br />

sind, wenn auch gegen den Willen<br />

<strong>Wagner</strong>s, hier am Königlichen Hof<strong>und</strong><br />

Nationaltheater uraufgeführt<br />

worden. Spielen diese Überlegungen<br />

eine Rolle, wenn man einen Ring für<br />

München vorbereitet?<br />

<strong>Herbert</strong> <strong>Wernicke</strong>: Natürlich. Es ist<br />

immer beeindruckend, ein Werk an<br />

einem Theater zu inszenieren, an dem<br />

die Uraufführung stattgef<strong>und</strong>en hat.<br />

Man forscht dann auch noch genauer<br />

nach. Aber man muß sich deshalb nicht<br />

verpflichtet fühlen, sich in irgendeiner<br />

Weise „museal“ zu verhalten – auch<br />

wenn mich die große <strong>Wagner</strong>-Tradition<br />

hier in München fasziniert.<br />

<strong>Nike</strong> <strong>Wagner</strong>: Ich finde es auch ganz<br />

wichtig, daß man, wenn man in München<br />

den Ring macht, dessen Geschichte<br />

auf die eine oder andere<br />

Weise reflektiert. <strong>Das</strong> hat mit Musealität<br />

gar nichts zu tun, sondern mit<br />

Geschichtsbewußtsein. Insofern ist es<br />

etwas ganz anderes, in München den<br />

Ring zu machen, als in Bayreuth oder<br />

Paris oder London oder irgendwo. Und<br />

diesem Bewußtsein versucht auch<br />

<strong>Herbert</strong> <strong>Wernicke</strong> mit seiner Inszenierung<br />

gerecht zu werden.<br />

HW: Rein bühnenräumlich ist unsere<br />

Inszenierung die Erfüllung von <strong>Wagner</strong>s<br />

Vision von einem festlichen Rahmen für<br />

sein Bühnenfestspiel. Diese Vision vom<br />

Gesamtkunstwerk wollen wir nachvollziehen<br />

in der Stadt, die er sich eigentlich<br />

dafür erträumt hat. Ansonsten<br />

kommen wir ohne bebilderndes Bühnenbild<br />

aus.<br />

Kein Bühnenbild also. Dann wende<br />

ich mich jetzt gezielt an den Regisseur:<br />

Welche Aspekte interessieren<br />

Es wird sozialkritisch,<br />

zeitgeschichtlich <strong>und</strong><br />

mythologisch, aber auch<br />

gesellschaftskritisch.<br />

4 TAKT 4<br />

Sie beim Ring am meisten? <strong>Das</strong> sozialkritische<br />

oder das zeitgeschichtliche<br />

Element, oder betonen Sie eher<br />

den Mythos?<br />

HW: Es wird sozialkritisch, zeitgeschichtlich<br />

<strong>und</strong> mythologisch, reflektiert<br />

in der Festspielhaus-Architektur. Und<br />

da wir uns in einem gesellschaftlichen<br />

Raum befinden, in dem sich Menschen<br />

wie du <strong>und</strong> ich tummeln, wird dieser<br />

Ring auch gesellschaftskritisch.<br />

NW: Genauer gesagt sind wir in einem<br />

Innenraum; ein Zuschauerraum spiegelt<br />

den anderen. Die Gesellschaft sitzt sich<br />

gegenüber. <strong>Das</strong> ergibt auch ein sehr kritisches<br />

Bild unserer heutigen Gesellschaft,<br />

die sich permanent selbst inszeniert.<br />

Insofern ist diese Ring-Deutung<br />

sehr aktuell, obwohl sie, vollgesogen<br />

mit Geschichte, in zwei geschichtlichen<br />

Räumen stattfindet, die sich aneinanderschließen<br />

wie eine geschlossene<br />

Muschel.<br />

<strong>Das</strong> <strong>Rheingold</strong> ist der Vorabend zu<br />

den drei sogenannten Tagen der<br />

Ring-Tetralogie. Warum diese Sonderbezeichnung,<br />

warum wurde aus<br />

dem <strong>Rheingold</strong> nicht gleich der erste<br />

Tag? Immerhin geschieht in diesem<br />

Stück eine Menge, es werden die<br />

Karten gemischt für den ganzen<br />

Ring – das ist doch mehr als nur ein<br />

einfacher Auftakt, was die Bezeichnung<br />

Vorabend gerne suggeriert?<br />

HW: Ich glaube, der erste Tag ist der,<br />

an dem das von Wotan initiierte Drama<br />

wirklich losgeht. Vorher steckt er in einer<br />

ziemlichen Krise <strong>und</strong> hat ein großes<br />

Problem mit seiner Frau <strong>und</strong> seiner Familie.<br />

In der Walküre betritt dann jemand<br />

die Bühne, der durch ihn verursacht<br />

wird, nämlich der Mensch. <strong>Das</strong><br />

ist der erste Tag des Ring: der erste Tag<br />

der Menschheit, nachdem der Gott<br />

kreiert hat <strong>und</strong> seine Macht durch den<br />

Raub manifestiert ist.<br />

NW: Außerdem gibt es diesen netten<br />

Ausspruch <strong>Wagner</strong>s, den er, glaube ich,<br />

an Liszt geschrieben hat: „Jetzt bin ich<br />

an der Walküre, jetzt geht’s erst richtig<br />

los.“ <strong>Das</strong> ist natürlich noch einmal ein<br />

neuer Anfang.<br />

Aber ist das <strong>Rheingold</strong> nicht der<br />

eigentliche Beginn, der Anfang der<br />

Schöpfung sozusagen?<br />

NW: <strong>Das</strong> <strong>Rheingold</strong> ist der Beginn vor<br />

dem Beginn. Der Beginn ist die<br />

Walküre, der Vorbeginn ist das <strong>Rheingold</strong>.<br />

Der berühmte Anfang ist das<br />

Inbild, das Gleichnis der Schöpfung:<br />

Es-Dur, es geht langsam nach oben,<br />

das ist für jedermann leicht hörbar <strong>und</strong><br />

sehbar. Dieser Beginn begibt sich dann<br />

allerdings sehr schnell auf die Ebene<br />

von Gesellschaft, <strong>und</strong> schon befinden<br />

wir uns mitten in der Zivilisation, die<br />

Leute haben Verträge, sie halten sie<br />

nicht ein, Prestigedenken, Neid, Liebe,<br />

Gewalt, alles ist da.<br />

HW: <strong>Das</strong> <strong>Rheingold</strong> ist die Exposition<br />

für das ganze Ring-Drama. Es ist sehr<br />

komprimiert <strong>und</strong> enthält zugleich mehr<br />

individuelle Figuren als später die Walküre<br />

oder Siegfried. Und wir haben es<br />

im <strong>Rheingold</strong> sofort mit richtig ekelhaften<br />

Leuten zu tun. Die einzige wirklich<br />

positive Figur, die ich überhaupt<br />

erkennen kann, ist Fasolt, weil er tatsächlich<br />

eine menschliche Regung wie<br />

Liebe zeigt.<br />

Wer nach positiven oder sympathischen<br />

Figuren im <strong>Rheingold</strong> sucht,<br />

landet üblicherweise nicht bei Fasolt,<br />

sondern eher bei Loge.<br />

HW: Loge ist eine vielschichtige Figur,<br />

<strong>und</strong> im heutigen Sinn ist er auch ein<br />

schmieriger <strong>und</strong> zynischer Entertainer.<br />

Eine Figur, die von Shakespeare erf<strong>und</strong>en<br />

sein könnte. Aber bei Shakespeare<br />

sind ja gerade die unsympathischen<br />

Figuren die interessantesten Charaktere,<br />

während Lichtgestalten doch eher<br />

langweilig sind.<br />

NW: Loge entwickelt alle Eigenschaften<br />

von Leuten, die – wie er – halb<br />

geknechtet <strong>und</strong> unterdrückt sind: Die<br />

werden witzig, verschlagen, fintenreich<br />

<strong>und</strong> halten sich letztlich aus allem raus.<br />

Damit ist Loge mindestens so vielschichtig<br />

wie Wotan.<br />

Sie haben angedeutet, daß im <strong>Rheingold</strong><br />

Menschen wie du <strong>und</strong> ich den<br />

Blicken zu Richard <strong>Wagner</strong> auf:<br />

Produktionsdramaturgin <strong>Nike</strong> <strong>Wagner</strong><br />

<strong>und</strong> Regisseur <strong>Herbert</strong> <strong>Wernicke</strong> vor<br />

der Büste des Komponisten im Foyer<br />

des Nationaltheaters.

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