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Premiere Das Rheingold Herbert Wernicke und Nike Wagner ...

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Im gesellschaftlichen<br />

Raum: <strong>Herbert</strong> <strong>Wernicke</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Nike</strong> <strong>Wagner</strong><br />

6 TAKT 4<br />

Wir brauchen keine<br />

aus alten Theaterkisten<br />

herausgezogenen<br />

germanischen Gottheiten.<br />

Bühnenraum bevölkern. Wie funktioniert<br />

das, da es doch im Vorabend<br />

noch keine richtigen Menschen gibt,<br />

dafür jedoch Riesen, Zwerge, Götter<br />

<strong>und</strong> Rheintöchter?<br />

HW: Ich wehre mich gegen eine Kategorisierung<br />

der Figuren, zum Beispiel<br />

durch Kostüme. Die Figuren sind ambivalent,<br />

jeder kann jeden darstellen. Die<br />

Musik illustriert das sehr anschaulich,<br />

man muß sie nicht noch zusätzlich bebildern.<br />

Wir inszenieren keine Allegorien,<br />

<strong>und</strong> wir brauchen auch keine aus<br />

alten Theaterkisten herausgezogenen<br />

germanischen Gottheiten, die später<br />

mit Menschen konfrontiert werden. Alle<br />

Figuren im Ring – das ist das Großartige<br />

an diesem Werk – sind von Anfang<br />

an ganz plastische, vielschichtige<br />

menschliche Charaktere, oder anders<br />

ausgedrückt: Gleichnisse für menschliches<br />

Verhalten. Wir haben in der zweiten<br />

<strong>Rheingold</strong>-Szene mit Göttervater<br />

Wotan, seiner Frau <strong>und</strong> ihrer Schwester<br />

gleich ein Strindberg-Drama par<br />

excellence. Wir sind konfrontiert mit einem<br />

großbürgerlichen Ehedrama. Und<br />

mit einer gottlosen Götter-Gesellschaft.<br />

NW: Die Verbindung von Mythos <strong>und</strong><br />

Psychologie ist eine von <strong>Wagner</strong>s<br />

Spezialitäten. <strong>Das</strong> hat Thomas Mann<br />

schon richtig gesehen: zum einen der<br />

allgemeine Appell an unsere archaischen<br />

Strukturen, an das, was immer<br />

bleibt, <strong>und</strong> zum anderen die moderne<br />

Psychologie, Ibsen, Strindberg, Ehedrama,<br />

Sexualdrama, alles. Eine raffinierte<br />

Mischung...<br />

HW: ...an der sich nichts verändert hat.<br />

Die Mißstände, die aufgeschält werden,<br />

sind bis heute unverändert, im<br />

politischen wie im gesellschaftlichen<br />

Bereich.<br />

Womit wir wieder bei Shakespeare<br />

wären, dessen Werke ja auch zeitlos<br />

gültig sind.<br />

HW: Absolut.<br />

NW: Auch das Typenarsenal findet<br />

man heute überall wieder: Wotan als<br />

Konzernboß; die drei Rheintöchter, das<br />

sind Disco-Girlies, wie man sie überall<br />

auf der Straße sieht; <strong>und</strong> Loge ist der<br />

gewiefte Manager.<br />

HW: Ich habe vorhin erst so einen gesehen<br />

auf der Maximilianstraße...<br />

Soll ich das erwähnen?<br />

HW: Aber unbedingt! Wir sind in München,<br />

<strong>und</strong> ich reagiere auch auf München.<br />

Es wird ein Münchner Ring, nicht<br />

global, sondern lokal.<br />

Und unter welchen Zeitgenossen finden<br />

wir Alberich?<br />

HW: <strong>Das</strong> ist auch so ein machtbesessener<br />

Kerl. Im Gr<strong>und</strong>e könnten Wotan<br />

<strong>und</strong> Alberich am gleichen Stammtisch<br />

sitzen, sie befinden sich auf gleicher<br />

Ebene. <strong>Das</strong> Furchtbare ist: Nachdem in<br />

der Götterdämmerung alles zusammengekracht<br />

ist, ist Alberich derjenige,<br />

der überlebt.<br />

NW: Er ist ja auch der Verursacher des<br />

Ganzen. Der Verursacher bleibt, <strong>und</strong> alles<br />

könnte wieder von vorne anfangen.<br />

Kaum hat im <strong>Rheingold</strong> die Ring-<br />

Geschichte begonnen, wird durch<br />

Erda bereits ihr gewaltsames Ende<br />

prophezeit: „Alles, was ist, endet“.<br />

Beeinflußt diese Mahnung irgendwie<br />

das Handeln der Figuren? Ahnen sie<br />

die Ragnarök, den Weltenuntergang<br />

in der Götterdämmerung, voraus?<br />

HW: Wotan denkt nicht so nihilistisch.<br />

Er wischt Erdas Warnung weg, er will<br />

sie nicht hören. Ich glaube nicht, daß<br />

Wotan im <strong>Rheingold</strong> schon Angst vor<br />

seinem Ende hat. Symbolisch gesehen<br />

ist schließlich ohnehin Erda diejenige,<br />

die zerstört wird. Aber die schlimmste<br />

Ruine am Schluß des Ring ist Brünnhilde<br />

mit ihrem Freitod, dieser Selbstverbrennung<br />

auf dem Scheiterhaufen.<br />

NW: Für mich ist das zumindest eine<br />

merkwürdige Regression – im Gr<strong>und</strong>e<br />

ein Rückfall in die Theatralität der<br />

Wotanwelt. Nach all den Emanzipationsstufen,<br />

die sie vollzogen hat, wäre<br />

sie wirklich imstande gewesen, einen<br />

Neuanfang einzuleiten.<br />

HW: Und das gerade ist die Tragödie,<br />

daß sie es nicht tut. In bezug auf<br />

Brünnhilde besteht der Schluß der<br />

Götterdämmerung aus zwei Teilen:<br />

Zuerst gibt sie den Raben die Fackel,<br />

damit sie Walhall anzünden, das heißt:<br />

Sie rottet ihr ganzes Geschlecht aus.<br />

Auch wenn sie ihm nicht mehr zugehörig<br />

ist als Göttin, da sie ja jetzt sterblich<br />

ist. <strong>Das</strong> ist eine tolle, eine revolutionäre<br />

Tat. Und unmittelbar darauf<br />

diese unglaubliche Untat sich selbst<br />

gegenüber, dieser Freitod!<br />

NW: Aber vielleicht geschieht das ja<br />

auch nur aus Gründen des theatralischen<br />

Effekts: Die Ästhetik des Untergangs<br />

hat nun mal etwas Faszinierendes.<br />

<strong>Das</strong> findet man zu allen Zeiten <strong>und</strong><br />

bei allen Völkern der Welt: Wo immer<br />

ein Weltentstehungsmythos formuliert<br />

wird, da ist auch der Weltuntergangsmythos<br />

dabei. Die Ragnarök kommt<br />

unweigerlich. Wenn man kein Ende hat,<br />

dann war’s ja auch kein Anfang.<br />

Ist da der Gedanke nicht deprimierend,<br />

daß im Ring ausgerechnet das<br />

Böse überlebt?<br />

HW: Was ist denn daran deprimierend?<br />

Für das Theater ist das gut. Und<br />

in der Wirklichkeit ist es ja nicht anders.<br />

Es kann immer wieder einer kommen<br />

<strong>und</strong> sagen: „Den Ring muß ich<br />

haben.“ In der Geschichte wurden<br />

Machtsymbole stets von einem Herrscher<br />

an den nächsten weitergegeben<br />

<strong>und</strong> oft mißbraucht. Dennoch überlebt<br />

nicht nur das Böse. Die Welt aus Gesetzen,<br />

Verträgen, Hierarchien <strong>und</strong><br />

Intrigen geht in Flammen auf. In der<br />

Vision der Zerstörung sieht <strong>Wagner</strong><br />

einen erlösenden Neubeginn. Nach<br />

dem Weltenbrand überlebt die Natur.<br />

Der Ring, das Gold kehren zurück in<br />

den Rhein. Nach dieser Tabula rasa<br />

aus Feuer <strong>und</strong> Wasser könnte ein besseres<br />

Leben möglich werden.<br />

DAS GESPRÄCH MODERIERTE<br />

INGRID ZELLNER<br />

TAKT 4 7

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