2 Das Jahr 2013 A Arbeitsmarkt Minijobs Endlich raus aus der Armutsfalle? Seit seiner Gründung tritt der Deutsche Frauenrat für eine verbesserte Stellung von Frauen in Familie, Arbeitswelt, Politik und Gesellschaft ein – die Forderung nach ökonomischer Eigenständigkeit und existenzsichernden Einkommen spielt dabei eine zentrale Rolle. 2013 stand die Reform der Minijobs im Fokus vieler DF-Aktivitäten. Mini-jobs Finally escaping the poverty trap? The Deutscher Frauenrat strives to improve the position of women in the family, at work, in politics and society – key to all of these areas is a livable income. One focus in 2013 was therefore to reform the “minijobs” held by seven million people in Germany the vast majority of whom are women. These jobs pay up to 450 euros a month without taxes but also without social benefits. The government views mini-jobs as stepping stones to full-time positions, but in fact they prove to be dead ends. A recent study by sociologist Carsten Wippermann shows that married women hold mini-jobs for an average of more than seven years, and that most who quit do not find jobs with benefits but rather become unemployed. For many women, mini-jobs are not only a roadblock to economic independence but also carry a huge risk of poverty. They generate considerable social and financial costs down the road, while business interests benefit in unlimited form. The DF therefore intensified its efforts to have mini-jobs reformed in the 2013 election year. It called for new regulations enabling men and women to balance work and family responsibilities, social security requirements for all jobs as of the very first euro, replacing tax class 5 with the factor process for married couples, commitment to the principle of “equal pay for equal work”, and eliminating the legal requirement for unemployed persons to accept mini-jobs (“work of any type”) in the Sozialgesetzbuch II (social law code). So traten der Deutsche Frauenrat und einige seiner Mitgliedsverbände dem neu gegründeten »Bündnis zur Gleichstellung aller Arbeitsverhältnisse« bei, das am 25. Juni eine viel beachtete Pressekonferenz veranstaltete. Mit dabei sind der DGB, mehrere Frauen- und Sozialverbände sowie 23 renommierte WissenschaftlerInnen. »Der Minijob steht nicht nur symbolisch für den Kampf zwischen den Zuverdiener-Traditionalisten und einer zukunftsorientierten Frauen-Beschäftigungspolitik«, erklärte die DF-Vorsitzende Hannelore Buls zu diesem Anlass und betonte: »Wir wollen die Gleichstellung aller Arbeitsverhältnisse, um aus dieser Niedriglohn- und Armutsfalle herauskommen zu können.« Einmal Minijob, lange Minijob Tatsächlich erweist sich der Minijob auch für qualifizierte Frauen als berufliche Sackgasse, insbesondere wenn sie verheiratet sind. Das belegt ein aktuelles Gutachten, das der Soziologe Carsten Wippermann im Auftrag des Bundesfrauenministeriums angefertigt hat. Die repräsentative Studie zeigt, dass verheiratete Frauen durchschnittlich mehr als sieben Jahre im Minijob arbeiten; pflegen sie Angehörige, sind es sogar über acht Jahre. Und: Geben sie ihren Minijob schließlich auf, wechseln sie mehrheitlich nicht auf eine sozialversicherungspflichtige Stelle, sondern werden erwerbslos. »Minijobs sind keine Brücke in den Arbeitsmarkt. Für Frauen, vor allem für verheiratete, die sich einmal darauf eingelassen haben, sind sie der Arbeitsmarkt«, so Buls. Für die betroffenen Frauen hat das vielfältige Konsequenzen. Zum einen steigt ihre ökonomische Abhängigkeit – entweder vom gut verdienenden Ehemann oder von Transferleistungen, weil mit einem Minijob kein existenzsicherndes Einkommen zu erwirtschaften ist. Da MinijobberInnen zudem keine oder nur geringe Beiträge in die Rentenversicherung einzahlen, ist ihre Altersarmut spätestens im Falle einer Trennung meist vorprogrammiert. Dass sich dennoch so viele Frauen für diese Art der geringfügigen Beschäftigung entscheiden, erklärt der Soziologe mit einer fatalen Mischung: Die betroffenen Frauen schätzen ihr ökonomisches Risiko in vielen Fällen falsch ein, die Politik setzt falsche steuerund sozialrechtliche Anreize. So spielten bei der Entscheidung für die Aufnahme eines Minijobs zunächst die geringe Stundenzahl und die vermeintlich gute Vereinbarkeit mit Familienpflichten eine entscheidende Rolle. Für den Verbleib sorgten dagegen »institutionalisierte Anreizstrukturen« wie die beitragsfreie Mitversicherung in der Krankenkasse des Ehepartners und die Befreiung von Steuern und Sozialabgaben. Gleichzeitig zementiert der »Minijob pur« aber auch die klassische Rollenteilung zwischen den Geschlechtern. »Drei Viertel aller verheirateten Frauen mit Minijob pur sind neben ihrer Erwerbstätigkeit für alles, was mit Haushalt und Kindern zusammenhängt, allein zuständig«, schreibt Wippermann in seiner Studie. Das stigmatisierende Label »Minijobberin« mache es den Frauen selbst bei guter Qualifikation nach einiger Zeit fast unmöglich, noch eine reguläre sozialversicherungspflichtige Stelle zu bekommen. Kann sich unsere Gesellschaft Minijobs leisten? Für den Deutschen Frauenrat ergeben sich daraus klare Forderungen an die Politik. So bedarf es neuer arbeitszeitlicher Regelungen, die es Männern und Frauen erlauben, Erwerbstätigkeit und Familienaufgaben so zu verbinden, dass beide existenzsichern-
Das Jahr 2013 A Arbeitsmarkt 3 de Einkommen erwirtschaften können. Zum anderen fordert die Frauenlobby, die gesetzlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass alle Arbeitsverhältnisse künftig gleich behandelt, also gleich entlohnt und gleich versichert werden. Dazu, so Buls, seien vor allem vier Faktoren ausschlaggebend: die Sozialversicherungspflicht ab dem ersten Euro, der Ersatz der Lohnsteuerklasse 5 durch das Faktorverfahren für Eheleute, das Prinzip »gleicher Lohn für gleiche Arbeit« (um die Praxis der »Aushilfe«-Löhne zu beenden) und die Streichung der Pflicht zur Annahme von Minijobs (»jede Arbeit«) im Sozialgesetzbuch II. »Es geht nicht um eine Abschaffung dieser Arbeitsplätze«, so die DF-Vorsitzende, »sondern um die Einhaltung des Diskriminierungsverbots aus dem bereits vorhandenen Teilzeit- und Befristungsgesetz auch bei kleiner Teilzeit.« Von einer solchen Reform der 450-Euro- Jobs würden nicht nur die Betroffenen profitieren, sondern die Gesellschaft als Ganzes. Ein entsprechendes Positionspapier des Deutschen Frauenrates von 2010 listet die massiven gesellschaftlichen Folgen der über sieben Millionen Minijobs auf. Dazu zählen die Erosion der sozialen Sicherungssysteme, hohe gesamtgesellschaftliche Folgekosten, sinkende Steuereinnahmen und die Auswirkungen der Minijobregelungen auf bestehende reguläre Arbeitsplätze. So werden Vollzeitarbeitsplätze, etwa im Einzelhandel oder in der Gastronomie, zunehmend in mehrere Minijobs aufgeteilt; damit einher gehen die fachliche Dequalifikation ganzer Berufsgruppen, beispielsweise durch Aufsplittung in kleinste Arbeitsschritte, und die Mehrbelastung der in Vollzeit arbeitenden Fachkräfte, deren Tariflöhne durch die billigeren Minijobs zusätzlich unter Druck geraten. Schwache Resonanz bei den Parteien Der Deutsche Frauenrat hat daher im Wahljahr seine Aktivitäten zugunsten einer Reform der Minijobs verstärkt. So startete er im Juni zusammen mit der Bundesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros eine Briefaktion, bei der BundestagskandidatInnen auf die Problematik hingewiesen und um eine Stellungnahme gebeten wurden. Die Resonanz war schwach, obwohl (oder weil?) die Brisanz in allen Parteien bekannt ist. Auch auf der DF-Veranstaltung zur Bundestagswahl am 7. Juni wurde das Thema angesprochen. Im Koalitionsvertrag sucht man eine Neuregelung der Minijobs vergebens. Vorgesehen ist lediglich eine Infomaßnahme für Beschäftigte; der Übergang in sozialversicherte Beschäftigung soll so erleichtert werden. Der Deutsche Frauenrat wird sich weiter für eine Reform der Minijobs starkmachen. Das Gutachten von Prof. Carsten Wippermann finden Sie online unter bit.ly/1jkgFtJ. Beschluss zum Thema Arbeitszeiten Der Deutsche Frauenrat fordert die Bundesregierung auf, den rechtlichen Rahmen für Erwerbsarbeit so zu gestalten, dass die gleiche Teilhabe von Frauen und Männern gewährleistet ist und die Notwendigkeit generativer Haus- und Sorgearbeit auch im männlichen Lebensverlauf berücksichtigt wird. Dazu gehören kürzere, familiengerechte und lebensphasenorientierte Arbeitszeiten, die den gesellschaftlichen Veränderungen Rechnung tragen, eine Neudefinition des »Normalarbeitsverhältnisses« mit Arbeitszeiten, die sich dem Lebensverlauf anpassen und auch unterhalb des derzeitigen Vollzeitniveaus ein existenzsicherndes Einkommen für Männer und Frauen gewährleisten. Eine Verkürzung der Regelarbeitszeiten darf langfristig kein Tabu sein. Arbeitsverdichtung und erhöhter Leistungsdruck müssen dabei durch eine ausreichende Personalbemessung verhindert werden. Aufruf für eine Reform der Minijobs, Pressekonferenz des DGB am 25. Juni 2013: (v.l.n.r.) DGB- Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach, die Vorsitzende des Deutschen Frauenrates, Hannelore Buls, und der Arbeitswissenschaftler Prof. Dr. Gerhard Bosch vom Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen Call to reform “mini-jobs”: German Trade Union Confederation (DGB) press conference on 25 June 2013 with (from left to right) DGB board member Annelie Buntenbach, DF President Hannelore Buls, and labor expert Professor Gerhard Bosch from the Institute for Work, Skills and Training (IAQ) at the University of Duisburg-Essen