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Hofmann · Mortell · Veit<br />

FACHBUCHREIHE SCHWEISSTECHNIK<br />

Grundlagen<br />

der Gestaltung<br />

geschweißter<br />

Stahlkonstruktionen


Hofmann · Mortell · Veit<br />

Grundlagen<br />

der Gestaltung<br />

geschweißter<br />

Stahlkonstruktionen<br />

11., überarbeitete und erweiterte Auflage


Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek<br />

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;<br />

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über htttp://dnb.dnb.de abrufbar.<br />

Fachbuchreihe Schweißtechnik<br />

Band 12<br />

ISBN 978-3-96144-001-6<br />

Alle Rechte vorbehalten.<br />

© DVS Media GmbH, Düsseldorf · 2017<br />

Herstellung: Griebsch & Rochol Druck GmbH, Hamm


Vorwort zur 11. Auflage<br />

Seit nunmehr über 25 Jahren werden die Stahlbaunormen aus der Reihe DIN 18800 und seit 2014<br />

durch die Einführung der Eurocodes als DIN EN 1993 mit dem Nachweiskonzept<br />

Grenzlasten statt Gebrauchslasten<br />

oder<br />

Grenzspannungen statt zulässiger Spannungen<br />

mit Erfolg angewendet. Es hat sich tatsächlich gezeigt, dass aufgrund der genaueren und zum Teil<br />

computerunterstützten Nachweisverfahren unter Einbeziehung der plastischen Tragreserven Profilund<br />

Blechmaterial eingespart werden kann. Es muss aber auch kritisch angemerkt werden, dass der<br />

mit diesen Normen arbeitende Konstrukteur wegen der Vielfalt der zu berechnenden Lastfälle und<br />

Lastfallkombinationen, die ihm der Computer zusammenstellt, den Blick für den maßgebenden<br />

Lastfall verliert. Die frühere einfache Aufteilung in Lastfall H (Hauptlasten) und Lastfall HZ<br />

(Haupt- und Zusatzlasten) führte vielleicht zu etwas mehr Konstruktionsgewicht, hatte aber<br />

dadurch auch Reserven. So konnten später durchzuführende Änderungs- oder Umbaumaßnahmen,<br />

deren Anzahl nicht zu unterschätzen ist, leichter geplant und realisiert werden. In den heutigen<br />

Konstruktionen wird es dafür keine Reserven mehr geben.<br />

Hinsichtlich der schweißgerechten Gestaltung hat sich nichts geändert. Nach wie vor hat der Konstrukteur<br />

den Einfluss der Steifigkeitsverhältnisse, der Wanddickenverhältnisse, der Kerbfallsituation<br />

und der Schweißfolge auf den Spannungsverlauf in seiner Schweißverbindung zu<br />

beachten. Die Zusammenhänge sind in diesem mittlerweile seit 1957 vorliegenden Fachbuch an<br />

praxisnahen Beispielen erläutert.<br />

In dieser 11. Auflage ist der Text inhaltlich an den aktuellen Stand der Technik und der Normung<br />

angepasst worden, wobei Wert darauf gelegt wurde, die vorherigen, mittlerweile abgelösten<br />

Regelungen nicht vollständig aus dem Text zu streichen, sondern neue und alte Regelungen<br />

möglichst nebeneinander darzustellen. Hierfür gibt es mehrere gute Gründe:<br />

1. Die Regelungen der in 2014 bauaufsichtlich eingeführten Eurocodes gelten per definitionem<br />

nur für neue Bauteile. Die weiter optimierten, rechnerischen Nachweise setzen zum Beispiel<br />

eine Reinheit und Duktilität der Werkstoffe voraus, die bei Altstahl im Regelfall nicht<br />

vorausgesetzt werden kann.<br />

2. Viele, gerade konstruktive Hinweise aus DIN 18800 wurden nicht in DIN EN 1993 übernommen.<br />

Dieses Fachwissen soll nicht verloren gehen.<br />

3. Angesichts der Vielzahl der in die Jahre gekommenen Hoch- und Infrastrukturbauten gewinnt<br />

das Bauen im Bestand an Bedeutung. Hier sind Hinweise auf frühere Bauweisen und Vorschriften<br />

häufig für das Verständnis vorhandener Konstruktionen und für deren Bearbeitung,<br />

Verstärkung, Ertüchtigung oder Sanierung wertvoll.<br />

4. Wenn Regelungen nicht mehr in Nachfolgenormen übernommen werden, heißt das nicht, dass<br />

sie nicht mehr zutreffend oder anwendbar sind. Mechanische Gesetze gelten unverändert und<br />

stehen einer ingenieurmäßigen Anwendung weiterhin zur Verfügung.<br />

Der Schweißkonstrukteur ist mehr denn je gefordert, Konstruktionen mit größtmöglicher Sicherheit,<br />

aber auch wirtschaftlich zu erstellen. Dies ist keine leichte Aufgabe. Sie erfordert ein<br />

fundiertes statisches Verständnis und verlangt den optimalen Einsatz des Werkstoffs Stahl unter<br />

Berücksichtigung aller Festigkeits- und Stabilitätsprobleme bei der Gestaltung einer Konstruktion.<br />

Hier kann das vorliegende Fachbuch hilfreiche Unterstützung bieten.


Seit der 10. Auflage hat sich das bisherige Autorenteam durch den Tod vom Herrn Hans-Joachim<br />

Veit und den Rückzug von Herrn Hans-Georg Hofmann in den wohlverdienten Ruhestand<br />

verkleinert. Der Unterzeichner dankt den vorgenannten Autoren für die hervorragende Vorarbeit in<br />

den vorausgegangenen Auflagen, die angeregten Fachdiskussionen und die vertrauensvolle<br />

Aufnahme in das Autorenteam und freut sich auf die weitere Betreuung und Fortschreibung des<br />

Werkes im Sinne der Erstautoren.<br />

Mülheim an der Ruhr, im Juli 2017<br />

Jörg-Werner Mortell


Inhaltsverzeichnis<br />

Vorwort zur 11. Auflage<br />

1 Grundlagen der Statik ....................................................................................................... 1<br />

1.1 Gleichgewichtsbedingungen ................................................................................................ 1<br />

1.2 Auflagerkräfte ...................................................................................................................... 3<br />

1.3 Standsicherheit von Bauwerken .......................................................................................... 4<br />

1.4 Schnittgrößen ....................................................................................................................... 5<br />

1.5 Fachwerke ........................................................................................................................... 6<br />

1.6 Vollwandträger .................................................................................................................... 7<br />

1.7 Gemischtbauweise Vollwand/Fachwerk .............................................................................. 8<br />

1.8 Rahmentragwerke ................................................................................................................ 8<br />

2 Grundlagen der Festigkeitslehre .................................................................................... 11<br />

2.1 Grundbegriffe .................................................................................................................... 11<br />

2.2 Spannungs-Dehnungs-Linie .............................................................................................. 14<br />

2.3 Zug und Druck ................................................................................................................... 15<br />

2.3.1 Knicken ............................................................................................................................. 17<br />

2.3.2 Kippen ............................................................................................................................... 22<br />

2.3.3 Beulen ................................................................................................................................ 22<br />

2.4 Biegung und Schub ............................................................................................................ 24<br />

2.5 Verdrehung (Torsion) ........................................................................................................ 28<br />

3 Die Bruchgefahren ........................................................................................................... 31<br />

3.1 Der Verformungsbruch ...................................................................................................... 31<br />

3.2 Der Dauerbruch ................................................................................................................. 32<br />

3.3 Der Sprödbruch ................................................................................................................. 36<br />

3.3.1 Empfehlungen zur Wahl der Stahlgütegruppen ................................................................. 39<br />

3.4 Der Terrassenbruch ........................................................................................................... 43<br />

3.4.1 Grundsätzliches ................................................................................................................. 43<br />

3.4.2 Terrassenbruch – Beispiele ................................................................................................ 49<br />

4 Die Schweißnaht .............................................................................................................. 55<br />

4.1 Stoßarten geschweißter Verbindungen .............................................................................. 55<br />

4.1.1 Der Stumpfstoß .................................................................................................................. 55<br />

4.1.2 Der T-Stoß ......................................................................................................................... 59<br />

4.1.3 Der Eckstoß ....................................................................................................................... 63<br />

4.1.4 Der Überlappstoß ............................................................................................................... 64<br />

4.2 Schweißnahtdarstellung ..................................................................................................... 66<br />

4.2.1 Darstellungsarten ............................................................................................................... 66<br />

4.2.2 Grundsymbole, zusammengesetzte Symbole, Zusatz- und Ergänzungssymbole .............. 66<br />

4.2.3 Bezugszeichen und Stellung der Symbole ......................................................................... 67<br />

4.2.4 Bemaßen von Schweißnähten ............................................................................................ 68<br />

4.2.5 Bezeichnung der Schweißverfahren .................................................................................. 69<br />

4.2.6 Vollständige Schweißnahtangaben .................................................................................... 69<br />

4.2.7 Schweißnaht-Bewertungsgruppen ..................................................................................... 69<br />

4.3 Zulässige Schweißnahtspannungen nach DIN 18800-1 (1981-05)..................................... 70


4.3.1 In Blech und Flachstählen ................................................................................................. 70<br />

4.3.2 In Form- und Stabstählen .................................................................................................. 71<br />

4.4 Grenzschweißnahtspannungen nach DIN 18800-1 (1990-11) ........................................... 72<br />

4.5 Grenzschweißnahtspannungen nach DIN EN 1993-1-8 .................................................... 74<br />

4.6 Schweißschrumpfspannungen ........................................................................................... 75<br />

5 Fachwerkträger und Stützen .......................................................................................... 78<br />

5.1 Stahlsorten ......................................................................................................................... 78<br />

5.2 Fachwerkträger .................................................................................................................. 79<br />

5.2.1 Querschnittsformen ........................................................................................................... 79<br />

5.2.2 Fachwerkknoten ................................................................................................................ 81<br />

5.3 Stützen ............................................................................................................................... 86<br />

5.3.1 Querschnittsformen ........................................................................................................... 86<br />

5.3.2 Kopf- und Fußpunkte ........................................................................................................ 89<br />

5.3.3 Stützenstöße ....................................................................................................................... 90<br />

5.3.4 Bindebleche und Schotte ................................................................................................... 91<br />

5.3.5 Konsolen und Trägeranschlüsse ........................................................................................ 94<br />

6 Vollwandträger und Rahmen ......................................................................................... 97<br />

6.1 Vollwandträger .................................................................................................................. 97<br />

6.1.1 Allgemeine Bauformen ...................................................................................................... 97<br />

6.1.2 Trägerstöße ...................................................................................................................... 105<br />

6.1.3 Aussteifungen .................................................................................................................. 108<br />

6.1.4 Trägeranschlüsse ............................................................................................................. 115<br />

6.2 Rahmen und Rahmenecken ............................................................................................. 118<br />

7 Behälter-, Apparate- und Maschinenbau .................................................................... 126<br />

7.1 Aussteifungen von Blechwänden .................................................................................... 126<br />

7.2 Stangen und Hebel ........................................................................................................... 138<br />

7.3 Behälterböden und Rohrstutzen ....................................................................................... 140<br />

7.4 Scheiben, Räder und Trommeln ...................................................................................... 142<br />

Zusammenstellung von Normen und technischen Regelwerken .......................................... 145<br />

Literaturhinweise ...................................................................................................................... 153<br />

Sachverzeichnis ......................................................................................................................... 155


1 Grundlagen der Statik<br />

1.1 Gleichgewichtsbedingungen<br />

Alle bekannten Bauteile stehen unter der Wirkung äußerer und innerer Belastungen. Die angreifenden<br />

Kräfte (Aktionen) und die erzwungenen Gegenkräfte (Reaktionen) müssen dabei im<br />

Gleichgewicht stehen, sonst gerät das Bauteil in Bewegung.<br />

Statik ist die Lehre vom Gleichgewicht der äußeren Kräfte.<br />

Eine Kraft wird bestimmt durch Größe und Richtung, zeichnerisch wird sie dargestellt durch eine<br />

gerichtete Strecke in einem gewählten Maßstab, Bild 1-1.<br />

Wirken zwei Kräfte F 1 und F 2 in verschiedenen Richtungen auf einen Körper ein, so bewegt er<br />

sich (Verschiebbarkeit vorausgesetzt) in der Richtung der Diagonale eines Parallelogramms, das<br />

aus diesen beiden Kräften gebildet werden kann, Bild 1-2. Mit anderen Worten: Zwei Kräfte<br />

lassen sich zu einer resultierenden Kraft zusammenfassen, die in ihrer statischen Wirkung den<br />

Einzelkräften gleichwertig ist. Eine Ausnahme bilden zwei parallel und entgegengesetzt gerichtete<br />

Kräfte von gleicher Größe, die als Kräftepaar ein Drehmoment erzeugen, Bild 1-3.<br />

Bild 1-1. Darstellung einer Kraft.<br />

Bild 1-2. Parallelogramm<br />

der Kräfte.<br />

Bild 1-3. Darstellung eines Kräftepaares.<br />

In umgekehrter Weise wie die Zusammensetzung von Kräften kann auch jede Kraft in Teilkräfte<br />

(Komponenten) nach verschiedenen Richtungen zerlegt werden.<br />

Bild 1-4 zeigt ein Beispiel für die Zerlegung von Kräften. Bei der Konsolkonstruktion ist S 1 eine<br />

Zug-, S 2 eine Druckkraft.<br />

Durch das fortlaufende Zusammensetzen zweier Kräfte kann die Resultierende aus einer<br />

beliebigen Anzahl von Kräften gefunden werden. Zeichnerisch entsteht dadurch ein Krafteck.<br />

Steht eine an einem Punkt angreifende Kräftegruppe im Gleichgewicht,<br />

so ist das zu ihr gehörende Krafteck geschlossen.<br />

Denkt man sich jede der in Bild 1-5 angreifenden Kräfte in einen vertikalen und horizontalen<br />

Anteil zerlegt, so wird aus dem geschlossenen Krafteck sichtbar, dass die Summe aller vertikalen<br />

und horizontalen Kräfte gleich Null ist.<br />

1


Bild 1-4. Zerlegen von Kräften sowie Gleichgewichtsbestimmungen<br />

in den Knotenpunkten.<br />

Bild 1-5. Kräftegleichgewicht.<br />

Weiterhin darf durch die Wirkung einer Kräftegruppe kein Drehmoment entstehen, welches das<br />

Tragwerk in eine drehende Bewegung versetzen könnte, oder anders ausgedrückt: Die Summe<br />

aller Drehmomente (Kraft mal Hebelarm) um jeden beliebigen Punkt muss Null sein. Das ist zum<br />

Beispiel dann erreicht, wenn alle Kräfte sich, wie oben, in einem Punkt schneiden.<br />

Wenn also in der Wirkung einer Kräftegruppe weder eine Resultierende noch ein Drehmoment<br />

„übrig bleibt“, dann ist das System im Gleichgewicht.<br />

Es ist zu erkennen, dass zum Erreichen des Gleichgewichtes in jedem beliebigen Punkt drei<br />

Voraussetzungen erfüllt sein müssen:<br />

Summe aller horizontalen Kräfte gleich Null, H = 0<br />

Summe aller vertikalen Kräfte gleich Null, V = 0<br />

Summe aller Drehmomente gleich Null. M = 0<br />

Bei einem „Dreigelenk-Tragwerk“ entstehen zum Beispiel in den Auflagerpunkten Horizontalkräfte.<br />

Diese sind, da die H = 0 sein muss, bei vertikaler Belastung entgegengesetzt gleich groß,<br />

A H = B H , Bild 1-6.<br />

2<br />

Bild 1-6. Kräftezerlegung und Lagerreaktionen.<br />

Durch wiederholte grafische Zerlegung gelingt es, auch die Stabkräfte größerer Fachwerke zu<br />

bestimmen (Cremonascher Kräfteplan).<br />

Mathematisch stellen die drei genannten Bedingungen drei Gleichungen dar. Drei Unbekannte<br />

(Auflagerkräfte) können somit maximal mit einem solchen Gleichungssystem in der Ebene ermittelt<br />

werden.<br />

Statische Systeme mit nicht mehr als drei unbekannten Auflagerreaktionen<br />

werden als „statisch bestimmt“ gelagert bezeichnet.


1.2 Auflagerkräfte<br />

Die Auflagerkräfte zählen gemeinsam mit den angreifenden Lasten zu den „äußeren Kräften“, sie<br />

sind zunächst unbekannt.<br />

Bei Baukonstruktionen werden im Allgemeinen drei verschiedene Lagerungsarten unterschieden:<br />

Bewegliches Lager (oder Pendelstütze), Bild 1-7:<br />

eine Unbekannte, zwei Freiheitsgrade.<br />

Als Reaktion kann in einem derartigen Lager nur die V-Kraft wirken: Gegen H und M ist kein<br />

Widerstand möglich.<br />

Festes Lager, Bild 1-8:<br />

zwei Unbekannte, ein Freiheitsgrad.<br />

Als Reaktionen können hier V und H aufgenommen werden. Gegen M ist kein Widerstand<br />

möglich.<br />

Einspannung, Bild 1-9:<br />

drei Unbekannte, kein Freiheitsgrad.<br />

Als Reaktionen können hier V, H und M aufgenommen werden.<br />

Bild 1-7. Bewegliches Lager. Bild 1-8. Festes Lager. Bild 1-9. Einspannung.<br />

Aus den drei Lagerungsarten können, wie in Bild 1-10 angedeutet, sehr verschiedene Lagerungen<br />

von Bauwerken zusammengestellt werden. Dabei sind hier nur Fälle mit drei unbekannten<br />

Reaktionen, also statisch bestimmte Lagerungen dargestellt.<br />

Nur andeutungsweise soll in Bild 1-11 auch eine statisch unbestimmte Lagerung dargestellt<br />

werden. Bei diesem Beispiel treten sechs unbekannte Auflager-Reaktionen auf. Da nur drei<br />

Gleichgewichtsbedingungen zur Verfügung stehen, ist das System 6 – 3 = dreifach statisch unbestimmt.<br />

Der Statiker unterscheidet neben den statisch bestimmt oder unbestimmt gelagerten „äußerlich<br />

statisch bestimmten oder unbestimmten“ Systemen auch verschiedene innere Gestaltungen und<br />

spricht daher auch von „innerlich statisch bestimmten oder unbestimmten“ Systemen. Im Rahmen<br />

dieses Bandes sollen bewusst komplizierte Definitionen vermieden werden. Hier werden daher<br />

nur die Vorteile dieser Systeme gegenübergestellt, wodurch sich indirekt für das jeweils andere<br />

System auch die Nachteile ableiten lassen.<br />

3


Bild 1-10. Lagerung statisch bestimmter Systeme.<br />

Bild 1-11. Lagerung eines statisch unbestimmten<br />

Rahmens.<br />

Vorteile statisch bestimmter Systeme:<br />

a) leicht zu berechnen,<br />

b) keine inneren Spannungen unter der Einwirkung von Temperatur,<br />

c) keine inneren Spannungen bei Stützenverschiebungen.<br />

Vorteile statisch unbestimmter Systeme:<br />

a) Reserven, infolge der Überzahl der Reaktionen,<br />

b) bessere Verteilung der inneren Beanspruchungen, daher manchmal wirtschaftlicher und leichter.<br />

1.3 Standsicherheit von Bauwerken<br />

Bevor man an die Berechnung einzelner Bauteile (Träger, Stützen, Fachwerke, Rahmen usw.)<br />

gehen kann, muss zunächst der statische Gesamtaufbau geklärt werden; denn hiervon hängt die<br />

Standsicherheit des Tragwerks in entscheidendem Maße ab.<br />

Bild 1-12. Standsicherheit eines Gerüstes durch die Anordnung<br />

stabiler Scheiben.<br />

Bild 1-12 zeigt als Beispiel die statische Gliederung eines Gerüstes. Man erkennt die zur Stabilität<br />

erforderlichen Scheiben:<br />

4


zwei Längsverbände in den Wänden A und B,<br />

zwei Querverbände in den Wänden A 1 B 1 und A 4 B 4 ,,<br />

zwei Querrahmen in den Ebenen A 2 B 2 und A 3 B 3 .<br />

Durch die Anordnung „stabiler Scheiben“ sind die auf das Tragwerk<br />

einwirkenden äußeren Kräfte in die Fundamente zu leiten!<br />

Wie aus Bild 1-12 ersichtlich ist, stützen sich die Scheiben A 1 B 1 und A 4 B 4 gegen die Längsverbände<br />

A 2 A 3 und B 2 B 3 in Längsrichtung ab. Theoretisch können durch eine stabile Scheibe<br />

beliebig viele Stützen oder Querrahmen gehalten werden, praktisch wählt man jedoch die Zahl der<br />

sich abstützenden Scheiben oder Stützen nicht zu groß, um die Gesamtstabilität nicht von wenigen<br />

Tragelementen abhängig zu machen. Rahmen ergeben eine weiche, Verbände eine starre Aussteifung<br />

von Bauwerken.<br />

1.4 Schnittgrößen<br />

Neben der Bestimmung des Gleichgewichtes, also beispielsweise der Ermittlung der noch unbekannten<br />

Reaktionen, der sich die Prüfung der Stabilität des Systems anschließt, gibt es die<br />

zweite Aufgabe der Statik:<br />

die Bestimmung der Schnittgrößen.<br />

In jedem gedachten Schnitt (siehe Bild 1-13) können unter der Wirkung der äußeren Lasten<br />

entstehen:<br />

Normalkräfte (N),<br />

Querkräfte (V),<br />

Biegemomente (M , M z ),<br />

Torsionsmomente (M x ).<br />

Bild 1-13. Bestimmung der Schnittgrößen.<br />

Bild 1-14. Die Wirkung der Normalkraft.<br />

Normalkräfte treten vorwiegend in stabförmigen Bauteilen auf, zum Beispiel in Fachwerkstäben,<br />

Bild 1-14. Normalkräfte, die auch als Längskräfte bezeichnet werden, erzeugen Normalspannungen.<br />

5


In diesem Zusammenhang wird „normal“ als senkrecht zu der interessierenden Querschnittsfläche<br />

bezeichnet.<br />

Querkräfte entstehen aus der Summe der bis zum Schnitt senkrecht zur Biegeachse wirkenden<br />

Kräfte, Bild 1-15. Ihre Folge sind Schubspannungen.<br />

Biegemomente entstehen durch die Wirkung äußerer Drehmomente, das heißt aus der Summe der<br />

Produkte von Kraft mal Hebelarm der äußeren Kräfte links oder rechts von dem zu<br />

untersuchenden Schnitt, Bild 1-16. Durch Biegemomente entstehen Normalspannungen.<br />

Bild 1-15. Die Wirkung der Querkraft.<br />

Bild 1-16. Die Wirkung des<br />

Biegemomentes.<br />

Bild 1-17. Die Wirkung des<br />

Torsionsmomentes.<br />

Torsionsmomente werden durch die Wirkung äußerer Drehmomente erzeugt, die räumlich um<br />

eine gedachte Längsachse wirken, Bild 1-17. Sie werden ermittelt aus dem Produkt der Querkräfte<br />

multipliziert mit den jeweiligen Hebelarmen, gemessen von der Querkraft-Wirkungslinie zum<br />

Schubmittelpunkt des Querschnittes. Dieser fällt nur bei doppelsymmetrischen Querschnitten<br />

mit dem Schwerpunkt zusammen. Die erzeugten Spannungen liegen in der Querschnittsfläche und<br />

sind daher Schubspannungen. Zusätzlich entstehen bei den nicht wölbfreien Querschnitten (zu<br />

denen zum Beispiel - oder I-Profile zählen) aus Zwängungstorsion auch Normalspannungen. Bei<br />

außermittigen Lasten, die zu Torsionsmomenten führen, ist also Vorsicht geboten (siehe Abschnitt<br />

2.5).<br />

Die Aufgabe der Statik wird im Allgemeinen abgeschlossen durch die Ermittlung und Darstellung<br />

des Verlaufes der Schnittgrößen. Dabei wird es oft notwendig, die Schnittgrößen mit Vorzeichen<br />

zu versehen.<br />

1.5 Fachwerke<br />

Unter einem Fachwerk versteht man ein Gebilde aus Stäben, deren Endpunkte theoretisch durch<br />

reibungslose Gelenke miteinander verbunden sind. Die in den Knotenpunkten in Wirklichkeit<br />

vorhandenen Einspannmomente können im Allgemeinen vernachlässigt werden. Alle äußeren<br />

Lasten sollen nach Möglichkeit in den Knotenpunkten angreifen, sonst erhält der belastete Stab<br />

zusätzlich Biegung, Die Stabkraftermittlung beruht auf der Bestimmung des an jedem Knoten vorhandenen<br />

Gleichgewichtes.<br />

Nach Abschnitt 1.1 besteht die Forderung, dass sich das zu jedem Knotenpunkt gehörende<br />

Krafteck schließen muss.<br />

6


Bild 1-18. Stabkräfte in einem Fachwerk; (–): Druck,<br />

(+): Zug.<br />

Bild 1-19. Fachwerkträger mit Zugdiagonalen.<br />

Bei dem in Bild 1-18 dargestellten Beispiel erhalten die Obergurtstäbe Druck (–), die Untergurtstäbe<br />

Zug (+). Die Querkräfte erzeugen in den Diagonalen Zug- oder Druckkräfte. Da alle Stäbe<br />

eines Fachwerkes nur durch Normalkräfte belastet sind, entsteht durch die günstige Materialausnutzung<br />

eine sehr wirtschaftliche Bauweise. Lediglich die Druckstäbe, die auf Knicken<br />

nachgewiesen werden müssen (siehe Abschnitt 2.3.1), können spannungsmäßig nicht ausgenutzt<br />

werden, weshalb man möglichst Systeme bildet, in denen viele Stäbe auf Zug belastet sind und die<br />

Druckstäbe die kleinsten Stablängen haben, Bild 1-19. Bei Wanderlasten (Kran- und Brückenträger)<br />

werden die Fachwerkstäbe oft schwellend oder wechselnd auf Zug und Druck beansprucht<br />

(Wechselstäbe).<br />

1.6 Vollwandträger<br />

In einem Biegeträger kann die Belastung entstehen durch:<br />

Einzellasten: F in kN und<br />

Streckenlasten: g, p, q in kN/cm, kN/m.<br />

Die Werte M, V und N haben im Allgemeinen über die Länge des Trägers eine veränderliche<br />

Größe, sie werden in der Form der Momenten-, Querkraft- und Normalkraftflächen dargestellt,<br />

Bilder 1-20 und 1-21.<br />

Bild 1-20. Momenten- und Querkraftfläche beim<br />

Träger auf zwei Stützen.<br />

Bild 1-21. Momenten- und Querkraftfläche beim<br />

Kragträger.<br />

7


In den Bereichen der größten Querkräfte haben Momenten-Linien die stärkste Neigung;<br />

bleibt in einem Bereich das Moment konstant, so ist hier keine Querkraft vorhanden.<br />

An den Stellen der größten Momente treten die größten Biegespannungen () auf; an den Stellen<br />

der größten Querkräfte ergeben sich die größten Schubspannungen ().<br />

Man sieht aus den Bildern, dass die größten Beanspruchungen meist nur an einer oder wenigen<br />

Stellen auftreten, so dass es sich oft empfiehlt, die Träger „abgestuft“ zu bemessen. In diesem<br />

Zusammenhang muss nochmals darauf hingewiesen werden, dass bei Vollwandträgern mit verhältnismäßig<br />

schmalem Druckgurt die Gefahr des Kippens besteht und daher zum Beispiel die in<br />

Abschnitt 2.3.2 aufgezeigten Gegenmaßnahmen ergriffen werden müssen.<br />

1.7 Gemischtbauweise Vollwand/Fachwerk<br />

Es besteht durchaus die Möglichkeit, beide Tragsysteme in einer Konstruktion zu vereinigen.<br />

Die bekanntesten Vertreter einer derartigen Gemischtbauweise sind der „unterspannte Träger“,<br />

Bild 1-22, und der „Langersche Balken“, Bild 1-23. Liegt der Versteifungsträger (Vollwandträger)<br />

oben, so erhält er Biegung und Druck, liegt er unten, wird er auf Biegung und Zug beansprucht. In<br />

die gleiche Kategorie gehören im Prinzip auch die Hängebrücken, Schrägseilbrücken und andere.<br />

Mit diesen Bauformen sind die größtmöglichen Stützweiten zu erzielen. Auch bei Fachwerken<br />

können einzelne Teile vollwandig ausgeführt werden, ebenso wie Fachwerkteile in Vollwandkonstruktionen<br />

vorkommen können, Bilder 1-24 und 1-25.<br />

Bild 1-22. Unterspannter Träger.<br />

Bild 1-23. Überspannter Träger.<br />

Bild 1-24. Fachwerk mit Vollwandteil.<br />

Bild 1-25. Rahmen mit Fachwerkriegel.<br />

1.8 Rahmentragwerke<br />

Rahmentragwerke werden meist als vollwandige Systeme ausgeführt und durch Biegung, Querund<br />

Normalkräfte beansprucht. Sie bestehen aus Riegeln und Stielen (Stützen), im Unterschied<br />

zum Fachwerk fehlen die Diagonalen.<br />

8


Alle Rahmen mit Ausnahme des Dreigelenk-Rahmens und einiger anderer Sonderformen<br />

sind ein- oder mehrfach statisch unbestimmt.<br />

Die Bauform ist sehr elegant, aber oft schwerer als das Fachwerk.<br />

Der statisch bestimmte Dreigelenk-Rahmen, Bild 1-26, ist bei schlechten Bodenverhältnissen sehr<br />

zweckmäßig, da er ziemlich unempfindlich gegen Fußpunktverschiebungen ist.<br />

Außer der gelenkigen Lagerung unterscheidet man die starre und die elastische Einspannung.<br />

Nach dem Aufbau spricht man von zwei- oder mehrstieligen sowie von ein- und mehrstöckigen<br />

Rahmen, Bild 1-27. Auch alle diese Systeme sind statisch unbestimmt.<br />

Bild 1-26. Dreigelenk-Rahmen.<br />

Bild 1-27. Verschiedene Rahmen.<br />

Infolge des Fehlens der Diagonalen sind die Riegel und Stiele durch biegesteife Ecken (Rahmenecken)<br />

zu verbinden. Konstruktionsformen werden in Kapitel 6 besprochen.<br />

Wesentlich ist bei Rahmenkonstruktionen der an den Auflagern auftretende Horizontalschub, der<br />

sorgfältig aufgenommen werden muss, da sonst bei einem Nachgeben der Fußpunkte der Riegel<br />

erheblich überbeansprucht werden kann.<br />

Die durch Biegemomente und Normalkräfte beanspruchten Rahmenstiele sind auf<br />

genügende Sicherheit gegen Stabilitätsversagen (Biegeknicken und Biegedrillknicken)<br />

nachzuweisen.<br />

Belastet man den Riegel eines Zweigelenk-Rahmens durch eine vertikale Last, so verformt er sich<br />

zunächst nach Bild 1-28. Bei fortgesetzter Steigerung der Belastung verliert das Tragwerk plötzlich<br />

das stabile Gleichgewicht, der Rahmen „geht seitlich weg“ – er knickt aus.<br />

Bei unendlich starrem Riegel würde sich die Knickbiegelinie nach Bild 1-29 einstellen, dabei wäre<br />

als Knicklänge l k = 2h einzusetzen (Eulerfall I).<br />

Da die praktisch zur Verwendung kommenden Riegel nicht unendlich steif sind, sondern immer<br />

eine gewisse Elastizität besitzen, stellt sich in Wirklichkeit die Knickfigur nach Bild 1-30 ein,<br />

aus der ersichtlich wird, dass die tatsächliche Knicklänge der Stiele mit l k größer als 2h in die<br />

Rechnung einzuführen ist.<br />

Man erkennt hieraus die Gefährlichkeit des oft anzutreffenden großen Irrtums,<br />

nach welchem aus Bild 1-28 gefolgert wird, die Knicklänge der Rahmenstiele<br />

sei nach Eulerfall II mit der einfachen Höhe h einzusetzen.<br />

9


Bild 1-28. Biegelinie eines Zweigelenk-Rahmens.<br />

Bild 1-29. Knickfigur eines Zweigelenk-Rahmens mit<br />

unendlich steifem Riegel.<br />

Letzteres gilt nur, wenn der Rahmen durch Verbände oder andere stabile Konstruktionen unbedingt<br />

am seitlichen Ausweichen gehindert wird.<br />

Bild 1-30. Knickfigur eines Zweigelenk-Rahmens mit<br />

elastischem Riegel.<br />

Bild 1-31. Kippen eines Zweigelenk-Rahmens.<br />

Ferner ist darauf zu achten, dass die Eckpunkte des Rahmens sich nicht aus der Rahmenebene<br />

heraus bewegen können, wie in Bild 1-31 perspektivisch dargestellt. Bei diesem Knickfall findet<br />

unter anderem ein Kippen des Riegels statt. Zur Verhinderung sind Verbände oder sonstige stabile<br />

Konstruktionen senkrecht zur Rahmenebene erforderlich.<br />

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2 Grundlagen der Festigkeitslehre<br />

2.1 Grundbegriffe<br />

Ein fester Körper hat durch innere Zusammenhaltkräfte eine bestimmte Gestalt und reagiert bei<br />

Belastungen durch Verformen. Die Verformungen sind oft das „sichtbare“ Zeichen dafür, dass der<br />

Körper innerlich beansprucht ist und dadurch gezwungen wird, seine Gestalt zu verändern.<br />

Die Festigkeitslehre untersucht das Gleichgewicht der inneren Kräfte.<br />

Die inneren Kräfte können als absolute Werte nicht gemessen werden. Um trotzdem ein Bild über<br />

die inneren Beanspruchungen zu gewinnen, ermittelt man zunächst, wie viel Kraft insgesamt<br />

durch einen bestimmten Querschnitt „fließt“, und bezeichnet dieses Verhältnis von Kraft auf die<br />

Flächeneinheit als Spannung.<br />

Kraft<br />

Spannung = Fläche<br />

= A<br />

F<br />

Einheiten der Spannung: N/mm² oder kN/cm²<br />

Wirken Kräfte normal (senkrecht) auf eine Querschnittsfläche, zum Beispiel unter der Wirkung<br />

von Normalkraft oder Biegemoment, so entstehen Normalspannungen , Bild 2-1.<br />

Beispiel: Normalspannung<br />

Kraft F = 126 kN = 126000 N<br />

Fläche A = 9 cm 2 = 900 mm 2<br />

126000<br />

= = 140 N/mm<br />

2<br />

900<br />

Bild 2-1. Zugbeanspruchung.<br />

Vergleichsweise wird nach DIN EN 1993-1-1 der Nachweis im Grenzzustand der Tragsicherheit<br />

für das gleiche Beispiel geführt.<br />

Es muss die folgende Bedingung nachgewiesen werden:<br />

Beanspruch Ed<br />

ung<br />

1<br />

Beanspruchbarkeit R<br />

d<br />

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