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Grenzen

Credit Suisse bulletin, 1999/02

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1980 von 3,5 Millionen Menschen auf<br />

heute zwölf Millionen angewachsen ist.<br />

Mexikanische Arbeiter kosten nur einen<br />

Viertel dessen, was ihre Kollegen nördlich<br />

der Grenze in El Paso nach Hause tragen.<br />

Innert kurzer Zeit sind deshalb 4000<br />

Fabriken aus dem Boden geschossen, die<br />

sogenannten «maquiladoras».<br />

Täglich strömen rund 6000 Immigranten<br />

aus ganz Lateinamerika nach Juárez,<br />

getrieben vom Traum, in den USA ein<br />

gutes Auskommen zu finden – weg von<br />

der wirtschaftlichen Not ihrer Heimat.<br />

Konstant sollen sich 300 000 Neuankömmlinge<br />

in der Stadt aufhalten. Viele<br />

nur für einige Wochen, andere versuchen<br />

direkt nach Nordamerika zu gelangen.<br />

Illegal, versteht sich. Auf sie wartet ein<br />

lebensgefährlicher Spiessrutenlauf durch<br />

die Sicherheitssysteme der amerikanischen<br />

Grenzpatrouille. Dass engere wirtschaftliche<br />

Zusammenarbeit mit der<br />

grossen Schwester im Norden für die<br />

Mexikaner nicht automatisch ein Zusam-<br />

WACHSTUMSGRENZEN<br />

1960 lebten drei Milliarden Menschen<br />

auf unserem Planeten, 1998 waren es<br />

sechs Milliarden. Experten prognostizieren<br />

fürs Jahr 2050 eine Weltbevölkerung<br />

von 9,3 Milliarden und warnen, die Zahl<br />

wachse zu schnell. Schon heute sind<br />

600 Millionen Menschen arbeitslos,<br />

1,2 Milliarden leben in absoluter Armut,<br />

800 Millionen leiden Hunger. Das<br />

enorme Wachstum der Weltbevölkerung<br />

verschärft diese Probleme.<br />

menrücken der Völker und einen Abbau<br />

der <strong>Grenzen</strong> mit sich bringt, zeigen die<br />

Zahlen der amerikanischen Grenzwache.<br />

Sie weist für 1999 ein Budget aus von 4,2<br />

Milliarden Dollar – dreimal mehr als noch<br />

im Jahr 1993. Und die Zahl ihrer Angestellten<br />

wuchs in der gleichen Zeit von<br />

3500 auf 7000.<br />

Die Armut klopft an die Tür<br />

In Ciudad Juárez geht es um mehr als um<br />

eine geografische Grenze. Wie auch<br />

in andern Teilen der Welt versuchen hier<br />

Menschen vehement, aus dem Schatten<br />

des Elends zu treten. Ciudad Juárez ist<br />

eine Inkarnation der Armutsgrenze, welche<br />

die Welt noch für Generationen beschäftigen<br />

wird.<br />

Über 90 Prozent aller Kriege seit 1945<br />

fanden in Entwicklungsregionen statt.<br />

Und ein deutliches Zeichen für die soziale<br />

Unrast ist die Tatsache, dass 155 von insgesamt<br />

198 Kriegen seit 1945 innerstaatliche<br />

Auseinandersetzungen waren.<br />

Vordergründig handelt es sich bei einem<br />

Grossteil um ethnische Konflikte. Doch<br />

viele politische Beobachter sind anderer<br />

Meinung. «Der Sammelbegriff ‹ethnischer<br />

Konflikt› taugt wenig, da die Ursachen<br />

komplexer sind», schreibt der Politologe<br />

Mir A. Ferdowski von der Universität München.<br />

«Wer Konflikte wie in Kurdistan oder<br />

im Kosovo als ethnisch versteht, verwechselt<br />

die Symptome mit der Diagnose»,<br />

doppelt der Journalist Oliver Fahrni in<br />

einem Leitartikel der «Weltwoche» nach.<br />

«Wirtschaftliches und soziales Gefälle oder<br />

eklatante politische Benachteiligungen<br />

stehen am Anfang fast allen Streits, der<br />

sich später in eine ‹ethnische› Unverträglichkeit<br />

kleidet.»<br />

Die Kosten dieser Fehden sind enorm,<br />

die Konsequenzen für die Menschen<br />

verheerend: Im Ersten Weltkrieg lag der<br />

Anteil der zivilen Opfer noch bei zehn<br />

Prozent; im Zweiten Weltkrieg bei 60 Prozent.<br />

Heute schätzen Experten den Anteil<br />

der zivilen Kriegsopfer auf 90 Prozent.<br />

60 Millionen Menschen wurden seit 1945<br />

verwundet oder dauerhaft versehrt. Von<br />

den zurzeit weltweit rund 22 Millionen<br />

Menschen auf der Flucht ist ein Grossteil<br />

Opfer kriegerischer Auseinandersetzungen.<br />

Rund neun Millionen flüchten aus<br />

wirtschaftlicher Not. Angesichts dieser<br />

Zahlen scheint es zynisch, von der Welt als<br />

globalem Dorf zu schwärmen.<br />

«Die Globalisierung funktioniert nur,<br />

wenn sich überall auf der Welt die Menschen<br />

mit dem Nötigsten punkto Gesundheit<br />

und Ernährung versorgen können»,<br />

betont Bruno Spinner, Chef des Schweizer<br />

Integrationsbüros (vergleiche Interview<br />

auf Seite 21). Er warnt vor der Schere,<br />

die zwischen den Industrie- und Entwicklungsländern<br />

immer weiter auseinanderklafft.<br />

«Sie könnte uns dereinst den Ast<br />

abschneiden, auf dem wir sitzen.» Ohne<br />

die Menschen in allen Regionen an den<br />

Ressourcen teilhaben zu lassen, wird es<br />

wohl kaum Fortschritte im Zusammenleben<br />

der Erdenbürger geben. Die fortschrittlichen<br />

Staaten können sich nicht<br />

hinter ihre <strong>Grenzen</strong> zurückziehen – zu<br />

sehr sind sie mit dem globalen Markt<br />

verflochten. Mir A. Ferdowski trifft ins<br />

Schwarze, wenn er sagt: «Auch in den<br />

Regionen des Südens ist jene in diesem<br />

Jahrhundert gemachte Erfahrung gültig,<br />

dass Entwicklung zwar ohne Frieden nicht<br />

möglich ist, aber auch, dass Frieden ohne<br />

Entwicklung keinen Bestand haben kann.»<br />

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22 CREDIT SUISSE BULLETIN 2 |99

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